Nr. 2 | 2014 Blick punkte Mensch Gesellschaft Sicherheit Vom Ausbrennen bedroht. Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie Arbeitgeber helfen können. Inhaltsverzeichnis Entwicklung Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen Psychische Belastungen am Arbeitsplatz Seite 04 Wandel Dr. med. Anne Berghöfer Burnout – Ausdrucksform des rasanten Wandels in Arbeitswelt und Gesellschaft Seite 08 Lösungsansatz Hans Oehl: Psychische Gesundheit und Wohlbefinden Impressum am Arbeitsplatz: Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen Seite 11 Herausgeber SDK-Stiftung der Süddeutschen Krankenversicherung a.G. Handlungsfelder Dr. Stephan Schlosser: Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach Tel. 0711 / 5770-0 | [email protected] | www.sdk.de Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz Seite 13 Redaktion Süddeutsche Krankenversicherung a.G. Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Monika Krimmer | Dr. Ulrich Schermaul Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach Tel. 0711 / 5778-647 | -676 [email protected] | [email protected] Druck Knöller Druck, Stuttgart Gestaltung, Satz Wohlgemuth & Company, Stuttgart Bildnachweise S. 16, 19: Shutterstock S. 01, 07: Thinkstock ISSN 2197-8980 02 Liebe Leserinnen und Leser, die Erstausgabe „BLICKPUNKTE | mensch:gesellschaft: Belegschaften. Die Offenheit der Unternehmen beim The- sicherheit“ erschien im Juni 2013 zum Thema „Zwei- ma „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ wächst dabei Klassen-Medizin in Deutschland?“. Nun liegt die zweite Aus- genauso wie der Markt mit entsprechenden Angeboten. Im gabe vor, die Sie in Ihren Händen halten. Die SDK-BLICK- Finanzverbund der Volksbanken-Raiffeisenbanken ist beispiels- PUNKTE entstehen in enger Zusammenarbeit mit dem SDK- weise seit 2013 mit der SDK-Tochter gesundwerker eG die Institut für Gesundheitsökonomie an der Steinbeis-Hochschule erste Genossenschaft für Betriebliches Gesundheitsmanage- Berlin. Damit greift die SDK-Stiftung in zwei jährlichen Ausga- ment aktiv. ben aktuelle Diskussionen, Phänomene und auch Kontroversen auf, die sich nicht nur mit Gesundheits- und Versicherungsthe- Den Kern einer jeden Ausgabe Blickpunkte bildet eine eigene men beschäftigen, sondern auch gesellschaftliche und soziale Umfrage der SDK-Stiftung zum aktuellen Thema, die erkennt- Bereiche beleuchten. nisreiche Einblicke und damit „Futter“ für die Autoren liefert. Für Ein Thema, welches in unserer Gesellschaft bis vor wenigen diese Ausgabe haben wir über 100 Ärzte befragt, die tagtäglich Jahren eher selten in größerem Ausmaß diskutiert wurde, mit psychischen Erkrankungen konfrontiert sind. steht im Mittelpunkt der zweiten Ausgabe BLICKPUNKTE. „Vom Ausbrennen bedroht? – Psychische Erkrankungen in Un- Nicht nur die Gesellschaft insgesamt, sondern auch die Arbeits- ternehmen und wie Arbeitgeber helfen können“ lautet der welt hat inzwischen ein Bewusstsein für psychische Erkran- Titel. Nicht nur das durch zahlreiche prominente Fälle wie kungen entwickelt. Unsere Gastautoren der zweiten Ausgabe den des Skisprung-Olympiasiegers Sven Hannawald oder BLICKPUNKTE nähern sich aus verschiedenen Perspektiven den des Fußball-Nationalspielers Sebastian Deisler ins Licht Facetten dieses aktuellen Themas. der Öffentlichkeit gerückte Phänomen „Burn-Out-Syndrom“ ist damit aufgerufen. Psychische Belastungen am Arbeits- Gewinnen Sie beim Lesen neue Erkenntnisse und spannende platz müssen nicht automatisch mit Krankheitssymptomen Sichtweisen. einhergehen. Jedoch können sie auch schon in kleinem Ausmaß entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit Ihr und Zufriedenheit der Mitarbeiter nehmen. Die Zufriedenheit und die Gesundheit der Mitarbeiter treten als höchstes Gut zunehmend in den Fokus von Unternehmen. Verstärkt sind deshalb Firmen aktiv, bieten Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz und besondere Vorsorgeangebote für ihre Klaus Henkel Kuratoriumsvorsitzender SDK-Stiftung 03 Entwicklung Psychische Belastungen am Arbeitsplatz von Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen Psychische Belastungen am Arbeitsplatz werden für die Verursachung von mehr als 10% der krankheitsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz verantwortlich gemacht. Ihr Auftreten zeigt zudem seit den letzten zehn Jahren eine kontinuierlich steigende Tendenz. In einer aktuellen Online-Befragung der SDK-Stiftung von 105 Allgemeinmedizinern und Psychiatern wurde auch aus ärztlicher Sicht diese Entwicklung eindeutig bestätigt: 94% der Ärzte berichten, dass die psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz zugenommen haben (Abb.1). Als Grund für diese beunruhigende Entwicklung werden die zunehmenden Belastungen an einem oder zunehmend auch mehreren Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht. Folgende gesellschaftliche und arbeitsplatzbezogene Entwicklungen beschleunigen diese Zunahme psychischer Belastungen (Lohmann-Haislah, 2012): • Informatisierung: die Arbeitswelt wird zunehmend von ortsunabhängigen und zeitlich flexiblen Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen Seit Dezember 2008 leitet Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen das SDK-Institut für Gesundheitsökonomie an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Kommunikationstechnologien durchdrungen und daher schwinden zeitliche und räumliche Grenzen • Akzeleration: Produktions-, Dienstleistungs- und Kommunikationsprozesse beschleunigen sich kontinuierlich und werden komplexer • Subjektivierung: Arbeitnehmer tragen zunehmend mehr Eigenverantwortung für den Ablauf und Erfolg von Arbeitsprozessen • Tertiarisierung: der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft ist mit steigenden emotionalen und kognitiven Anforderungen verbunden • Neue Arbeitsformen: kürzere, diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse sind immer mehr üblich und damit ist eine wachsende Unsicherheit bei gleichzzeitig wachsender Belastung sozialer Beziehungen verbunden. Wie hat sich die Häufigkeit psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz innerhalb der letzten fünf Jahre verändert? stark zugenommen 51% eher zugenommen 94% 43% gleich geblieben 4% eher abgenommen 0% stark abgenommen 0% 2% keine Angabe / weiß nicht 0% 04 Abb. 1 | 25% | 50% | 75% Vereinfachtes Schema zur Entstehung von Stress und etwaige langfristige Folgen Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass Einzelnen mehr gefordert, als er vermeintlich eine Vielzahl von Studien einen starken Zusam- sich selbst imstande sieht zu leisten, entsteht menhang von psychischen Belastungen mit Stress. Allerdings ist Stress nicht nur bei Über- psychischen Erkrankungen zeigt. So konnte forderung zu beobachten, denn auch eine stän- beobachtet werden, dass Depressionen oder dige, z.B. monotone Unterforderung kann zu Depressivität umso häufiger auftreten, je höher Stressreaktionen führen. Stress ist somit eine die Arbeitsintensität bewertet wird (Rau et al., Folgereaktion von Faktoren und nicht als Auslö- 2010). Allerdings muss betont werden, dass ser selbst zu verstehen. Abb. 2 1 2 Belastung/ Anforderung Ressourcen/Mittel zur Bewältigung z.B. hoher Zeit- und Termindruck z.B. fehlende soziale Unterstützung/ Anerkennung von Vorgesetzten 3 unmittelbare Beanspruchungsfolgen/Stress nur von einem Zusammenhang oder einer Asz.B. Cortisol-/ Adrenalin-/Noradrenalinausschüttung, Unruhe, Angst soziation ausgegangen werden darf, und somit Verschiedenste arbeitswissenschaftliche Mo- die psychische Belastung nicht direkt proporti- delle sind für die Erklärung der Zusammen- onal in einem 1:1 Verhältnis psychische Erkran- hänge von auslösenden Faktoren und psy- kungen auslöst. (Bonde, 2008; Hasselhorn und chischen Portuné, 2010; Rau et al., 2013) Vor diesem Im deutschsprachigen Raum ist das Belas- Hintergrund muss auch beachtet werden, dass tungs-Beanspruchungs-Modell (Rohmert und Arbeit in der Regel nicht der einzige Grund für Rutenfranz, 1975) am weitesten verbreitet die Entwicklung einer psychischen Störung ist (Es ist z.B. auch in der DIN EN ISO 10075 und zudem der Arbeitsplatz auch nicht der ein- Norm zu ergonomischen Grundlagen bezüg- zige Ort ist, an dem den Betroffenen Unterstüt- lich psychischer Arbeitsbelastung enthalten). zung angeboten werden kann. Vielmehr sollten Psychische Belastung wird hier als Folge aller Mitarbeiter mit psychischen Belastungen am dokumentierbarer Einflüsse definiert, die von Arbeitsplatz in ihrem gesamten persönlichen außen auf den Mitarbeiter treffen und psy- Kontext wahrgenommen werden. Die Folgen chisch auf ihn einwirken. Die Auswirkung eben psychischer Belastung können sich zudem dieser individuellen psychischen Belastungen auch in Form anderer Symptome und Erkran- aus dem Arbeitsumfeld auf die Ressourcen auf eine psychische Belastung folgen kann. kungen äußern: Hier sind z.B. Herz-Kreislauf des einzelnen Mitarbeiters wird als resultie- Allerdings werden in diesem Modell komplexere Belastungen entwickelt worden. 4 langfristige Beanspruchungs-/Stressfolgen z.B. Erschöpfung, Bluthochdruck, Depression Erkrankungen (Backé et al. 2012) psychosoziale Belastungszusam- oder Muskel- und Skeletterkran- menhänge sowie die Beziehungen kungen (Costa und Vieira 2010) zu nennen. von Mensch und Umwelt kaum // Druck im Job raubt Deutschen den Schlaf // Im Zusammenhang mit psychi- berücksichtigt und ausschließlich einfache Ursache-Wirkungs- Die Zeit , 29. 01. 2013 Zusammenhänge angenommen. (Bamberg et al., 2006). schen Erkrankungen am Arbeitsplatz ist am häufigsten von Stress Grundsätzlich gehen alle wissen- die Rede. Stress kann als das Ergebnis eines Missverhältnisses zwischen den rende direkte psychische Beanspruchung im schaftlichen Modelle bei der Stressentstehung äußeren Anforderungen und den zur Verfügung Modell beschrieben. Nach diesem Modellver- von einem Ungleichgewicht zwischen Anforde- stehenden Möglichkeiten (Ressourcen), diese ständnis kann Stress somit als eine kurzfristige rungen und den zur Verfügung stehenden Mit- zu bewältigen, verstanden werden: Wird vom Beanspruchungsfolge angesehen werden, die teln aus, diese Anforderungen zu bewältigen. 05 Welche psychischen Beschwerden werden bei Arbeitnehmern am häufigsten diagnostiziert? Schlafstörungen Müdigkeit/Abgeschlagenheit Nervosität/Unruhe/Herzrasen Verspannungen/Verkrampfungen Konzentrationsstörungen Kopfschmerzen Magenschmerzen/Sodbrennen* Traurig gedrückte Stimmungslage* Reizbarkeit* Offene Nennungen Abb. 3 Diese unmittelbaren Beanspruchungsfolgen äußern sich in vielfältigen Beschwerden. Hier werden Rückenschmerzen, Verspannungen oder Verkrampfungen und Müdigkeit oder Abgeschlagenheit als führende 82% 71% 71% 67% 62% 56% 49% 48% 39% 25% Beschwerden in einer Untersuchung der AOK genannt. (Vetter und Redmann, 2005) Reizbarkeit zeigte laut dieser Studie den engsten Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz. In unserer SDK-Befragung zeigte sich ein ähnliches Bild: Laut Ansicht der behandelnden Ärzte stehen hier die Schlafstörungen im Vordergrund gefolgt von Müdigkeit bzw. Abgeschlagenheit und Nervösität, Unruhe bzw. Herzrasen. Erste somatische Beschwerden werden mit Verspannungen oder Verkrampfungen in zwei Drittel der Fälle beobachtet. Verschiedene Studien versuchen die Bedeutung psychischer Erkrankungen bei der Zunahme der Arbeitsunfähigkeit zu analysieren. Die Untersuchung der DAK kam zu der Einschätzung, dass die wachsende Zahl falsch positiver Diagnosen der Ärzte bzw. die Umstellung der Kodierung von ICD9 auf ICD10 nicht der Grund für die Zunahme psychischer Erkrankungen waren, vielmehr seien folgende Gründe ausschlaggebend (Kordt, 2005): • tatsächlicher Anstieg der Häufigkeit psychischer Erkrankungen, * Rücken, Muskel- oder Nackenschmerzen, Angstzustände, Tinnitus, Schwindel, Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und sonstige Einzelnennungen • verbesserte diagnostische Kompetenz der Ärzte, • erhöhte Bereitschaft von Betroffenen, Symptome zu äußern, Welche der untenstehenden Diagnosen werden Ihrer Meinung nach durch die Situation am Arbeitsplatz verstärkt oder ausgelöst? Somatoforme Störungen Angststörungen Alkoholstörungen Medikamentemissbrauch Unipolare Depression Posttr. Störungen (PTBS) Zwangstörungen* Psychotische Störungen* Bipolare Störungen* Sonstige 87% 85% 74% 66% 30% 12% 11% 9% 6% 7% Abb. 4 die auf psychische Störungen hindeuten und • erhöhte Bereitschaft von Betroffenen, entsprechende psychische Diagnosen zu akzeptieren. Belegt ist ein Anstieg psychischer Erkrankungen in Zusammenhang mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz allerdings nur für den Bereich der Depressionen. In der aktuellen SDK-Befragung standen nach Einschätzung der befragten Ärzte vier psychische Diagnosen, die durch die Situation am Arbeitsplatz verstärkt oder ausgelöst wurden, im Vordergrund: Hierzu zählen Somatoforme Störungen, Angststörungen, Alkoholstörungen und Medikamentenmissbrauch (Abb.3). Heute wird zunehmend auch der diagnostisch integrierende Begriff des Burnouts in Fachkreisen verwendet, zu dem eine emotionale und psychophysische Erschöpfung, eine depersonalisierte und zynische Selbstwahrnehmung und eine damit einhergehende verringerte Arbeitsleistung zählt. Hiermit eng verknüpft ist die klassische Diagnose der Depression. Inwiefern dies als reine Modediagnose bzw. alternatives handlungsleitendes Diagnosekonstrukt gewertet wird, zeigt der Artikel von Frau Dr. Berghöfer auf. Die anhaltend steigende Tendenz der psychischen Beschwerden am Ar- * Schlafstörungen, Erschöpfungssymptome, Persönlichkeitsakzentuierungen, Reifestörungen 06 beitplatz bestärkt einen wesentlichen Handlungsbedarf aus Sicht der Arbeitgeber, aber zunehmend auch aus gesellschaftlicher Sicht. Denn bisher hängt die Behandlung psychischer Störungen zu einem grossen Teil noch von der Eigeninitiative der Betroffenen ab (Kordt, 2005). Zwar sind psychische Beschwerden in den letzten Jahren zunehmend thematisiert worden und haben als psychische Belastungsfaktoren in verschiedener Hinsicht Eingang in Arbeitsschutzmaßnahmen gefunden. Dennoch wird das Potential der unterstützenden Maßnahmen am Arbeitsplatz noch nicht ausgeschöpft. Für die Verbesserung der Situation am Arbeitsplatz stehen vielfältige bewährte Handlungsansätze zur Verfügung, wie z.B. ein verbessertes Fallmanagement, eine strukturierte Wiedereingliederung, ein diversifizierende Arbeitsplatzgestaltung und eine unterstützte Beschäftigung. Eine strukturierte Betrachtung insbesondere aus der Sicht des Praktikers zeigt der Gastbeitrag von Dr. Schlosser. • Anonymus. Die Zeit, Stressreport - Druck im Job raubt Deutschen den Schlaf. Zeit-Online, Karriere; http://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-01/stress-arbeitsbelastung-druck-leistung; 2013, letzter Zugriff 12.11.2013 • Backé, E; Seidler, A; Latza, U; Rossnagel, K; Schumann, B. The role of psychosocial stress at work for the development of cardiovascular diseases – a systematic review. International Archives of Occupational and Environmental Health, 85: 67 – 79; 2012 • Bamberg, E; Keller, M; Wohlert, C; Zeh, A. BGW-Stresskonzept - Das arbeitspsychologische Stressmodell. Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW); Hamburg, 2012 • Bonde, JPE. Psychosocial factors at work and risk of deprssion: a systematic review of the epidemiological evidence. Occupational and Environmental Medicine 65: 438-445 • Da Costa, BR; Vieira, ER. Risk factors for work-related musculoskeletal disorders: a systematic review of recent longitudinal studies. American Journal of Industrial Medicine, 53 (3): 285 – 323. 2010 • Goebel, L. Die doppelte Belastung - Burnout bei Führungskräften. Frankfurter Allgemeine Zeitung Online, Beruf & Chance; http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/ burnout-bei-fuehrungskraeften-die-doppelte-belastung-11368270.html; 2011; letzter Zugriff 12.11.2013 • Hasselhorn, HM; Portuné, R. Stress, Arbeitsgestaltung und Gesundheit. In:Badura B, Walter U, Hehlmann T. Hrsg; Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation. Springer, Berlin, Heidelberg: 361-376; 2010 • Kordt, M. DAK Gesundheitsreport 2005. DAK Versorgungsmanagement, W403-2005, Hamburg; 2005 • Lohmann-Haislah. Stressreport Deutschland 2012 - Psychische Anforderungen, Ressourcen und Befinden. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund; 2012 • Rau, R; Morling, K; Rösler, U. Is there a relationsship between major depression and both objetive assessed and perceived job demand and job control? Work and Stress, 24: 1-18; 2010 • Rau, R; Henkel, D; Zusammenhang von Arbeitsbelastung und psychischen Erkrankungen. Nervenarzt 84:791-798; 2013 • Rohmert, W; Rutenfranz, J. Arbeitswissenschaftliche Beurteilung der Belastung und Beanspruchung an unterschiedlichen Industriearbeitsplätzen. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bonn; 1975 - Nach: Waldbüsser P. Versetzte Ausbildungszeiten in der Berufsausbildung jugendlicher Nachwuchskräfte. Dissertation, Psychologisches Institut der Universität Heidelberg; 2004 • Vetter,C; Redmann, A: Arbeit und Gesundheit - Ergebnisse aus Mitarbeiterbefragungen in mehr als 150 Betrieben. WIdO-Materialien Bd. 52, Bonn; 2005 07 Wandel Burnout – Ausdrucksform des rasanten Wandels in Arbeitswelt und Gesellschaft von Dr. med. Anne Berghöfer Burnout als Begriff, Syndrom und medizinisch-psychologisches Konstrukt hat in den vergangenen Jahren enorme Aufmerksamkeit in der Presse, bei Akteuren und Verantwortlichen im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt erfahren. Dabei ist der Begriff selbst viel älter: in den 70er Jahren entwickelte ihn sein Erstbeschreiber, der Psychoanalytiker Freudenberger, gezielt zur Darstellung einer Überlastungsentwicklung bei hochgradig idealistisch und altruistisch tätigen Ehrenamtlichen in Hilfsorganisationen1. Das Burnout-Konzept, wie es heute in Fachkreisen verwendet wird, basiert auf der Arbeit der Gesundheitspsychologinnen Maslach und Jackson2 und beinhaltet die Trias “emotionale und psychophysische Erschöpfung”, “Zynismus und Depersonalisation” und “verringerte Arbeitsleistung”. Die Betroffenen leiden unter einem Gefühl, ständig beruflich überfordert und angespannt zu sein, ohne Möglichkeit und Gelegenheit zu zwischenzeitlicher Entspannung. Körperliche Symptome wie Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen und Magen- und Darmstörungen ergänzen das Bild. Die Arbeitseinstellung ist durch Frustration, Rückgang des Engagements, Verbitterung Dr. med. Anne Berghöfer Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Schwerpunkt psychiatrische Versorgungsforschung am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité – Universitätsmedizin Berlin und zynischen Umgang mit den Personen im Umfeld gekennzeichnet. Schließlich verringert sich die Arbeitsleistung durch Konzentrationsstörungen, Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen sowie Verlust der Kreativität2. Ganz im Gegensatz zu den Akzeptanzbarrieren, die diverse psychische Störungen und psychiatrische Diagnosen in der Gesellschaft überwinden müssen, erfreut sich Burnout einem ubiquitären Angenommenwerden, welches Antistigmakampagnen überflüssig macht und das Hilfesuchen der Betroffenen wesentlich erleichtert. Doch wie ist diese Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erklären? Die Veränderung unserer Umwelt und insbesondere der Arbeitswelt ist in den letzten Jahrzehnten rasant und dramatisch vorangeschritten. Globalisierung und Ökonomisierung haben vielfach zu einer Zunahme der Komplexität der Arbeitsprozesse für den Einzelnen und zu einer Arbeitsverdichtung geführt. Die Kontrolle über Arbeit und Privatleben, die Selbstbestimmung des 08 Tempos und der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns hat kontinuierlich grund der weiten Überlappung ihrer Symptomprofile mit Burnout abgenommen. in Frage: Zunehmende Individualisierung und Anonymisierung reduzierten zugleich die Verfügbarkeit und Dichte der unterstützend und kompensierend wirkenden sozialen Netze. Vor diesem Hintergrund ist • Die depressive Störung weist als Hauptsymptome depressive Burnout eine Ausdrucksmöglichkeit, eine Sprechform für die an der Stimmung, Interessenverlust und Antriebsmangel auf, daneben Transformation leidende Gesellschaft geworden. Die Arbeitsmedizin hat treten körperliche Störungen, Einschränkung der Konzentration und es heute – um es auf den Punkt zu bringen – an Stelle der Steinstaub- negative Denkmuster auf. Insbesondere die bei Burnout angegebene lunge mit dem Burnout zu tun. Die Evidenz für einen Zusammenhang Erschöpfung ist auch bei der Depression ein häufiges Symptom. zwischen Arbeitsbelastung und dem Entstehen von psychiatrischen Die depressive Störung kommt auch in atypischen Verlaufsformen Erkrankungen ist vielfältig und deutlich . mit Dysphorie und leichter Kränkbarkeit daher, sowie gerade im 3, 4 Kontext von Arbeitsplatzproblemen als sog. Posttraumatische Insofern ist gegen die Bezeichnung von Burnout als Modediagnose zunächst Verbitterungsstörung6, eine besondere Form der Anpassungsstörung. nichts einzuwenden, es sei denn, sie ist despektierlich und bedeutungs- • Die Symptome von Angststörungen überschneiden sich ebenfalls mit mindernd gemeint. Symptomkomplexe, Syndrome und Diagnosen sind über denen des Burnout, besonders zu nennen sind arbeitsplatzbe- längere gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen hin gekommen zogene Ängste, Vermeidungsverhalten sowie dauerhaft bestehende und wieder gegangen, so die Neurasthenie im 19. Jahrhundert oder die Erschöpfungsdepression im 20. Jahrhundert. Sie sind Ausdrucksformen • Schließlich sind auch somatoforme Störungen sorgfältig auszu- des Menschen im gesellschaftlichen Bedingungsgefüge und somit ernst schließen. Mit Burnout haben sie die Erschöpfung und allgemeine zu nehmen. erhöhte Anspannung gemeinsam, vielfältige körperliche Störungen körperliche Anspannung. können dabei eine erhöhte Inanspruchnahme von GesundheitsIm Hinblick auf Burnout ist allerdings zu konstatieren, dass jenseits von offiziellen medizinischen leistungen verursachen. Klassifikationssystemen aus diesem Beschreibungsmodell unkritisch eine medizinische Wenn eine dieser psychiatrischen Diagnosen gestellt wird, muss diese Diagnose geworden ist, die vielfach zu Leistungsansprüchen im dem Patienten auch benannt und als therapiebegründend dokumentiert Gesundheitswesen führt und medizinisch-therapeutische Handlungen werden. Keinesfalls darf die Bezeichnung der Beschwerden durch den indiziert. Keinesfalls darf Burnout an den anerkannten Klassifikations- Patienten als Burnout beibehalten werden5. systemen für Krankheiten vorbei als Ersatzbezeichnung für Depression verwendet werden. Spätestens hier ist zu fordern, dass Von Interesse ist neben dem bereits genannten sozialen Bedingungsgefü- die im Gesundheitswesen sowohl präventiv als auch therapeutisch ge aber auch ein Blick auf psychologische Faktoren, die entweder Burnout Tätigen sich einem kritischen Hinterfragen des Konstrukts Burnout befördern oder davor schützen, indem sie die Widerstandskraft erhöhen. stellen . Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus, Rigidität und mangelnde 5 Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, Perfektionismus und hoher Selbst- _Umgang mit Burnout anspruch, sowie leichte Kränkbarkeit scheinen Faktoren zu sein, die die Wie sollten wir idealerweise also mit Burnout in der Versorgung Entstehung von Burnout befördern. Extraversion, Flexibilität und stabiles von Betroffenen umgehen? Zunächst einmal muss den vorge- Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Gelassenheit und Geselligkeit hinge- brachten Beschwerden unbedingt Aufmerksamkeit geschenkt und die gen erhöhen die Resilienz, d.h. die Widerstandskraft gegen Stressoren. Attribution Burnout durch den Patienten akzeptiert werden. Unerlässlich Studienergebnisse deuten auf einen komplexen Zusammenhang zwischen ist aber, daran eine sorgfältige Diagnostik und Differenzialdiagnostik einer dysfunktionalen und anpassungsgestörten Persönlichkeitsstruktur anzuschließen. Folgende psychiatrische Erkrankungen kommen auf- und Burnout hin5, 7. 09 _Wege der Theapie Gesellschaft führt. Mit dem Begriff Burnout sind diese zunehmenden ge- Die Therapie ist folglich durch die gestellte psychiatrische Diagnose vor- sundheitlichen Risiken kommunizierbar geworden, ohne durch ein Stigma gegeben. Sowohl für die Depression, als auch für Angststörungen und belastet zu sein. Die Entwicklung sorgfältig in ihren Auswirkungen zu ana- weitere psychiatrische Diagnosen existieren aktuelle Therapiestandards, lysieren und geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, ist nicht die handlungsleitend sind. Aufgabe des behandelnden Arztes, sondern vorrangig der Arbeitgeber und ihrer betriebsärztlichen Einrichtungen, der Sozialversicherungsträger und Die Gruppe von Patienten, bei denen keine psychiatrische Diagnose auch der Politik. gestellt werden kann, sollte in Zusammenarbeit mit zuständigen Einrichtungen des Arbeitgebers beraten und betreut werden. Im Vordergrund sollten individuelle edukative und psychohygienische Maßnahmen stehen, wie das Erlernen von Zeitmanagement, Selbstorganisation und Entspannungstechniken, sowie die Rückgewinnung von sozialen Ressourcen. Ziel soll längerfristig die allgemeine Stärkung der Resilienz des Betroffenen sein. Burnout ist, wenn keine manifeste psychiatrische Störung zu diagnostizieren ist, als ernstzunehmender Risikofaktor für die Entwicklung einer solchen anzusehen, daher ist die zugrundeliegende Arbeitsüberlastung durch geeignete Präventionsmaßnahmen anzugehen. Burnout kann aber auch die therapeutische Zugänglichkeit behindern, da es nicht selten als eine typische „Krankheit“ der Engagierten und Leistungsorientierten in der Arbeitswelt kategorisiert wird und damit dem betroffenen Patienten eher das Attribut des Helden verleiht, als dass Burnout die Einsicht in die Notwendigkeit verhaltenspräventiver Maßnahmen eröffnet8. Eine leichtfertige Krankschreibung zur vorrübergehenden Entlastung kann nicht als geeignet angesehen werden, wenn sie nicht auf eine psychiatrische Diagnose und Therapiemaßnahme gestützt ist. Die Ergebnisse der Expertenbefragung liefern Hinweise darauf, dass eine Krankschreibung in der Versorgungspraxis möglicherweise unkritisch und nicht ausreichend durch eine ICD-10-Diagnose begründet erfolgt. Nicht selten antworteten Ärzte, dass sie gelegentlich tatsächlich Burnout auf die Krankschreibung setzen und damit ein anderes Krankheitsbild als Depression meinen. Eines ist durch die mediale Präsenz von Burnout deutlich geworden: die Arbeitswelt ist einem Wandel unterzogen, der einen zunehmenden Anteil der Arbeitnehmer einem intolerablen Stress aussetzt, der als prominenter Risikofaktor zu einer Zunahme von psychiatrischen Erkrankungen in der 10 1 2 3 4 5 6 7 8 Freudenberger HJ. Staff burnout. J Soc Issues 1974;30:159-165 Maslach C, Jackson SE. Maslach Burnout Inventory (Human Service Survey). Consulting Psychologists Press, Palo Alto 1981 Rau R, Henkel, D. Zusammenhang von Arbeitsbelastungen und psychischen Erkrankungen. Review der Datenlage. Nervenarzt 2013;84:791-798 Brühlmann T. Was ist Burnout? Praxis 2007;96:901-905 Kapfhammer HP. Burnout. Krankheit oder Symptom? Internist 2012;53:1276-1288; Berger M. Burnout. Nervenarzt 2013; 84:789-790 Linden M, Die Posttraumatische Verbitterungsstörung. PsychoNeuro 2005; 31; 21-24 Rössler W, Hengartner MP, Aljadic-Gross V, Angst J. Zusammenhang zwischen Burnout und Persönlichkeit. Ergebnisse aus der Zürich-Studie. Nervenarzt 2013;84:799-805 Hillert A, Koch S, Lehr D. Das Burnout-Phänomen am Beispiel des Lehrerberufs. Paradigmen, Befunde und Perspektiven berufsbezogener Therapie- und Präventionsansätze. Nervenarzt 2013;84:806-812 Psychische Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz: Lösungsansatz Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen von Hans Oehl Überstunden, Zeit- und Termindruck, Über- Erkrankungen. Mit 22,5 AU-Tagen im Durchschnitt bzw. Unterforderung oder der Anspruch der haben die AOK-Versicherten die geringsten Fehl- ständigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit zeiten. Es folgen die DAK-Versicherten mit 33,2 sind von Arbeitnehmern häufig genannte Ur- AU-Tagen sowie die Techniker Krankenkasse mit sachen, warum sie sich gestresst fühlen. Das 39,5 Fehltagen. Spitzenreiter ist die Barmer GEK Stresslevel des Einzelnen ist individuell un- mit 46,9 AU-Tagen. (Abb.1) Deutlich wird dem- terschiedlich: Ist die Dosis zu hoch, kann es nach, dass die psychischen Erkrankungen über zu starken psychischen Belastungen führen. dem Durchschnitt der AU-Tage aller Erkrankungen von 12,9 Tagen liegen und die längsten Ausfall- Hans Oehl Geschäftsführer gesundwerker eG Die Folgen dieser Belastungen finden sich in den zeiten haben. Die Varianz kann auf die unter- Gesundheitsreporten der Krankenkassen wieder. schiedliche Versichertenstruktur zurückzuführen So liegen die psychischen Erkrankungen auf Platz sein. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen zwei der Krankheitsarten mit den größten Anteilen werden, dass die Unterschiede auf die verschie- an den Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage). Laut denen Darstellungsmethoden der Krankenkassen dem Gesundheitsreport der DAK entfallen 14,5 zurückgehen. Prozent der AU-Tage im Jahr 2012 auf die psychi- Um diese Ausfallzeiten zu minimieren, befassen schen Erkrankungen. Bei der Barmer GEK sind es sich große Konzerne bereits seit vielen Jahren bereits 18,8 Prozent – Tendenz steigend. Auf Platz sehr intensiv mit dem Thema Gesundheit, teilweise eins liegen die Muskel-Skelett-Erkrankungen; Er- gibt es bereits eigene BGM-Abteilungen. Ihr Kon- krankungen der Atmungssysteme rangieren auf zept ist ein langfristig angelegtes Instrument und Platz drei. fest im Leitbild sowie in der Unternehmenskultur Einig sind sich die Krankenkassen in der jährlich verankert. Allerdings sind laut dem Statistischen wachsenden Zahl der psychischen Erkrankungen. Bundesamt mehr als 60 Prozent der 24,9 Mio. Generell leiden mehr Frauen als Männer daran. Erwerbstätigen in kleinen und mittleren Unter- Unterschiede liegen allerdings in der Zahl der nehmen beschäftigt. Diese sind im Bereich des durchschnittlichen AU-Tage aufgrund psychischer betrieblichen Gesundheitsmanagements meist auf 11 externe Hilfe angewiesen. Genau die richtige Form der Unterstützung bietet sukzessive an das Thema Gesundheit herangeführt. Um die Nachhaltigkeit die gesundwerker eG. Die Tochtergesellschaft der SDK wurde im März 2013 zu gewährleisten, werden basierend auf einer Mitarbeiterbefragung dem Un- aus einer engen Zusammenarbeit der Süddeutschen Krankenversicherung ternehmen unter anderem Seminare und Präventionskurse nach § 20 SGB V (SDK) und der mhplus Krankenkasse heraus gegründet und ist die erste angeboten. So werden von den Krankenkassen anerkannte Entspannungs- Genossenschaft für Betriebliches Gesundheitsmanagement in Deutschland. kurse wie beispielsweise Progressive Muskelentspannung speziell für das Mit BGM-Knowhow und der Durchführung praktischer Angebote wie einem Unternehmen organisiert. individuellen Gesundheitstag ermöglichen die gesundwerker Firmen einen Das Konzept der gesundwerker ist ein guter Einstieg gerade für kleine und schnellen und unkomplizierten Einstieg in eine komplexe Thematik. mittlere Unternehmen, einen ersten Schritt in Richtung betriebliches Gesundheitsmanagement zu gehen und sich externe Hilfe für die Einführung an die _Drei-Säulen-Konzept Seite zu holen. Das Konzept der gesundwerker eG beruht auf den drei Säulen „Ernährung – Bewegung – Entspannung“ und setzt somit an den drei Spitzenreitern der Krankheitsarten mit den größten Anteilen an AU-Tagen an. Im Rahmen eines Gesundheitstages wird der Gesundheitszustand der Mitarbeiter erfasst und dient als erste Sensibilisierungsmaßnahme für das Thema Gesundheit. Im Bereich der Entspannung wird den Mitarbeitern eine bestimmte Atemtechnik vermittelt, um ihr Stresslevel innerhalb kürzester Zeit zu senken. Mit dem Stresspiloten können die Messergebnisse visuell sichtbar und greifbar gemacht werden. In einer individuellen 1:1-Situation werden dem Mitarbeiter in einem geschützten Rahmen die Ergebnisse erklärt und Empfehlungen ausgesprochen. Durch die persönliche Betreuung und private Atmosphäre werden die möglichen Einstiegsbarrieren stark minimiert und der Mitarbeiter 1 Vgl. DAK Gesundheitsreport 2013. DAK Forschung. IGES Institut GmbH. S. 17 Abb.: 13 2 Vgl. Gesundheitsreport 2013 Baden-Württemberg. Barmer GEK. ISEG. S. 6 3 Vgl. Pressemitteilung vom 16.08.2012 zu Fehlzeiten-Report 2012. Wissenschaftliches Institut der AOK. S. 2 4 Vgl. DAK Gesundheitsreport 2013. DAK Forschung. IGES Institut GmbH. S. 28 5 Vgl. Gesundheitsreport 2012. Techniker Krankenkasse. ISEG. S. 78 6 Vgl. Gesundheitsreport 2013 Baden-Württemberg. Barmer GEK. ISEG. S. 163 7 Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. http://www.gbe-bund.de/oowa921-in-stall/ servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/ &p_aid=i&p_aid=87720338&nummer=267&p_sprache=D&p_indsp=99999999&p_ aid=81859242 [04.11.2013] 8 Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/ UnternehmenHandwerk/KleineMittlereUnternehmenMittelstand/Aktuell.html [04.11.2013] Durchschnittliche AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen AOK DAK Abb. 1 TK Barmer GEK 22,5 % 33,2 % 39,5 % 46,9 % 0% 12 | 25% | 50% Handlungsfelder Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz von Dr. Stephan Schlosser Psychische Gesundheit ist untrennbar verbunden mit der Gesundheit von Personen. Die gute Botschaft dabei ist: Personen, A. Typische Hindernisse und Denkfehler Organisationen und Gesellschaften haben _Mangel an begrifflicher Klarheit über viele Jahrhunderte hinweg Erfahrungen Jeder versteht etwas Anderes unter „Psyche“ gesammelt im Umgang mit Gesundheit und und „psychischer Gesundheit“. Zwar gibt es mit gutem Lebens- und Arbeitsstil. Insofern eine Norm zu „psychischen Belastungen“ gibt es berechtigten Anlass zu der Hoffnung, (EN ISO 10075-1, 2000). Aber in der wis- dass gute Betriebe und Unternehmen auch in senschaftlichen Fachwelt gibt es über deren unserer Zeit einen angemessenen Umgang mit Brauchbarkeit erhebliche Meinungsverschie- der Gesundheit von Personen finden können. denheiten. Die Norm spricht ohne große Trennschärfe von der „…Gesamtheit aller erfass- Aktuell findet das Thema psychische Gesundheit baren Einflüsse, die von außen auf den zwar große Beachtung in der Laienpresse. Ande- Menschen zukommen und psychisch auf rerseits gibt es in Betrieben und Unternehmen viel ihn einwirken.“ Selten wird genau erklärt, was Verunsicherung und nicht selten auch Abwehrbe- mit „psychisch“, „seelisch“, „emotional“, „men- wegungen gegen das Thema. Das sollte im Inte- tal“, „geistig“, „psychosozial“, „psychomental“, resse von Personen und Unternehmen nicht so „psychosomatisch“, „biopsychosozial“, „sozio- bleiben und dieser Artikel möchte hierzu einen Bei- kulturell“ etc. gemeint ist. Ähnlich vieldeutig ist trag leisten. Der Beitrag gliedert sich in vier Teile: die Verwendung von „Stress“. Daher ist es ver- Dr. Stephan Schlosser Leiter Gesundheitszentrum TRUMPF GmbH & Co. KG ständlich, dass auch Unternehmer und BetriebsA. Typische Hindernisse und Denkfehler leiter keine klaren Konzepte zur Hand haben. B. Hilfreiche Modelle zu Gesundheit, Arbeit und C. Steuerung über fünf praxisrelevante _Die subjektive Lage entspricht nicht der objektiven Lage Handlungsfelder Diesen Satz muss man unbedingt akzeptieren, D. Beschreibung konkreter Einzelinstrumente wenn zu ihrer Wechselwirkung man angemessen mit psychischer 13 Gesundheit umgehen will. Das fällt vielen nische Zeitgenossen schwer, weil sie eher im tech- große Rolle für psychische Gesundheit spielt, haben auch ge- nisch-industriellen Denken von Machbarkeit sellschaftliche Entwicklungen wie der Prozess der Aufklärung und objektivierbaren Kausalzusammenhängen einen Einfluss auf psychische Gesundheit. Was früher richtig und trainiert sind. Bei einer Befragung von erfolgreich war, kann daher heute falsch und erfolgsbedrohend tausend deutschsprachigen Personen waren sein. Das kennen eigentlich alle Unternehmen aus vielfältigen die Menschen in Baden-Württemberg deutsch- Veränderungen ihres Marktes. Maschinenstandards. Da die subjektive Lage eine landweit Spitzenreiter im Stressempfinden Baden-Württemberg eine der wohlhabendsten _Fruchtloser Streit über die „Ursache“ von psychischen Störungen. Regionen der Erde. Kommt die Störung aus der Arbeit oder aus dem Privatleben? Hierzu (Techniker Krankenkasse 2013). Objektiv ist werden aufwendige Statistiken mit teilweise widerstreitenden Ergebnis- _„Die Beschäftigung mit psychischer Gesundheit provoziert psychische Störungen“ sen erstellt. Seriöse Publikationen finden in der Regel eine Mischung Es besteht eine Angst vor der subjektiven Person. Da die subjektive Lage wichtig für psychische Gesundheit Lage von Mitarbeitern. Das Sprechen über ist, funktioniert Prävention durch Gestaltung der objektiven Lage psychische Gesundheit könnte die subjek- leider nicht so gut wie man es wünschen würde. Unterneh- tive Lage von Personen in eine negative men sind daher gut beraten, wenn sie hellhörig und wohlwollend Richtung verschieben. „Arbeit ist kein- auf die subjektive Lage ihrer Mitarbeiter reagieren. Selbstredend Wunschkonzert“, wird häufig gesagt. Unter- gibt es daneben legitime Rahmenbedingungen von Arbeit, die nicht nehmen Schwächung täglich verhandelt werden können. Jede Firma – und ist sie noch der Arbeitsmoral und eine Überbetonung so klein – braucht also ein Konzept und konkrete Instrumente. der individuellen Vorlieben ihrer Mitarbeiter. Gute Betriebsärzte können hierzu Beratung und Unterstützung Gerade weil die objektive Lage nicht anbieten. So kann der Ausgleich zwischen objektiven Arbeits- alleinentscheidend für psychische Gesund- anforderungen und subjektiver Mitarbeiterlage gestaltet werden. befürchten eine von Faktoren (Jacobi et al., 2012). Die Frage ist aber nicht so wichtig, wie oft behauptet wird. Es gibt jeweils nur EINE Gesundheit einer heit ist, lässt sich diese Sorge nicht zeigen werde, gibt es aber – genau wie _Kommerzielle Interessen von „Helfern“ gefährden die Seriosität in technischen Fragen – einen „Stand der Angetrieben durch die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema psy- Technik“ im Umgang mit den persönlichen chische Gesundheit in Verbindung mit plakativen Übertreibungen in Neigungen und wichtigen Überzeugungen der Laienpresse, mit der begrifflichen Unschärfe und mit der Fach- von Mitarbeitern bzw. Personen allgemein. fremdheit der Auftraggeber (Unternehmer), hat sich ein lukrativer Markt Man kann sie beachten oder missachten. für Hilfsangebote aller Art entwickelt. Nicht immer werden dabei die Aber man muss dann die Folgen bei Miss- erforderlichen Qualitätskriterien für den Umgang mit psychischer achtung aushalten. Gesundheit im Betrieb erfüllt. Psychische Gesundheit muss in den _Früher hat sich doch auch niemand um diesen „Psychokram“ gekümmert funktioniert im Kleinbetrieb nur, wenn der Unternehmer eine einfache Die Frage ist, welche Periode mit „früher“ (Kapitel C) zum Gesamtthema Gesundheit an die Hand bekommt. Die gemeint ist. Schon Aristoteles sowie andere konkret benennbaren Einzelinstrumente (Kapitel D) können individu- Denker und Ärzte haben sich durch die ell gestaltet werden. Die richtigen Modelle (Kapitel B) zu Gesundheit, Jahrhunderte mit Fragen von „Diätetik“, Arbeit und ihrer jeweiligen Wechselwirkung müssen mindestens d.h. von gutem Leben und gutem Arbeiten implizit in der Steuerungslogik enthalten sein. Eine explizite befasst. Jede Zeit hat ihre Schwerpunkte Darstellung der Modelle kann bei der betrieblichen Implementierung und ihre blinden Flecke. Der „Stand und beim Marketing der Steuerungslogik helfen. Ein guter Betriebs- der Technik“ im Umgang mit psychischer arzt ist der typische Partner, der aufgrund seiner fachlichen Gesundheit Qualifikation in allen fünf Handlungsfeldern beraten und bei vielen ganz von der Hand weisen. Wie ich unten Gesamtkontext von Gesundheit im Betrieb eingeordnet werden. Dies unterliegt ebenso einer ständigen Weiterentwicklung wie tech- 14 Steuerungslogik mit wenigen praxisrelevanten Handlungsfeldern Einzelinstrumenten persönlich die Leistung erbringen kann. Gesundheit von Personen Abb. 1 B. Hilfreiche Modelle _Gesundheit von Personen betrachtet werden: Au n te al n rh tio Ve u n k F St sse ru he kt n ur Gesundheit von Personen kann durch mindestens vier Dimensionen 1) Struktur (Materie, Anatomie) 2) Funktion („Bios“, Leben, Physiologie) 3) Gefühle (Psyche) Person positiv: angenehm/Lust; negativ: unangenehm/Unlust/Angst/Sorge/etc. G Ve e f ü rh hl al e te n g un ug e ze h er rac Üb Sp 4) Überzeugungen („Logos“, Geist) Was ist für mich… …sinnvoll-sinnlos …wichtig-unwichtig …richtig-falsch/etc. Defensive Strategie: Manche Unternehmen beschränken sich auf den gesetzlich verpflichtenden Gesundheitsschutz durch Sichere Arbeit und Gefährdungsminimierung. Gesundheitsschutz von Personen (s. o.) beachtet idealerweise alle vier personenbezogenen Gefährdungstypen: Haus der gelingenden Arbeit Abb. 2 1) Gefährdung der anatomischen Integrität 2) Gefährdung der physiologischen, funktionalen Integrität 3) Gefährdung durch ständige Missachtung der persönlichen Neigungen (Gefühle) a) Suchtzwang (entwickelt sich paradoxerweise aus dem Nachgeben einer Neigung) b) Ständiger Zwang, mit unangenehmen Gefühlen zu arbeiten (Ärger, Angst, Sorgen, etc.) 4) Gefährdung durch ständige Missachtung der wichtigen persönlichen Überzeugungen a) Ständiger Zwang, das zu tun, was ich für sinnlos, unwichtig, falsch, etc. halte Offensive Strategie: Manche Unternehmen entschließen sich darüber hinaus freiwillig zu Gesundheitsförderung durch Gute Arbeit. Sie möchten eine Verbesserung, Förderung, Optimierung, Entwicklung, etc. von Gesundheit erreichen. Das wäre dann: 1) Erhalt/Förderung der anatomischen Integrität 2) Förderung der physiologischen, funktionalen Integrität 3) Beachtung der persönlichen Neigungen (Gefühle): Freude, Lust, Begeisterung, etc. 4) Beachtung der wichtigen persönlichen Überzeugungen: sinnvoll, wichtig, richtig, gut, etc. Für die Gesundheitsdimensionen Struktur (1) und Funktion (2) gibt es Normwerte und objektive Expertenempfehlungen, z.B. von Ärzten. Bei den 15 Gesundheitsdimensionen Gefühle (3) und Überzeugungen (4) erkennt man sofort die Bedeutung der subjektiven Lage. Diese Dimensionen berühren den Kern unserer Art zu leben und zu wirtschaften. „Stand der Technik“ kann hier nicht bedeuten, dass festgelegt wird, was die „richtige“ persönliche C. Steuerung über fünf praxisrelevante Handlungsfelder Neigung und/oder Überzeugung ist. „Stand der Technik“ kann nur bedeuten, dass Schutz und Beach- In unserer Praxis hat sich die Zuordnung der Ein- tung von persönlichen Neigungen und Überzeugungen grundsätzlich Voraussetzung für Gesundheit und zelinstrumente in fünf Handlungsfelder bewährt. insbesondere für psychische Gesundheit ist. Nicht jeder Betrieb hat Zeit, Geld und Bedarf Dieses Modell orientiert sich an dem Konzept einer „Personalen Medizin“ (Danzer, 2012). für alle in Kapitel D vorgestellten Instrumente. Aber jeder Betrieb muss zum Thema Gesundheit _Haus der gelingenden Arbeit grundsätzlich die folgenden fünf Handlungs- Damit Arbeit gelingt, braucht es mehr als Gesundheit. In Finnland wurde dafür das Haus der felder im Blick haben und dazu Entscheidungen Arbeits(bewältigungs)fähigkeit entwickelt (Ilmarinen, 2002). Neben der Gesundheit und der damit treffen: verbundenen Leistungsfähigkeit spielen noch drei andere Faktoren eine Rolle. Kompetenz umfasst alle Fähigkeiten und Kenntnisse, die sich eine Person durch Lernen aneignen kann. Motivation für 1) Hilfe bei Störung eine bestimmte Arbeit wird gespeist aus den Werten und Einstellungen der Person. Arbeitsgestal- Wir reagieren wenn Arbeit nicht gelingt tung ist das wesentliche Handlungsfeld eines Unternehmens. Weil „Arbeitsbewältigungsfähigkeit“ ein und / oder Gesundheit instabil wird sprödes Wort ist, benutzen wir im Unternehmen den Namen „Haus der gelingenden Arbeit“ (Abb.2) . 2) Sichere Arbeit Sowohl der Betrieb als auch der Mitarbeiter haben ein Interesse daran, dass Arbeit gelingt. Wir schützen die Gesundheit durch sichere Arbeitsgestaltung _Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit 3)Früherkennung Die Arbeitsmedizin ist die medizinische Fachdisziplin, die sich mit dieser Wechselwirkung befasst und Wir bieten ärztliche Untersuchungen zwar in beiden Richtungen. Die erste Frage befasst sich mit der Wirkung von Arbeit auf die Gesundheit. zur Früherkennung an Was braucht es, damit die Gesundheit nicht gefährdet wird und was braucht es, damit die Gesund- 4)Lebensstil heit durch Arbeit stabiler wird? (Abb.3) Auch das gibt es tatsächlich. Die zweite Frage befasst sich mit Wir machen Angebote zur Optimierung der Wirkung von Gesundheit auf Arbeit: Kann eine bestimmte Arbeit bei angeborener oder erworbener des Lebensstils Gesundheitsstörung ausgeführt werden? Man kann das auch die Frage der medizinischen Eignung nen- 5) Gute Arbeit nen. Arbeitsmedizinisch orientiertes „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ (BGM) befasst sich im Wir fördern die Gesundheit Grunde genau mit denselben Fragen. Aber bei weitem nicht jedes sogenannte „BGM“ hat den gleichen durch gute Arbeitsgestaltung und umfassenden und medizinisch fundierten Ansatz wie die Arbeitsmedizin. ein gutes Arbeitsumfeld Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit Arbeit 16 Abb. 3 Gesundheit In den Feldern 1) bis 3) finden sich u. a. Instrumente, die gesetzlich vorge- _Moderiertes Gruppengespräch schrieben sind. Die Felder 4) und 5) enthalten ausschließlich Instrumente, Führungskräfte können bei Bedarf einen internen oder externen Mode- die als freiwillige Kürleistungen zu bezeichnen sind. Da sich alle fünf rator hinzuziehen. Jeder Betrieb kann hier eine individuelle Lösung für Handlungsfelder auf das Thema Gesundheit beziehen, sollten sie sinn- die Besetzung der Moderatorenrolle finden (Betriebsarzt, Psychologe, vollerweise regelmäßig von der Unternehmensleitung im Zusammenhang Sozialberater, Mediator, Coach, etc.). betrachtet, bewertet und koordiniert werden. Das ist in der Praxis leider lierte Angebote von Modulen aus dem Handlungsfeld 4 (Lebensstil), z. B. _Betriebsarztsprechstunde („first“ oder „second responder“) mit dem Ziel, die psychomentale Fitness zu stärken. Dies bewährt sich in Ein guter Betriebsarzt ist der ideale „second responder“ bei Verdacht der Regel nicht. Ein systemisches und systematisches Vorgehen erfordert auf eine psychische Gesundheitsstörung. Er kann evtl. erforderliche die Beachtung aller fünf Handlungsfelder. Labor- und Funktionsuntersuchungen veranlassen oder auch weiter- nicht überall umgesetzt. Vereinzelt machen Betriebe auch gänzlich iso- D. vermitteln an die Psychosomatiksprechstunde bzw. andere Einrich- Beschreibung von konkreten Einzelinstrumenten _Handlungsfeld 1: Hilfe bei Störung tungen. Der Betriebsarzt kann auch als „first responder“ fungieren. Idealerweise wissen die Mitarbeiter dann, wie sie – auch ohne Registrierung bei Betriebs- oder Personalleitung – bei psychischen Beschwerden zum Betriebsarzt kommen. Viele psychische Gesundheitsstörungen entwi- _Führungskraft als „first responder“ ckeln sich langsam über Wochen. Der Betriebsarzt muss also nicht Die direkte Führungskraft ist täglich vor Ort und kann am ehesten täglich im Haus sein. Wichtig ist nur, dass besprochen und kommuni- erkennen, ob Mitarbeiter Hilfe bei Gesundheitsstörungen brauchen. ziert ist, wie ein Mitarbeiter zum Betriebsarzt als „first“ oder „second Führungskräfte sind häufig unsicher, was sie erkennen können, sollen, responder“ (via Empfehlung durch Führungskraft) kommt. müssen. Deshalb gibt es bei uns ein verpflichtendes Seminarangebot dass ihre Alltagserfahrungen – wenn sie beachtet werden – ausrei- _Psychosomatiksprechstunde („second“ oder „third responder“) chend sind, um fürsorglich auf Veränderungen von Aussehen, Verhal- Manche Betriebsärzte haben psychosomatische oder psychotherapeu- ten, verbalen Äußerungen und Notfällen der Mitarbeiter zu reagieren. tische Zusatzqualifikationen. Die meisten werden eher an einen Kolle- Weiterhin lernen sie, dass die disziplinarisch erforderliche Reaktion auf gen verweisen. Bei einer kompletten Vergabe nach extern (z. B. hotline lange oder häufige Fehlzeiten, auf deutlich veränderte Leistung und als „first responder“) besteht die Gefahr, dass das Leistungsgeschehen auf fragliche Eignung für eine Aufgabe eine zusätzliche Gelegenheit ist, komplett am Betrieb vorbeigeht. Man sollte dann eine geeignete Form auf indirektem Weg frühzeitig auf Gesundheitsstörungen zu reagieren. der Rückmeldung verabreden, damit der Betrieb in der Lage bleibt, den Reagieren bedeutet: Terminierung eines Mitarbeitergesprächs (s.u.). Zusammenhang zu seinen betrieblichen Maßnahmen zu bewerten. für alle neu ernannten Führungskräfte. Führungskräfte lernen dabei, Größere Betriebe führen regelmäßig Kennzahlen zur Arbeitsunfähigkeit oder zur Mitarbeiterzufriedenheit. Führungskräfte können dann _Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) neben Einzelfällen auch auf auffällige Abteilungskennzahlen reagieren. Mindestens die Hälfte unserer Einzelfälle im BEM hängt mit psychi- Reagieren bedeutet z. B. Veranlassung eines moderierten Gruppenge- schen Erkrankungen zusammen. Die Erkrankungen resultieren selten sprächs (s.u.). direkt aus der Arbeitsaufgabe. Meist besteht eine hochbelastende Mischung aus vorbestehender Krankheit, Schulden, familiären Proble- _Mitarbeitergespräch men und Arbeitsaufgaben, die früher neutral, aber in der besonderen Dies muss jede Führungskraft als Grundtechnik des Führens beherr- Situation als überlastend empfunden werden. Die oft komplexe Pro- schen. Anhand des „Hauses der gelingenden Arbeit“ (Abb.2) klärt die blemmischung kann nur multidisziplinär angemessen gelöst werden. Führungskraft mit dem Mitarbeiter im geschützten Rahmen, ob es Der Personalreferent lädt als Teilnehmer Mitarbeiter, Führungskraft, Handlungsbedarf bzgl. Arbeitsgestaltung, Motivation, Kompetenz oder Betriebsarzt und Betriebsrat ein. Gesundheit gibt. Wenn sich Bedarf zum Thema (psychische) Gesundheit ergibt, soll die Führungskraft nicht wie ein „Hilfshausarzt“ agieren, _Rettungskette / Ambulanz sondern möglichst direkt an die Betriebsarztsprechstunde („second Es gibt psychische Notfälle, die sofortiges Handeln erfordern und wo responder“) oder im Notfall an eine Ambulanz verweisen. nicht gewartet werden kann, bis der Betriebsarzt in zwei Wochen wie- 17 der im Haus ist. Nur große Betriebe können eine Ambulanz vorhalten. _Allgemeine Gesundheitsuntersuchung Allerdings können sich auch kleinste Betriebe mit Telefonnummern Wir haben daher eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung für alle und Anlaufstellen auf psychische Notfälle vorbereiten. Der Betriebsarzt Mitarbeiter eingeführt. Beim Eintritt ins Unternehmen und dann alle kann hierbei unterstützen. fünf Jahre besteht das freiwillige Angebot für eine Untersuchung zur Früherkennung von Gesundheitsstörungen. Dabei orientiert sich die _Sozialberatung Untersuchung an dem o. g. Gesundheitsmodell mit vier Dimensionen. Abhängig von den betrieblichen Wünschen und Bedingungen sowie So werden längerfristige Verlaufsbeurteilungen möglich. Die Mitar- von der Qualifikation des Beraters gibt es individuelle Gestaltungs- beiter haben die Möglichkeit, den Betriebsarzt kennenzulernen und möglichkeiten als „first“ oder „second responder“. Eine Sozialberatung Vertrauen aufzubauen. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist das muss nicht dauerhaft im Haus sein. Es gibt viele Möglichkeiten der Ko- ein wichtiger Baustein. operation mit öffentlichen Trägern. Wichtig ist auch hier ein geeignetes anonymisiertes Reporting, damit das Beratungsgeschehen in Bezug Handlungsfeld 4: Lebensstil zum betrieblichen Handeln gesetzt werden kann. _Angebote zum Lebensstil Handlungsfeld 2: Sichere Arbeit Wir machen in Form von Kursen, Vorträgen und Seminaren ein regelmäßiges und fest budgetiertes Angebot zur Resilienzsteigerung _Gefährdungsbeurteilung durch Sicherheitsgespräch via Lebensstilthemen wie Bewegung, Ernährung, Mentaltechniken, Jede Führungskraft muss für ihren Bereich die Frage stellen, ob die Ar- Umgang mit Suchtmitteln etc.. Wichtig ist dabei eine kontinuierliche beit sicher ist. Das klassische Instrument dafür ist die Gefährdungsbe- Beachtung von Zielgruppenbedarf und balancierter Angebotsstruktur. urteilung hinsichtlich der objektiven Lage. Daraus lassen sich Maßnah- Die meisten Angebote sind kostenfrei für Mitarbeiter, teilweise gibt men der Risikominimierung ableiten. Im neu eingeführten jährlichen es eine Selbstbeteiligung. Die Angebote finden außerhalb der Sicherheitsgespräch (Führungskraft, Betriebsarzt, Sicherheitsfach- Arbeitszeit statt. Nicht alle Mitarbeiter schätzen explizite Angebote zum kraft, Betriebsrat) versuchen wir, gemeinsam die objektive UND die Thema Psyche und Geist. Man muss sich klarmachen, dass auch subjektive Lage der Abteilung zu erkunden. Dies erfolgt je nach Ver- vordergründig körperbezogene Angebote sehr wohl positiv auf Lebens- fügbarkeit und Größe des Bereichs mit oder ohne formale Kennzahlen haltung und psychische Gesundheit wirken können. durch eine integrierende Zusammenschau von Tätigkeitsprofilen, Auslastung, Projektplanungen, Stimmung, Mitarbeiter-Zufriedenheit, Handlungsfeld 5: Gute Arbeit Fehlzeiten, Unfällen, Eindruck bei der Begehung, Einzelhinweisen, etc.. Für manche Betriebe ist es ein schwieriger Weg zur Gestaltung guter Handlungsfeld 3: Früherkennung Arbeit. Am Anfang braucht es ein eindeutiges „Ja“ zur dritten und vierten Dimension von personaler Gesundheit (s. Kapitel B): _Arbeitsschutzuntersuchung Der Betriebsleiter bzw. die Führungskraft müssen die notwendigen Un- 3) Beachtung der persönlichen Neigungen (Gefühle) tersuchungen veranlassen. Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen von Mitarbeiter: Freude, Lust, Begeisterung, etc. Vorsorge (ArbMedVV) regelt den Bedarf an arbeitsmedizinischer Vor- 4) Beachtung der wichtigen persönlichen Überzeugungen sorge. Die Untersuchungsanlässe werden dort nicht aufgrund von von Mitarbeiter: sinnvoll, richtig, wichtig, etc. personenbezogenen sondern aufgrund von technikbezogenen Gefährdungen organisiert. In Einzelfällen können technikbezogene Gefähr- Erst nach diesem eindeutigen „Ja“ kann die eigentliche dungen (z.B. extreme Hitze) auch zur ständigen Missachtung von per- inhaltliche Arbeit beginnen. sönlichen Neigungen und Überzeugungen und damit zur Gefährdung der psychischen Gesundheit führen. Der Betriebsarzt könnte dann reagieren. Insgesamt ist das Konzept der ArbMedVV aber für psychische Gesundheit ungeeignet, weil es nur an der objektiven Lage ansetzt. 18 _Ergonomie in allen vier Dimensionen (s. Kapitel B) durch interdisziplinäre Arbeitsgestaltung Konsequenterweise genügen dann nicht mehr Betriebsarzt und Sicherheitsfachkraft als Berater. Hilfreich ist – je nach Betriebsgröße – die koordinierte Zusammenarbeit dieser beiden mit Geschäftsleitung, Personalabteilung, Architekten, Innenarchitekten, Danzer, G. (2012): Personale Medizin, Bern: Huber Verlag. Europäische Norm EN ISO 10075-1. (2000): Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung. Teil 1: Allgemeines und Begriffe: DIN Deutsches Institut für Normung e. V. Ilmarinen, J. (2002): Finnische Erfahrungen mit dem Work Ability Index. In Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Europäische Erfahrungen mit dem Work Ability Index (S. 8-14). Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW. Bauabteilung, Produktionsplanung, etc. Jakobi, F., Genz, A. und Schweer, R. (2012): „Macht Arbeit psychisch krank?“ in Leistung und Lohn – Zeitschrift für Arbeitswirtschaft Nr. 518/519/520/521 Mai 2012: _Führungskräfte als Gestalter TK-Studie zur Stresslage der Nation (2013) „Bleib locker, Deutschland!“, Techniker Krankenkasse (Hrsg.), Hamburg: TK-Hausdruckerei http://www.tk.de/tk/aktionen/jahr-der-gesundheit-stress/tk-stressstudie/611776 Auch für gute Arbeit kommt den Führungskräften eine zentrale Rolle zu. Sie verantworten viele Aspekte der Arbeitsorganisation im Mikroumfeld. Sofern vorhanden, können auch hier die Ergebnisse einer Mitarbeiterzufriedenheitsanalyse Orientierung geben. Denn diese sollte ja nichts anderes als die persönlichen Neigungen und Überzeugungen der Mitarbeiter zum Ausdruck bringen. Abschließend sei noch ein kostengünstiges aber im Wert möglicherweise stark unterschätztes Instrument erwähnt: Humor und Clowns werden im Krankenhaus bei schwerkranken Kindern eingesetzt. Sollten es nicht auch Führungskräfte vorsorglich und fürsorglich viel öfter mit Humor versuchen? 19 Vielseitiges Engagement in wichtigen Bereichen der Gesellschaft - Die SDK-Stiftung Die SDK-Stiftung wurde 2007 gegründet. Einmal jährlich veranstaltet die SDK-Stiftung Der Stifterverband für die Deutsche Wissen- in Zusammenarbeit mit dem SDK-Institut für schaft verwaltet die SDK-Stiftung treu- Gesundheitsökonomie händerisch. Gesund- Bei der Tagesveranstaltung kommen Experten heitswesen, Wissenschaft und Forschung, aus dem Gesundheitswesen zu Wort und be- Umweltschutz, Kunst und Kultur, Bildung leuchten aktuelle Themen aus Gesundheitsökono- und Erziehung sowie mildtätige Zwecke. mie und Gesundheitspolitik. Sie fördert das das SDK-Symposium. Aktuell unterstützt sie die Hilfsorganisation „Ärzte der Welt“ und die Benefiz-Radveranstaltung „Tour Ginkgo“ der Christiane Eichenhofer-Stiftung. Beim Symposium 2013 sprachen Experten vor über 150 Zuhörern über die vermeintliche „Zwei-Klassen-Medizin“ in Deutschland. Der SDK-Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsökonomie wurde zum 1. Dezember 2008 an der Steinbeis-Hochschule Berlin eingerichtet. Die Steinbeis-Hochschule ist eine der größten deutschen Hochschulen für postgraduale Masterstudiengänge. Lehrstuhlinhaber ist Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen. Als Mediziner und Gesundheitsökonom verfügt er über langjährige Erfahrung als Berater im Gesundheitswesen. Brüggenjürgen ist im Vorstand des Deutschen Verbandes für Gesundheitswissenschaften und Public Health und im erweiterten Vorstand der ISSN 2197-8980 Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie. Blick punkte Mensch Gesellschaft sicherheit auf einen Blick! Jetzt online bestellen! 0.153/02.14 nr. 1 | 2013 Blick punkte Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland? Gerüchte und Realitäten in der Versorgung privat Krankenversicherter https://www.sdk.de/unternehmen/sdk-stiftung 01| 2013 Zwei-Klassen-Medizin in Deutschland? 02| 2014 Vom Ausbrennen bedroht! nr. 2 | 2014 Blick punkte Mensch Gesellschaft sicherheit Vom Ausbrennen bedroht. Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie Arbeitgeber helfen können.