überschrift 2 - Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung

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V
Gliederung
1.
Einleitung ........................................................................ 1
2.
Theoretische Fragestellungen in Bezug auf föderale
Aufgabenverteilungsmuster ................................................ 4
2.1 Schwierigkeiten des internationalen Vergleichs
föderativer Systeme .................................................... 4
2.2 Kritische Bestandsaufnahme ....................................... 7
3.
Kriterien der ökonomischen Theorie des Föderalismus als
Argumentationsrahmen ..................................................... 15
4.
Empirische Kompetenzverteilungsmuster und politische
Vollzugsmechanismen ....................................................... 24
4.1 Getrennte Kompetenzverteilung ................................... 26
4.2 Gleichzeitige Kompetenzverteilung ............................... 33
4.3 Geteilte Kompetenzverteilung ...................................... 38
4.4 Gemeinsame Kompetenzverteilung ............................... 41
4.5 Konkurrierende Kompetenzverteilung ........................... 43
5.
Beurteilung anhand der Kriterien der ökonomischen Theorie
des Föderalismus .............................................................. 49
6.
Zusammenfassung und Schlussbetrachtung ......................... 64
Literaturverzeichnis ................................................................. 70
VI
1
1. Einleitung
Der Vergleich föderativer Systeme ist in den letzten Jahren zunehmend
in den Blickpunkt verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen gerückt, was im wesentlichen auf drei unterschiedliche Entwicklungen
zurückgeführt werden kann. Zum einen ist in den letzten Jahren, ausgelöst durch weltweite Demokratisierungs- und Dezentralisierungstendenzen, ein enormer Zuwachs an föderativ strukturierten Staaten zu
verzeichnen, so dass Elazar sogar von einer „federalist revolution“ der
Neuzeit gesprochen hat.1 Zum anderen sind infolge der fortschreitenden europäischen Integration und im Zuge der Globalisierung die ökonomischen Herausforderungen für die Nationalstaaten deutlich gestiegen, was ein erhöhtes Interesse an dezentralisierten Lösungswegen
bewirkt hat.2 Schließlich kann drittens genannt werden, dass: „Die
Identität und Eigenständigkeit ethnischer Minoritäten und die Rolle lokaler Gebietskörperschaften, von Regionen und von Gliedstaaten innerhalb von Bundesstaaten ... zu einem politischen Thema erster Ordnung.“3 werden.
Ein gemeinsames Kennzeichen aller Föderationen kann in dem Bestreben gesehen werden, eine Balance der Staatsgliederung zwischen
Einheit und Vielfalt zu verwirklichen: „In all federations ... a common
feature has been the existence at one and the same time of powerful
motives to be united for certain purposes and of deep-routed motives
for autonomous regional governments for other purposes.“4 Die in der
1
Vgl. Elazar, D., Exploring Federalism, Tuscaloosa: University of Alabama
Press 1987, S. 6 ff.
2
Damit verbunden sind auch neue Kooperations- und Organisationsformen,
die nicht mehr ausschließlich auf den politisch oder kulturell gewachsenen
Gliedstaaten beruhen. Vgl. hierzu auch Frey, B. S./Eichenberger, R., The
New Democratic Federalism for Europe. Functional, Overlapping and Competing Jurisdictions, Cheltenham: Edward Elgar 1999.
3
Braun, D., Hat die vergleichende Föderalismusforschung eine Zukunft?, in:
Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch für Föderalismus 2002, Band 3, Baden-Baden: Nomos 2002,
S. 97-116, S. 97 ff.
4
Watts, R. L., Comparing Federal Systems, 2. Aufl., Montreal u.a.: McGillQueens University Press 1999, S. 35.
2
Verfassung verankerte Aufteilung der Macht zwischen verschiedenen
Jurisdiktionen in einem politischen System kann daher als ein definitorisches Kennzeichen des föderativen Staates angesehen werden. Für
die konkrete Art und Weise dieser Machtverteilung sind vielfältige Faktoren ausschlaggebend gewesen, so z.B. historische, linguistische,
ethnische, geographische und wirtschaftliche Aspekte.5 Über diesen
Balanceakt zwischen Einheitlichkeit und Vielfalt hinaus tritt bei der
Gestaltung des „Designs“ einer Föderation auch die Notwendigkeit,
einerseits die Unabhängigkeit und andererseits die Interdependenz,
z.T. sogar Abhängigkeit zwischen über- und untergeordneten Jurisdiktionen zu bestimmen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wie die
Kompetenzen dieser Kollektive untereinander abzugrenzen und wie die
Beziehungen der Gebietskörperschaften zu gestalten sind.6
Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, eine Frage aufzuwerfen, die von erheblichen ökonomischen Interesse ist: Können verschiedene Arten der Aufgabenverteilung in föderativ verfassten Staaten
überhaupt miteinander vergleichen werden? Wie sind verschiedene
Muster der Aufgabenverteilung und –erfüllung einer sozio-ökonomischen Analyse und Bewertung, d.h. in Bezug auf die Ziele der Effizienz, der demokratischen Partizipation oder der politischen Kontrolle
zugänglich? Und wenn ja, stellen die gewählten Modelle der Aufgabenverteilung jeweils auch eine ökonomisch effiziente Lösung dar?
Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, einen Argumentationsrahmen für die positive Beantwortung der aufgeworfenen Frage
zu skizzieren. Den grundsätzlichen Schwierigkeiten eines solchen Vergleichs widmet sich daher das nachfolgende Kapitel (2.1). Es wird gezeigt, dass die bislang in der Literatur vorgestellten Wege zur Analyse
der Aufgabenverteilung im föderativen Staat in unterschiedlichem
Ausmaß unvollständig bleiben (2.2). Anschließend werden verschiedene Aspekte der ökonomischen Theorie des Föderalismus diskutiert,
um Beurteilungskriterien für die föderative Aufgabenverteilung zu gewinnen, wobei die ökonomische Theorie jedoch weniger als Gestaltungsprinzip eines föderativen Staatsaufbaus verwendet wird, sondern
vielmehr als Analyseinstrument bestehender Institutionen zu verstehen
ist (3.). Im Mittelpunkt der weiteren Überlegungen stehen dann alter5
Vgl. Deuerlein, E., Föderalismus. Die historischen und philosophischen
Grundlagen des föderativen Prinzips, München: List 1972.
6
Vgl. Kirsch, G., Fiscal Federalism, in: Wirtschaftswissenschaftliches Studium
(WiSt), Jg. (1984), S. 118-124, S. 118.
3
native Formen der Kompetenzverteilung, die in der Finanzwissenschaft
üblicherweise unter dem Stichwort des „originären passiven Finanzausgleichs“7 behandelt werden. Um die empirisch vorfindbare Vielfalt
an föderativen Kompetenzverteilungsmustern zunächst einmal darzustellen und damit die gemeinsame Basis für den Vergleich herzustellen, wird zunächst das Spektrum an möglichen Formen der Aufgabenverteilung weiter ausdifferenziert (4.). Hierzu wird eine funktionale Differenzierung der Kompetenzen vorgeschlagen, die fünf verschiedene
Formen der Kompetenzverteilung zwischen den föderativen Ebenen
unterscheidet. Dabei wird sich zeigen, dass unabhängig von der jeweiligen Grundausrichtung des Systems (Trenn- bzw. Interdependenzsystem), sich alle Muster der Kompetenzverteilung – in unterschiedlichen
Variationen – in allen Bundesstaaten wieder finden lassen. Im Einzelnen wird zwischen getrennten (4.1), geteilten (4.2), gleichzeitigen
(4.3), gemeinsamen (4.4) und konkurrierenden (4.5) Kompetenzverteilungen unterschieden werden. Schließlich sollen die zuvor dargestellten fünf verschiedenen Muster der Kompetenzverteilung mit Hilfe
der aus der ökonomischen Theorie des Föderalismus abgeleiteten
Prinzipien verbunden werden, um weitere Hypothesen für den Aufgabenvergleich zu gewinnen (5.).
Eine einschränkende Bemerkung sei den nachfolgenden Fallbeispielen aus der föderalstaatlichen Wirklichkeit jedoch noch vorangestellt. Es wird damit weder der Anspruch der absoluten Vollständigkeit
erhoben, was angesichts der weltweiten Fülle föderativer oder quasiföderativer Systeme wohl kaum überraschen kann, noch werden die
einzelnen Möglichkeiten der Kompetenzverteilung in all ihren juristischen Feinheiten dargestellt werden. Vielmehr sollen sie zunächst dazu dienen, die empirische Formenvielfalt föderativer Kompetenzverteilungsmuster zu illustrieren und um so die Basis für ein Analyseraster
zum Vergleich der Aufgabenverteilung im föderativen Staat zu legen.
7
Vgl. Hansmeyer, K.-H./Kops, M., Interdependenzen im passiven Finanzausgleich, in: Cansier, D./Kath, D. (Hrsg.), Öffentliche Finanzen, Kredit und Kapital, Berlin: Duncker und Humblot 1985, S. 3-32.
4
2. Theoretische Fragestellungen in Bezug auf föderale
Aufgabenverteilungsmuster
Die Vielfalt empirischer Erscheinungsformen legt zwar einen Vergleich
unterschiedlicher Lösungsmöglichkeiten für das Finanzausgleichsproblem nahe, allerdings sind mit einem komparativen Institutionenvergleich föderativer Finanzverfassungen zahlreiche Probleme verbunden, die nicht ohne weiteres gelöst werden können, da die Voraussetzungen und Möglichkeiten des Vergleichs nicht ohne weiteres gegeben
sind. Bereits 1977 urteilte Burns in Bezug auf solche Untersuchungen, dass sie „...full of unantizipated hazards“ seien. Diese Schwierigkeiten ergeben sich in erster Linie aus der Komplexität des Erkenntnisgegenstands, der neben ökonomischen und politischen Zielsetzungen
vor allem von zahlreichen spezifischen Gegebenheiten eines jeden
Landes beeinflusst wird, die bei einer umfassenden Beurteilung der
Funktionsweise und –fähigkeit der Finanzverfassung jedoch berücksichtigt werden müssen. Die genannten Einflussfaktoren sind in ihrer
Bedeutung für die Ausgestaltung und Wirkungsweise der Finanzverfassung jedoch nur außerordentlich schwer zu erfassen, geschweige denn
zu quantifizieren.
2.1 Schwierigkeiten des internationalen Vergleichs
föderativer Systeme
In internationaler Perspektive weisen die bestehenden föderalen Finanzverfassungen eine sehr große Heterogenität auf, so dass ihre Vergleichbarkeit nicht prima facie gegeben ist.8 Dieser Sachverhalt kann
mit anderen Worten auch wie folgt ausgedrückt werden: „In der Tat
hat und braucht jedes Föderalismusmodell seine Finanzverfassung.“9
Verdeutlicht wird dieses Problem, wenn man sich die bundesstaatliche Wirklichkeit genauer betrachtet: Vor dem Hintergrund der unter8
Vgl. bspw. Renzsch, W., Föderale Finanzverfassungen: Ein Vergleich Australiens, Deutschlands, Kanadas, der Schweiz und der USA aus institutioneller
Perspektive, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen
(Hrsg.), Jahrbuch des Föderalismus 2000, Band 1, Baden-Baden: Nomos
2000, S. 42-54.
9
Schuppert, G. F., Finanzbeziehungen im Föderalismus als Problem des Regierens, in: Hartwich, H.-H./Wewer, G. (Hrsg.), Regieren in der Bundesrepublik V, Opladen: Leske und Budrich 1993, S. 263-278, S. 265.
5
schiedlichen Größe und Geographie der Bundesstaaten, verschiedener
– insbesondere auch ethnischer – Bevölkerungsstrukturen sowie einer
zumeist heterogenen Struktur der wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen und Entwicklungen der einzelnen Gliedstaaten, greift eine undifferenzierte, rein modellhafte Lösung der umfassenden Finanzausgleichsproblematik zu kurz. Selbst wenn der Vergleich föderativer Systeme
auf die entwickelten westlichen Industriegesellschaften mit demokratisch verfassten politischen Systemen eingeschränkt wird, variieren die
jeweiligen institutionellen Rahmenbedingungen beträchtlich voneinander.10 Der institutionelle Kontext kann als eine Restriktion für das Handeln der Akteure aufgefasst werden und hat somit einen entscheidenden Einfluss sowohl auf den Ablauf als auch die materiellen Entscheidungen des politischen Prozesses.11 So offenbart sich bei einer Betrachtung der realen föderativen Systeme, dass:
–
eine Vielzahl von unterschiedlichen institutionellen Lösungswegen
existieren, mit denen die staatlichen Zielvorgaben erfüllt werden;
–
„...gleichartige Institutionen in unterschiedlichen gesellschaftlichen
Kontexten zu völlig verschiedenen Ergebnissen politischer Entwicklung führen können“12, 13;
10
Vgl. zum folgenden Scharpf, F. W., Interaktionsformen, Opladen: Leske und
Budrich 2000, S. 52.
11
Es macht daher für die generelle Funktionsweise – und insbesondere für die
Erfüllung öffentlicher Aufgaben – einen Unterschied, ob 1. der Staat föderativ oder unitarisch aufgebaut ist; 2. ein parlamentarisches oder präsidentielles Regierungssystem vorliegt; 3. ein Zwei- oder Mehrparteiensystem existiert; 4. die gesellschaftlichen Interaktionsmuster eher kompetitiv oder kooperativ sind; 5. die Interessenvermittlung einen pluralistischen oder korporatistischen Charakter aufweist. Vgl. ebenda, S. 52.
12
Schultze, R.-O., Politikverflechtung und konföderaler Föderalismus: Entwicklungslinien und Strukturprobleme im bundesrepublikanischen und kanadischen Föderalismus, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Kanada-Studien,
2. Jg. (1982), Heft 2, S. 113-144, wiederabgedruckt in: ders. (Hrsg.), Das
politische System Kanadas im Strukturvergleich, Bochum: Studienverlag
Brockmeyer 1985, S. 57-88, S. 84.
13
Als Beispiel hierfür sei auf die Möglichkeit einer Verfassungsänderung verwiesen. Sowohl in der Schweiz als auch in Australien bestehen nahezu identische Bedingungen, um eine Veränderung der Verfassung zu bewirken.
Hierzu ist sowohl eine qualifizierte Mehrheit im Parlament als auch eine
Mehrheit im Referendumsprozess sowohl auf zentral- als auch gliedstaatlicher Ebene erforderlich. In der Schweiz wurde seit 1848 hiervon 110 Mal
6
–
die an den Staat gestellten Aufgaben auch einem ständigen Wandel14 unterliegen, so dass die in der Finanzverfassung festgelegten
Kompetenzverteilungsmuster und bestehenden Finanz- und Verwaltungsstrukturen ebenfalls nicht als statisch und damit dauerhaft adäquat festgelegt werden können.
„Mit jeder Veränderung der Staatsaufgaben, sei es, dass der Staat
neue Aufgaben übernimmt oder dass Aufgaben privatisiert werden, mit
vielen Umorientierungen politischer Programmatiken und mit Modifikationen der Staatsfinanzen, die durch wirtschaftliche Entwicklungen
oder politische Entscheidungen bedingt sind, verschieben sich Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten oder Ressourcenausstattungen
der Gebietskörperschaften.“15 Für die hier behandelte Frage der Aufgabenverteilung ist es daher auch von großer Bedeutung, welche Möglichkeiten für die einzelnen staatlichen Ebenen im Rahmen der gegebenen Ausstattung mit Kompetenzen bestehen, auf veränderte gesellschaftliche Bedingungen zu reagieren: „The subsequent developement
of central government-state relations has thus been a function of the
interaction of original constitutional arrangements with economic and
political change.”16 Hierzu bieten die verschiedenen Muster der Kompetenzverteilung auch jeweils andersartige Möglichkeiten der Kompetenzverschiebung.
erfolgreich Gebrauch gemacht, während in Australien seit 1901 nur 42 Versuche unternommen wurden, von denen lediglich 8 die Zustimmung der Öffentlichkeit fanden. Vgl. Watts, R. L., The Relevance of the German Federal
System for Other Constitutions, Vortragsmanuskript, gehalten am
17.03.1994 in der Niedersächsischen Landesvertretung, Hannover.
14
Am deutlichsten kann diese Entwicklung im Übergang vom Nachtwächterstaat zum Wohlfahrtsstaat festgestellt werden. Vgl. hierzu bereits Wagner,
A., Grundlegung der politischen Ökonomie, Band 1, Leipzig: Winter
1892/1893, S. 880. Siehe ferner auch Grimm, D., Der Wandel der
Staatsaufgaben und die Zukunft der Verfassung, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden: Nomos 1994, S. 613-646.
15
Benz, A., Themen, Probleme und Perspektiven der vergleichenden Föderalismusforschung, in: ders./Lehmbruch, G. (Hrsg.), Föderalismus. Analysen in
entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Perspektive, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft 32/2001,Wiesbaden: Westdeutscher Verlag
2002, S. 9-50, S. 11 (meine Hervorhebung, N.O.).
16
McKay, D., Designing Europe. Comparative Lessons from the Federal Experience, Oxford: Oxford University Press 2003, S. 130.
7
Vor diesem Hintergrund leidet z.B. die ökonomische Diskussion
um die Aufgabenverteilung im föderativen Staat nicht zuletzt darunter,
dass ein zu einfaches Bild des Bundesstaates verwendet wird. Die Realität eines Bundesstaat stellt nämlich ein komplexes Mehrebenensystem dar, „...dass die Koordination zwischen den Ebenen und zwischen
den dezentralen Gebietskörperschaften teils durch hierarchische Steuerung mittels Regulierung oder finanzieller Anreize, teils durch Verhandlungen und teils durch Wettbewerb erfolgt, häufig aber auch
durch Kombinationen dieser Mechanismen.“17 Für die Analyse der
Funktionsweise föderativer Systeme erscheint daher die überwiegende
Orientierung an formalen Institutionen oder modelltheoretischen Ableitungen als nicht ausreichend, um zu einer empirische Untersuchung
der Kompetenzverteilung im Bundesstaat zu gelangen.
2.2 Kritische Bestandsaufnahme
Die Zweifel an den bisher angewendeten Analysekonzepten weisen
viele Probleme für einen analytischen Vergleich föderativer Systeme
auf. Entweder sind sie rein deskriptiv angelegt und verzichten überwiegend auf eine theoretische Erklärung, oder sie sind theoretisch zu
abstrakt gehalten, um die Komplexität realer Systeme hinreichend
genau erfassen und erklären zu können. Anhand von vier typischen
Herangehensweisen soll dies kurz verdeutlicht werden.
•
Darstellungen der Aufgabenzuordnung
Es ist eine zentrale Aufgabe der bundesstaatlichen Verfassung, die Zuständigkeiten zur Wahrnehmung der Staatsaufgaben unter den einzelnen staatlichen Ebenen aufzuteilen, und zwar sowohl in horizontaler
als auch in vertikaler Hinsicht.18 Ohne Darstellung und Analyse der
verfassungsmäßigen Aufteilung der Kompetenzen können die Gestaltungsmöglichkeiten bei der Ausführung von Staatsaufgaben zwangsläufig nicht hinreichend erklärt und miteinander verglichen werden.
17
Benz, A., Lehren aus entwicklungsgeschichtlicher und vergleichenden Analysen – Thesen zur aktuellen Föderalismusdiskussion, in: ders./Lehmbruch,
G. (Hrsg.), Föderalismus. Analysen in entwicklungsgeschichtlicher und vergleichender Perspektive, Politische Vierteljahresschrift, Sonderheft
32/2001,Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, S. 391-403, S. 401.
18
Vgl. Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in
rechtsvergleichender Sicht, Springer: Berlin u.a. 1977, S. 128.
8
Sie stellen nachgerade den empirisch beobachtbaren „Baukasten“
möglicher Gestaltungen dar, der allerdings aus der Natur der Sache
heraus nicht vollständig sein muss. Jedoch ist es für einen Vergleich
relativ unergiebig, wenn nur die jeweiligen Kompetenzkataloge und
Aufgabenbereiche der nationalen Verfassung miteinander verglichen
würden, weil sich dadurch allein noch keine relevanten Aussagen auf
Art und Umfang der Vernetzung föderaler Aufgabenerfüllung gewinnen
lassen.
•
Trenn- und Interdependenzsystem
In einem Bundesstaat kann bei der Zuordnung der Entscheidungs- und
Handlungsbefugnisse zwischen zwei grundsätzlichen Verteilungsmustern differenziert werden, die jeweils auch ein unterschiedliches Ausmaß an Zusammenarbeit bei der Aufgabenerledigung zwischen den
föderativen Ebenen implizieren: das Trennsystem (interstaatlicher Föderalismus) und das Interdependenz- oder Verbundsystem (intrastaatlicher Föderalismus). Beide Systeme der bundesstaatlichen Arbeitsteilung sind mit dem föderalistischen Prinzip vereinbar und lassen sich in
unterschiedlichster Ausprägung und Kombination in den Bundesstaaten wiederfinden.19 Folgt die bundesstaatliche Ordnung dem Trennsystem (auch sog. dualer Föderalismus genannt), so folgt die Aufgabenzuordnung einem zunächst einfachen Grundmuster: die staatlichen
Aufgaben sind hauptsächlich nach einzelnen Politikfeldern verteilt und
jede staatliche Ebene ist in ihrem Kompetenzbereich sowohl für die
Gesetzgebung als auch deren Ausführung zuständig. Bei diesem System ist keine Staatsebene unmittelbar auf die Zusammenarbeit mit einer anderen Ebene angewiesen, da i.d.R. die Verantwortung für die
Gesetzgebung und ihrer verwaltungsmäßigen Umsetzung zusammenfallen.20 Zudem erfolgt eine Beteiligung der Gliedstaaten an der Bundespolitik – wenn überhaupt – durch eine Volkswahl der zweiten
Kammern nach dem Senatsprinzip.21
19
Vgl. Frenkel, M., Föderalismus und Bundesstaat, Band II: Bundesstaat,
Bern u.a.: Lang 1986, S. 125.
20
Vgl. Laufer, H./Münch, U., Das föderative System der Bundesrepublik
Deutschland, 7. Aufl., Bonn: Bundeszentrale für die politische Bildung
1997, S. 21.
21
Vgl. Schultze, R.-O., Föderalismus, in: Nohlen, D. (Hrsg.), Kleines Lexikon
der Politik, München: Beck 2001, S. 127-134, S. 130.
9
Demgegenüber erfolgt beim Interdependenzsystem die Zuweisung
der Kompetenzen auf Zentral- und Gliedstaaten nach Funktionen, wie
z.B. Gesetzgebung und Vollzug.22 Aus dieser funktionalen Aufteilung
der Staatsgewalt resultieren sich überschneidende oder gemeinsame
Zuständigkeiten für einen Aufgabenbereich, der eine höhere Notwendigkeit zur bundesstaatlichen Kooperation aufweist. Die Zusammensetzung der zweiten Kammern erfolgt hier nach dem Bundesratsprinzip, was eine intrastaatliche Beteiligung der Gliedstaaten an der Bundespolitik ermöglicht. Die Unterscheidung zwischen getrennten und
interdependenten föderativen Systemen wird der empirischen Vielfalt
föderativer Kompetenzverteilungsmuster jedoch keineswegs gerecht.
So hat sich z.B. in den USA über das sog. „interdependent law“ eine
Aufgabenverteilung ergeben, die nicht mit der ansonsten streng getrennten Kompetenzverteilung in Einklang steht.23
•
Gestaltungsprinzipien der ökonomischen Föderalismustheorie
Die ökonomische Theorie des Fiskalföderalismus versucht Bedingungen zu benennen, unter denen eine Dezentralisierung von Staatsleistungen Wohlfahrtsgewinne gegenüber einer zentralistischen Lösung
generiert. Im Gegensatz zur juristischen Sichtweise, die den föderativen Charakter eines politischen Systems an die Existenz verschiedener
Staatsebenen mit eigener „Staatsqualität“ verknüpft24, wird in der ökonomischen Theorie der föderative Gehalt einer staatlichen Ordnung
am Umfang der vorhandenen dezentralen politischen Entscheidungskompetenzen gemessen. Sie liefert damit einen theoretischen Bezugsrahmen für die Analyse und den Vergleich von Finanzausgleichssystemen, der es ermöglicht, alternative Zuordnungen von Aufgaben,
Ausgaben und Einnahmen innerhalb eines föderativen Staates zu be-
22
Vgl. Laufer, H./Münch, U., Das föderative System der Bundesrepublik
Deutschland, a.a.O., S. 20.
23
Hierdurch hat sich eine in der ursprünglichen Verfassung nicht vorgesehene
konkurrierende und Rahmengesetzgebung des Bundes entwickelt. Vgl. Ehringhaus, H., Der kooperative Föderalismus in den Vereinigten Staaten von
Amerika, Frankfurt: Athenäum 1971, S. 87, sowie die unten stehenden
Ausführungen unter 4.1.
24
Vgl. für die juristische Betrachtungsweise Kimminich, O., Der Bundesstaat,
in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1,
Heidelberg 1987, S. 1113-1150, oder Hesse, K., Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg: Müller
1995.
10
werten.25 Die hierbei verwendeten Gestaltungsprinzipien liefern in erster Linie Aussagen für eine unter Effizienzaspekten sinnvolle föderative
Kompetenzverteilung. Verschiedene föderative Systeme können demnach an der Höhe der Zentralisierung bzw. Dezentralisierung in Hinblick auf die Aufgabenerfüllung und Mittelausstattung miteinander
verglichen werden.
Werden die Kriterien der Aufgabenzuordnung (Präferenzhomogenität, externe Effekte, Durchschnittskostenminimum) der traditionellen
ökonomischen Föderalismustheorie zusammengefasst, so zeigt sich
jedoch bei einer näheren Betrachtung, dass eine konsistente Verteilung der Aufgabenkompetenzen nicht möglich ist.26 Im wesentlichen
lässt sich hierfür ein theoretisches und ein empirisches Problem verantwortlich machen: In theoretischer Sicht besteht die Schwierigkeit,
dass unter Berücksichtigung der drei genannten Kriterien eine Aufgabe
durchaus verschiedenen Gebietskörperschaften zugewiesen werden
könnte, bspw. weil die Orientierung an den Präferenzen eher für eine
lokale Zuständigkeit, das Kriterium der räumlichen Externalitäten jedoch für eine Länderkompetenz sprechen könnte. In diesem Fall wäre
also eine Gewichtung der Zielkategorien erforderlich und damit eine
politische Entscheidung, die jedoch über den wissenschaftlich exakt
begründbaren Rahmen hinausreicht. Mit Blick auf die empirische Erfassbarkeit stellt sich vor allem das Problem, dass sich die relevanten
ökonomischen Kriterien wie etwa Homogenität/Heterogenität der Präferenzen, die Wirkung externer Effekte der öffentlichen Leistungserstellung, Wanderungs- und Abwahlkosten von Unternehmen und privaten
Haushalten nur schwer quantifizieren lassen.
Selbst wenn die ökonomischen Kriterien streng zu Grunde gelegt
würden, ergeben sich völlig unterschiedliche Aufgabenverteilungsmuster, da sich sowohl die Kosten der Größendegression als auch die Wirkungsintensität der Spill-over Effekte sinnvoll nur in Abhängigkeit der
jeweils konkreten nationalen Bedingungen angeben lassen. Jede
Volkswirtschaft verfügt über eine andere Ausstattung mit Produktionsfaktoren und weist dementsprechend auch eine andere Produktionsfunktion für öffentliche Güter auf, so dass davon ausgegangen werden
kann, dass sich jeweils unterschiedliche Skaleneffekte in der Produkti25
Vgl. hierzu die einzelnen Beiträge im Sammelband von Kirsch, G. (Hrsg.),
Föderalismus, Stuttgart/New York: Fischer 1977.
26
Vgl. Stahl, D., Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, Marburg:
Metropolis 2000, S. 75 f.
11
on öffentlicher Güter ergeben. Ähnlich kann für die Kosten- und Nutzenstreukreise argumentiert werden, die in logischer Abhängigkeit von
der geographischen Situation gesehen werden müssen. Liegt z.B. ein
regionales Oberzentrum sehr weit von seinen Umlandgemeinden entfernt, wie dies in Australien teilweise der Fall sein dürfte, so dürften
kaum internalisierungsbedürftige Spill-over Effekte zwischen Zentrum
und Peripherie vorliegen. Zusammen genommen ergibt sich also selbst
aus den normativ-ökonomischen Kriterien keine eindeutige theoretische Lösung für eine optimale Aufgabenverteilung im föderativen
Staat.
Die rein unter ökonomischen Gesichtspunkten vorgeschlagene Verteilung der Aufgaben im föderativen Staat auf unterschiedliche Gebietskörperschaften liefert somit zwar gewichtige Argumente für die relative Vorteilhaftigkeit einer entweder stärker dezentralen oder eher
zentralen Aufgabenverteilung, bleibt jedoch gewissermaßen eine
„Reisbrettlösung“, da zumeist von tatsächlich bestehenden institutionellen Faktoren abstrahiert wird. Für den Vergleich der Aufgabenverteilung folgt bereits aus den theoretisch denkbaren Kombinationsmöglichkeiten der Kompetenzzuordnung, d.h. zunächst noch unter Ausklammerung der anderen Elemente des politischen Systems und des
finanzpolitischen Willenbildungsprozesses, dass eine einfache Beurteilung sowohl des Dezentralitäts- bzw. Zentralitätsgrades sowie letztlich
auch der ökonomischen Effizienz der jeweiligen Aufgabenverteilung
nicht möglich ist. Vielmehr weisen die in der Verfassung verankerten
Kompetenzmuster in unterschiedlichem Ausmaß Vor- und Nachteile
auf; die jeweils gewählte föderative Lösung führt also zu differenzierten „Kostenstrukturen“.
Dennoch können die angeführten Argumente als Grundgerüst zur
Beurteilung bestehender Systeme des Finanzausgleichs dienen (siehe
unten Kapitel 3), d.h. die ökonomische Theorie des Föderalismus wird
hier weniger als Gestaltungsprinzip eines föderativen Systems verwendet, sondern vielmehr als Analysewerkzeug für die empirischen Föderalismussysteme.
•
Rückschluss über die Ausgabenverteilung
Die Schwierigkeiten der ökonomischen Perspektive in Bezug auf die
hier untersuchte Fragestellung können besonders gut verdeutlicht
werden, wenn die üblicherweise vorgenommenen Vergleiche der föde-
12
rativen Ausgabenstrukturen als Beispiel herangezogen werden.27 Zwar
folgen die Ausgaben der föderativen Ebenen für öffentliche Leistungen
logisch aus den ihnen jeweils zugewiesenen Aufgaben und insofern
liefern Kennziffern über föderative Ausgabequoten28 auch einen möglichen Ansatzpunkt der Analyse der Aufgabenverteilung, eine hinreichende Vergleichsmöglichkeit wird damit jedoch noch nicht gewährleistet. Problematisch an einem Vergleich der öffentlichen Ausgaben
– und insbesondere auch an einem Rückschluss auf die optimale Aufgabenstruktur – erscheinen vor allem die nachfolgenden Punkte:
1.
Die Aufgabenerfüllung einer Gebietskörperschaft muss sich nicht
zwingend in deren Ausgaben niederschlagen.29 So kann die Wahrnehmung einer Aufgabe auch über rechtliche Regelungen erfolgen, die sich dann allenfalls in den allgemeinen Verwaltungskosten niederschlagen, jedoch nicht mehr als Ausgaben in den entsprechenden Aufgabenbereichen erscheinen.
2.
Je nach Art und Umfang der Kompetenzverteilung kann die für
eine bestimmte Aufgabe verantwortliche Gebietskörperschaft die
Erfüllung an eine andere Ebene – der häufigste Fall ist die Delegation an die untergeordneten lokalen Gebietskörperschaften –
übertragen. Je größer der legitimierte Einflussbereich der delegierenden Ebene ist, desto besser kann die Art und Weise der
Aufgabenerfüllung „fremdbestimmt“ werden; im Extremfall kann
dies sogar dazu führen, dass die gesamten Ausgaben der öffentlichen Aufgabe ohne finanzielle Kompensation an die erfüllende Gebietskörperschaftsebene exportiert werden.
3.
Die für eine bestimmte Aufgabe zuständige Gebietskörperschaft
steht oftmals vor einer „make or buy“-Entscheidung, d.h. sie
kann die erforderlichen Leistungen entweder selbst produzieren
oder diese von Dritten bzw. am Markt kaufen. Mit Blick auf die
Struktur der öffentlichen Ausgaben variieren dann die Ausgaben
27
Vgl. bspw. Joumard, I./Kongsrud, P. M., Fiscal Relations Across Government
Levels, OECD Economic Department Working Papers Nr. 375, Paris.
28
Zumeist werden hier recht grobe Indikatoren, wie etwa der Anteil einer Gebietskörperschaft an den staatlichen Gesamtausgaben, verwendet.
29
Vgl. für eine grundsätzliche Darstellung dieses Sachverhalts Zimmermann,
H., Die Ausgabenintensität der öffentlichen Aufgabenerfüllung, in: Finanzarchiv, N.F. Bd. 32 (1973), S. 1-20.
13
für Personal oder Sachausgaben und Transfers an den privaten
Sektor dementsprechend.
4.
Schließlich kann es ebenfalls von Bedeutung sein, in welchem
Ausmaß die Gebietskörperschaften bei der Aufgabenerfüllung
durch Verbände, Non-profit Organisationen oder private Anbieter
entlastet werden, was sich wiederum in einer Veränderung der
Ausgabenstruktur niederschlägt.30
Werden die vier oben aufgeführten Problemfelder zusammengenommen, so zeigt sich recht deutlich, dass die bislang durchgeführten
Vergleiche zwischen unterschiedlichen föderativen Systemen zwar
zumeist auf Probleme der Aufgabenverteilung eingehen, jedoch keine
systematische Analyse der unterschiedlichen Möglichkeiten der Aufgabenverteilung und Aufgabendurchführung vornehmen. Vor diesem
Hintergrund ist es notwendig, ein Analysekonzept zu entwickeln, mittels dessen ein auch quantitativer Vergleich verschiedener föderaler
Systeme und ihrer jeweiligen Ausprägungen vorgenommen werden
kann. Ein solches Analyseraster müsste einerseits hinreichend allgemein gehalten sein, um bei einer vergleichenden Darstellung in allen
betrachteten Staaten auf genügend Substanz zu treffen, andererseits
jedoch detailliert genug, um noch sinnvolle Unterscheidungen zu ermöglichen. Letztlich existieren in einem föderativen Staat zahlreiche
gesetzliche, vertragliche, zuweilen auch eher informale Regelungen
zwischen dem Bund und seinen Gliedstaaten, die in ganz unterschiedlichem Maße sowohl die Aufgabenkompetenz der zuständigen Staatsebene als auch ihre finanzielle Situation beeinflussen können. Inwieweit es sich hierbei aber um ökonomisch sinnvolle Arrangements
der Aufgabenverteilung handelt, kann jedoch anhand der bisherigen
Theorieansätze nicht befriedigend beantwortet werden. Prinzipiell
kann eine ökonomische Untersuchung der Aufgabenverteilung im
föderativen Staat von zwei Seiten angegangen werden:
1.
Es kann von den bestehenden institutionellen Strukturen abstrahiert werden und eine – unter normativen ökonomischen Gesichtspunkten – „optimale“ Verteilung der Kompetenzen auf die
Gebietskörperschaften durchgeführt werden, d.h. die Regierungen
30
Vgl. hierzu mit Blick auf Bundesrepublik Deutschland Kirberger, W., Staatsentlastung durch private Verbände: die finanzpolitische Bedeutung der Mitwirkung privater Verbände bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, BadenBaden: Nomos 1978.
14
und Institutionen werden nur auf der Grundlage ökonomischer Effizienzkriterien aufgebaut und mit entsprechenden Kompetenzen
ausgestattet. Hierbei wäre die Ausgangslage, dass weder Bund,
Gliedstaaten, Kommunen noch andere Verwaltungsbehörden existieren. In Bezug auf die Verteilung der Aufgabenkompetenz führt
dies dazu, dass „...eine ökonomisch-institutionelle Struktur mit
einer Vielzahl von GK (Gebietskörperschaften, N.O.) mit sehr spezifischen Aufgabenbündeln.“31 entsteht. Gegenüber dem „klassischen Fall“ von zwei oder drei staatlichen Ebenen wären die Bürger dann Mitglied einer Vielzahl von funktionell ausgerichteten
staatlichen Gebietskörperschaften, die alle über eine unterschiedliche Größe und Kompetenzausstattung verfügen würden. Im Extremfall sind sogar unendlich viele Jurisdiktionen notwendig, um
die Nutzen-, Kosten- und Entscheidungskreise miteinander in
Übereinstimmung zu bringen.32
2.
Es kann als Ansatzpunkt der Untersuchung die jeweils gegebene
politische Struktur gewählt und die sich hieraus ergebenden Konsequenzen untersucht werden. Die Analyse der Aufgabenverteilung beginnt in diesem Fall mit der bestehenden Anzahl staatlicher Gebietskörperschaften und ihrer verfassungsmäßigen Ausstattung mit Kompetenzen.
Für den zweiten Lösungsweg, der im weiteren beschritten wird, sprechen vornehmlich drei Gründen:
1.
Es können historische und kulturelle Besonderheiten der bundesstaatlichen Aufgabenverteilung berücksichtigt werden. Zwar lassen sich mit Blick auf die Aufgabenverteilung in einzelnen Ländern deutliche Unterschiede feststellen, und zwar unabhängig
davon, ob es sich um einen stärker föderativ oder zentralistisch
verfassten Staatsaufbau handelt. Als Gemeinsamkeit der nationalen Kompetenzverteilungsmuster lässt sich jedoch allenfalls be-
31
Tanner, E., Ökonomisch optimale Aufgabenteilung zwischen den staatlichen
Ebenen, Bern/Frankfurt: Lang 1982, S. 99. Vgl. hierzu ebenfalls Frey, B. S.,
Ein neuer Föderalismus für Europa: Die Idee der FOCJ, Tübingen: Mohr
1997.
32
Wird lediglich auf die Kollektivgütertheorie zur Abgrenzung der Bereitstellungskollektive zurückgegriffen, käme es sogar zu „Ein-Mann-Kollektiven“.
Vgl. Meisterling, G., Zur Problematik von Marktanalogien in der ökonomischen Theorie des Föderalismus: eine kritische Analyse des TieboutParadigmas, Frankfurt: Lang 1986, S. 64.
15
obachten, dass sich eine „...bestehende Aufgabenverteilung …
meist ‚historisch bewährt’“33 hat.
2.
Es kann bei der Aufgabenverteilung die theoretisch bedingte
Schwierigkeit, die Nutzen- und Kostenkurven öffentlicher Leistungen exakt zu bestimmen, weitestgehend vermieden werden.
3.
Insbesondere mit Blick auf die politische Reformfähigkeit des
föderativen Systems gilt es Pfadabhängigkeiten, d.h. Entwicklungsprozesse durch historische Ereignisse, die den Möglichkeitsraum zukünftiger Entwicklungen einschränken und ihren Verlauf
präformieren, zu beachten.34 Vor diesem Hintergrund hätte die
völlige Neukonstruktionen der Aufgabenverteilung, selbst wenn
einmal von der verfassungsgemäßen Zulässigkeit abstrahiert wird,
vermutlich keinerlei politische Realisierungschancen.
Bevor jedoch die verschiedenen Muster der Aufgabenverteilung dargestellt werden, gilt es zunächst Anforderungen, Zieldimensionen und
theoretische Beurteilungskriterien für die Aufgabenverteilung im föderativen Staat darzustellen. Hierzu wird als Analyseinstrument auf die
einschlägigen Argumente aus der ökonomischen Theorie des Föderalismus sowie der Demokratie zurückgegriffen.
3. Kriterien der ökonomischen Theorie des Föderalismus als
Argumentationsrahmen
Aus staatspolitischer, rechtlicher und ökonomischer Sicht ist die „richtige“ Verteilung der Aufgaben die Voraussetzung für die sinnvolle Regelung aller weiteren Zuständigkeiten.35 Die Beiträge aus der ökonomi-
33
Wittmann, W., Kriterien für die Aufgabenverteilung zwischen öffentlichen
Körperschaften, in: Haller, H. u.a. (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Dienste
der Wirtschaftspolitik, Tübingen: Mohr 1973, S. 157-173, S. 157.
34
Zur Untersuchung der Pfadabhängigkeit im Prozess des institutionellen
Wandels vgl. North, D. C., Institutionen, institutioneller Wandel und Wirtschaftsleistung, Tübingen: Mohr 1992, sowie ders., Economic Performance
Through Time, in: American Economic Review, Vol. 84 (1994), S. 359368.
35
Vgl. Wendt, R., Finanzverfassung im Spannungsfeld zwischen Zentralstaat
und Gliedstaaten – Ausgewogene Aufgaben-, Lasten- und Einnahmeverteilung als Grundbedingung eines funktionierenden Föderalismus, in: Pommer-
16
schen Diskussion des Föderalismus beschäftigen sich vornehmlich
damit, die allokative Vorteilhaftigkeit eines föderativen Staatsaufbaus
gegenüber einem unitarischen Staat zu begründen.36 In Bezug auf die
Frage der konkreten Kompetenzverteilung im föderativen Staat liefert
die ökonomische Theorie hierzu bestimmte Kriterien, die entweder für
eine stärker zentrale oder aber eher dezentrale Aufgabenzuordnung
sprechen.
Die ökonomische Theorie des Föderalismus ist als eine Weiterentwicklung der Theorie der öffentlichen Güter für einen dezentralisierten
Staatsaufbau zu verstehen, wobei durch die Anwendung bestimmter
ökonomischer Kriterien eine ebenenspezifische Verteilung der öffentlichen Aufgabenbereiche erreicht werden soll. In Zusammenhang mit
dem föderativen Staatsaufbau geht allerdings eine Verschiebung der
Fragestellung einher37: Nicht mehr die traditionelle Frage nach der
bestmöglichen Allokation von knappen Ressourcen auf alternative
Verwendungen steht im Mittelpunkt, sondern es gilt, die nachgelagerte
Frage nach der optimalen Allokation von aufgabenspezifischen Entscheidungskompetenzen auf unterschiedliche Entscheidungsebenen zu
beantworten. So schlussfolgert Musgrave, ausgehend von seiner
„Theorie des multiplen Budgets“, in Bezug auf die föderative Aufgabenverteilung: „The heart of fiscal federalism thus lies in the proposition that the policies of the Allocation Branch should be permitted to
differ between states, depending on the preferences of their citizens.
The objectives of the Distribution and Stabilization Branches, however, require primary responsibility at the central level.”38 Folgt man
der klassischen Dreiteilung von Musgrave in Allokation, Distribution
und Stabilität als den grundlegenden Zielsetzungen der öffentlichen
Finanzwirtschaft, so können die nachfolgenden ökonomischen Beurtei-
rehne, W. W./Ress, G. (Hrsg.), Finanzverfassung im Spannungsfeld zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten, Baden-Baden: Nomos 1996, S. 1733, S. 23.
36
Vgl. Zimmermann, H./Henke, K.-D., Finanzwissenschaft, 8. Aufl., München: Vahlen 2001, 5. Kapitel; Frey, B. S./Kirchgässner, G., Demokratische
Wirtschaftspolitik, 2. Aufl., München: Vahlen 1994, S. 56 ff.
37
Vgl. Theiler, J., Föderalismus – Voraussetzung oder Ergebnis rationaler Politik?, Bern u.a.: Lang 1977, S. 62.
38
Musgrave, R. A., The Theory of Public Finance, New York u.a.: McGraw-Hill
1959, S. 181 f.
17
lungskriterien gemäß ihrer jeweiligen Hauptzielsetzung gegliedert und
analysiert werden:
– Allokative Kriterien –
Unter allokativen Gesichtspunkten wird zur Rechtfertigung eines
föderativen Staatsaufbaus vor allem die Abstimmung der öffentlichen
angebotenen Leistungen gemäß den Präferenzen der Staatsbürger
genannt.39 Dabei wird implizit angenommen, dass im gesamten
Staatsgebiet sowohl regionale als auch lokale Unterschiede in den
Präferenzen für öffentliche Güter und Dienstleistungen bestehen.40
Hieraus folgt, dass ein regional differenziertes Angebot an öffentlichen
Leistungen eine höhere Präferenzgerechtigkeit für die Bürger erzielt,
als dies bei einer einheitlichen nationalen Vorgabe der Fall wäre.
Liegen in Bezug auf die gewünschte öffentliche Leistung heterogene
Präferenzen in der Bevölkerung vor, so erhöht sich bei dezentraler
Bereitstellung die Wahrscheinlichkeit, dass diesen Präferenzen auch
entsprochen werden kann. Es können mehr Personen mit ihren
Präferenzen Einfluss auf das lokale Angebot an öffentlichen Leistungen
nehmen.41 Damit ist bereits das von Oates formulierte Dezentralisierungstheorem umschrieben: „For a public good – the consumption of
which is defined over geographical subsets of the total population, and
for which the costs of providing each level of output of the good in
each jurisdiction are the same for the central or the respective local
governments – it will always be more efficient (or at least as efficient)
for local governments to provide the Pareto-efficient levels of output
for their respective jurisdictions than for the central government to
39
Vgl. zur ökonomischen Begründung und Gestaltung eines föderativen
Staatsaufbaus Zimmermann, H./Henke, K.-D., Finanzwissenschaft, 8. Aufl.,
a.a.O., S. 178 ff.
40
Diese Präferenzunterschiede können sich auf den Umfang und/oder die
Struktur bzw. Ausgestaltung der öffentlichen Leistungen beziehen.
41
Vgl. Peffekoven, R., Finanzausgleich I: Wirtschaftstheoretische Grundlagen,
in: Albers, W. u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaften,
Band 2, Stuttgart/New York: Fischer; Tübingen: Mohr; Göttingen/Zürich:
Vandenhoeck und Ruprecht 1980, S. 608-636, S. 611.
18
provide any specified and uniform level of output across all jurisdictions.”42
Bei einem räumlich dezentralisierten Staatsaufbau wird dieses Ergebnis, die verbesserte Durchsetzung der individuellen Präferenzen,
zudem über einen Wettbewerbsprozess zwischen den verschiedenen
öffentlichen Aufgabenträgern sichergestellt.43 Dahinter steht die Überlegung, dass die Bürger in einem föderativen System in eine andere
Gebietskörperschaft abwandern werden, wenn sie mit der von einer
Gebietskörperschaft angebotenen Kombination aus öffentlichen Leistungen und den entsprechenden Kosten in Form von Steuern unzufrieden sind.44 Die Staatsbürger offenbaren ihre Präferenzen folglich durch
eine „Abstimmung mit den Füßen“. Hierdurch werden die gewählten
Volksvertreter einer Gebietskörperschaft unter Wettbewerbsdruck gesetzt, d.h. infolge der individuellen Wanderungsentscheidungen müssen sie ein öffentliches Güterbündel anbieten, das ein möglichst konkurrenzfähiges Preis-Leistungsverhältnis aufweist, um diesen Abwanderungsprozess zu verhindern. Der Wettbewerb unter den Gemeinden45 führt damit in der Tendenz auch bei öffentlichen Gütern zu einer
pareto-effizienten Allokation.46
Als zweites Argument lassen sich produktionstechnische Aspekte
anführen: Sofern bei der Produktion öffentlicher Güter Skaleneffekte
vorliegen, können bestimmte Güter entweder nicht effizient dezentral
42
Oates, W. E., Fiscal Federalism, New York u.a.: Harcourt, Brace, Jovanovich 1972, S. 35.
43
Vgl. Tiebout, C. M., A Pure Theory of Local Expenditures, in: Journal of Political Economy, Vol. 64 (1956), S. 416-424.
44
Vgl. zum Tiebout-Modell und seinen spezifischen Annahmen Blankart, C.
B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 4. Aufl., München: Vahlen
2001, S. 563 ff., sowie ausführlich Bewley, T. F., A Critique of Tiebout`s
Theory of Local Expenditures, in: Econometrica, Vol. 49 (1981), S. 713740.
45
Das ursprüngliche Modell von Tiebout war nur auf lokale öffentliche Güter
bzw. die Gemeindeebene bezogen. Es kann jedoch auch auf den gesamten
föderativen Staat ausgeweitet werden. So beruht bspw. die gesamte Diskussion über den sog. Wettbewerbsföderalismus auf diesem grundlegendem
Gedanken. Vgl. hierzu auch Apolte, T., Die ökonomische Konstitution eines
föderativen Systems, Tübingen: Mohr 1999, S. 11 ff.
46
Vgl. auch Frey, B. S./Kirchgässner, G., Demokratische Wirtschaftspolitik,
a.a.O., S. 57.
19
angeboten werden (economies of scale) oder aber die zentrale Bereitstellung ist nicht effizient (diseconomies of scale). Aus ökonomischer
Sicht ist daher stets der Zusammenhang zwischen einer zentralen
bzw. dezentralen Aufgabenerfüllung und einer Produktion zu den geringstmöglichen Kosten zu beachten. Vor dem Hintergrund eine kostenminimale Produktion des öffentlichen Leistungsangebots zu realisieren kann es daher auch sinnvoll sein, eine inkongruente Verteilung
von Entscheidungs- und Durchführungskompetenz zu wählen: „Vielmehr kann eine Aufgabe, über die von einem zentralen Aufgabenträger
entschieden wird, möglicherweise besser von einem dezentralen Aufgabenträger durchgeführt werden (und umgekehrt).“47 In Bezug auf die
Kompetenzverteilung sind unter diesem Stichwort Abwägungsüberlegungen anzustellen, da es verschiedene Möglichkeiten gibt, die Kompetenzen aufzuteilen.
Ein drittes Argument für die Zuordnung einer Aufgabe zu einer bestimmten Gebietskörperschaft liegt schließlich darin begründet, dass
die bestehenden Jurisdiktionen nicht genau mit den Nutzen- (und
Steuerkosten-)bereichen übereinstimmen, so dass es zu positiven oder
negativen Spill-over Effekten kommt. Wie in anderen Fällen von externen Effekten müssen diese Spill-overs berücksichtigt und internalisiert
werden, wenn die Niveaus öffentlicher Dienstleistungen effizient bereitgestellt werden sollen.48 Ob das Angebot an öffentlichen Leistungen
bei Vorliegen von Spill-over Effekten zu hoch oder zu tief ausfällt, kann
weder anhand theoretischer noch empirischer Überlegungen eindeutig
geklärt werden. Insgesamt wäre es jedoch reiner Zufall, wenn sie gerade richtig wären.49 Für die Gestaltung der Kompetenzverteilung folgt
aus dem Vorliegen von Spill-over Effekten die Aufgabe der Internalisierung. Dies kann sowohl über die (Neu-)Verteilung der Aufgabenzuständigkeit bzw. einen Kompetenztransfer erfolgen, aber auch über
nachgelagerte Instrumente des Finanzausgleichs wie fiskalische Transfers im Finanzausgleich erfolgen.
47
Hansmeyer, K.-H./Kops, M., Interdependenzen im passiven Finanzausgleich,
a.a.O., S. 11.
48
Vgl. Musgrave, R. A./Musgrave, P. B./Kullmer, L., Die öffentlichen Finanzen
in Theorie und Praxis, Bd. 4, Tübingen: Mohr 1978, S. 151 f.
49
Vgl. Frey, R. L., Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden
im Bildungswesen, in: Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und
Statistik, 105. Jg. (1969), S. 367-385.
20
– Distributive Kriterien für einen föderativen Staatsaufbau –
In einem marktwirtschaftlichen System kommt dem Staat auch die
Aufgabe zu, die sich aus dem Marktprozess ergebende Primäreinkommensverteilung zu korrigieren, sofern diese nicht mit der politisch
gewünschten Verteilung übereinstimmt. Hiermit soll in aller Regel
„…eine gewisse Nivellierung sowohl der personellen wie auch der regionalen Einkommensverteilung angestrebt“50 werden. Nach Oates
sollten die verteilungspolitischen gesamtstaatlichen Aktivitäten allgemein der Zentralebene zugeordnet werden, da eine dezentrale Distributionspolitik Probleme der adversen Selektion hervorrufen kann.51
Insbesondere aufgrund der dann zu befürchtenden Segregationstendenzen wird daher eine Kompetenzverteilung zu Gunsten der übergeordneten Zentralebene befürwortet.52
Mit Blick auf die distributive Zielsetzung kann auch die Realisierung der sog. „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, wie auch immer dieser Begriff genau abgegrenzt wird, als Anforderung genannt
werden.53 So könnte die extreme Betonung von dezentralisierten Entscheidungsbefugnissen zu „...sehr großen Unterschieden in der Versorgung mit öffentlichen Leistungen führen, sei es als Ergebnis divergierender regionaler Präferenzen oder als Folge der unterschiedlichen
Ergiebigkeit staatlicher Einnahmequellen.“54, die sowohl ein ökonomisch sinnvolles als auch ein politisch gewünschtes Maß übersteigen.
Als Hintergrund dieser Zielsetzung kann daher gelten, dass auch in ei50
Peffekoven, R., Finanzausgleich I: Wirtschaftstheoretische Grundlagen,
a.a.O., S. 615 (Hervorhebungen im Original).
51
Vgl. Oates, W. E., The Theory of Public Finance in a Federal System, in:
Canadian Journal of Economics, Vol. 1 (1968), S. 37-54, S. 45 ff.
52
Allerdings ist dieses Argument nicht mehr unumstritten. Befürworter einer
dezentralisierten Verteilungspolitik begründen dies mit der Möglichkeit, den
ausufernden Wohlfahrtsstaat bzw. die steigenden Sozialleistungen durch einen institutionellen Wettbewerb zu bändigen. Vgl. hierzu bspw. die Argumente bei Apolte, T., Die ökonomische Konstitution eines föderalen Systems, a.a.O., S. 16 f. mit weiteren Nachweisen.
53
Vgl. hierzu Fischer-Menshausen, H., Unbestimmte Rechtsbegriffe in der
bundesstaatlichen Finanzverfassung, in: Dreissig, W. (Hrsg.), Probleme des
Finanzausgleichs I, Berlin: Duncker und Humblot 1978, S. 135-163.
54
Zimmermann, H., Föderalismus und „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“, in: Schmidt, K. (Hrsg.), Beiträge zu ökonomischen Problemen des Föderalismus, Berlin: Duncker und Humblot 1987, S. 35-69, S. 35 f.
21
nem stark föderal organisierten Staat ein gewisses Maß an Kohärenz
und Einheitlichkeit zu verwirklichen ist.
Sofern mit einer Aufgabe die bereits angesprochenen Spill-over Effekte verbunden sind, können diese in distributiver Hinsicht auch zum
Problem der „Ausbeutung“ führen.55 Das Problem kann am besten
verdeutlicht werden, wenn man eine Kernstadt oder regionales Oberzentrum betrachtet, dass öffentliche Leistungen anbietet, die auch von
den Bürgern der Umlandgebietskörperschaften in Anspruch genommen werden, jedoch ohne hierfür eine entsprechende äquivalente Gegenleistung zu erbringen.56 Es kann dann notwendig erscheinen, die
entsprechende Aufgabenzuständigkeit auf die übergeordnete Regierungsebene zu übertragen, um so das Trittbrettfahrer-Problem zu überwinden.
– Stabilitätspolitische Kriterien57 –
Ähnlich wie zwischen der oben genannten allokativen und distributiven Zielsetzung ein Spannungsverhältnis besteht, kann dies für die
stabilitätspolitische Zielsetzung des Staates gelten. Sowohl aus der
Aufgabe einen Ausgleich konjunktureller Schwankungen zu schaffen
als auch dem Ziel, dauerhafte Wachstumsimpulse für die nationale
Volkswirtschaft zu generieren, können für die Aufgabenverteilung im
föderativen Staat Konflikte entstehen.58 Die Verfolgung einer klassischen Stabilisierungspolitik keynesianischer Prägung ist aufgrund von
Spill-over Wirkungen sowie der Gefahr des Trittbrettfahrer-Verhaltens
55
Vgl. Neenan, W. B., Suburban-Central City Exploitation Thesis: One City`s
Tale, in: National Tax Journal, Vol. 23 (1970), S. 117-139.
56
Von einer Ausbeutung kann allerdings nur dann gesprochen werden, wenn
die anbietende Körperschaft keinerlei fiskalische Kompensation erhält. So ist
es z.B. denkbar, dass im Rahmen des Finanzausgleich i.e.S. die Kernstadt
für die Bereitstellung solcher Leistungen entsprechende Vergünstigungen erhält. In diesem Fall kann der externe Effekt als internalisiert gelten.
57
Die Stabilitätspolitischen Kriterien werden hier der Vollständigkeit halber
kurz angesprochen, im weiteren Verlauf jedoch nicht weiter betrachtet.
58
Vgl. Oates, W. E., The Theory of Public Finance in a Federal System, a.a.O.,
S. 38 f.; Musgrave, R. A./Musgrave, P. B./Kullmer, L., Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, a.a.O., S. 150 ff.
22
nicht dezentralisierbar, somit also der zentralstaatlichen Ebene zuzuordnen.59
Bei der wachstumspolitischen Zielsetzung hingegen besteht durchaus Dezentralisierungspotential: Zwar können wesentliche Wachstumsvoraussetzungen nur auf der zentralstaatlichen Ebene geschaffen
werden, so z.B. die Sicherung des Geldwertes, ein verlässlicher
Rechtsrahmen etc. Aber alle anderen Maßnahmen der öffentlichen
Hand im Dienste des Wachstumsziel, wie etwa die Förderung bestimmter Industrien, Innovationszentren usw. können besser „vor Ort“
erfolgen, würden also eine Kompetenzzuordnung auf die nachgeordneten föderativen Ebenen nahe legen.60 Obwohl also bedeutsame Argumente für die zentralstaatliche Aufgabenkompetenz im Bereich der
Stabilisierungsfunktion des Staates sprechen, kann in Teilbereichen
durchaus eine dezentralisierte Organisation empfehlenswert sein. Dies
gilt insbesondere für staatliche Maßnahmen, die zur Beseitigung von
regionalen Konjunktur- und Wachstumsunterschieden ergriffen werden
und deren Wirkungsradien auf die zu fördernde Region beschränkt
bleiben.61
Zusätzlich zu diesen klassischen, normativen Kriterien der ökonomischen Föderalismustheorie können an die Aufgabenverteilung im
föderativen Staat auch bestimmte positive, polit-ökonomische Anforderungen gestellt werden, die es zu erfüllen gilt. Diese können über
die nachfolgenden drei Ziele operationalisiert werden62:
59
Vgl. Zimmermann, H./Henke, K.-D., Finanzwissenschaft, 8. Aufl., a.a.O.,
S. 184.
60
Vgl. zur Diskussion unter der wachstumspolitischen Zielsetzung Feld, L./
Zimmermann, H./Döring, T., Föderalismus, Dezentralität und Wirtschaftswachstum, DIW Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung, 72. Jg. (2003),
S. 361 –377.
61
Vgl. Peffekoven, R., Finanzausgleich I: Wirtschaftstheoretische Grundlagen,
a.a.O., S. 616.
62
Vgl. hierzu Färber, G., Effizienz zentralisierter und dezentralisierter Verwaltungen, in: Pernthaler, P./Bußjäger, P. (Hrsg.), Ökonomische Aspekte des
Föderalismus, Wien: Braumüller 2001, S. 105-137, S. 110. Zwei der in
dieser Arbeit genannten Ziele, die optimale Berücksichtigung regionaler Präferenzen sowie die kostenminimale Produktion öffentlicher Leistungen sind
zuvor bereits unter den normativen Kriterien erläutert worden.
23
– Effizienzfördernder Innovationswettbewerb im öffentlichen Sektor –
Als genereller Vorteil eines föderativen Systems kann gelten, dass
Neuerungen bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben und effizientere
Angebotsformen nicht direkt flächendeckend im gesamten Gebiet des
Nationalstaats eingeführt werden müssen, sondern in einzelnen Gliedstaaten „erprobt“ werden können. Mit anderen Worten ausgedrückt
fungieren die Gliedstaaten als „Laboratorien der Innovation“.63 So können die Kosten von „Fehllösungen“ minimiert werden. Aus politökonomischer Sicht ist hiermit zudem der Vorteil verbunden, über
einen echten Leistungswettbewerb der Jurisdiktionen bei der Erfüllung
öffentlicher Aufgaben Wählerstimmen zu gewinnen. Die Möglichkeit
zu einem innovativen Wettbewerb ist sogar selbst dann gegeben,
wenn eine Jurisdiktion nur über eine Teilkompetenz verfügt (wie z.B.
die Durchführungskompetenz), weil auch zwischen verschiedenen
Vollzugsformen Effizienzunterschiede bestehen bzw. innovative Wege
des Vollzugs denkbar sind.
– Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems auf Veränderungen
der Umwelt –
Ausgelöst durch den Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft kann die
einmal vorgenommene Kompetenzzuweisung nicht als statische Verteilung von Zuständigkeiten angesehen werden. Durch Veränderungen
der relevanten Determinanten im Zeitablauf, z.B. weil sich economies
of scale oder die Präferenzen der Bürger verändern, werden sich immer Abweichungen zwischen dem für eine einzelne Aufgabe „optimalen“ Zuständigkeitsbereich und der Anzahl möglicher Aufgabenträger,
in aller Regel die verschiedenen regionalen und funktionalen Gebietskörperschaften, ergeben. Daher kann es ebenfalls erforderlich sein, die
verfassungsmäßige Verteilung der Kompetenzen auf die Gebietskörperschaften zu verändern. Unter dem Stichwort der Anpassungsfähigkeit
werden daher im weiteren Möglichkeiten diskutiert, inwiefern durch
die Verteilung der Kompetenzen im Bundesstaat auch eine Veränderung der Aufgabenwahrnehmung in Art und Umfang realisiert werden
kann. Ausgehend von der Feststellung, dass sich sowohl neue Staatsaufgaben entwickelt haben (z.B. Umweltschutz) als auch die beste63
Vgl. Brandeis, M. (1932), New State Ice Co. vs. Liebmann, 285 U.S. 262,
U.S. Supreme Court Opinions.
24
henden Staatsaufgaben einem ständigem Wandel unterworfen sind
(Stichwort Wohlfahrtsstaat), kann ein weiteres Kriterium zur Beurteilung der Effizienz der Staatsorganisation also darin gesehen werden,
welchen Restriktionen die Verlagerung bzw. Delegation der Kompetenzen unterworfen wird.
– Optimale politische Kontrolle –
In diesem Zusammenhang kommt demokratischen Wahlen nicht nur
die Funktion zu, für eine Offenbarung der Präferenzen der Staatsbürger
in Bezug auf das gewünschte öffentliche Leistungsangebot zu sorgen,
sondern auch die Amtshandlungen der jeweiligen Regierung zu bewerten.64 Damit die Bürger dieser politischen Kontrollfunktion der staatlichen Aktivitäten aber überhaupt nachkommen kommen, ist es vor allem erforderlich, dass sie über eine ausreichende Kenntnis der politischen Verantwortlichkeiten verfügen. Als Anforderung für die Aufteilung der Kompetenzen im föderativen Staat folgt hieraus, möglichst
transparente und eindeutige Entscheidungs- und Durchführungsstrukturen zu schaffen, die für die Staatsbürger leichter nachvollziehbar und dementsprechend auch einfacher zu beurteilen sind.
4. Empirische Kompetenzverteilungsmuster und politische
Vollzugsmechanismen
Innerhalb eines Bundesstaates sind die Kompetenzen zwischen den
Mehrebenen, den Kommunen, den Gliedstaaten, den Zentralstaaten
und den supranationalen Jurisdiktionen, aufgeteilt. Bei der Frage nach
der Verteilung der Staatsaufgaben auf die föderativen Gebietskörperschaften geht es letztlich um das Verhältnis der staatlichen Ebenen
zueinander und die Frage, auf welcher Entscheidungsebene vornehmlich reguliert bzw. auf welcher Ebene eine bestimmte öffentliche Aufgabe bewältigt werden sollte. In der Verfassung eines Landes ist hierfür in aller Regel keine konkrete Problemlösung festgeschrieben, sondern vielmehr handelt es sich um eine abstrakte Wertordnung, mittels
derer die Richtung bestimmt wird, in der die Lösungen zu suchen
64
Vgl. Blankart, C.B., Öffentliche Finanzen in der Demokratie, a.a.O., S. 71 ff.
25
sind.65 Damit wird für die jeweils zuständigen Staatsorgane der notwendige Möglichkeitsraum zur Aufgabenerfüllung geschaffen, ohne
dass eine ständige Veränderung des Verfassungstextes erforderlich wäre, sich pragmatisch auf die veränderlichen Bedürfnisse der Staatswirklichkeit einzustellen. Insgesamt führt dieser Möglichkeitsraum zu
einer empirischen Formenvielfalt an Aufgabenverteilungsmustern im
föderativen Staat, die einer strengen Klassifizierung nur zum Teil
zugänglich ist. Deswegen soll nachfolgend das Spektrum möglicher
Konfigurationen der Kompetenzverteilung anhand von fünf idealtypischen Mustern systematisiert werden.
Für eine Systematisierung der verschiedenen Kompetenzarten und
ihrer Verteilung auf die gebietskörperschaftlichen Ebenen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten.66 Die in diesem Beitrag vorgeschlagene
Differenzierung in getrennte, gleichzeitige, geteilte, gemeinsame und
konkurrierende Kompetenzen einer Jurisdiktion beruht im wesentlichen auf der fundamentalen Unterscheidung zwischen dem Recht zu
entscheiden, hier auch als Gesetzgebungszuständigkeit zu verstehen,
und dem Recht zu vollziehen, d.h. die Verwaltungs- oder Durchführungszuständigkeit zu besitzen. Bei der Aufgabenverteilung wird also
primär zwischen der Gesetzgebungs- und der Verwaltungskompetenz
einer föderativen Ebene unterschieden. Unter dem Gesichtspunkt der
Autonomie einer föderativen Ebene mag zwar der Gesetzgebungskompetenz und somit dem Recht, über eine öffentliche Aufgabe zu entscheiden, eine besondere Bedeutung zu kommen.67 Für die gesamte
65
Vgl. dazu Böckenförde, E. W., Die Methoden der Verfassungsinterpretation
– Bestandsaufnahme und Kritik, in: Neue Juristische Wochenschrift, 29. Jg.
(1976), S. 2091 ff.
66
In der juristischen Literatur findet sich häufig eine Unterscheidung in ausschließliche, konkurrierende und parallele Kompetenzen. Vgl. hierzu bspw.
Haller, W./Kölz, A., Allgemeines Staatsrecht, 2. Aufl., Basel u.a.: Helbing
und Lichtenhahn 1999, S. 160. In der ökonomischen Literatur beschäftigt
sich meines Wissens nach lediglich eine Arbeit näher mit den verschiedenen
Aspekten der Kompetenzverteilung, die allerdings von den in der Realität
vorfindbaren Muster der föderativen Kompetenzverteilung abstrahiert, vgl.
Hansmeyer, K.-H./Kops, M., Die Kompetenzarten der Aufgabenzuständigkeit
und deren Verteilung im föderativen Staat, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 29. Jg. (1984), S. 127-140.
67
Peffekoven spricht in diesem Zusammenhang von Aufgabenkompetenz und
Aufgabenerfüllung. Vgl. Peffekoven, R., Finanzausgleich I: Wirtschaftstheoretische Grundlagen, a.a.O., S. 609 f.
26
Funktionsweise und Effizienz des föderativen Systems kommt der
Vollzugskompetenz jedoch dieselbe Bedeutung zu, da die Erfüllung öffentlicher Aufgaben immer durch eine „Kombination“ beider Kompetenzen erfolgt. Wenngleich im Folgenden die einzelnen Muster der
Aufgabenverteilung auch hiernach getrennt voneinander dargestellt
werden, so gilt es immer im Hintergrund zu behalten, dass sich in der
Wirklichkeit zahlreiche Überschneidungen ergeben bzw. verschiedene
Formen der Aufgabenverteilung auch nebeneinander existieren können.
Die fünf verschiedenen Typen von Kompetenzarten werden hier
folgendermaßen charakterisiert und voneinander abgegrenzt: Im Fall
von getrennten Kompetenzen besitzen die föderativen Ebenen jeweils
sowohl die Gesetzgebungs- als auch die Durchführungskompetenz für
die ihnen übertragenen Aufgabengebiete. Bei einer gleichzeitigen oder
parallelen Kompetenzverteilung besitzen mindestens zwei föderative
Ebenen die Gesetzgebungskompetenz für einen Aufgabenbereich, die
Durchführungskompetenz kann hiervon unterschiedlich abweichen.
Liegen geteilte Kompetenzen vor, besitzt eine föderative Ebene die
Gesetzgebungskompetenz, eine andere föderative Ebene die entsprechende Durchführungskompetenz. Werden die Zuständigkeiten im
Wege von gemeinsamen Kompetenzen verteilt, so erfolgt die Gesetzgebung zwischen den föderativen Ebenen durch eine gemeinsame Zusammenarbeit, die Durchführungskompetenz kann auf unterschiedliche öffentliche Aufgabenträger verteilt werden. Charakteristisch für
konkurrierende Kompetenzen ist es, dass eine föderative Ebene solange die Gesetzgebungs- bzw. Durchführungskompetenz für einen
Aufgabenbereich besitzt, wie eine andere föderative Ebene von ihren
jeweiligen Kompetenzen in diesem Bereich noch keinen Gebrauch
gemacht hat.
4.1 Getrennte Kompetenzverteilung
Bei getrennten Kompetenzen werden bestimmte Aufgabenbereiche einer föderalen Ebene allein zugewiesen, d.h. das Entscheidungs- und
Durchführungsrecht obliegt jeweils nur einer föderativen Ebene. Es ist
also für eine getrennte Kompetenzverteilung im „Normalfall“ kennzeichnend, dass die jeweils legitimierte Gebietskörperschaft sowohl für
die Gesetzgebung als auch für den Gesetzesvollzug zuständig ist.
Damit verbunden ist oftmals auch der Aufbau einer eigenen Verwaltungsorganisation, die sich mit der Durchführung der zugewiesenen
27
Aufgabe befasst. Entsprechende Bundes- oder Landesbehörden sind in
ihrem Handeln dann unabhängig von der jeweiligen gebietskörperschaftlichen Ebene, in deren Einflussbereich sie eingesetzt werden. In
idealtypischer Betrachtung besteht in diesen Systemen damit keine
Möglichkeit, dass die Ausführung von Bundeskompetenzen als eigene
Angelegenheiten der Gliedstaaten erfolgt, noch dass eine – bspw. der
deutschen Auftragsverwaltung ähnliche – Aufgabenerfüllung möglich
wird. Beispiele für dieses Muster der Kompetenzverteilung bieten die
föderativen Systeme der USA, Kanadas sowie der Schweiz. Aber auch
in den stärker verflochtenen föderativen Systemen, wie z.B. in
Deutschland in den Aufgabengebieten Kultur oder Polizei, bestehen
getrennte Kompetenzen zwischen Zentral- und Gliedstaaten.
In der amerikanischen Verfassung ist eine grundsätzlich getrennte
Verteilung der Kompetenzen angelegt, die dem Zentralstaat einen feststehenden Aufgabenkatalog zuordnet und den Einzelstaaten (bzw.
dem Volk) im 10. Zusatzartikel der Verfassung die Kompetenzvermutung für alle anderen Aufgaben zuspricht. Nach Art. 1 Sec. 1 Satz 1
USC werden dem Kongress alle in der Verfassung genannten Gesetzgebungskompetenzen übertragen, d.h. der Bundesstaat ist nur dann
zuständig, wenn die Verfassung ihn zur Regelung ermächtigt hat. Den
Gliedstaaten sind gem. dem 10. Amendement der amerikanischen
Verfassung diejenigen Kompetenzen vorbehalten, die dem Bund nicht
durch die Verfassung zugesprochen und den Gliedstaaten nicht durch
sie entzogen worden sind. Die konkrete Kompetenzaufteilung zwischen Gliedstaaten und Bundesstaat ist der Verfassung jedoch nur
teilweise zu entnehmen, da neben den aufgezählten Bundeskompetenzen insbesondere auch die Auslegung dieser Kompetenzen sowie
die Rechtsprechung zu berücksichtigen ist.68
Das föderative System Kanadas zählt aufgrund seiner Zweigliedrigkeit – die Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit ist zwischen
Bund und Provinzen klar getrennt – ebenfalls zu den Systemen des
Föderalismus mit getrennter Kompetenzverteilung. Auch im kanadischen System erfolgt eine Kompetenzverteilung zwischen Bund und
Gliedstaaten nach einzelnen Aufgabenbereichen. Mit dem British
North America Act von 1867 ist konkret festgelegt worden, welche
Aufgaben in den Zuständigkeitsbereich des Bundes und der Provinzen
68
Vgl. Brugger, W., Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl.,
München: Beck 2001.
28
fallen.69 Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes sind in Sec. 91
der Verfassung niedergelegt. Die Aufgabenkompetenzen der Provinzen,
geregelt in den Sec. 92 und 93 der Verfassung, erstrecken sich auf die
Bereiche des Gesundheitswesens, des Erziehungswesens, der Polizei,
der Energiepolitik, der kulturellen Angelegenheiten sowie aller kommunalen Belange.
Auch die Bundesverfassung der Schweiz enthält eine getrennte
Kompetenzverteilung und führt die einzelnen Bundeskompetenzen
nach dem Enumerationsprinzip auf. Nach Art. 42 Abs. 1 NV gilt: „Der
Bund erfüllt die Aufgaben, die ihm die Bundesverfassung zuweist.“
Dergestalt werden die Bundeskompetenzen in der Bundesverfassung
abschließend und lückenlos aufgezählt. Obwohl die Kompetenzen der
Kantone nicht in der Bundesverfassung aufgeführt werden, besteht eine lückenlose Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen, da gemäß dem Prinzip der subsidiären Generalkompetenz die Kantone für
alle Bereiche, die nicht dem Bund obliegen, die originäre Zuständigkeit besitzen. Demzufolge gehören auch neu auftretende Staatsaufgaben in den Zuständigkeitsbereich der Kantone. Sofern für die Wahrnehmung einer Aufgabe jedoch eine gesamtschweizerische Regelung
benötigt wird (Art. 42 Abs. 2), muss der Bund zuerst über eine Verfassungsrevision zur entsprechenden Kompetenz ermächtigt werden.70
Bei Vorliegen von getrennten Kompetenzen kann jedoch in letzter
Konsequenz der Fall einer echten „Behörden-Konkurrenz“ folgen,
wenn mehrere staatliche Ebenen Institutionen der gleichen Art und
Aufgabe aufgebaut haben. „Die Situation ist dem Liebhaber von Wildwestfilmen, in denen der Konflikt zwischen dem ‚federal marshall’ und
dem ‚local sheriff’ – beide sind Polizeiorgane – recht häufig eine wesentliche Rolle spielt, bestens bekannt.“71 Dieses Beispiel verdeutlicht
bereits recht gut die Schwierigkeiten, die mit einer getrennten Kompetenzverteilung einhergehen können: Es werden offensichtlich institutionelle Instrumente benötigt, die einerseits die Zusammenarbeit der
Aufgabenträger im Fall von sich überlappenden Aufgaben organisieren
und andererseits im Fall von Kompetenzstreitigkeiten zwischen den
69
Als Ausnahmen hiervon sind die Bereiche der Immigration sowie der Einnahmen aus natürlichen Ressourcen zu nennen.
70
Vgl. Häfelin, U./Haller, W., Schweizerisches Bundesstaatsrecht. Die neue
Bundesverfassung, 5. Aufl., Zürich: Schulthess 2001, § 37, S. 300.
71
Frenkel, M., Föderalismus und Bundesstaat, Band II: Bundesstaat, a.a.O.,
S. 126.
29
föderativen Ebenen vermitteln. Mit anderen Worten ist die Frage entscheidungsbedürftig, was bei getrennten Kompetenzen passiert, wenn
durch die Aufgabenwahrnehmung einer Jurisdiktion die Kompetenz
einer anderer Ebene oder einer benachbarten Jurisdiktion in einem
anderen Aufgabengebiet positiv oder negativ beeinflusst wird. Daher
können im Fall der getrennten Kompetenzen zwei weitere mögliche
Varianten der Aufgabenverteilung bzw. der Kompetenzverlagerung auftreten, der Kompetenztransfer von „oben nach unten“ und vice versa:
Im ersten Fall liegt die Entscheidungs- und Durchführungskompetenz für eine bestimmte Aufgabe beim Zentralstaat, diese Voll- oder
Teilkompetenz kann jedoch auch auf die Gliedstaaten übertragen werden. So enthält z.B. die schweizerische Bundesverfassung keine allgemeinen Bestimmungen über die Verteilung von Ausführungsbefugnissen, grundsätzlich folgt hier die Verwaltungszuständigkeit der Gesetzgebungszuständigkeit.72 Allerdings kann der Bund darüber entscheiden, ob er selbst oder die Kantone ein Bundesgesetz ausführen
sollen, falls in der Bundesverfassung keine expliziten Regelungen über
den Vollzug von entsprechenden Bundesgesetzen beinhaltet sind.73 In
diesem Fall kann jedoch nicht mehr von einem getrennten System an
Kompetenzen gesprochen werden, vielmehr würde es sich um eine geteilte Kompetenz zwischen Zentral- und Gliedstaat handeln.74
Zum anderen ist der zweite Fall möglich, dass die Kompetenz für
einen bestimmten Aufgabenbereich bei den Ländern liegt, die Entscheidung oder Ausführung jedoch entweder an die Bundesebene delegiert bzw. den Gliedstaaten entzogen werden soll. Folgende Beispiele für diese Art des Kompetenztransfers „von unten nach oben“ können angeführt werden:
•
In der Schweiz ist dieser Kompetenztransfer grundsätzlich
möglich, da die Übertragung einer Aufgabe von den Kantonen auf
den Bund als rechtlich zulässig erachtet wird. Allerdings ist für
72
Vgl. Aubert, J.-F., Traité de droit constitutionnel suisse, Bd. 1, Paris/Neuenburg: Dalloz 1967, S. 277 ff.
73
Vgl. Häfelin, U./Haller, W., Schweizerisches Bundesstaatsrecht, a.a.O.,
S. 345. Allerdings darf die Durchführungskompetenz nicht übertragen werden, wenn die Bundesverfassung dies ausschließt. Zudem hat der Bund sicherzustellen, dass die Kantone auch über entsprechende finanzielle Mittel
verfügen.
74
Vgl. hierzu die Ausführungen im Abschnitt 4.3.
30
einen solchen Aufgabentransfer sowohl die Zustimmung der Kantone als auch die des Volkes erforderlich.
•
Wiederum anders stellt sich diese Möglichkeit der Kompetenzverschiebung in den USA dar, weil die Verfassung der Vereinigten
Staaten die Übertragung von gliedstaatlichen Aufgaben auf den
Bund eigentlich verbietet. Trotz dieser Regelung und der ansonsten streng getrennten föderativen Zuständigkeitsbereiche haben
sich in den Vereinigten Staaten die Kompetenzen des Bundes im
Zeitablauf deutlich ausgeweitet, was vornehmlich auf die bundesfreundliche Rechtsprechung zurückzuführen ist.75 Neben der Auflistung seiner „enumerated powers“ erlangte der Bund über die
Lehre von den „implied powers“ und den „resulting powers“ weitere legislative Zuständigkeiten.76 In Verbindung hiermit waren es
insbesondere zwei Bestimmungen des Kataloges an Bundesaufgaben, die ebenfalls zu einer Ausweitung der Bundeskompetenzen geführt haben: die sog. „welfare clause“ sowie die „interstate commerce clause“. Mit der erstgenannten Bestimmung ist
die Befugnis verbunden, über die Abgabenerhebung und die
Verausgabung der Staatsmittel zu bestimmen. Zwar war vor allem die Reichweite dieser „power to spend“ lange umstritten77,
sie hat aber über den Einsatz von zweckgebundenen Finanzzuwendungen zu einem bedeutsamen Regelungseffekt des Bundes
geführt. Über die zweitgenannte Bestimmung wurde maßgeblich
die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes auf dem Gebiet des
Wirtschaftsrechts begründet. In den USA kommt insbesondere
dem sog. „interdependent law“ eine besondere Rolle zu, weil
damit die ansonsten streng getrennte Kompetenzverteilung überwunden werden konnte. „Auf diese Weise dient die interdependent legislation ... der Herausbildung einer in der ursprünglichen
Verfassung nicht vorgesehen »konkurrierenden« ... und »Rahmengesetzgebung« ... des Bundes.“78 So wurde z.B. im Bereich
75
Vgl. zum folgenden Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 143 ff.
76
Vgl. hierzu bereits Loewenstein, K., Verfassungsrecht und Verfassungspraxis
der Vereinigten Staaten, Berlin u.a.: Springer 1959, S. 75 ff.
77
Vgl. Defuns, M., Die Bundessubventionen als Problem des Föderalismus in
den USA, Zürich: Schulthess 1973, S. 110 ff.
78
Ehringhaus, H., Der kooperative Föderalismus in den Vereinigten Staaten
von Amerika, a.a.O., S. 87.
31
des Versicherungswesens mit dem McCarren Act vom Kongress
beschlossen, dass dieser Bereich weiterhin der gesetzlichen Regelung durch die Einzelstaaten überlassen bleiben sollte. Hierdurch ist die getrennte Kompetenzverteilung im Zeitablauf, insbesondere durch die vom Bund durchgeführte Nutzung von vier Generalklauseln der Verfassung (general welfare clause, spending
clause, necessary and proper clause, interstate commerce clause), zu einem System des kooperativen Föderalismus weiterentwickelt worden.79 In allen unklaren und auslegungsbedürftigen
Fällen der Kompetenzverteilung ist es dann die Aufgabe des amerikanischen Supreme Court über das Instrument der Rechtsprechung die kompetenzrechtliche Grenze zwischen Zentralstaat
und Einzelstaaten zu bestimmen.80
•
Auch im getrennten System des kanadischen Föderalismus kann
diese Form der Kompetenzverlagerung festgestellt werden. Auch
hier verfügt die kanadische Bundesebene, ähnlich wie dies in den
USA über die angeführten Generalklauseln der Fall ist, über drei
verfassungsrechtlich gesicherte Eingriffsmöglichkeiten in die Kompetenzen der Provinzen. Es handelt sich hierbei um die sog. „reserve power“, die „declaratory power“ und die „power of disallowance“. Im Unterschied zur Bundesebene in den USA hat der
kanadische Zentralstaat von dieser Möglichkeit jedoch seit über
vierzig Jahren keinen Gebrauch mehr gemacht.81 Hier erfolgt die
Übertragung von Kompetenzen zwischen den Jurisdiktionen al-
79
Vgl. Greß, F., Aktuelle Entwicklungen im amerikanischen Föderalismus, in:
Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch für Föderalismus 2002, Band 3, Baden-Baden: Nomos 2002, S. 343353, S. 343.
80
Ein grundsätzlicher Bias zugunsten des Bundes oder der Einzelstaaten lässt
sich nicht eindeutig belegen, da den Entscheidungen zum einen das Prinzip
der Einzelfall-Entscheidung zu Grunde liegt und sich zum anderen die Tendenz der Rechtsprechung im Zeitablauf mehrfach geändert hat. Vgl. hierzu
bspw. Weissert, C. S./Schramm, S. F., The State of U.S. Federalism, in:
Publius, Vol. 30 (2000), Nr. 1/2, S. 1-19.
81
Vgl. Schultze, R.-O., Politikverflechtung und konföderaler Föderalismus:
Entwicklungslinien und Strukturprobleme im bundesrepublikanischen und
kanadischen Föderalismus, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Kanada-Studien, 2. Jg. (1982), Heft 2, S. 113-144, wiederabgedruckt in: ders. (Hrsg.),
Das politische System Kanadas im Strukturvergleich, Bochum: Studienverlag
Brockmeyer 1985, S. 57-88, S. 77.
32
lerdings über zahlreiche multi- bzw. bilaterale Kooperationsabkommen zwischen dem Zentralstaat und den Provinzen, die sich
durch ein hohes Maß an Flexibilität und Freiwilligkeit auszeichnen. So war bspw. der gesamte Bereich der Sozialpolitik fast
ausschließlich im Kompetenzbereich der Provinzen, was insbesondere vor dem Hintergrund einer wohlfahrtsstaatlich orientierten Ausweitung der Staatstätigkeit zu Problemen im föderativen Systems Kanadas führte, die institutionell nicht verarbeitet
werden konnten.82 Es kam daher in der Folgezeit zu einer Ausweitung „...der Kooperation und Koordination zwischen den politischen Akteuren von Bund und Provinzen, wobei diese im Unterschied zu intrastaatlichen föderativen Systemen nicht im Rahmen
von Politikverflechtung, sondern eher auf der Basis loser Kopplung erfolgten.“83 Da es nur schwer möglich war, auf die neuen
Anforderungen der öffentlichen Aufgabe Sozialpolitik im Wege einer Verfassungsänderung zu reagieren, wurde zur Lösung die Entscheidungs- und Finanzierungsstruktur – als funktionales Äquivalent zur Verfassungsreform – verändert.
Diese Beispiele zeigen, dass bei einer getrennten Kompetenzverteilung
im Bundesstaat zusätzliche Regelungen benötigt werden, die im Falle
von inhaltlichen Überschneidungen der Aufgabenfelder, Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Jurisdiktionen oder politisch gewollten
Kompetenzverlagerungen greifen. Die Aufgabenwahrnehmung im föderativen System bei getrennten Kompetenzen bietet nur geringe formale
Möglichkeiten, Kompetenzverlagerungen zwischen den föderativen
Ebenen vorzunehmen. Daher erfolgen Anpassungen zumeist über andere Formen der Kooperation und Koordination, wie etwa vertragliche
Abkommen, Subventionszahlungen etc. Damit ist es in Einzelfällen jedoch fraglich, ob überhaupt noch von einer faktisch getrennten Kom-
82
Vgl. Maslove, A., Canadian Federal Budgeting: Immaginative Responses and
Troublesome Confusions, in: Schultze, R.-O./Sturm, R. (Hrsg.), Constitutional Reform in North America, Opladen: Leske und Buderich 2000, S. 187200, S. 190 f. Problematisch war vor allem, dass es infolge dieser Art der
Kompetenzverteilung im weiteren sowohl zu erheblichen fiskalischen Ungleichgewichten als auch zu externen Effekten zwischen den Provinzen kam.
83
Broschek, J./Schultze, R.-O., Föderalismus in Kanada: Pfadabhängigkeiten
und Entwicklungswege, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch für Föderalismus 2002, Band 3, BadenBaden: Nomos 2002, S. 333-366.
33
petenzverteilung gesprochen werden kann oder nicht vielmehr bereits
andere Muster der Kompetenzverteilung, wie z.B. geteilte oder konkurrierende Kompetenzen, vorliegen.
4.2 Gleichzeitige Kompetenzverteilung
Bei Vorliegen von gleichzeitigen Kompetenzen kommt es in einem
Aufgabengebiet zu Überschneidungen im Bereich der Gesetzgebungsbzw. Entscheidungskompetenz, die Durchführungskompetenz liegt
i.a.R. bei den untergeordneten Gebietskörperschaften.84 Denkbar ist
sowohl eine gleichzeitige Kompetenz von nur zwei Ebenen für einen
Aufgabenbereich, als auch von allen gebietskörperschaftlichen Ebenen, also z.B. einschließlich der Kommunen. Hierbei besitzen die verschiedenen föderativen Ebenen, im Unterschied zum Muster der
geteilten oder gemeinsamen Kompetenzverteilung, jedoch weiterhin
eine eigenständige Gesetzgebungskompetenz. Eine gleichzeitige oder
parallele Kompetenzverteilung ist also dadurch gekennzeichnet, dass
die Aufgabenzuständigkeit für einen Bereich zwar zwischen zwei oder
mehr föderativen Ebenen aufgeteilt ist, die Gesetzgebung der beteiligten Ebenen sich jedoch nicht gegenseitig ausschließt bzw. sich ergänzen muss, um eine sinnvolle Zusammenarbeit und damit auch Aufgabenbewältigung zu erreichen. Obwohl der Zentralstaat i.a.R. die
grundlegende Gesetzgebungszuständigkeit besitzt und den Gliedstaaten zumeist „lediglich“ die ausführende Gesetzgebung zugesprochen
wird, kann der Zentralstaat bei einer gleichzeitigen Kompetenzverteilung keine verdrängende Gesetzgebung erlassen, wie dies bei einer
konkurrierenden Kompetenzverteilung der Fall ist.85 Insgesamt sind
damit für Aufgabenbereiche, die einer gleichzeitigen Kompetenzverteilung unterliegen, verschiedene Varianten und Regeln der Aufgabenerfüllung denkbar, so dass sich im Kontext dieses Kompetenzverteilungsmusters drei verschiedene Falltypen unterscheiden lassen: eine
gleichzeitige Gesetzgebungskompetenz zwischen Zentral- und Glied-
84
Bei parallelen Kompetenzen können somit Bund und Gliedstaaten gleichzeitig und unabhängig voneinander in einem Sachgebiet tätig werden. Wenn
der Bund seine Kompetenz ausübt, gehen die Befugnisse der Gliedstaaten
im entsprechenden Sachgebiet nicht unter. Vgl. Haller, W./Kölz, A., Allgemeines Staatsrecht, a.a.O., S. 160.
85
Bund und Gliedstaaten können im betreffenden Aufgabenbereich also gleichzeitig und teilweise unabhängig voneinander tätig sein. Vgl. ebenda, S. 160.
34
staaten, eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes sowie eine
Rahmengesetzgebungskompetenz der Gliedstaaten.86
Erstens kann die Entscheidungskompetenz gleichzeitig bei Zentralund Gliedstaaten liegen, so dass in aller Regel eine aufeinander abgestimmte Gesetzgebung zwischen den Ebenen erforderlich wird. Hierfür
können die folgenden Beispiele angeführt werden:
•
In Australien wird bspw. der Vertrieb bestimmter Produkte durch
aufeinander abgestimmte gesetzlichen Regelungen des Bundes,
der für den „interstate commerce“ zuständig ist und der Staaten,
die die Kompetenz für den „intrastate commerce“ besitzen, geregelt.
•
Ebenfalls unter dieses Kompetenzverteilungsmuster fällt die in
Österreich praktizierte sog. „paktierte Gesetzgebung“. Hierunter
wird ein Rechtsbefehl verstanden, dessen Gültigkeit erst vorliegt,
„...wenn zwei übereinstimmende formelle Gesetze vorliegen. Es
bedarf also zweier Gesetzgebungsakte mit gleichem Inhalt, wobei
jedes Gesetz die unerlässliche Geltungsbedingung für das andere
ist. Verbindlichkeit entsteht erst bei Vorliegen beider Gesetze.“87
Inhaltlich hat die paktierte Gesetzgebung die Änderung des
Bundes- oder Landesgebietes, die Änderung bestimmter Bundesoder Landesgesetze (gem. §42 Ziffer 3) sowie bestimmte lokale
Aufgaben der Polizei zum Gegenstand.88
•
In der Schweiz besitzen der Bundesstaat und die Kantone gleichzeitige Kompetenzen im Bereich des Hochschulwesens. Der Bund
darf gem. Art. 63 Abs. 2 BV technische Hochschulen und andere
Bildungsanstalten errichten, betreiben oder unterstützen, gleich-
86
Der zuletzt genannte Fall einer „Rahmengesetzgebung“ der Länder, der dann
eine entsprechende Gesetzgebung des Bundes folgt, ist zwar logisch denkbar, aber in der Realität nicht vorfindbar. Er wird daher nicht weiter betrachtet.
87
Koja, F., Das Verfassungsrecht der österreichischen Bundesländer, Wien
u.a.: Springer 1967, S. 173.
88
Vgl. Altenstetter, C., Der Föderalismus in Österreich unter besonderer Berücksichtigung der politischen Verhältnisse von 1945-1966, Heidelberg:
Quelle und Meyer 1969, S. 67. Bis zum Jahr 1962 unterlag auch das gesamte Schul-, Erziehungs- und Volksbildungswesen der paktierten Gesetzgebung.
35
wohl wird dadurch die eigene Zuständigkeit der Kantone in diesem Aufgabenbereich nicht ausgeschlossen.89
•
In den USA bestehen gleichzeitige Kompetenzen bei den Regelungen zur Kreditvergabe, d.h. sowohl der Bundesstaat als auch
die Gliedstaaten können selbstständig darüber bestimmen, welche Institutionen sie unterstützen und fördern möchten.
Häufiger ist jedoch der zweite Fall zu beobachten, die sog. Rahmen-,
Grundlagen- oder Basisgesetzgebung. Hierbei besitzt die Zentralebene
die Kompetenz, gewisse einheitliche Vorgaben oder Mindeststandards
für einen Aufgabenbereich festzulegen, den nachgeordneten föderativen Ebenen verbleibt jedoch noch legislativer Spielraum für eigene
Entscheidungs- und/oder Durchführungsinitiativen. Beispiele für diese
Form der Kompetenzaufteilung sind:
•
Die Rahmengesetzgebung des Bundes in Deutschland (Art. 75
GG). Hierbei erlässt der Bund lediglich eine Rahmenvorschrift für
die Gesetzgebung der Länder. Die Länder sind dann innerhalb
einer gesetzlichen Frist dazu verpflichtet, die Vorschriften des
Bundes durch Landesgesetze auszufüllen. Beispiele hierfür sind
die Rechtsverhältnisse der im öffentlichen Dienst stehenden Personen, die allgemeinen Grundsätze des Hochschulwesens oder
Bodenverteilung und Raumordnung.
•
Auch in Österreich lassen sich bestimmte Aufgabengebiete finden, die diese Form der Kompetenzverteilung aufweisen. So wird
dem Bund gem. Art. 12 B-VG für bestimmte Aufgabenbereiche,
wie etwa die Bodenreform oder der Schutz der Pflanzen vor
Krankheit und Schädlingen, lediglich eine Gesetzgebung über die
Grundsätze zugeteilt, während es gem. Art. 15 B-VG der Gesetzgebung der Länder obliegt, spezifische Bestimmungen über
die Ausführung dieser Grundsätze zu treffen.90
•
Mit dieser Art der Rahmengesetzgebung in typologischer Hinsicht
teilweise vergleichbar, ist die spanische Basisgesetzgebung.91
89
Vgl. Ehrenzeller, B. u.a., Die schweizerische Bundesverfassung – Kommentar, Lachen: Dike 2002, Art. 63, N 12.
90
Vgl. Wiederin, E., Bundesrecht und Landesrecht, Wien/New York: Springer
1995, S. 146.
91
Vgl. zum folgenden Blanke, H.-J., Föderalismus und Integrationsgewalt,
Berlin: Duncker und Humblot 1991, S. 91 ff.
36
Hierbei handelt es sich um eine staatliche Gesetzgebungskompetenz, die eine nachfolgende Beteiligung der Autonomen Gemeinschaften an der Gesetzgebung vorsieht. Das Verhältnis zwischen
den Grundlagengesetzen des Zentralstaates und der Ausführung
durch die Autonomen Gemeinschaften umfasst dabei nicht nur
die Durchführungs- oder Handlungskompetenz, sondern überlässt
den Gliedstaaten auch einen gewissen legislativen Entscheidungsspielraum, d.h. die Grundlagengesetzgebung bildet für die Autonomen Gemeinschaften lediglich eine Schranke, die es zu beachten gilt, keineswegs aber Grundsätze, die sie auszuführen haben.92
•
Eine besondere Form dieser Aufgabenintegration zwischen Bund
und Gliedstaaten findet sich schließlich vor allem in den USA und
Kanada über die sog. Subventionsgesetze. Hierbei erlässt der
Zentralstaat ein Gesetz, die Auszahlung von finanziellen Mitteln
an die Gliedstaaten wird jedoch davon abhängig gemacht, dass
die Gliedstaaten ihrerseits legislativ tätig werden.93 Diese parallele
Gesetzgebung, verstanden im Sinne von sich ergänzenden Rechtserlassen, war in den Vereinigten Staaten eine der ersten Zusammenarbeitsformen, die in der amerikanischen Föderalismusdiskussion zur „Theorie des kooperativen Föderalismus“ geführt
hat.94 Die bedeutendsten operativen Instrumente hierbei sind die
sog. „cross-cutting regulations“, d.h. vom Bund festgesetzte Auflagen, die bestimmte Verwaltungsmaßnahmen oder Verfahren
vorsehen (wie z.B. Umweltverträglichkeitsprüfungen) oder die
sog. „cross-over sanctions“, bei denen die finanzielle Unterstützung des Bundes nur erfolgt, wenn in einem anderen Programmbereich vom Kongreß vorgegebene Normen erfüllt werden.
Insofern kann von einer Institutionalisierung des kooperativen Föderalismus in den USA gesprochen werden, der durch Bundeszu-
92
Vgl. Tornos Más, J., Competencias de la Communidad Europea y de las
Communidades Autónomas en material de Medio Ambiente, S. 297, zitiert
nach Blanke, H.-J., Föderalismus und Integrationsgewalt, a.a.O., S. 96.
93
Vgl. Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in
rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 279.
94
Vgl. Frenkel, M., Föderalismus und Bundesstaat, Band II: Bundesstaat,
a.a.O., S. 139.
37
schüsse stimuliert worden ist.95 Auf diese Weise konnte auch die
gliedstaatliche Mitwirkung beim Vollzug erreicht werden, denn
die Beteiligung der Gliedstaaten als primäre Vollzugsträger von
Bundesprogrammen über die Finanzhilfegesetzgebung des Bundes widersprach auch nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Autonomieschutz der Gliedstaaten.96 So erfolgen
über 80% der Bundesfinanzzuweisungen in Gestalt von Zweckzuweisungen mit einem „...eng definierten Programmziel und
bindenden Auflagen ... sei es in Form einer Bindung an Bundesgesetze und deren Standards, wie z.B. dem Fair Labor Standards
Act oder dem Occupational Safety and Health Act oder im Rahmen von spezifischen Programmauflagen.“97 Zur Regelung im
Konfliktfall besitzt der Bund die Möglichkeit, die vom Kongreß
vorgegebenen Mindeststandards notfalls auch einseitig durchzusetzen und damit abschließend zu regeln.98
Problematisch in Bezug auf gleichzeitige Kompetenzen ist jedoch vor
allem die Frage, inwieweit Eingriffsrechte anderer Jurisdiktionen bestehen. Besitzt eine Jurisdiktion die Rahmenkompetenz, ist die genaue
Kompetenzabgrenzung noch weitgehend offen, weil zunächst jeweils
zu klären ist, wie umfassend der Begriff „Rahmen“ zu interpretieren
ist. So wird z.B. für Österreich festgestellt, dass der Bund „...bereits in
der Grundsatzgesetzgebung eine hohe Regelungsdichte vorzusehen,
die die Entscheidungskompetenz der nachgeordneten Gebietskörperschaft entsprechend einengt.“99 Die Funktionsfähigkeit der gleichzeiti-
95
Vgl. Kern, K., Die Entwicklung des Föderalismus in den USA: Zentralisierung
und Devolution in einem Mehrebenensystem, in: Swiss Political Science Review, 3. Jg. (1997), S. 1-169, S. 7 f.
96
Vgl. Annaheim, J., Die Gliedstaaten im amerikanischen Bundesstaat. Institutionen und Prozesse gliedstaatlicher Interessenwahrung in den Vereinigten
Staaten von Amerika, Berlin: Duncker und Humblodt 1992, S. 263.
97
Greß, F., Aktuelle Entwicklungen im amerikanischen Föderalismus, a.a.O.,
S. 346.
98
In diesem Fall wird von einer „partial preemption“ gesprochen. Vgl. hierzu
Gray, V./Hanson, R. L./Jacob, H. (Hrsg.), Politics in the American States: A
Comparative Analysis, Washington, D.C.: CQ Press 1999, S. 50.
99
Smekal, C., Zentralisation und Dezentralisation öffentlicher Aufgabenerfüllung aus finanzwissenschaftlicher Sicht, in: Pernthaler, P./Bußjäger, P.
(Hrsg.), Ökonomische Aspekte des Föderalismus, Wien: Braumüller 2001,
S. 69-79, S. 74.
38
gen Kompetenzverteilung wird daher entscheidend dadurch beeinflusst, ob im Kontext der Rahmengesetzgebung überhaupt noch Spielraum zur eigenen Gesetzgebung verbleibt oder sogar Detailregelungen
von der – zumeist übergeordneten – Ebene bestimmbar sind.
4.3 Geteilte Kompetenzverteilung
Sind die Kompetenzen zwischen zwei oder mehreren Staatsebenen geteilt, werden die Gesetze hauptsächlich auf der Ebene des Zentralstaats getroffen, während die Ausführung in den Verantwortungsbereich der untergeordneten Gebietskörperschaften fällt. Bei geteilten
Kompetenzen hat also der Bund für einen Aufgabenbereich alle
Macht, Gesetze und Vorschriften zu verabschieden, während die
Durchführungskompetenz für die Aufgabe bei den untergeordneten
Gebietskörperschaften liegt. Logisch möglich ist jedoch auch der vertikal gesehen umgekehrter Fall, d.h. eine Zuordnung der Entscheidungskompetenz auf die Gliedstaaten und der Durchführungskompetenz auf
den Zentralstaat. Dieser Bundesvollzug im gliedstaatlichen Gesetzgebungsbereich kommt jedoch lediglich als Ausnahme vor, und wird daher nicht weiter vertiefend behandelt.100 Diese Form der Kompetenzverteilung ist besonders charakteristisch für die europäischen
Föderalismussysteme.101 Als Beispiele für den Typus der geteilten
Kompetenzen können herangezogen werden:
•
Das föderative System in der Bundesrepublik Deutschland, weil
hier die Verwaltungskompetenz in wesentlichen Aufgabenbereichen
nicht der Zuordnung der Gesetzgebungskompetenz entspricht.
Diese Form der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern findet in Art. 30 GG ihren Ausdruck, wo es heißt: „Die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben ist Sache der Länder, soweit dieses Grundgesetz
keine andere Regelung trifft oder zulässt.“ Das Grundgesetz geht
100 So haben z.B. in Brasilien alle drei Staatsebenen die Möglichkeit, beim Vollzug der Aufgaben auf die Dienste der jeweils anderen Ebenen zurückzugreifen. Vgl. Frenkel, M., Föderalismus und Bundesstaat, Band II, a.a.O., S. 130 f.
101 Im Zusammenhang mit den föderativen Systemen der Bundesrepublik
Deutschland, Österreichs und in Teilen auch der Schweiz wird daher oftmals
auch von „Vollzugsföderalismus“ gesprochen. Vgl. Haller, W./Kölz, A., Allgemeines Staatsrecht, a.a.O., S. 156.
39
davon aus, dass die Länder die Ausführung der Bundesgesetze
grundsätzlich als eigene Angelegenheiten vornehmen (Art. 83 und
84 GG). In Ausnahmefällen führen die Gliedstaaten eine Auftragsverwaltung (Art. 85 GG) durch, d.h. mit verstärkter Einflussnahme des Bundes. In Art. 87 des Grundgesetzes finden sich daher nur wenige Bereiche, in denen die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben durch Bundesbehörden festgelegt ist. Hierzu
zählen die Bundesfinanzverwaltung, die Bundeswehr, das Eisenbahn-, Post- und Telekommunikationswesen sowie der Luftverkehr. Auch kann der Bund, sofern ihm hierfür die Gesetzgebung obliegt, selbstständige Bundesoberbehörden mit eigener
Verwaltung errichten, wie dies bspw. für den Bereich der Sozialversicherung vom Grundgesetz vorgesehen ist.
•
In Österreich besteht eine geteilte Aufgabenkompetenz zwischen
Bund und Ländern im Bereich der allgemeinen und berufsbildenden Schulen, lediglich die Grundschulen, Kindergärten und sonstige Bereiche der sozialen Infrastruktur obliegen der Zuständigkeit der Länder und Gemeinden. Die Länderverwaltung ist in erster Linie eine sog. „mittelbare Bundesverwaltung“, d.h. der gewählte Landeshauptmann (Ministerpräsident eines Landes) ist
Träger der Bundesverwaltung im Land und gegenüber dem Bundesinnenminister weisungsgebunden.102 Die in der österreichischen Bundesverfassung festgelegte Kompetenzzuteilung weist
die Besonderheit auf, sich nur auf die hoheitliche Verwaltung zu
beziehen, was jedoch die Stellung des Bundes und der Länder als
Träger von Privatrechten in keiner Weise berührt. Es besteht noch
die Möglichkeit der sog. Privatwirtschaftsverwaltung (Art. 17 BVG), bei der sowohl Bund als auch Länder in privatrechtlicher
Form tätig werden können, ohne an die Kompetenzverteilung gebunden zu sein.103 Dadurch wird es möglich, dass auch die Län-
102 Vgl. Pernthaler, P., Das föderalistische System Österreichs, in: Meier-Walser, R. C./Hirscher, G. (Hrsg.), Krise und Reform des Föderalismus, München: Olzog 1999, S. 210-225, S. 213.
103 Vgl. Gamper, A., Österreich – Das Paradoxon des zentralistischen Bundesstaates, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen
(Hrsg.), Jahrbuch für Föderalismus 2002, Band 3, Baden-Baden: Nomos
2002, S. 251-265, S. 253.
40
der in Aufgabenbereichen tätig werden, die sich in der Kompetenz des Bundes befinden und vice versa.104
•
Aber auch das an sich getrennte System der Schweiz kennt diese
Art der geteilten Kompetenzverteilung. Zwar enthält die schweizerische Bundesverfassung keine allgemeinen Bestimmungen über
die Verteilung von Ausführungsbefugnissen, wie dies in der Bundesrepublik Deutschland der Fall ist; vielmehr folgt hier wie gesehen die Verwaltungszuständigkeit der Gesetzgebungszuständigkeit.105 Jedoch existieren einige Artikel der Verfassung, die für
bestimmte Aufgabenbereiche wie bspw. Maße und Gewichte, den
Gewässerschutz oder die Ausländerpolizei, die Ausführung oder
die Beteiligung von Bundesgesetzen durch die Kantone vorsehen.
Trotz einer getrennten Kompetenzverteilung ist es dem Bund also
in bestimmten Aufgabenbereichen qua Verfassung gestattet, die
Durchführungskompetenz auf die Kantone zu übertragen. In den
genannten Aufgabenbereichen verfügt der schweizerische Bundesstaat auch über die entsprechenden Aufsichtsrechte, um die
kantonale Ausführung zu kontrollieren. Weiterhin ist es sogar zulässig, dass der Bund in denjenigen Bereichen, in denen der Vollzug von Bundesgesetzen den Kantonen übertragen wurde, auch
den Aufbau und Ablauf der Behörden regeln kann.106
•
Auch die Verfassung Spaniens kennt geteilte Kompetenzen zwischen dem Zentralstaat und den Autonomen Gemeinschaften. Jedoch verfügt der Zentralstaat hierbei über ein verfassungsrechtlich ausreichendes Instrumentarium, um im nationalen Interesse
die Kompetenzen an sich zu ziehen.
•
Als weiteres Beispiel für den Fall von geteilten Kompetenzen kann
schließlich die Europäische Union herangezogen werden. Als supranationale Ebene kann sie für einen bestimmten Aufgabenbereich, wie bspw. den Agrarsektor, über alle notwendigen Kompetenzen verfügen, Gesetze und Anweisungen zu verabschieden, sie
ist jedoch ohne eine eigene Administration auf der Ebene der
Länder bei der Durchführung im allgemeinen auf die zentralstaat-
104 Die Länder können z.B. Universitäten unterstützen oder sogar im Bereich der
auswärtigen Angelegenheiten tätig werden.
105 Vgl. Aubert, J. F., Traite de droit constitutionnel suisse, a.a.O., S. 277 ff.
106 Vgl. Brügger, F., Die Kompetenzverteilung zwischen dem Bund und den
Kantonen, S. 100 ff.
41
liche Ebene der Mitgliedsländer angewiesen, die dafür Sorge zu
tragen haben, dass die entsprechenden Richtlinien auch in nationales Recht umgesetzt werden.107
Insgesamt wird die Funktionsweise einer geteilten Kompetenzverteilung maßgeblich dadurch beeinflusst, inwieweit die legislativen Vorgaben der entscheidungsbefugten Ebene auch die Durchführungskompetenzen der vollziehenden Ebene beeinflussen. Der „Normalfall“ eines Vollzugs von Bundesrecht durch die Gliedstaaten setzt dabei ein
kooperative Verhältnis zwischen Bund und Gliedstaaten voraus: Zwar
sind in aller Regel die Gliedstaaten zum Vollzug des Bundesrechts
verpflichtet, jedoch besitzt der Bund nur eine auf die Rechtskontrolle
beschränkte Oberaufsicht über die vollziehenden Gliedstaaten und
kann damit „...bei Ermessensfragen wenig Einfluss nehmen, ja nicht
einmal stets einen gesetzestreuen Vollzug garantieren.“108 Daher lassen
sich bei diesem Kompetenzverteilungsmuster häufig weitergehende
Regelungen finden, die für bestimmte Bundesangelegenheiten auch
Einmischungen in die gliedstaatliche Vollzugskompetenz vorsehen, bis
hin zum Aufbau eigenständiger Verwaltungseinheiten.109
4.4 Gemeinsame Kompetenzverteilung
Eine gemeinsame Kompetenzverteilung ist dadurch gekennzeichnet,
dass zwei oder mehr föderative Ebenen bei der Entscheidung zusammenarbeiten müssen, wobei die entsprechende Durchführungskompetenz entweder von einer Ebene allein übernommen werden kann, an
eine untergeordnete Ebene delegiert werden kann oder über eine gemeinsame institutionelle „Außenstelle“ erledigt wird. Die gemeinsame
Kompetenzverteilung kann also dadurch charakterisiert werden, dass
mittels eines institutionellen Verbundes versucht werden soll, einen
bestimmten Aufgabenbereich in direkter Zusammenarbeit zu erfüllen.
Als Hauptmerkmale der gemeinsamen Kompetenzverteilung können
107 Vgl. Braun, D., Hat die vergleichende Föderalismusforschung eine Zukunft?,
a.a.O., S. 110.
108 Haller, W./Kölz, W., Allgemeines Staatsrecht, a.a.O., S. 167.
109 In der Bundesrepublik können bspw. gemäß Art. 87 Abs. 3 für Bundesangelegenheiten selbständige Bundesoberbehörden, bundesunmittelbare Körperschaften sowie Anstalten des öffentlichen Rechts durch Bundesgesetze errichtet werden.
42
zum einen die gemeinsame Planung, zum anderen eine gemeinsame
Finanzierung, zumeist über spezielle Gemeinschaftseinrichtungen, der
Gebietskörperschaften gelten.
Als reale verfassungsrechtliche Erscheinungsform und zugleich eine
Besonderheit des deutschen Systems, können die sog. Gemeinschaftsaufgaben der Art. 91 a und b GG angesehen werden, die den Bund
und die Länder zu einer Zusammenarbeit in den Bereichen Agrarstruktur und Küstenschutz, Aus- und Neubau von Hochschulen (inklusive
der Hochschulkliniken) sowie der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur verpflichten. Außerdem arbeiten Bund und Länder
auch bei der Forschungsförderung und der Bildungsplanung zusammen. In den entsprechenden Ausführungsgesetzen zu den drei genannten Gemeinschaftsaufgaben ist festgelegt, dass für jede Aufgabe
ein gemeinsamer Rahmenplan von einem Planungsausschuss, der aus
dem Bundesminister und je einem Landesminister besteht, aufzustellen ist.
Ähnliche institutionelle Arrangements wie die Gemeinschaftsaufgaben der Bundesrepublik und damit eine gemeinsame Kompetenzverteilung lassen sich jedoch auch in anderen Bundesstaaten wieder finden, wenngleich diese auch nicht in den entsprechenden Verfassungen ihren Niederschlag gefunden haben:
•
In der Schweiz hat es bspw. immer wieder Versuche gegeben, die
Idee einer Gemeinschaftsaufgabe zu verwirklichen. So sollte das
gesamte kantonale Bildungswesen Anfang der 70er Jahre zu
einer gemeinsamen Aufgabe von Bund und Kantonen umgestaltet
werden.110
•
Selbst im föderativen System der USA lassen sich Formen der
gemeinsamen Kompetenzverteilung finden. Im Rahmen der sog.
„Mischverwaltung“ kommt es zu einer gemeinsamen Ernennung
und Bezahlung der Bediensteten durch den Bund und die Einzelstaaten.111 So sind z.B. die einzelstaatlichen Geologen oftmals
zugleich die regional zuständigen Beamten des United States
Geologic Survey.
110 In der Abstimmung am 4.3.1973 wurde dieser Vorschlag jedoch knapp abgelehnt. Vgl. Hangartner, Y., Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und
Kantonen, Bern u.a.: Lang 1974, S. 204.
111 Vgl. hierzu bereits Council, Patterns of Intergovernmental Cooperation, Report BM-324, Chicago 1959.
43
•
Auch die sog. „unterstützenden Maßnahmen“ der Union (Art. 11
Abs. 5 EU-VE) können in gewisser Hinsicht zu den gemeinsamen
Kompetenzen gerechnet werden. Zwar handelt es sich in den
genannten Bereichen, wie etwa Sport, Kultur und Bildung, um
grundsätzliche Kompetenzen der Mitgliedstaaten, die Union darf
jedoch Maßnahmen zur Koordination oder Unterstützung ergreifen.
Als wesentliches Merkmale einer gemeinsamen Kompetenzverteilung
kann daher die verflochtene Entscheidungszuständigkeit genannt werden, die ein kooperatives Verhalten der beteiligten föderativen Ebenen
voraussetzt. Diese Zusammenarbeit kann auf freiwilliger Basis erfolgen
oder durch eine bundesrechtliche Norm vorgesehen sein.
4.5 Konkurrierende Kompetenzverteilung
Im Fall der echten konkurrierenden Kompetenzverteilung haben die
verschiedenen Staatsebenen, wie der Begriff bereits nahe legt, dieselbe Zuständigkeit für einen Aufgabenbereich, also z.B. Doppelkompetenzen für die Errichtung von Hochschulen. Der „Normalfall“ ist jedoch die sog. unechte Konkurrenz bei der Gesetzgebungs- oder Verwaltungskompetenz, d.h. eine Aufgabe verbleibt solange im Regelungsbereich einer Gebietskörperschaft (meistens der Gliedstaaten),
solange und soweit eine andere Gebietskörperschaft (i.a.R. der Zentralstaat) ihre mögliche Kompetenz nicht ausübt bzw. abschließend geregelt hat. Die konkurrierende Kompetenzverteilung beinhaltet somit
zwei Bedingungen: Einerseits muss es sich um eine Kompetenz handeln, die grundsätzlich einer Ebene zugesprochen worden ist, andererseits darf diese Jurisdiktion von dieser Kompetenz auch noch keinen
Gebrauch gemacht haben.112 So behalten bspw. die Gliedstaaten die
Gesetzgebungskompetenz bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Bundesstaat seine Kompetenz ausübt. Die Verfassungen der Bundesrepublik
Deutschland (§74, 74a GG), Indiens (7th Schedule III) und Kanadas
(§ 94a, 95) weisen sogar explizite Listen mit den Bereichen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz auf, aber auch in den bereits
angesprochenen Systemen mit einer getrennten Kompetenzverteilung
lassen sich Aufgabenbereiche finden, die eine konkurrierende Kompetenzverteilung aufweisen.
112 Vgl. Haller, W./Kölz, A., Allgemeines Staatsrecht, a.a.O., S. 160.
44
Innerhalb dieses Musters der Kompetenzverteilung lassen sich vier
verschiedene Varianten einer konkurrierenden Kompetenzverteilung
feststellen113: So kann erstens die Entscheidungskompetenz durch Gesetz bzw. Nichtausübung vom Zentralstaat auf die Gliedstaaten übertragen werden. In gleicher Art und Weise kann zweitens die Durchführungskompetenz von „oben“ nach „unten“ verschoben werden. In vertikaler Hinsicht umgekehrter Richtung besteht zudem auch die Möglichkeit, dass die Gliedstaaten durch die Nichtausübung ihrer Kompetenz die Entscheidungszuständigkeit auf den Zentralstaat transferieren.
Schließlich ist es viertens möglich, dass die Gliedstaaten ihre Durchführungskompetenz an den Zentralstaat abtreten.114
Am häufigsten in der Realität föderativer Systeme anzutreffen ist
der zuerst genannte Fall. Als Beispiel hierfür kann die konkurrierende
Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland genannt werden.
Gemäß Art. 72 GG besitzen die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Kompetenz zur Gesetzgebung nicht Gebrauch gemacht hat. Der Gegenstandsbereich der
konkurrierenden Gesetzgebung ist in Art. 74 GG aufgezählt und umfasst u.a. das bürgerliche Recht, das Vereins- und Versammlungsrecht
und das Arbeitsrecht. Allerdings kommt bei der konkurrierenden Gesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland (Art. 72 GG) zu den
oben genannten Bedingungen noch eine weitere Bedingung hinzu, die
sog. Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG.115 Hiernach besitzt
113 Streng genommen müsste in terminologischer Hinsicht zwischen einer Übertragung von Kompetenzen und einer Enthaltung von Regelungszuständigkeiten zwischen den gebietskörperschaftlichen Einheiten unterschieden werden,
was praktisch jedoch nahezu identisch ist. Mit anderen Worten: Im Falle von
konkurrierenden Kompetenzen macht es für unsere Fragestellung wenig Sinn
zu unterscheiden, ob die Gliedstaaten durch ein Gesetz des Bundes „ermächtigt“ werden oder ob ein Gesetz des Bundes den Gliedstaaten bestimmte Bereiche zur autonomen Regelung „übrig lässt“. Vgl. hierzu auch Aubert
J.-F., Traité de droit constitutionnel suisse, Bd. 1, a.a.O., S. 272 f.
114 Einschränkend zu beachten ist hierbei jedoch, dass dies i.a.R. nicht bei sog.
ausschließlichen Bundes- oder Gliedstaatenkompetenzen möglich ist, da
dann jegliche Zuständigkeit der anderen Ebene im betreffenden Sachgebiet
untergeht, und zwar auch dann, wenn bspw. der Bund von seiner Kompetenz keinen Gebrauch gemacht hat. Die Gliedstaaten bleiben auch in diesem
Fall von der Regelung ausgeschlossen. Vgl. Haller, W./Kölz, A., Allgemeines
Staatsrecht, a.a.O., S. 160.
115 Vgl. Ipsen, J., Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 15. Aufl., München:
Luchterhand 2003, N 559.
45
der Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz nur dann,
wenn in einem Aufgabenbereich gleichwertige Lebensverhältnisse hergestellt oder die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse geregelt werden sollen.
In Kanada besteht eine konkurrierende Kompetenzverteilung, ebenfalls mit Vorrang der Bundesgesetzgebung, für die Bereiche der Landwirtschaft und des Einwanderungswesens. Darüber hinaus hat die
Rechtsprechung angesichts der unklaren Kompetenzverteilung in der
kanadischen Verfassung bereits sehr früh die Möglichkeit der konkurrierenden Gesetzgebung auch für Aufgabenfelder für zulässig gehalten,
die außerhalb der in sec. 95 genannten Aufgabenbereiche liegen. „Immerhin lässt sich wohl sagen, daß dann, wenn eine Frage nicht in den
Kernbereich einer in sec. 91 oder 92 ausdrücklich genannten Zuständigkeiten fällt, Konkurrenz möglich ist.“116 Hierfür bietet das Verkehrsstrafrecht ein gutes Beispiel, das einerseits unter die Bundeskompetenz für das Strafrecht fällt, andererseits aber auch im Zuständigkeitsbereich der Provinz zur Regelung des Verkehrs auf den Provinzstaaten
liegt.
Beispiele für diese Form der Aufgabenverteilung bieten jedoch nahezu alle föderativen Verfassungen, auch wenn die entsprechenden öffentlichen Aufgabenbereiche nicht explizit in der Verfassung aufgeführt
sind:
•
In der Schweiz fällt z.B. das Strafprozessrecht (gem. Art. 123 BV)
in die Zuständigkeit des Bundes. Weil es jedoch bislang noch keine
schweizerische Strafprozessordnung gibt, bleiben die kantonalen
Strafprozessordnungen bis zum in Kraft treten eines entsprechenden Bundeserlasses gültig.117
•
Auch in den USA ist es anerkannte Gesetzgebung, dass der Bund
den Gliedstaaten bestimmte Materien zur Regelung überlassen
kann. Hierzu wird häufig ein Bundesgesetz erlassen, mit dem die
entsprechende Regelungskompetenz an die Staaten abgetreten
116 Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 179.
117 Vgl. Ehrenzeller, B. u.a., Die schweizerische Bundesverfassung – Kommentar, a.a.O., Art. 123, N 9.
46
wird.118 Andererseits ist es in den Vereinigten Staaten jedoch
nicht zulässig, bestimmte Kompetenzen des Bundes, die nach der
Rechtsprechung als „ausschließlich“ angesehen werden, auf die
Gliedstaaten zu übertragen.119
•
Ebenfalls fallen die meisten Kompetenzen des australischen Commonwealth in die Kategorie der konkurrierenden Kompetenzen,
d.h. sie können auch von den Gliedstaaten wahrgenommen werden. Sofern hierdurch eine rechtliche Inkonsistenz entsteht, d.h.
ein Bundesgesetz nicht mit dem entsprechenden Gesetz eines
Gliedstaates übereinstimmt, hat das Bundesgesetz Vorrang.
•
Eine ähnliche Situation besteht auch in Spanien, da die in der
Verfassung aufgeführten Kompetenzkataloge von Bund und Autonomen Gemeinschaften zusammengenommen nicht erschöpfend
sind, d.h. es verbleiben öffentliche Aufgabenbereiche, für die keine eindeutige Zuständigkeit festgelegt ist. Hier greift die Verfassungsregel des Art. 149.3, nach der die verbleibende Residualkompetenz von den Autonomen Gemeinschaften übernommen
werden kann. Wird dieses Recht jedoch nicht wahrgenommen,
fällt die Kompetenz an den Zentralstaat zurück.120
•
Eine konkurrierende Kompetenzverteilung ist ebenfalls auch im
Verfassungsentwurf für die Europäische Union vorgesehen. Die
konkurrierenden Zuständigkeiten zwischen der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten sind in Art. 11 Abs. 2 EU-Verfassungsentwurf festgelegt. Hiernach können die Mitgliedstaaten in
den Aufgabenbereichen Landwirtschaft und Fischerei, Verkehr,
Energie, Sozialpolitik, Umwelt- und Verbraucherschutz sowie
dem Gesundheitswesen (Art. 12 Abs. 2 EU-VE) sofern und soweit
ihre Gesetzgebungskompetenz wahrnehmen, wie die Union ihre
118 Vgl. Graves, W. B., American Intergovernmental Relations. Their Origins, Historical Development and Current Status, New York: Scripner 1964, S. 165 f.,
der als Beispiel hierfür die Mietkontrolle nennt.
119 „If the Constitution excluded the States from making any law regulating
commerce, certainly the Congress cannot regrant, or in any manner revonvey
to the States that power.“, vgl. Cooley vs. Board of Wardens, Anm. 129, zitiert nach Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in
rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 261.
120 Dies ist z.B. der Fall, wenn im sog. Autonomiestatut einer Autonomen Gemeinschaft die Wahrnehmung einer entsprechenden Aufgabenkompetenz
nicht vorgesehen ist.
47
Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese
Kompetenz nicht auszuüben.
Für den zweiten genannten Fall, die Übertragung von Durchführungskompetenzen vom Bund auf die Staaten, kann wiederum auf den amerikanischen Föderalismus zurückgegriffen werden. Hier bedient sich
der Bund bei der Durchführung von Bundesgesetzen oftmals gliedstaatlicher Behörden oder Beamter, denen die Wahrnehmung einer
bestimmten Aufgabe übertragen wird.121 Möglich ist diese Form der
Aufgabenkooperation auf allen föderativen Ebenen, es ist jedoch vor
allem der Bund, der bei der Ausführung seiner Aufgaben auf die gliedstaatliche Bürokratie zurückgreift.122 Im Bereich des Kraftverkehrswesens wurden bspw. die zuständigen Landesbeamten mit der Durchführung von Verwaltungsaufgaben eines Bundesgesetzes betraut.123
Über den Weg einer förmlichen Beauftragung der Staatsbediensteten
einer Ebene durch die andere „...hat sich exra legem ein »Landesvollzug von Bundesgesetzen« entwickelt.“124 Zwar bestehen in diesem
Fall gewisse Ähnlichkeiten mit dem Muster der geteilten Kompetenzen, bei dem ja auch der Zentralstaat entscheidet, während die Kompetenz zur Durchführung den Gliedstaaten zugeordnet wird. Im Unterschied hierzu bleibt jedoch die klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen den föderativen Ebenen weiterhin bestehen.
In aller Regel kritisch beurteilt wird der dritte Fall, die Übertragung
von originären Entscheidungskompetenzen der Gliedstaaten auf die
Bundesebene, weil diese Möglichkeit die Gefahr einer zunehmenden
Zentralisierung aufweist. Aus diesem Grund wird daher in den USA
diese Form der Kompetenzübertragung für grundsätzlich nicht zulässig
121 In finanzieller Hinsicht bleibt in diesen Fällen ein Bediensteter bei der Anstellungskörperschaft beschäftigt, die beauftragende Behörde erstattet lediglich diejenigen Kosten, die infolge der „Fremdbeauftragung“ entstanden sind.
122 Vgl. Clark, J. P., The Rise of a New Federalism, New York 1938, S. 90 ff.
123 Es handelte sich hierbei um den Motor Carrier Act von 1935, einem
Bundesgesetz über den Kraftverkehr, vgl. Kauper, P. G., Utilization of State
Commissioners in the Administration of the Federal Motor Carrier Act,
Michigan Law Review, Vol. 34 (1935/36), S. 37-84, S. 70 ff.
124 Ehringhaus, H., Der kooperative Föderalismus in den Vereinigten Staaten
von Amerika, a.a.O., S. 78.
48
erachtet.125 Gänzlich anders stellt sich dieser Sachverhalt aber z.B. in
der spanischen Föderation dar. Sofern die Autonomen Gemeinschaften
von den ihnen eingeräumten ausschließlichen Entscheidungskompetenzen (Art. 148) durch eine Übernahme in ihr jeweiliges Autonomiestatut keinen Gebrauch gemacht haben, fällt die entsprechende –
nicht-ausgeübte – Zuständigkeit an den Zentralstaat zurück.126 „Auf
den ersten Blick wirkt sich die doppelte Residualklausel in dieser
Wettbewerbssituation sowohl zugunsten der Autonomen Gemeinschaften aus, da sie alle nicht ausdrücklich dem Zentralstaat vorbehaltenen
Kompetenzen beanspruchen können, als auch zugunsten des Zentralstaats, da diesem alle Residualkompetenzen zustehen, welche die Autonomen Gemeinschaften nicht an sich ziehen.“127 Auch in Australien
kann die Übertragung von Gesetzgebungsgewalten vom Einzel- auf
den Zentralstaat jederzeit (über eine Abwicklung gem. Absatz 27 der
Sektion 51 Commonwealth Constitution) erfolgen, sofern die hierfür
erforderlichen positiven Abstimmungen in den Volksvertretungen jeden
einzelnen Gliedstaates vorliegen.128 Allerdings ist dieser „Kompetenztransfer“ von legislativen Befugnissen, wie der australische High Court
festgestellt hat, nur in dieser Richtung möglich und – sofern einmal erfolgt – auch irreversibel.129
Schließlich verbleibt noch die vierte Variante dieses Kompetenzverteilungsmusters, die Übertragung von gliedstaatlichen Durchführungskompetenzen auf den Zentralstaat. Als Beispiel für die zentralstaatliche Erfüllung von gliedstaatlichen Durchführungskompetenzen kann
der Federal-State Tax Collection Act von 1972 in den USA genannt
125 Vgl. hierzu Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates
in rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 261 mit weiteren Nachweisen.
126 Vgl. Blanke, H.-J., Föderalismus und Integrationsgewalt, a.a.O., S. 85.
127 Barrios, H., Spanien – Politische Dezentralisierung als flexibles Verhandlungssystem, in: Europäisches Zentrum für Föderalismus-Forschung Tübingen (Hrsg.), Jahrbuch für Föderalismus 2000, Band 1, Baden-Baden: Nomos 2000, S. 308-320, S. 317.
128 Vgl. Münch-Heubner, P. L., Dezentralisierung und Verfassungsreform in Kanada und Australien, in: Meier-Walser, R. C./Hirscher, G. (Hrsg.), Krise und
Reform des Föderalismus, München: Olzog 1999, S. 183-209, S. 200.
129 Vgl. Münch, P. L., Die Entwicklung des australischen Föderalismus. Vom
„unechten“ Staatenbund zum „unechten“ Bundesstaat, in: Der Staat, 2/1996,
S. 284-301.
49
werden, der die Steuereinziehung der gliedstaatlichen Einkommensteuer durch die Bundesfinanzbehörden vorsieht.130
Zusammengefasst ist für eine Beurteilung der konkurrierenden
Kompetenzverteilung somit ausschlaggebend, welche Möglichkeiten
der Kompetenzüberlassung zwischen den föderativen Ebenen jeweils
überhaupt vorgesehen sind, d.h. auf welche Art von Kompetenzen sich
die Konkurrenz zwischen den Ebenen bezieht, entweder Entscheidungs- oder Durchführungskompetenz oder sogar beide. Weiterhin ist
bei der konkurrierenden Verteilung der Aufgabenzuständigkeit im föderativen Staat zu beachten, in welcher Richtung die Kompetenzüberlassung zwischen den Ebenen zulässig ist, d.h. nur von der übergeordneten zur untergeordneten Ebene oder auch umgekehrt.
5. Beurteilung anhand der Kriterien der ökonomischen Theorie
des Föderalismus
Die Darstellung der unterschiedlichen Muster der Kompetenzverteilung
erfolgte hier in erster Linie unter dem Blickwinkel einer funktionalen
Differenzierung von Kompetenzen, wobei als grundlegendes Unterscheidungsmerkmal der funktionalen Differenzierung die Trennung
zwischen dem Entscheidungsrecht (der Gesetzgebungskompetenz)
und dem Durchführungsrecht (der Vollzugs- oder Verwaltungskompetenz) diente.131 Mit der solchermaßen ausdifferenzierten Darstellung
von fünf möglichen Mustern der Kompetenzverteilung ist ein analytischer Rahmen für den Aufgabenvergleich zur Verfügung gestellt worden, der zumindest über die ansonsten häufig verwendeten Grobraster
des Vergleichs – wie etwa Wettbewerbs- oder Verwaltungsföderalismus, föderativer oder unitarischer Staatsaufbau, dezentralisiertes oder
zentralisiertes System, hinaus reicht. Werden die in Abschnitt 3 dargelegten sozio-ökonomischen Kriterien mit den hier ausdifferenzierten
130 Vgl. Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in
rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 263.
131 Auch in den Politikwissenschaften findet sich eine solche Trennung. Vgl.
Keman, H., Federalism and policy performance. A conceptual and empirical
inquiry, in: Wachendorfer-Schmidt, U. (Hrsg.), Federalism and political performance, London 2001, S. 196-227.
50
Formen der Kompetenzverteilung in Verbindung gebracht, so lassen
sich hieraus auch einige theoretische Hypothesen gewinnen132:
1.
Allokationsaspekte der Kompetenzverteilung
Vor dem Hintergrund des Allokationsziels stellt sich die Frage, welche
Art der Aufgabenverteilung, d.h. entweder eine mehr zentralisierte
oder eben eine stärker dezentralisierte Lösung, im föderativen Staat
besser dazu geeignet ist, die optimale Verwendung der Ressourcen zu
erreichen. Ausgangspunkt hierfür war zunächst die Präferenzgerechtigkeit des staatlichen Angebots an öffentlichen Leistungen in Bezug
auf die Bedürfnisse der Bürger. Eine entscheidende Voraussetzung für
ein öffentliches Güterangebot, dass in weitgehendem Einklang mit den
Präferenzen der Bürger erfolgt, ist die Kenntnis dieser Präferenzen.
Vermutlich ist diese Bedingung auf den untergeordneten Ebenen des
föderativen Staates eher erfüllt.133 Daher könnte dem Kriterium der
Präferenzgerechtigkeit immer dann entsprochen werden, wenn die
Kompetenzverteilung nicht nur dem Zentralstaat, sondern auch den
untergeordneten föderativen Ebenen bestimmte Aufgabenkompetenzen
zuspricht, was grundsätzlich bei allen hier angesprochenen Mustern
der Kompetenzverteilung möglich ist.
Bei getrennten Kompetenzen verfügen die föderativen Ebenen über
alle notwendigen Kompetenzen, um die entsprechenden öffentlichen
Leistungen auch gemäß den staatsbürgerlichen Präferenzen anzubieten. Dies bedingt jedoch den Aufbau einer eigenen Verwaltung, um die
vom jeweiligen Verband beschlossenen Gesetze auch dementsprechend dezentral vollziehen zu können und damit dem Kriterium der
Präferenzgerechtigkeit zu entsprechen.
Aber auch wenn lediglich die Verwaltungskompetenz dezentralisiert wird, wie dies bei gleichzeitigen, geteilten und konkurrierenden
132 Allerdings muss die Frage, inwieweit sich in föderativen Systemen typische
Regelmäßigkeiten in der Kombination unterschiedlicher Kompetenzverteilungen feststellen lassen, wie z.B. eine vorrangige Verbindung von getrennten
und konkurrierenden Zuständigkeiten, noch unbeantwortet gelassen werden.
Dies gilt insbesondere auch mit Blick auf die verschiedenen öffentlichen
Aufgabenbereiche, d.h. die Frage ob sich z.B. im Bereich der Bildung vorzugsweise geteilte Kompetenzen finden lassen.
133 Vgl. Pennock, R. J., Federal and Unitary Government: Disharmony and Frustration, in: Behavioral Science, Vol. 4 (1959), S. 147-157.
51
Kompetenzen häufig der Fall ist, können die Vorteile einer höheren
Präferenzgerechtigkeit des öffentlichen Angebots realisiert werden.
Insbesondere dann, wenn die übergeordnete Ebene lediglich bestimmte Merkmale für öffentliche Güter festgelegt, also nur über den „Rahmen“ entscheidet, wie dies bei einer gleichzeitigen Kompetenzverteilung häufig vorkommt, sind regional differenzierte Gestaltungslösungen zu erwarten. Auch bei einem dezentralen Vollzug von zentral bestimmten öffentlichen Aufgaben, wie dies bei geteilten Kompetenzen
der Fall ist, verbleiben noch Gestaltungsmöglichkeiten für die vollziehende Gebietskörperschaft, die jeweiligen regionalen oder lokalen Präferenzen durch eine individuelle Vollzugsgestaltung zu berücksichtigen.134 In Abhängigkeit vom Charakter der öffentlichen Leistung können bei diesen Mustern der Kompetenzverteilung durch die zentrale
Regulierung z.B. externe Effekte internalisiert oder distributive Mindeststandards festgesetzt werden, ohne auf die dezentrale Aufgabenerfüllung verzichten zu müssen. Sinnvoll ist dieses Muster der Kompetenzverteilung auch für solche Aufgabenbereichen, in denen der Bund
die Zuständigkeit für eine Aufgabe besitzt, aber nicht über die entsprechende Administration verfügt und daher direkt auf die regionale
oder lokale Ebene zurückgreifen muss, um die Durchführung der Aufgabe zu veranlassen. Hierbei kann durchaus auch die „mittlere Ebene“
übersprungen werden, es würde dann der intermediäre Akteur fehlen,
institutionenökonomisch gesprochen könnte also die Kette der „principal-agency“-Beziehungen verkürzt werden.
Die Präferenzgerechtigkeit des Angebots kann sogar bei einer gemeinsamen Kompetenzverteilung gewährleistet sein, sofern sich die
jeweiligen Aufgabenbereiche durch entsprechend homogene Präferenzen auf Seiten der Bürger auszeichnen. Je nachdem wie im Fall einer
gemeinsam getroffene Entscheidung dann die Kompetenz zur Durchführung verteilt ist, d.h. ob die Ausführung an eine bestehenden Jurisdiktion übertragen, eine gemeinsame Einrichtung geschaffen oder Dritte mit der Ausführung beauftragt werden, kann sogar die Aufgabenerfüllung dezentralisiert „vor Ort“ angeboten werden.
Als weitere Vorrausetzung für eine optimale Allokation der Ressourcen tritt neben der bestmöglichen Berücksichtigung der Bürgerpräferenzen auch die Anforderung nach einer effizienten, kostenminimalen Produktion der öffentlichen Leistungen. Sofern getrennte Kom134 Vgl. Färber, G., Effizienz zentralisierter und dezentralisierter Verwaltungen,
a.a.O., S. 111.
52
petenzen in Aufgabenbereichen vorherrschen, in denen eine eindeutige
Kongruenz zwischen dem räumlichen Zuständigkeitsbereich und dem
räumlichen Streukreis der Wirkungen der getroffenen Maßnahmen bestehen, dürfte dies gegeben sein. Vorteilhaft erscheint eine getrennte
Kompetenzverteilung daher vor allem dann, wenn sich die jeweiligen
Aufgabenbereiche möglichst genau abgrenzen lassen, d.h. sich inhaltlich nicht überschneiden und möglichst wenig Spill-over Effekte erzeugen. In diesen Fällen kann vermutet werden, dass sich mit der Lösung
„aus einer Hand“ deutlich effizientere Ergebnisse der Staatstätigkeit
erzielen lassen können. Eine ungetrennte Kompetenzverteilung dürfte
daher auch wesentlich geringere innerstaatliche Entscheidungskosten
aufweisen. Die Vorteile der Kompetenzautonomie können in diesen
Fällen, vor allem infolge der Übereinstimmung von Korrespondenzund Kongruenzprinzip135, besonders gut realisiert werden. Allerdings
kann es bei einer getrennten Kompetenzverteilung, sofern wirkliche
„Doppelkompetenzen“ vorliegen, zu einem überhöhten öffentlichen
Angebot kommen, d.h. eines nicht mehr kostenminimalen Angebots
infolge der doppelten Bereitstellung durch zwei föderative Aufgabenträger.
Eine Kompetenzverteilung mit dezentralisierten Vollzugselementen
verfügt in aller Regel weitaus kostengünstiger als die zentrale Ebene
über die erforderlichen Informationen, welche zur Planung und Umsetzung des öffentlichen Güterangebots erforderlich sind.136 Eine Trennung der Entscheidungs- und Durchführungskompetenz kann daher
vorteilhaft sein, wenn für die Erfüllung einer Aufgabe produktionstechnische Unterschiede im Raum existieren. Die Vorteile einer geteilten
oder gleichzeitigen Kompetenzverteilung liegen somit vornehmlich auf
der Angebotsseite des öffentlichen Leistungsangebots begründet. Wird
einmal – in Analogie zur nachfrageseitigen Annahme von regional differenzierten Präferenzen der Staatsbürger – unterstellt, dass es in einem größeren Staatsgebiet regionale Unterschiede in den Produktionsfunktionen für öffentliche Leistungen gibt, und zwar sowohl in Bezug
135 Vgl. Biehl, D., Die Reform der EG-Finanzverfassung aus der Sicht einer ökonomischen Theorie des Föderalismus, in: Streit, M. E. (Hrsg.), Wirtschaftspolitik zwischen ökonomischer und politischer Rationalität, Wiesbaden:
Gabler 1988, S. 63-84.
136 Vgl. Schwager, R., The Theory of Administrative Federalism. An Alternative
to Fiscal Centralization and Decentralization, in: Public Finance Review,
Vol. 27 (1999), S. 282 ff.
53
auf die Ausstattung mit Produktionsfaktoren als auch die dementsprechende Faktorentlohnung, dann dürften mit einer ebenfalls regionalisierten Durchführungskompetenz Effizienzvorteile bei der Produktion
verbunden sein. Zwischen gleichzeitigen und geteilten Kompetenzen
kann das Kriterium eines kostenminimalen öffentlichen Angebots aber
noch weitergehend differenziert werden. Zwar können auch bei gleichzeitigen Kompetenzen bestimmte Vollzugskompetenzen übertragen
werden, jedoch sind „...die Bündelungsvorteile eines allgemein dezentralisierten Vollzuges auf selbständige dezentrale Jurisdiktionen nur
im Verwaltungsföderalismus erzielbar.“137 Unter dem allokativen Gesichtspunkt einer kostenminimalen Produktion kann eine geteilte Kompetenzverteilung also durchaus auch Vorteile aufweisen.
Eine besondere Schwierigkeit für die Kompetenzverteilung stellen
solche öffentlichen Aufgabenbereichen dar, in denen eine möglichst
eindeutige Übereinstimmung der Wirkungskreise von öffentlichen Leistungen aus technischen oder politischen Gründen nicht gegeben ist,
also sog. Spill-over Effekte in größerem Ausmaß vorliegen. Sind in solchen Fällen die Kompetenzen streng getrennt bzw. stehen keine verfassungsgemäßen Möglichkeiten der Kompetenzverlagerung zur Verfügung, ist es oftmals erforderlich, andere institutionelle Wege im Föderalsystem zu entwickeln, um ein Auseinanderfallen von Entscheidungsträgern, Nutznießern und Kostenträgern zu überbrücken. Es werden dann Möglichkeiten der Kompetenzverschiebung zwischen den
föderativen Ebenen benötigt, um die Anpassung an eine ökonomisch
„optimale“ Aufgabenverteilung, die sich im Zeitablauf ja auch durchaus wandeln kann, zu ermöglichen. Die in diesem Zusammenhang
angeführten Beispiele haben gezeigt, dass es bei einer getrennten
Kompetenzverteilung insbesondere auch auf diejenigen institutionellen
Mechanismen ankommt, die im Fall von Kompetenzstreitigkeiten vermitteln bzw. entscheiden können, wie dies etwa in den USA oder Kanada über die Höchstgerichte geschieht.
Sofern also der Wirkungsbereich einer öffentlichen Aufgabe, hier
verstanden als Kosten- oder Nutzenstreukreis, erheblich von den Zuständigkeitsbereichen der bestehenden föderativen Ebenen abweicht,
kann durch eine gleichzeitige, geteilte oder entsprechend ausgestaltete
137 Färber, G., Effizienz zentralisierter und dezentralisierter Verwaltungen,
a.a.O., S. 113. Mit dem im Zitat oben verwendeten Begriff des Verwaltungsföderalismus wird terminologisch das in dieser Arbeit verwendete Muster der
geteilten Kompetenzen angesprochen.
54
konkurrierende Kompetenzverteilung hierauf flexibel reagiert werden.
Eine Aufspaltung der Kompetenzen bietet sich daher immer dann an,
wenn eine exakte Zuordnung einer öffentlichen Aufgabe zu einer Jurisdiktion – auch wenn dies in der jeweiligen Verfassung vormals beabsichtigt war – nicht durchzuhalten ist. Dies dürfte vor allem für solche
öffentlichen Aufgabenbereiche gelten, die eine hohe Interdependenz zu
anderen Aufgabenfeldern aufweisen. Dieser Zusammenhang wird insbesondere deutlich, wenn die sogenannten Querschnittspolitiken, wie
z.B. die Umwelt-, die Raumordnungs- und die Regionalpolitik, betrachtet werden.138 Die Vorteile eines Systems von gleichzeitigen, geteilten oder konkurrierenden Kompetenzen liegen dann in erster Linie
darin begründet, dass es einerseits leicht möglich wird über die uneingeschränkte Entscheidungskompetenz des Bundes landesweit einheitliche Regelungen und Standards zu setzen, während bei der Durchführung der Aufgabe durchaus Spielraum für die Berücksichtigung von regionalen Besonderheiten und Präferenzen ausgenutzt werden kann, da
diese Kompetenz in aller Regel den Gliedstaaten bzw. kommunalen
Einheiten zugesprochen ist. „Durch eine solche Zentralisierungsform
können die wesentlichen Wohlfahrtsverluste der rein föderativen Lösung beseitigt werden ..., ohne dass gleichzeitig die Kosten der Zentralisierung zum Problem werden. Die Informations- und Einigungskosten nehmen kaum zu.“139
In ähnlicher Weise kann auch für eine gemeinsame Kompetenzverteilung argumentiert werden, dass es bestimmte wichtige Aufgabenbereiche des öffentlichen Lebens gibt, die nicht mehr allein von der Zentralebene oder den Gliedstaaten wirksam wahrgenommen werden können: „...eine solche Zusammenarbeit hat sich insbesondere auf dem
Gebiet der Planung und Finanzierung der großräumigen Investitionen
im Bereich der sozialen Infrastruktur als zweckmäßig erwiesen, weil es
sich in der Regel um den Einsatz beträchtlicher Mittel aus mehreren
Haushalten handelt, deren Bündelung eine Projektauswahl nach überregionalen Dringlichkeitskriterien erleichtert.“140 Hierbei ist allerdings
138 Vgl. Klöti, U., Regieren im verflochtenen dreistufigen Föderalismus, in:
Knoepfel, P./Linder, W. (Hrsg.), Verwaltung, Regierung und Verfassung im
Wandel, Basel u.a.: Helbig und Lichtenhahn 2000, S. 17-30.
139 Vgl. Frey, R. L., Zwischen Föderalismus und Zentralismus, Bern/Frankfurt:
Lang 1977, S. 48.
140 Fischer-Menshausen, H., Finanzausgleich II: Grundzüge des Finanzausgleichsrechts, in: Albers, W. u.a. (Hrsg.), Handwörterbuch der Wirtschafts-
55
fraglich, warum die teilweise erforderliche Koordination zwischen den
beteiligten Jurisdiktionen ausgerechnet über eine gemeinsam verteilte
Aufgabenkompetenz erfolgen soll, da die Möglichkeit zu einer zentralisierten Koordination in nahezu allen Kompetenzverteilungsmustern gegeben ist. Angesichts der hohen Einigungs- und Entscheidungskosten,
die bei der gemeinsamen Kompetenzausstattung z.B. aufgrund divergierender Interessen anfallen können, kann die Vorteilhaftigkeit unter
diesem Kriterium durchaus bezweifelt werden.
2.
Distributionsaspekte der Kompetenzverteilung
Aufgrund einiger Argumente (adverse Selektion, Unterversorgung mit
öffentlichen Leistungen, Bereitstellung von Mindeststandards) wurde
eine zu starke Dezentralisierung der Kompetenzen in Hinblick auf die
distributive Zielsetzung des Staates als vermutlich ineffiziente Lösung
abgelehnt.141 Deswegen sollten solche öffentlichen Aufgabenbereiche,
die in größerem Ausmaß eine umverteilende Aktivität des öffentlichen
Aufgabenträgers beinhalten, tendenziell eher auf der zentralstaatlichen
bzw. übergeordneten Ebene angesiedelt werden142, und zwar unabhängig vom jeweils gewählten Muster der Kompetenzverteilung. Inwieweit diese Argumente gegen eine dezentralisierte Verteilungspolitik
sich als zutreffend erweisen, ist theoretisch und empirisch jedoch durchaus umstritten.143 Wenn es infolge dessen also durchaus möglich erscheint bzw. politisch beabsichtigt ist, eine verteilungspolitisch orientierte Politik auf dezentralem Wege zu organisieren, dann bieten die
verschiedenen Muster der Kompetenzverteilung jeweils unterschiedwissenschaften, Band 2, Stuttgart/New York: Fischer; Tübingen: Mohr; Göttingen/Zürich: Vandenhoeck und Ruprecht 1980, S. 636-662, S. 641.
141 Vgl. hierzu auch die grundlegenden Ausführungen zum Systemwettbewerb
von Sinn, H. W., The Selection Principle and Market Failure in Systems
Competition, in: Journal of Public Economics, Vol. 66 (1997), S. 247-274.
142 Daher sprechen Musgrave, R. A./Musgrave, P. B., Public Finance in Theory
and Practice, New York: McGraw-Hill 1973, S. 606, in Verbindung mit der
Zuordnung von Finanzmitteln auch von einem natürlichen Bindeglied zwischen den Finanzen des Zentralstaats und der Redistributionspolitik.
143 Vgl. dazu bspw. Feld, L. P., Tax Competition and Income Redistribution: An
Empirical Analysis for Switzerland, in: Public Choice, Vol. 105 (2000),
S. 125-164; Ashworth, J./Heyndels, B./Smolders, C., Redistribution as a
Local Public Good: An Empirical Test for Flemish Municipalities, in: Kyklos,
Vol. 55 (2001), S. 27-56.
56
liche Möglichkeiten, diese dezentrale Redistribution zu realisieren. In
Hinblick auf die spezifischen Probleme bei der Erfüllung der distributiven Zielsetzung, sei es dass eine bestimmte Mindestversorgung mit
öffentlichen Gütern sichergestellt werden soll oder dass eine gezielte
Umverteilungspolitik politisch erwünscht wird, ist es dann von besonderem Interesse, welche Möglichkeiten jeweils für die übergeordnete
Ebene bestehen, notfalls die Gesetzgebungs- oder Vollzugskompetenz
an sich zu ziehen.
Im Falle von getrennten Kompetenzen können distributive Zielsetzungen grundsätzlich dadurch dezentralisiert bereitgestellt werden, indem (von der Verfassung) eine Verteilung der entsprechenden Sachgebiete in den Kompetenzbereich der untergeordneten Gebietskörperschaften vorgenommen wird. Sofern auf einer untergeordneten föderativen Ebene die Umverteilungspolitik durch die Bereitstellung von Gütern und Leistungen betrieben wird, die vor allem den schwächeren
Einkommensschichten zugute kommt, ist jedoch – unter der Vorraussetzung einer entsprechenden Mobilität – mit der Zuwanderung von
einkommensschwachen Bürgern aus anderen Jurisdiktionen zu rechnen, was wiederum die angesprochenen Probleme hervorrufen und
damit die langfristige Aufrechterhaltung des Angebots untergraben
kann.144 In einem System mit getrennten Kompetenzen bestünde in
diesem Fall zunächst keine flexible Möglichkeit, durch korrigierende
Eingriffe der übergeordneten Ebenen zu reagieren. Ist also aus zentralstaatlicher Perspektive eine distributive Materie der Länderkompetenzen bzw. aus Sicht der Länder eine kommunale Angelegenheit infolge
von Problemen der adversen Selektion einheitlich regelungsbedürftig,
verbleibt allenfalls noch die Möglichkeit, das Problem über den Einsatz von finanziellen Transfers zu lösen. Damit sind allerdings Maßnahmen angesprochen, die streng genommen bereits auf die nachgelagerten Stufen des Finanzausgleichs i.w.S. zurückgreifen. Auch kann
bezweifelt werden, ob dieses Verfahren überhaupt noch eine effiziente
Lösung darstellt, da es auf diesem Wege zu einer unüberschaubaren
Vielzahl von multi- bzw. bilateraler (Zweck-) Zuweisungsabkommen
kommen kann.145
144 Vgl. Frey, B. S./Kirchgässner, G., Demokratische Wirtschaftspolitik, a.a.O.,
S. 65, die als Beispiel hierfür die Stadt New York anführen.
145 In den USA bestanden 1997 bspw. über 660 verschiedene Bundesprogramme, die Transferzahlungen für die untergeordneten föderativen Ebenen
57
Betrachtet man in diesem Zusammenhang diejenigen Muster der
Kompetenzverteilung, die einen dezentralen Vollzug von zentral geregelten Aufgabenkompetenzen vorsehen, wie dies typischerweise bei
gleichzeitigen und geteilten Kompetenzen der Fall ist, so kann zumindest die Aufgabenerfüllung, also die dezentrale Bereitstellung entsprechender öffentlicher Güter, problemlos realisiert werden. Sind die
Kompetenzen gleichzeitig verteilt, so wäre es völlig ausreichend wenn
der Zentralstaat über seine Befugnis zur Rahmengesetzgebung lediglich die Ziele vorschreibt, während alle weiteren Entscheidungen über
die Art und Weise der Aufgabenerfüllung den Gliedstaaten überlassen
bleiben könnten. Aber auch wenn die entsprechende Gesetzgebung
ganz beim Zentralstaat liegt und nur der Vollzug dezentralisiert erfolgt,
verbleiben noch genügend Gestaltungsfreiheiten für ein dezentralisiertes Angebot. Bei beiden Mustern der Kompetenzverteilung kann so eine Mindestversorgung mit öffentlichen Leistungen sichergestellt werden.146 Auch ist es in beiden Fällen gut möglich, eine gegebenenfalls
erforderliche Zentralisierung vorzunehmen. Denkbar ist sowohl ein erhöhter Detaillierungsgrad des legislativen Rahmens als auch weitergehende Regelungen in Hinblick auf den Vollzug, wie etwa Vorschriften
zum Verwaltungsverfahren oder die Festlegung von Gebühren.
Der distributiven Zielsetzung kann auch mit einer gemeinsamen
Kompetenzverteilung entsprochen werden. Geht man davon aus, dass
die sozialpolitische Aufgabe zu den großräumigen Aufgaben des Staates zählt, an der in der einen oder anderen Form alle föderativen Ebenen beteiligt sind, so könnte dies ein gemeinsames Handeln der jeweils zuständigen Organe erfordern.147 Inwieweit bei dieser Kompetenzverteilung dann die Möglichkeit eines dezentralisierten Angebotes
gegeben ist, hängt in erster Linie von den beteiligten Ebenen sowie der
konkreten Zuweisung des Vollzugs ab.
Sofern in den entsprechenden verteilungspolitischen Aufgabengebieten eine konkurrierende Kompetenzverteilung vorliegt, ist die dezentrale Bereitstellung öffentlicher Leistungen ebenfalls ermöglicht, da
die Bundesebene durch eine entsprechende Nicht-Ausübung ihrer po(bzw. direkt an die Individuen) vorsahen. Vgl. Greß, F., Aktuelle Entwicklungen im amerikanischen Föderalismus, a.a.O., S. 346.
146 Zu denken ist bspw. an das Recht auf einen Kindergartenplatz in Deutschland.
147 Fischer-Menshausen, H., Finanzausgleich II: Grundzüge des Finanzausgleichsrechts, a.a.O., S. 641.
58
tentiellen Kompetenz die Aufgabenzuständigkeit sehr einfach der
gliedstaatlichen Ebene überlassen kann. Sofern das dezentral organisierte Angebot dann nicht dem gewünschten Niveau entspricht bzw.
ineffektiv bereitgestellt wird, kann über die Ausübung der „ruhenden“
Kompetenz schnell eine bundeseinheitliche Regelung herbeigeführt
werden.
3.
Innovationswettbewerb zwischen den föderativen Ebenen
Mit Blick auf den Innovationswettbewerb im öffentlichen Sektor kann
durch eine unterschiedliche Verteilung der Kompetenzen eine „doppelte Chance“ entstehen: Je nachdem wie die Kompetenzen konkret verteilt sind, verbleiben den föderativen Ebenen nämlich auch unterschiedliche Spielräume für innovative Verbesserungen, und zwar nicht
nur im Rahmen der Gesetzgebungskompetenz, sondern auch im Rahmen der Vollzugskompetenz. Die entscheidende Voraussetzung hierfür
ist jedoch ein räumlich dezentralisiertes Angebot, denn nur dann kann
der Wettbewerb zwischen den Jurisdiktionen die Anwendung neuer
Ideen fördern.
Eine getrennte Kompetenzverteilung kann in Hinblick auf den Innovationswettbewerb im öffentlichen Sektor insofern als besonders
vorteilhaft eingestuft werden, weil die jeweiligen Gebietskörperschaften die ihnen übertragenen Aufgaben auch weitestgehend autonom
entscheiden und erfüllen können. In föderativen Systemen mit getrennten Kompetenzen erfolgt dieser Innovationswettbewerb zwischen
den Gebietskörperschaften immer als gesamthafte Lösung, d.h. er umfasst neben der Entscheidung über die Aufgabe selbst auch die entsprechenden Vollzugsformen.148 Aus dieser Tatsache kann allerdings
auch eine Einschränkung des Wettbewerbsprozesses folgen, sofern die
jeweilige Aufgabenzuordnung entweder zu zentral oder zu dezentral
vorgenommen wurde, als dies für die Erfüllung der Aufgabe notwendig
gewesen wäre.
In jedem Fall aber bieten auch diejenigen Muster der Kompetenzverteilung, die lediglich einen dezentralisierten Vollzug vorsehen, zumindest immer auch die Chance, über einen Leistungswettbewerb
zwischen den vollziehenden Körperschaften Verbesserungen des Auf-
148 Färber, G., Effizienz zentralisierter und dezentralisierter Verwaltungen,
a.a.O., S. 114.
59
gabenvollzugs zu generieren. Allerdings muss hierbei vorausgesetzt
werden, dass der vollziehenden föderativen Ebene auch tatsächlich
noch genügend Freiräume zu innovativen Vollzugswegen verbleiben.
Die Fähigkeit zum Innovationswettbewerb wird bei gleichzeitigen, geteilten und konkurrierenden Kompetenzen insoweit vor allem durch
die legislativen Vorgaben der entscheidungsberechtigten föderativen
Ebene, zumeist des Zentralstaats, bestimmt. Mit anderen Worten ausgedrückt: Je konkreter auch die Durchführungskompetenzen der
Gliedstaaten (oder der Kommunen) geregelt sind, umso niedriger dürfte das entsprechende Innovationspotential der betroffenen Ebene auch
ausfallen.
Von einer gemeinsamen Kompetenzverteilung können schließlich
keine positiven Effekte erwartet werden, da bei diesem Muster der
Kompetenzverteilung der Logik der Sache nach keine Konkurrenz
herrscht bzw. auf einen Wettbewerbsprozess zwischen verschiedenen
Gebietskörperschaften bewusst verzichtet wurde.
4.
Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems
Die Anpassungsfähigkeit eines föderativen Systems ist ein weiteres
Kriterium zur Beurteilung der Effizienz einer Staatsorganisation gewesen, denn der Wandel der Staatsaufgaben bzw. Veränderungen in
Wirtschaft und Gesellschaft führen zu Rückwirkungen auf den öffentlichen Sektor, die es erforderlich machen, dass die öffentlichen Aufgabenträger ihre Aufgabenwahrnehmung in Art und Umfang verändern
können. Hierfür ist es entscheidend, inwieweit die Bestimmungen der
Verfassung als abschließend gelten oder ob die festgelegte Kompetenzverteilung einer gewissen Umverteilung im föderativen Staat zugänglich ist. Mit anderen Worten ausgedrückt geht es um die Frage,
„...ob die Verfassung eine Tätigkeit anderer als der primär zuständigen
Ebenen der Regierungsgewalt vorsieht, ermöglicht oder zuläßt.“149
Unter diesem Kriterium lässt sich zunächst als allgemeine Erkenntnis mit Blick auf die Aufgabenzuordnung zwischen dem Zentralstaat und seinen Gliedstaaten feststellen, dass eine weniger konkrete
bzw. weniger kodifizierte föderative Ordnung zu einer sehr wandelungsfähigen föderativen Staatsordnung führt, weil aufgrund der dann
149 Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 260.
60
notwendigerweise bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten im Verfassungsrecht ein Spielraum verbleibt, der – z.B. durch Entscheidungen
des Verfassungsgerichts – ausgefüllt werden muss. Wie das Beispiel
der Vereinigten Staaten in diesem Zusammenhang zeigt, hat dies im
Zeitablauf mehrfach zu sich verschiebenden Mustern der Kompetenzverteilung geführt.150 Andererseits führt eine in diesem Sinne „experimentelle“ Kompetenzverteilung zwangsläufig zu regelungsbedürftigen
Kompetenzüberschneidungen und Kompetenzstreitigkeiten zwischen
den beteiligten föderativen Ebenen. Diese Spielräume sind demgegenüber stärker eingeschränkt, wenn die föderative Aufgabenverteilung in
der Verfassung relativ konkret verankert ist, weil dann auch kein konkretisierungsbedürftiges Regelungsvakuum entstehen kann.
Bei Vorliegen von getrennten Kompetenzen ist der Kompetenztransfer nicht leicht möglich, da Kompetenzverlagerungen oftmals an
Verfassungsänderungen gebunden sind, denen jeweils der Bund und
die Gliedstaaten zustimmen müssen. Häufig sind in diesen Fällen
auch Referenden erforderlich, so dass die Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems insgesamt als eher gering einzustufen ist. Vermutlich deswegen lassen sich in Systemen mit getrennten Kompetenzen
zahlreiche andere institutionelle Arrangements finden, die eine höhere
Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems ermöglichen. Zu denken
ist hier bspw. an die sog. „Generalklauseln“ in den Verfassungen von
Kanada und den USA, die unter bestimmten restriktiven Bedingungen
eine Zentralisierung der Gesetzgebungskompetenzen erlauben. Auch
im Bereich der Vollzugskompetenz sind in den Systemen mit getrennten Kompetenzen Möglichkeiten gefunden worden, die Durchführung
zu delegieren. Zwar können die Gliedstaaten nicht zur Übernahme von
Bundesaufgaben gezwungen werden, jedoch kann die Delegation der
juristischen Konstruktion nach so erfolgen „...daß bestimmte Beamte
oder Behörden der einen Ebene der Regierungsgewalt von der anderen
mit der Wahrnehmung bestimmter Aufgaben betraut werden.“151 Auch
die Annahme von zweckgebundenen Bundessubventionen kommt einer gliedstaatlichen Ausführung von Bundesgesetzen häufig recht nahe. Wenngleich sich also auch bei getrennten Kompetenzen verschie-
150 Vgl. Heun, W., Die bundesstaatliche Finanzverfassung der USA, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 5. Jg. (1994), S. 97-152, S. 97.
151 Bothe, M., Die Kompetenzstruktur des modernen Bundesstaates in rechtsvergleichender Sicht, a.a.O., S. 262 . In dieser Arbeit lassen sich auch die
entsprechenden Urteile der Höchstgerichte für die USA und Kanada finden.
61
dene Möglichkeiten bieten, eine – zumeist wohl ökonomisch auch gebotene – Kompetenzverlagerung vorzunehmen, so bleibt ein entscheidender Unterschied zu den anderen Mustern der Kompetenzverteilung
bestehen: die Übernahme von Vollzugskompetenzen des Bundes
durch die Gliedstaaten erfolgt in allen Fällen freiwillig.
Eine gleichzeitige Kompetenzverteilung erweist sich in Bezug auf
die Anpassungsfähigkeit als sehr flexibel, da z.B. über die legislativen
„Rahmenvorgaben“ der Freiheitsgrad der beteiligten Ebenen relativ gut
festgelegt werden kann. „Wird dem Bund die Kompetenz zur Rahmengesetzgebung übertragen, so ist er in der Lage, den Kantonen
Mindeststandards vorzuschreiben und mittels Planung die gewünschte
Koordination herzustellen.“152 Demgegenüber verbleiben bei einer geteilten Kompetenzverteilung – aufgrund der strikten Trennung zwischen Gesetzgebung und Vollzug – etwas geringere Möglichkeiten zur
Anpassung. Inwieweit bei geteilten Kompetenzen dennoch eine Kompetenzverlagerung vorgenommen werden kann, ist in erster Linie von
den konkreten Bestimmungen der Verfassung abhängig.153 Bei diesen
beiden Mustern der Kompetenzverteilung ist es jedoch möglich, zentralstaatliche Verwaltungskompetenzen auf die Gliedstaaten zu übertragen, so dass zumindest die Aufgabenerfüllung dezentralisiert werden kann.
Eine gemeinsame Kompetenzverteilung bietet im Bereich der Legislativfunktion kaum Möglichkeiten, eine Veränderung vorzunehmen.
Um die miteinander verflochtenen Entscheidungsstrukturen wieder zu
trennen, ist ebenfalls eine Verfassungsänderung notwendig. Dafür bietet dieses Muster der Kompetenzverlagerung allerdings die Möglichkeit, die Vollzugskompetenz relativ flexibel zu gestalten und zu ändern, sofern die gemeinsam beteiligten föderativen Ebenen sich darauf
entsprechend einigen können. Inwieweit dies realistisch ist, ist dann in
erster Linie eine Frage der Ausgestaltung und Zusammensetzung der
gemeinsamen Gremien.
Mit Blick auf die Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems erscheinen konkurrierende Kompetenzen als besonders vorteilhaft. Während Kompetenzverlagerungen in föderativen Staaten üblicherweise an
152 Frey, R. L., Zwischen Föderalismus und Zentralismus, a.a.O., S. 47.
153 So erlaubt in der Bundesrepublik Deutschland z.B. der Art. 71 Abs. 1 die
Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen vom Bund auf die Länder auch
im Bereich von ausschließlichen Bundeskompetenzen.
62
Verfassungsänderungen und somit an qualifizierte Mehrheiten gebunden sind, erlaubt dieses Muster der Aufgabenverteilung eine vergleichsweise einfache und flexible Möglichkeit der Kompetenzveränderung. Wie die oben angeführten Beispiele gezeigt haben, bietet eine
konkurrierende Kompetenzverteilung zumindest immer die Möglichkeit, die Gesetzgebungs- und/oder Durchführungskompetenzen zu zentralisieren. Sofern also in bestimmten Aufgabenfeldern die Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung entsteht, wie dies bspw. auf der
Ebene der EU zur Herstellung einer gemeinsamen Währungs- und
Wirtschaftsunion der Fall ist, bietet sich eine konkurrierende Kompetenzverteilung an. Selbstverständlich kann die Notwendigkeit einer
Verlagerung von Kompetenzen auch in umgekehrter Richtung erforderlich werden, z.B. wenn sich Skaleneffekte der Produktion infolge technischer Neuerungen verändern oder sich vormals national homogene
Präferenzen der Bevölkerung regionalisieren. Erlaubt die Verfassung
bei einer konkurrierenden Kompetenzverteilung dann auch die Möglichkeit, bestimmte Kompetenzen wieder zu dezentralisieren, wird
dem Kriterium der Anpassungsfähigkeit in besonderer Weise Rechnung getragen. Ist der Kompetenztransfer bei konkurrierenden Zuständigkeiten jedoch nur in eine Richtung möglich oder sogar irreversibel,
bleiben damit zwar die Voraussetzungen für eine Kompetenzanpassung bzw. Internalisierung von externen Effekten gegeben, die föderative Ordnung ist dann allerdings nur „einmalig“ anpassungsfähig.
5.
Politische Verantwortlichkeit der föderativen Ebenen
Bei Vorliegen von getrennten Kompetenzen dürften diese Bedingungen
vollständig erfüllt sein, da je für ein Aufgabengebiet sowohl die Legislativ- wie auch die Exekutivfunktion geschlossen entweder dem Zentralstaat oder den Gliedstaaten oder den Kommunen zugewiesen ist.154
Hierdurch wird eine klare Kompetenzabgrenzung geschaffen, die für
die Staatsbürger leicht wahrzunehmen und damit auch unschwer zu
bewerten ist. Wird in diesem Zusammenhang einmal von der Existenz
externer Effekte abgesehen, dann fallen auch auf jeder föderativen
Ebene die Entscheider sowie die Nutznießer öffentlicher Leistungen zu-
154 Vgl. Fischer-Menshausen, H., Finanzausgleich II: Grundzüge des Finanzausgleichsrechts, a.a.O., S. 641.
63
sammen; womit bereits zwei der drei von Olson formulierten Anforderungen an die fiskalische Äquivalenz erfüllt wären.155
Demgegenüber sind mit der Aufteilung der Entscheidungskompetenz auf mehrere Gebietskörperschaften jedoch auch Nachteile verbunden, da sich die entsprechenden Zuständigkeiten sowohl für die
Bürger als auch für die beteiligten föderativen Ebenen nicht immer
eindeutig abgrenzen lassen, so dass die politische Verantwortung verwischt werden kann. Eine Aufspaltung der Kompetenzen führt dazu,
dass zusätzliche Mittel für die Koordinierung der Teilkompetenzen
aufgewendet werden müssen. Dies kann zum Problem der Politikverflechtung führen, so dass eine Ebene nicht mehr autonom, sondern
nur noch in Kooperation mit anderen Akteuren entscheiden und handeln kann.156 Bei einem geteilten System ist es sicherlich für die Bürger schwieriger zu erkennen, auf welcher Regierungsstufe die Verantwortung für die entsprechende Aufgabe angesiedelt ist. Auch kann davon ausgegangen werden, dass sich die staatlichen Entscheidungskosten deutlich erhöhen werden, da sich sowohl die Anzahl der beteiligten öffentlichen Aufgabenträger als auch der divergierenden Interessen
erhöht hat, so dass eine Einigung unter Umständen nur nach langwierigen Verhandlungen erzielt werden kann. Besitzen zwei oder mehr föderative Ebenen materielle Kompetenzen, entsteht hierdurch zwangsläufig ein erhöhter Einigungs- und Kooperationsbedarf bei der Aufgabenbewältigung, insbesondere wenn es aufgrund der „gleichberechtigten“ Kompetenzverteilung zu Kompetenzstreitigkeiten kommt.
Die Beurteilung einer gemeinsamen Kompetenzverteilung fällt unter diesem Kriterium tendenziell negativ aus.157 Die mit gemeinsam
verteilten Kompetenzen einhergehende Verflechtung der jeweiligen föderativen Akteure führt in besonderem Maße dazu, dass die Aufgabenerfüllung durch unklare Verantwortlichkeiten beeinträchtigt wird.
Die gemeinschaftliche Aufgabenerfüllung durch mehrere Ebenen hat
zu einer Aufgaben- (und Finanzierungs-)verflechtung geführt, die – ins155 Vgl. Olson, M. Jr., The Principle of «Fiscal Equivalence»: The Division of Responsibilities Among Different Levels of Government, in: American Economic
Review, Vol. 59 (1969), S. 479-487.
156 Vgl. hierzu Reissert, B., Politikverflechtung, in: Nohlen, D./Schultze, R.-O.
(Hrsg.), Politikwissenschaft, München/Zürich: Piper 1985.
157 Als Beispiel sei auf die wissenschaftliche Einschätzung der Gemeinschaftsaufgaben im deutschen Grundgesetz verwiesen. Vgl. stellvertretend für viele
Stahl, D., Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern, a.a.O., S. 159 ff.
64
besondere wenn sich die Entscheidungsträger gegenseitig blockieren –
als wenig effizient angesehen werden kann. Als vorteilhaft an einer gemeinsamen Kompetenzverteilung erscheint allenfalls die Möglichkeit,
diejenigen Aufgabenbereiche, die sich ohnehin schon durch unsystematische Kompetenzeingriffe einer föderativen Ebene in die Kompetenzen einer anderen Jurisdiktion auszeichnen lassen, neu zu ordnen,
um so wenigstens die Transparenz der Zuständigkeiten zu erhöhen.
Denkbar wäre daneben auch, dass eine gemeinsame Kompetenzverteilung als Instrument der „Streitschlichtung“ gewählt wird, wenn eine
eindeutige Trennung der Kompetenzen nicht möglich erscheint, weil
sich dies entweder aus dem spezifischen Charakter einer öffentlichen
Aufgabe ergibt oder eine einseitige Kompetenzverlagerung als nicht zulässig erachtet wird.
6. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
Die hier vorgestellte Systematisierung föderaler Aufgabenverteilungsmuster erlaubt sowohl die Darstellung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten im Bereich der Aufgabenwahrnehmung, als auch die
Integration zusätzlicher Akteure, wie z.B. der Europäischen Union als
supranationaler Ebene oder anderer funktionaler Gebietskörperschaften. Insofern genügt der gewählte Analyserahmen der Anforderung,
einerseits ausreichend allgemein zu sein, um eine vergleichende Darstellung unterschiedlicher föderativer Systeme zu ermöglichen, andererseits jedoch hinreichend ausdifferenziert zu sein, um spezifische institutionelle Besonderheiten zu berücksichtigen. Beispielhaft sei hierfür
noch einmal auf die unterschiedliche Ausgestaltung der konkurrierenden Kompetenzverteilung verwiesen, die in Australien – sofern einmal
erfolgt – irreversibel ist, in Spanien dagegen Spielraum für eine erneute Kompetenzverlagerung belässt.
Zudem konnte anhand der empirischen Beispiele gezeigt werden,
dass alle hier angesprochenen Konfigurationen sich in mehr oder weniger unterschiedlicher Ausprägung in allen Staaten wiederfinden lassen. Zum einen weisen föderative Staaten mit vornehmlich getrennten
Kompetenzverteilungen zwischen den gebietskörperschaftlichen Ebenen durchaus miteinander verflochtene Aufgabenbereiche auf, zum
anderen können in den stärker verflochtenen Systemen des sog. Verwaltungsföderalismus Aufgabenbereiche mit ungeteilten Verantwortlichkeiten vorgefunden werden. Allein diese Tatsache relativiert bereits
65
Aussagen, die z.B. eine generelle Überlegenheit von Systemen mit
strikt getrennten Kompetenzverteilungen behaupten.158 Vielmehr können, wie im vorhergehenden Abschnitt zu zeigen versucht worden ist,
den unterschiedlichen Mustern der Kompetenzverteilung jeweils bestimmte Vor- und Nachteile bei der Realisierung der dargelegten sozioökonomischen Anforderungen zugesprochen werden. Ohne die zuvor
erörterten Detailüberlegungen bei der Beurteilung der jeweiligen Kompetenzarten zu wiederholen, so kann recht pauschal gesagt werden,
dass die Vorteile einer stärker miteinander verbundenen Kompetenzverteilung vermutlich im Bereich des Vollzugs zu erwarten sind, während bei Systemen mit stärkerer Trennung der Aufgabenzuständigkeit
vor allem geringere Entscheidungs- und Koordinationskosten anfallen
dürften. Welche Verteilung der Kompetenzen jedoch konkret die ökonomisch sinnvollste ist, lässt sich ohne einen Rückgriff auf die „gutstechnischen Eigenschaften“, die Präferenzen, mögliche Veto-Rechte
etc. nicht eindeutig beantworten. Vielmehr müssen die jeweiligen Vorund Nachteile der gewählten Kompetenzverteilung im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.
Wenngleich sich also aus theoretischer Sicht durchaus einige
grundlegende Überlegungen in Bezug auf die Effektivität und Effizienz
der jeweils gewählten Kompetenzverteilung haben anstellen lassen, so
kann doch kein abschließendes Urteil hierüber gesprochen werden,
zumal die empirischen Beispiele die zwingende Notwendigkeit offenbarten, die jeweiligen landestypischen Besonderheiten zu berücksichtigen. Wird z.B. bei geteilten Kompetenzen die „Rahmengesetzung“
durch den Zentralstaat besonders detailliert ausgefüllt, wie dies wohl
auch für die Bundesrepublik Deutschland gelten kann159, so können
die möglichen Vorteile dieses Kompetenzverteilungsmusters vermutlich auch nicht vollständig realisiert werden. Mit anderen Worten werden für die ökonomische Analyse und Beurteilung der Kompetenzverteilung im föderativen Staat noch weitere Aspekte des jeweiligen Insti-
158 Vgl. hierzu bspw. Morath, K. (Hrsg.), Reform des Föderalismus. Beiträge zu
einer gemeinsamen Tagung von Frankfurter Institut und Institut der deutschen Wirtschaft Köln, Bad Homburg 1999.
159 Vgl. z.B. Laufer, H./Münch, U., Das föderative System der BRD, a.a.O.,
S. 129 ff.
66
tutionengefüges, inklusive der jeweils relevanten Akteure, bedeutsam.160
Hierfür würde sich eine stärker interdisziplinär ausgerichtete Forschung, die bspw. auf politikwissenschaftliche Erkenntnisse zurückgreift und versucht, die dort entwickelten Hypothesen einer ökonomischen Betrachtung zugänglich zu machen, anbieten.161 Denn zweifellos ist es auch aus ökonomischer Sicht von Interesse, wie die relevanten politischen Akteure sowohl unter den gegebenen als auch sich
veränderten Bedingungen handeln und wie sich insbesondere die
Kompetenzverteilung im föderative System hierdurch verändert. Prinzipiell können durchaus auch andere Aspekte des politischen Systems
einer näheren ökonomischen Analyse unterworfen werden. Eine Zusammenführung erscheint zumindest möglich, da selbst die „...nichtökonomischen Ziele bei einer ausreichend abstrakten Betrachtung
durchaus in ökonomische Kalküle überführt werden könnten.“162 So
könnte gefragt werden, welche Transaktionskosten von den „zweiten“
Kammern ausgehen und wie hierdurch die Aufgabenverteilung im föderativen System beeinflusst wird.163 Aus ökonomischer Perspektive
bestehen in diesem Zusammenhang daher nicht nur vielversprechende
Möglichkeiten, die verschiedenen Muster der Kompetenzverteilung mit
der ökonomischen Theorie der öffentlichen Güter bzw. des Föderalismus zu verbinden, sondern insbesondere durch eine stärker empirisch
160 So kann die Analyse der Kompetenzverteilung und Aufgabenerfüllung auch
durch die Struktur des bestehenden Parteiensystems beeinflusst werden.
Vgl. z.B. Grande, E., Parteiensystem und Föderalismus. Institutionelle Strukturmuster und politische Dynamiken im internationalen Vergleich, in: Benz,
A./Lehmbruch, G. (Hrsg.), Föderalismus, Sonderheft 32/2001, Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag 2002, S. 179-212.
161 So auch Benz, A., Lehren aus entwicklungsgeschichtlicher und vergleichenden Analysen – Thesen zur aktuellen Föderalismusdiskussion, in: a.a.O.,
S. 391-403.
162 Zimmermann, H., Allgemeine Probleme und Methoden des Finanzausgleichs, in: Audel, N./Haller, H. (Hrsg.), Handbuch der Finanzwissenschaft,
Bd. 4, 3. Aufl., Tübingen: Mohr 1983, S. 3-52, S. 32.
163 Eine Analyse aus politikwissenschaftlicher Sicht bietet Sturm, R., Zur Reform des Bundesrates. Lehren eines internationalen Vergleichs der Zweiten
Kammern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitschrift
Das Parlament, B 29-30/2003, S. 24-31.
67
orientierte Institutionenökonomie zu ergänzen.164 Auch wenn die absolute Höhe solcher Transaktionskosten wahrscheinlich nicht genau bestimmt werden kann und der Ansatz insofern als abstrakte Vereinfachung der Realität erscheinen mag, kann der Transaktionskostenansatz auch für die Untersuchung föderaler Strukturen fruchtbar gemacht werden.165 Denn zweifelsfrei ist es wichtig und weiterführend
auch im Bereich der Regierungs- und Verwaltungsorganisation zwischen Entscheidungs- und Konsenskosten, Verhandlungs- und Kooperationskosten oder Kontrollkosten zu fragen.166
Der entwickelte Analyserahmen möglicher Kompetenzverteilungen
erlaubt aber nicht nur eine formal-logische Aufzählung denkbarer
Kombination, sondern kann auch zur Behandlung materieller Fragen
des Finanzausgleichs verwendet werden. Anhand von zwei Beispielen
soll dies abschließend kurz dargelegt werden. Wenn die Entwicklung
des föderativen Systems erörtert und finanzwissenschaftlich bewertet
werden soll, so ist hierfür auch eine anhand der finanzwissenschaftlichen Kriterien aufbereitete empirische Datenbasis erforderlich. Unter
der Voraussetzung das die vorgeschlagene Differenzierung der Kompetenzverteilungen einen brauchbaren analytischen Rahmen darstellt,
müsste bei der Untersuchung föderativer Staaten zunächst für die einzelnen öffentlichen Aufgabenbereiche ermittelt werden, welchen öffentlichen Aufgabenträgern welche (Teil-) Kompetenzen (getrennt,
gleichzeitig, geteilt, gemeinsam, konkurrierend) zugeordnet sind und
wie sich die Entscheidungs- und Vollzugsanteile ggf. verteilen.
Wenn z.B. die These von einer im Zeitablauf zunehmenden Verflechtung der Aufgabenzuständigkeiten geprüft werden soll, so kann
die vorgeschlagene Systematik zumindest den analytischen Rahmen
für eine derartige Aufbereitung des empirischen Materials liefern. Ist
eine geteilte Kompetenzverteilung bspw. wie in der Bundesrepublik
164 Als hauptsächlich theoretisch orientierte Arbeit siehe z.B. Sauerland, D.,
Föderalismus zwischen Freiheit und Effizienz, Berlin: Duncker und Humblot
1997.
165 Vgl. hierzu auch die Arbeiten von Breton, A./Scott, A., The Economic Constitution of Federal States, Canberra: Australian National University Press
1978; und Horn, M. J., The Political Economy of Public Administration,
Cambridge u.a.: Cambridge University Press 1995, Kapitel 2.
166 Vgl. Schuppert, G. F., Institutional Choice im öffentlichen Sektor, in: Grimm,
D. (Hrsg.), Staatsaufgaben, Baden-Baden: Nomos 1994, S. 647-683, S. 669.
68
Deutschland ausgestaltet167, so könnte anhand einer im Zeitablauf ansteigenden Zahl von zustimmungspflichtigen Gesetzen darauf geschlossen werden, das die Vollzugskompetenz der gliedstaatlichen Ebene
durch zentralstaatliche Vorgaben zunehmend beeinträchtigt wurde.168
Richtet man schließlich den Blick auf die nachfolgenden Stufen
des Finanzausgleichs, also die Verteilung der Ausgaben und Einnahmen sowie des Finanzausgleich i.e.S., so lassen sich anhand der verschiedenen Muster der Kompetenzverteilung auch Ansatzpunkte für
die Erklärung sowohl der Struktur als auch der Entwicklung des aktiven Finanzausgleichs ableiten. Es lassen sich z.B. aus der Art der
Kompetenzverteilung innerstaatliche Zuweisungen mit der Internalisierung von Entscheidungen anderer Jurisdiktionen begründen. Wenn die
Gesetzgebungskompetenz für eine öffentliche Aufgabe einer Gebietskörperschaft mit zu kleinem räumlichen bzw. funktionalen Zuständigkeitsbereich zugewiesen wurde, so kann dies einen internalisierenden
Eingriff begründen, der sich dann in Form von Zweckzuweisungen im
ergänzenden aktiven Finanzausgleich niederschlagen müsste.169 Es
könnte also dann geprüft werden, inwieweit der aktive Finanzausgleich auf „suboptimale“ Regelungen des passiven Finanzausgleichs
zurückzuführen ist und „...inwieweit durch eine Veränderung der
Kompetenzverteilung eine Entlastung des aktiven Finanzausgleichs erreicht werden könnte.“170
Hier zeigt sich bereits das komplexe Interdependenzproblem des
Finanzausgleichs: Die Analyse von Finanzausgleichsbeziehungen beginnt logisch bei der Verteilung der Aufgabenkompetenzen und prädeterminiert damit auch alle nachfolgenden Stufen des Finanzausgleichsystems in spezifischer Weise. Daraus folgt jedoch auch, dass die ein-
167 Bundesgesetze werden im Bundesrat immer dann zustimmungspflichtig,
wenn sich ihre Vorschriften auch auf den Vollzug beziehen.
168 In der Staatspraxis ist in der Bundesrepublik die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze deutlich angestiegen. Vgl. Ossenbühl, F., Föderalismus
nach 40 Jahren Grundgesetz, in: Deutsches Verwaltungsblatt (1989),
S. 1230-1237, S. 1235, sowie Laufer, H./Münch, U., Das föderative System der BRD, a.a.O., S. 129 f. und 137 f.
169 Vgl. Kops, M., Formen und Grundprinzipien des Finanzausgleichs III: Der ergänzende und aktive Finanzausgleich, in: Das Wirtschaftstudium (Jg.
1984), S. 341 ff.
170 Vgl. Hansmeyer, K.-H./Kops, M., Die Kompetenzarten der Aufgabenzuständigkeit und deren Verteilung im föderativen Staat, a.a.O., S. 137.
69
ander nachfolgenden Stufen des Finanzausgleichs neben ihrer originären Funktion auch eine Art „Kompensationsfunktion“ für die Verwerfungen der vorgelagerten Stufe übernehmen können.171
171 Vgl. Färber, G., Finanzverfassung. Unbestrittener Reformbedarf – divergierende Reformvorstellungen, in: Bundesrat (Hrsg.), 50 Jahre Herrenchiemseer Verfassungskonvent – Zur Struktur des deutschen Föderalismus, Bonn:
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70
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