Ausgabe 2 – 2013 Sicherheit „Safety first“ ist nicht nur eine Floskel. In der DFS dreht sich alles darum, das Fliegen noch sicherer zu machen. Editorial Liebe Leserinnen und Leser, Sicherheit hat oberste Priorität in der DFS. Sie ist nicht nur Teil unseres Namens, sondern auch im Bewusstsein unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die wichtigste Aufgabe unseres Unternehmens. Und wir können mit Fug und Recht behaupten, dass wir diese Aufgabe mit Bravour lösen. Ein Beispiel für das hohe Sicherheitsniveau in der DFS: Bereits seit 2009 haben unsere Fluglotsen nicht mehr dazu beigetragen, dass es zu einer gefährlichen Annäherung in der Luft gekommen ist – bezogen auf die beiden höchsten Kategorien („unmittelbare Gefährdung“ und „Sicherheit nicht mehr gewährleistet“). immer das oberste Ziel. Daher werden alle Aktivitäten, die wir im Bereich des Lärmschutzes mit hoher Priorität entfalten, niemals zu Lasten der Sicherheit gehen. Und auch bei der Errichtung von neuen Windkraftanlagen im Zuge der Energiewende darf die Sicherheit des Luftverkehrs nicht gefährdet ­werden. Und auch am Boden ist das Sicherheitsniveau erfreulich hoch: Im Jahr 2012 war die DFS in nur noch 2,5 Prozent aller Zwischenfälle, so genannter Runway Incursions, involviert. In der DFS gilt der Grundsatz: „Safety first“. Und die Maxime, dass es immer noch ein bisschen ­sicherer geht. Das wissen wir und daran arbeiten wir – Tag für Tag. Eine interessante Lektüre wünscht Ihnen Diese gute Leistung ist das Ergebnis eines ausgeklügelten Sicherheitsmanagements, dessen oberste Prämisse es ist, aus Fehlern zu lernen. Jeder noch so kleine Zwischenfall wird untersucht, um daraus Rückschlüsse auf Verbesserungsmöglichkeiten zu ziehen. Dank dieser systematischen Untersuchungen haben wir in der Vergangenheit wichtige Weichen gestellt – wie die Sicherheitsstatistik eindrucksvoll zeigt: mit großem Erfolg. Auf Basis der Erkenntnisse aus den Untersuchungen haben wir beispielsweise die Darstellung visueller Informationen verbessert. Denn wir haben erkannt: Die Art und Weise, wie Informationen für die Lotsen dargestellt werden, leistet einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit. Unser Ziel ist es also, die Technik an den Menschen anzupassen und nicht umgekehrt. Die Auswertung der Sicherheitskennzahlen zeigt: Die DFS hat vieles richtig gemacht. Auf den Lorbeeren ausruhen werden wir uns allerdings nicht. Nur nach innen alles Erforderliche für die Sicherheit zu tun reicht nicht. Auch nach außen machen wir uns mit Nachdruck für Sicherheit stark. Bei der Sicherheit machen wir keine Kompromisse. Sie ist 2 transmission 2 – 2013 Prof. Klaus-Dieter Scheurle Vorsitzender der ­DFS-Geschäftsführung Inhalt Sicherheit in der DFS 4 Alles dreht sich um die Sicherheit 6 Mit Sicherheit 10 Mehr als nur ein Job Alles dreht sich um die Sicherheit Luftfahrt S. 4 12 Die Hot Spots aufmerk­sam im Blick 14 52.000 Jahre in Sicherheit Faktor Mensch 16 Das Positive stärken 18 Damit Vorfälle kein Trauma werden 19 Benutzerfreundlich ist sicherer Safety 20 Training für den Notfall 23 Aus Fehlern l­ernen mit Just Culture Training für den Notfall S. 20 24 Sicherheit hat Methode 26 Woher der Wind weht 28 Zahlen für mehr S ­ icherheit Security 30 Keine Chance für Risiken Partner & Kunden 32 Über die ­Grenzen DFS intern Woher der Wind weht S. 26 34DFS-Nachrichten transmission 2 – 2013 3 Sicherheit in der DFS Alles dreht sich um die Sicherheit Sicherheit in der Luftfahrt ist nicht selbstverständlich. Die DFS tut jeden Tag aufs Neue alles dafür, das sehr hohe Sicherheitsniveau zu halten. 4 transmission 2 – 2013 A ls am 11. Mai 2009 das Spaceshuttle Atlantis abhebt, um für dringende Reparaturund Wartungsarbeiten zum Weltraumteleskop Hubble zu fliegen, ist das ein gewagtes Abenteuer. Die Risikoanalyse der NASA hat ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit eines Totalverlusts der Weltraumfähre bei 1 zu 185 liegt. Weil die US-Raumfahrtbehörde ein höheres Risiko als 1 zu 200 verbietet, kann Atlantis mir ihrer siebenköpfigen Crew nur mit einer Sondergenehmigung des US-Kongresses starten. Die Politiker nehmen das hohe Risiko in Kauf, weil es eine Mission im Dienste der Wissenschaften ist. Astrophysiker, darunter auch Atlantis-Crewmitglied John Grunsfeld, hatten jahrelang darauf gedrängt, Hubble endlich zu reparieren. Würde die Zivilluftfahrt Risiken wie die NASA mit ihrem SpaceshuttleProgramm in Kauf nehmen, gäbe es wöchentlich schwere Unfälle. Tatsächlich liegt das Unfallrisiko von Verkehrsflugzeugen in der westlichen Welt bei eins zu zehn Millionen – und zwar in der Summe aller Risiken. Um das hohe Sicherheitsniveau zu halten, müssen die voneinander unabhängigen Einzelrisiken, beispielsweise Kollisionen am Boden oder in der Luft oder die Vereisung von Tragflächen und ein damit verbundener Strömungsabriss, deutlich unter eins zu zehn Millionen liegen. Absolute Sicherheit gibt es nicht, weder in der Luftfahrt noch in anderen Bereichen des Lebens. Beim Thema Sicherheit geht es also immer um Wahrscheinlichkeiten, um Statistik. Selbst bei einem Risiko von eins zu zehn Millionen ist ein Unfall nicht auszuschließen, aber er ist eben auch nicht sehr wahrscheinlich. Doch da die Verkehrszahlen weiter steigen, steht die Luftfahrtbranche vor der besonderen Herausforderung, die Sicherheit sogar noch weiter zu erhöhen: Nur so werden schwere Unfälle seltene Ereignisse bleiben. Erreicht wird dieses sehr hohe Sicherheitsniveau dadurch, dass alle Risiken analysiert und bewertet werden und sich alle Beteiligten an Normen und Regeln halten – und zwar immer, ohne Ausnahme. Denn jede noch so geringe Abweichung von einer vermeintlich übertrieben vorsichtigen Regel kann das Risiko deutlich erhöhen. Plötzlich liegt es dann nicht mehr bei eins zu zehn Millionen, sondern bei vielleicht eins zu 100.000 – und ist damit nicht mehr akzeptabel. Die Flugsicherung und allen voran die Fluglotsen spielen für die Sicherheit in der Luftfahrt eine entscheidende Rolle. Die Air Traffic Controller sind dafür verantwortlich, dass sich die Flugzeuge in der Luft sowie auf den Rollwegen und den Pisten der Flughäfen nicht zu nahe kommen. Die Fluglotsen sind aber auch wichtige Partner der Flugzeugführer in besonderen Situationen, etwa wenn nach Ausweichflugplätzen gesucht wird oder wenn Gewitter umflogen werden. Wie weit Flugzeuge voneinander Abstand halten müssen, ist genau geregelt, je nachdem in welcher Flugphase sie sich befinden und welche Bedingungen herrschen. Im Endanflug auf den Flughafen Frankfurt beispielsweise beträgt die horizontale Staffelung bei guter Sicht zweieinhalb nautische Meilen. Im Reiseflug liegt die vertikale Staffelung bei mindestens 1.000 Fuß, die horizontale Staffelung in der Regel bei fünf nautischen ­Meilen. Das Einhalten der korrekten Staffelung in der Luft sowie die Vermeidung von Annäherungen oder gar Kollisionen am Boden, so genannten Runway Incursions, ist die Messlatte für Sicherheit in der Flugsicherung. Wird der vorgeschriebene Mindestabstand nicht eingehalten, spricht man von einer Staffelungsunterschreitung. Jede einzelne Staffelungsunterschreitung und jede Runway Incursion analysiert und bewertet das Sicherheitsmanagement der DFS – unabhängig davon, ob die Sicherheit tatsächlich gefährdet war oder nicht. Neben der internen Messgröße Staffelungsunterschreitung spielen so genannte Luftfahrzeugannäherungen für die Bewertung der Sicherheit eine wichtige Rolle. Melden Piloten oder Fluglotsen einen sicherheitsrelevanten Vorfall, tritt die Aircraft Proximity Evaluation Group (APEG) in Aktion: Eine unabhängige Expertengruppe, die dem Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung untersteht. Sie untersucht und bewertet diese Luftfahrzeugannäherungen. Das Erfreuliche für die DFS: Die Zahl der gefährlichen Annäherungen in der Luft sowie die der signifikanten Staffelungsunterschreitungen sind seit einigen Jahren konstant niedrig. Auch Runway Incursions kommen relativ selten vor. Ausruhen auf diesen Erfolgen wird sich die DFS nicht. Ein Risiko von eins zu zehn Millionen – damit lässt es sich in der Luftfahrt zwar zurzeit gut leben. Doch Ziel ist es, Unfälle künftig noch unwahrscheinlicher zu machen. Ein statistisches Risiko wie es die NASA in Kauf nimmt ist jedenfalls undenkbar. Doch auch in der Raumfahrt gehen die meisten Flüge gut aus: Die Raumfähre Atlantis und ihre Crew kehrte am 24. Mai 2009 wohlbehalten auf die Erde zurück. Sandra Ciupka transmission 2 – 2013 5 Sicherheit in der DFS Mit Sicherheit Der deutsche Luftraum ist sicher. Piloten und Fluglotsen sind gut ausgebildet, technische Systeme immer mehrfach abgesichert, die Flugverfahren gründlich geprüft. Doch Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Deshalb tut die DFS alles dafür, das hohe Sicherheitsniveau zu erhalten. Dazu genügt es nicht, einzelne Vorfälle zu analysieren: Das Unternehmenssicherheitsmanagement muss das gesamte System betrachten und verstehen. 6 transmission 2 – 2013 D er 14. September 1993 ist kein guter Tag für die Luftfahrt. Ein Airbus A320 aus Frankfurt befindet sich im Landeanflug auf den Flughafen Warschau. Trotz starken Rückenwinds und Regen verläuft zunächst alles planmäßig – bis die beiden Piloten das Flugzeug auf der 2.800 Meter langen Piste aufsetzen und bemerken, dass sie nicht bremsen können: Die Radbremsen greifen auf der nassen Landebahn nicht, Störklappen und Schubumkehr lassen sich nicht aktivieren. Mit mehr als 100 Stundenkilometern schlittert das Flugzeug in einen Erdwall am Ende der Piste und fängt Feuer. Der Flugkapitän und ein Passagier sterben, die übrigen 68 Menschen an Bord werden zum Teil schwer verletzt. Unfälle in der Luftfahrt sind eine absolute Seltenheit. Kommt es aber doch einmal zu einem Flugzeugunfall, sind die Folgen umso schwerwiegender. Deshalb tun Airlines, Flugzeughersteller, Flughafenbetreiber und Flugsicherungsorganisationen alles dafür, das zu verhindern. „Unsere Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass unser Service sicher ist“, sagt Hans-Jürgen Morscheck, der in der DFS den Bereich Unternehmenssicherheitsmanagement leitet. Die Abteilung wurde 1997 gegründet, um alle Sicherheitsaktivitäten in der DFS zu bündeln; 1998 wurde das Thema Security integriert. Die Safety-Zahlen der DFS sprechen für sich: Trotz steigenden Verkehrs konnte die Sicherheit immer weiter verbessert werden. Das zeigt allein ein Blick auf die Entwicklung der Luftfahrzeugannäherungen im deutschen Luftraum – das sind Vorfälle, die von Piloten oder Fluglotsen als sicherheitsrelevant gemeldet und von einer unabhängigen Expertengruppe untersucht sowie klassifiziert werden. 1975 lag die Zahl der Luftfahrzeugannäherun- gen in den beiden höchsten Kategorien noch bei 210. Zehn Jahre später waren es 48, 1995 wurden schließlich nur noch 23 Vorfälle gezählt. Seit 2003 bewegt sich die Zahl der Luftfahrzeugannäherungen im einstelligen Bereich – dabei hat sich der Flugverkehr in den vergangenen drei Jahrzehnten vervierfacht. Eine gute Statistik ist aber nicht alles. „Erfolg in der Vergangenheit ist keine Garantie für Sicherheit in der Zukunft“, sagt Heino Küster, zuständig für den Bereich „Sicherheitsgrundsätze & Ereignismanagement“. „Läuft zu lange alles gut, besteht die Gefahr, zu glauben, alle Sicherheitslücken seien geschlossen.“ Doch das ist ein Irrtum. Auch wenn man noch so viele Schutzmechanismen einrichtet, sind sicherheitsrelevante Ereignisse niemals ganz auszuschließen. Das Gesamtsystem Luftfahrt ist sehr komplex und besteht aus vielen miteinander verbundenen Untersystemen. So kommunizieren Fluglotsen mit Piloten, beide Seiten nutzen technische Systeme und arbeiten in Organisationen mit einer eigenen Sicherheitskultur. Obwohl die Anfälligkeit für ungewollte Ereignisse hoch ist, ist das System insgesamt sehr sicher: Die Widerstandsfähigkeit des Gesamtsystems verhindert in fast allen Fällen, dass es zu einer Verkettung von Fehlern kommen kann. Dazu trägt auch die Redundanz des Systems bei; alle wichtigen Funktionen sind immer mindestens doppelt abgesichert. Ein Ausfall von Sprechfunk oder Radar, eines Cockpit-Instruments oder sogar eines Triebwerks hat in der Regel keine sicherheitsrelevanten Folgen. Die Bruchlandung von Warschau ist ein gutes Beispiel für so eine Fehlerkette. Die Untersuchungskommission listet mehrere Faktoren auf, die zu dem Unfall beigetragen haben. Erstens das Wetter: Bei der Landung herrschte Regen und starker Rückenwind, zusätzlich kamen von der Seite heftige Windböen. Zweitens die Flugsicherung: Die Wetterdaten im Tower waren mangelhaft, die Lotsen informierten die Piloten nur unzureichend. Drittens die Piloten: Sie bemerkten nicht, dass der Rückenwind die zulässige Grenze überschritten hatte, und setzten weit hinten auf der Piste auf, obwohl ein Durchstarten noch möglich gewesen wäre. Viertens das Flugzeug: Bei dem von den Piloten gewählten Verfahren ließ sich der A320 erst bremsen, nachdem er Bodenkontakt hatte. Dazu mussten sich die Räder des Hauptfahrwerkes mit einer bestimmten Geschwindigkeit drehen und zudem auf dem Fahrwerk ein gleichmäßig hoher Druck lasten. Beides war zunächst nicht der Fall: Erst setzte das Flugzeug schräg auf, dann kam es auf der nassen Piste zu Aquaplaning. Da die Räder sich nicht schnell genug drehten, ging der Bordcomputer davon aus, dass sich das Flugzeug noch in der Luft befand. Als die Systeme endlich eine Vollbremsung zuließen, war es zu spät: Der Airbus schoss über die Bahn hinaus. Kein guter Tag für die Luftfahrt – aber stimmt das auch? Der 14. September 1993 mit zwei Toten und vielen Verletzen hat, so widersprüchlich das klingen mag, möglicherweise einer viel größeren Zahl von Menschen das Leben gerettet. Denn aus dem Vorfall wurden Konsequenzen gezogen. Unter anderem wurde die Software der Airbus-A320-Familie überarbeitet: Der Aufsetzdruck des Fahrwerks wurde gesenkt, Störklappen und Schubumkehr sind nicht mehr an die Drehung der Räder gekoppelt. Ein Unfall wie in Warschau kann sich deshalb so nicht mehr ereignen. Das ist einer der Hauptgründe dafür, dass transmission 2 – 2013 7 Sicherheit in der DFS Fliegen so sicher ist: Weil man aus Fehlern lernt und so verhindert, dass sich diese Fehler wiederholen. Zum hohen Sicherheitsniveau tragen zwei weitere Faktoren bei. Zum einen externe Vorgaben für alle Beteiligten. Allein für die DFS gibt es unzählige internationale wie nationale Anforderungen, die sie intern umsetzen muss. So ist die DFS beispielsweise seit 2002 dazu verpflichtet, den Reifegrad ihres Safety-Management-Systems zu messen und vom Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung prüfen zu lassen. „Mit einem Reifegrad von nahezu 90 Prozent stehen wir in Europa und weltweit im Spitzenfeld der Flugsicherungen gut da“, sagt Küster. „In Zusammenarbeit mit unseren Partnern und der nationalen Aufsichtsbehörde überlegen wir außerdem, wie man die bestehenden Regularien verbessern kann.“ Und hier kommt der zweite, wichtigere Faktor ins Spiel: Wirkliche Sicherheit gibt es nur dann, wenn man sie aus eigenem Antrieb erreichen will. „Viele glauben, Safety sei die Abwesenheit eines Ereignisses“, sagt Markus Fiekert, der für den Bereich „Safety & Security Assurance“ verantwortlich ist. Dann könnte sich die DFS auf ihren guten Safety-Zahlen nun ausruhen – doch so einfach ist es leider nicht. „Sicherheit ist eine Fähigkeit, die man täglich trainieren muss.“ Ein entscheidender Baustein des Safety-Trainingsprogramms ist das Meldewesen der DFS: Die operativen Mitarbeiter sind aufgefordert, alle möglicherweise sicherheitsrelevanten Ereignisse umgehend zu melden. Zum Beispiel, wenn ein Fluglotse zwei Flugzeuge unter seiner Kontrolle nicht ausreichend staffelt und der vorgeschriebene Mindestabstand unterschritten wird. Oder wenn sich am Flughafen in einem Bereich, den der Lotse für die Landung eines Luftfahrzeugs freigege- 8 transmission 2 – 2013 ben hat, ein Fahrzeug oder eine Person befindet. „Diese Meldungen sind unendlich wichtig“, sagt Morscheck – auch dann, wenn der Lotse alles unter Kontrolle hatte und nie ein Sicherheitsrisiko bestand. Denn nur so lassen sich Schwachstellen schon im Ansatz erkennen und Fehler verhindern, bevor sie ernsthafte Folgen haben können. 205 Unterschreitungen der Sicherheitsabstände haben die Lotsen der DFS 2012 gemeldet, 146 davon mit auslösendem oder beitragendem Faktor der Flugsicherung. Jedes einzelne Ereignis wird von einem örtlichen Vorfalluntersucher dokumentiert sowie später vom Sicherheitsmanagement der DFS übergreifend analysiert. Dabei werden die Vorfälle mit Flugsicherungsbeitrag unter anderem hinsichtlich ihrer Bedeutung klassifiziert. Die Mehrzahl fällt in die Kategorie „nicht signifikant“: Die Abweichung ist nur gering, die Flugsicherung hat den Konflikt frühzeitig erkannt und zu seiner Lösung beigetragen. Als „signifikant“ wurden 2012 nur 30 Fälle eingestuft, als „sehr signifikant“ kein einziger Fall. Hinzu kommen 78 Fälle, in denen am Flughafen ein für Start und Landung freigegebener Schutzbereich verletzt wurde. Auch hier ist der Anteil der DFS gering: Nur bei 2,5 Prozent der Fälle war die Flugsicherung der auslösende Faktor. Bei der Analyse von Staffelungsunterschreitungen und Runway Incursions geht es nicht in erster Linie darum, wer zu dem Vorfall beigetragen hat. Ziel ist es, zu erkennen, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Warum hat der Lotse das Flugzeug auf seinem Monitor so spät gesehen? Wieso hat der Pilot die Anweisungen des Lotsen nicht befolgt? Statt aufzulisten, wer was hätte anders machen müssen, wird das Geschehen aus der Perspektive der Beteiligten betrach- tet. Nur so lässt sich verstehen, warum das, was man im Nachhinein als Fehler bezeichnet, aus ihrer Perspektive in dem Moment vollkommen richtig war. Am Ende jeder Untersuchung stehen konkrete Safety-Empfehlungen, die in einer Datenbank gespeichert werden. „Wir verfolgen dann, dass diese Maßnahmen auch umgesetzt werden“, sagt Morscheck. Ausgewählte Ereignisse finden zusätzlich den Weg in DFS-interne Publikationen und Trainingsmaßnahmen. „Damit wollen wir die Mitarbeiter für das Thema Safety sensibilisieren und das, was man aus einem Ereignis lernen kann, an möglichst viele Mitarbeiter weitergeben.“ Auch sonst begegnet das Thema Sicherheit DFS-Mitarbeitern auf allen Ebenen immer wieder. Es gehört zum Einführungskurs für DFSEinsteiger ebenso dazu wie zur Lotsenausbildung, zur Schulung von Projektleitern und Ausbildern sowie zur Qualifikation von Führungskräften. „Voraussetzung für ein funktionierendes Meldewesen ist eine Unternehmenskultur, die mit Fehlern offen umgeht“, sagt Morscheck. Innerhalb der DFS gilt deshalb ein Ansatz, der sich „Just Culture“ nennt: Kein Mitarbeiter muss negative Folgen fürchten, wenn er etwa eine Staffelungsunterschreitung meldet. Das heißt aber nicht, dass Lotsen oder Techniker nicht bestraft werden können: Handeln sie mit Vorsatz oder grob fahrlässig, müssen sie mit Konsequenzen rechnen – nicht nur durch die Justiz, sondern auch im Unternehmen. „Problematisch“ für das Sicherheitsmanagement der DFS ist allerdings, dass das Unternehmen ein so hohes Sicherheitsniveau erreicht hat. „Nur 0,001 Prozent der Flüge sind auffällig“, sagt Fiekert. „Das sind eigent- lich zu wenige Ereignisse, um daraus ausreichend Rückschlüsse ziehen zu können.“ Deshalb konzentriert man sich nun verstärkt auf die Suche nach ersten schwachen Anzeichen, sogenannten „Weak Signals“. „Wir müssen verstärkt dazu übergehen, auch die Dinge zu untersuchen, die funktionieren“, erläutert Jörg Leonhardt, der im Unternehmenssicherheitsmanagement für den Bereich „Human Factors & Safety Promotion“ zuständig ist, den neuen Ansatz. Das bedeutet: vorausschauend analysieren und überlegen, was passieren könnte – selbst wenn noch längst nichts passiert ist. Die Suche nach Fehlerursachen endete früher meist an einem Punkt: beim Menschen. Man ging davon aus, dass technische Systeme per se sicher sind. Waren sie es nicht, musste es sich entweder um technisches oder – weitaus häufiger – um menschliches Versagen handeln. Diese Sichtweise ist mittlerweile überholt. „Man kann Menschen nicht so verbessern, dass sie keine Fehler mehr machen“, sagt Leonhardt. Viel effektiver ist es dagegen, ihre Umgebung so anzupassen, dass die Zahl der Fehler reduziert wird, und ihr Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass etwaige Fehler keine schwerwiegenden Auswirkungen haben können. In diesem Zusammenhang spielt die Ergonomie des Arbeitsplatzes eine große Rolle. Wie viele Informationen kann ein Lotse überblicken? Wie müssen die Systeme angeordnet sein, damit er sie optimal bedienen kann? Wie muss die Eingabemaske gestaltet sein? Wertvolle Erkenntnisse hat die von der europäischen Flugsicherungsbehörde Eurocontrol entwickelte Untersuchung „Human Error in Air Traffic Management“, kurz HERA, gebracht. „Aus HERA wissen wir, dass viele Fehler mit dem visuellen Informa- tionskanal verbunden sind“, sagt Leonhardt. Damit der Anwender nicht mit Informationen überladen wird, begleitet das Unternehmenssicherheitsmanagement die ergonomische Gestaltung aller neuen Systeme. Gemeinsam mit Arbeitswissenschaftlern wird dafür gesorgt, dass die Fluglotsen sicher und effizient arbeiten können. Bei neuen Verfahren und Systemen geht es aber nicht nur um die Ergonomie. Gleichgültig, ob es um die Einführung eines neuen Flugsicherungssystems, um eine neue Flugroute oder um die Frage geht, welche Systeme bei einem Ausfall der Funkkommunikation zur Verfügung stehen sollen: Bei jeder Neuerung, aber auch bei jeder Änderung wird gründlich untersucht, welche Auswirkungen das für die Sicherheit hat – es wird eine so genannte Sicherheitsbewertung vorgenommen. „Ziel ist es, mögliche Risiken zu identifizieren, die Eintrittswahrscheinlichkeit und das Ausmaß der Bedrohungen zu berechnen und zu überlegen, durch welche Maßnahmen das Risiko reduziert werden kann“, sagt Dr. Franz Kern, der für den Bereich „Sicherheitsbewertungen“ verantwortlich ist. Die Entscheidung, welche Schlüsse aus der Sicherheitsbewertung gezogen werden, liegt nicht beim Unternehmenssicherheitsmanagement. „Die Abwägung zwischen Kosten, Nutzen und Risiken ist den Verantwortlichen im Management vorbehalten – und bei diesen Entscheidungen steht Sicherheit immer im Vordergrund“, sagt Dr. Kern. Für ein weiteres Plus an Sicherheit sorgen regelmäßige SafetyAudits, die die DFS in Kooperation mit den Flugsicherungsorganisationen Frankreichs und der Schweiz durchführt. Ziel ist es, jeden DFS-Standort mindestens einmal in drei Jahren unter die Lupe zu nehmen. Dabei geht es unter anderem darum, mit Hilfe des Blicks von außen Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit abzuleiten. „Flugsicherung lebt von der Sicherheit“, sagt Morscheck. „Deshalb müssen wir alles tun, um unser System immer weiter zu verbessern.“ Christopher Belz Safety Risk Assessement Process What if? Safety Policy How do we do safety business? Input Safety Performance Management What? ATC Result Safety Occurrences Management Why? transmission 2 – 2013 9 Sicherheit in der DFS Mehr als nur ein Job An den Niederlassungen der DFS kümmern sich regionale Safety-Manager um das Thema Sicherheit. Es sind Kollegen, die selbst Fluglotsen sind oder waren. transmission hat bei sechs von ihnen nachgefragt, welche Bedeutung Sicherheit für sie persönlich hat. Und so unterschiedlich die Antworten auch sind: Für die Safety-Manager der DFS ist ihre Aufgabe mehr als nur ein Job – sie ist eine Herzensangelegenheit. Christiane Heuerding, Thomas Jäkel, Sebastian Däunert, Safety-Managerin Center ­Safety-Manager Safety-Manager Bremen: Center ­Karlsruhe: Tower Frankfurt: „Sicherheit bedeutet für mich nicht nur die Abwesenheit signifikanter Vorfälle. Sicherheit ist vielmehr das, was durch die Mitarbeiter tagtäglich geschaffen wird. Unsere Aufgabe im Safety-Management ist es, das Positive in unserem dynamischen Umfeld zu unterstützen und zu fördern. Dazu gehören für mich vor allem eine offene Sicherheits- und Meldekultur, für die ich mich einsetze. Mit der Einbeziehung aktueller Erkenntnisse aus dem Human-Factors-Bereich haben wir noch spannende Jahre vor uns, um das Safety-Management der DFS weiter zu stärken. Auf einem hohen Sicherheitsstandard darf man sich nicht ausruhen.“ „Safety bedeutet für mich ganz simpel, dass jedes Luftfahrzeug unseren Luftraum sicher durchfliegen kann. Dabei muss Sicherheit immer aktiv gestaltet werden. Untersuchung von Vorfällen, um daraus zu lernen, ist die eine Sache. Darüber hinaus denke ich, dass ein aktives Safety-Management nicht wartet, bis etwas passiert, sondern offen ist für Trends und Signale und diese in Verbindung mit Sicherheit bringt, um entsprechend früh agieren zu können.“ „Safety bedeutet für mich, dass sie von allen gemeinsam gelebt wird.“ 10 transmission 2 – 2013 Holger Schräpel, ­Safety-Manager Tower Leipzig, Dresden, Saarbrücken und Erfurt: „Safety betrachten wir im Tower-Cluster Leipzig, Dresden, Saarbrücken und Erfurt nicht als ein starres Netz von Regeln und Vorschriften. Im Austausch mit den Kollegen an den Towern vor Ort ist es für uns von großer Wichtigkeit, das Safety-Netz fortwährend auf eventuelle Abweichungen zu überprüfen und wenn notwendig schon frühzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um diese zu beseitigen. Im Ergebnis der Untersuchung von Vorfällen führen wir clusterweit „Lessons Learnt“-Briefings durch, um alle Kollegen im Cluster zu sensibilisieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, aus den Vorkommnissen zu lernen. Denn gerade auf Basis praktischer Beispiele aus dem direkten Arbeitsumfeld können wir das Thema Safety für unsere Kollegen greifbar machen.“ Marc Kroener, ­Safety-Manager Center München: werden. Safety geht uns alle an, es ist unser oberstes Unternehmensziel, da darf es keine Kompromisse geben.“ Lothar Meissner, ­Safety-Manager Center Langen: Fluglotsinnen und Fluglotsen ermöglichen, ihre hochkonzentrierte Arbeit störungsfrei zu erledigen. Das Augenmerk liegt auf der Identifizierung von Risiken aus dem laufenden Betrieb. Wir müssen möglichst frühzeitig erkennen, wenn das Sicherheitsnetz Schwächen aufweist („Drift into Failure“) und dann Maßnahmen entwickeln und kommunizieren, die dem entgegenwirken. Eine hohe Bedeutung hat für mich dabei eine Unabhängigkeit des SafetyManagements und die wirkliche Priorität und hohe Wertschätzung des ­Themas.“ „Safety bedeutet für mich, das Thema als Gesamtaufgabe anzusehen. Menschlicher Irrtum entsteht immer im Kontext von komplexen Situationen und ist daher nicht als Ursache, sondern als Symptom zu verstehen. Wir sollten mögliche Gefahren aktiv erkennen und frühzeitig vorbeugen. Für mich wesentlich ist ein offener und vertrauensvoller Umgang mit allen Themen, um aus Arbeitsfehlern lernen zu können, ohne bestraft zu „Sicherheit bedeutet für mich, unfallfreies Fliegen kontrolliert zu ermöglichen. Die DFS sollte keinen Beitrag zu einer Risikoerhöhung insgesamt entrichten. Safety-Management bedeutet für mich die aktive Beratung zur positiven Gestaltung aller Arbeitsund Rahmenbedingungen, die es den transmission 2 – 2013 11 Luftfahrt Die Hot Spots aufmerk­sam im Blick Vorbeugend agieren und aus Fehlern lernen: DFS-Spezialisten untersuchen und analysieren jeden Vorfall im Luftverkehr und an den Flughäfen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse helfen, mögliche Risiken bereits präventiv zu minimieren. A uf der Ferieninsel Gran Canaria glaubte man an einen Ausbruch des Vulkans Pico del Teide auf dem 70 Kilometer entfernten Teneriffa: Über der Nachbarinsel stand am 27. März 1977 eine kilometerhohe Qualmsäule. Die Ursache war jedoch kein Vulkan, sondern lag auf dem Flughafen Los Rodeos, wo an jenem Tag eine Boeing 747-200 der niederländischen KLM beim Startlauf in eine Boeing 747-100 der amerikanischen Fluggesellschaft PanAm gerast war. 538 Menschen starben bei dem bis heute schwersten Unglück der zivilen Luftfahrt. Es war eine Verkettung verschiedener Missverständnisse, die zur Katastrophe führte, eine eindeutige Ursache ließ sich im Nach­hinein nicht feststellen. Keinen Zweifel aber gab es daran, dass eine missverständliche Phraseologie wesentlichen Anteil am Unfallhergang hatte: Sowohl die Piloten im KLM-Cockpit als auch der spanische Towerlotse hatten im Funkverkehr Formulierungen verwendet, die Raum für Fehlinterpretationen ­ließen. Besonders in die Kritik geriet hinterher der Satz „and we‘re now at take-off“ des niederländischen Co-­ Piloten, mit dem dieser die Streckenfreigabe des Towers quittiert hatte. Der Towerlotse, der wegen Nebels 12 transmission 2 – 2013 nichts von dem Geschehen auf der Bahn sehen konnte, verstand dies als Meldung, dass die KLM-Boeing ihre Position am Startbahnkopf erreicht hatte. Der Pilot, der die Streckenfreigabe irrtümlich als Startfreigabe interpretiert hatte, meinte allerdings: Wir beginnen jetzt mit dem Start. „Vor dem Teneriffa-Unglück gab es mehrere Sprachgruppen, in denen der Begriff ,take-off‘ verwendet werden konnte, zum Beispiel ,ready for take-off‘“, sagt Martin Rulffs. „Das gibt es heute definitiv nicht mehr. Nach ­Teneriffa wurden alle Sprechgruppen von dem Begriff ,take-off‘ gesäubert – mit Ausnahme der tatsächliche Startfreigabe.“ Rulffs ist Fluglotse auf dem Tower in Frankfurt und arbeitet daneben im Operativen Sicherheitsmanagement des Geschäftsbereichs Tower, wo er Sprecher des Runway Safety Committees der DFS ist. Dessen Spezialisten beobachten und analysieren alle Entwicklungen, Trends und Vorfälle auf dem Gebiet Runway-Safety, zugleich koordinieren sie die Arbeit der lokalen Runway-Safety-Teams an den 16 DFS-Flughäfen. Ziel ist es, ein permanent hohes Safety-Niveau zu gewährleisten, mögliche Sicherheitsrisiken bereits präventiv zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen, um die Safety-Strukturen stetig zu optimieren. Das gilt nicht nur für die Flug­ sicherungsseite und nicht allein für die Runway-Sicherheit. So wurde nach dem Unglück von Teneriffa neben der Einführung klar definierter und standardisierter Sprechgruppen im Funkverkehr auch eine deutlichere Trennung zwischen Streckenfreigabe (En-Route-Clearance) und Startfrei­ gabe (Take-off-Clearance) festge- Sie vertreten das DFS-Runway-Safety-Committee intern und extern: Martin Rulffs (rechts) und sein Stellvertreter Torsten Przybyla. Foto: Sascha Rheker schrieben. Die niederländische Flugverkehrsgesellschaft KLM änderte nach Teneriffa ihre Dienstzeitvorschriften, um den Stress durch Zeitdruck zu reduzieren, zudem wurde die Hierarchie im Cockpit gelockert und eine einvernehmliche Entscheidungsfindung der Cockpit-Crew etabliert, die heute bei allen großen Airlines zum Trainingsstandard gehört. Zu Änderungen führen aber nicht nur Unglücksfälle. Die Safety-Spezialisten des GB Tower analysieren jedes Ereignis auf einem Airport, auch wenn es ohne Folgen geblieben und niemand zu Schaden gekommen ist. Dadurch gewinnen sie wichtige Erkenntnisse für die Verbesserung der SafetyStrukturen. Die lokalen Safety-Teams an den 16 DFS-Flughäfen, bestehend aus jeweils einem Vertreter der DFS, des Flughafenbetreibers, der örtlich ansässigen Fluggesellschaften sowie von Flugschulen oder der Luftfahrt­ behörden erfassen deshalb jede Runway Incursion mit dem Runway Incursion Monitoring Program (RIMP) und melden diese weiter. Martin Rulffs und seine Kollegen können dann durch eine gründliche Auswertung jedes Vorfalls flughafenspezifische oder auch flughafenübergreifende Safety-Schwachstellen identifizieren und entsprechende Maßnahmen einleiten. Ein Beispiel für präventives Handeln sind die so genannten Hot-Spot-Maps. „Hot Spots sind Stellen an Flughäfen, welche die Entstehung von Runway Incursions oder anderen sicherheitsrelevanten Ereignissen begünstigen“, erklärt Rulffs. „Fällt den Local Runway Safetyteams oder uns bei den Analysen auf, dass es in bestimmten Bereichen des Airports wiederholt oder gehäuft zu Vorfällen oder Missverständnissen kommt, dann kennzeichnen wir diese Stellen grafisch als Hot Spots in der ICAO Aerodrome Chart und der B747 die Startfreigabe erteilt. Der Fahrer des Follow Me konnte sein Sprechfunkgerät nicht auf die Frequenz des Towers schalten und hatte deshalb die Startfreigabe für das Flugzeug nicht mitbekommen. Nicht nur die Follow-Me-, sondern alle F­ahr­zeuge, die auf der Runway verkehren, müssen Sprechfunk an Bord haben und die Flugfunk-Frequenz des Towers nutzen. des betreffenden Airports.“ Die HotSpot-Maps veröffentlicht die DFS im Luftfahrthandbuch AIP (Aeronautical Information Publication), das alle vier Wochen aktualisiert wird, sowie in allen Luftfahrtkarten. Auch das aktuelle Projekt des Tower-Sicherheitsmanagements zeigt, wie die Analyse eines Vorfalls Impulse für Neuerungen geliefert hat: Gegenwärtig werden alle DFS-Fahrzeuge, die auf der Start und Landebahn verkehren, mit dem VHF-Flugfunk eingerüstet. „Die DFS hat zirka 16 Fahrzeuge in ihrem Bestand, die für das Vermessen der ILS-Anlagen an den Flughäfen zuständig sind und dazu auch auf der Runway fahren müssen“, sagt ­Martin Rulffs. „Die Fahrer sollen künftig auf der Towerfrequenz funken.“ Auslöser dafür war ein Unfall am Flughafen Frankfurt/Main, der schon viele Jahre zurückliegt. Dabei war eine startende Boeing B747 mit einem auf der Bahn befindlichen Follow-Me-Fahrzeug zusammengestoßen, das gerade eine Pistenkontrolle durchführte. Der Lotse hatte das Fahrzeug vergessen Nachdem die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung ihre Unter­ suchung abgeschlossen hatte, empfahl sie, künftig alle Fahrzeuge mit Flugfunk auszurüsten. „Diese Empfehlung ­setzen wir jetzt konsequent um“, sagt Rulffs. Nicht nur die Follow-Me-­ Fahrzeuge des Flughafens, sondern alle, die auf einer Piste fahren, auf der Flugbetrieb stattfindet, sollen auf der Towerfrequenz kommunizieren – so dass alle Beteiligten hören können, was auf der Piste passiert. „Das ist ein aufwendiger Prozess, in den wir viel Arbeit investiert haben.“ So musste man mit der Bundesnetzagentur verhandeln, da die Vorschriften des Flugfunkdienstes eine Kommunikation zwischen Bodenfunkstellen untereinander nicht vorsahen. Für jedes Fahrzeug muss zudem eine Frequenzzuteilungsurkunde ausgestellt und entsprechende Geräte beschafft werden. Im Frühjahr 2014 soll das Projekt abgeschlossen sein. Das Thema Sicherheit jedoch wird bei Martin Rulffs und seinen Kollegen auch danach an erster Stelle stehen. Holger Matthies DFS-Runway-Safety-­ Commitee Gegründet am 23. Oktober 2007, koordiniert zentral die Arbeit der lokalen Runway-Safety-Teams; Elf Mitglieder aus den Bereichen TWR/M, VY und den Tower-Niederlassungen; Sprecher: Martin Rulffs; Stellvertreter: Torsten Przybyla transmission 2 – 2013 13 Luftfahrt 52.000 Jahre in Sicherheit Fliegen ist so sicher wie nie zuvor: Die Zahl der Flugzeugunfälle ist 2012 auf einen neuen Tiefstand gesunken. Allerdings kommt es auch auf die Region an. In Afrika passieren trotz des geringen Verkehrs überdurchschnittlich viele Unfälle. In Nordamerika und in der EU dagegen wird Sicherheit besonders groß geschrieben. E s ist paradox: Gut 40 Prozent der Deutschen fühlen sich einer Forsa-Umfrage zufolge im Auto am sichersten – dabei ist dies das mit Abstand gefährlichste Verkehrsmittel: Rund 300.000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden haben sich laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr auf deutschen Straßen ereignet, knapp 400.000 Menschen wurden dabei verletzt oder getötet. Im Flugzeug dagegen fühlt sich nur jeder sechste Befragte sicher. Dabei ist dies, gemessen an der Beförderungsleistung, das mit Abstand sicherste Verkehrsmittel. „Je zurückgelegtem Personenkilometer ist das Risiko, im Auto tödlich zu verunglücken, 16-mal höher als im Bus, 17-mal höher als in der Straßenbahn, 72-mal höher als in der Eisenbahn und 839mal höher als im Flugzeug“, heißt es in einem vom Statistischen Bundesamt auf Basis der Unfallstatistik erarbeiteten „Risikovergleich“. Überspitzt könnte man sagen: Das Gefährlichste am Fliegen ist die Fahrt zum Flughafen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern weltweit. Und: Fliegen ist im Laufe der Jahre immer sicherer geworden. Nach Angaben der International Air Transport Association (IATA) war 2012 das bisher sicherste Jahr in der Geschichte der kommerziellen Luftfahrt. Die IATA bezieht sich dabei auf eine Kennzahl, die die Zahl der Flugzeuge westlicher Bauart, die bei einem Unfall vollständig zerstört oder irreparabel beschädigt wurden, in Bezug zur Verkehrsentwicklung und Unfallzahlen 35 Angaben in Mio. 30 25 20 15 10 5 0 4,2% 4,1% 4,2% 4,8% 4,1% 4,2% 4,2% 3,2% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Flüge 14 Unfallrate in % transmission 2 – 2013 ICAO 2013 Safety Report, ICAO 2011 State of Global Aviation Safety Zahl der Flugbewegungen setzt. Diese Kennzahl lag 2002 noch bei 0,94 pro Million Flugbewegungen; 2012 war sie bereits auf 0,2 gesunken. Anders ausgedrückt: Auf fünf Millionen Flüge weltweit kommt ein schwerer Unfall. Anfang der 60er Jahre, das zeigt eine Langzeitstatistik des Flugzeugherstellers Boeing, gab es noch mehr als zehn schwere Unfälle pro Milllion Flüge. Das weltweite Sicherheitsniveau hat sich also enorm verbessert. Dieser Trend ist umso bemerkenswerter, als der Flugverkehr zugleich deutlich zugenommen hat. 2012 wurden weltweit rund 30 Millionen Flüge und knapp drei Milliarden Flugpassagiere gezählt – 30 Mal mehr als Anfang der 60er Jahre, als gerade einmal rund 100 Millionen Passagiere erreicht wurden. In ihrer Safety-Statistik macht die IATA allerdings einige Einschränkungen. Betrachtet werden ausschließlich Düsenjets westlicher Bauart – Turbopropflugzeuge, Fluggerät beispielsweise aus russischer Produktion sowie kleinere Maschinen mit weniger als 5,7 Tonnen Startgewicht sind in der Kennzahl nicht enthalten. Außerdem ist die Statistik auf kommerzielle Passagierflüge (Linie und Charter) und Frachtflüge beschränkt; Unfälle, die sich etwa bei Trainings- oder Testflügen ereignen, werden nicht mitgezählt. Zudem erfasst die IATA-Statistik nur diejenigen, die an Bord des Flugzeugs zu Schaden kommen. Die International Civil Aviation Organization (ICAO) dagegen zählt auch Personenschäden am Boden mit, beschränkt sich allerdings auf Linienflüge. Diese und andere Definitionsunterschiede führen dazu, dass die beiden großen Luftfahrt­ organisationen in ihren Safety-Statistiken zu unterschiedlichen Ergebnissen ­kommen. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man die Gesamtzahl der Unfälle – dazu zählen schwere Fälle mit Totalschaden, aber auch kleinere – vergleicht. Während die IATA im Jahr 2012 weltweit insgesamt 75 Unfälle gezählt hat, kommt die ICAO auf 99. Diese unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe haben IATA und ICAO nun angeglichen und sich auf eine gemeinsame Definition für die Unfallrate verständigt. Demnach lag das Risiko eines wie auch immer gearteten Unfalls im Jahr 2012 bei 2,4 Unfällen pro Million Flüge. Da Flugzeugunfälle sehr seltene Ereignisse sind, können schon kleine Schwankungen von einem zum nächsten Jahr große prozentuale Veränderungen bewirken. Aussagekräftiger ist es daher, wenn man die Unfallzahlen mehrere Jahre zusammenfasst. Die britische Aufsichtsbehörde Civil Aviation Authority (CAA) hat deshalb die weltweiten Flugzeugunfälle der Jahre 2002 bis 2011 analyisiert. Insgesamt haben sich in dieser Zehn-Jahres-Zeitspanne 250 tödliche Unfälle ereignet, bei denen 7.148 Passagiere und Besatzungsmitglieder getötet wurden. Diese Zahl klingt zunächst gewaltig – im Vergleich zum Straßenverkehr ist sie jedoch verschwindend gering: Innerhalb eines Jahres sterben allein in Europa viermal so viele Menschen bei Verkehrsunfällen. Setzt man die Zahl der tödlichen Unfälle in Bezug zu den Verkehrszahlen, zeigt sich: Auf eine Million Flüge kamen in der ZehnJahres-Periode weltweit 0,6 tödliche Flugzeugunfälle. Allerdings ist Fliegen nicht überall gleich sicher. So ereignet sich laut CAA jeder dritte tödliche Flugzeugunfall in Afrika, obwohl über dem Kontinent nur drei Prozent des weltweiten Flugverkehrs stattfinden. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man nicht den Ort des Unglücks, sondern die Herkunft der Airline betrachtet. Auch Hier ist Fliegen am sichersten Ozeanien Nordamerika EU Europa Mittel- und Südamerika, Karibik Asien und Naher Osten Afrika Alle 0 5 Zahl der Flüge (in Mio.), nach denen statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit eines Flugunfalls auf 1 steigt. Basis: Standort der Airline hier sind afrikanische Fluggesellschaften mit einem Anteil von 28 Prozent an den tödlichen Unfällen überproportional vertreten: Auf eine Million Flüge kommen 5,2 tödliche Unfälle und insgesamt 149 Todesopfer. Besonders hoch sind die Sicherheitsstandards dagegen in Nordamerika und in den Mitgliedsstaaten der EU. Hier entfallen auf eine Million Flüge nur 0,1 tödliche Unfälle. Die unterschiedlichen Kennzahlen zeigen: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Unfallrisiko in Zahlen zu fassen. All diese Kennzahlen haben Vor- und Nachteile. Betrachtet man die Zahl der tödlichen Unfälle, so lässt man außer Acht, ob bei dem Unfall viele oder wenige Menschen ums Leben kamen. Betrachtet man dagegen die Zahl der Unfallopfer, dann fallen Unfälle mit großen Flugzeugen, bei denen mehr Passagiere an Bord sind, schwerer ins Gewicht als Unfälle mit kleinerem Fluggerät – auch dann, wenn das Ausmaß dieser kleineren Unfälle deutlich größer ist. Und misst man die Unfallzahlen an der Beförderungsleistung, also an der zurückgelegten Strecke und der Zahl der Passagiere, macht man dadurch zwar verschiedene Verkehrsmittel 15 10 20 Quelle: CAA Global Fatal Accident Review 2002 to 2011 vergleichbar. Da das Flugzeug aber in der Regel für größere Entfernungen gewählt wird, führt dies zu einer Verzerrung zugunsten des Flugzeugs. Wie sicher ist das Fliegen also tatsächlich? Auskunft darüber gibt das so genannte Mortalitätsrisiko. Diese Kennzahl zeigt, wie unwahrscheinlich es ist, als Passagier auf einem zufällig ausgewählten Flug Opfer eines tödlichen Flugunfalls zu werden. Sie kombiniert also sowohl die Zahl der Unfälle als auch die Zahl der Unfallopfer, lässt aber Länge und Dauer des Fluges unberücksichtigt. Das Ergebnis: Im weltweiten Schnitt kann ein Passagier 3,1 Millionen Mal in ein Flugzeug steigen, ohne einmal Opfer eines Flugzeugunfalls zu werden – bei einem Flug pro Tag wäre er damit 8.500 Jahre unterwegs. In Afrika ist diese Zeitspanne mit 1.390 Jahren deutlich kürzer, in der EU und in Nordamerika ist sie erheblich länger. Statistisch gesehen kann man hier über 47.000 Jahre respektive knapp 52.000 Jahre lang gut und sicher fliegen. Christopher Belz transmission 2 – 2013 15 Faktor Mensch Das Positive stärken Aus Fehlern lernen ist ein wichtiges Prinzip im Sicherheitsmanagement. Doch reicht das? Der dänische Human-Factors-Experte Professor Erik Hollnagel meint: Nein. Seiner Meinung nach müssen Unternehmen ebenso genau untersuchen, warum etwas gut läuft. M enschliches Verhalten wissenschaftlich zu ergründen ist ein wichtiger Bestandteil des Sicherheitsmanagements. Der DFS-Bereich Human ­Factors arbeitet deshalb eng mit führenden Wissenschaftlern auf diesem Gebiet zusammen. Einer von ihnen ist der dänische Professor Erik ­Hollnagel. Er hat das Efficiency-Thoroughness-Trade-OffPrinzip beschrieben. Der Grundgedanke dabei: Menschen, die in komplexen Systemen arbeiten, stehen in einem ständigen Zielkonflikt (TradeOff) zwischen dem schnellen, effizi- enten Arbeiten einerseits und dem gewissenhaften, gründlichen Arbeiten andererseits. Dieser Zielkonflikt betrifft auch Organisationen als ­Ganzes. Nimmt man als gegeben an, dass Menschen und Organisationen ständig in diesem Zielkonflikt abwägen müssen, stellt sich für das Sicherheitsmanagement die Frage: Was beeinflusst dieses Abwägen? Auf welcher Grundlage werden Entscheidungen getroffen? Hollnagel will weg davon, Entscheidungen nur zu untersuchen, wenn sie zu einem unerwünschten Ereignis geführt haben. Sein Ansatz will menschliches Verhalten grundsätzlich besser verstehen. Ziel ist es, jene Aspekte zu fördern, die dazu beitragen, dass etwas gut läuft. Seine Kritik an anderen Ansätzen: Wenn man sich nur darauf konzentriert, was schiefgelaufen ist, lässt man alle anderen Entscheidungen außer Acht und kann nicht von ihnen lernen. Hollnagel geht davon aus, dass in der täglichen Abwägung zwischen Effizienz und Gründlichkeit bestimmte Ein heller, moderner Lotsenarbeitsplatz mit einer ausgeklügelten Bildschirmdarstellung: Solche Faktoren tragen zum sicheren Arbeiten bei. Unternehmen müssen wissen, was sie erfolgreich macht, sagt der Wissenschaftler Erik Hollnagel. Das Positive zu ­fördern sei genauso wichtig für die Sicherheitskultur wie Vorfälle im Nachhinein zu untersuchen. Foto: DFS 16 transmission 2 – 2013 individuelle oder soziale sowie unternehmenskulturelle Normen zum Tragen kommen. Sie näher zu betrachten ist für eine gute Sicherheitskultur entscheidend. Eine typische Regel, die dem Gruppenverhalten zugeordnet werden kann, ist zum Beispiel: „Wir machen das immer so.“ Typisch sind auch vom Unternehmen geprägte Grundsätze wie „Wir müssen Zeitpläne auf jeden Fall einhalten.“ Eine weitere typische Regel im sozialen Kontext ist: „Wenn du den Regelverstoß nicht meldest, werde ich auch nichts sagen.“ Individuelle Grundsätze, die im Efficiency-Thoroughness-TradeOff-­Prinzip zum Tragen kommen, sind beispielsweise: „Normalerweise ist es in Ordnung, so wie ich es mache, deshalb brauche ich es nicht jedes Mal zu überdenken“ oder „Später wird das sowieso noch einmal jemand überprüfen, deshalb muss ich es nicht so genau nehmen.“ Für Hollnagel ist klar: Entscheidungen, die dazu führen, dass etwas schiefläuft, und Entscheidungen, die dazu führen, dass etwas glattgeht, unterscheiden sich in der Regel nicht. Ob eine Entscheidung ein Fehler war, kann immer erst im Nachhinein bewertet werden. Es ist deshalb nicht sinnvoll, Entscheidungen mit positivem Ergebnis und solche mit negativem Ergebnis getrennt voneinander zu untersuchen. Menschliches Verhalten in fehlerhaftes und fehlerfreies zu trennen führt nicht zu mehr Sicherheit. Alle Entscheidungen haben denselben Ursprung: nämlich typisch menschliches Verhalten. Für das Sicherheitsmanagement bedeutet das: Nicht nur aus Fehlern lernen, sondern präventiv und vorausschauend analysieren. Auf diese Weise soll ans Licht kommen, welche Dinge nicht so laufen, wie sie sollten – noch bevor tatsächlich eine Entscheidung zu einem negativen Ergebnis führt. „Für die DFS bedeutet dies, dass wir neben der Untersuchung von Vorfällen verstärkt auf die vorherrschenden Umgebungsbedingungen achten müssen“, sagt Jörg Leonhardt, ­Leiter des DFS-Bereichs Human Factors. „Eine alleinige Konzentration auf die negativen Ergebnisse wie beispielsweise Staffelungsunterschreitungen reduziert das Wissen über den Erfolg unserer Organisation.“ Aus Vorfällen zu lernen ist wichtig. Aber noch ­besser ist, wenn erst gar nichts passiert. Wer nur aus Fehlern lernt, gerät schnell in eine paradoxe Situation. Eine Organisation mit sehr kleinen Misserfolgsraten wie die DFS hat dann immer weniger Anhaltspunkte für den Erfolg. Weniger Vorfälle bedeuten weniger Zahlenwerte. Weniger Zahlenwerte bedeuten immer weniger Indikatoren, die Aufschluss darüber geben können, wie es um die Leistung (Performance) im Unternehmen bestellt ist. Denn nur weil wenig passiert, heißt das nicht, dass alles zum Besten steht: zumindest nicht in einem so komplexen System wie der Flugsicherung. Hollnagel sagt: Um in einem komplexen, voneinander abhängigen und sich ständig verändernden Umfeld Sicherheit zu erreichen, müssen die Mitarbeiter flexibel und anpassungs­fähig sein. Und darüber hinaus müssen auch die Entscheider im Unternehmen und letztlich die Gesamtorganisation diese Flexibilität und Anpassungs­fähigkeit vorweisen. Sicherheit ist nicht die Abwesenheit von Unfällen oder anderen unerwünschten Ereignissen, sondern die Anwesenheit von funktionierenden Anpassungsprozessen, die einen reibungslosen Betriebsablauf garantieren. Entscheider und Führungskräfte brauchen eine „Safety Intelligence“, so Hollnagel. Das heißt, sie müssen die Komplexität und die Interaktivität der Prozesse im Unternehmen bis ins Detail kennen. Ist sich ein Unternehmen über seine Erfolgs­indikatoren im Klaren, kann es diese verstärken. Und die Entscheider können sich darüber hinaus auch ­vorstellen, welche Risiken in der Zukunft bestehen. Sie müssen also nicht warten, bis etwas passiert und das dann im Nachhinein bewerten. Diesen Ansatz, in dem das Positive gestärkt werden soll, statt nur das Negative zu eliminieren, nennt ­Hollnagel Resilience Engineering. „Für die DFS gilt: Wir müssen erkennen, was uns erfolgreich macht, und dann mehr Zeit und Geld darin investieren, um diesen Erfolg zu halten oder zu steigern“, sagt Leonhardt. Dazu sei es aber notwendig, erst einmal die Bedingungen, die zur Sicherheit beitragen, genauer zu identifizieren. „Weil wir uns bisher auf die Untersuchung von negativen Ereignissen beschränkten, haben wir allenfalls eine Ahnung davon, wie die Erfolgsfaktoren aussehen.“ Künftig soll deshalb das Motto des US-amerikanischen Psychologen Paul Watzlawick gelten: „Mach mehr von dem, was funktioniert.“ Sandra Ciupka transmission 2 – 2013 17 Faktor Mensch Damit Vorfälle kein Trauma werden Seit rund 15 Jahren gibt es in der DFS das Critical Incident Stress Management, kurz CISM. Kollegiale Berater, auch CISM-Peers genannt, helfen ihren Kollegen dabei, Stress auslösende Ereignisse zu bewältigen. Das Programm hat sich in der DFS bewährt. E s kann eine Luftfahrzeugannäherung sein oder eine nur geringe Unterschreitung des Mindestabstands zwischen zwei Flugzeugen: In der Flugsicherung kommt es immer wieder zu Ereignissen, die der Einzelne nicht alleine verarbeiten kann. Deshalb wurde bereits Ende 1998 das Programm Critical Incident Stress Management (CISM) in der DFS etabliert. CISM hilft bei der Bewältigung von Stress und soll Menschen in verantwortungsvollen Tätigkeiten darin unterstützen, das Erlebte zu verarbeiten und ihrer Arbeit möglichst schnell wieder nachgehen zu können. Entwickelt hat das Programm der amerikanische Psychologieprofessor Jeffrey T. Mitchell. Ursprünglich war es für Rettungskräfte konzipiert mit dem Ziel, posttraumatische Belastungsstörungen nach einem kritischen Ereignis zu verhindern. Die systematische Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen hielt dann schnell auch in der Luftfahrtbranche Einzug. „CISM bietet betroffenen Mitarbeitern die Möglichkeit, sich ihrer Reaktionen bewusst zu werden und diese einzuordnen. Es hilft dabei, zu erkennen, ob man in der Lage ist, die Reaktionen zu verarbeiten. Und es hilft dabei, zu beurteilen, ob man arbeitsfähig ist oder nicht“, sagt Jörg Leonhardt, der bei der DFS für das CISM-Programm verantwortlich ist. Oft sind es eher unbedeutende Ereignisse, die für den 18 transmission 2 – 2013 Einzelnen eine große Belastung darstellen. „Bei Fluglotsen löst der Verlust der Kontrolle über ein Flugzeug Stress aus, selbst wenn keine oder eine nur geringe Gefahr bestand, etwa wenn der Mindestabstand minimal unterschritten wurde“, erläutert Leonhardt. Zum Instrumentarium der Stressverarbeitung gehören sowohl Einzelgespräche mit einem kollegialen Berater wie auch so genannte Crisis Management Briefings (CMBs): Gruppengespräche und Großgruppeninter- Jörg Leonhardt ventionen, sollte ein Ereignis mehrere Mitarbeiter oder eine ganze Niederlassung betreffen. Ende des Jahres 2012 beispielsweise mussten im DFS-Center in Langen mehrere dieser CMBs abgehalten werden, um geschockten Kollegen zu helfen, den Unfalltod einer jungen Kollegin zu bewältigen und den Betrieb in der Kontrollzentrale aufrecht zu erhalten. „Da waren viele Kollegen in einer Ausnahmesituation – der Verkehr musste aber trotzdem abgearbeitet werden. Das CISM-Team sorgte dafür, dass dieses emotionale Chaos eine Struktur bekam und eine Stabilisierung erfolgte“, berichtet Leonhardt. Seine Feuertaufe bestand das CISM-Programm im Juli des Jahres 2002, als über der Stadt Überlingen zwei Flugzeuge in der Luft kollidierten. Die Peers der deutschen Flugsicherung betreuten damals nicht nur Kollegen aus der Niederlassung in Karlsruhe, die das Unglück ohne eingreifen zu können auf den Radarschirmen beobachtet hatten, sondern auch die Kollegen in der Schweiz. Die dortige Flugsicherung Skyguide, in deren Zuständigkeit das Unglück passierte, hatte damals kein eigenes CISM-Team. Bei der deutschen Flugsicherung verfügen alle Center- und Tower-Standorte über CISM-Peers. In der Regel handelt es sich dabei um Fluglotsen. Sie werden für die CISM-Beratung geschult und tauschen ihre Erfahrungen regelmäßig mit anderen kollegialen Beratern aus. Derzeit sind in der DFS 85 Kolleginnen und Kollegen als CISM-Peers ausgebildet. Die DFSGeschäftsführung unterstützt das Programm von Beginn an mit Nachdruck. Robert Schickling, Geschäftsführer Betrieb sagt: „CISM ist fester Bestandteil unserer Sicherheitskultur.“ Sandra Ciupka Benutzerfreundlich ist sicherer Es betrifft die Darstellung am Bildschirm, die Beleuchtung in der Kontrollzentrale oder die Eingabemaske der Unterstützungssoftware: Um fehlerfrei arbeiten zu können, brauchen Fluglotsen ein benutzerfreundliches Umfeld. In der DFS spielt das Thema Ergonomie deshalb eine wichtige Rolle. F rüher war alles anders. Da saßen Fluglotsen in abgedunkelten, fensterlosen Räumen vor schwarzen Bildschirmen, auf denen sich grüne Dreiecke bewegten. Aber damals war im Luftraum auch längst nicht so viel los wie heute. Die aktuellen Verkehrszahlen würden sich auf diese Art und Weise nicht mehr sicher bewältigen lassen. Die neue Technik macht glücklicherweise eine ganz andere Flugverkehrskontrolle möglich: In der modernen Welt leiten Fluglotsen den Luftverkehr bei Tageslicht, die Radardarstellung hat einen hellen Hintergrund und unterschiedliche Farben erleichtern die Übersicht: Optimale Bedingungen, um sicher und konzentriert zu arbeiten. „Ergonomie spielt mit zunehmender Komplexität des Arbeitsumfelds eine immer wichtigere Rolle“, sagt André Perott. Er und sein Kollege Nils Schader beschäftigen sich im DFS-Bereich Human Factors damit, wie ein Arbeitsplatz gestaltet werden muss, damit die Fluglotsen ihre Tätigkeit sicher, effektiv und effizient ausführen können. Die DFS arbeitet dabei eng mit dem Institut für Arbeitswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt zusammen, das zu allen Aspekten des Faktors Mensch in einem komplexen Arbeitsumfeld forscht. Der Grad an Automation und Komplexität wird in den nächsten Jahren in der Flugsicherung noch weiter zunehmen und damit auch die Bedeutung der Ergonomie. Die DFS hat deshalb ein Ergonomie-Board etabliert, in dem sich Fachleute mit Unterstützung des TU-Professors Dr. Ralph Bruder regelmäßig mit dem Thema beschäftigen. Das Board stellt sicher, dass neueste arbeits­wissenschaftliche ­Erkenntnisse in die Entwicklung eines Systems integriert werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die systematische Einbindung der Nutzer. „Das Problem in einem hochkomplexen Arbeitsumfeld ist, dass Standardempfehlungen, etwa für eine Bildschirmdarstellung, oft nicht auf die spezielle Situation passen“, erläutert Nils Schader. „Deshalb ist es wichtig, schon in der Projektplanung die Nutzerperspektive zu berücksichtigen.“ Dass dabei wissenschaftlich vorgegangen wird, zeigt das Beispiel der Farbgebung für das neue Flug­ sicherungssystem P2. Die DFS hat die dafür verwendeten Bildschirmfarben nicht willkürlich ausgesucht, sondern nach einem mathematischen Modell errechnet. So ist sichergestellt, dass sich die Farben auf den ersten Blick auseinanderhalten lassen: Die ausgewählten Farben wurden in mehreren Schritten von Fluglotsen am Simulator immer wieder überprüft und bewertet, bis das abschließende Farbset gefunden war. Die Gefahr, dass eine Farbinformation übersehen wird oder zwei Farben miteinander verwechselt ­werden, ist damit minimal. Ein benutzerfreundliches Arbeitsumfeld ist entscheidend für die Sicherheit und die Effektivität der Leistung. Beides ist nur gegeben, wenn der Fluglotse die verschiedenen dargestellten Hinweise am Bildschirm gut lesen und unterscheiden kann. Außerdem muss die Beleuchtung so sein, dass die Augen nicht zu schnell ermüden. Eingaben müssen so erfolgen können, dass der Fluglotse nicht von der Beobachtung des Luftverkehrs abgelenkt wird. Wenn alle Bedingungen stimmen, ist dies ein wichtiger Beitrag zur Sicherheit und zur Performance. Sandra Ciupka Glossar: Ergonomie ist eine wissenschaftliche Disziplin, die zum einen Zusammenhänge zwischen Menschen und anderen Systemelementen systematisch untersucht und zum anderen Theorien und Methoden in der Praxis anwendet, um die Leistung des Gesamtsystems zu erhöhen und die allgemeine Zufriedenheit der Menschen zu verbessern. transmission 2 – 2013 19 Safety Training für den Notfall Feuer an Bord: Während die P ­ iloten vollauf damit beschäftigt sind, ihre Checklisten abzuarbeiten, leiten die Fluglotsen das Flugzeug auf dem schnellsten Weg zum nächsten Flughafen. D er Pilot der Boeing 747400 hat ein dickes Problem. Dichter Rauch dringt aus der Instrumententafel über seinem Kopf, auch aus den Instrumenten vor ihm qualmt es. Er streift sich die Sauerstoffmaske über den Kopf, sein Copilot tut es ihm gleich. „Mayday, Mayday. We have smoke in the cockpit“, informiert die Cockpit-Crew die Flugsicherung über ihre Notlage. „Request direct to Stuttgart.“ Nun sorgen die Fluglotsen dafür, dass das Flugzeug so schnell wie möglich auf dem nächstgelegenen Flughafen landen kann. Die Zeit drängt: Der Rauch ist so dicht, dass die Besatzung nicht mal bis zur Cockpitscheibe sehen 20 transmission 2 – 2013 kann. Mit einer Taschenlampe versucht der Pilot, die Instrumente zu entziffern. Der Copilot gibt dem Fluglotsen derweil die Zahl der Passagiere an Bord durch. Ein paar Minuten später setzt das Flugzeug auf der Landebahn auf. Es rumpelt, es ruckelt – dann steht die Maschine. Geschafft. In einem echten Flugzeug würde die Besatzung jetzt damit beginnen, die Passagiere so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. In der Boeing 747-400 dagegen gibt es nichts zu evakuieren. Sie war auch nie in der Luft, sondern stand die ganze Zeit am Boden – ein Simulator im Lufthansa Flight Training Center am Frankfurter Flughafen. Feuer an Bord ist ein Albtraum für jeden Piloten. Der Qualm behindert die Sicht, außerdem ist er giftig – vor allem dann, wenn Kunststoffe verbrennen. Und nicht zuletzt können durch das Feuer technische Systeme ausfallen. Deshalb ist es wichtig, Notfallsituationen wie Rauch im Cockpit, Druckverlust oder den Ausfall eines Triebwerks regelmäßig zu trainieren. Das gilt nicht nur für Piloten, sondern auch für Fluglotsen – damit diese die Cockpit-Crew in ihrer Notlage bestmöglich unterstützen ­können. Üblicherweise trainieren Piloten und Fluglotsen getrennt voneinander, die einen im Flugsimulator, die anderen im Um in einer Notlage schnell und richtig reagieren zu können, ist regelmäßiges Training für Piloten wie Fluglotsen Pflicht. Beim Joint Operational Incidents Training proben Piloten und Lotsen miteinander den Ernstfall – und lernen dabei eine Menge voneinander: Das weltweit einzigartige Projekt kommt der Realität beeindruckend nah. Radarsimulator. Am Frankfurter Flughafen ist dies anders: Hier üben Piloten und Fluglotsen gemeinsam den Umgang mit Notfallsituationen. Joint Operational Incidents Training oder kurz „Joint“ heißt das Projekt, das vor gut 15 Jahren zwischen DFS und Lufthansa Flight Training entstanden ist. Das Besondere dabei: Die Piloten im Simulator, die gerade mit den Rauchschwaden im Cockpit kämpfen, sind über eine Funkverbindung mit echten Lotsen am anderen Ende des Gebäudes verbunden, die vor ihren Radarmonitoren sitzen. „Diese Kombination ist einzigartig“, sagt Volker Oblong, der bei Lufthansa Flight Training für das Projekt verantwortlich ist. „So etwas gibt es sonst ­nirgendwo auf der Welt.“ Entstanden ist die Idee zu einem gemeinsamen Notlagentraining beim Austausch unter Kollegen. Die Anfänge waren provisorisch. Für den Prototyp genügte zunächst ein Telefonhörer, der mit Kreppband auf einem Modem befestigt wurde: Über diese Datenleitung war ein Radarsimulator mit einem Boeing-737-Simulator verbunden. Gut 15 Jahre später ist aus der Bastelei eine feste Institution geworden. Der alte Radarsimulator aus der Anfangszeit ist längst durch die neueste Simulatorgeneration ersetzt, angebunden sind mittlerweile fünf so genannte Full- Flight-Simulatoren für die Flugzeugtypen A320, A321, B737 und B747. Piloten und Lotsen sind über eine Funkverbindung mit zwei Frequenzen verbunden. So lässt sich auch simulieren, wie das Flugzeug von einem Kontrollsektor zum nächsten übergeben wird. Die gemeinsame Schulung von Piloten und Fluglotsen ist aufwendig – allein die zeitliche Abstimmung des Trainings ist nicht einfach. Aber der Aufwand lohnt sich. Beim herkömmlichen Training im Flugsimulator gibt es einen Instructor, der die Übung leitet. Er sitzt hinter dem Piloten und gibt Anweisungen, was zu tun ist. Nicht so transmission 2 – 2013 21 Safety Rauch im Cockpit ist für jeden Piloten ein Albtraum. Ohne Taschenlampe sind oft nicht mal mehr die Anzeigen und Schalterpositionen zu erkennen. bei „Joint“: Hier muss der Pilot die Informationen, die für ihn relevant sind, aus dem Funkverkehr herausfiltern, so wie bei jedem normalen Flug auch. Der Pilot ist außerdem gezwungen, seine Situation exakt zu beschreiben – schließlich hat der Lotse keinen Blickkontakt und weiß deshalb nicht, in welcher Notlage sich das Flugzeug befindet. Und er muss sich klar werden, welche Unterstützung er von der Flugsicherung erwartet. Auch Fluglotsen erleben den Notfall aus einer völlig neuen Perspektive: Beim Training im Radarsimulator sind sie per Funk mit Simulationspiloten verbunden, die ihre Anweisungen in einen Computer eingeben. Bei „Joint“ dagegen bekommen sie es mit echten Piloten zu tun, die sich in einer realistischen Ausnahmesituation befinden. Auf diese Weise erleben die Lotsen den Stress, der im Cockpit herrscht. Sie müssen damit rechnen, dass die Piloten vor lauter Belastung gar nicht oder nicht adäquat reagieren. Und sie sind gezwungen, klare Informationen abzufragen – denn nur so erfahren sie, wie sie den Piloten am besten helfen können. „Das normale Notfall- 22 transmission 2 – 2013 training ist ausreichend, aber nicht optimal“, sagt DFS-Supervisor Holger Vierkant, der in der Kontrollzentrale Langen für die Joint-Simulationen verantwortlich ist. „Wenn man die beiden Trainings miteinander kombiniert, ist der Lern­effekt auf beiden Seiten deutlich höher“, ergänzt Lufthansa-Kapitän Axel Strassburger, der „Joint“ mitbegründet hat. – dann also, wenn Piloten und Lotsen ihre Erfahrungen austauschen. Zum Beispiel über die Anfangsphase der Unsicherheit, wenn Piloten wie Lotsen erst einmal nicht wissen, was mit dem Flugzeug los ist. Für die Piloten vergeht die Zeit wie im Flug: Sie haben alle Hände voll damit zu tun, ihre Checklisten abzuarbeiten. Für die Lotsen dagegen zieht sich die Zeit wie Kaugummi: Ihnen kommt es wie eine Ewigkeit vor, bis sich die Piloten wieder bei ihnen melden. Beide erleben dieselbe Situation, aber beide erleben sie vollkommen unterschiedlich. Das ist eine wertvolle Erfahrung, um im Notfall besser reagieren und die Gegenseite optimal unterstützen zu können – ein deutlicher Gewinn an Sicherheit. Wenn es „Joint“ nicht bereits gäbe, man müsste es auf der Stelle erfinden. Christopher Belz Gelernt wird nicht nur während des gemeinsamen Trainings, sondern vor allem beim anschließenden Debriefing Bei „Joint“ sind die Fluglotsen am Radarsimulator mit den Piloten im Flugsimulator verbunden. Diese Kombination ist weltweit einmalig. Fotos: Melanie Bauer Aus Fehlern ­lernen mit Just Culture In der Luftfahrt sollen möglichst alle negativen Ereignisse gemeldet werden. Nur dann kann die Branche aus Vorfällen lernen. Doch Justiz und Öffentlichkeit haben oftmals ein Interesse daran, „Verursacher“ zu benennen und zu bestrafen, was einem intensiven Meldewesen eher abträglich ist. Der Ansatz „Just Culture“ soll dieses Dilemma lösen. E in Auto fährt auf die Ampel zu. Die Sonne steht tief. Der Fahrer kann kaum erkennen, was die Ampel anzeigt. Er fährt über die Kreuzung, stellt dann erschreckt fest: Es ist tatsächlich rot gewesen. Passiert ist nichts, die Fahrt geht weiter. „Kein Autofahrer würde in einem solchen Fall zur Polizei gehen und sich eines Fehlers bezichtigen“, sagt HansJürgen Morscheck, Leiter des DFSUnternehmenssicherheitsmanagements. „Aber im Prinzip erwarten wir das von unseren Fluglotsen: Sie sollen Ereignisse melden, selbst wenn nichts passiert ist.“ Die DFS kann nur auf Ereignisse oder Probleme reagieren, wenn sie davon erfährt. Wer Fluglotsen, Piloten oder Techniker für gemeldete Ereignisse bestraft, riskiert, dass Vorfälle unter den Teppich gekehrt werden. Dann könnten die gleichen Umstände immer wieder passieren – bis es zu einem tragischen Unfall kommt. Das kann nicht im Sinne der Sicherheitskultur sein. Die Luftfahrtbranche hat deshalb den Ansatz „Just Culture“ etabliert. Kein DFS-Mitarbeiter muss befürchten, dass es für ihn im Unternehmen negative Folgen hat, wenn er ein Ereignis, beispielsweise eine Staffelungsunterschreitung, meldet. Dahinter steckt das Grundverständnis, dass mensch- licher Irrtum immer im Kontext von komplexen Situationen entsteht und daher nicht als Ursache, sondern als Symptom zu verstehen ist. Symptome deuten auf tieferliegende Probleme im gesamten System hin, beispielsweise darauf, dass die Bildschirmdarstellung verbessert werden müsste oder Flugrouten entzerrt werden sollten. Die DFS-Sicherheitsfachleute nehmen diese Hinweise auf und suchen nach Lösungsmöglichkeiten. Eine „gerechte“ Unternehmenskultur bedeutet allerdings nicht, dass die Luftfahrtbranche ein rechtsfreier Raum ist. Just Culture unterscheidet daher zwischen einem nicht zu akzeptierenden fahrlässigen Verhalten einerseits und so genannten beitragenden Faktoren zu Ereignissen andererseits, die in einem komplexen System vorkommen können. Einig sind sich sowohl Sicherheitsexperten als auch Juristen darin, dass alle Unfälle und „schweren Störungen“ strafrechtliche Konsequenzen haben können. Und zwar nicht nur für Fluglotsen, sondern auch für das Management, von dem erwartet wird, dass es dem operativen Personal ein sicheres Arbeitsumfeld bietet. Handeln sie nach bestem Wissen und Gewissen, sollen sich Fluglotsen darauf verlassen können, dass sie in der Regel keine strafrechtlichen Konsequenzen befürchten müssen. Mit Just Culture will man errei- chen, dass auch kleinere Ereignisse, bei denen keine unmittelbare Gefahr bestand, im Sinne der Sicherheitskultur dokumentiert und aufgearbeitet werden können. Ein Spannungsfeld zwischen einem ausgeprägten Meldewesen und der juristischen Facette wird es aber immer geben. Vor allem deshalb, weil Ereignisse auch an die Öffentlichkeit gelangen können und dort sehr schnell die Frage nach einer persönlichen oder organisatorischen Schuld gestellt wird, etwa wenn es dabei um Schadensersatzansprüche geht. Mit Just Culture will die Luftfahrtbranche deshalb auch politisch erreichen, dass die Justiz diesen Ansatz als wesentlichen Bestandteil einer Sicherheitskultur akzeptiert und bei der Untersuchung und Bewertung von Luftfahrt­ereignissen berücksichtigt. Sandra Ciupka transmission 2 – 2013 23 Safety Sicherheit hat Methode In einer Branche, deren Wohl und Wehe in höchstem Maß vom Vertrauen der Passagiere abhängig ist, ist Sicherheit alles. Nicht von ungefähr richtet die DFS alles Handeln an ihrer obersten Priorität aus: höchstmögliche Sicherheit im Luftverkehr zu gewährleisten. Hauptamtlich erstellen 30 Mitarbeiter sogenannte Sicherheitsbewertungen. Sie sorgen dafür, dass es nicht nur beim Lippenbekenntnis bleibt, sondern das höchste Unternehmensziel mit Leben gefüllt wird. „Im Zweifel für die Sicherheit“ lautet denn auch so manches Ergebnis einer Sicherheitsbewertung – selbst wenn beachtliche Kostenersparnis lockt. I rgendwann lag sie auf dem Tisch, diese nüchterne Zahl mit erheblichem Verlockungspotenzial: 7,9 Millionen Euro, einzusparen über die nächsten sieben Jahre. Soviel hätte er einbringen können, der Verzicht auf das Projekt „Erneuerung Not-Senden/ Empfang Center“. Errichtet wurden die Not-Sende- und Empfangseinrichtungen (NSE) Ende der 80er Jahre: 30 Funk­standorte, die über ISDN-Leitungen mit den oszillographengroßen Betriebseinheiten in den vier Kontrollzentralen der DFS verbunden sind. Sie sollen den Sprechfunk­verkehr der Lotsen mit den Piloten sicherstellen – allerdings nur im Falle des Falles eines Falles. Denn bei den NSE handelt es sich weder um das Hauptbetriebs- und auch nicht um das Reservesystem, sondern um das Notfunksystem. Eine dreifache Redundanz also, die in Zeiten postulierter Kosteneffizienz durchaus Fragen nach dessen sinnhafter Notwendigkeit aufwerfen kann. Im Mai 2012 jedoch traf die DFS-Geschäftsführung ihre Entscheidung zugunsten dieses „zentralen Sicherheits­ bestandteils“ in der Sprachkette – und damit gegen die Kosteneinsparung. Voraus ging dieser Entscheidung eine genaue Analyse der Risiken: eine so genannte Sicherheits­ bewertung. Ganz gleich, ob es darum geht, eine Telefonleitung neu anzubinden oder Ursache Human Error? Technisches Versagen? Oder Verfahrensfehler? Um Unfälle wie diesen zu vermeiden, sind Sicherheits­bewertungen fester Bestandteil des DFS-­ Projektmanagements. Jede Veränderung, die Auswirkungen auf das „funktionale ATM-System“ haben könnte, wird darin einer Bedrohungs- und Sicherheitsanalyse unterzogen. Foto: Ivan Cholakov 24 transmission 2 – 2013 ein System einzuführen: „Jede Veränderung, die Auswirkung auf das funktionale ATM-System hat oder haben könnte, müssen wir dahingehend überprüfen, inwieweit sie das System tangiert und wie sicher sie ist“, erläutert Dr. Gunther Heidelmeyer, Referent im Unternehmenssicherheitsmanagement auf dem Gebiet Sicherheitsbewertung. Dies schließt auch mögliche Veränderungen im Lebenszyklus eines Systems mit ein. Zum „funktionalen ATMSystem“ gehören Daten ebenso wie Technik, Verfahren und Vorschriften wie auch Menschen und Prozesse. Gesetzliche Grundlage bildet die EU-Verordnung Nr. 1035 vom 17. Oktober 2011: Demnach ist es das „Hauptsicherheitsziel“ für das Sicherheits­ management einer Flug­ sicherungsorganisation, „seinen Beitrag zum Risiko eines Flugunfalls so weit wie praktisch möglich zu senken.“ Die DFS hat für sich daraus das Unternehmensziel abgeleitet, höchstens alle 30 Jahre mit einem flugsicherungs­ verursachten Unfall in Verbindung gebracht zu werden. Systematische­ Bedrohungs- und Risikobewertungen sollen deshalb helfen, poten­ziell sicherheitsrelevante Ereignisse zu identifizieren und zu eliminieren: für Kommunikations- und Navigationsdienste, für ATC-, Informations-, Alarm- und Flugberatungsdienste. Ein ideales Betätigungsfeld für Experten wie Heidelmeyer, für die die Berechnung bedingter Wahrscheinlichkeiten eine äußerst spannende ­Materie ist. „Ganz klar: Wir bewegen uns hier in einer Modellwelt. Statistikmodelle werden mit Simulationsergebnissen gekoppelt und mit Expertenschätzungen verknüpft“, beschreibt er die drei Phasen einer Sicherheits­bewertung: die funktionale Bedrohungs­ analyse (Wie sicher muss ein System sein?), die Ermittlung von Sicherheitsanforderungen (Welche Vorkeh­ rungen sind zu treffen?) und die Sicherheitsanalyse (Wie sicher ist das System?). Ziel der Bewertung ist es, den identifizierten Bedrohungen einen der fünf Schweregrade zuzuweisen („keine“ bis „katastrophale“ Auswirkung). Typische Auswirkungen können etwa sein: Unterschreitung von Mindestabständen, Kollision von Flugzeugen am Boden oder in der Luft, schlimmstenfalls der Tod von Insassen. Am Ende steht die Bestimmung von Eintrittshäufigkeiten und Risikoklassen, aber auch die Definition zusätzlicher Maßnahmen zur Risikoreduzierung. „Nehmen wir Technik ersatzlos außer Betrieb, kann dies mit höheren Risiken verbunden sein als Inbetriebnahmen“, sagt ­Heidelmeyer. Für den damaligen Vorschlag, die NSE abzuschalten, hatte das ­operative Safetymanagement des Center-Bereichs beispielsweise zwei zusätzliche Risiken ausgemacht – inakzeptabel für Robert Schickling, heute Geschäftsführer Betrieb und damals Leiter Geschäftsbereich Center: „Das heutige Sicherheitsniveau hat Vorrang vor den dargestellten Kostenein­ sparungen“, begründete er die Entscheidung, die NSE beizubehalten. Zur Seite stehen den operativen Safetymanagements in den vier Geschäfts­ bereichen die Fachleute des Unternehmens­sicherheits­ managements. Das Bestreben aller: Den Anteil der Flugsicherung am Risiko eines Unfalls so gering wie möglich zu halten. Als „Hüter der Sicherheit“ unterliege sein Bereich zudem keiner operativen Verantwortung, sondern sei als unabhängige Instanz von o ­ perativ-wirtschaftlichen Zielen entkoppelt, weist Heidelmeyer auch auf den organisatorischen Aspekt hin und gibt zu bedenken: „Methodik und Dokumentation müssen sauber sein. Denn auch Aufsichts- oder Unfallbehörden lesen unsere Dokumente.“ Die DFS will höchstens alle 30 Jahre mit einem Unfall in Verbindung gebracht werden Überlegung, die NSE abzuschalten: Statt eine siebenstellige Summe einzusparen bedeutete sie in der Konsequenz nicht nur, ein Erneuerungs­ projekt für das 20 Jahre alte System aufzulegen. Auch die Betriebskosten werden höher ausfallen als bislang, stellte sich dabei heraus. Weil die Telekommuni­kations­anbieter keine unabhängige ISDN-Infra­struktur mehr für die Übertragung bereitstellen wollen, muss die DFS auf deutlich teurere Daten-Festverbindungen ausweichen. Die laufenden Kosten erhöhen sich dadurch um glatt die Hälfte. „Unsere NSE-Systeme sind ähnlich einem Airbag“, zieht Produktmanager Ahmad Hakimi den Vergleich. Alle Fahrzeuge müssten zwar damit ausgerüstet sein, benötigt würde er jedoch nur im Falle eines Unfalles. „Sicherheit kostet eben immer Geld.“ Deshalb ist es sein Bereich, der allen Sicherheits­bewertungen schließlich die Freigabe erteilen muss. Dennoch obliegt es in letzter Instanz dem jeweiligen Auftraggeber, eine Entscheidung für oder gegen eine Veränderung zu treffen – für die er dann auch die Verantwortung trägt. In den seltensten Fällen weicht diese aber vom Ergebnis der Sicherheits­ bewertung ab. Wie auch im Falle der Rüdiger Mandry Nicht auf Kosten der Sicherheit – auch wenn dann manche Entscheidung zulasten der Kosten geht. Sicherheitsbewertungen nehmen eine präzise Risikoanalyse vor: von jeder Veränderung, die sich auf das funktionale ATM-System auswirken könnte. transmission 2 – 2013 25 Safety Woher der Wind weht Zu wenig Beachtung hat die Thematik Wind im fliegerischen Kontext eigentlich noch nie erfahren. Segelflieger achten besonders auf die Böigkeit des Windes, die Betriebsrichtung einer Landebahn richtet sich nach der Rückenwindkomponente, Seitenwinde sorgen zuweilen für spektakuläre Anflüge – auf verschiedene Weise ist die Kraft des Windes untrennbar mit der Fliegerei verbunden. Mit der Energiewende spürt die DFS nun auch den Wind aus einer weiteren Richtung: vonseiten der Windparkbetreiber. Stefanie Mohr Photography / Shutterstock.com E in bisschen hört es sich so an wie das Märchen vom hässlichen Entlein. „Früher haben unsere Standorte niemanden interessiert. Doch heute will jeder an den Filetstücken teilhaben“, berichtet Hans-Jochen Kreher. Offiziell leitet er den Bereich Satelliten- und Technische Dienste. Inoffiziell dominieren jedoch die jährlich 1.200 Anträge von Windparkbetreibern das Tagesgeschäft, zum Teil auch mit medialer Präsenz. Und das nun schon seit einigen Jahren. Vorherzusehen war das nicht unbedingt, als im Februar 2000 der Deutsche Bundestag das „Erneuer- 26 transmission 2 – 2013 bare-Energien-Gesetz“ (EEG) auf den Weg brachte. Rund 9.000 Windenergieanlagen rotierten zu dem Zeitpunkt in ganz Deutschland. Ende letzten Jahres summierten sie sich auf 23.030. Was ganz im Sinne der Energiewende ist, hat sich jedoch für die Flugsicherung zu einem ernsthaften Problem entwickelt. Denn: Die Windräder treten in Wechselwirkung mit der elektromagnetischen Strahlung der flugsicherungstechnischen Infrastruktur und können deren Signale z. B. durch Abschattung, Reflexion und Beugungseffekte stören und verfälschen. 249 Funk-, Ortungs- und Navigationsanla- gen betreibt die DFS. Sie stehen überwiegend seit Jahrzehnten bereits dort, wo es auch für die Anlagen der Windparkbetreiber am idealsten wäre: auf dem Brocken etwa (1.141m über NN), auf der Neunkircher Höhe (605m) oder auf dem Deister (405m). Auch wenn die Windräder selbst keine Signale abstrahlen, hat sich gezeigt, dass die physikalischen Effekte folgen­schwere Störungen für Flugsicherungssysteme haben können: indem Navigationsanlagen zum Beispiel Richtungsinformationen verfälschen, so dass der Pilot einen falschen Kurs angezeigt bekommt. Rotorblätter drehen sich mit wechselnder Geschwindigkeit, ihre Blattspitzen kommen auf bis zu 200 Kilometer pro Stunde. Werfen sie die Mikrowellen einer Anlage zurück, kann der Radarschatten auf dem Schirm Flugzeuge verdecken – mit dem Ergebnis, dass sich bestimmte Lufträume nicht mehr einsehen lassen oder „Geisterflugzeuge“ erzeugt werden, die es in der Realität nicht gibt. Störungen, die geeignet wären, die Sicherheit im deutschen Luftraum gravierend zu beeinträchtigen. Um diese Sicherheit zu gewährleisten, sind das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) und die DFS den Empfehlungen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO aus dem so genannten „Euro Doc 015“ gefolgt und haben um ihre Anlagen Schutzbereiche gezogen: Das sind zum Beispiel Radien von 15 Kilometern um Drehfunkfeuer und Radare, zehn Kilometer um Peiler- oder zwei um Funkstandorte. „Das ist also nichts, was wir uns ausgedacht haben“, sagt Kreher und verweist außerdem auf Paragraph 18a des Luftverkehrsgesetzes: „Bauwerke dürfen nicht errichtet werden, wenn dadurch Flugsicherungseinrichtungen gestört werden können.“ Im Auftrag des BAF begutachtet die DFS deshalb jeden Antrag von Bauwerken in Anlagenschutzbereichen der DFS: Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um ein Gebäude handelt, eine Windenergieanlage neu errichtet, erweitert oder „repowert“, also mit leistungsfähigeren Windrädern modernisiert, werden soll. Dennoch: Trotz „Euro Doc 015“ und LuftVG lehnt die DFS pauschal keinen Antrag ab. Für die meisten Bauanträge ist diese Prüfung bislang positiv ausgegangen, allein für 75 Prozent im ersten Halbjahr 2013. Mit zunehmender Bebauung müssten Investoren aber damit rechnen, dass die Gutachten der DFS ablehnender ausfallen, resümiert Kreher: „Auch die Umgehungsstrecke für einen gesperrten Autobahnabschnitt ist irgendwann dicht, wenn sie jeder benutzt.“ Investoren wollen dies nur ungern wahrhaben und manch einer zeigt sich wenig geneigt, die Idee seines Windparks trotz abgelehnten Antrags in den Wind zu schreiben: „Häufiger als zuvor musste ich in den letzten Jahren unsere Kollegen von der Rechtsabteilung mit einbinden“, berichtet Kreher. Hessen und Schleswig-Holstein einzelne Gebiete benannt werden mussten, die innerhalb der Schutzbereiche den Bau weiterer Windräder nur noch Dafür ist das Betreiben von Windrä- in Einzelfällen zulassen. Nicht zuletzt dern wohl auch einfach zu lukrativ, für wird die Suche nach geeigneten WindGrundstücksbesitzer wie für Investo- standorten für potenzielle Investoren ren. Ersteren beispielsweise bringen dadurch erschwert, dass sie auch bei gute Windstandorte in Schleswig-­ Radaranlagen des Militärs und bei den Holstein 50.000 Euro Pacht ein – Wetterradaren des Deutschen Wetpro Jahr, pro Windrad, auf 20 Jahre terdienstes auf solche Schutzzonen garantiert. So berichtete kürzlich das ­stoßen. Wirtschaftsmagazin „Capital“. Und für die Betreiber rentieren sich die Sind terrestrische NavigationsanlaInvestitionen dank gesetzlich festge- gen im Zeitalter der Satellitennavigaschriebener Einspeisevergütung nach tion überhaupt noch zeitgemäß? Für acht bis zehn Jahren. Dann heißt es Kreher gibt es daran keinen Zweifel: Geld verdienen: Rund 100.000 Euro „Auf jeden Fall. Daten der IATA und sind bei einer großen Anlage drin. von EUROCONTROL bestätigen, dass Auf Informations­veranstaltungen längst nicht alle Luftfahrzeuge mit machen BAF und DFS seit einiger Satellitennavigation ausgerüstet sind. Zeit auf die Gefahren für die Flugsi- Und weder in Deutschland noch in der cherheit aufmerksam, die Windener- EU gibt es eine Verpflichtung, dass gieanlagen verursachen können. Prof. sie dies ändern müssten.“ Noch auf Klaus-­Dieter Scheurle, Vorsitzender unbestimmte Zeit also wird die Enerder DFS-Geschäftsführung, betonte giewende dafür sorgen, dass sich die kürzlich mit Nachdruck: „Die Sicher- DFS für das BAF mit gutachterlichen heit des Luftverkehrs muss vorgehen.“ Stellungnahmen zu WindkraftvorhaUnd der Direktor des BAF, Prof. Dr. ben befasst. Und sich Kreher über Nikolaus Herrmann, erklärte kürzlich jede weitere Satellitennavigationsanauf einer Pressekonferenz in Bremen: lage freut, weil sie die Abhängigkeit „Weil wir für die Sicherheit im Luftver- von der terrestrischen Navigation verkehr verantwortlich sind, müssen wir ringern hilft. mitunter unangenehme Entscheidungen treffen.“ Zu den eher unangenehRüdiger Mandry meren gehört auch, dass bereits in transmission 2 – 2013 27 Safety Zahlen für mehr ­Sicherheit Journalisten lieben knackige Formulierungen. Deshalb ist oft gleich von „Beinahe-Zusammen­stößen“ die Rede, wenn es in Wahrheit um Staffelungsunterschreitungen, Runway Incursions oder Luftfahrzeugannäherungen geht. Die Wahrheit ist meist weit weniger kritisch. Staffelungs­unter­ schreitungen A ufgabe der Flugsicherung ist es, dafür zu sorgen, dass Luftfahrzeuge unter ihrer Kontrolle immer ausreichend Abstand zueinander haben. Vertikal muss der Abstand zwischen zwei Flugzeugen mindestens 1.000 Fuß (300 Meter) betragen; horizontal sind es in der Regel zwischen drei und fünf Nautische Meilen (5,6 bis 9,3 Kilometer). Im Landeanflug sind zweieinhalb bis drei Nautische Meilen (4,6 bis 5,6 Kilometer) vorgeschrieben – wobei diese Abstände im Einzelfall noch einmal deutlich vergrößert werden können, um zu verhindern, dass die von einem Flugzeug ausgelösten Wirbelschleppen die nachfolgende Maschine gefährden. Wird der vorgeschriebene Mindestabstand zwischen zwei Luftfahrzeugen unterschritten, liegt eine so genannte Staffelungsunterschreitung vor. Im Jahr 2012 wurden insgesamt 205 Staffelungsunterschreitungen im deutschen Luftraum registriert – etwa ein Viertel weniger als im Vorjahr, aber mehr als noch zu Anfang des Jahrtausends. Diese Zahl erscheint auf den ersten Blick sehr hoch. Allerdings sagt sie noch nichts darüber aus, ob tatsächlich ein Sicherheitsrisiko bestand oder nicht. Schließlich sind 28 transmission 2 – 2013 die Abstände bewusst groß gewählt. Selbst wenn beide Maschinen „nur“ 4,5 nautische Meilen Abstand hätten, wären sie immer noch gut acht Kilo­ meter voneinander entfernt. Jede einzelne Staf­felungs­unter­ schreitung wird deshalb vom Sicherheitsmanagement der DFS analysiert und mit Hilfe eines Punktesystems bewertet. Dabei werden drei Kategorien unterschieden: Ist die Unterschreitung nur gering und hat die Flugsicherung den möglichen Konflikt frühzeitig erkannt und zu seiner Lösung beigetragen, wird die Staffelungsunterschreitung als „nicht signifikant“ eingestuft. Je größer der Beitrag der Flugsicherung, desto schwerwiegender die Staffelungsunterschreitung. Sie wird dann als „signifikant“ oder sogar „sehr signifikant“ bewertet. Die Zunahme der Staffelungsunterschreitungen ist in erster Linie auf einen Anstieg der „nicht signifikanten“ Fälle zurückzuführen. Dazu hat vor allem eine verbesserte Melde­ kultur beigetragen. Denn die Lotsen wissen: Nur wenn sie auch minimale Abweichungen melden, besteht die Chance, mögliche Ursachen für Staffelungsunterschreitungen zu analysieren und zu beseitigen. Für zusätzliche Sicherheit sorgt das automatische Kollisionswarnsystem („Short Term Con- flict Alert“, STCA). Es hilft den Lotsen, Konflikte frühzeitig zu erkennen, und ist in der Lage, selbst kleinste Unterschreitungen der Mindestabstände zu registrieren. Runway Incursions Die Flugsicherung sorgt nicht nur in der Luft für Sicherheit: Die Towerlotsen kontrollieren an den Flughäfen die Starts, die Landungen sowie einen Teil des Rollverkehrs. Auch hier wird jede Abweichung genau registriert. Befindet sich ein Flugzeug, ein Fahrzeug oder eine Person in dem Sicherheitsbereich, der für Start oder Landung eines Luftfahrzeugs freigegeben ist, liegt eine sogenannte Runway Incursion vor. 2012 hat die DFS insgesamt 78 Runway Incursions registriert. Auch diese Zahl erscheint auf den ersten Blick sehr hoch. Allerdings gilt, ebenso wie bei den Staffelungsunterschreitungen: Die Zahl allein sagt noch nichts darüber aus, ob im Einzelfall tatsächlich eine Gefährdung vorlag oder nicht. Es ist aber wichtig, auch kleinste Verletzungen des Sicherheitsbereichs genau zu analysieren, um Ursachen erkennen und ähnliche Vorfälle in Zukunft verhindern zu können. Deshalb wird jede Runway Incursion von der DFS eingehend untersucht. Bei der Analyse zeigt sich, dass 2012 in drei Vierteln der Fälle die Cockpitbesatzung der beitragende Faktor war. Bei knapp zwölf Prozent trugen Fußgänger oder Fahrzeuge auf der Piste zu der Störung bei. Der Anteil der Fälle, die der DFS zugeordnet werden konnten, lag bei nur 2,5 Prozent. Luftfahrzeugannäherungen und Flugbewegungen 120 80 60 40 20 0 1975 1985 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Airprox Kategorie A Luftfahrzeug­ annäherungen Wenn es um die Sicherheit im Luftverkehr geht, spielt die Arbeit der Aircraft Proximity Evaluation Group (APEG) eine große Rolle. Dabei handelt es sich um eine unabhängige Expertengruppe, die unter der Verantwortung des Bundesverkehrsministeriums die sogenannten Luftfahrzeugannäherungen untersucht. Luftfahrzeugannäherungen sind alle Vorfälle, die von der Flugzeugbesatzung und den Fluglotsen als sicherheitsrelevant gemeldet werden – unabhängig davon, ob tatsächlich die Gefahr einer Kollision bestand. Ausschlaggebend ist allein, dass einer der Beteiligten die Sicherheit gefährdet sah. Im Jahr 2012 untersuchte die APEG insgesamt 36 Luftfahrzeugannäherungen. Drei davon stuften die Experten in die Kategorie A „Sicherheit nicht gewährleistet“ ein. In der Kategorie B („unmittelbare Gefährdung“) gab es keinen Fall. Bei den übrigen gemeldeten Fällen lag entweder keine Gefahr vor, oder aber das Risiko konnte wegen fehlender oder widersprüchlicher Informationen nicht ermittelt wer- Airprox Kategorie B Kontrollierte Flüge den. Außerdem untersucht die APEG, welche Faktoren zu den als relevant eingestuften Luftfahrzeugannäherungen beigetragen haben. Ein Beitrag der DFS wurde dabei nicht erkannt – und das bereits im vierten Jahr in Folge. Für die DFS ist dieses Ergebnis eine Bestätigung, dass das Sicherheits­ niveau im deutschen Luftraum sehr hoch ist – aber es ist keine Garantie für die Zukunft. Entscheidend ist deshalb, dass sich die DFS gemeinsam mit den Fluggesellschaften und Flughafenbetreibern bemüht, das Sicherheitsniveau immer weiter zu verbessern und es erst gar nicht zu einer Luftfahrzeugannäherung kommen zu lassen. Hier spielt die Analyse von Staffelungs­unterschreitungen und Run­way Incursions eine wesentliche Rolle. Quelle: DFS Kontrollierte Flüge in Tsd. 100 zienz definiert. Für einige dieser Bereiche wurden verbindliche 3500 Zielwerte festgelegt – zum Beispiel die Höhe 3000 der Streckengebühr, die die DFS für ihre 2500 Dienstleistung erhe2000 ben darf, oder das Ausmaß der Verspä1500 tungen. Für den wichti­ gen Bereich Safety gibt 1000 es noch keinen europaweit einheitlichen 500 Zielwert – dazu sind die Bewertungsmethoden sicherheitsrelevanter Vorkommnisse von Land zu Land viel zu unter­schiedlich. In einem ersten Schritt hat die EU die Flug­sicherungsorganisationen deshalb ­verpflichtet, innerhalb der ­ersten Regulierungsperiode, die bis 2014 läuft, ein sogenanntes „Risk Analysis Tool“ einzuführen. Auf diese Weise sollen vergleichbare Bewertungsmaßstäbe sichergestellt und die Voraussetzungen für die Einführung eines einheitlichen Zielwerts geschaffen werden. Unabhängig davon hat sich die DFS interne Zielvorgaben gesetzt. Der Zielwert im Streckenbereich liegt derzeit bei 1,25 Staffelungsunterschreitungen in den Kategorien „signifikant“ und „sehr signifikant“ pro 100.000 Flugbewegungen. Dieser Wert wird in den ersten drei Quar­talen 2013 deutlich unterschritten. Christopher Belz Safety-Kennzahlen Seit Anfang 2012 gilt für die Flugsicherungen in Europa eine Performance-Regulierung. Als wichtige Kern­bereiche, sogenannte Key Performance Areas, wurden Sicherheit, Kapazität, Umwelt und Kosteneffi- transmission 2 – 2013 29 Security Keine Chance für Risiken Die Infrastruktur der DFS unterliegt hohen sicherheitstechnischen Anforderungen. Der DFS Campus in Langen nimmt dabei eine besondere Rolle ein. Er verfügt als einzige DFS-Niederlassung über einen eigenen Werkschutz. D ie DFS gehört mit ihren Towern und den Kontrollzentralen in Bremen, Karlsruhe, Langen und München zur kritischen Infrastruktur des Luftverkehrs. Ihre Niederlassungen sind entsprechend gesichert – meist sind sie in die Security-Strukturen der Flughäfen mit eingebunden. Der DFS-Campus in Langen verfügt als einzige Niederlassung über einen eigenen Werkschutz. Dort befinden sich neben dem Center auch die Unternehmenszentrale, die Akademie, das Systemhaus, das Forschungszentrum und das neue Technologiezentrum. Werkschutz-Chef Gerd Sagerer ist seit einem halben Jahr bei der DFS und hat einen Entwurf für ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet. Es gibt ein paar Dinge, die man nach Meinung des neuen WerkschutzChefs besser machen könnte. Oft sind es scheinbare Nebensächlichkeiten, wie zum Beispiel offene Bürotüren. „Viele Mitarbeiter lassen ihre Büros in der Mittagspause oder nach Feierabend einfach offen“, sagt Sagerer. Wenn es darum geht, Sicherheitslücken in einem Unternehmen zu erkennen, macht dem 58-Jährigen niemand etwas vor: Bevor er zur DFS kam, leitete er die Airport-Security am Flughafen Frankfurt, den größten Werkschutz in Deutschland, insgesamt 31 Jahre lang war er als Security-­Spezialist des Flughafens tätig. Für die IHK Frankfurt und Rheinhessen sitzt er in der Prüfungskommission und ist zudem Mitglied in der Vereinigung für die Sicherheit der Wirtschaft e.V. Sein Vorgesetzter Volkmar Hartmann, SIS-Leiter für den Campus Langen, ist des Lobes voll, wenn er auf seinen neuen Werkschutz-Chef zu sprechen kommt: „Mit Herrn Sagerer ist uns ein Glücksgriff gelungen. Seine langjährige Erfahrung gibt uns die Möglichkeit, unser Sicherheitskonzept Gerd Sagerer (links), Leiter des Werkschutzes am Standort Langen, und sein Vorgesetzter Volkmar Hartmann (rechts) wollen das Bewusstsein der DFS-Mitarbeiter für das Thema Sicherheit auf dem Campus weiter schärfen. 30 transmission 2 – 2013 zu überprüfen und über Jahre eingeschliffene Abläufe neu zu hinterfragen.“ Schon bei seinem ersten Besuch auf dem DFS-Campus, als er zum Vorstellungsgespräch angereist war, fielen Sagerer einige Dinge auf, die ihn verblüfften. So ließ ihn das Sicherheitspersonal am zentralen CampusZugang ungehindert passieren, als er dort nach dem Weg zur Unternehmenszentrale fragte. „Niemand wollte meinen Ausweis sehen“, erinnert er sich. Das gehörte zum Konzept: Als Zeichen von Bürgernähe wurde der DFS-Campus bewusst offen gestaltet. Gerd Sagerer hat Werkzeugmacher gelernt. Zur Security-Branche kam er durch seinen Dienst bei der Militärpolizei, wo er eine Sicherheitsausbildung absolvierte. Während seiner Arbeit am Frankfurter Flughafen erlebte er als Einsatzleiter die Auseinandersetzungen um den Bau der Startbahn West ebenso wie das Bombenattentat auf das Terminal 1 und war bei mehreren Bombendrohungen sowie einer Flugzeugentführung als Sicherheitsverantwortlicher des Flughafens vor Ort. Diese Erfahrung gab den Ausschlag: „Herr Sagerer hat gleich bei seinen ersten Rundgängen auf dem Campus etliche Mängel erkannt, die jemandem ohne einen durch langjährige Praxis geübten Blick kaum aufgefallen wären“, sagt der SIS-Leiter. Von diesem geübten Blick hat mittlerweile schon mancher in der DFS profitiert: Sagerer schaut sich einzelne Bereiche an, benennt mögliche Sicherheitslücken, schreibt einen Bericht und macht Vorschläge, was man verbessern könnte, welche Maßnahmen dazu nötig wären und was das kosten würde. Oft geht es um ganz einfache Dinge, wie zum Beispiel die Aufbewahrung von Schlüsseln, das Schließen von Fenstern und Türen Überwachungstechnik in der Leitstelle des Notrufservice am zentralen Zugang zum DFS-Campus in Langen. Das technische Equipment für einen sicheren Campus befindet sich auf hohem Niveau. oder den Verzicht auf das Mobiltelefon bei wichtigen Besprechungen wegen der Abhörsicherheit. Ob die Führungskräfte seinen Vorschlägen folgen, liegt in deren Ermessen. Sie entscheiden letztlich, inwieweit sie mögliche Risiken vernachlässigen können. Die ersten 100 Tage DFS hat Sagerer genutzt, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Auf dieser Grundlage hat er eine detaillierte Sicherheitsanalyse erstellt und ein Konzeptpapier erarbeitet. Sein Fazit: „Wir können die Sicherheit auf dem Campus erhöhen, ohne dafür Geld auszugeben. Es ist alles vorhanden, was es dazu an Organisation und Equipment braucht.“ Ein erster Schritt wäre für ihn, wenn der Campus nachts und am Wochenende nicht mehr frei zugänglich wäre und wenn die Mitarbeiter ihre DFS-Ausweise auf dem Campus offen und gut sichtbar tragen – so, wie es in einer Richtlinie vorgeschrieben ist. Mögliche Neuerungen sollen behutsam und in enger Abstimmung mit den Mitarbeitervertretungen erfolgen. „Wir wollen den Mitarbeitern nichts aufzwingen“, betont Volkmar Hartmann. Statt dessen soll mit einer Awareness-Kampagne das Bewusstsein der Mitarbeiter für das Thema geschärft werden. Dass dort Bedarf besteht, weiß Sagerer aus vielen Gesprächen mit Mitarbeitern. Dabei erfuhr er von aus Büros verschwundenen Kaffeemaschinen und Laptops ebenso wie vom Diebstahl von 80 Kilo Kupfer und 100 Quadratmeter Trittschalldämmung auf der Baustelle des neuen Technikzentrums. „Mitarbeiter stellen des öfteren fest, dass Dinge aus dem Büro verschwunden sind“, sagt Sagerer. „Nur wird das oft gar nicht gemeldet.“ Anfang August erst spazierte ein Mann auf den Campus und stahl das angeschlossene Fahrrad eines DFSMitarbeiters im Wert von 1.100 Euro. Und im Mai war es einem Kriminellen aus Langen gelungen, über die Tiefgarage in die Unternehmenszentrale einzudringen. Dort entwendete er aus einer Handtasche die Geldbörse einer Mitarbeiterin, die ihr Büro für kurze Zeit verlassen hatte. Der Mann konnte zwar mit Hilfe des Sicherheitsdienstes im Foyer gestellt und an die Polizei übergeben werden, aber dass er ungehindert an die Geldbörse gelangen konnte, war kein Zufall: Die Tür des leeren Büros stand offen. Holger Matthies transmission 2 – 2013 31 Partner & Kunden Über die ­Grenzen Die DFS ist in einer Vielzahl von internationalen Gremien und Organisationen aktiv. Dort finden entscheidende Weichenstellungen für das Thema Safety statt. Den Einsatz der DFS-Spezialisten koordiniert der Bereich Internationale Angelegenheiten mit seinem Leiter Rüdiger Schwenk. D as Dokument ICAO DOC 9859 AN/474 ist ein zentrales Papier der internationalen Zivil-Luftfahrt-Organisation ICAO zum Thema Safety: Es enthält das Safety Management Manual (SMM) und umfasst 215 DIN A4-Seiten. Darin sind alle Empfehlungen der ICAO für die Standards zum Thema Sicherheit erfasst. „Diese Anforderungen sind Empfehlungen, die die Umsetzung der verbindlichen Standards unterstützen“, sagt Rüdiger Schwenk. In diesem Monat jedoch, im November 2013, bringt die ICAO einen neuen Anhang, den Annex 19, zum Thema Safety Management heraus. Die Annexe zum internationalen Luftfahrtabkommen sorgen für eine einheitliche Handhabung der verschiedensten praktischen Aspekte der Luftfahrt – sie haben verbindlichen Charakter und sichern damit festgeschriebene Standards für jedes Land im inter- nationalen Flugverkehr. Im Annex 19 sind alle Safety-Aspekte, die bislang in verschiedenen Dokumenten verstreut auftauchen, in einem Papier zusammengefasst. Sie sind nunmehr für die ICAO-Mitglieder offiziell bindend und haben nicht mehr nur empfehlenden, sondern normativen Charakter. Rüdiger Schwenk verantwortet bei der DFS den Bereich Internationale Angelegenheiten VE/I. Zuvor hat er sieben Jahre lang das DFS-Büro in Brüssel geleitet. Sein Bereich steuert und koordiniert die Mitarbeit der DFS in internationalen Gremien und Organisationen, in denen sich das Unternehmen mit fachlicher Expertise oder politisch engagiert. Zugleich koordiniert das VE/I-Team bereichsübergreifende Themen, zu denen es die Meinungen formuliert, die das Unternehmen dann nach Außen vertritt. „Die DFS ist international in über 100 Gremien vertre- Rüdiger Schwenk verantwortet den Bereich Internationale Angelegenheiten, der den internationalen Einsatz der DFS-Fachkräfte koordiniert. Foto: Melanie Bauer 32 transmission 2 – 2013 ten“, sagt Schwenk. Dazu zählen neben der ICAO Organisationen wie die CANSO (Civil Air Navigation Services Organization), die europäische Agentur für Flugsicherheit EASA, die europäische Flugsicherungsorganisation EUROCONTROL und eine ganze Reihe weiterer Organisationen. In allen geht es immer auch um SafetyFragen. Die CANSO ist die internationale Organisation der Flugsicherungsorganisationen, der ANSPs (Air Navigation Services Provider). Speziell für das Thema Sicherheit gibt es dort zwei Arbeitsgruppen – die CANSO European Safety Directors Group und – auf globaler Ebene – das CANSO Safety Standing Commitee. In beiden Gruppen ist die DFS durch Hans-Jürgen Morscheck vertreten, den Leiter des Bereichs Unternehmenssicherheitsmanagement VY (siehe dazu Beitrag auf den Seiten 6 bis 9). Beide Gruppen dienen als Plattform für den Austausch von Daten und Erfahrungen zwischen den ANSPs. Daneben erstellen sie Materialien, die zum einen den aktuellen Sachstand zu bestimmten Themen dokumentieren und zum anderen als Positionspapiere im Dialog mit anderen Organisationen verwendet werden. Zu denen gehören unter anderem die Gewerkschaften, denn die CANSO vertritt in Europa die ANSPs als Arbeitgeber auch im sozialen Dialog mit den Arbeitnehmerorganisationen. Dabei spielen Safety-Fragen eine wichtige Rolle, wie etwa beim Thema Just Culture. „Just Culture ist ein Thema, das die Gewerkschaften bewegt“, sagt Rüdiger Schwenk. „Dort wollen sie mit eingebunden werden.“ Deshalb hat die CANSO mit der Europäischen Transportarbeiter-Föderation ETF ein gemeinsames Positionspapier zu diesem Thema erarbeitet. Die CANSO ist zudem das Sprachrohr der ANSPs gegenüber staatlichen Organisationen wie der EU, EASA, ICAO oder EUROCONTROL. Zu diesem Zweck hat sie ein Regionalbüro für europäische Angelegenheiten gegründet und verfügt über eigenes Personal und eigene Strukturen auf CEO-Ebene. „Was immer an europäischen Entwicklungen für uns relevant ist, diskutieren wir zuerst auf der allgemeinen Ebene“, erklärt Schwenk. „Wenn wir der Meinung sind, dass etwas wichtig ist, rufen wir eine entsprechende Arbeitsgruppe ins Leben, in die wir unsere Spezialisten entsenden.“ Für das Thema Safety gibt es dazu unter der CEO-Ebene eine Ebene mit den Safety-Direktoren der einzelnen ANSPs, auch hier ist für die DFS der Leiter des Unternehmenssicherheitsmanagements Hans-Jürgen Morscheck zuständig. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist der Regulierungsentwurf SES 2+ der Europäischen Kommission zur Neustrukturierung des europäischen Luftraums. Dort ist Safety einer der vier Schlüsselbereiche im SES Performance Plan „Wir haben eine Struktur, die zum einen das Gesamtsystem erfasst und uns zum anderen die Arbeit auf Expertenebene ermöglicht und dieses konsistent zusammenführt“, betont Rüdiger Schwenk. In Staatenorganisationen wie ICAO, EUROCONTROL oder EASA kann die DFS auf zwei verschiedenen Wegen mitarbeiten: Einmal über ihre Mitgliedschaft in der CANSO und ein anderes Mal als Vertreter der Bundesrepublik im Auftrag des Bundesverkehrsminis- Der Flughafen Brüssel-Zaventem. Brüssel ist Sitz verschiedener Organe der Europäischen Union sowie der Flugsicherungsorganisation EUROCONTROL. Die DFS unterhält dort ein eigenes Büro. Foto: H. Matthies teriums (BMVBS). Das BMVBS kann die DFS anweisen, Experten als Berater in die Arbeitsgruppen bestimmter Gremien und Organisationen zu entsenden. Grundlage dafür ist eine Rahmenvereinbarung zwischen Ministerium und DFS aus dem Jahre 1993. Derzeit entwickelt die europäische Agentur für Flugsicherheit EASA neue Regularien für die Lizenzierung von Fluglotsen, die DFS arbeitet dabei über den Verband CANSO mit. „Das ist für uns relevant und bestimmte Aspekte dabei betreffen auch das Thema Safety zu“, erklärt Schwenk. Gemeinsam mit seinen Key Accounts koordiniert er den Einsatz der DFSSpezialisten auf den Fachebenen der internationalen ­Gremien. Wird die DFS bei einem Thema nicht vom BMVBS um Entsendung von Experten gebeten, prüfen Rüdiger Schwenk und seine Mitarbeiter: Hat die DFS ein Interesse? Ist das Thema für das Unternehmen von Bedeutung? Soll die DFS sich personell beteiligen oder reicht es, schriftlich Stellung zu nehmen? Oft fragen auch die Fachbereiche bei VE/I an, ob es Sinn hat, an bestimmten Sitzungen oder Veranstaltungen teilzunehmen. „Das wägen wir dann gemeinsam ab“, erklärt Schwenk. Damit sein Bereich immer genau weiß, wo überall DFS-Spezialisten im Einsatz sind, gibt es eine Vereinbarung, dass die Fachbereiche ihre Vertretung und ihr Engagement in den nationalen und internationalen Gremien bei VE/I anzeigen. Aufgabe von VE/I ist auch, die Fachbereiche auf aktuelle Entwicklungen hinzuweisen und sie zu aktivieren, sich mit diesen zu beschäftigen. Das gilt nicht zuletzt auch für das Thema Safety. „Luftverkehr ist international“, sagt Schwenk. „Deshalb brauchen wir internationale Standards. Und deshalb ist es wichtig, dass wir auf internationaler Ebene zusammenarbeiten.“ Holger Matthies Key Account ­Manager ­Internationale ­Angelegenheiten: Annette Bremes (EUROCONTROL) Maria Willert (EU und CANSO) Torsten Jacob (ICAO) Dr. Klaus-Dieter Ehrhardt (europäische Normungsorganisation ETSI) Andrea Gartemann (EASA) Gudrun Held (Büro Brüssel) Ralf Reiser (pflegt VEI-Portal sowie LSS-IP im Auftrag des BMVBS) transmission 2 – 2013 33 DFS intern Fünf-Punkte-Programm zur Leistungssteigerung Die DFS-Geschäftsführung hat ein Fünf-Punkte-Programm gestartet, um das Unternehmen wirtschaftlich und operativ leistungsfähiger zu machen. Ziel ist es unter anderem, bis zum Jahr 2019 die jährlichen Ausgaben um 100 Millionen Euro zu reduzieren. Das Programm konzentriert sich auf die fünf Punkte Personalwesen, Kapazität der Flugverkehrsdienste, Produktivitätssteigerung, Zusammenarbeit der Flugsicherungen in Europa und das preisfinanzierte Geschäft. Schwerpunkte des Programms sind die Effizienzsteigerung und die Kostensenkung. Knapp 1,1 Milliarden Euro gibt die DFS jedes Jahr aus, davon sind rund 800 Millionen Personalkosten. „Wir müssen uns auf die Kernaufgaben und Kernkompetenzen konzentrieren und den Personalbestand daran anpassen“, sagt der Vorsitzende der Geschäftsführung, Professor KlausDieter Scheurle. Die Geschäftsführung will die natürliche Fluktuation nutzen, um die Mitarbeiterkapazität bis 2019 zu reduzieren. Frei werdende Stellen werden nur noch nachbesetzt, wo es unbedingt notwendig ist. Betriebsbedingte Kündigungen sind nicht vorgesehen. In den vergangenen Jahren sind die Kosten der DFS erheblich stärker gestiegen als der Luftverkehr. Die DFS ist im europäischen Vergleich zwar sehr produktiv, aber auch sehr teuer. Die Gesamtkosten für die Bereitstellung der Flugsicherungsleistung pro Flugstunde sind überdurchschnittlich hoch. Die deutsche Flugsicherung ist teurer als andere vergleichbare europäische Flugsicherungsdienstleister. „Auch wenn wir den komplexesten Luftraum in Europa zu kontrollieren haben, müssen wir selbstkritisch eingestehen, dass wir in den vergangenen Jahren stetig steigende Kosten zu verantworten hatten“, sagt Professor Scheurle. „Das Fünf-Punkte-Programm wird dem entgegenwirken.“ red Lettische Flugsicherung LGS nutzt Anwendung der DFS für ihre Radaranlagen Die lettische Flugsicherung Latvijas Gaisa Satiksme (LGS) setzt zukünftig den Mode S Interrogator Code Conflict Alerter (MICCA) der DFS ein, mit dem Mode-S-Zielerfassungsprobleme der Radaranlagen in Echtzeit erkannt und dargestellt werden können. Die Anwendung ermöglicht insbesondere die Identifizierung so genannter Abfragecodekonflikte, die dazu führen, dass Luftfahrzeuge teilweise von einem oder mehreren Mode-SSensoren nicht erkannt werden. Damit erfüllt die LGS die Anforderungen der Europäischen Kommission aus Artikel 7, Verordnung 262/2009, die von Flugsicherungsorganisationen der Mitgliedsländer eine rechtzeitige und damit echtzeitnahe Erfassung solcher Abfragecode-Konflikte fordert. Die In- 34 transmission 2 – 2013 stallation der Anwendung, die Anpassung an die lokale Infrastruktur sowie die Schulung des Personals sollen im Februar 2014 abgeschlossen sein. Code verwenden. So werden Luftfahrzeuge möglicherweise von mindestens einem der Mode-S-Systeme im Überlappungsbereich nicht entdeckt. Die DFS-Anwendung MICCA erkennt sowohl falsche als auch verspätete und fehlende Mode-S-Zielerfassungen, wie sie beispielsweise bei Abfragecode-Konflikten auftreten. Diese entstehen, sobald zwei Mode-S-Sensoren mit überlappendem Abdeckungsbereich für die Zielerfassung denselben Die DFS nutzt die Eigenentwicklung MICCA seit 2010 zur Überwachung ihrer Mode-S-Anlagen. red Neue Leiter für die Center ­Langen und München Armin Beirle, bisher Leiter der Center-Niederlassung München, ist jetzt Leiter des Centers Langen. Sein Nachfolger in München ist Wolfgang Bretl, bisher Chief of Section im Center Karlsruhe. Der bisherige Leiter des Centers Langen, Thomas Hoffmann, hat die DFS verlassen, um Anfang 2014 in den Vorstand der Austro Control GmbH einzutreten. Impressum transmission Das Magazin der DFS Herausgeber: DFS Deutsche Flugsicherung GmbH Michael Kraft, Leiter Unternehmenskommunikation Redaktion: Sandra Ciupka (verantwortlich) Tel.: +49 (0)6103 707-4122 E-Mail: [email protected] Christopher Belz Tel.: +49 (0)6103 707-4121 E-Mail: [email protected] Holger Matthies Tel.: +49 (0)6103 707-4124 E-Mail: [email protected] Armin Beirle Wolfgang Bretl GBAS-Bauarbeiten im ­vollen Gang Die Bauarbeiten zur Errichtung der satellitengestützten Präzisionsanflughilfe „Ground Based Augmentation System“ (GBAS) am Flughafen Frankfurt gehen voran. Die Installation der Navigationseinrichtung am Boden wird von 2014 an erstmalig satellitengestützte Präzisionsanflüge an einem internationalen Luftverkehrsdrehkreuz in Europa ermöglichen. Die Errichtung von GBAS am Flughafen Frankfurt ist ein Partnerprojekt der DFS und Fraport. Mit der Umsetzung wird der internationale Modellcharakter des Rhein-Main-Airports in Sachen aktiver Lärmschutz unterstrichen und ein Punkt des Maßnahmenpaketes der Allianz für Lärmschutz umgesetzt. Fraport und DFS erhoffen sich von GBAS einen wichtigen Beitrag zu mehr Effizienz und zu lärmmindernden Anflugverfahren. Darüber hinaus könnten sich für Frankfurt positive kapazitive und wirtschaftliche Effekte ergeben. Das neue Landesystem soll langfristig auch segmentierte oder gekurvte Anflüge ermöglichen – mit dem positiven Effekt einer Lärmentlastung. red Rüdiger Mandry (­Schlussredaktion) Tel.: +49 (0)6103 707-4195 E-Mail: [email protected] Layout und Umsetzung: bsmediengestaltung, Egelsbach www.bsmediengestaltung.de Titelbild Idee und Umsetzung – bsmediengestaltung Bildnachweis bsmediengestaltung S. 9, 25, 27 Anschrift der Redaktion: DFS Deutsche Flugsicherung GmbH Redaktion ­transmission Am DFS-Campus 10 63225 Langen E-Mail: [email protected] Nachdruck nur mit Genehmigung. transmission 2 – 2013 35 NEUHEIT: DFS Pilot Line Von Piloten für Piloten entwickelt! Die Zubehörserie DFS Pilot Line ist speziell auf die Wünsche von Piloten ausgerichtet und besteht aus folgenden Produkten: – Flight Bag (Size S oder M) – Kniebrett – Kniebrett für iPad / iPad mini – Flight Cap Die Flight Bags bieten reichlich Platz für alles, was der Pilot im Cockpit benötigt. Herausnehmbare Unterteiler ermöglichen dem Piloten eine individuelle Aufteilung des großen Hauptfaches. Verschiedene Fächer des zweiteilig aufklappbaren Kniebretts bieten genügend Stauraum für Ihre ICAO-Karten, Karten aus der AIP VFR, Kursdreieck, Notizblock oder auch Ihr iPad. Die verstellbare Flight Cap ist die ideale Kappe für Headset-Träger, denn der Knubbel auf dem Kopf wurde weggelassen. Als Wiedererkennungsmerkmal schmückt ein abnehmbarer Button die DFS Pilot Line. Standardmäßig ist der Button mit dem DFS-Logo versehen, der jedoch nach Ihren Wünschen personalisiert werden kann. Ob Verein, Club oder Schule – wählen Sie Ihr eigenes Logo aus & schon ist die Tasche, Kniebrett oder die Kappe individualisiert. www.dfs-aviationshop.de | [email protected] | +49(0)6103/707-1205