SOWI-Arbeitspapier Nr. 06 Detlef Bald DIE REVOLUTION VON 1848 UND IHRE AUSWIRKUNGEN AUF SOZIALSTRUKTUR UND BILDUNGSSYSTEM DER PREUSSISCHEN ARMEE. Vortrag gehalten, am XII. Internationales Kolloquium Militärgeschichte Athen, 16.6. – 23.08.1987 2 „Die Ereignisse von 1848," formulierte der, Altmeister der deutschen Militärgeschichte, Gordon A. Craig, „konnten die zwischen Militär und Zivilbevölkerung bereits bestehende Kluft nur vertiefen."1 Mit dieser Feststellung hatte er recht. Im Offizierkorps, gerade in seinen höchsten Rängen, hatten das revolutionäre Treiben in Berlin im März 1848 und der konfuse Abzug der Truppen aus der preußischen Hauptstadt mit dem dann eintretenden vorläufigen Erfolg der revolutionären Machtausübung tiefe Wunden hinterlassen. Die Erinnerung an die Märztage festigte die Furcht, es sei mit einem Erstarken der revolutionären Agitation in naher Zukunft zurechnen. Vom Standpunkt der Verteidigung der monarchischen Ordnung ergab sich die dringende Notwendigkeit, ihre besondere Stütze, die Armee zu stärken und im Wertesystem des Staates mit Priorität zu verankern. 1. Die nationale Komponente Die Entscheidung über die Rolle der Armee im Staate fand spätestens im Jahre 1850 im Artikel 108 der revidierten Verfassung in Preußen eine unzweideutige Antwort, als es hieß: „Eine Vereidigung des Heeres auf die Verfassung findet nicht statt."2 Hingegen bestätigten andere Artikel, der Verfassung die ungeschmälerte Kommandogewalt des Königs und seine Befugnisse, die Erneuerung der 0ffiziere in der Armee vorzunehmen, um auch die personelle Prärogative der Krone zu festigen. Jedenfalls blieb so die Armee außerhalb der Verfassung; sie unterstand lediglich dem König und war dazu da, seine Mach, gegen jegliche Übergriffe zu schützen.3 Die bindenden Ideen der deutschen Revolutionen von 1848, wie sie in der Nationalversammlung der Frankfurter Paulskirche zum Ausdruck kommen, lassen sich idealtypisch zusammenfassen. Es ging dabei um: - die einheitliche National- und Großstaatsgründung, - die Schaffung eines parlamentarisch-demokratischen Verfassungsstaates und schließlich um - die Verwirklichung der sozialen und ökonomischen Freiheiten. Sie bilden die konstitutive Basis des bürgerlichen Welt- und Fortschrittsdenkens. Ihre große Spannweite entspricht der Komplexität der bürgerlichen Interessen und läßt zugleich ahnen, welche divergierenden Interessen tatsächlich hinter diesem Begriff der bürgerlichen Revolution standen. Wenn Politik und Staat in der nachrevolutionären Epoche in Preußen daraufhin betrachtet werden, welche Ein- oder Auswirkungen jene revolutionären Ereignisse bzw. Zielsetzungen des Jahres 1848 auf den militärischen, Bereich gehabt haben, ist es hilfreich und notwendig, zumindest jene drei Ebenen oder Hauptströmungen, wie sie sich in der Paulskirchenversammlung ausmachen lassen. zu unterscheiden. Der Aufbau der preußischen Armee in den fünfziger Jahren verstand sich als Modernisierung und Konsolidierung, um der innenpolitisch motivierten „Angst vor der Revolution"4 die Grundlagen zu entziehen. Ihren Abschluß fand diese Phase durch die Heeresgesetze von 1860, die der preußischen Armee eine neue Gestalt verliehen. Damit war dem preußischen Liberalismus signalisiert, daß er mit der konstitutionellen Verfassung von 1850 nur beschwichtigt worden und nun, ein Jahrzehnt später, tatsächlich der Konfliktfall für Freiheit und Einschränkung der parlamentarischdemokra- 3 tischen Rechte gegenüber der königlichen bzw. staatlichen Macht gekommen war. Das Dilemma des preußischen Liberalismus trat offen zutage, eine Entscheidung zwischen dem bürgerlichen Streben des Bürgertums nach politischer Emanzipation und der Forderung nach nationalem Zusammenschluß Deutschlands alternativ treffen zu müssen. Die Postulate „Freiheit" und „Einheit" rückten in den Brennpunkt der Betrachtungen. Der historische Prozeß machte deutlich, daß es am Ende zum schicksalhaften Gegensatz von „Freiheit" oder „Einheit" kam. Der bürgerliche Liberalismus schied sich mehr und mehr von seinen, im Jahr 1848 noch vertretenen, egalitären und demokratischen Forderungen, die nunmehr als radikal und nivellierend gebranntmarkt wurden.5 Die bürgerliche Fortschrittspartei in Preußen wurde zum Wegbereiter jener liberalen Entwicklung, die den Verfassungskonflikt in Preußen um den Heeresetat zugunsten des preußischen Staates und zum Nachteil der parlamentarisch-demokratischen Entwicklung zu lösen half. Die nationalpolitische Seite setzte sich mit dem Argument durch, daß „jeder Fortschritt in der Gewinnung der notwendigen deutschen Macht ... zugleich ein Fortschritt im freiheitlichen Leben" sei, während umgekehrt die „verlängerte Verwahrlosung der zur Erhaltung der Nation unentbehrlichen Macht ,wie es dem Sprachrohr der rechten Liberalen, in der „NationalZeitung" programmatisch stand, immer tiefer in die Unfreiheit hinein führe. Man könnte sagen, der Liberalismus verschrieb sich so einer Politik der nationalen Einheit durch die militärisch gestützte Machterweiterung Preußens als Mittel zum Zwecke seiner Freiheit, seiner (späteren) Liberalisierung.6 Wie in fast allen europäischen Staaten, in denen es 1848 zu revolutionären Ereignissen gekommen ist hatte die Revolution in Preußen und in Deutschland als stärkste Kraft den Nationalismus freigesetzt; andere liberale Kräfte und Forderungen hatten dem gegenüber verloren. Die Revolution von 1848 in Berlin, auch in Frankfurt, ist wie die in anderen europäischen Staaten „an ihrer Komplexität"7 divergierender Zielsetzungen zugrunde gegangen. Die nationalstaatliche Politik in Preußen stellte die monarchische Armee, ihren Aufbau und Ausbau, in den Mittelpunkt der Politik. An der Tatsache, daß es eine auf den preußischen Monarchen ausgerichtete Armee war, hatte die Revolution von 1848 nichts ändern können. Wie schon erwähnt, spätestens. mit der Verfassung des Jahres 1850 war di e Stellung des Monarchen und seine Rolle für die Armee rekonstituiert. Was aber spielte sich innerhalb des Militärs, insbesondere in seinem Offizierkorps in den fünfziger und sechziger Jahren ab? 2. Die politische Lage Prinz Wilhelm von Preußen, der im Oktober 1858 die förmliche Regentschaft von Friedrich Wilhelm IV. übernommen hatte, ist eine Schlüsselfigur für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Militär und Gesellschaft. Er hatte seit jeher Freunde und Berater um sich versammelt, die in einer gemäßigten Opposition zu dem offiziellen innen- und außenpolitischen Kurs standen. Der latente Gegensatz zwischen dem König und dem Prinzen reflektiert die konzeptionellen Differenzen in den Auffassungen über den von beiden angestrebten besten Weg zur Sicherung und Modernisierung der bestehenden Machtverhältnisse. Die vom Kronprinzen repräsentierte Gruppierung trat für eine Liberalisierung der Politik ein, die, mit verstärkten Erwartungen nach der 1848er Revolution eine Berücksichtigung bürgerlicher Interessen anstrebte, 4 also die aufstrebenden bürgerlichen Kreise durch staatliche Akzeptanz und Aktivität an sich band. Einer der langjährigen Weggefährten des Kronprinzen war General Eduard von Peucker, der für Reformen im militärischen Bildungssystem wie auch für militärtechnologische Neuerungen bei der Ausrüstung mit leichten und schweren Waffen eingetreten war. Als Person steht er geradezu prototypisch für jene Erwartungen, die man mit dem „neuen Kurs" des Kronprinzen verband: Die Herausbildung einer sozialpolitischen Interessengemeinschaft zwischen adeligen und bürgerlichen Gruppierungen durch die Integration zu einer neuen Führungselite. Er verfolgte den doppelten Zweck der sozialen Befriedung und der staatlichen Machtsteigerung.8 Es waren keine unberechtigten Hoffnungen, die sich die Liberalen machten, wenn sie auf den Einfluß, des Kronprinzen setzten, damit die erzkonservative Kamarilla in der Führung der Regierungsgeschäfte Preußens ihre beherrschende Rolle verlöre. Die bestehen den Machtverhältnisse ließen bei rechter Bewertung keine Kursänderung jedoch eine Trendwende erwarten, als er die Regentschaft in Preußen im Jahr 1858 übernahm. Suchte er eine Stabilisierung der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung durch die Inkorporierung ausgewählter bürgerlicher Kreise, indem einzelne Organe des staatlichen Apparates in einem begrenzten und bestimmten Maße den Interessen der bürgerlichen Gruppen geöffnet wurden, so sah das etablierte Junkertum darin eine grundlegende Gefährdung seiner Vormachtstellung, wenn die allmähliche Kräfteverschiebung im Machtmechanismus des Staates quantitativ größere Ausmaße erreichen würde. Dieser restaurativen Politik des Beirrens standen also doch Kräfte entgegen, die jene zu Beginn der fünfziger Jahre herrschende Kluft zwischen Militär und Gesellschaft differenziert abzubauen bestrebt waren. Die Reorganisation des Heeres, seine Verstärkung Modernisierung war ein Teil jenes Programms, bürgerliche Akzeptanz und Attraktivität zu finden. In der Geschichtsschreibung wird diese Thematik üblicherweise unter dem Aspekt der politisch-parlamentarischen Auseinandersetzung um die Militärstruktur, wie Linienarmee und Landwehr-Miliz miteinander zu verbinden seien, und um den Verfassungskonflikt wegen des Budgetrechts in Preußen behandelt. Zweifellos waren das sehr zentrale Fragen, es waren fundamentale Entscheidungen mit ambivalenten Folgen für das, was wir preußischen Militarismus und deutsche parlamentarische Demokratie 19. Jahrhundert nennen. Daneben jedoch, oder besser gesagt, unterhalb dieser jahrelangen öffentlichen Auseinandersetzungen zwischen Bismarck und dem Preußischen Landtag vollzog sich im Militär ein beachtlicher Strukturwandel, der häufig unterbewertet oder gar übersehen wird. Darauf vor allem wird in diesen Ausführungen eingegangen. Langfristig bedeutsam, voneinander abhängig und aufeinander bezogen sind zwei Bereiche auszumachen, die lapidar umschrieben werden wie: „ ... eine zahlenmäßige Vermehrung ausgebildeter Offiziere und Unteroffiziere und ... die Errichtung neuer Militärschulen."9 Worum ging es dabei? 5 3. Zum sozialen Strukturwandel In der „großen" preußischen Reformzeit nach 1806/07 hatte es bereits einmal im Militär beachtliche soziale Veränderungen gegeben. In dem Jahrzehnt nach 1806 war der Anteil bürgerlicher Offiziere von knapp 10 auf über 45 % gestiegen.10 Solche und andere Faktoren des bürgerlichen Einflusses in Militär als Zeichen des gesellschaftlichen Wandlungsprozesses konnten sich allerdings noch nicht durchsetzen. Die Wiederherstellung der alten von der Aristokratie bestimmten Ordnung wurde für das Zeitalter bestimmend, das man für Deutschland mit dem, Begriff „Zeitalter der Restauration" zu kennzeichnen sucht. Die Vertreter des Bürgertums wurden im Militär anteilsmäßig zurückgedrängt, was mit der Übernahme fast, aller Spitzenstellungen in Heer und Verwaltung durch den Adel korrespondierte.11 Nur in den technischen Bereichen, die zunehmend ausgebaut wurden - also bei der Artillerie, dem Ingenieurund Pionierkorps - konnten sich die bürgerlichen Offiziere behaupten. Grundsätzlich aber wandte sich die politische Restauration gegen bürgerliche Fachbildung und Spezialisierung, gegen Fortschritts- und Modernitätsgesinnung, so daß standesgebundene soziale Einseitigkeit die professionelle Entwicklung der Armee behinderte und den Gegensatz zwischen Militär und Gesellschaft verstärkte. Der Rückgang des bürgerlichen Einflusses im Offizierkorps bis 1848 wurde das Kennzeichen der sozialen Entwicklung im Militär. Dennoch ließ sich der Bedarf an bürgerlichen Offizieren, nicht ganz reduzieren. Ein Mittel, dem zu begegnen und eine geringe Anzahl Bürgerlicher für höhere Positionen in der militärischen Hierarchie akzeptierbar zu machen, war die Nobilitierung. Sie war das Mittel, eine Statusänderung, eine nominelle Korrektur durchzuführen und den sozialen Aufstieg in die adeligen Herrschaftsreservate zu gestatten. Dem preußischen Altadel, dem Adel aus den Stammprovinzen Brandenburg-Preußens, kam wegen seiner außerordentlichen Bedeutung für das Offizierkorps insgesamt gerade hierbei eine besondere Bedeutung zu. Auffällig ist, daß die Bürgerlichen in ihrer überwiegenden Mehrheit aus dem altpreußischen Kernlanden zum Heeresdienst motiviert oder selektiert wurden. Die altpreußischen bürgerlichen Familien, deren Vorbild die heimatliche Aristokratie verkörperte, wurden gesellschaftlich tolerant kooptiert und manche durch Erhebung in den Adelsstand ausgezeichnet. Eine Variante dieser Kooptation war die Eheschließung zwischen Adel und Besitzbürgertum. Die altpreußische Dominanz im Offizierkorps ließ den Eindruck von einem „festgefügten Block - eben die politisch-militärische Elite im Königreich Preußen" 12) aufkommen. Für die beispielsweise dem Stichjahr 1860 folgenden Jahre, in denen der Anteil der bürgerlichen Offiziersaspiranten in Preußen erstmals auf über 50 % anstieg, lag der Anteil der Vertreter aus den preußischen Kernlanden immerhin um 85 %.13 Diese Zahlen verdeutlichen die extreme Rolle, die diese Regionen für Nachwuchs bzw. für die Gestaltung des Offizierkorps eingenommen haben. Auch wenn langfristig eine weitergehende Abnahme zu verzeichnen ist, darf die prägende Kraft dieses Teils Preußens nicht gering bewertet werden. Der Aspekt der altpreußisch bürgerlich-adeligen Elitenbildung ist geeignet, den sozialen Mechanismus der Inkorporation Bürgerlicher in das ansonsten adelige Offizierkorps zu charakterisieren. Es wurden diejenigen Bürgerlichen akzeptiert, deren Wer- 6 degang und familiären Hintergrund man durch regionale Kontrolle gesichert einschätzen konnte. Tradition und Kultur, Lebenshaltung und Machtausübung des Adels konnten als erstrebenswertes Vorbild in die bürgerliche Idealwelt einfließen. Die am Ende des 19. Jahrhunderts so auffällig „Feudalisierung“14 des Bürgertums im Militär hatte viel früher eingesetzt - in den Kernlanden Preußens. Nach der Revolution von 1848 kam in die soziale Struktur des preußischen Offizierkorps erneut Bewegung. Am Ende der fünfziger Jahre war erstmals wieder die beachtliche Grenze von einem Drittel bürgerlicher Offiziersanwärter erreicht; bereits im Jahre 1860 hatte sich der Anteil des Adels am gesamten Offizierkorps auf 65 % vermindert.15 Die späteren und bekannten Heeresvermehrungen der sechziger Jahre in Preußen lassen sich bei der Offiziersrekrutierung am Anteil der Bürgerlichen ablesen. Bei einigen Jahrgängen des Offiziernachwuchses sind die Verschiebungen besonders kraß. Der Anteil des Adels sank bei den Jahrgängen 1862/63, 1863/64 und 1866/67 - bei einer Gesamtzahl von über 2.500 Offiziersanwärtern - zum erstenmal in der preußischen Geschichte unter die auffällige Grenze von 50 %, nämlich auf 49 %. Nun läßt sich sagen, daß bürgerliche Offiziere in der preußischen Armee nicht nur geduldet sondern auch gefordert waren. Aber es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis diese Fakten wegen der Generationen folge die sozialen Verhältnisse im Offizierkorps insgesamt grundlegend verändert hatten; im Jahrzehnt vor der Jahrhundertwende waren dann schließlich die Mehrheitsverhältnisse im Offizierkorps zugunsten der Bürgerlichen bestimmt: Für das Jahr 1895 liegt eine Auswertung vor, die bei einer Gesamtzahl von fast 16.000 Offizieren in Preußen 55,9 % Bürgerliche ausweist.16 Diese Zahlen lassen eine weitere Differenzierung zu. Ein Kennzeichen der hierarchisch gegliederten Führung ist, daß der Adel mit der Höhe des militärischen Ranges verstärkt vertreten ist. Je höher der Rang, desto größer der Adelsanteil. Greift man beispielsweise die Gruppe der Offiziere vom Major bis General heraus, erhöht sich der Anteil des Adels,1861) auf 80,1 gegenüber 65 % Anteil am gesamten Offizierkorps. Bei den Obristen und Generalen steigt der Ante il auf 87,7 %, um schließlich in der Gruppe der Generalität 93,8 % zu erreichen. Allein diese groben statistischen Angaben zur Sozialstruktur des Offizierkorps in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts verdeutlichen, daß bürgerlichen Bewerbern der Zugang zu dem zuvor gesellschaftlich exklusiven und abgekapselten Offizierkorps in Preußen gestatten wurde. Der geringere Anteil Bürgerlicher an den höheren 0ffiziersrängen läßt zweierlei erkennen: 1. Bürgerliche hatten im größeren Ausmaß und mit zunehmender Tendenz erst in diesen jahrzehnten nach der Revolution von 1848 die Chance zum sozialen Aufstieg im Offizierkorps; die soziale Mobilität fand gegen den schärfsten Widerstand des preußischen Adels statt; sie konnte, wie die Beispiele der Kadettenhäuser und der preußischen Kernlande ausweisen, nur unter größtmöglicher sozialer Kontrolle und der jeweiligen Akzeptanz durch den Adel selbst geschehen. 2. Die Selektion der einmal als Offiziere zugelassenen Bürgerlichen fand, wie das Beispiel der sozialen Hierarchie aufweist, lebenslang statt; bürgerliche Offiziere unterlägen einer beruflichen, politischen und gesellschaftlichen Kontrolle mit der Folge, permanent den Nachweis der „richtigen" Haltung, Meinung und Auffassung nachzuweisen; nicht jeder bürgerliche Offizier konnte avancieren, sondern nur der wurde ausgewählt, dessen Auftreten akzeptiert war. 7 Der evolutionäre Vorgang der sozialen Mobilität oder der Akzeptanz der Bürgerlichen im Offizierkorps ist im Zusammenhang der staatlichen Politik des Sozialprotektionismus des Adels zu verstehen. Die Inkorporation der Bürgerlichen in das zuvor exklusivadelige Revier setzte auf der einen Seite die Assimilationsbereitschaft der dann jeweils ausgewählten Bürgerlichen voraus. Der Mechanismus der sozialen Kontrolle vor und während des Offizierberufes wurde vom Adel dahingegen genutzt, nicht nur die ihm angenehmen und in der Armee als Fachleute benötigten sondern die ihm prinzipiell angepaßten bürgerlichen Offiziere auszuwählen. Das Geheimnis der „Feudalisierung" der bürgerlichen Offiziere liegt auch in diesem System begründet. Auf der anderen Seite wurde dem Adel die berufliche Sicherheit nicht genommen. Die Zahl der Stellen für die alten Familien blieb über Jahrzehnte prinzipiell und in etwa erhalten. Dem sozialen Druck der Bürgerlichen konnte insofern nachgegeben werden, als der zusätzliche durch den Ausbau der Armee erforderliche Bedarf an Offizieren dem Bürgertum angeboten wurde. So also sah der politische Kompromiß aus, der die sozialen Forderungen des Adels nach Stabilität und die des Bürgertums nach Mobilität miteinander zu verbinden suchte. Das preußische Bürgertum17 erbrachte seine national-einheitliche Leistung durch Eintritt in das Militär. Die Annahme der politischen Normen der absolutistisch orientierten Monarchie verlangte die Aufgabe eines Teiles jener- liberalen Forderungen der Revolution von 1848, die unter den bürgerlichen Idealen die parlamentarisch-demokratischen Ideale genannt werden müssen. Die adelig dominierte Standesideologie des Offizierkorps fand also im Neuadel und Bürgertum, den Homines Novi des Offizierkorps, Anklang. Das Bürgertum nahm seine mögliche Funktion der Demokratisierung des Offizierkorps oder der Armee nicht wahr, sondern, indem es Geist und Gehalt der gesellschaftspolitischen Zielsetzungen des altpreußischen Korpsgeistes rezipierte, wurde es stattdessen zum „kompaktesten Zentrum des sich intellektuell und konkret begreifenden konservativen Denk- und Lebensstiles".18 So prägte ein altpreußischer, übersteigert preußisch-deutscher nationalistischer Stempel das Offizierkorps in Preußen schon, bevor es zur deutschen Einigung im Kriege 1870/71 kam. 4. Chancen durch eine Reform des militärischen Bildungssystems Die Kluft zwischen Staat (Militär) und Gesellschaft zu verringern, war das Ziel des Generals Eduard von Peucker in den Jahrzehnten nach der Revolution. Seine Leitlinie blieb, den militärischen Beruf und das bürgerliche Bildungsideal miteinander zu verbinden. Peucker, der als General und mit Billigung des preußischen Königs der erste Reichskriegsminister der Paulskirchenversammlung in Frankfurt in den Jahren 1848/49 gewesen war, befand sich in der Kernfrage einer reformierten Wehrverfassung in Übereinstimmung mit den national-bürgerlichen Liberalismus. der Epoche. Getragen von den „heiligsten National-Interessen" und den besonderen Aufgaben des Militärs verstand er seine Rolle als ein Mittler, der das Militär mit den „Kräften und den eigentümlichen Tätigkeiten des bürgerlichen Lebens des betreffenden Volkes sorgfältig im Einklang zu bringen...."19 habe. Die naturrechtliche Vorstellung von der Gleichheit der Menschen - auch erkennbar durch den individuellen Nachweis von Bildung - implizierte, daß die qua Geburt überkommenen Ansprüche des Adels auf die Besetzung der höheren militärischen Führungsstellen des Offizierkorps zuguns- 8 ten des aufstiegswilligen und qualifizierten Teils des Bürgertums zurückgedrängt werden müßten. Die Reorganisation des militärischen Bildungssystems und die Anerkennung von Leistungsqualifikationen als Voraussetzung und Bedingung für den Aufstieg des Offiziers in der Hierarchie des Offizierkorps waren für ihn der Weg, der trotz der etablierten Interessen des Adels beschritten werden mußte. Die politische Konstellation begünstigte die Personalentscheidung, Peucker im Jahre 1854 zum Generalinspekteur des Militär-, Erziehungs- und Bildungswesens in Preußen zu ernennen. Seine beruflichen Erfolge - nämlich der Einführung moderner Rüstung für die Artillerie, die Entwicklung des Zündnadelgewehrs sowie die Bewältigung der politisch-heiklen Aufgabe im revolutionären Geschehen in Frankfurt und nicht zuletzt gefördert durch die Jahrzehnte andauernde persönliche Beziehung zum Prinzregenten gestatteten es ihm, daß er bürgerliche Bildungsideale und Anforderungen als Ziele der Reform des militäreigenen Bildungssystems formulieren konnte. Sein. Werk bedeutete Effizientsteigerung und Modernisierung der preußischen Armee, es war eine wesentliche Voraussetzung der Professionalisierung des Offizierberufes. Die hartnäckig verteidigte Gegenposition des Adels bewirkte zugleich Konflikte und Kompromisse in der Sache. Der erste Schritt zur Bildungsreform betraf die Eingangsvoraussetzungen des Offizierberufes, also die Leistungsnachweise, die jemand aus seinem bürgerlichen Leben mitbringen mußte, um die Offizierlaufbahn einzuschlagen. Da sie seit den Scharnhorstschen Reformen formal allen Bürgern offen stand, plädierte Peucker für einen hohen bürgerlichen Bildungsabschluß. Der erst im Jahr 1844 wieder eingeführte Nachweis des schulischen Niveaus eines Sekundaners des Gymnasiums erschien ihm unzureichend. Peucker forderte das Abitur. Es entstand ein jahrzehntelanges Tauziehen um die endgültige Festlegung dieses schulischen Abschlusses. Für den Übergang akzeptierte Peucker die Unterprimareife des Gymnasiums. Zielte er damit auf eine allmähliche Hebung des schulischen Niveaus und die Erhöhung der Ausbildungsbefähigung der Offiziere, so erwies sich nur zu bald, daß der Adel den Schulabschluß als Mittel der sozialen Auslese des Offiziernachwuchses verstand. Dies bedeutet: Die Erhöhung der schulischen Qualifikation wurde als „ganz besondere Härte", wie Kreise um den General Manteuffel klagten, zum Nachteil der Söhne des Landadels gewertet. Daher berücksichtigte die preußische Führung die Interessen dieser Adelsschichten und nahm zugleich den massiven militärischen Ausbau der Armee in den frühen sechziger Jahren als Gelegenheit, gegenüber den bürgerlichen Offizieranwärtern die höheren Bildungsqualifikationen des Gymnasiums durchzusetzen. Als ein Preis der nationalen Einigung und, als Entgegenkommen gegenüber den liberaleren süddeutschen Armeen wurde dann schließlich zum 01. April 1872 die hohe schulische Leistung, die Primareife, als formale Voraussetzung für die Zulassung zur Fähnrichsprüfung eingeführt. Während von nun an die bürgerlichen Offizieranwärter das Zeugnis des Abiturs vorlegen mußten, war dem König von .Preußen als oberstem Kriegsherr weiterhin das Recht eingeräumt, adeligen Söhnen und denen, die aus den „erwünschten sozialen Kreisen" stammten, den Dispens vom Abitur zu erteilen. Weitere flankierende Maßnahmen mußten ergriffen werden, um dem .zumeist auf dem Lande lebenden Adel einen Ausgleich anzubieten, sah sich dieser doch objektiv gegenüber dem städtischen Bürgertum. mit seinen vielfältigen Bildungsmöglichkeiten 9 benachteiligt. Die Reorganisation der Kadettenanstalten sollte ihren Absolventen einen Abschluß garantieren, der als Abitur anerkannt werden sollte. Die "zweckmäßige Erziehung und Bildung der Zöglinge "20 wurde durch eine grundlegende Reform der Lehrverhältnisse dieser Anstalten eine Anhebung des Niveaus der Abschlußklassen angestrebt. Die Gründung von zwei neuen Kadettenanstalten in Plön und Oranienstein neben dem Ausbau der Berliner Anstalt führte zu einer Erhöhung der Zahl der Kadetten um das Dreifache. Ein Beitrag für die Chancengleichheit des preußischen Landadels gegenüber dem Bürgertum. Die eigentliche Ausbildung der Offiziere fand auf militäreigenen Schulen statt, die bis Ende der fünfziger Jahre in Preußen regional organisiert waren, jeweils bei den Divisionen. Sie waren der Ort der militärisch-fachlichen Ausbildung des gesamten Offizierkorps, die wichtigste Ausbildungsinstitution für die beruflich notwendigen Kenntnisse überhaupt. Der Plan für die Umbildung dieser Schulen zu „Kriegsschulen", wie sie von da an hießen, trägt das Datum vom 03. August 1857. Das Konzept von einer konzentrierten, allgemeinen und kriegswissenschaftlichen Ausbildung aller Waffengattungen der Armee auf den drei danach errichteten und berühmten Kriegsschulen in Potsdam, Erfurt und Neiße verlangte, die allgemeine militärische Ausbildung der Offizieranwärter nach einheitlichen Kriterien für alle Offiziere der Infanterie, der Kavallerie sowie des Artillerie-, Ingenieur- oder Pionierkorps auszurichten. Es ging um die gemeinsame Sprache und die gleichen Kenntnisse in Taktik, Einsatz und Fähigkeiten. Die Kriegsschulen sollten das Fundament des Offizierberufes legen. Über ihnen befand sich die weiterführende Ebene der Ausbildung zum Generalstab. Trotz einer grundsätzlichen Billigung des Reformkonzeptes durch den Prinzregenten, als im Oktober 1859 der berühmte Name „Kriegs-Akademie" eingeführt wurde., konnte die inhaltliche und strukturelle Reform dieser Institution erst nach den militärischen Erfolgen der preußischen Truppen durchgeführt werden. Ihre Siege gegenüber den Staaten des Deutschen Bundes, einschließlich Österreichs, gestatteten im Jahre 1868" die Kriegsakademie „nach den leitenden Ideen" von Scharnhorst zu reformieren. Der bürgerlich-humanistische Bildungsbegriff von Peucker wird deutlich: „Die Kriegsakademie ist ein Stück preußischer Geschichte, sie ist der Grund- und Eckstein der höheren Bildung des preußisch en Offizier-Korps des 19. Jahrhunderts ... Es wurde ihr nicht die beschränkte Bestimmung einer Generalstabsschule, wie solche in anderen europäischen Heeren eingeführt ist, gegeben, sondern der weite Bereich einer Gesamtbildung für den gesamten Heeresdienst; es wurde ihr nicht bloß der Bereich, der Kriegswissenschaften, sondern auch derjenige einer höheren allgemeinen Bildung eröffnet."21 Das angestrebte Niveau der Ausbildung sollte die „Gesamtbildung des preußischen Offizierkorps" anregend beeinflussen und die Kriegsakademie damit der Fokus der höheren militärischen Bildung werden. Es handelte sich um ein ehrgeiziges Ziel, wenn neben der „Verbreitung positiver militärischer Kenntnisse" für die verschiedenartigsten Aufgaben des militärischen Planungsdienstes „im Krieg und Frieden" eine „allgemeine Anregung eines geistigen Strebens in dem Offizierkorps" zu geben versucht wurde. Die reformierte Kriegsakademie im Konzept des Jahres 1868 sollte: Einerseits nützliche, speziell für den militärischen Beruf verwertbare Wissenschaften 10 und andererseits allgemeinbildendes Wissen anbieten. „Eine in die Tiefe gehende gründliche Berufsausbildung" und „die Entwicklung einer höheren formalen Bildung" waren die Bestandteile einer Konzeption von Bildung durch Wissenschaftsorientierung und ihre Synthese in „Berufs-Bildung". Die Einführung bürgerlicher Bildungsprinzipien als Bedingung der militärischen Karriere bedeutete mehr als das abstrakte Eintreten für Bildungsideale. Die systematische Schulung stellte das über kommende Berufsbild des Adels vom Offizier de facto in Frage. Bildung implizierte die Chance zum sozialen Aufstieg de s Bürgertums und sie bedeutete für den Adel Konkurrenz um die Besetzung der höchsten Stellen im Militär. Eine neue, eine bildungsbürgerliche Elite trat zu der alten adeligen Elite. Es bildete sich die militärisch-politisch bedeutsame Machtelite Preußen-Deutschlands. Die Teilhabe des Bürgertums bewirkte Rationalität und Effektivität,22 die die professionelle Steigerung des militärischen Führungsberufes im Generalstab geradezu idealtypisch bestimmten. Peucker, der geadelte Bürger, hatte die Aufgabe übernommen gehabt, die zeitgemäßen Berufsauffassungen von Bildung, Technik und Wirtschaft in das Militär hineinzutragen und die Modernisierung des Militärs, staatlicherseits von oben gelenkt und genutzt, im Einklang mit den aristokratischen Interessen in Preußen durchzusetzen. Am Ende war es der preußische Adel, der mit Hilfe des bürgerlichen Leistungsdenkens seine, die staatlichen und auch die militärischen Eliten modernisiert hatte. 5. Bürgerliche Machtteilhabe im preußischen Staat Die Revolution von 1848 hat mittelfristig eine besondere Form der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen Militär und Bürgertum hergestellt. Das Trauma der Revolution verstärkte zunächst die althergebrachte Kluft zwischen Militär und Gesellschaft in dem Sinn, wie Moltke bereits im Jahr 1848 warnend geschrieben hatte: „Nicht von außen kommen unsere Feinde, wir haben sie im Innern - die Proletarier sind der Zauberbesen, den der Liberalismus heraufbeschworen und den er nicht mehr bahnen kann.“23 Während das Mißtrauen gegenüber dem parlamentarischen und demokratischen Liberalismus zu einer verstärkten sozialen und ideologischen Kontrolle und Selektion führte, zwang die Forderung nach Modernisierung des Militärs für die Herrschaftsstabilisierung und für den nationalen Kampf Zur Inkorporation jener Gruppen unter den Bürgerlichen, deren Status durch Besitz oder Bildung gekennzeichnet war. Doch ihr Eintritt ins Militär setzte die Assimilation in die bestehende Ordnung voraus - und das bedeutete, Aufgabe der und Verzicht auf die parlamentarischen und demokratischen Ideale des Liberalismus. Sozialer Aufstieg in die staatlichen Institutionen einerseits und nationale Begeisterung andererseits blieben die bestehenden und bezeichnenden Elemente des Liberalismus, die die Symbiose mit dem altpreußischen Konservatismus einging. Traditionelle militärische Organisationsformen und ideologische Muster setzten sich in der Konkurrenz zu bürgerrevolutionären Prinzipien durch.24 Das Eindringen bürgerlicher Elemente in das preußische Heer bewirkte eine weitere Etappe in der militärischen Professionalisierung und wurde zum Beispiel und Vorbild vieler europäischer Armeen. Die entwickelten Regeln der Organisation des strategischen und militärischen Potentials auf veränderter sozialer und industrielle Basis führten zu neuen Führungsformen und zu einer anderen Gestalt des Militärsystems, 11 für das auch kritische Zeitgenossen „eine vollständige Wandelung"25 attestierten. Dies ist ein objektiv feststellbarer Prozeß. Daneben stand die autokratisch monarchische Militärverfassung Preußens. Sie überstand die Wirren der sechziger Jahre gestärkt. Das Ende des Verfassungskonfliktes im Jahr 1866 - ein Zentralereignis der deutschen Geschichte der parlamentarischen Demokratie im 19. Jahrhundert - führte zur politischen Koalition zwischen der preußischen Monarchie und der bürgerlich-liberalen Opposition. Der monarchische Soldatenstaat hatte über den bürgerlichen Verfassungsstaat gesiegt.26 Im Jahr 1866 war entschieden: das Heer blieb der Kern des preußischen Staates. Es war nicht nur, wie so oft gesagt wurde, ein Staat im Staate; es war der Staat im Staate. Die Revolution von 1848 hatte bewirkt, daß das Bürgertum, den entscheidenden Einfluß des Adels im Militär. anerkennend, sich bereit fand, sein Fortschritts- und Modernitätspotential in die gegebenen Strukturen einzubringen. Das Ideal des territorialen Einheitsstaates und die Internalisierung der damit verbundenen Machtlogik waren in Preußen beispielhaft gelungen. Das Streben des Bürgertums, sein Aufstiegswille in die als attraktiv angesehenen staatlichen Organisationen, also auch das Militär, war ein wesentlicher Transmissionsriemen der sozialen und politischen Kanalisation einer bestimmten Machtteilhabe. Sozial- und strukturgeschichtlich wird im Offizierkorps die neue gesellschaftliche Oberschicht in Preußen deutlich, die als Träger der allgemeinen Bildung und des wirtschaftlich-mittelständisch genutzten Besitzes sich mit den aristokratischen Interessen vereinigte. Wesentlich dabei ist, daß zwischen Aristokratie und dies ein Teil des Bürgertums keine „regelrechte Schlacht" stattfindet, in deren Verlauf dann die Bürgerlichen die Macht im Staate von der traditionellen Elite übernommen und durch eine parlamentarische Demokratie mit allen ihren Konsequenzen für die Einbindung und Kontrolle des Militärs ersetzt hätten. Preußen, der damals entscheidende deutsche Staat, hat die bürgerlichen Interessen mit seiner aristokratischen Struktur in einer Form vereinbart, daß beide - und die übrige Gesellschaft - die Spannungen der eingetretenen, Veränderungen noch als eine akzeptable Form der Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen ansehen konnten. Bürgerliche Emanzipation und liberale Werte konnten sich trotz wesentlicher demokratischer Verluste verwirklichen - bei gleichzeitiger „Existenz bedeutender aristokratischer Enklaven innerhalb der staatlichen Struktur"27, eben auch im Militär. Das preußische Militär der fünf ziger und sechziger Jahre hatte seine eigene Signatur, die bei angemessener Bewertung durch den Historiker nicht pauschal deswegen als „rückständig" bezeichnet werden sollte, weil 40 oder 70 Jahre später dieses öder jenes Ereignis in der Geschichte eingetreten ist. Jene bürgerlichadelige Modernisierung in Preußen ist zweifelsohne nicht ohne die revolutionären Ereignisse von 1848 möglich gewesen. Die lang andauernde Attraktivität der in diesen Jahrzehnten entstandenen Reformen und Reorganisationen des Militärs spricht dafür, daß die damaligen gesellschaftlich wirksamen Kräfte alles in allem ihren zeitgemäßen Ausdruckgefunden hatten, Die Epoche nach d er revolutionären Krise von 1848 ist auch bei dem schwerwiegenden Verlust des demokratischen Liberalismus wohl doch „ein vollgültiger Versuch, aus den Kräften der liberalen Idee einen deutschen Staat aufzubauen."28 In dem hier aufbereiteten Bereich der Bildung und der Sozialstruktur des Militärs hat die Revolution bewirkt, das Offizierkorps aus seiner feudalen Basis loszulösen und mit der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung des Bürgertums zu ver- 12 söhnen und das „eigentliche Palladium der feudalen Epoche "29 nicht wieder erstarken zu lassen. Darin liegt ihre geschichtliche Bedeutung. Anmerkungen 1) Gordon A. Craig: Die preußisch-deutsche Armee 1640 bis 1945. Staat im Staate. Düsseldorf 2. Auflage 1980, S. 104 2) vgl. Ernst R. Huber: Heer und Staat in der deutschen Geschichte, Hamburg 1938, S. 192 und vgl. Reinhard Höhn: Verfassungskampf und Heereseid: Der Kampf des Bürgertums um das Heer, 1815 bis 1850. Leipzig 1938, S. 358 3) vgl. Craig: Armee, a.a.O., S. 145 4) Theodor von Bernhardi: Aus dem Leber Theodor von Bernhardis, Leipzig 1894, Band 2, S. 336 5) vgl. Emilio Willems: Der preußisch-deutsche Militarismus. Ein Kulturkomplex im sozialen Wandel. Köln 1984, S. 75 f 6) vgl. Heinrich August Winkler: Liberalismus und Antiliberalismus. Studien zur politischen Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Göttingen 1979, S. 29 7) Charles H. Pouthas: Die Komplexität von 1848. In- Die europäischen Revolutionen von 1848, hrsg. von Horst Stuke, Wilfried Forstmann. Königstein 1979, S. 17 ff.; vgl. Hans-D. Look, Hagen Schulze: Parlamentarismus und Demokratie im Europa des 19. Jahrhunderts. München 1982 8) vgl. Craig: Armee, a.a.O., S. 160 ff.; Karl-Heinz Börner: Die Krise der preußischen Monarchie von 1858 bis 18623 in: Preußen in der deutschen Geschichte nach 1789,hrsg. von Gustav Seeber, Karl-Heinz Noack. Berlin (DDR) 1983, S. 173 ff. 9) Craig: Armee, a.a.O., S. 162 10) vgl. Karl Demeter: Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat. 1650 bis 1945. Frankfurt 1962, S. 5 und 13 11) vgl. Reinhard Koselleck: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848. Stuttgart, 2. Auflage 1975, S. 434 ff. 12) Nikolaus von Preradovich: Die politisch-militärischen Führungsschichten in Österreich und Preußen während des 19. Jahrhunderts. In: Führungsschicht und Eliteproblem. Frankfurt, Berlin, Bonn 1957, S. 63 f 13) vgl. Demeter: Offizierkorps, a.a.O., S. 20 14) vgl. Felix Priebatsch: Geschichte des preußischen Offizierkorps. Breslau 1919, S. 54 13 15) vgl. Preradovich: Führungsschichten, a.a.O., S. 131, und Detlef Bald: Der deutsche Offizier, Sozial- und Bildungsgeschichte des deutschen Offizierkorps im 20. Jahrhundert. München 1982 16) vgl. Detlef Bald D er deutsche Generalstab 1859 bis 1939. Reform und Restauration in Ausbildung und Bildung. München 1977, S. 108 17) Die Entwicklung zur bürgerlich-adeligen Sozialstruktur 'in Preußen ist nicht typisch für Deutschland insgesamt; Bayern z.B. hatte eine ganz andere, bürgerlich bestimmte Sozialstruktur, vgl. Bald: Der deutsche Offizier, a.a.O., S. 62 ff. und 96 ff. 18) Emil Obermann: Vom preußischen zum deutschen Militarismus. Ein historisch-soziologischer Beitrag zur deutschen Staats- und Gesellschaftsentwicklung. Diss. Heidelberg 1950, Band 1, S. 128; vgl. auch Klaus Vondung: das wilhelmische Bildungsbürgertum. Zur Sozialgeschichte seiner Ideen. Göttingen 1976, S. 33 ff. 19) Eduard von Peucker: Beiträge zur Beleuchtung einiger Grundlagen für die künftige Wehrverfassung Deutschlands. Frankfurt 1848, S. 7 und 57 20) Schreiben des,Prinzregenten an Peucker vom April 1858, als Dokument abgedruckt bei Detlef Bald:,Bildung und Militär. Das Konzept des Reformers Eduard Peucker. München 1977, S. 30 21) Zitat aus der „Instruction" von Peucker für die Lehrer an der Kriegsakademie, abgedruckt in: Detlef Bald, Gerhild Bald-, Gerlich, Eduard Ambros (Hrsg.): Tradition und Reform im militärischen Bildungswesen. Von der preußischen Allgemeinen Kriegsschule zur Führungsakademie der Bundeswehr. Eine Dokumentation 1810 bis 1985. Baden-Baden 1985, Dokument Nr. 13 22) vgl. für die Folgen und Bedingungen der weiteren Entwicklung, des Generalstabsdenkens: Detlef Bald: Zum Kriegsbild der militärischen Führung. In: Jost Dülffer/Karl Holl (Hrsg.): Bereit zum Krieg. Göttingen 1986, S. 146 ff.; Stig Förster: Optionen der Kriegsführung im Zeitalter des 'Volkskriegs' - zu Helmuth von Molkes militärisch-politischen Überlegungen nach den Erfahrungen der Einigungskriege. In: Detlef Bald (Hrsg.): Militärische Verantwortung in Staat und Gesellschaft. Koblenz 1986, 83 ff. 23) Helmuth Graf von Moltke: Aufzeichnungen, Briefe, Schriften, Reden. Ebenhausen 1923, S. 178 24) vgl. Bernhard Moltmann: Militarismus: Ein Problem und seine Bezeichnung in: Militarismus und Rüstung, hrsg. von Bernhard Moltmann. Heidelberg 1981, S. 123 25) Friedrich Engels: Aufstieg und Marx-Engels-Werke, Band 17, S. 99 Niedergang von Armeen. In: 14 26) vgl. Eckehart Krippendorff: Staat und Krieg. die historische Logik politischer Unvernunft. Frankfurt 1985, S., 364 27) David Blackbourn, Geoff Eley: Mythen deutscher Geschichtsschreibung. Der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848. Frankfurt, Berlin 1980, S. 55 28) Rudolf Stadelmann: Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848. Darmstadt 1962, S. 187 29) ebenda, S. 196