Frü h l i ngspflanzen i m Küsnachter Tobel Zur Biologie einiger bekannter und weniger bekannter Pflanzenarten Spaziergänger u n d Wanderer sind vermutlich zu keiner Jahreszeit auf Pflanzen , Tiere u n d das Natu rganze leichter ansprechbar als gerade i n den Früh ling stagen vor u n d wäh ren d der Lau bentfaltung im Wald . Das mag verschiedene Gründe ha­ ben . Wen n i n den Laubwäldern der U mgebung bereits das anhaltende Erg rü nen in der brau ngetönten Laubstreu die Neugier zu wecken vermag , so ist die kurz darauf einsetzende Bl ütenentfaltung sicherlich n icht mehr zu ü bersehen ! Das Er­ blühen am Boden scheint sich vor dem Austreiben des Blätterdachs der Bäume und Sträucher mit gesteigerter I ntensität zu vol lziehen . Und im noch hellen Wal ­ desi n nern sind wenige Arten , die aber massenhaft auftreten , leichter zu ü berblicken u n d gegeneinander abzugrenzen . I n den nachfolgenden Besch reibungen beschränken wir u ns auf jene Pflanzen i n d e r sogenan nten Krautsch icht d e r Tobel-Waldungen , die zum g rossen Teil vor der Laubentfaltung der Bäu me aufblühen . Dabei versuchen wir, vor allem Besonder­ heiten im Fortpflanzu ngsgeschehen in den Vorderg rund zu stel len , Merkmale und Eigenschaften , die i n der Regel von jedermann ohne besondere Hi lfsm ittel oder dann mit einer Lupe nachgeprüft werden können . Anemonen und Scharbockskraut als Herdenbildner Busch-Windröschen und Scharbockskraut eröffnen den Bl ütenreigen . I h re Bl üte­ zeit fällt mit der g rössten Lichti ntensität am Wald boden zusam men und erstreckt sich ungefähr von M itte März bis Ende Apri l . I m J u n i sind die oberirdischen Pflan­ zenteile bereits weitgehend abgestorben . Verwandtschaftlich gehören sie - wie die fast gleichzeitig blühende Dotterbl u m e und das Gelbe Windröschen - zur Fa­ milie der Hahnenfussgewächse (Ran u nculaceae) . Busch - Windröschen (Anemone nemorosa) Mit der kronblattartigen Bl ütenh ü l l e , die sich geöffnet als weisser Stern darbietet , den zahl reichen Stau bblättern und Fruchtknoten i m Zentru m sowie den d rei Sten­ gelblättern als Hochblättern, die u nterhal b der Blüte eine Art Quirl bilden , tritt der Anemonen-Charakter deutl ich zutage . I deale Wuchsbed i n g u ngen findet das Busch-Wi n d röschen i m Tobel einerseits i n verschiedenen Ausbildungsformen des Buchenwaldes u n d andererseits i n der von Esche und Bergahorn dominierten Gesellschaft des Schluchtwaldes. Nähr­ stoffreiche, eher lockere und kaum j e austrocknende H u m usböden ken nzeichnen den Standort . Neben bei bemerkt , beg leitet uns die Art in Nadelwäldern der Alpen bis zur Waldgrenze . Die Tatsache, dass unser Busch-Windröschen vielerorts jeweils i n Tausenden von Exemplaren auftritt und g rossflächige Kolonien oder H erden zu bi lden vermag , ist zweifellos Ausdruck idealer Wuchs- u n d Entwicklungsbed i ng u ngen . Nach der Bl ütezeit wird auch bald ein g uter Fruchtansatz sichtbar. Die nickenden Frucht- Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 37 38 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch stiele (Abb . 1 ) legen sich später, wenn d i e g rünen Pflanzenteile abgestorben s i n d , a n d e n Boden . Damit hat d i e Pflanze sel bst einen ersten Schritt z u r Ausbreitung i hrer Früchte getan . Eine weitere Ausbreitung der nüsschenartigen Früchte ist dann du rch Ameisen mög l i c h . Wen n n u n aber bekannt ist , dass die reichlich gebildeten Früchte nur s e h r be­ schränkt keimfähig sind , müssen fü r die wirksame Vermehrung und Koloniebi l ­ d u n g offensichtlich ungeschlechtliche bzw. vegetative Organe (Organe ausserhalb des Bl ütenbereichs) dafür verantwortlich sei n . Das Rhizom als Fortpflanzungsorgan (Ab b . 1 ) : Wer sich d i e M ü h e nimmt, eine Windröschen-Pflanze möglichst vol l ständig auszugraben , wird leicht feststel len , Abb. 1 . Mehrfach verzweigtes Rhizomstück des Busch-Windröschens, Mitte Mai (ca. 6 Jahre umfassend). B = Blütentrieb, En Erneuerungsknospe, F Sammelfrucht aus Nüsschen, Lg grundständiges Laubblatt, Lh Stengel- bzw. Hochblätter, Sw sprossbürtige Wurzeln. = = = = = Foto 1 : Einzelner Blütentrieb des Gelben Wind­ röschens (Anemone ranunculoides). Foto 2 :Standort des Gelben Windröschens in Buchen-Mischwald des Küsnachter Tobels. Neben Busch-Windröschen sind drei Kolonien sichtbar. Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 39 dass der mehr oder wen iger horizontal verlaufende braune Achsenkörper keine Wu rzel sein kan n . Rein äusserl ich lassen Wuchsrichtung und die N i ederblätter als unschein bare Schuppen die Sprossnatur erkennen . Solche unteri rd ische Kriech­ triebe (auch Grundstengel oder Erdstämme genan nt) werden von den Botani kern als Rhizome bezeichnet . Rhizompflanzen sind d u rchwegs ausdauernde, also mehrjährige Gewächse m it einer ausgeprägten Ruheperiode. Diese kan n , wie in unserem Beispiel , schon im Sommer einsetzen , u mfasst auf alle Fälle aber die wi nterl iche Jahreszeit . Der Beg i n n der Ruhepause fäl lt i n der Regel mit dem Ab­ sterben der oberird ischen Organe zusam men . Bis dah i n mit H i lfe der g rü nen Pfl anzentei le (durch Photosynthese !) erzielte Ü berschüsse an organischen Nähr­ stoffen bleiben n u n i m Rh izom gespeichert . Diese Reservestoffe werden m i nde­ stens tei lweise beim frühen und raschen Austreiben i m folgenden Frü h l i n g mobili­ siert . I n jeder Vegetationsperiode erfah ren die Rh izomtriebe am « j u ngen » Ende a u s der sogenan nten Erneuerungsknospe heraus einen Zuwachs (Ab b . 1 ) . Zu Beg i n n des­ selben entstehen jeweils auch die neuen oberirdischen Blätter und Bl ütentriebe. Sie werden am Ende der Vegetationszeit wieder absterben und wie die abgestor­ benen N iederblattschu ppen Narben zurücklassen . Auf Grund der Anzah l gehäuf­ ter Narben bildu ngen lässt sich das Alter eines Rh izomstücks einigermassen ab­ schätzen . Wie lange d ie Pflanze schon i m Boden wächst, wird man i m allgemei­ nen aber n icht sagen kön nen . Denn i n dem Masse, wie das Rhizom an der Spitze fortwächst , sti rbt es am rückwärtigen Ende allmählich ab , so dass ältere Erd­ stämme stets etwa gleichviele J ahre u mfassen . N icht zu übersehen ist eine aus solchem Wachstum erfolgende all mäh liche Ortsverlagerung der Pflanze . An den aus den Erneuerungsknospen hervorgegangenen Rh izomtrieben wachsen später i mmer Wurzel n aus. Diese sogenannten sprossbürtigen Wurzeln werden im folgenden Frü hjahr u n entbeh rl ich fü r die Aufnah me des benötigten Wassers und der darin gelösten Nährionen aus den Bodensalzen . N icht selten treiben zwei Erneuerungsknospen aus, u n d zuweilen entwickel n sich bereits früher angelegte Knospen erst später weiter. In all diesen Fäl len kom mt es zu Verzweigungen . Einfach verzweigte Rhizome sind häufi g , mehrfach verzweigte, wie in Abb . 1 , eher selten anzutreffe n . Tatsächlich fi nden wir hier aber den Sch lüs­ sel fü r die wi rksame Vermehrung der l n d ivid uenzah l und damit fü r d i e Bildung grosser H erden auf rei n vegetativem Weg ! Gelbes Windröschen (Anemone ranunculoides) I n allen wesentlichen Tei len gleicht es dem Busch-Windröschen . Zur Bl ütezeit durch d i e gelbe Blütenfarbe leicht erkennbar, ist es vor und nach der Bl üte d u rch die n u r kurz gestielten Stengelblätter vom Busch-Wi n d röschen zu unterscheiden (Foto 1 ) . « Wo aber ist denn diese Pflanze anzutreffen ? » werden vielleicht viele, d i e das To­ bel regel mässig besuchen , fragen . Vor bald 30 Jahren entdeckte ich nicht weit vom Ei ngang in den Wal d auf der rechten Seite zwei Kolonien von je etwa 1 00-200 Exemplaren neben lockeren Beständen des Busch-Windröschens. Wei l in d e r Literatur kei nerlei Angaben über e i n früheres Vorkommen des Gelben Wind40 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Foto 3 :Scharbockskraut (Ranunculus ficaria), niederliegender Blütentrieb. In der Achsel des Stengelblattes ist ein noch nicht ausgereiftes Brutknöllchen sichtbar. Abb. 2. Scharbockskraut mit Wurzelknollen und Brutknospen. B Blütentrieb, Bk Brutknospen (Brutknöllchen), F = Sammelfrucht aus Nüsschen, K 1 Wur­ zelknollen vom Vorjahr, K 2 diesjährige Wurzelknollen, N = Nährwurzeln, S = sprossbürtige Wur­ zeln. Vgl. auch Foto 4. = = = = Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 41 Foto 4. Wald-Bingelkraut (Mercurialis perennis) mit männlichen Blüten in vier Blütenständen. Foto 5. Weibliche Bingelkrautpf/anze mit drei zweifächerigen unreifen Früchten. röschens zu finden waren , m usste in erster Linie an eine Einpflanzung d urch den Menschen gedacht werden . Die nächstgelegenen Fundorte liegen i n den Bezirken Uster u n d Bü lach ! Im laufe der Jahre h aben sich n u n ein ige g rössere und kleinere Kolonien gebildet, die i nsgesamt i m merhin eine Fläche v o n etwa 1 bis 2 Aren bedecken (Foto 2). Und zweifellos wird eine weitere Vermehrung u n d Ausbreitung der Art anhalte n , denn der M u l lboden im Laubmischwald entspricht optimalen Standortsbed i n g u ngen. Durch Zufall habe ich erst vor kurzem erfahren , d ass die «Ahnen der heutigen Ko­ lonien tatsächlich vor genau 60 Jahren i n ca. 5 Exemplaren von einem in der Nähe woh nenden Pflanzenfreund ausgesetzt wurde n . Die Folgen der sicher gut ge­ meinten « Zwangseinbürgerung werden in Zuku nft bestimmt viele weitere Wan­ derer erfreuen . Ob solche Handlungen gan z allgemein erwünscht s i n d , ist freil ich eine andere Angelegenheit ! Vom heutigen Nat u rschutzgedanken aus betrachtet ist eigentlich jede absichtlich getätigte Einbürgerung von Pflanzen u nd Tieren frag­ würd i g . M it Rücksicht auf d ie Erhaltung möglichst u nverfälschter naturnaher Le­ bensgemeinschaften sol lte hauptsächlich auf jedes Aussetzen von Arte n , d i e im Gebiet nie nachgewiesen wurden , verzichtet werden . „ „ Scharbockskraut oder Feigwurz (Ranunculus ficaria) Schon Ende Februar können die oberirdischen Organe austreiben , aber bereits Ende Mai sind sie grösstenteils auch schon abgestorbe n . Die frühere Verwend ung der Blätter gegen Sko rbut (Scharbock) hat zum ersten deutschen Namen geführt . 42 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Abb. 3. Wald-Bingelkraut: Acht oberirdische männliche Triebe, die durch dasselbe Rhizom mitein­ ander in Verbindung stehen. Der Name Feigwurz und der wissenschaftliche Artname « ficaria » (vom Latein i ­ schen ficus = Feige) beziehen s i c h auf die Form der keulenförmig angeschwolle­ nenen Wurzelknollen, vielleicht aber auch auf d i e heilende Wirkung gegen die Feigwarzen-Erkrankung bei R i ndern i n früherer Zeit ? I m Tobel zählt auch das Scharbockskraut zu den häufigen und gesellig wachsen­ den Frühblühern (Foto 3) . Es zeigt g ute Nährstoffbedingungen und einen meist deutlichen Leh mg ehalt i m Boden an . Für das massenhafte Vorkommen , die Her­ denbildung, sind auch bei d ieser Pflanze vegetative Bildungen und Vorgänge ver­ antwortlich . Trotz üppiger B l ütenbildung b leibt die Keimfähigkeit der Samen bzw. Früchtc hen geri n g . Streng genommen g i lt diese Eigenschaft allerdings nur für d i e b e i uns vorkom mende Unterart . Ab und zu bewurzeln sich die niederliegenden Stengel da, wo sie mit einem Kno­ ten den Boden berühre n . Wird die Verbindung zwischen einer solchen Stel le und der Stengelbasis d u rch i rgendeine E inwirkung unterbrochen , so kann sich das be­ wurzelte, abgetrennte Sprossstück zu einer selbständigen Pflanze weiterent­ wickeln, ähnlich , wie dies bei echten Ausläuferpflanzen - z . B . Erdbeeren - ge­ schieht. Diese vegetative Fortpflanzungs mög lich keit vermag das vielerorts mas­ sen hafte Vorkommen der Pflanze freilich nicht zu erklären. Dafür verantwortlich sind vielmehr die Brutknospen ( Brutknöllchen), d urch d ie u nsere Unterart (ssp . bulbifera !) gegenüber andern Unterarten ausgezeichnet ist. Solche Brutknospen (Abb . 2) werden stets in den Blattachseln gebildet und nach der Bl ütezeit deutlicher als weissliche Knöl lchen sichtbar. Im Unterschied zu ge- Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 43 wöh n l ichen Knospen wachsen sie n icht zu Seitentrieben aus, sondern fallen sch l iesslich ab , können sich bewurzeln u n d dann zu einer neuen Pflanze aus­ wachsen . Vorher aber ist - z. B . d u rch Regengüsse - auch eine weitere Ausbrei­ tung der Brutknöllchen über grössere Distanzen wahrschei nlich . Bereits i m zeitigen Sommer ist vom Scharbockskraut auf u n d ü ber dem Boden nichts mehr zu sehen . Die Pflanze überdauert bis zum Frühjahr in Form der Wur­ zelknollen . Eine i m Frühling ausgegrabene Pflanze lässt leicht zwei Generationen davon erkennen (Abb . 2) . Je nach dem Zeitpunkt der U ntersuchung erscheinen die d u n kleren Knollen schon deutlich geschrumpft ; sie sind i n der Vegetationspe­ riode vor einem Jahr angelegt und ausgebildet worden . Der von den g rü nen Pflan­ zenteilen des Vorjahres erzielte Ü bersch uss an Assi m i l aten hat n u n als Vorrat das frühe Entfalten der diesjährigen Triebe ermöglicht. Neu im Wachstum stehende, bleichere Wu rzelknollen gehören bereits zu Erneueru ngsknospen , die im nächsten Jahr dann zum oberird ischen Pflanzen körper auswachsen werden . M it der Möglichkeit sich loslösender einzelner Wurzelknollen vom « Büschel » be­ sitzt die Art ausserdem gleichsam ei ne d ritte Form vegetativer Fortpflanzung , die im Vergleich zu den Brutknospen jedoch weit weniger wi rksam ist . Andere herdenbi ldende Frü h l i ngspflanzen Das Ausdauernde oder Wald-Bingelkraut (Mercurialis perennis), eine zweihäusige Pflanze I m Buchen- u n d Eschen-Ahorn-Schluchtwald des Tobels erscheinen etwa gleich­ zeitig mit dem Busch-Wi n d röschen die unverzweigten Triebe des Bingel krauts . Im Gegensatz zum ersteren nehmen sich die Blüten aber sehr u nauffällig aus, und deren Entfaltu ng ist etwas verzögert . Die Hauptbl ütezeit im Apri l wird deshalb leicht ü bersehen . Zudem sterben die grünen Luftsprosse erst i m N ovember ab. Beim genaueren H i nschauen wird man bemerken , dass eine Pflanze entweder nur män n liche Blüten (mit Staubblättern) ausbildet oder dann nur wei bliche (mit Fruchtknoten) besitzt . Eine solche Vertei l u n g der beiden Gesch lechter auf ver­ sch iedene Pflanzen bezeichnet man als zweihäusig . Die män n l ichen Bl üten be­ stehen aus 9-1 2 freien Stau bblättern , umschlossen von einer 3-4-teiligen grünli­ chen Blütenhülle. Sie stehen ährenartig an fadenförmigen Stielen (Foto 4) . Weib­ l iche Blüten auf langen Stielen präsentieren sich m it den zweiteiligen Fruchtkno­ ten etwas auffälliger, vor allem wenn die Fruchtreife weiter vorangesch ritten ist (Foto 5) . Wie wird nun der Bl ütenstaub (Pollen) auf die Narben der Fruchtknoten ü bertra­ gen ? Frühere Forscher hielten das Bingelkraut für rei n windblüti g , eine Auffas­ sung , der wir auf Grund der beschriebenen Bl üten leicht zustimmen könnten. Später d u rchgefü h rte eingehendere U ntersuchungen füh rten jedoch zur Einsicht, dass die Bestäubung regel mässig auch d u rch I nsekten erfolgt, besonders d u rch kleine Fliegen , die sich fü r ein zuckerhaltiges, riechendes Fl üssig keitströpfchen i n ­ teressiere n , das i n d e n Bl üten ausgesch ieden wird . 44 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Nach Abschl uss der Fruchtreife hat sich der Fruchtknoten in eine zweifächerige Kapsel mit i nsgesamt zwei Samen umgewandelt. Die von einem d ü n nen Ö l häut­ chen überzogenen Samen werden d u rch einen Austrocknungsmechanismus weggeschleudert (bis nahezu 1 Meter !) u n d können dann von Ameisen noch wei ­ ter verschleppt werden . Auf einen Blick stellt Zweihäusigkeit die ei nfachste und wirksamste M assnahme zur Verhinderung von Selbstbestäu bung dar. Als Nachtei l gegenüber den viel häu­ figeren zweigeschlechtigen Bl üten pflanzen wird mit Recht auf die Tatsache ver­ wiesen , dass bei Zweihäusigen i m mer n u r ein Tei l der Pflanzen (die wei blichen !) zur Fruchtbildung gelangt . Dieser Nachteil d ü rfte aber gerade beim Bingelkraut kau m ins Gewicht fal len , weil ein ausgedeh ntes Rhizomsystem n icht n u r den Fort­ bestand der Art, sondern auch eine wirksame Vermehrung ohne Bl üten gewäh r­ leistet . Männl iche u n d wei bliche Pflanzen lassen sich auch ohne Blüten allein an der Tracht ausei nanderhalten ; die letzteren wirken eher robuster und sind i m D u rch­ schnitt etwas g rösser. Bis 40 cm hohe, n u r i n der oberen Hälfte beblätterte Sten­ gel entspri ngen - i n beiden Gesch lechtern ü bereinstimmend - einem waag recht weit kriechenden , reich verzweigten Rhizomgeflecht (Abb . 3) . Im Vergleich zu den oberirdischen Stengeln wi rken die u nterird ischen ausläuferäh n l ichen Triebe kaum verdickt ; sie fal len aber d u rch eine starke Bewurzel ung ihrer Knoten auf. I n den oft ausgedehnten H erden haben d i e Einzelpflanzen i n der Regel das g leiche Ge­ schlecht, sind also entweder män n lich oder weiblich, ein nachdrücklicher Beweis fü r die Wirksamkeit der vegetativen Fortpflanzu ng ! Früh blühende Seggen Zu den ersten Frü h l i ngsblü hern i m Küsnachter Tobel zäh lt auch eine G ru p pe von grasartigen Pflanzen , die als Vertreter der Gattung Segge (Carex) zur Familie der Schein g räser (Cyperaceae) gehören . Die Bestäubung der unauffäl l igen Bl üten er­ folgt - wie bei den echten G räsern - ausschliesslich d u rch den Wind . Seggen ha­ ben jedoch - anders als die Gräser (Poaceae) - eingeschlechtige Blüten : die män n l ichen bestehen i m wesentl ichen aus 3 Stau bblättern , die wei blichen aus ei­ nem Fruchtknoten m it 2-3 N arben . Der Fruchtknoten ist bis zur reifen Frucht von einem verwachsenen Vorblatt , dem Fruchtschlauc h , umschlossen. Dann haben Seggen einen mehr oder weniger deutl ich d reikantigen Stengel ohne die auffäll i ­ g e n Knoten d e r G räser. Dementsprechend stehen auch die Stengel blätter in drei Reihen . Die vier häufigsten Arten der frühblü henden Seggen lassen sich g leich nebenei n ­ ander a m ehesten an Waldstandorten auffi nden , die einem Seggen-Buchenwald entsprechen . Obwohl diese Waldgesellschaft in u nserem Gebiet nicht g ross­ flächig und in reiner Form ausgebildet ist , so fi nden sich wenigstens Frag mente derselben stel lenweise in wärmere n , trockenen , ungefähr west- bis südöstlichen Hanglagen , so z . B . am rechtsseitigen höheren Abhang oberhalb der zweiten Brücke oder auf der l i n ken Tobelseite, ca. 300 m nord nordöstlich der Ruine Wu l p . Bergsegge (Carex montana) und Finger-Segge (Carex digitata) bilden beide kräf­ tige Horste . Die Berg-Segge ist d u rch i h re lebhaft hellgrünen , höchstens 2 mm Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 45 Foto 6 : Weisse Segge (Carex alba) in voller Blüte. An der Spitze sind die gelben Staubbeu­ tel der männlichen Blüten erkennbar, darunter die weisslichen Narbenfäden der weiblichen Blüten. Foto 7: Weisse Segge: zwei ausläuferartige Kriechtriebe mit den oberirdischen Trieb­ Büscheln (Hörstehen). Foto 8 : Fertile Triebe des Riesen-Schachtel­ halms (Equisetum telmateia) mit den "Spo­ renähren ", Mitte April. 46 Foto 9 : Riesen-Schachtelhalm: Ausschnitt aus der "Sporenähre" (Strobilus) mit den schildchenförmigen Sporenblättern (Sporan­ giophoren); an deren Rand die ausgebreiteten Sporensäcke (Sporangien) sichtbar. Siehe auch Abb. 4. Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch breite n , schlaffen Blätter u n d die d u n kelroten grundständigen Blattscheiden auch i m bl ütenlosen Zustand von der Finger-Segge zu u nterscheiden . Die etwas brei­ teren Blätter der letzteren ü berwi ntern u n d sind dann derb u n d d u n kelgrün zur Bl ütezeit noch neben der neuen Blattg eneration erkenn bar. Beide Arten haben d ie män n l ichen Bl üten in einem endstän digen Ä hrchen ange­ ordnet . Daru nter stehen seitlich die weiblichen Blüten , bei der Berg-Segge i n 1 -2 ru n d l ichen , bei der Finger-Segge i n 2-4 läng l ichen , gestielten Ä hrchen , das un­ terste oft stark herabged rückt . Eine solche Vertei l u n g der Geschlechter - män n l i ­ che u n d wei b l iche Blüten nebeneinander auf d e r gleichen Pflanze - ist f ü r einen Grosstei l der Seggen typisch und wird allgemein als einhäusig bezeichnet . Z u r Zeit d e r Fruchtreife liegen die Stengel d e r Finger-Segge nieder u n d legen d i e Früchte auf d e n Boden . Wei l die ölkörperhaltigen Früchte v o n Ameisen begeh rt si nd , werden sie danach von diesen weiter ausgebreitet. Ameisen sind ebenso für eine wi rksame Verbreitung der Berg-Seggen- Früchte unentbehrlich . Bei der Weissen u n d der Schlatten Segge (Carex alba und Carex flacca) finden wir die Blüten nach dem gleichen Prinzip angeord net . Die zierl iche Weisse Segge be­ sitzt nebst einem endständigen män n l ichen 1 -3 seitliche wei bl iche Ä hrchen . Diese stehen starr aufrecht und bestehen aus nur 3-6 Bl üten (Foto 6) . Die robustere und . bis halbmeterhohe Sch laffe Segge hat 2-4 wei bliche vielblütige Ä hrchen , die an langen , d ü nnen Stielen hängen und sich später brau n bis fast schwarz verfärben . U n ser Augenmerk richtet sich hau ptsächlich auf die Wuchsform , denn d u rch d iese wird z. B . die dominierende Stellung der Weissen Segge i n der Krautsch icht des Seggen - B uchenwaldes verständlicher. Die g razi len Horste lassen sich m ü he­ los ausgraben . Dabei zeigt sich , dass alle Büschel und Einzeltriebe einem hori­ zontal kriechenden ausläuferartigen Trieb entspri ngen (Foto 7) . Diese rhizom­ artige, dünne Sprossachse kann i n einer Vegetationsperiode über mehrere Dezi­ meter auswachsen . Sie verläuft zum g rössten Tei l nahe der Oberfläc he. An den Knoten wachsen eine bis mehrere Knospen zu den oberirdischen Blatt- u n d Sten­ geltrieben aus. H ier entspri ngen auch Wu rzel n , und verei nzelt kommt es d u rch Entwickl ung entsprechender Knospen zu Verzweigungen , seltener Mehrfachver­ zweigungen der Kriechsprosse . Die relativ kurzlebigen Organe werden bald d u rch das Auswachsen benach barter Triebe ersetzt , so dass eine ein mal in Besitz ge­ nom mene Fläche durch eine Kol o n i e a u s Ta u sen den von H ö rstehen s i c h n ach aussen hin auch nach Jahren kau m verändert . Die Schlaffe Segge - wegen d e r Farbe i h rer Blätter auch Blaugrüne Segge ge­ nannt - fi ndet i h re opti malen Wuchsbed i n g ungen bei uns n icht im Seggen - B u ­ chenwald . A l s eigentlicher Tonzeiger gedeiht sie m it kräftigstem Wuchs a u f den zahl reichen Leh m - und Mergelböden i m Tobel . Als Rohboden pionier hat sich die Segge sogar an den rutschenden Steil hängen der Wul p ü beral l anzusiedeln ver­ mocht. Im n icht zu kom pakten , kalkreichen Mergelsch utt kriechen die kräftigen , sch n u rartigen Rh izome meterweit , n icht selten in einer Tiefe von wenigen Dezi­ metern . An der Basis erstarkter älterer Luft-Triebe kön nen aus Knospen neue Rhi­ zome auswachsen , die i n einiger Entfern u n g wieder i n oberird ische Sprosse ü ber­ gehen . An solchen Stel len ist schon bald eine Wu rzelbildung erkenn bar. U n d da­ mit wird den betreffenden oberirdischen Pflanzenteilen , nach einer durch Boden- Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 47 bewegu n g oder Absterbevorgänge bedingten Trennung von der « M utterpflanze », ein selbständiges Weiterleben als I n d ividu u m ermöglicht. Der Riesen-Schachtelhalm (Equisetum telma teia), eine farnartige Pflanze Im Bereich von Quel lfl uren u n d Hangs ü m pfen wird der aufmerksame Wanderer im späteren Frühjahr u n d Sommer d u rch den Anblick verei nzelt reiner Bestände des Riesen-Schachtelhalms gewiss in den Bann gezogen . Solche lokal eng beg renzte Standorte zeichnen sich d u rch nasse, kalkreiche, oft rutschende Ton - Mergelbö­ den aus. Bis 1 , 5 m hohe, regelmässig gegliederte Stengel mit den ebenso regel­ mässig i n Qui rlen stehenden Seitenzweigen wi rken - besonders i m Verband wachsend und aus der Nähe betrachtet - äusserst attraktiv. Ein Hauch u rweltli­ cher Atmosphäre mag sich beim ischen , wenn wir wissen , dass d i e fossilen Vor­ fah ren unserer Schachtelhalme bereits zur Karbonzeit (vor etwa 300 M i l l ionen Jahren) als baumartige Gewächse Teile der Stei nkohlewälder ware n . Wei l die Schachtelhalme - i n der Umgangssprache a u c h « Katzenschwänze „ g e ­ nannt - zu den farnartigen Pflanzen gehören, wird m a n echte Bl üten vergeblich suchen . Wer den n u n bekannten Ö rtlichkeiten auch im Frü hjahr die nötige Auf­ merksam keit schenkt , wird die anstelle von Bl üten sporentragenden Organe leicht zu sehen bekommen . Wem sind die 1 0-30 cm hohen Sprosse ohne Blattg rün , die jewei len i n einer zapfenartigen « Sporenähre » enden und aus ein iger Entfernung vielleicht an weisse Spargeln erinnern , n icht auch schon aufgefallen (Foto 8) ? Diese ferti len Stengel brechen bereits in den frü hen Apri ltagen hervor. Sie ent­ springen einem reich verzweigten , d rahtigen Rh izom von schwärzl icher Farbe , das bis ü ber 1 m tief wurzeln kann (Abb . 4) . Nach der Sporenreife sterben die fer­ tilen Sprosse ab ; aber aus demselben Rh izomflechtwerk wachsen gleichzeitig die grünen , oben beschriebenen Triebe nac h . Alle Schachtelhalme verdanken das ge­ sel lige Auftreten vor allem i h rem Rh izomsystem . U m den Aufbau der sporenbildenden Organe leichter zu erfassen , ist eine g ute Lupe von Vortei l . Ohne Lupe noch gut erkennbar sind die vielen qui rlständig an­ geordneten Sporenblätter (Sporangiophoren) , welche die 5 bis 10 cm lange Ä hre (Strobilus) bilden (Foto 9) . Auf der U nterseite der schildchenförm igen , gestielten Sporang iophoren kann man bei schwacher Verg rösseru ng bis etwa 1 2 Sporen­ behälter (Sporang ien) zäh len . Diese kreisförmig angeordneten Sporensäcke öff­ nen sich bei der Reife d u rch Längsriss an der I n nenseite (Abb . 5) . Die kugeligen , ca. 0 , 03-0 , 04 mm g rossen Sporen enthalten Chlorophyll und sind mit vier schma­ len , an den Enden zungenförmig erweiterten Bändern (Hapteren) ausgestattet (Abb . 5) . Letztere besitzen hygroskopische Eigenschaften . I m feuchten Zustand winden sich die Hapteren schraubig u m die Spore, beim Austrocknen strecken sie sich rasch (rollen ab ! ) . Im M i kroskop oder bei starker Lupenverg rösseru ng lassen sich die recht raschen Bewegungen d u rch vorsichtiges Anhauchen u n m ittelbar auslösen und beobachten . Ausgestreckte H apteren mögen dazu dienen , die Spo­ ren d u rch den Wind leichter auszu breiten und zusätzlich gruppenweise zu verket­ ten . Dad u rch erhöht sich die Wahrschei n l ichkeit, dass die aus den Sporen her­ vorgehenden weiblichen und män n l ichen Vorkeime (Prothall ien) nebenei nander zu stehen kommen . Vorkeime sind unschein bare, wen ige M i l l i meter grosse Pflänz48 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Abb. 4: Teilstück eines Rhizomgeflechts des Riesen-Schachtelhalms. K = Erneuerungsknospe, S = sprossbürtige Wurzeln, Tf = abgestorbene Stengelreste dies­ jähriger fertiler Triebe, Ts 1 = abgestorbener Rest eines sterilen Triebs vom Vorjahr, Ts 2 = junger steriler Trieb. Ts 2 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 49 < Abb. 5: Sporensäcke (Sporangien) und Sporen des Riesen-Schachtel­ halms. 1 = einzelnes Sporenblatt (Sporan­ giophor) mit geschlossenen (a) und geöffneten (b) Sporensäcken (Sporangien), 2 zwei Sporen im feuchten Zustand mit aufgerollten Hapteren (a) und im trockenen Zustand (b) mit ausgebreiteten Hapteren. = > Abb. 6: Sprossteilstück des Kleinen Immergrüns. Ta = aufrechte Blütentriebe, Th = horizontaler Kriechtrieb, S sprossbürtige Wurzeln. = chen , welche die eigentlichen Geschlechtsorgane ausbilden . M it Hi lfe von Wasser gelangen die begeisselten männlichen Zellen auf die O rgane der wei b l ichen Vor­ keime mit den Eizellen, und aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich sch l i ess­ l ich eine neue Schachtelhalmpflanze mit i h rem ganzen Rh izomverband . Das Kleine Immergrün (Vinca minor), ein kriechender Halbstrauch Als häufige Begleitpflanze in Buchen-M ischwäldern ist das I m mergrün im Tobel an zahl reichen O rten gleich herdenweise anzutreffen . Seine blauen Blüten (Foto 1 0) leuchten schon kurz nach Entfaltung des Busch-Windröschens ; d i e Bl ütezeit aber erstreckt sich noch über den Monat M a i . Wie der Name verrät , überdauern die am G ru nde verholzenden Stengel samt lederartigen Lau b blättern sogar den Winter. Ä hn lich vielen Rhizompflanzen verdankt das I mmergrü n seine Fortpflanzun g , Ver­ mehrung u n d Ausbreitung an einer einmal besiedelten Stelle vor allem nicht­ b l ühenden Sprossen , von denen es zweierlei gibt. Meterlange niederliegende Stengel , die sich an den Knoten einwurze l n , verhalten sich wie Ausläufer. Stellen­ weise verzweigen sich die waagrechten Kriechsprosse von den Knoten aus. Den g leichen Stel len entspringen oft mehrere aufrechte, bl ütentragende Stengel ne­ beneinander (Abb . 6) . 50 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Der Literatur entnehmen wir, dass das I m m erg rün im « W i l den Zustand „ bei uns trotz reicher Bl ütenfülle - n u r selten reife Früchte ansetzt ; andernorts - z . B . i n Graubünden - ist bisher no c h an keinem Ort Samen bildung beobachtet worden . U mso erstaunter ist der Betrachter wahrscheinlich , wenn er erfährt, mit welcher Konsequenz d u rch den Bau der Zwitterbl üte eine Sel bstbestäubung verhi ndert werden sol l . Den Blick ins I nnere der Kro n röhre erleichtert eine Lupe, und das Ver­ ständnis der Funktio nsweise soll mit H i lfe der Zeichnung in Abb. 7 nähergebracht werden . Am Grunde der Kronröhre sitzt der Fruchtknoten , von zwei Nektardrüsen flan kiert . D i e Griffelsp itze endet oben in einem Haarschopf. G l eich daru nter der scheiben­ förmig erweiterte Narbenkopf. Die 5 Staubblätter entspri ngen seitlich der Kron­ röhre. I h re Fäden - knieartig gegen den Narbenkopf gebogen - enden i n nach in­ nen g ewölbten Staubbeuteln , die zusammen über der Griffelspitze eine Kuppel bilden . Von oben gesehen ist die Kup pelfläche d u rch 5 Radialspalten (= Staub­ beutel-Zwischenräume !) u nterbrochen . Der reife Pollen fällt nun auf die " Platt­ form „ des Narbenkopfs und kann die eigene Narbe trotzdem nicht bestäuben ! Die eigentliche Narbenfläche verläuft nämlich als schleimiges seitl iches Band rings um den N arbenkopf. Für eine erfolgreiche Bestäubung ist somit fremde H i lfe erfor­ derlich . Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 51 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Foto 10 : Kleines Immergrün (Vinca minor); er­ kennbar sind Kriechtriebe und aufrechte Blü­ tentriebe. Siehe auch Abb. 6. Foto 11: Wald-Schlüsselblume (Primula elatior); links im Bild eine Pflanze mit kurzgriffligen, rechts eine mit langgriffligen Blüten. Siehe auch Abb. 8. Abb. 7: Längsschnitt durch die Blüte des Immergrüns. Fr Fruchtknoten, Gr Griffel, Kr Kronröhre, Na Narbe, Nd Nektardrüse, Sb Staubbeutel. = = = = = = Auf der Suche nach Nektar stossen Schmetterlinge und lang rüsselige Bienen i h ren Rüssel d u rch eine der 5 Spalten i n der Staubbeutel kuppel . Der Rüssel glei­ tet dabei auch am Bl ütenstaub auf dem N arben kopf vorbe i , jedoch ohne dass da­ von etwas haften bleibt, weil der Pollen ausgesprochen trocken ist . Bei Bewe­ g u n gen zum Nektar und von d i esem zurück nach oben bleibt Narbenschleim am Rüssel kleben . Am n u n klebrigen Rüssel bleibt Bl ütenstau b haften u n d kan n so auf eine andere Bl üte des I m mergrüns ü bertragen werden , wo er dann besonders leicht d u rch den etwas vorspri ngenden u nteren N arben rand abgestreift wird . Die Hohe oder Wald-Schlüssel blume (Primula elatior) m it zweierlei Bl üten Alle einheimischen Schlüssel blumen (Primeln) sind Frü h b l üher. U nsere Wald ­ Schlüssel blume kan n im Tiefland bereits i m März, i n der al pinen Stufe auf 2 5 0 0 m ü . M . auch noch i m August b l ü hend gefu nden werden . Fast alle Primel-Arten ha­ ben zweierlei Bl üten . Diese lassen sich an der Wald -Schl üssel blume schon mit blassem Auge u nterscheiden . Bei der einen der beiden Formen ist in der Öffnung zur Kro n röhre n u r ein Narben kopf sichtbar, bei der andern stehen am Rande der gleichen Stelle die Staubblätter. Erst ein Längsschn itt d u rch die Kronröhre vermit­ telt jedoch den wirkl ichen Sachverhalt im Aufbau der Zwitterbl üten (Abb . 8) . Die langgrifflige Form mit der N arbe am Eingang zur Kronröhre hat nebst dem re­ lativ langen G riffel eine N arbenoberfläche aus langen Pap i l len (nur mit M ikroskop oder starker Lupenvergrösseru ng sichtbar) . Die Stau bbeutel sitzen weiter u nten i n der Kronröhre ; i h re Pollenkörner s i n d relativ klei n . Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 53 Durch kurze G riffel mit Narben , die so tief i n der Kro n röhre stehen wie beim ersten Typ die Staubblätter, ist die kurzgrifflige Form ausgezeichnet. Die Narben sind mit kurzen Papi llen besetzt, u n d die Staubbeutel stehen am Eingang zur Kro n röhre ; i h re Pollenkörner sind grösser. Dass diese Verschiedengriffligkeit (Heterostylie, H eteromorph ie) eine weitere Mög­ lichkeit zur Verhinderung der Sel bstbestäubung und Förderu ng der Fremd bestäu ­ bung darstel lt, d ürfte auf der Hand lieg e n . Jede Pflanze besitzt entweder n u r lang ­ oder dann nur ku rzg rifflige Bl üten . Beide Pflanzen-Typen treten i n der Natur i n un­ gefähr gleicher Zah l auf. Schon Darwin hat die Heterostylie an mehreren Arten untersucht. Er unterschied i n der Bestäu bung von Primeln zwischen « legiti men » und « i l legitimen » Pollen­ ü bertrag u ngen . Legitim sind die Ü bertrag u ngen zwischen Bl üten verschiedener G riffellänge. Die ü b rigen Kombinationen und damit auch Selbstbestäubung (als extremste Form von I nzucht !) wären i l legit i m . Darwin konnte auch bereits aufzei­ gen , dass nach i l legitimen Bestäu bungen der Samenansatz schlechter und die Keimfäh igkeit oft vermindert waren . Als Bestäu ber, die es vor allem auf den Nektar am Grunde der Kronröhre abgese­ hen haben , wirken Bienen , H u m meln und Schmetterl inge. Sie d ü rften am Kopf n u r g rosse und am Rüssel , der al lein in d i e Kronröhre eindringt , n u r kleine Pollenkör­ ner tragen , wen n ausschl iesslich legitime Bestäubungen erfolgten . Auf den lang­ g riffligen Narben d ü rften dann ebenso nur grosse und auf den kurzgriffl igen nur kleine Pollenkörner gefunden werden . Entsprechende U ntersuchungen haben aber i m mer wieder ergeben , dass beide Pollensorten sowohl an Rüssel und Kopf der I nsekten wie auch auf beiden Narbentypen zu fi nden sind . Es hat sich zwar gezeigt, dass N arbengestaltu ng u n d Pollengrösse fü r eine erfolg­ reiche legiti me Bestäubung von grösserer Bedeutung sei n d ü rften als die u nter- Abb. 8: Blüte der Schlüsselblume im Längsschnitt. 1 kurzgrifflige Blüte, 2 langgrifflige Blüte, daneben dazugehörige Narbe (schwach vergrössert) und Pollenkörner (stark vergrössert), N Narbe, S Staubblätter, legitime Bestäubung in Rich­ tung der Pfeile! = = = 54 = Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch sch iedliche Lage der Stau bblätter u n d N arbe. Die N arbenoberfläche bietet den le­ gitimen Pol lenkörnern offen bar ein g ü n stigeres Keim bett fü r das Auswachsen des Pollenschlauchs. Zur Erklärung des stark verm inderten Samenansatzes nach ille­ g itimer Bestäubung genügt aber auch d iese Sach lage nicht. Neuere U ntersuchu ngen haben n u n gezeigt , dass Pollenkörner aus illeg iti men Be­ stäu bu ngen wesentlich langsamer ins G riffelgewebe hineinwachsen als Körner von legitimen Bestäu bungen . Haben beide Pollensorten die Narbenoberfläche er­ reicht, so wachsen die Schläuche der Pollen aus legiti men Bestäu bungen stets ra­ scher zu den Samenan lagen , die andern kommen deshalb n icht oder dann eben seltener zur Befruchtu ng ! Die äusserl ich n icht sichtbare Eigenschaft im Wachstumsvermögen des Pollen­ schlauchs scheint am wichtigsten zu sei n , während d ie ganze Anlage der Ver­ schiedengrifflig keit eher b loss « g ünstige Rah menbed i n g u ngen » bietet ! I m Zusam­ menwirken beider wird schl iesslich Selbstbefruchtu ng weitgehend verh indert und die Fremdbefruchtung gefördert . Die Kesselfallen des Aronstabs (Arum maculatum) Auf näh rstoffreichen , frischen und vorwiegend lehmhaltigen Böden der tieferen Tobelwälder treffen wir i m Frühjahr mit Sicherheit auf vereinzelte Exemplare des Aronstabs (Aronen kraut) . Zur Bl ütezeit - kaum vor M itte April - lohnt es sich , die exotisch an m utende Blume genauer u nter die Lupe zu nehmen . Denn wie bei an­ dern Vertretern der Arongewächse, die i h re grösste Mannigfaltig keit i n den feuch­ ten Tropen und Su btropen erreichen , stellt der gesamte Bl ütenstand eine sog . Kesse/falle dar. Das auffälligste Organ , das kapuzenförmige Hochblatt (Spatha) , umschl iesst i m u nteren Teil (als Kessel !) den sogenan nten Kol ben samt Bl ütenstand , der erst nach Öffn ung oder Aufschneiden des H ochblattes richtig sichtbar wird (Foto 1 2) . Anhand der Abb . 9 wird folgender Aufbau erkenn bar : zuu nterst d i e wei bl ichen Blüten , bis auf den Fruchtknoten red uziert. Darüber umgewandelte Bl üten als Borsten . Dan n folgen die vielen män n l ichen Blüten aus je 3-4 Staubblättern . Dar­ über der dichte Kranz aus Borsten , die wieder umgewandelten Blüten entspre­ chen . Den Abschluss des Kolbens bildet die auch von aussen sichtbare rötlich­ violette Keu le. Diese Keule ist ein Organ , das harnähn liche Geruchsstoffe freisetzt , d u rch die kleine Aasfl iegen u n d Schmetterl ingsmücken als Bestäu ber angelockt werden . Im Zeitpunkt der Bl ütenentfaltung wird i m Kolbengewebe d u rch i ntensivere Atmung mehr Wärme erzeugt, wod u rch die Geruchsstoffe aus der Keule leichter ver­ dam pfen . Die Temperatu r im Kessel der H ochblatthülle kann bis etwa 1 5 °C über d i e Aussentem peratur ansteigen ! Vom Geruch angelockte I nsekten g leiten an der völlig g l atten Oberfläche des Hochblattes, die zusätzlich mit einem Ö lfi l m ü berzo­ gen ist , ab. Sie fal len zwischen den Borsten nach u nten , wo sie nun i m Kessel ge­ fangen bleiben . Es sol len i n einem Blütenstand gleichzeitig schon ungefäh r 4000 I nsekten gezählt worden sein ! Borsten und Kesselwand oberhalb der weibl ichen Bl üten sind so glatt , dass ein Entrinnen d u rch H inausklettern u n möglich ist . Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 55 > Foto 1 2 : Aronstab (Arum maculatum); das ka­ puzenförmige Hochblatt (Spatha) umschliesst unten - als "Kessel" - den Blütenstand; aus der Ö ffnung ragt die auffällige Keule. Vgl. Abb. 9. >> Foto 1 3 : Blütenstände der Schuppenwurz (La­ thraea squamaria). >> K Foto 1 4 :Einzelblüten der Schuppenwurz. Oie Zwitterblüten befinden sich vorerst im weibli­ chen Zustand; der Griffel streckt die empfäng­ nisbereite Narbe unter der Oberlippe hervor; die geschlossenen Staubbeutel bleiben noch verborgen. H Abb. 9. Längsschnitt durch die Hochblatthülle des Aronstabs mit dem Blütenstand in der weiblichen Phase. H Hochblatt (Spatha), K Keule, B Borsten, Sb männliche Blüten (Staub­ beutel geschlossen), Fk weibliche Blüten (Fruchtknoten). Vgl. Foto 12. = = = = = Weil in diesem Zeitpunkt nur die wei blichen B lüten voll ausgereift sind, können die N arben von den gefangenen Zweifl üglern bestäu bt werden . Zuckerhaltige Aus­ scheidu ngen der N arben vermögen wohl den u nfreiwi l l igen Aufenthalt für die Be­ stäuber etwas angenehmer zu gestalten. Nach der Bestäubung wird die « H ei­ zung i m Kolben von oben n ach u nten eingestellt. Zuunterst i m Kessel bleibt es also am längsten angenehm warm ! J etzt öffnen sich die Staubbeutel , und schon bald sind die Besucher mit Bl ütenstaub bestreut. i nfolge Absinkens des Zellsaft­ druckes beginnen die Wände des Hoch b l attes zu wel ken und zu schrumpfen , wo­ durch sie für die In sekten begeh bar werden . Gleichzeitig erschlaffen d i e H i nder­ nisborste n , so dass der Weg n ach u ngefäh r einem vollen Tag wieder frei ist . Mit Pol len beladen wird der n ächste Aronstab angeflogen und damit die Fremdbe­ stäubung sichergestellt. „ 56 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch 57 Die Schuppenwurz (Lathraea squamaria) , ein blühender Schmarotzer An wenigen Stellen des Küsnachter Tobels - so z . B . in der Umgebung der Sch utzhütte und am Hangfuss unter den Drachenhöhlen - blüht im Apri l eine Pflanze , die leicht ü bersehen wird . In der halbverwitterten , g rau-brau nen Laub­ streu fallen die chlorophyllfreien Sprosse nicht sonderlich auf (Foto 1 3) . Die d icken blü henden Triebe (5-25 cm hoch) von gelblichweisser bis rötl icher Farbe fü hlen sich zerbrechlich an , n icht anders die schuppenförmigen saftigen Blätter. Die Blüten stehen i n einseitswendigen, trau bigen Bl ütenständen , vor dem Aufblühen nicken d , später aufgerichtet . Aus einem g lockenförmigen Kelch ragt die zwei l ippige Krone nur wen ig hervor ; sie hebt sich in der Farbe (rötl ich-hel lvio­ lett) schwach von den übrigen O rganteilen ab. Im ei nfächerigen Fruchtknoten rei ­ fen a n die 1 00 Samen heran . M it d iesem Merkmal n i mmt die Schuppenwu rz i n ­ nerhal b d e r Braunwurzgewächse (Scrophulariaceae) e i n e Sonderstellung e i n , d e n n die andern Gattungen der Familie haben zweifächerige Früchte. Bestäubung erfolgt vor allem d u rch H ummeln . Dabei streckt der G riffel die emp­ fän g nisbereite N arbe bereits vor der völ ligen Knospenentfaltu n g u nter der Ober­ l i ppe hervor (Foto 1 4) . Gleichzeitig bleiben die geschlossenen Stau bbeutel noch verborgen , weshalb bei Bl ütenbeg i n n nur Fremdbestäu bung oder Nachbarbe­ stäu bung möglich ist . Weil der ganzen Pflanze das Blattg rü n (Chlorophyll} feh lt, verbleibt i h r demzufolge, entweder eine parasitische (schmarotzende) Lebensweise zu fü h ren oder sich von abgestorbenen Pflanzen u n d Tieren - als sog . Saprophyt - zu ernähren . Die Schuppenwu rz ist ein Parasit und zwar ein Wurzelschmaro tzer, der auf den ver­ schiedensten H olzgewächsen zu leben vermag , bei u n s besonders auf Hasel und Erlen ; aber auch Buche, Hagebuche, U l m e , Li nde, Esche, sogar Efeu u n d Nadel ­ hölzer kommen als « W i rt » i n Frage. Wei l die Sch u ppenwu rz i n den Wurzeln des Wirts n u r das Wasserleitungsgewebe, n icht aber das Leitungsgewebe für organi­ sche Stoffe , anzuzapfen vermag , ist i h re Entwickl ung auf das Frühjahr besch ränkt . D e n n n u r z u r Zeit d e r Blattentfaltung werden i m Wasserleitungsgewebe auch or­ ganische Stoffe - wie z. B . Zucker - transportiert . Nach Ausreifung der Früchte (Ende M a i b i s Anfang J u n i) sterben a l l e oberi rdischen Pflanzenteile ab . Im Boden aber lebt ein d icht verzweigter Erdspross weiter. Die verdickte Sprossbasis ist wiederholt i n 0,5 bis 1 m Tiefe - ausnahmsweise noch tiefer - nachgewiesen worden . Ü ber die Bed i n g u ngen zur Keimung der Samen ist erst wen ig Sicheres bekannt . I n sgesamt vol lzieht sich der ganze Kei m u ngsablauf u nteri rd isch . Um keimen zu können , müssen die Samen d u rch Wu rzelausscheidu ngen des W i rts aktiviert wer­ den . Dabei darf der Abstand zur Wirts-Wurzel anscheinend n icht g rösser als 1 cm sei n . I st dieser erste Schritt in der Entwicklung geg l ü ckt , wird der Schmarotzer auch u nter g ünstigen U mständen - erst nach 5-1 5 Jahren zur B l üte gelangen , und selbst dann blüht er n icht jedes Jahr. Hans Hartmann 58 Weitere Informationen auf www.ortsgeschichte-kuesnacht.ch