Heft 2

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Nr. 2 | 2014
Blick punkte
Mensch
Gesellschaft
Sicherheit
Vom Ausbrennen
bedroht.
Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie
Arbeitgeber helfen können.
Inhaltsverzeichnis
Entwicklung
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz
Seite 04
Wandel
Dr. med. Anne Berghöfer
Burnout – Ausdrucksform des rasanten Wandels
in Arbeitswelt und Gesellschaft
Seite 08
Lösungsansatz
Hans Oehl:
Psychische Gesundheit und Wohlbefinden
Impressum
am Arbeitsplatz:
Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen
Seite 11
Herausgeber
SDK-Stiftung
der Süddeutschen Krankenversicherung a.G.
Handlungsfelder
Dr. Stephan Schlosser:
Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach
Tel. 0711 / 5770-0 | [email protected] | www.sdk.de
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
Seite 13
Redaktion
Süddeutsche Krankenversicherung a.G.
Abteilung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Monika Krimmer | Dr. Ulrich Schermaul
Raiffeisenplatz 5 | 70736 Fellbach
Tel. 0711 / 5778-647 | -676
[email protected] | [email protected]
Druck
Knöller Druck, Stuttgart
Gestaltung, Satz
Wohlgemuth & Company, Stuttgart
Bildnachweise
S. 16, 19: Shutterstock
S. 01, 07: Thinkstock
ISSN
2197-8980
02
Liebe Leserinnen
und Leser,
die Erstausgabe „BLICKPUNKTE | mensch:gesellschaft:
Belegschaften. Die Offenheit der Unternehmen beim The-
sicherheit“ erschien im Juni 2013 zum Thema „Zwei-
ma „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ wächst dabei
Klassen-Medizin in Deutschland?“. Nun liegt die zweite Aus-
genauso wie der Markt mit entsprechenden Angeboten. Im
gabe vor, die Sie in Ihren Händen halten. Die SDK-BLICK-
Finanzverbund der Volksbanken-Raiffeisenbanken ist beispiels-
PUNKTE entstehen in enger Zusammenarbeit mit dem SDK-
weise seit 2013 mit der SDK-Tochter gesundwerker eG die
Institut für Gesundheitsökonomie an der Steinbeis-Hochschule
erste Genossenschaft für Betriebliches Gesundheitsmanage-
Berlin. Damit greift die SDK-Stiftung in zwei jährlichen Ausga-
ment aktiv.
ben aktuelle Diskussionen, Phänomene und auch Kontroversen
auf, die sich nicht nur mit Gesundheits- und Versicherungsthe-
Den Kern einer jeden Ausgabe Blickpunkte bildet eine eigene
men beschäftigen, sondern auch gesellschaftliche und soziale
Umfrage der SDK-Stiftung zum aktuellen Thema, die erkennt-
Bereiche beleuchten.
nisreiche Einblicke und damit „Futter“ für die Autoren liefert. Für
Ein Thema, welches in unserer Gesellschaft bis vor wenigen
diese Ausgabe haben wir über 100 Ärzte befragt, die tagtäglich
Jahren eher selten in größerem Ausmaß diskutiert wurde,
mit psychischen Erkrankungen konfrontiert sind.
steht im Mittelpunkt der zweiten Ausgabe BLICKPUNKTE. „Vom
Ausbrennen bedroht? – Psychische Erkrankungen in Un-
Nicht nur die Gesellschaft insgesamt, sondern auch die Arbeits-
ternehmen und wie Arbeitgeber helfen können“ lautet der
welt hat inzwischen ein Bewusstsein für psychische Erkran-
Titel. Nicht nur das durch zahlreiche prominente Fälle wie
kungen entwickelt. Unsere Gastautoren der zweiten Ausgabe
den des Skisprung-Olympiasiegers Sven Hannawald oder
BLICKPUNKTE nähern sich aus verschiedenen Perspektiven den
des Fußball-Nationalspielers Sebastian Deisler ins Licht
Facetten dieses aktuellen Themas.
der Öffentlichkeit gerückte Phänomen „Burn-Out-Syndrom“
ist damit aufgerufen. Psychische Belastungen am Arbeits-
Gewinnen Sie beim Lesen neue Erkenntnisse und spannende
platz müssen nicht automatisch mit Krankheitssymptomen
Sichtweisen.
einhergehen. Jedoch können sie auch schon in kleinem
Ausmaß entscheidenden Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit
Ihr
und Zufriedenheit der Mitarbeiter nehmen. Die Zufriedenheit und die Gesundheit der Mitarbeiter treten als höchstes
Gut zunehmend in den Fokus von Unternehmen. Verstärkt
sind deshalb Firmen aktiv, bieten Präventionsmaßnahmen
am Arbeitsplatz und besondere Vorsorgeangebote für ihre
Klaus Henkel
Kuratoriumsvorsitzender SDK-Stiftung
03
Entwicklung
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz
von Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Psychische Belastungen am Arbeitsplatz werden für die Verursachung von mehr als
10% der krankheitsbedingten Abwesenheit vom Arbeitsplatz verantwortlich gemacht. Ihr
Auftreten zeigt zudem seit den letzten zehn Jahren eine kontinuierlich steigende Tendenz.
In einer aktuellen Online-Befragung der SDK-Stiftung von 105 Allgemeinmedizinern und
Psychiatern wurde auch aus ärztlicher Sicht diese Entwicklung eindeutig bestätigt: 94%
der Ärzte berichten, dass die psychischen Erkrankungen am Arbeitsplatz zugenommen
haben (Abb.1).
Als Grund für diese beunruhigende Entwicklung werden die zunehmenden Belastungen an einem
oder zunehmend auch mehreren Arbeitsplätzen verantwortlich gemacht. Folgende gesellschaftliche und arbeitsplatzbezogene Entwicklungen beschleunigen diese Zunahme psychischer Belastungen (Lohmann-Haislah, 2012):
• Informatisierung: die Arbeitswelt wird zunehmend von ortsunabhängigen und zeitlich flexiblen
Prof. Dr. Bernd Brüggenjürgen
Seit Dezember 2008 leitet Prof. Dr. Bernd
Brüggenjürgen das SDK-Institut für Gesundheitsökonomie an der Steinbeis-Hochschule
Berlin.
Kommunikationstechnologien durchdrungen und daher schwinden zeitliche und räumliche Grenzen
• Akzeleration: Produktions-, Dienstleistungs- und Kommunikationsprozesse beschleunigen sich
kontinuierlich und werden komplexer
• Subjektivierung: Arbeitnehmer tragen zunehmend mehr Eigenverantwortung für den Ablauf und
Erfolg von Arbeitsprozessen
• Tertiarisierung: der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft ist mit steigenden emotionalen und
kognitiven Anforderungen verbunden
• Neue Arbeitsformen: kürzere, diskontinuierliche Beschäftigungsverhältnisse sind immer mehr
üblich und damit ist eine wachsende Unsicherheit bei gleichzzeitig wachsender Belastung
sozialer Beziehungen verbunden.
Wie hat sich die Häufigkeit psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz
innerhalb der letzten fünf Jahre verändert?
stark zugenommen
51%
eher zugenommen
94%
43%
gleich geblieben
4%
eher abgenommen
0%
stark abgenommen
0%
2%
keine Angabe / weiß nicht
0%
04
Abb. 1
|
25%
|
50%
|
75%
Vereinfachtes Schema
zur Entstehung von Stress und
etwaige langfristige Folgen
Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, dass
Einzelnen mehr gefordert, als er vermeintlich
eine Vielzahl von Studien einen starken Zusam-
sich selbst imstande sieht zu leisten, entsteht
menhang von psychischen Belastungen mit
Stress. Allerdings ist Stress nicht nur bei Über-
psychischen Erkrankungen zeigt. So konnte
forderung zu beobachten, denn auch eine stän-
beobachtet werden, dass Depressionen oder
dige, z.B. monotone Unterforderung kann zu
Depressivität umso häufiger auftreten, je höher
Stressreaktionen führen. Stress ist somit eine
die Arbeitsintensität bewertet wird (Rau et al.,
Folgereaktion von Faktoren und nicht als Auslö-
2010). Allerdings muss betont werden, dass
ser selbst zu verstehen.
Abb. 2
1
2
Belastung/
Anforderung
Ressourcen/Mittel
zur Bewältigung
z.B. hoher
Zeit- und
Termindruck
z.B. fehlende soziale
Unterstützung/
Anerkennung von
Vorgesetzten
3
unmittelbare Beanspruchungsfolgen/Stress
nur von einem Zusammenhang oder einer Asz.B. Cortisol-/ Adrenalin-/Noradrenalinausschüttung, Unruhe,
Angst
soziation ausgegangen werden darf, und somit
Verschiedenste arbeitswissenschaftliche Mo-
die psychische Belastung nicht direkt proporti-
delle sind für die Erklärung der Zusammen-
onal in einem 1:1 Verhältnis psychische Erkran-
hänge von auslösenden Faktoren und psy-
kungen auslöst. (Bonde, 2008; Hasselhorn und
chischen
Portuné, 2010; Rau et al., 2013) Vor diesem
Im deutschsprachigen Raum ist das Belas-
Hintergrund muss auch beachtet werden, dass
tungs-Beanspruchungs-Modell (Rohmert und
Arbeit in der Regel nicht der einzige Grund für
Rutenfranz, 1975) am weitesten verbreitet
die Entwicklung einer psychischen Störung ist
(Es ist z.B. auch in der DIN EN ISO 10075
und zudem der Arbeitsplatz auch nicht der ein-
Norm zu ergonomischen Grundlagen bezüg-
zige Ort ist, an dem den Betroffenen Unterstüt-
lich psychischer Arbeitsbelastung enthalten).
zung angeboten werden kann. Vielmehr sollten
Psychische Belastung wird hier als Folge aller
Mitarbeiter mit psychischen Belastungen am
dokumentierbarer Einflüsse definiert, die von
Arbeitsplatz in ihrem gesamten persönlichen
außen auf den Mitarbeiter treffen und psy-
Kontext wahrgenommen werden. Die Folgen
chisch auf ihn einwirken. Die Auswirkung eben
psychischer Belastung können sich zudem
dieser individuellen psychischen Belastungen
auch in Form anderer Symptome und Erkran-
aus dem Arbeitsumfeld auf die Ressourcen
auf eine psychische Belastung folgen kann.
kungen äußern: Hier sind z.B. Herz-Kreislauf
des einzelnen Mitarbeiters wird als resultie-
Allerdings werden in diesem Modell komplexere
Belastungen
entwickelt
worden.
4
langfristige Beanspruchungs-/Stressfolgen
z.B. Erschöpfung,
Bluthochdruck,
Depression
Erkrankungen (Backé et al. 2012)
psychosoziale Belastungszusam-
oder Muskel- und Skeletterkran-
menhänge sowie die Beziehungen
kungen (Costa und Vieira 2010) zu
nennen.
von Mensch und Umwelt kaum
// Druck im Job raubt Deutschen
den Schlaf //
Im Zusammenhang mit psychi-
berücksichtigt und ausschließlich einfache Ursache-Wirkungs-
Die Zeit , 29. 01. 2013
Zusammenhänge
angenommen.
(Bamberg et al., 2006).
schen Erkrankungen am Arbeitsplatz ist am häufigsten von Stress
Grundsätzlich gehen alle wissen-
die Rede. Stress kann als das Ergebnis eines Missverhältnisses zwischen den
rende direkte psychische Beanspruchung im
schaftlichen Modelle bei der Stressentstehung
äußeren Anforderungen und den zur Verfügung
Modell beschrieben. Nach diesem Modellver-
von einem Ungleichgewicht zwischen Anforde-
stehenden Möglichkeiten (Ressourcen), diese
ständnis kann Stress somit als eine kurzfristige
rungen und den zur Verfügung stehenden Mit-
zu bewältigen, verstanden werden: Wird vom
Beanspruchungsfolge angesehen werden, die
teln aus, diese Anforderungen zu bewältigen.
05
Welche psychischen Beschwerden werden bei
Arbeitnehmern am häufigsten diagnostiziert?
Schlafstörungen
Müdigkeit/Abgeschlagenheit
Nervosität/Unruhe/Herzrasen
Verspannungen/Verkrampfungen
Konzentrationsstörungen
Kopfschmerzen
Magenschmerzen/Sodbrennen*
Traurig gedrückte Stimmungslage*
Reizbarkeit*
Offene Nennungen
Abb. 3
Diese unmittelbaren Beanspruchungsfolgen äußern sich in vielfältigen
Beschwerden. Hier werden Rückenschmerzen, Verspannungen oder
Verkrampfungen und Müdigkeit oder Abgeschlagenheit als führende
82%
71%
71%
67%
62%
56%
49%
48%
39%
25%
Beschwerden in einer Untersuchung der AOK genannt. (Vetter und
Redmann, 2005) Reizbarkeit zeigte laut dieser Studie den engsten
Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz. In unserer SDK-Befragung
zeigte sich ein ähnliches Bild: Laut Ansicht der behandelnden Ärzte
stehen hier die Schlafstörungen im Vordergrund gefolgt von Müdigkeit
bzw. Abgeschlagenheit und Nervösität, Unruhe bzw. Herzrasen. Erste
somatische Beschwerden werden mit Verspannungen oder Verkrampfungen in zwei Drittel der Fälle beobachtet.
Verschiedene Studien versuchen die Bedeutung psychischer Erkrankungen bei der Zunahme der Arbeitsunfähigkeit zu analysieren.
Die Untersuchung der DAK kam zu der Einschätzung, dass die wachsende Zahl falsch positiver Diagnosen der Ärzte bzw. die Umstellung der
Kodierung von ICD9 auf ICD10 nicht der Grund für die Zunahme psychischer Erkrankungen waren, vielmehr seien folgende Gründe ausschlaggebend (Kordt, 2005):
• tatsächlicher Anstieg der Häufigkeit psychischer Erkrankungen,
* Rücken, Muskel- oder Nackenschmerzen, Angstzustände, Tinnitus, Schwindel,
Lustlosigkeit, Antriebslosigkeit und sonstige Einzelnennungen
• verbesserte diagnostische Kompetenz der Ärzte,
• erhöhte Bereitschaft von Betroffenen, Symptome zu äußern,
Welche der untenstehenden Diagnosen werden
Ihrer Meinung nach durch die Situation am Arbeitsplatz verstärkt oder ausgelöst?
Somatoforme Störungen
Angststörungen
Alkoholstörungen
Medikamentemissbrauch
Unipolare Depression
Posttr. Störungen (PTBS)
Zwangstörungen*
Psychotische Störungen*
Bipolare Störungen*
Sonstige
87%
85%
74%
66%
30%
12%
11%
9%
6%
7%
Abb. 4
die auf psychische Störungen hindeuten und
• erhöhte Bereitschaft von Betroffenen, entsprechende psychische
Diagnosen zu akzeptieren.
Belegt ist ein Anstieg psychischer Erkrankungen in Zusammenhang
mit psychischen Belastungen am Arbeitsplatz allerdings nur für den
Bereich der Depressionen. In der aktuellen SDK-Befragung standen
nach Einschätzung der befragten Ärzte vier psychische Diagnosen, die
durch die Situation am Arbeitsplatz verstärkt oder ausgelöst wurden, im
Vordergrund: Hierzu zählen Somatoforme Störungen, Angststörungen,
Alkoholstörungen und Medikamentenmissbrauch (Abb.3).
Heute wird zunehmend auch der diagnostisch integrierende Begriff
des Burnouts in Fachkreisen verwendet, zu dem eine emotionale und
psychophysische Erschöpfung, eine depersonalisierte und zynische
Selbstwahrnehmung und eine damit einhergehende verringerte Arbeitsleistung zählt. Hiermit eng verknüpft ist die klassische Diagnose der
Depression. Inwiefern dies als reine Modediagnose bzw. alternatives
handlungsleitendes Diagnosekonstrukt gewertet wird, zeigt der Artikel
von Frau Dr. Berghöfer auf.
Die anhaltend steigende Tendenz der psychischen Beschwerden am Ar-
* Schlafstörungen, Erschöpfungssymptome,
Persönlichkeitsakzentuierungen, Reifestörungen
06
beitplatz bestärkt einen wesentlichen Handlungsbedarf aus Sicht der
Arbeitgeber, aber zunehmend auch aus gesellschaftlicher Sicht. Denn
bisher hängt die Behandlung psychischer Störungen zu einem grossen Teil noch von der Eigeninitiative der Betroffenen ab (Kordt, 2005).
Zwar sind psychische Beschwerden in den letzten Jahren zunehmend
thematisiert worden und haben als psychische Belastungsfaktoren
in verschiedener Hinsicht Eingang in Arbeitsschutzmaßnahmen gefunden. Dennoch wird das Potential der unterstützenden Maßnahmen
am Arbeitsplatz noch nicht ausgeschöpft. Für die Verbesserung der
Situation am Arbeitsplatz stehen vielfältige bewährte Handlungsansätze zur Verfügung, wie z.B. ein verbessertes Fallmanagement,
eine strukturierte Wiedereingliederung, ein diversifizierende Arbeitsplatzgestaltung und eine unterstützte Beschäftigung. Eine strukturierte
Betrachtung insbesondere aus der Sicht des Praktikers zeigt der Gastbeitrag von Dr. Schlosser.
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07
Wandel
Burnout –
Ausdrucksform des rasanten Wandels in
Arbeitswelt und Gesellschaft
von Dr. med. Anne Berghöfer
Burnout als Begriff, Syndrom und medizinisch-psychologisches Konstrukt hat in den vergangenen Jahren enorme Aufmerksamkeit in der Presse, bei Akteuren und Verantwortlichen
im Gesundheitswesen und in der Arbeitswelt erfahren. Dabei ist der Begriff selbst viel älter: in
den 70er Jahren entwickelte ihn sein Erstbeschreiber, der Psychoanalytiker Freudenberger, gezielt zur
Darstellung einer Überlastungsentwicklung bei hochgradig idealistisch und altruistisch tätigen Ehrenamtlichen in Hilfsorganisationen1. Das Burnout-Konzept, wie es heute in Fachkreisen verwendet wird,
basiert auf der Arbeit der Gesundheitspsychologinnen Maslach und Jackson2 und beinhaltet die Trias
“emotionale und psychophysische Erschöpfung”, “Zynismus und Depersonalisation” und “verringerte
Arbeitsleistung”.
Die Betroffenen leiden unter einem Gefühl, ständig beruflich überfordert und angespannt zu sein,
ohne Möglichkeit und Gelegenheit zu zwischenzeitlicher Entspannung. Körperliche Symptome wie
Müdigkeit, Schlafstörungen, Kopf- oder Rückenschmerzen und Magen- und Darmstörungen ergänzen
das Bild. Die Arbeitseinstellung ist durch Frustration, Rückgang des Engagements, Verbitterung
Dr. med. Anne Berghöfer
Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit
Schwerpunkt psychiatrische Versorgungsforschung am Institut für Sozialmedizin,
Epidemiologie und Gesundheitsökonomie
der Charité – Universitätsmedizin Berlin
und zynischen Umgang mit den Personen im Umfeld gekennzeichnet. Schließlich verringert sich die
Arbeitsleistung durch Konzentrationsstörungen, Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen sowie Verlust der Kreativität2.
Ganz im Gegensatz zu den Akzeptanzbarrieren, die diverse psychische Störungen und
psychiatrische Diagnosen in der Gesellschaft überwinden müssen, erfreut sich Burnout einem
ubiquitären Angenommenwerden, welches Antistigmakampagnen überflüssig macht und das
Hilfesuchen der Betroffenen wesentlich erleichtert. Doch wie ist diese Akzeptanz in der Öffentlichkeit
zu erklären? Die Veränderung unserer Umwelt und insbesondere der Arbeitswelt ist in den letzten
Jahrzehnten rasant und dramatisch vorangeschritten. Globalisierung und Ökonomisierung haben
vielfach zu einer Zunahme der Komplexität der Arbeitsprozesse für den Einzelnen und zu einer
Arbeitsverdichtung geführt. Die Kontrolle über Arbeit und Privatleben, die Selbstbestimmung des
08
Tempos und der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns hat kontinuierlich
grund der weiten Überlappung ihrer Symptomprofile mit Burnout
abgenommen.
in Frage:
Zunehmende
Individualisierung
und
Anonymisierung
reduzierten zugleich die Verfügbarkeit und Dichte der unterstützend und
kompensierend wirkenden sozialen Netze. Vor diesem Hintergrund ist
• Die depressive Störung weist als Hauptsymptome depressive
Burnout eine Ausdrucksmöglichkeit, eine Sprechform für die an der
Stimmung, Interessenverlust und Antriebsmangel auf, daneben
Transformation leidende Gesellschaft geworden. Die Arbeitsmedizin hat
treten körperliche Störungen, Einschränkung der Konzentration und
es heute – um es auf den Punkt zu bringen – an Stelle der Steinstaub-
negative Denkmuster auf. Insbesondere die bei Burnout angegebene
lunge mit dem Burnout zu tun. Die Evidenz für einen Zusammenhang
Erschöpfung ist auch bei der Depression ein häufiges Symptom.
zwischen Arbeitsbelastung und dem Entstehen von psychiatrischen
Die depressive Störung kommt auch in atypischen Verlaufsformen
Erkrankungen ist vielfältig und deutlich .
mit Dysphorie und leichter Kränkbarkeit daher, sowie gerade im
3, 4
Kontext von Arbeitsplatzproblemen als sog. Posttraumatische
Insofern ist gegen die Bezeichnung von Burnout als Modediagnose zunächst
Verbitterungsstörung6, eine besondere Form der Anpassungsstörung.
nichts einzuwenden, es sei denn, sie ist despektierlich und bedeutungs-
• Die Symptome von Angststörungen überschneiden sich ebenfalls mit
mindernd gemeint. Symptomkomplexe, Syndrome und Diagnosen sind über
denen des Burnout, besonders zu nennen sind arbeitsplatzbe-
längere gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen hin gekommen
zogene Ängste, Vermeidungsverhalten sowie dauerhaft bestehende
und wieder gegangen, so die Neurasthenie im 19. Jahrhundert oder die
Erschöpfungsdepression im 20. Jahrhundert. Sie sind Ausdrucksformen
• Schließlich sind auch somatoforme Störungen sorgfältig auszu-
des Menschen im gesellschaftlichen Bedingungsgefüge und somit ernst
schließen. Mit Burnout haben sie die Erschöpfung und allgemeine
zu nehmen.
erhöhte Anspannung gemeinsam, vielfältige körperliche Störungen
körperliche Anspannung.
können dabei eine erhöhte Inanspruchnahme von GesundheitsIm Hinblick auf Burnout ist allerdings zu konstatieren, dass
jenseits
von
offiziellen
medizinischen
leistungen verursachen.
Klassifikationssystemen
aus diesem Beschreibungsmodell unkritisch eine medizinische
Wenn eine dieser psychiatrischen Diagnosen gestellt wird, muss diese
Diagnose geworden ist, die vielfach zu Leistungsansprüchen im
dem Patienten auch benannt und als therapiebegründend dokumentiert
Gesundheitswesen führt und medizinisch-therapeutische Handlungen
werden. Keinesfalls darf die Bezeichnung der Beschwerden durch den
indiziert. Keinesfalls darf Burnout an den anerkannten Klassifikations-
Patienten als Burnout beibehalten werden5.
systemen
für
Krankheiten
vorbei
als
Ersatzbezeichnung
für
Depression verwendet werden. Spätestens hier ist zu fordern, dass
Von Interesse ist neben dem bereits genannten sozialen Bedingungsgefü-
die im Gesundheitswesen sowohl präventiv als auch therapeutisch
ge aber auch ein Blick auf psychologische Faktoren, die entweder Burnout
Tätigen sich einem kritischen Hinterfragen des Konstrukts Burnout
befördern oder davor schützen, indem sie die Widerstandskraft erhöhen.
stellen .
Persönlichkeitsmerkmale wie Neurotizismus, Rigidität und mangelnde
5
Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, Perfektionismus und hoher Selbst-
_Umgang mit Burnout
anspruch, sowie leichte Kränkbarkeit scheinen Faktoren zu sein, die die
Wie sollten wir idealerweise also mit Burnout in der Versorgung
Entstehung von Burnout befördern. Extraversion, Flexibilität und stabiles
von Betroffenen umgehen? Zunächst einmal muss den vorge-
Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, Gelassenheit und Geselligkeit hinge-
brachten Beschwerden unbedingt Aufmerksamkeit geschenkt und die
gen erhöhen die Resilienz, d.h. die Widerstandskraft gegen Stressoren.
Attribution Burnout durch den Patienten akzeptiert werden. Unerlässlich
Studienergebnisse deuten auf einen komplexen Zusammenhang zwischen
ist aber, daran eine sorgfältige Diagnostik und Differenzialdiagnostik
einer dysfunktionalen und anpassungsgestörten Persönlichkeitsstruktur
anzuschließen. Folgende psychiatrische Erkrankungen kommen auf-
und Burnout hin5, 7.
09
_Wege der Theapie
Gesellschaft führt. Mit dem Begriff Burnout sind diese zunehmenden ge-
Die Therapie ist folglich durch die gestellte psychiatrische Diagnose vor-
sundheitlichen Risiken kommunizierbar geworden, ohne durch ein Stigma
gegeben. Sowohl für die Depression, als auch für Angststörungen und
belastet zu sein. Die Entwicklung sorgfältig in ihren Auswirkungen zu ana-
weitere psychiatrische Diagnosen existieren aktuelle Therapiestandards,
lysieren und geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln, ist nicht
die handlungsleitend sind.
Aufgabe des behandelnden Arztes, sondern vorrangig der Arbeitgeber und
ihrer betriebsärztlichen Einrichtungen, der Sozialversicherungsträger und
Die Gruppe von Patienten, bei denen keine psychiatrische Diagnose
auch der Politik. gestellt werden kann, sollte in Zusammenarbeit mit zuständigen Einrichtungen des Arbeitgebers beraten und betreut werden. Im Vordergrund
sollten individuelle edukative und psychohygienische Maßnahmen stehen,
wie das Erlernen von Zeitmanagement, Selbstorganisation und Entspannungstechniken, sowie die Rückgewinnung von sozialen Ressourcen.
Ziel soll längerfristig die allgemeine Stärkung der Resilienz des Betroffenen sein. Burnout ist, wenn keine manifeste psychiatrische Störung zu
diagnostizieren ist, als ernstzunehmender Risikofaktor für die Entwicklung einer solchen anzusehen, daher ist die zugrundeliegende Arbeitsüberlastung durch geeignete Präventionsmaßnahmen anzugehen.
Burnout kann aber auch die therapeutische Zugänglichkeit behindern,
da es nicht selten als eine typische „Krankheit“ der Engagierten und
Leistungsorientierten in der Arbeitswelt kategorisiert wird und damit
dem betroffenen Patienten eher das Attribut des Helden verleiht, als dass
Burnout die Einsicht in die Notwendigkeit verhaltenspräventiver Maßnahmen
eröffnet8.
Eine leichtfertige Krankschreibung zur vorrübergehenden Entlastung kann
nicht als geeignet angesehen werden, wenn sie nicht auf eine psychiatrische
Diagnose und Therapiemaßnahme gestützt ist.
Die Ergebnisse der Expertenbefragung liefern Hinweise darauf, dass
eine Krankschreibung in der Versorgungspraxis möglicherweise
unkritisch und nicht ausreichend durch eine ICD-10-Diagnose
begründet erfolgt. Nicht selten antworteten Ärzte, dass sie gelegentlich tatsächlich Burnout auf die Krankschreibung setzen und damit ein
anderes Krankheitsbild als Depression meinen.
Eines ist durch die mediale Präsenz von Burnout deutlich geworden: die
Arbeitswelt ist einem Wandel unterzogen, der einen zunehmenden Anteil
der Arbeitnehmer einem intolerablen Stress aussetzt, der als prominenter
Risikofaktor zu einer Zunahme von psychiatrischen Erkrankungen in der
10
1
2
3
4
5
6
7
8
Freudenberger HJ. Staff burnout. J Soc Issues 1974;30:159-165
Maslach C, Jackson SE. Maslach Burnout Inventory (Human Service Survey).
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Psychische Gesundheit und
Wohlbefinden am Arbeitsplatz:
Lösungsansatz
Hilfestellung für kleine und mittlere Unternehmen
von Hans Oehl
Überstunden, Zeit- und Termindruck, Über-
Erkrankungen. Mit 22,5 AU-Tagen im Durchschnitt
bzw. Unterforderung oder der Anspruch der
haben die AOK-Versicherten die geringsten Fehl-
ständigen Verfügbarkeit und Erreichbarkeit
zeiten. Es folgen die DAK-Versicherten mit 33,2
sind von Arbeitnehmern häufig genannte Ur-
AU-Tagen sowie die Techniker Krankenkasse mit
sachen, warum sie sich gestresst fühlen. Das
39,5 Fehltagen. Spitzenreiter ist die Barmer GEK
Stresslevel des Einzelnen ist individuell un-
mit 46,9 AU-Tagen. (Abb.1) Deutlich wird dem-
terschiedlich: Ist die Dosis zu hoch, kann es
nach, dass die psychischen Erkrankungen über
zu starken psychischen Belastungen führen.
dem Durchschnitt der AU-Tage aller Erkrankungen
von 12,9 Tagen liegen und die längsten Ausfall-
Hans Oehl
Geschäftsführer gesundwerker eG
Die Folgen dieser Belastungen finden sich in den
zeiten haben. Die Varianz kann auf die unter-
Gesundheitsreporten der Krankenkassen wieder.
schiedliche Versichertenstruktur zurückzuführen
So liegen die psychischen Erkrankungen auf Platz
sein. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen
zwei der Krankheitsarten mit den größten Anteilen
werden, dass die Unterschiede auf die verschie-
an den Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage). Laut
denen Darstellungsmethoden der Krankenkassen
dem Gesundheitsreport der DAK entfallen 14,5
zurückgehen.
Prozent der AU-Tage im Jahr 2012 auf die psychi-
Um diese Ausfallzeiten zu minimieren, befassen
schen Erkrankungen. Bei der Barmer GEK sind es
sich große Konzerne bereits seit vielen Jahren
bereits 18,8 Prozent – Tendenz steigend. Auf Platz
sehr intensiv mit dem Thema Gesundheit, teilweise
eins liegen die Muskel-Skelett-Erkrankungen; Er-
gibt es bereits eigene BGM-Abteilungen. Ihr Kon-
krankungen der Atmungssysteme rangieren auf
zept ist ein langfristig angelegtes Instrument und
Platz drei.
fest im Leitbild sowie in der Unternehmenskultur
Einig sind sich die Krankenkassen in der jährlich
verankert. Allerdings sind laut dem Statistischen
wachsenden Zahl der psychischen Erkrankungen.
Bundesamt mehr als 60 Prozent der 24,9 Mio.
Generell leiden mehr Frauen als Männer daran.
Erwerbstätigen in kleinen und mittleren Unter-
Unterschiede liegen allerdings in der Zahl der
nehmen beschäftigt. Diese sind im Bereich des
durchschnittlichen AU-Tage aufgrund psychischer
betrieblichen Gesundheitsmanagements meist auf
11
externe Hilfe angewiesen. Genau die richtige Form der Unterstützung bietet
sukzessive an das Thema Gesundheit herangeführt. Um die Nachhaltigkeit
die gesundwerker eG. Die Tochtergesellschaft der SDK wurde im März 2013
zu gewährleisten, werden basierend auf einer Mitarbeiterbefragung dem Un-
aus einer engen Zusammenarbeit der Süddeutschen Krankenversicherung
ternehmen unter anderem Seminare und Präventionskurse nach § 20 SGB V
(SDK) und der mhplus Krankenkasse heraus gegründet und ist die erste
angeboten. So werden von den Krankenkassen anerkannte Entspannungs-
Genossenschaft für Betriebliches Gesundheitsmanagement in Deutschland.
kurse wie beispielsweise Progressive Muskelentspannung speziell für das
Mit BGM-Knowhow und der Durchführung praktischer Angebote wie einem
Unternehmen organisiert.
individuellen Gesundheitstag ermöglichen die gesundwerker Firmen einen
Das Konzept der gesundwerker ist ein guter Einstieg gerade für kleine und
schnellen und unkomplizierten Einstieg in eine komplexe Thematik.
mittlere Unternehmen, einen ersten Schritt in Richtung betriebliches Gesundheitsmanagement zu gehen und sich externe Hilfe für die Einführung an die
_Drei-Säulen-Konzept
Seite zu holen.
Das Konzept der gesundwerker eG beruht auf den drei Säulen „Ernährung
– Bewegung – Entspannung“ und setzt somit an den drei Spitzenreitern der
Krankheitsarten mit den größten Anteilen an AU-Tagen an. Im Rahmen eines
Gesundheitstages wird der Gesundheitszustand der Mitarbeiter erfasst und
dient als erste Sensibilisierungsmaßnahme für das Thema Gesundheit. Im
Bereich der Entspannung wird den Mitarbeitern eine bestimmte Atemtechnik
vermittelt, um ihr Stresslevel innerhalb kürzester Zeit zu senken. Mit dem
Stresspiloten können die Messergebnisse visuell sichtbar und greifbar gemacht werden. In einer individuellen 1:1-Situation werden dem Mitarbeiter
in einem geschützten Rahmen die Ergebnisse erklärt und Empfehlungen
ausgesprochen. Durch die persönliche Betreuung und private Atmosphäre
werden die möglichen Einstiegsbarrieren stark minimiert und der Mitarbeiter
1 Vgl. DAK Gesundheitsreport 2013. DAK Forschung. IGES Institut GmbH. S. 17 Abb.: 13
2 Vgl. Gesundheitsreport 2013 Baden-Württemberg. Barmer GEK. ISEG. S. 6
3 Vgl. Pressemitteilung vom 16.08.2012 zu Fehlzeiten-Report 2012.
Wissenschaftliches Institut der AOK. S. 2
4 Vgl. DAK Gesundheitsreport 2013. DAK Forschung. IGES Institut GmbH. S. 28
5 Vgl. Gesundheitsreport 2012. Techniker Krankenkasse. ISEG. S. 78
6 Vgl. Gesundheitsreport 2013 Baden-Württemberg. Barmer GEK. ISEG. S. 163
7 Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes. http://www.gbe-bund.de/oowa921-in-stall/
servlet/oowa/aw92/dboowasys921.xwdevkit/xwd_init?gbe.isgbetol/xs_start_neu/
&p_aid=i&p_aid=87720338&nummer=267&p_sprache=D&p_indsp=99999999&p_
aid=81859242 [04.11.2013]
8 Vgl. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/
UnternehmenHandwerk/KleineMittlereUnternehmenMittelstand/Aktuell.html [04.11.2013]
Durchschnittliche AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen
AOK
DAK
Abb. 1
TK
Barmer GEK
22,5 %
33,2 %
39,5 %
46,9 %
0%
12
|
25%
|
50%
Handlungsfelder
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz
von Dr. Stephan Schlosser
Psychische Gesundheit ist untrennbar
verbunden mit der Gesundheit von Personen.
Die gute Botschaft dabei ist: Personen,
A.
Typische Hindernisse
und Denkfehler
Organisationen und Gesellschaften haben
_Mangel an begrifflicher Klarheit
über viele Jahrhunderte hinweg Erfahrungen
Jeder versteht etwas Anderes unter „Psyche“
gesammelt im Umgang mit Gesundheit und
und „psychischer Gesundheit“. Zwar gibt es
mit gutem Lebens- und Arbeitsstil. Insofern
eine Norm zu „psychischen Belastungen“
gibt es berechtigten Anlass zu der Hoffnung,
(EN ISO 10075-1, 2000). Aber in der wis-
dass gute Betriebe und Unternehmen auch in
senschaftlichen Fachwelt gibt es über deren
unserer Zeit einen angemessenen Umgang mit
Brauchbarkeit erhebliche Meinungsverschie-
der Gesundheit von Personen finden können.
denheiten. Die Norm spricht ohne große Trennschärfe von der „…Gesamtheit aller erfass-
Aktuell findet das Thema psychische Gesundheit
baren Einflüsse, die von außen auf den
zwar große Beachtung in der Laienpresse. Ande-
Menschen zukommen und psychisch auf
rerseits gibt es in Betrieben und Unternehmen viel
ihn einwirken.“ Selten wird genau erklärt, was
Verunsicherung und nicht selten auch Abwehrbe-
mit „psychisch“, „seelisch“, „emotional“, „men-
wegungen gegen das Thema. Das sollte im Inte-
tal“, „geistig“, „psychosozial“, „psychomental“,
resse von Personen und Unternehmen nicht so
„psychosomatisch“, „biopsychosozial“, „sozio-
bleiben und dieser Artikel möchte hierzu einen Bei-
kulturell“ etc. gemeint ist. Ähnlich vieldeutig ist
trag leisten. Der Beitrag gliedert sich in vier Teile:
die Verwendung von „Stress“. Daher ist es ver-
Dr. Stephan Schlosser
Leiter Gesundheitszentrum TRUMPF
GmbH & Co. KG
ständlich, dass auch Unternehmer und BetriebsA. Typische Hindernisse und Denkfehler
leiter keine klaren Konzepte zur Hand haben.
B. Hilfreiche Modelle zu Gesundheit, Arbeit und
C. Steuerung über fünf praxisrelevante
_Die subjektive Lage entspricht
nicht der objektiven Lage
Handlungsfelder
Diesen Satz muss man unbedingt akzeptieren,
D. Beschreibung konkreter Einzelinstrumente
wenn
zu ihrer Wechselwirkung
man
angemessen
mit
psychischer
13
Gesundheit umgehen will. Das fällt vielen
nische
Zeitgenossen schwer, weil sie eher im tech-
große Rolle für psychische Gesundheit spielt, haben auch ge-
nisch-industriellen Denken von Machbarkeit
sellschaftliche Entwicklungen wie der Prozess der Aufklärung
und objektivierbaren Kausalzusammenhängen
einen Einfluss auf psychische Gesundheit. Was früher richtig und
trainiert sind. Bei einer Befragung von
erfolgreich war, kann daher heute falsch und erfolgsbedrohend
tausend deutschsprachigen Personen waren
sein. Das kennen eigentlich alle Unternehmen aus vielfältigen
die Menschen in Baden-Württemberg deutsch-
Veränderungen ihres Marktes.
Maschinenstandards. Da die subjektive Lage eine
landweit Spitzenreiter im Stressempfinden
Baden-Württemberg eine der wohlhabendsten
_Fruchtloser Streit über die „Ursache“
von psychischen Störungen.
Regionen der Erde.
Kommt die Störung aus der Arbeit oder aus dem Privatleben? Hierzu
(Techniker Krankenkasse 2013). Objektiv ist
werden aufwendige Statistiken mit teilweise widerstreitenden Ergebnis-
_„Die Beschäftigung mit
psychischer Gesundheit provoziert
psychische Störungen“
sen erstellt. Seriöse Publikationen finden in der Regel eine Mischung
Es besteht eine Angst vor der subjektiven
Person. Da die subjektive Lage wichtig für psychische Gesundheit
Lage von Mitarbeitern. Das Sprechen über
ist, funktioniert Prävention durch Gestaltung der objektiven Lage
psychische Gesundheit könnte die subjek-
leider nicht so gut wie man es wünschen würde. Unterneh-
tive Lage von Personen in eine negative
men sind daher gut beraten, wenn sie hellhörig und wohlwollend
Richtung verschieben. „Arbeit ist kein-
auf die subjektive Lage ihrer Mitarbeiter reagieren. Selbstredend
Wunschkonzert“, wird häufig gesagt. Unter-
gibt es daneben legitime Rahmenbedingungen von Arbeit, die nicht
nehmen
Schwächung
täglich verhandelt werden können. Jede Firma – und ist sie noch
der Arbeitsmoral und eine Überbetonung
so klein – braucht also ein Konzept und konkrete Instrumente.
der individuellen Vorlieben ihrer Mitarbeiter.
Gute Betriebsärzte können hierzu Beratung und Unterstützung
Gerade weil die objektive Lage nicht
anbieten. So kann der Ausgleich zwischen objektiven Arbeits-
alleinentscheidend für psychische Gesund-
anforderungen und subjektiver Mitarbeiterlage gestaltet werden.
befürchten
eine
von Faktoren (Jacobi et al., 2012). Die Frage ist aber nicht so wichtig,
wie oft behauptet wird. Es gibt jeweils nur EINE Gesundheit einer
heit ist, lässt sich diese Sorge nicht
zeigen werde, gibt es aber – genau wie
_Kommerzielle Interessen von „Helfern“
gefährden die Seriosität
in technischen Fragen – einen „Stand der
Angetrieben durch die öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema psy-
Technik“ im Umgang mit den persönlichen
chische Gesundheit in Verbindung mit plakativen Übertreibungen in
Neigungen und wichtigen Überzeugungen
der Laienpresse, mit der begrifflichen Unschärfe und mit der Fach-
von Mitarbeitern bzw. Personen allgemein.
fremdheit der Auftraggeber (Unternehmer), hat sich ein lukrativer Markt
Man kann sie beachten oder missachten.
für Hilfsangebote aller Art entwickelt. Nicht immer werden dabei die
Aber man muss dann die Folgen bei Miss-
erforderlichen Qualitätskriterien für den Umgang mit psychischer
achtung aushalten.
Gesundheit im Betrieb erfüllt. Psychische Gesundheit muss in den
_Früher hat sich doch auch niemand
um diesen „Psychokram“ gekümmert
funktioniert im Kleinbetrieb nur, wenn der Unternehmer eine einfache
Die Frage ist, welche Periode mit „früher“
(Kapitel C) zum Gesamtthema Gesundheit an die Hand bekommt. Die
gemeint ist. Schon Aristoteles sowie andere
konkret benennbaren Einzelinstrumente (Kapitel D) können individu-
Denker und Ärzte haben sich durch die
ell gestaltet werden. Die richtigen Modelle (Kapitel B) zu Gesundheit,
Jahrhunderte mit Fragen von „Diätetik“,
Arbeit und ihrer jeweiligen Wechselwirkung müssen mindestens
d.h. von gutem Leben und gutem Arbeiten
implizit in der Steuerungslogik enthalten sein. Eine explizite
befasst. Jede Zeit hat ihre Schwerpunkte
Darstellung der Modelle kann bei der betrieblichen Implementierung
und ihre blinden Flecke. Der „Stand
und beim Marketing der Steuerungslogik helfen. Ein guter Betriebs-
der Technik“ im Umgang mit psychischer
arzt ist der typische Partner, der aufgrund seiner fachlichen
Gesundheit
Qualifikation in allen fünf Handlungsfeldern beraten und bei vielen
ganz von der Hand weisen. Wie ich unten
Gesamtkontext von Gesundheit im Betrieb eingeordnet werden. Dies
unterliegt
ebenso
einer
ständigen Weiterentwicklung wie tech-
14
Steuerungslogik mit wenigen praxisrelevanten Handlungsfeldern
Einzelinstrumenten persönlich die Leistung erbringen kann.
Gesundheit von Personen
Abb. 1
B.
Hilfreiche
Modelle
_Gesundheit von Personen
betrachtet werden:
Au
n
te
al n
rh tio
Ve u n k
F
St sse
ru he
kt n
ur
Gesundheit von Personen kann durch mindestens vier Dimensionen
1) Struktur (Materie, Anatomie)
2) Funktion („Bios“, Leben, Physiologie)
3) Gefühle (Psyche)
Person
positiv: angenehm/Lust;
negativ: unangenehm/Unlust/Angst/Sorge/etc.
G
Ve e f ü
rh hl
al e
te
n
g
un
ug e
ze h
er rac
Üb Sp
4) Überzeugungen („Logos“, Geist)
Was ist für mich… …sinnvoll-sinnlos
…wichtig-unwichtig
…richtig-falsch/etc.
Defensive Strategie: Manche Unternehmen beschränken sich auf den
gesetzlich verpflichtenden Gesundheitsschutz durch Sichere Arbeit und
Gefährdungsminimierung. Gesundheitsschutz von Personen (s. o.) beachtet
idealerweise alle vier personenbezogenen Gefährdungstypen:
Haus der gelingenden Arbeit
Abb. 2
1) Gefährdung der anatomischen Integrität
2) Gefährdung der physiologischen, funktionalen Integrität
3) Gefährdung durch ständige Missachtung der persönlichen
Neigungen (Gefühle)
a) Suchtzwang (entwickelt sich paradoxerweise
aus dem Nachgeben einer Neigung)
b) Ständiger Zwang, mit unangenehmen Gefühlen
zu arbeiten (Ärger, Angst, Sorgen, etc.)
4) Gefährdung durch ständige Missachtung der wichtigen
persönlichen Überzeugungen
a) Ständiger Zwang, das zu tun, was ich für sinnlos,
unwichtig, falsch, etc. halte
Offensive Strategie: Manche Unternehmen entschließen sich darüber hinaus
freiwillig zu Gesundheitsförderung durch Gute Arbeit. Sie möchten eine Verbesserung, Förderung, Optimierung, Entwicklung, etc. von Gesundheit erreichen.
Das wäre dann:
1) Erhalt/Förderung der anatomischen Integrität
2) Förderung der physiologischen, funktionalen Integrität
3) Beachtung der persönlichen Neigungen (Gefühle):
Freude, Lust, Begeisterung, etc.
4) Beachtung der wichtigen persönlichen Überzeugungen:
sinnvoll, wichtig, richtig, gut, etc.
Für die Gesundheitsdimensionen Struktur (1) und Funktion (2) gibt es
Normwerte und objektive Expertenempfehlungen, z.B. von Ärzten. Bei den
15
Gesundheitsdimensionen Gefühle (3) und Überzeugungen (4) erkennt man sofort die Bedeutung der
subjektiven Lage. Diese Dimensionen berühren den Kern unserer Art zu leben und zu wirtschaften.
„Stand der Technik“ kann hier nicht bedeuten, dass festgelegt wird, was die „richtige“ persönliche
C.
Steuerung über fünf praxisrelevante Handlungsfelder
Neigung und/oder Überzeugung ist. „Stand der Technik“ kann nur bedeuten, dass Schutz und Beach-
In unserer Praxis hat sich die Zuordnung der Ein-
tung von persönlichen Neigungen und Überzeugungen grundsätzlich Voraussetzung für Gesundheit und
zelinstrumente in fünf Handlungsfelder bewährt.
insbesondere für psychische Gesundheit ist.
Nicht jeder Betrieb hat Zeit, Geld und Bedarf
Dieses Modell orientiert sich an dem Konzept einer „Personalen Medizin“ (Danzer, 2012).
für alle in Kapitel D vorgestellten Instrumente.
Aber jeder Betrieb muss zum Thema Gesundheit
_Haus der gelingenden Arbeit
grundsätzlich die folgenden fünf Handlungs-
Damit Arbeit gelingt, braucht es mehr als Gesundheit. In Finnland wurde dafür das Haus der
felder im Blick haben und dazu Entscheidungen
Arbeits(bewältigungs)fähigkeit entwickelt (Ilmarinen, 2002). Neben der Gesundheit und der damit
treffen:
verbundenen Leistungsfähigkeit spielen noch drei andere Faktoren eine Rolle. Kompetenz umfasst
alle Fähigkeiten und Kenntnisse, die sich eine Person durch Lernen aneignen kann. Motivation für
1) Hilfe bei Störung
eine bestimmte Arbeit wird gespeist aus den Werten und Einstellungen der Person. Arbeitsgestal-
Wir reagieren wenn Arbeit nicht gelingt
tung ist das wesentliche Handlungsfeld eines Unternehmens. Weil „Arbeitsbewältigungsfähigkeit“ ein
und / oder Gesundheit instabil wird
sprödes Wort ist, benutzen wir im Unternehmen den Namen „Haus der gelingenden Arbeit“ (Abb.2) .
2) Sichere Arbeit
Sowohl der Betrieb als auch der Mitarbeiter haben ein Interesse daran, dass Arbeit gelingt.
Wir schützen die Gesundheit durch sichere
Arbeitsgestaltung
_Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit
3)Früherkennung
Die Arbeitsmedizin ist die medizinische Fachdisziplin, die sich mit dieser Wechselwirkung befasst und
Wir bieten ärztliche Untersuchungen
zwar in beiden Richtungen. Die erste Frage befasst sich mit der Wirkung von Arbeit auf die Gesundheit.
zur Früherkennung an
Was braucht es, damit die Gesundheit nicht gefährdet wird und was braucht es, damit die Gesund-
4)Lebensstil
heit durch Arbeit stabiler wird? (Abb.3) Auch das gibt es tatsächlich. Die zweite Frage befasst sich mit
Wir machen Angebote zur Optimierung
der Wirkung von Gesundheit auf Arbeit: Kann eine bestimmte Arbeit bei angeborener oder erworbener
des Lebensstils
Gesundheitsstörung ausgeführt werden? Man kann das auch die Frage der medizinischen Eignung nen-
5) Gute Arbeit
nen. Arbeitsmedizinisch orientiertes „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ (BGM) befasst sich im
Wir fördern die Gesundheit
Grunde genau mit denselben Fragen. Aber bei weitem nicht jedes sogenannte „BGM“ hat den gleichen
durch gute Arbeitsgestaltung und
umfassenden und medizinisch fundierten Ansatz wie die Arbeitsmedizin.
ein gutes Arbeitsumfeld
Wechselwirkung von Arbeit und Gesundheit
Arbeit
16
Abb. 3
Gesundheit
In den Feldern 1) bis 3) finden sich u. a. Instrumente, die gesetzlich vorge-
_Moderiertes Gruppengespräch
schrieben sind. Die Felder 4) und 5) enthalten ausschließlich Instrumente,
Führungskräfte können bei Bedarf einen internen oder externen Mode-
die als freiwillige Kürleistungen zu bezeichnen sind. Da sich alle fünf
rator hinzuziehen. Jeder Betrieb kann hier eine individuelle Lösung für
Handlungsfelder auf das Thema Gesundheit beziehen, sollten sie sinn-
die Besetzung der Moderatorenrolle finden (Betriebsarzt, Psychologe,
vollerweise regelmäßig von der Unternehmensleitung im Zusammenhang
Sozialberater, Mediator, Coach, etc.).
betrachtet, bewertet und koordiniert werden. Das ist in der Praxis leider
lierte Angebote von Modulen aus dem Handlungsfeld 4 (Lebensstil), z. B.
_Betriebsarztsprechstunde
(„first“ oder „second responder“)
mit dem Ziel, die psychomentale Fitness zu stärken. Dies bewährt sich in
Ein guter Betriebsarzt ist der ideale „second responder“ bei Verdacht
der Regel nicht. Ein systemisches und systematisches Vorgehen erfordert
auf eine psychische Gesundheitsstörung. Er kann evtl. erforderliche
die Beachtung aller fünf Handlungsfelder.
Labor- und Funktionsuntersuchungen veranlassen oder auch weiter-
nicht überall umgesetzt. Vereinzelt machen Betriebe auch gänzlich iso-
D.
vermitteln an die Psychosomatiksprechstunde bzw. andere Einrich-
Beschreibung von konkreten
Einzelinstrumenten
_Handlungsfeld 1: Hilfe bei Störung
tungen.
Der Betriebsarzt kann auch als „first responder“ fungieren. Idealerweise wissen die Mitarbeiter dann, wie sie – auch ohne Registrierung bei
Betriebs- oder Personalleitung – bei psychischen Beschwerden zum
Betriebsarzt kommen. Viele psychische Gesundheitsstörungen entwi-
_Führungskraft als „first responder“
ckeln sich langsam über Wochen. Der Betriebsarzt muss also nicht
Die direkte Führungskraft ist täglich vor Ort und kann am ehesten
täglich im Haus sein. Wichtig ist nur, dass besprochen und kommuni-
erkennen, ob Mitarbeiter Hilfe bei Gesundheitsstörungen brauchen.
ziert ist, wie ein Mitarbeiter zum Betriebsarzt als „first“ oder „second
Führungskräfte sind häufig unsicher, was sie erkennen können, sollen,
responder“ (via Empfehlung durch Führungskraft) kommt.
müssen. Deshalb gibt es bei uns ein verpflichtendes Seminarangebot
dass ihre Alltagserfahrungen – wenn sie beachtet werden – ausrei-
_Psychosomatiksprechstunde
(„second“ oder „third responder“)
chend sind, um fürsorglich auf Veränderungen von Aussehen, Verhal-
Manche Betriebsärzte haben psychosomatische oder psychotherapeu-
ten, verbalen Äußerungen und Notfällen der Mitarbeiter zu reagieren.
tische Zusatzqualifikationen. Die meisten werden eher an einen Kolle-
Weiterhin lernen sie, dass die disziplinarisch erforderliche Reaktion auf
gen verweisen. Bei einer kompletten Vergabe nach extern (z. B. hotline
lange oder häufige Fehlzeiten, auf deutlich veränderte Leistung und
als „first responder“) besteht die Gefahr, dass das Leistungsgeschehen
auf fragliche Eignung für eine Aufgabe eine zusätzliche Gelegenheit ist,
komplett am Betrieb vorbeigeht. Man sollte dann eine geeignete Form
auf indirektem Weg frühzeitig auf Gesundheitsstörungen zu reagieren.
der Rückmeldung verabreden, damit der Betrieb in der Lage bleibt, den
Reagieren bedeutet: Terminierung eines Mitarbeitergesprächs (s.u.).
Zusammenhang zu seinen betrieblichen Maßnahmen zu bewerten.
für alle neu ernannten Führungskräfte. Führungskräfte lernen dabei,
Größere Betriebe führen regelmäßig Kennzahlen zur Arbeitsunfähigkeit oder zur Mitarbeiterzufriedenheit. Führungskräfte können dann
_Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
neben Einzelfällen auch auf auffällige Abteilungskennzahlen reagieren.
Mindestens die Hälfte unserer Einzelfälle im BEM hängt mit psychi-
Reagieren bedeutet z. B. Veranlassung eines moderierten Gruppenge-
schen Erkrankungen zusammen. Die Erkrankungen resultieren selten
sprächs (s.u.).
direkt aus der Arbeitsaufgabe. Meist besteht eine hochbelastende
Mischung aus vorbestehender Krankheit, Schulden, familiären Proble-
_Mitarbeitergespräch
men und Arbeitsaufgaben, die früher neutral, aber in der besonderen
Dies muss jede Führungskraft als Grundtechnik des Führens beherr-
Situation als überlastend empfunden werden. Die oft komplexe Pro-
schen. Anhand des „Hauses der gelingenden Arbeit“ (Abb.2) klärt die
blemmischung kann nur multidisziplinär angemessen gelöst werden.
Führungskraft mit dem Mitarbeiter im geschützten Rahmen, ob es
Der Personalreferent lädt als Teilnehmer Mitarbeiter, Führungskraft,
Handlungsbedarf bzgl. Arbeitsgestaltung, Motivation, Kompetenz oder
Betriebsarzt und Betriebsrat ein.
Gesundheit gibt. Wenn sich Bedarf zum Thema (psychische) Gesundheit ergibt, soll die Führungskraft nicht wie ein „Hilfshausarzt“ agieren,
_Rettungskette / Ambulanz
sondern möglichst direkt an die Betriebsarztsprechstunde („second
Es gibt psychische Notfälle, die sofortiges Handeln erfordern und wo
responder“) oder im Notfall an eine Ambulanz verweisen.
nicht gewartet werden kann, bis der Betriebsarzt in zwei Wochen wie-
17
der im Haus ist. Nur große Betriebe können eine Ambulanz vorhalten.
_Allgemeine Gesundheitsuntersuchung
Allerdings können sich auch kleinste Betriebe mit Telefonnummern
Wir haben daher eine allgemeine Gesundheitsuntersuchung für alle
und Anlaufstellen auf psychische Notfälle vorbereiten. Der Betriebsarzt
Mitarbeiter eingeführt. Beim Eintritt ins Unternehmen und dann alle
kann hierbei unterstützen.
fünf Jahre besteht das freiwillige Angebot für eine Untersuchung zur
Früherkennung von Gesundheitsstörungen. Dabei orientiert sich die
_Sozialberatung
Untersuchung an dem o. g. Gesundheitsmodell mit vier Dimensionen.
Abhängig von den betrieblichen Wünschen und Bedingungen sowie
So werden längerfristige Verlaufsbeurteilungen möglich. Die Mitar-
von der Qualifikation des Beraters gibt es individuelle Gestaltungs-
beiter haben die Möglichkeit, den Betriebsarzt kennenzulernen und
möglichkeiten als „first“ oder „second responder“. Eine Sozialberatung
Vertrauen aufzubauen. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist das
muss nicht dauerhaft im Haus sein. Es gibt viele Möglichkeiten der Ko-
ein wichtiger Baustein.
operation mit öffentlichen Trägern. Wichtig ist auch hier ein geeignetes
anonymisiertes Reporting, damit das Beratungsgeschehen in Bezug
Handlungsfeld 4: Lebensstil
zum betrieblichen Handeln gesetzt werden kann.
_Angebote zum Lebensstil
Handlungsfeld 2: Sichere Arbeit
Wir machen in Form von Kursen, Vorträgen und Seminaren ein regelmäßiges und fest budgetiertes Angebot zur Resilienzsteigerung
_Gefährdungsbeurteilung durch Sicherheitsgespräch
via Lebensstilthemen wie Bewegung, Ernährung, Mentaltechniken,
Jede Führungskraft muss für ihren Bereich die Frage stellen, ob die Ar-
Umgang mit Suchtmitteln etc.. Wichtig ist dabei eine kontinuierliche
beit sicher ist. Das klassische Instrument dafür ist die Gefährdungsbe-
Beachtung von Zielgruppenbedarf und balancierter Angebotsstruktur.
urteilung hinsichtlich der objektiven Lage. Daraus lassen sich Maßnah-
Die meisten Angebote sind kostenfrei für Mitarbeiter, teilweise gibt
men der Risikominimierung ableiten. Im neu eingeführten jährlichen
es eine Selbstbeteiligung. Die Angebote finden außerhalb der
Sicherheitsgespräch (Führungskraft, Betriebsarzt, Sicherheitsfach-
Arbeitszeit statt. Nicht alle Mitarbeiter schätzen explizite Angebote zum
kraft, Betriebsrat) versuchen wir, gemeinsam die objektive UND die
Thema Psyche und Geist. Man muss sich klarmachen, dass auch
subjektive Lage der Abteilung zu erkunden. Dies erfolgt je nach Ver-
vordergründig körperbezogene Angebote sehr wohl positiv auf Lebens-
fügbarkeit und Größe des Bereichs mit oder ohne formale Kennzahlen
haltung und psychische Gesundheit wirken können.
durch eine integrierende Zusammenschau von Tätigkeitsprofilen,
Auslastung, Projektplanungen, Stimmung, Mitarbeiter-Zufriedenheit,
Handlungsfeld 5: Gute Arbeit
Fehlzeiten, Unfällen, Eindruck bei der Begehung, Einzelhinweisen, etc..
Für manche Betriebe ist es ein schwieriger Weg zur Gestaltung guter
Handlungsfeld 3: Früherkennung
Arbeit. Am Anfang braucht es ein eindeutiges „Ja“ zur dritten und
vierten Dimension von personaler Gesundheit (s. Kapitel B):
_Arbeitsschutzuntersuchung
Der Betriebsleiter bzw. die Führungskraft müssen die notwendigen Un-
3) Beachtung der persönlichen Neigungen (Gefühle)
tersuchungen veranlassen. Die Verordnung zur arbeitsmedizinischen
von Mitarbeiter: Freude, Lust, Begeisterung, etc.
Vorsorge (ArbMedVV) regelt den Bedarf an arbeitsmedizinischer Vor-
4) Beachtung der wichtigen persönlichen Überzeugungen
sorge. Die Untersuchungsanlässe werden dort nicht aufgrund von
von Mitarbeiter: sinnvoll, richtig, wichtig, etc.
personenbezogenen sondern aufgrund von technikbezogenen Gefährdungen organisiert. In Einzelfällen können technikbezogene Gefähr-
Erst nach diesem eindeutigen „Ja“ kann die eigentliche
dungen (z.B. extreme Hitze) auch zur ständigen Missachtung von per-
inhaltliche Arbeit beginnen.
sönlichen Neigungen und Überzeugungen und damit zur Gefährdung
der psychischen Gesundheit führen. Der Betriebsarzt könnte dann reagieren. Insgesamt ist das Konzept der ArbMedVV aber für psychische
Gesundheit ungeeignet, weil es nur an der objektiven Lage ansetzt.
18
_Ergonomie in allen vier Dimensionen (s. Kapitel B)
durch interdisziplinäre Arbeitsgestaltung
Konsequenterweise genügen dann nicht mehr Betriebsarzt und
Sicherheitsfachkraft als Berater. Hilfreich ist – je nach Betriebsgröße – die koordinierte Zusammenarbeit dieser beiden mit
Geschäftsleitung, Personalabteilung, Architekten, Innenarchitekten,
Danzer, G. (2012): Personale Medizin, Bern: Huber Verlag.
Europäische Norm EN ISO 10075-1. (2000): Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer
Arbeitsbelastung. Teil 1: Allgemeines und Begriffe: DIN Deutsches Institut für Normung e. V.
Ilmarinen, J. (2002): Finnische Erfahrungen mit dem Work Ability Index. In Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Europäische Erfahrungen mit dem Work Ability Index (S. 8-14).
Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW.
Bauabteilung, Produktionsplanung, etc.
Jakobi, F., Genz, A. und Schweer, R. (2012): „Macht Arbeit psychisch krank?“ in Leistung und Lohn –
Zeitschrift für Arbeitswirtschaft Nr. 518/519/520/521 Mai 2012:
_Führungskräfte als Gestalter
TK-Studie zur Stresslage der Nation (2013) „Bleib locker, Deutschland!“, Techniker Krankenkasse
(Hrsg.), Hamburg: TK-Hausdruckerei
http://www.tk.de/tk/aktionen/jahr-der-gesundheit-stress/tk-stressstudie/611776
Auch für gute Arbeit kommt den Führungskräften eine zentrale
Rolle zu. Sie verantworten viele Aspekte der Arbeitsorganisation im
Mikroumfeld. Sofern vorhanden, können auch hier die Ergebnisse
einer Mitarbeiterzufriedenheitsanalyse Orientierung geben. Denn diese sollte ja nichts anderes als die persönlichen Neigungen und Überzeugungen der Mitarbeiter zum Ausdruck bringen.
Abschließend sei noch ein kostengünstiges aber im Wert möglicherweise stark unterschätztes Instrument erwähnt: Humor und Clowns
werden im Krankenhaus bei schwerkranken Kindern eingesetzt.
Sollten es nicht auch Führungskräfte vorsorglich und
fürsorglich viel öfter mit Humor versuchen?
19
Vielseitiges Engagement in wichtigen
Bereichen der Gesellschaft - Die SDK-Stiftung
Die SDK-Stiftung wurde 2007 gegründet.
Einmal jährlich veranstaltet die SDK-Stiftung
Der Stifterverband für die Deutsche Wissen-
in Zusammenarbeit mit dem SDK-Institut für
schaft verwaltet die SDK-Stiftung treu-
Gesundheitsökonomie
händerisch.
Gesund-
Bei der Tagesveranstaltung kommen Experten
heitswesen, Wissenschaft und Forschung,
aus dem Gesundheitswesen zu Wort und be-
Umweltschutz, Kunst und Kultur, Bildung
leuchten aktuelle Themen aus Gesundheitsökono-
und Erziehung sowie mildtätige Zwecke.
mie und Gesundheitspolitik.
Sie
fördert
das
das
SDK-Symposium.
Aktuell unterstützt sie die Hilfsorganisation
„Ärzte der Welt“ und die Benefiz-Radveranstaltung „Tour Ginkgo“ der Christiane Eichenhofer-Stiftung.
Beim Symposium 2013 sprachen Experten
vor über 150 Zuhörern über die vermeintliche
„Zwei-Klassen-Medizin“ in Deutschland.
Der SDK-Stiftungslehrstuhl für Gesundheitsökonomie wurde zum 1. Dezember 2008 an der Steinbeis-Hochschule Berlin eingerichtet. Die Steinbeis-Hochschule ist eine der größten deutschen
Hochschulen für postgraduale Masterstudiengänge. Lehrstuhlinhaber ist Prof. Dr. Bernd
Brüggenjürgen. Als Mediziner und Gesundheitsökonom verfügt er über langjährige Erfahrung als Berater im Gesundheitswesen.
Brüggenjürgen ist im Vorstand des Deutschen
Verbandes für Gesundheitswissenschaften und
Public Health und im erweiterten Vorstand der
ISSN 2197-8980
Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie.
Blick punkte
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nr. 1 | 2013
Blick punkte
Zwei-Klassen-Medizin
in Deutschland?
Gerüchte und Realitäten in der Versorgung privat
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https://www.sdk.de/unternehmen/sdk-stiftung
01| 2013
Zwei-Klassen-Medizin
in Deutschland?
02| 2014
Vom Ausbrennen bedroht!
nr. 2 | 2014
Blick punkte
Mensch
Gesellschaft
sicherheit
Vom Ausbrennen
bedroht.
Psychische Erkrankungen in Unternehmen und wie
Arbeitgeber helfen können.
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