Fakultät I Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik Fachgebiet Geschichte Wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des akademischen Grades eines Magister Artium (M.A.) Die kriegerischen Einfälle der Hussiten in die Markgrafschaft Brandenburg und die Lausitz unter besonderer Betrachtung des Feldzuges im April 1432 Eingereicht von: Stefan Sacharjew (Matrikelnummer: 210661) Berlin, 6. August 2010 Im Fach mittelalterliche Geschichte bei Professor Doktor Wolfgang Radtke Inhaltsverzeichnis Einführung........................................................................................................................2 I. Die Mark Brandenburg und die Niederlausitz............................................................5 2. Brandenburg und Niederlausitz im frühen 15. Jahrhundert......................................5 2.1 Brandenburg: Luxemburger und Quitzows. 5 2.2 Die Niederlausitz.........................................8 3. Wirtschaftliche und soziale Strukturen......................................................................9 4. Friedrich I. von Hohenzollern.....................................................................................11 II. Das Heerwesen während der Hussitenkriege...........................................................14 5. Kriegsführung des Kreuzfahrerheeres.......................................................................14 5.1 Der erste Kreuzzug: Niederlage des traditionellen Feudalheeres...................................................14 5.2 Wiederaufbau des Heeres: Bewaffnung, Reichsaufgebote und Hussitenpfennig........................................19 6. Kriegsführung der Hussiten.......................................................................................25 6.1 Die Grundlagen des hussitischen Heerwesens..................25 6.2 Ausrüstung, Ordnung und Taktik der Hussiten...................29 III. Die Kriegszüge nach Brandenburg und in die Niederlausitz................................35 7. Die herrlichen Fahrten (spanile jizdy)......................................................................35 7.1 Das Ende des dritten Kreuzzuges und die ersten Einfälle der Hussiten....................................................35 7.2 Die Feldzüge von 1429 und 1430 ............39 8. Der Feldzug gegen Brandenburg im Frühjahr 1432..................................................49 8.1 Von Taus nach Eger..................................49 8.2 Der Einfall in die Lausitz und die Mark Brandenburg im März und April 1432..................................................52 9. Das Ende der Hussitenkriege Basel, Lipany, Iglau..................................................60 Schlussbetrachtungen....................................................................................................63 Bibliographie..................................................................................................................66 Abbildungsverzeichnis:.................................................................................................69 1 Einführung Am 6. Juli 1415 wurde der böhmische Magister, Rektor, Priester und Reformer Jan Hus auf dem Konstanzer Konzil wegen seiner Lehren und seiner Kritik an der Kirche als Ketzer verurteilt und noch am gleichen Tag auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Damit begann in Europa eine Phase des politischen und militärischen Kampfes zwischen den Anhängern des Jan Hus, die später Hussiten genannt werden sollten, und der katholischen Partei, geführt vom deutschen König und späteren Kaiser Sigismund. In den Jahren nach der Verbrennung des Jan Hus spitzte sich die Situation in Böhmen zu. König Wenzel war nicht in der Lage, das aufkeimende hussitische Lager im Zaum zu halten. Nach seinem Tod war das Feuer geschürt. Am 30. Juli 1419 kam es in Prag zum Aufstand. Nachdem Hussiten in das Neustädter Rathaus eingedrungen waren, warfen sie die Ratsherren aus dem Fenster. Der erste Prager Fenstersturz war der Beginn der Hussitenkriege. Von 1419 bis 1436 kämpften Hussiten und Katholiken in Böhmen und den benachbarten Gebieten Deutschland, Schlesien, Österreich, Mähren, der Slowakei und sogar auf dem Deutschordensland gegeneinander. Den Hussiten ging es dabei um die Durchsetzung der vier Prager Artikel: Freiheit für die Predigt, Freiheit für den Kelch, Freiheit von säkularer Kirchenherrschaft und Freiheit von ungerechter weltlicher Herrschaft. Die katholische Seite hatte sich das Ziel gesetzt, die ketzerische Bewegung zu zerschlagen. Während der Hussitenkriege entstanden eine Vielzahl von politischen und militärischen Neuerungen. Die Kriegführung der Hussiten war revolutionär. Die katholische Seite musste sich der neuen Art des Krieges immer wieder geschlagen geben und nach möglichen Antworten suchen. Dennoch wird diese Epoche in der Geschichtswissenschaft immer noch spärlich behandelt. Lediglich die tschechischen Historiker befassen sich umgehend mit diesem Thema, wobei die meisten Arbeiten in tschechischer Sprache verfasst, aber nicht übersetzt wurden. Dabei geht es aber stets um die politischen Aspekte, um den revolutionären Charakter der hussitischen Bewegung und um die vor allem Böhmen betreffenden Ereignisse. Ab 1427 kam es innerhalb der Kriege zu einer Wende. Die Hussiten begannen in die benachbarten 2 Gebiete einzufallen, der Krieg überschritt die böhmische Grenze. Das Interesse an diesen Feldzügen scheint in der Geschichtswissenschaft jedoch nur zweitrangig. Man untersuchte stets das gesamte Konstrukt und dabei die Feldzüge im Bezug auf den Verlauf der hussitischen Bewegung. Die vorliegende Arbeit soll einige der außerböhmischen Kriegsereignisse behandeln. Genauer gesagt, die Einfälle der Hussiten in die Markgrafschaft Brandenburg und die Lausitz. Dabei soll ein Feldzug besonders Betrachtung finden. Im April 1432 fiel ein hussitisches Heer in Brandenburg ein, verwüstete innerhalb einiger Wochen die Gebiete zwischen Frankfurt/Oder und Bernau und kehrten dann nach Böhmen zurück. Die Geschehnisse im April 1432 sollten für die Identität der Brandenburger - und vor allem der Bernauer - von großer Bedeutung werden. Legenden und Feste konnten sich bis zur Gegenwart halten. Von einer offenen Feldschlacht und der größten Niederlage der Hussiten außerhalb Böhmens ist die Rede. Erst Ende des 19. Jahrhunderts konnte diese Legende widerlegt werden. Dennoch blieben viele Fragen offen, die diesen Feldzug betreffen. Die wichtigste Frage ist die nach dem Grund für den Einfall. Verschiedene Theorien und Ansätze wurden diskutiert, blieben aber weitestgehend offen. Der Grund dafür ist der Quellenmangel. Nur wenige Briefe und Urkunden, vor allem von den Städten der Oberlausitz und der Mark Brandenburg, sind aus der Zeit des Aprilzuges erhalten geblieben. Die meisten davon wurden Ende 19. Jahrhundert von Frantisek Palacky 1 und Anfang des 20. Jahrhunderts von Richard Jecht2 editiert. Die Chroniken geben ebenfalls kaum Aufschluss über die Ereignisse in Brandenburg. Von hussitischer Seite ist außer einem Brief von Friedrich von Straßnitz kein Zeugnis überliefert. Das zweite große Problem bei der Betrachtung des Aprilfeldzuges kommt in der bisherigen wissenschaftlichen Bearbeitung dieses Themas auf. Es gibt genau drei Arbeiten, die sich mit dem Aprilfeldzug befassen. Die erste Arbeit von Sello aus dem Jahr 1882 räumte mit der Feldschlachtslegende auf. Die zweite Arbeit von Max Goerlitzer aus dem Jahr 1891 versuchte den Hergang des Feldzugs zu rekonstruieren. Mit der dritten Arbeit von Richard Jecht aus dem Jahr 1911, die sich eigentlich mit den Oberlausitzer 1 Palacky, Frantisek: Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges in den Jahren 1419-1436, Prag 1873 2 Jecht, Richard (Hg.): Codex Diplomaticus Luatiae superioris (CDL) Görlitz 1902. 3 Hussitenkriegen befasst, aber unter Beachtung der Arbeiten von Sello und Jecht auf die Ereignisse im April 1432 eingeht, ist das Kontingent ausgereizt. Alle folgenden Arbeiten beziehen sich stets auf einen dieser drei Autoren. Hauptsächlich werden Jecht oder Goerlitzer zitiert, da Sello ja in beiden Arbeiten aufgeht. In erster Linie soll geklärt werden, was die Hussiten dazu veranlasste diesen Feldzug zu führen und warum dieser Zug nach Brandenburg führte. Drei Haupttheorien wurden aufgestellt. Die erste besagt, dass die Hussiten nach Brandenburg gingen, um es auszuplündern und ihr hungriges Heer zu ernähren. Die zweite Theorie geht von einem Rachefeldzug gegen den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich I. aus, da dieser als Oberbefehlshaber der Kreuzfahrer einer der Hauptgegner der Hussiten war. Die dritte Theorie wiederum will in dem Aprilfeldzug lediglich eine Machtdemonstration der radikalen hussitischen Bruderschaften im Bezug auf anstehende Verhandlungen in Eger im Mai 1432 sehen. Um diesen Theorien näher nachzugehen, werden im ersten Teil der Arbeit die Verhältnisse in Brandenburg und der Lausitz im frühen 15. Jahrhundert betrachtet. Denn nur mit einer Grundkenntnis über die wirtschaftlichen und politischen Strukturen dieser Gebiete kann man erwägen, inwiefern diese Theorien der Wahrheit entsprechen. Dabei sollen im ersten Abschnitt die Mark und die Niederlausitz im 15. Jahrhundert auf politischer Ebene betrachtet werden. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Strukturen Brandenburgs, um festzustellen, ob die Sandbüchse Brandenburg ein lohnendes Gebiet für einen Plünderungszug darstellt. Der dritte Abschnitt beschäftigt sich mit dem Werdegang Friedrichs I., um die Person selbst kennenzulernen. Leider ist der Forschungsstand bei Friedrich I. genauso veraltet wie bei den Feldzügen. Erst im Mai 2010 erschien zwar eine Biographie über Friedrich, der Autor bezieht sich allerdings hauptsächlich auf Arbeiten aus dem 19. Jahrhundert. Der zweite Teil der vorliegenden Arbeit befasst sich mit dem Heerwesen und der Kriegsführung der gegnerischen Parteien. Dies geschieht aus dem einfachen Grund, dass man die Durchführung der Feldzüge besser verstehen und einschätzen kann, wenn man sich mit der Taktik der Krieg führenden Heere auseinandersetzt. Marschgeschwindigkeiten, taktische Winkelzüge und Strategien sind von enormer Wichtigkeit bei der Betrachtung der Hussitenkriege, vor allem, da eine völlig neue Art 4 der Schlachtführung durch die Hussiten ihren Siegeszug begann: die Wagenburg. Der dritte Teil beschäftigt sich dann mit den Feldzügen. Der erste Abschnitt soll die Einfälle vor dem April 1432 darstellen. Dabei werden vor allem die Züge in die Lausitz betrachtet. Die dabei gezeigte Chronologie der Ereignisse soll helfen den Weg der Ereignisse bis zum April 1432 zu verstehen, um daraufhin klären zu können, was zum Einfall in die Mark führte. Der zweite Abschnitt befasst sich dann ausführlich mit den Geschehnissen im April 1432. Dabei soll festgestellt werden, dass die bisherigen Theorien als ein Ganzes gesehen werden müssen, um die Ereignisse rekonstruieren zu können, dass also alle oben genannten Möglichkeiten zu einem Bild verschmelzen müssen. Die bisherige Forschung schloss oftmals eine Theorie zu Gunsten der anderen aus oder verwies auf Jecht beziehungsweise Goerlitzer. Außerdem soll der Frage nach der hussitischen Führerschaft während des Feldzuges nachgegangen werden. Dies ist deshalb von Belang, da die Durchführung des Feldzuges und in diesem Zusammenhang die Theorie im Bezug auf die Verhandlungen in Eger mit der Teilnahme Prokops des Großen steht oder fällt. War er dabei, erklärt es die Kürze des Feldzuges und die Schnelligkeit des hussitischen Abzuges aus Brandenburg, da er nach Eger musste. In diesem Zusammenhang wird eine weitere Möglichkeit für den Feldzug in Betracht gezogen. 1432 waren die radikalen Bruderschaften stark zerstritten. Um den katholischen Verhandlungspartner aber die Möglichkeit zu geben, den Konflikt zu ihrem Vorteil zu nutzen, sollte mit dem Zug durch Brandenburg Einigkeit und Kraft bewiesen werden. Der letzte Abschnitt soll einen kurzen Überblick über das Ende der Hussitenkriege geben, um zu klären, ob der Feldzug von 1432 auf Dauer erfolgreich war. Der gesamte Überblick soll auch dazu dienen festzustellen, inwieweit die Angst vor den Hussiten die Kriegsführung und das Bewusstsein der katholischen Staaten beeinflusste. I. Die Mark Brandenburg und die Niederlausitz 2. Brandenburg und Niederlausitz im frühen 15. Jahrhundert 2.1 Brandenburg: Luxemburger und Quitzows Mit dem Vertrag von Fürstenwalde von 13733 trat Otto V. der Faule die Mark 3 Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 1574 5 Brandenburg für 500.000 Gulden an Karl IV. ab. Damit ging diese in den Besitz der Luxemburger über. Die Mark Brandenburg bestand aus den fünf Gebieten: Altmark, Prignitz, Mittelmark, Uckermark und der Neumark. Im Oktober desselben Jahres belehnte Karl IV. seine Söhne Wenzel, Sigismund und Johann „zur gesamten Hand mit Brandenburg“.4 Bereits 3 Jahre später, Anfang 1376, belehnte Karl IV. seinen Sohn Sigismund mit der Mark Brandenburg und ließ ihm dort von den Ständen huldigen.5 Obwohl im Vertrag von Fürstenwalde Otto V. die Kurwürde auf Lebenszeit zuerkannt wurde, war es Sigismund, der bei Wenzels Wahl zum römischen König 1376 seine Stimme abgab. Nach dem Tod Karls IV. 1378 hielt sich Sigismund abwechselnd in Brandenburg und Ungarn auf, wo er als Bräutigam Marias, der Tochter des ungarischen Königs Ludwig I. , mit der er 13806 verlobt wurde, auf die ungarische Krone vorbereitet werden sollte. Sich mehr und mehr auf die ungarische Krone konzentrierend, verpfändete Sigismund 1385 die Altmark an seine Vettern Jobst und Prokop und trat die Mark Brandenburg an seinen Bruder Wenzel ab.7 1388 wurde die Mark samt der Kurfürstenwürde für 565.263 Gulden wieder an Jobst von Mähren verpfändet. Die Neumark ging 1402 an den Deutschen Orden als Pfand und 1429 in dessen Besitz über. 1397 setzte Jobst Sigismund als Erben ein, nachdem die Herrschaft über die Mark Brandenburg endgültig in dessen Hände gekommen war. Die Herrschaft Karls IV. bedeutete für Brandenburg eine kurze Blütezeit, in der unter anderem Tangermünde zur Residenzstadt ausgebaut und der Landfrieden wieder hergestellt wurde. Nach den wirtschaftlich und sozial desaströsen Jahren im Anschluss an die großen Pestepidemien Mitte des 14. Jahrhunderts war Brandenburg auf die Hilfe eines starken Herrschers angewiesen. 1375 ließ Karl IV. zudem das Landbuch erstellen, ein detailliertes Verzeichnis der Brandenburgischen Städte und Dörfer und deren Abgaben. Unter Jobst dagegen begann wieder der Abstieg der Mark, wirtschaftlich wie politisch. Die Sicherheit des Landfriedens war nicht mehr gewährleistet, was zum Ende 4 Baum, Wilhelm: Kaiser Sigismund - Hus, Konstanz und Türkenkriege, Graz 1993, S. 18. 5 Ebd. S. 22. 6 Aschbach, Joseph von: Geschichte Kaiser Sigmunds, Bd. 1, Aalen 1964, S. 9. 7 Baum, S. 26. 6 des 14. Jahrhunderts Ritterfamilien wie den Quitzows8, einem Rittergeschlecht aus der Prignitz, die Möglichkeit gab ihre Macht auszubauen und mit Gewalt durchzusetzen. Der von Jobst eingesetzte Landeshauptmann Lippold von Bredow lag in ständiger Fehde mit dem Erzbischof von Magdeburg, Albrecht III. von Querfurt.9 So wurde 1394 Rathenow durch den Erzbischof belagert und eingenommen, jedoch zwei Jahre später durch Lippold von Bredow zurückerobert. Seiner eigentlichen Aufgabe als Landesverweser kam er jedoch nicht nach.10 Im Jahr 1400 übergab Lippold von Bredow sein Amt an seinen Schwiegersohn Johann von Quitzow. Wie Wusterwitz in seiner Chronik beschreibt, wurden die Hoffnungen des Brandenburgischen Volkes je zunichte gemacht.11 So ließ Quitzow bereits 1401 die Fehde mit dem Erzbischof von Magdeburg wieder aufleben und beutete, um die Fehde unterhalten zu können, die Mark aus.12 Während Jobst dem nichts entgegenzusetzen hatte, nutzen nun weitere Ritter Brandenburgs geschwächte Lage aus, um über Dörfer und Städte herzufallen. Die Quitzow'schen Brüder Johann und Dietrich taten sich dabei besonders hervor.13 Nach und nach erwarben sie die Schlösser und Burgen Plaue, Köpenick, Friesack, Teupitz, Strausberg, Rathenow, Neustadt/Dosse und weitere. 1402 zog Dietrich plündernd durch den Barnim, wobei Strausberg und umliegende Dörfer „genommen und angesteckt“ 14 wurden. Jobst verlegte sich mehr und mehr auf reines Geldeintreiben. 1403 kam er in die Mark, sammelte die Steuern ein, um sich daraufhin sofort wieder nach Mähren zurückzuziehen und die Märkischen Bewohner weiterhin dem Willen und Unwillen der 8 Des weiteren seien genannt: von Arnim, von Bredow, Gans von Putlitz, von Rochow und von Stechow 9 Vgl.: Engelbert Wusterwitz: Berichte über Ereignisse seiner Zeit, in: Riedel, Adolf Friedrich: Codex Diplomaticus Brandenburgensis (im folgenden CDB), IV. Hauptteil, S. 23ff 10 Flocken, Jan von: Friedrich I. von Brandenburg – Krieger und Reichsfürst im Spätmittelalter, Berlin 2009, S. 60. 11 „Denn da die Märcker verhoffeten, Johan von Quitzaw solte in abwesen des Markgrafen Jodoci zu glück der Marck zu inen kommen sein; so haben sie es doch viel anders befunden, daß er den Vater aufs angeborner Natur in allen sitten nicht allein nachgeahmet, besondern noch weit übertroffen.“ CBD IV. S. 27. 12 Ebd. 13 Ebd. Sowie: Flocken, S. 61ff 14 CBD IV. S. 29. 7 Quitzows auszuliefern.15 Nachdem sich 1404 auch Berlin und Cölln den Quitzows unterstellen mussten16, schien ihnen niemand mehr etwas entgegenstellen zu können. Sie plünderten, überfielen und raubten in den nächsten Jahren wie es ihnen passte.17 Brandenburg hatte seit der Zeit der Wittelsbachischen Herrschaft kaum eine Periode des Aufschwungs erlebt. Selbst die fünf Jahre unter Karl IV. konnten den erhofften Aufschwung in der Mark nicht bringen. Nach Pest, schwachen Markgrafen und ausbeutenden Ritterfamilien sollte mit den Kriegszügen der Hussiten eine weitere Katastrophe über die Mark hereinbrechen. Jobst von Mähren starb 1411, sein Erbe Sigismund setzte noch im selben Jahr den Nürnberger Burggrafen Friedrich von Hohenzollern als Statthalter in der Mark ein. 2.2 Die Niederlausitz Am 8. August 1353 gingen mit dem Vertrag von Luckau die Lausitzer Gebiete in den Pfandbesitz der Wettiner über. Karl IV. war daran interessiert, diese Gebiete in sein böhmisches Herrschaftsgebiet einzubringen und schloss deshalb mit den Wittelsbachern, die nicht in der Lage waren den Pfand auszulösen, eine Erbvereinbarung, nach der die Lausitz in Wenzels Besitz übergehen sollte.18 Am 11. Oktober 1367 kaufte er die Lausitz für 21.000 Mark Silber und 21.000 Schock Prager Groschen.19 Am 1. August 1370 besiegelte er die endgültige Übernahme der Lausitz in das Herrschaftsgebiet der böhmischen Krone. Wie in Brandenburg setzte sich Karl IV. auch in der Niederlausitz für einen wirtschaftlichen Aufschwung ein. Kurz vor seinem Tod teilte er die Niederlausitz unter Wenzel und Johann auf. Nach Karls Tod kam es in der Niederlausitz ähnlich wie in Brandenburg zum Aufstieg einiger Familien. 1382 beanspruchten die Brüder der Familie Biberstein Beeskow und Storkow für sich 15 Ebd. S. 30. 16 Flocken, S. 63. 17 Die Liste an Quitzow'schen Gräueltaten bei Wusterwitz nimmt ganze Seiten ein, prägend aber scheint der Satz: „ist das Land widerumb voller Räuber worden, also daß je näher jemand der Marck kommen, je fährlicher er gereiset und gewandert hat.“ CDB IV. S. 34. 18 Lehmann, Rudolf: Geschichte der Niederlausitz, Berlin 1963, S. 64f. 19 Ebd. 8 und bekamen nach kurzer kriegerischer Maßnahme diese Gebiete zugesprochen.20 In den darauf folgenden Jahren konnten sie zudem die Herrschaften Forst, Triebel und Schloß und Stadt Sommerfeldt in Besitz nehmen. Johann starb 1396, worauf Wenzel Herr über die gesamte Lausitz wurde. Bereits ein Jahr später überschrieb er die Oberlausitz an Jobst von Mähren, die bis zu dessen Tod 1411 in seinem Besitz blieb. Unter der Herrschaft Jobsts gedieh das Raubrittertum in der Niederlausitz. Hans von Cottbus war hier ähnlich wie die Quitzows in Brandenburg eifrig bei der Sache. 21 Das Land wurde von Fehden heimgesucht. Als Sigismund 1419 zum Herrscher der Lausitz wurde, dauerten diese Fehden noch an. Am 6. September 1422 verpfändete er das „Fürstentum zu Lausitz“22 an den Landvogt Hans von Polenz. Bis zu seinem Tod im Januar 1437 blieb die Lausitz im Besitz des Hans von Polenz. 3. Wirtschaftliche und soziale Strukturen Die wichtigste Quelle für die Brandenburgische Wirtschaft in 14. und 15. Jahrhundert ist das Landbuch Karls IV. von 1375.23 Darin wurden sämtliche Besitzungen und deren Abgaben aufgelistet. So ist die jährliche Orbede24 in böhmischen Groschen für die märkischen Städte wie folgt angegeben: Altlandsberg: 17 Schock Berlin / Cölln: 170 Schock Bernau: 34 Schock Brandenburg: 45 Schock 20 Ebd. S. 69. 21 Ebd. S 71. 22 Ebd. S 73. 23 Fidicin, Ernst (Hg.): Kaiser Karls IV. Landbuch der Mark Brandenburg – nach den handschriftlichen Quellen, Berlin 1856. 24 Orbede: Laut Kruenitz Oeconomischer Encyclopaedie: Eine gewisse Abgabe. Siehe: Oeconomische Encyclopaedie Online, online Abrufbar unter: http://www.kruenitz1.uni-trier.de 9 Eberswalde: 34 Schock Köpenick: 5 Schock Kyritz: 56 Schock Potsdam: 3 Schock Pritzwalk: 56 Schock Rathenow: 16 Schock Spandau: 22 Schock Strausberg: 68 Schock Tangermünde: 45 Schock Für Frankfurt ist keine Orbede angegeben, stattdessen der Hinweis: „Si dominus aliquit ibi habet, queratur numerus iste,“25 an anderer Stelle „Orbetam non dat.“26 Frankfurt war demnach von der Orbede befreit. Vergleicht man diese Abgaben mit böhmischen Steuerlisten, bei denen von 22 Städten ein Durchschnitt von etwa 137 Schock böhmische Groschen pro Stadt aufgelistet ist27, lässt sich der wirtschaftliche Unterschied beider Regionen nicht leugnen. Die als Sandbüchse bekannte Mark Brandenburg befand sich am Ende des 14. Jahrhunderts in einer landwirtschaftlichen Misere, aus der die Bevölkerung erst im 15. Jahrhundert wieder Aufschwung erfuhr.28 Seit dem 14. Jahrhundert trat eine vermehrte Wüstung auf dem Land auf. Viele Bauern- und Kossätenhöfe, aber auch Dörfer wurden zu Gunsten der Stadtflucht aufgegeben. Im neumärkischen Landbuch von 1337 wurden bereits ein Drittel aller Hufen als nicht bestellt aufgelistet, während für die Uckermarck, dem Landbuch Karls IV. zufolge, bereits 50% der Hufen als Wüstungen angegeben wurden. Für die Altmark galten ähnliche Ausmaße, während die Mittelmark erst wenige Wüstungen aufzuweisen hatte.29 In Teltow und Barnim setzte die Wüstungsentwicklung sogar erst im 15. 25 Fidicin: S. 17. 26 Ebd.: S. 28. 27 Vgl.: Smahel, Frantisek: Die Hussitische Revolution Bd. I, Hannover 2002, S. 142, Tabelle III. 28 Vgl.: Assing, Helmut: Die Veränderung in den Sozialbeziehungen. Neuansätze und Krisensymptome in Wirtschaft, Verfassung und Rechtsprechung, in: Materna, Ingo / Ribbe, Wolfgang (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995, S. 152. 29 Vgl.: Helbig, Herbert: Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg, Berlin 1973, S. 78ff. 10 Jahrhundert ein.30 Während für das frühe 14. Jahrhundert die großen Pestepidemien für den landwirtschaftlichen Abstieg verantwortlich zeigten, müssen für die späteren Jahrzehnte andere Faktoren von Bedeutung gewesen sein. Die märkischen Sandböden waren schnell erschöpft und konnten unter den anhaltenden landesherrschaftlichen Problemen kaum so bewirtschaftet werden, dass der Wüstungsbildung entgegengewirkt werden konnte. Wie wichtig allerdings die ökonomische Qualifikation der Landes- wie Grundherren war, zeigt das Beispiel des Klosters Chorin, dessen umliegende Dörfer keine Wüstungen aufwiesen, sogar voll besetzt waren.31 Die Zisterzienser wiesen ein wirtschaftliches Geschick auf, das nicht nur dem vermeintlich schlechten Boden, sondern auch städtischer Preispolitik32 sowie der grundherrschaftlichen Willkür entgegenwirken konnte. Dennoch gab es wenig solche Beispiele, um der Aufgabe von Dörfern und Kulturlandschaften in der Mark Einhalt gebieten zu können. Während die Agrarkrise auf dem Land zum Ende des 14. Jahrhunderts zunahm, beschleunigt durch die Raubzüge derer von Quitzow und der anderen märkischen Ritterfamilien, setzte eine Landflucht ein und so konnte sich die städtische Wirtschaft ungeachtet der ländlichen Probleme langsam weiterentwickeln. Noch im 14. Jahrhundert kam es so zwischen Stadt und Land zu einer wirtschaftlichen Diskrepanz. Die Städte nutzten diese Diskrepanz, um auf die Preise der landwirtschaftlichen Erzeugnisse Einfluss zu nehmen und diese zu ihrem eigenen Vorteil niedrig zu halten.33 Der Aufschwung der Städte sollte während der Zeit der Hussitenkriege zu einem Konflikt mit Markgraf Johann von Brandenburg führen, der ihn so sehr schwächen sollte, dass er beim Einfall der Hussiten 1432 nicht in der Lage war, eine erfolgreiche Gegenwehr zu organisieren. 4. Friedrich I. von Hohenzollern Friedrich I. von Hohenzollern sollte der Begründer der brandenburgischen Hohenzollerndynastie werden, die seit dem 17. Jahrhundert das Land soweit aufbaute, 30 Assing, S. 153. 31 Enders, Lieselott, Die Uckermark – Geschichte einer kurmärkischen Landschaft von 12. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1992, S. 124. 32 Assing, S. 153. 33 Ebd. 11 dass die brandenburgische Geschichte im Königreich Preußen ihren Höhepunkt erreichen sollte. Nach dem Tod seines Vaters 1398 wurde Friedrich als Friedrich VI. zum Burggrafen von Nürnberg.34 In dieser Position sollte er für Sigismund zum Königsmacher werden. Während der Regentschaft Ruprechts sank die königliche Autorität und Unmut machte sich in den Kreisen der Kurfürsten breit. Ruprechts Tod am 18. Mai 1410 verschonte ihn möglicherweise vor dem gleichen Schicksal der Absetzung wie 10 Jahre zuvor Wenzel.35 Kurz nach dessen Tod Ende Juli 1410 begann Friedrich im Auftrag Sigismunds mit den Verhandlungen um die deutsche Krone.36 Mit dem Erzbischof von Trier Werner von Falkenstein und dem Pfalzgrafen Ludwig III. wurde Friedrich schnell einig. Probleme machten die Erzbischöfe von Mainz und Köln und vor allem Jobst von Brandenburg, der auf seine Stimme als Kurfürst bestand. 37 Die Uneinigkeit der Fürsten führte in Frankfurt/Main am 20. September zu einer Königswahl Sigismunds durch Werner von Falkenstein, Ludwig III. und Friedrich VI. 38 als Repräsentant Sigismunds und somit der brandenburgischen Kurwürde, denn, so Friedrichs Argumentation: Jobst hatte zwar das Land, aber nicht die Kurwürde gepfändet.39 Die Antwort der anderen Kurfürsten folgte am 1. Oktober ebenfalls in Frankfurt. Die Erzbischöfe von Mainz und Köln wählen Jobst zum König, der sich als vermeintlicher Kurfürst von Brandenburg die eigene Stimme gab. In diese Situation mischte sich dann auch noch Wenzel, der sich als legitimer König sah und gegen seine Absetzung von 1400 angehen wollte. Damit hatte das deutsche Reich drei vermeintliche Könige gleichzeitig.40 Am 18. Januar 1411 starb Jobst. Friedrich begann erneut mit den Verhandlungen und erreichte, dass Wenzel auf die Krone verzichtete. Am 21. Juli 1411 wurde Sigismund dank der Arbeit Friedrichs einstimmig zum römisch-deutschen König 34 Flocken, S. 35 Engel, Evamaria / Holtz, Eberhard (Hg.): Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, Leipzig 1989, S. 340. 36 Ebd. S. 342. 37 Ebd. 38 Die Königswahl fand auf dem Friedhof hinter der Bartholomäuskirche statt, was zur Vers führte: „In Frankfurt hinderm chor, habent gewelt ein kunig ein chind und ein tor.“ siehe Baum, S. 78. 39 Flocken, S. 55. 40 Engel/Holtz, S. 342. 12 gewählt und am 5. November 1414 gekrönt. Als Dank erhielt Friedrich die Verweserschaft über Brandenburg.41 Als Friedrich im Juni 1412 in Brandenburg eintraf, sah er sich nicht nur mit den unruhigen Zuständen in der Mark, sondern auch mit der Opposition der brandenburgischen Familien konfrontiert. Auf einer Ständeversammlung am 10 Juli in Brandenburg an der Havel verkündete er, dass „das Recht gestärket und das Unrecht gekränkt“ werde.42 Die nächsten zwei Jahre nutzte Friedrich dazu, Brandenburg zu befrieden. In mehreren Feldzügen gegen die Quitzows schwächte er deren Macht, bis er sie im Februar 1414 bei Friesack besiegte.43 Nun kehrte er zurück zu Sigismund, auf dem Konstanzer Konzil kam es zum Eklat mit Johannes XXIII. und Herzog Friedrich IV. von Österreich-Tirol44 Der Burggraf von Nürnberg wurde beauftragt den flüchtigen Johannes XXIII. gefangen zu nehmen. Am 30. April 1415 verkündete Sigismund, dass er Friedrich von Hohenzollern zum Kurfürsten von Brandenburg ernennen wolle.45 In den nächsten Jahren war Friedrich nicht nur mit Brandenburg beschäftigt, sondern in erster Linie mit seinem Amt als „Statthalter und Verweser des Heiligen Römischen Reiches“ 46 was ihn Sigismund am 2. Oktober 1418 übertrug. Im Frühjar 1420 musste er in Brandenburg gegen die Herzöge Kasimir und Otto von Pommern-Stettin vorrücken, die seine Länder bedrohten. Er besiegte die Herzöge in der Schlacht von Angermünde im März 1420. Die Vermählung seines Sohnes Friedrich mit der Tochter des polnisches Königs Wladislaw führte zum Bruch mit Sigismund. Dieser sah Wladislaw als Konkurrenten auf die böhmische Krone, vor allem, nachdem die Hussiten Wladislaw die Wenzelskrone angeboten hatten.47 Der Konflikt verschärfte sich 1423, als der Kurfürst von Sachsen Albrecht III. starb. Die Kurwürde und das beachtliche Reichslehen fielen an das Reich zurück. Friedrich I. stellte Ansprüche darauf, da sein 41 Ebd. S. 343. 42 Flocken, S. 72. 43 Ebd. S. 86. 44 Ausführlich dazu siehe: Baum, S. 112 – 120. 45 Flocken, S. 94. 46 Ebd. S. 114. 47 Baum, S. 161. 13 Sohn Johann mit der Nichte Albrechts verheiratet war. Sigismund übertrug die Kurwürde jedoch am 6. Januar 1423 an den Markgrafen Friedrich von Meißen.48 Mitte Januar 1424 schlossen die Kurfürsten den Binger Kurverein. Man wollte gemeinsam gegen die Hussiten vorgehen. Dabei wurde der König zum Helfer der Kurfürsten herabgesetzt.49 Innerhalb dieses Bundes hatte sich Friedrich mit dem Meißener ausgesöhnt und verbündet. Der Binger Kurverein war ein herber Rückschlag für Sigismund, und ein Sieg für Friedrich, der als Initiator der Kurvereins gilt.50 Sigismund belehnte daraufhin die Herzöge von Pommern mit der Uckermark. Es kam erneut zu einem offenen Schlagabtausch mit den Herzögen, diesmal sollten die Herzöge erfolgreich sein. Friedrichs Reaktion darauf war die Übergabe der Regentschaft über die Mark Brandenburg an seinen Sohn Johann.51 Fortan sollte Friedrich vor allem seine Aufgabe als Oberbefehlshaber gegen die Hussiten erfüllen. Auch wenn er der militärische Führer der kommenden Kreuzzüge war, so sollte er auch einer der wichtigsten Verhandlungspartner mit den Hussiten werden. II. Das Heerwesen während der Hussitenkriege 5. Kriegsführung des Kreuzfahrerheeres 5.1 Der erste Kreuzzug: Niederlage des traditionellen Feudalheeres Mit der am 17. März 1420 ausgerufenen Kreuzzugsbulle „Zur Ausrottung der Wiclifisten und Hussiten“52 begann für Sigismund der Krieg gegen die Hussiten. Sein Kreuzzugsheer basierte größtenteils auf den althergebrachten feudal-herrschaftlichen Wurzeln. Im feudalen Europa bestand das Heer nicht aus einer Schicht von Berufssoldaten, die für Bezahlung kämpften, so wie es ab dem 16. Jahrhundert in den absolutistischen Staaten der Fall war, sondern aus den Vasallen der jeweiligen Herrscher 48 Rieder, Heinz: Die Hussiten, Gernsbach 1998, S. 142ff. 49 Ebd. S. 148. 50 Flocken, S. 133. 51 Ebd. S. 135. 52 Stökl, Günther / Bujnoch Josef (Hg.): Laurentius de Brezova: Die Hussiten – die Chronik des Laurentius von Brezova 1414-1421, Graz 1988, S. 70. 14 und deren Gefolgschaften. Der Stand der Ritter, der nach mittelalterlicher Auffassung die Krieg führende Klasse darstellte, kann gewiss als Pendant zu den oben erwähnten Söldnerheeren gesehen werden, jedoch nur bezüglich des Kriegsführens an sich. Den wohl größten Unterschied macht die Tatsache aus, dass es sich bei den mittelalterlichen Rittern um einen elitären Kreis handelte, der bereits personell gesehen nicht die Größe antiker oder späterer Volksheere erreichen konnte. Ein römischer Legionär, wie auch ein Söldner im Dreißigjährigen Krieg, kämpfte für seinen Lebensunterhalt – und das ausschließlich. Der mittelalterliche Lehnsmann hingegen musste darüber hinaus zusätzlich seine Ländereien verwalten. Zudem bestand seine Vergütung nicht aus direkten Geldzahlungen, die Landgabe verpflichtete ihn zu Kriegszügen. Seine Ausrüstung und Bewaffnung wurden nicht wie zu anderen Zeiten zur Verfügung gestellt. Es war seine eigenverantwortliche Aufgabe, sich für den Krieg zu wappnen. Die Ausrüstung umfasste grundsätzlich ein Pferd, Waffen wie das Schwert, eine Lanze und ein Schild sowie Rüstungsgegenstände wie das Kettenhemd oder später den Plattenpanzer. Der Umfang dieser Ausrüstung variierte einerseits in den einzelnen Jahrhunderten, andererseits in den unterschiedlichen Abstufungen des Adels. In der Realität kam es jedoch wiederholt vor, dass sich die Vasallen dem Kriegsdienst unter dem Vorwand der nötigen Verwaltung des Lehens entzogen, was dazu führte, dass die Heeresgröße stark schwankte. Die Unbeständigkeit der von den Feudalherren aufzubringenden Männer führte immer wieder zu Schwierigkeiten bei der Planung eines Heereszuges.53 Wenngleich Sigismund 1420 ein großes Heer aufbringen konnte, so zeigten doch schon 1419 die Gefechte in Prag und bei Nekmer, dass die Hussiten unter Jan Zizka durch eine neuartige Kriegsführung auch in Unterzahl schwer zu besiegen schienen. Sigismund konnte die Kreuzzugseuphorie dieses ersten Aufrufes für sich nutzen und innerhalb kurzer Zeit ein Heer aufbieten, mit dem er bereits Ende April in Böhmen einmarschierte, dort erst Königgrätz und dann Mitte Mai Kuttenberg einnahm.54 Am 7. Mai verriet der bis dahin prohussitische böhmischen Adlige Cenek von Wartenberg, der bis dahin die Prager Burg besetzt hielt, das hussitische Lager und übergab die Prager Burg den königlichen Gesandten Wilhelm Zajic, Wenzel von Duba 53 Vgl.: Prietzel, Malte: Krieg im Mittelalter, Darmstadt 2006. 54 Baum, S. 156. 15 und Hynek Hlavac.55 Laut Brezova versammelten sich im Juni 1420 „Böhmen, Mährer, Ungarn und Kroaten, Dalmatiner und Bulgaren, Walachen und Szekler, Hunnen, Jasen, Ruthenen, Leute von Raca, Slawonier, Preußen, Serben, Thüringer, Steiermärker, Meißener, Bayern, Sachsen, Österreicher, Franken, Franzosen, Engländer, Brabanter, Westfalen, Holländer, Schweizer, Lausitzer, Schwaben, Kärntner, Aragonesen, Spanier, Polen, Deutsche vom Rhein und andere […] deren Zahl über mehr als hundertfünfzigtausend Bewaffnete hinausging.“56 Diese Vielzahl an Völkern bildeten sich zum größten Teil aus den Kontingenten des römischen Reiches, Ungarns und den Ländern der luxemburgischen Hausmacht, also Böhmen und Mähren. 57 Die Zahl von 150.000 Kämpfern ist dabei der dichterischen Freiheit Brezovas zu schulden. Alles in allem werden auf Seiten des Kreuzfahrerheeres etwa 30.000 Mann gestanden haben.58 Wie in allen Heeren des europäischen Mittelalters verstand sich das Heer vor allem als ritterliches Aufgebot von schweren Reitern. Die Taktik der schweren Kavallerie war seit dem frühen Mittelalter der Grundpfeiler aller militärischen Aktionen auf europäischem Boden. Jedoch begann im 14. Jahrhundert diese Form des Angriffs mehr und mehr Schwächen zu zeigen. Schlachten wie Moorgarten, Sempach, Crecy, Azincourt, Nikopolis und Tannenberg endeten mit Niederlagen für die schwer gerüsteten Ritterheere. Es waren vor allem die disziplinierten Infanterieheere, die, professionalisiert durch das aufkommende Söldnersystem, an Bedeutung für den Krieg im Spätmittelalter gewannen.59 Gerade Azincourt zeigte in seinem Verlauf, in dem die stark dezimierten englischen Truppen durch den Einsatz ihrer Bogenschützen gegen den arrogant wirkenden und auf eigenen Ruhm bedachten französischen Hochadel gewannen60, dass eine neue Art von Kriegsführung entstanden war. Jedoch schien dies, wie die ersten Kriegsjahre zeigten, noch nicht für Sigismund und seine Kreuzfahrer zu gelten. Natürlich waren auch hier schon Veränderungen aufgetreten, wie der Einsatz 55 Smahel, Bd. II, S. 1080 56 Brezova, S. 100f. 57 Eine genaue Darstellung des Kontingents siehe: Brezova, Anmerkungen Nr. 107, S. 312ff. 58 Smahel, Bd. II, S. 1092. 59 Jestice, Phyllis C. : Mittelalter – Strategie und Kriegskunst, Königswinter 2009, S. 166f. 60 Vgl. Bennett, Matthew: Agincourt 1415 - Triumph against the odds. Oxford 1991. S. 14 und 16. 16 von Schusswaffen am deutlichsten zeigt. Gegenüber dem revolutionären61 hussitischen Heerwesen waren Sigismunds Truppen jedoch vollkommen überholt. Die in schwere Eisenpanzer gerüsteten Reiter waren in erster Linie auf den Zweikampf mit Gleichgesinnten und ordentliche Beute aus. Von einer militärischen Disziplin, wie sie sich auf Seiten der Hussiten entwickelte, konnte keine Rede sein.62 Eine Mischung aus veralteten Führungsansätzen und Taktiken sowie einer inkonsequenten und unsicheren Entscheidungspolitik63 Sigismunds führte beim ersten Kreuzzug bereits zum Scheitern. Die schwer gepanzerten Reiter konnten nicht die gewünschten Erfolge erzielen. Die anderen Truppenteile wurden nicht effizient genug eingesetzt. Sigismund konnte in seinem Heer auf Schützen mit Bogen, Armbrust und Feuerwaffen zurückgreifen, meist Söldner, die sich mit dem Handwerk auskannten. Sein Fußvolk dagegen bestand aus unerfahrenen Bauern.64 Jedoch hätte Sigismund auch auf seine ungarischen Reiter, besonders die leichten Reiter der Kumanen zurückgreifen können, die, mit Bogen und Hiebwaffe ausgerüstet, durch ihre leichte Panzerung schlagkräftig und wendig zugleich waren. Die Vorteile eines Söldnersystems überwogen zwar bereits in den frühen Jahren des 15. Jahrhunderts die Vorteile des Feudalheeres, konnten sich jedoch erst nach 1427 auf Seiten der Kreuzfahrer ergebnisbringend durchsetzen.65 Söldner waren vor allem verarmte Bauern, Landlose, Angehörige der Stadtarmut, aber auch verarmter Landadel. Eine Schicht also, die sich in das militärische Selbstverständnis des Adels als der einzigen Krieg führenden Schicht hineindrängte. Die Probleme der Feudalen im späten Mittelalter lassen sich kaum besser erkennen als im militärischen Alltag. Dass sich das Söldnerwesen am Beginn der Hussitenkriege nicht durchsetzen konnte, mag auch aus dem Unwillen des Adels heraus geboren sein, den unter ihnen stehenden sozialen 61 Gemeint ist eine rein kriegstechnische Revolution. 62 Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst – Teil I das Mittelalter, Nachdruck der Neuausgabe, Berlin 2000, S. 564. 63 Vgl.: Baum, S. 158. und Seibt, Ferdinand: Vom Vitkov zum Vysehrad – Der Kampf um die böhmische Krone 1420 im Licht der Prager Propaganda in: Seibt, Ferdinand: Hussitenstudien – Personen, Ereignisse, Ideen einer frühen Revolution, München 1991, S. 198. 64 Durdik, Jan: Hussitisches Heerwesen, Berlin 1961, S. 17. 65 Vgl.: Durdik, S. 16. 17 Schichten jegliche Kompetenz zuzusprechen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Kreuzfahrerheer, das 1420 in Prag lag, nur aus Angehörigen des Adels bestand. Die städtischen Aufgebote, die ebenfalls zahlreich vorhanden waren, rekrutierten sich fast ausschließlich aus Söldnern66 , die vor allem als Schützenabteilungen eingesetzt wurden. Die Taktik des voll gerüsteten Frontalangriffs blieb während des ersten Kreuzzuges dennoch die Prämisse. Während die Taboriten unter Zizka den Vitkov67 befestigten, spähten die königlichen Truppen das Spitalsfeld am Fuß des Berges aus. Am 14. Juli kam es zur ersten Schlacht zwischen Hussiten und Kreuzfahrern. Bereits einen Tag zuvor war es zwischen königlichen Truppen und einem Prager Aufgebot zu einem Gefecht gekommen, das von königlicher Seite eher als Nadelstich zu verstehen ist, bei dem die städtischen Kämpfer im Chaos versanken.68 „Gegen vier Uhr nachmittags wiederholten die Kreuzfahrer das Manöver.“69 Während so die Aufmerksamkeit der Verteidiger abgelenkt wurde, zog eine Abteilung unter Friedrich von Meißen gegen den Vitkov. Sigismund blieb auf der Kleinseite der Stadt zurück. Der Angriff wurde jedoch unter Zizkas Führung zurückgeschlagen, das Heer unter Friedrich von Meißen geriet in Panik und flüchtete den Berg hinab. Sigismund griff nicht ein, sondern zog sich auf den Hradschin zurück. Der Angriff dauerte etwa eine Stunde, die Verluste auf Seiten der Kreuzfahrer beliefen sich auf etwa 500 Mann.70 Zizka ließ die Stellungen weiter ausbauen, ein erwarteter Hauptangriff blieb jedoch aus. Sigismunds zögernde Haltung, die in den kommenden Jahren noch zu weiteren Niederlagen führen sollte, führte zum Stillstand des Kreuzzuges. Stattdessen ließ sich Sigismund am 28. Juli 1420 zum böhmischen König krönen. Im August zogen die Taboriten aus Prag ab und Sigismund zog sich nach Kuttenberg zurück, was die Prager 66 Ebd. 67 St. Veitsberg, ein Berg, der mit den Burgen Hradschin und Vysehrad einen Ring um Prag bildete, den Sigismund für die Belagerung der Stadt als strategischen Punkt hätte einnehmen müssen. Siehe: Seibt, S. 187. 68 Brezova, S. 104. 69 Smahel, S. 1094. 70 Seibt, S. 187. 18 dazu nutzten den Vysehrad zu belagern. Der Versuch Sigismunds, den Vysehrad zu entsetzen, führte zu Allerheiligen 1420 zur zweiten großen Niederlage des Kreuzfahrerheeres und dessen Auflösung. Der erste Kreuzzug war damit ergebnislos gescheitert. 5.2 Wiederaufbau des Heeres: Bewaffnung, Reichsaufgebote und Hussitenpfennig Während Sigismund für Februar 1421 einen Reichstag in Eger ausschrieb, den er dann auf den 13. April nach Nürnberg verlegte, trafen die vier rheinischen Kurfürsten am 31.3. 1421 den Entschluss, ein eigenes Bündnis gegen die Hussiten zu schließen.71 Sigismund blieb dem Reichstag wie viele andere Fürsten fern, was dem Bündnis jedoch nicht schadete. Nach und nach traten dem Bund, der als „Selbsthilfemaßnahme“ 72 zu sehen sein könnte, die Bischöfe von Würzburg, Speyer, Bamberg, Straßburg und Augsburg, der Erzbischof von Magdeburg, der Landgraf von Hessen sowie Friedrich von Meißen bei. Im Juni erklärten zudem 86 Reichsstädte ihre Bereitschaft, am geplanten Feldzug gegen die Hussiten teilzunehmen. Sigismund gab sein Einverständnis und sagte zu, mit Herzog Albrecht von Österreich von Mähren aus nach Böhmen einzumarschieren. Ende August begann der Heereszug unter Führung der Kurfürsten von Köln, Trier und der Pfalz von Eger aus Richtung Prag. Ohne Sigismunds Führung, der noch immer in Preßburg weilte und dort der Hochzeit Albrechts mit seiner Tochter Elisabeth beiwohnte, herrschte Uneinigkeit im Lager der Kreuzfahrer. Anfang September stand das Heer vor Saaz und wartete auf Sigismund, der sich weiterhin Zeit ließ. Die Erstürmung Saaz wollte nach mehreren Versuchen nicht gelingen. Als dann noch die Nachricht eintraf, Zizka hätte sich mit seinen Taboriten auf den Weg gemacht, floh das Reichsheer aus Böhmen und löste sich ein zweites Mal auf. Sigismund brach erst Ende Oktober auf, blieb aber in Mähren, um dort den hussitischen Kräften Einhalt zu gebieten. Erst im Dezember rückte er während des dritten Kreuzzugs in Böhmen ein und auf Kuttenberg zu, welches von Zizkas Taboriten besetzt gehalten wurde. Am 21. Dezember konnte Sigismund die Stadt mit Hilfe seiner ungarischen Reiterei und der 71 Baum, S. 163f. 72 Rieder, S. 122. 19 königstreuen Bürgerschaft Kuttenbergs einnehmen. Die nächsten Wochen waren die königlichen Truppen eher mit Plündern beschäftigt73, als sich für weitere Kampfhandlungen zu rüsten. Zizka nutzte dies gekonnt aus, indem er am 6. Januar 1422 so überraschend mit neuen Truppen auftauchte, dass das königliche Heer die Flucht antrat. Die Tatsache, dass es sich dabei wieder um einen ungeordneten, fast panischen Rückzug handelte74, rührte nicht nur von den taboritischen Erfolgen der letzten Monate her, sondern vor allem vom desolaten Zustand der Kreuzfahrertruppen, die disziplinlos und demoralisiert eher auf Beute als auf einen Sieg gegen die Hussiten aus waren. Die Flucht führte das Heer nach Deutsch Brod, wo Zizka sie einholen konnte. Am 9. Januar 1422 griff Zizka das übriggebliebene Kreuzfahrerheer an. Als am 11. Januar die Kirchenglocken vom Sieg Zizkas zeugten, hatten die Königlichen nicht nur eine weitere schwere Niederlage hinnehmen müssen: Im Laufe des Gefechtes um Deutsch Brod hatte sich der Kampf in ein Massaker an königlichen aber auch an der Zivilbevölkerung der Stadt verwandelt. Nachdem der zweite Kreuzzug noch verheerender für Sigismund geendet hatte und er mit Mühe und Not entkommen war75, schien sein Mut gebrochen.76 Beide Kreuzzüge bewiesen, dass eine Reform innerhalb des feudalen Heerwesens notwendig war, wollte man den Hussiten noch etwas entgegensetzen. Daher rief Sigismund unter Druck der Kurfürsten für Ende Mai einen Reichstag nach Regensburg aus. Doch wie schon beim Reichstag von 1421 blieb Sigismund wieder fern und verschob den Reichstag auf Anfang Juli.77 Die Fürsten hatten sich jedoch bereits auf einen eigenen Reichstag in Nürnberg geeinigt. Sigismund war außer sich. Als König den Fürsten nachzureisen, wäre nicht angemessen. Der Streit zwischen Kurfürsten und König konnte nach Meinung der königlichen Berater nur an der Frage des Vorgehens gegen die Hussiten geschlichtet werden. Sigismund musste diese Demütigung 73 Ebd. S. 130. 74 Smahel, S. 1232. 75 Baum, S. 166. 76 Smahel S. 1233. 77 Baum, S. 169. 20 hinnehmen und nach Nürnberg ziehen.78 Auf dem Reichstag wurde der brandenburgische Kurfürst Friedrich I. zum „Hauptmann wider die Ketzer die man Hussen nennet“79 ernannt. Ende August wurde die erste Reichsmatrikel 80 verabschiedet. Diese Matrikel legte fest, welche Truppen die einzelnen Fürsten und Städte für den Krieg gegen die Hussiten zu stellen hatten. Die Kurfürsten mussten jeweils 50 Gleven81 stellen, die Herzöge und Bischöfe zwischen 5 und 20 Gleven. Bei den Städten mussten Lübeck und Nürnberg 30 Gleven und 30 Schützen, Hamburg, Köln und Metz 20 Gleven und 20 Schützen stellen.82 Die einseitige Verteilung der Schützenkontingente auf städtischer Seite lag vor allem in der Tatsache begründet, dass nur die Städte die wirtschaftlichen und arbeitstechnischen Mittel zu Herstellung von Feuerwaffen hatten.83 Eine Bombarde mit einem Kaliber von 50 Zentimetern, die sich Frankfurt am Main 1394 bauen ließ, kostete an Material und Lohn 1067 Gulden, 14 Solidi und 5 Heller.84 Ein ungarischer Gulden lag 1402 bei 20 böhmischen Groschen85, was in etwa der Preis für ein Schwein war und dem zwanzigfachen Tageslohn eines Tagelöhners entsprach.86 Der Preis für die Bombarde von 1394 lag laut Durdik bei 20.289 böhmischen Groschen, eine Kuh kostete im selben Zeitraum um die 46 Groschen. Die Bombarde hatte demnach den Gegenwert von rund 442 Kühen. Im Jahr 1432 lag der Gegenwert für ein Geschütz dieser Größe immer noch bei 418 Kühen.87 Nun sei dabei nicht außer Acht gelassen, dass es sich hierbei um sehr große Geschütze mit einem Durchmesser von 80 bis 90 Zentimetern handelte, die nur in geringer Stückzahl 78 Ebd. S. 170. Rieder: S. 133. 79 Rieder, S. 134. 80 Moraw, Peter: Staat und Krieg im deutschen Spätmittelalter, in: Rösener, Werner (Hg.): Staat und Krieg – Vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 97. 81 Eine Gleve entspricht 4 voll ausgerüsteten Reitern. 82 Fahlbusch, Friedrich Bernward: Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert, Köln 1983. 83 Durdik, S. 27. 84 Rathgen, Bernhard: Das Geschütz im Mittelalter, Berlin 1928, S. 35. 85 Vgl.: Bahrfeldt, Emil: Das Münzwesen der Mark Brandenburg unter den Hohenzollern bis zum großen Kurfürsten, Berlin 1895. 86 Macek, Josef: Die hussitische revolutionäre Bewegung, Berlin 1958, S. 99. 87 Durdik, S. 27. 21 produziert wurden. 1433 wurden von der Stadt Görlitz für ein Feldgeschütz mit einem Kaliber von 20 Zentimetern insgesamt 55 Schock böhmische Groschen bezahlt. 88 Handfeuerwaffen lagen im Preis weit darunter.89 Damit wären die Kosten jedoch noch lange nicht abgedeckt. Ein Schuss kostete an Schwarzpulver und Lohn für die Geschützmannschaft rund 430 Groschen.90 Diese Summen konnten nur die Städte und Fürsten, jedoch nicht der Landadel aufbringen. Mit Sicherheit waren in den ersten Kreuzzügen auch Feuerwaffen im Arsenal der Kreuzfahrer, jedoch war die Taktik mit Feuerwaffen auf eine reine Belagerungstaktik begrenzt und nicht für die offene Feldschlacht gedacht. Im Laufe der Hussitenkriege stieg die Anzahl an Gleven und Geschützen stark an. Verzeichnet die Matrikel von 1422 noch 754 Gleven91, so sind es laut des im Jahr 1431 auf dem Nürnberger Reichstag verabschiedeten Matrikels 8417 Gleven.92 Um den Krieg gegen die Hussiten unterhalten zu können, wurde bereits auf dem Reichstag in Nürnberg 1422 der hundertste Pfennig als allgemeine Steuer beschlossen.93 Da aber die Möglichkeiten fehlten, die Eintreibung der Steuer zu überwachen, konnte nicht viel eingenommen werden. Ein zweiter Versuch, eine allgemeine Steuer auszuschreiben, wurde am 2. Dezember 1427 auf dem Frankfurter Reichstag verabschiedet. Der Hussitenpfennig sollte von allen Einwohnern des Reiches eingezogen werden , die über fünfzehn Jahre waren. Auch hier kam es zu anhaltenden Schwierigkeiten, da die Fürsten sich teilweise weigerten das Geld an das Reich abzuführen. Dennoch war ein erster großer Schritt zur Finanzierung des Krieges gelungen. Sigismund zog sich aus dem Kampfgeschehen mehr und mehr zurück und überließ Friedrich I. von Brandenburg die Aufgabe, ein militärisches Mittel gegen die Hussiten zu finden. Im Oktober 1422 zog er mit knapp 4000 Mann Richtung Karlstein, kam 88 Rathgen, S. 334. 89 Der Lohn für eine Handbüchse lag bei etwa 12 Groschen, dazu kommen jedoch noch Materialkosten. 90 Vgl.: Durdik, S. 29 und Rathgen, S. 52. 91 Zeumer, Karl: Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung in Mittelalter und Neuzeit, Tübingen 1913, S. 234. 92 Ebd. S. 246. 93 Baum, S. 171. 22 jedoch nie dort an. Die schlechte Versorgung des größtenteils aus Söldnern94 bestehenden Heeres und mangelnde Moral führten noch im selben Monat zur Aufgabe des Feldzuges. Friedrich I. zog sich zurück und gab die Festung Karlstein den Hussiten preis, die sie jedoch nicht einnehmen konnten. Die nächsten fünf Jahre sollte es keinen weiteren Kreuzzug gegen die Hussiten geben. Die militärischen Auseinandersetzungen blieben in den Jahren bis 1427 jedoch bei der gleichbleibenden Schablone: Die Hussiten nutzen ihre Wagenburgtaktik, um ihren Feinden das Leben schwer zu machen, während die anti-hussitischen Truppen weiterhin der Frage nach einer neuen Taktik aus dem Weg gingen. Zizka war im Oktober 1424 der Pest erlegen, seine Truppen nannten sich fortan „die Waisen“. Neuer Hauptmann der vereinten radikalen Hussiten wurde Prokop Holy. 1426 bewies er in einer ersten großen Schlacht sein Führungstalent 95. Bei Aussig besiegte er am 16. Juni ein deutsches Heer unter Führung des Kurfürsten Friedrich von Sachsen. Den eigentlichen Verlauf zu rekonstruieren, ist bisher nicht gelungen.96 Betrachtet man jedoch die bisherige Taktik der deutschen Kräfte und einige Beschreibungen der Schlacht vom Ende des 15. Jahrhunderts, kann man ein ähnliches Bild wie bei vorherigen Schlachten erahnen. Die Hussiten konnten ihre Stellungen auf einem Plateau mit dem Namen Behani97 sichern. Die sächsisch-meißnerischen Truppen werden mit dem Frontalangriff auf die hussitische Wagenburg ein weiteres Mal in ihr Verderben gerannt sein. Es mutet merkwürdig an, dass die Kreuzfahrerheere über so viele Jahre hinweg mit einer gleichbleibenden Taktik Niederlage um Niederlage einstecken mussten, ohne den Versuch einer Änderung in ihrer Kriegsführung zu unternehmen. Wie bereits erwähnt, waren schon im 14. Jahrhundert durch schweizerische Verbände den feudalen Heeren schwere Niederlagen beigefügt worden. Es war im besonderen Maße die feudalherrschaftliche Ideologie, der Unwille, eine anders geartete, nicht adelsherrschaftliche Idee im militärischen Bereich zuzulassen. 98 94 Rieder, S. 141. 95 Jedoch noch nicht als hussitischer Hauptmann, sondern als Teil des Rates der Ältesten. Smahel, Bd. 2, S. 1387. 96 Ebd. S. 1388. 97 Ebd. 98 Vgl.: Durdik, S. 35. 23 Bisher waren die militärischen Operationen jedoch innerhalb Böhmens durchgeführt worden. Trotz der zahlreichen Niederlagen war es vor allem für die Kurfürsten, die unter Friedrich I. von Brandenburg mehr und mehr die Initiative im Kampf gegen die Hussiten übernommen hatten, nicht zwingend notwendig etwas zu ändern. Die Gefahr war noch nicht unmittelbar. Dies änderte sich schlagartig, als die Hussiten begannen den Krieg aus Böhmen herauszutragen und mit ihren herrlichen Fahrten die kurfürstlichen Länder anzugreifen.99 Am 4. Mai 1427 wurde auf dem Frankfurter Reichstag eine Kriegsordnung in 28 Punkten verabschiedet. Die Rangfolge des Oberkommandos wurde festgelegt, um damit dem Befehlschaos der letzten Jahre zu entgehen. Für die Fehden im Reich wurde ein Verbot für die Dauer des Kreuzzuges ausgesprochen. Der fehlenden Disziplin sollte durch diverse Maßnahmen wie die Todesstrafe für das Niederbrennen von Dörfern sowie zügelloses Plündern und Morden ein Riegel vorgeschoben werden. Verbrechern, streitsüchtigen Trunkenbolden und Falschspielern wurde es verboten, die Heere auf dem Kreuzzug zu begleiten.100 Die Reichstagsbeschlüsse schienen aufzugehen. Als sich das Kreuzzugsheer zum dritten Zug versammelte, kam rasch eine große Truppenzahl zustande. Den Oberbefehl hatte der Trierer Kurfürst Otto von Ziegenhain inne, der am 9. Juli 1427 den Marschbefehl gab. Die Nominierung Ottos von Ziegenhain stellte jedoch eher ein politisches als ein militärisches Kalkül dar, so kam es zwischen dem Hohenzollern Friedrich und Otto anfänglich zu Unstimmigkeiten, die sich dadurch klärten, dass sich Friedrich dem Oberbefehl letztlich doch unterstellte, obwohl er die größere Erfahrung mit den Hussiten hatte.101 Ende Juli 1427 begann die Belagerung der Stadt Mies. Als am 1. August Nachricht vom Anrücken der Hussiten eintraf, suchte der Kriegsrat der Kreuzfahrer nach den optimalen Bedingungen für die kommende Schlacht. Bei Tachau wurden die Truppenteile in einer dermaßen ungeordneten Weise verlegt, dass sich am 3. August, geschürt durch ein Feuer im Lager, Panik ausbreitete. Wieder einmal begannen die Kreuzzugstruppen sich aufzulösen. Die verbliebene Streitmacht sollte sich nach 99 Vgl.: Rieder, S. 163. 100 Palacky, Frantisek: Urkundliche Beiträge zur Geschichte des Hussitenkrieges in den Jahren 1419-1436, Prag 1873, Bd. I. S. 503-509 Nr. 440. 101 Vgl.: Smahel, S. 1419f. 24 hussitischer Tradition mit einer Wagenburg auf einem Hügel verschanzen. 102 Man versuchte also die Taktik zu kopieren. Das Problem, welches dabei auftrat, war jedoch, dass kein Befehlshaber auf Seiten der Kreuzfahrer mit dieser Taktik vertraut war. Hinzu kam wiedereinmal die Uneinigkeit zwischen den Fürsten. Als am 4. August die Schlacht ausgetragen werden sollte, diskutierten die Fürsten, unter ihnen der Generallegat des Papstes Kardinal Beaufort, ob man angreifen oder sich lieber zurückziehen sollte. Ohne dass eine Einigung zustande kam, lösten sich die verbliebenen Haufen auf und flüchteten vom Schlachtfeld. Die Hussiten holten die Nachhut des Heeres ein und konnten nach „harten Kämpfen“103 Tachau am 11. August 1427 einnehmen. Die Kriegsführung der Kreuzfahrerheere war durchzogen von der inkompetenten Eigenwilligkeit ihrer Heerführer, die weder auf dem Schlachtfeld noch während der gesamten Feldzüge eine Einigung zuließ. Sie krankte an der Disziplinlosigkeit ihrer Truppen und am sinnlosen Festhalten an alten feudal-herrschaftlichen Taktiken. Auch in späteren Jahren sollten diese Probleme bestehen bleiben. Die siegreichen Schlachten am Ende der Hussitenkriege waren darauf zurückzuführen, dass sich die Hussiten in ihrer eigenen Uneinigkeit selbst bekriegten, was die Kreuzfahrer, und hier sei zumindest die politische Kompetenz Sigismunds und seiner Fürsten erwähnt, zu ihrem Vorteil zu nutzen verstanden. 6. Kriegsführung der Hussiten 6.1 Die Grundlagen des hussitischen Heerwesens Die Strukturen des hussitischen Heerwesens unterschieden sich grundlegend von der Kriegsführung der Kreuzfahrer. Schon in der sozialen Zusammensetzung der Truppen sind diese Unterschiede nicht von der Hand zu weisen. Das hussitische und besonders das taboritische Heer bestand vor allem aus der Land- und Stadtarmut, aus Knechten, Bauern, einfachen Handwerkern und ganzen Dorfgemeinschaften, zu dem sich die pro102 Rieder, S. 169. 103 Smahel, S. 1426. 25 hussitischen Adeligen Böhmens hinzu gesellten.104 Eine ständige zentrale Führung aller hussitischen Streitkräfte, ob städtischer Herkunft oder Feldheer gab es jedoch gerade wegen der unterschiedlichen Zusammensetzung nicht.105 In bestimmten Momenten jedoch, wie bei der Schlacht am Vitkov oder bei Kuttenberg und Deutsch Brod, wurden die vereinten Heere von einer zentralen Befehlsgewalt geführt. Als einer von vier Oberbefehlshabern der Feldheere tat sich bereits in den ersten Monaten der Hussitenkriege Jan Zizka hervor, der bis zu seinem Tod als Hauptmann der Taboriten und später der neuen Brüderschaft, die sich nach seinem Tod die Waisen nannten, einen Sieg nach dem anderen erringen sollte. Er war es auch, der während der Schlachten mit vereinten Heeren als Oberbefehlshaber und „Verwalter der dem Lande Böhmen geneigten und die Gesetze Gottes erfüllenden Gemeinden“106 die zentrale Befehlsgewalt inne hatte. Zizka achtete sehr auf die Disziplin innerhalb seines Heeres. Dies war notwendig, da die angewandten Taktiken ohne eine streng eingehaltene Ordnung nicht hätten funktionieren können, was ja die Fehlversuche der Kreuzfahrer zeigten. In seiner 1423 verfassten Militärordonanz107 bezeichnet er das gesamte Taboritenheer als Feldgemeinde, die er wiederum in die Gemeinden der Herren, Ritter, Knappen, Städte, Bauern und die Gemeinde der Ältesten aufteilte.108 Die Ältesten waren eine Art Oberkommando, bestehend aus dem obersten Hauptmann, den Hauptleuten und den Vertretern der einzelnen Gemeinden. Die Bauerngemeinde hatte demnach das gleiche Recht, den Kriegszug mitzubestimmen wie die Gemeinden der herrschaftlichen Klassen. Auch unter den Hauptleuten selbst fanden sich Handwerker und Bauern. Während die Kreuzfahrer durch die Klassenunterschiede in ihren Heeren mit Beutegier und Desorganisation zu kämpfen hatten, setzten sich die hussitischen Gruppen über diese Unterschiede hinweg und bildeten ein gleichberechtigtes, seinen eigenen Zielen 104 Macek, S. 72f 105 Durdik, S. 49. 106 Durdik, S. 50. 107 Seibt, Ferdinand: Hussitischer Kommunalismus, in: Frantisek Smahel (Hg.): Häresie und vorzeitige Revolution im Spätmittelalter, München 1998, S. 210. Seibt datiert diese Militärordnung zwar auf 1424, Durdik (S. 55) dagegen auf 1423, Smahel konkretisiert sogar auf Anfang September 1423, siehe weiter unten. 108 Ebd. 26 nachgehendes Heer. Dazu kamen noch die vor allem von Prager Seite aus gestellten Söldnerkontingente, auf die auch die Hussiten nicht verzichten konnten. Zizkas Militärordnung für die von ihm neu gegründete Bruderschaft gilt nicht nur als eine der ersten Quellen ihrer Art, sondern auch als Hauptquelle zur militärischen Organisation bei den Hussiten. Laut Smahel109 entstand die Ordnung zwischen dem 22. August und dem 19. September 1423, da bei den Namen der ausstellenden Personen zwei Personen nicht genannt werden, die vor dem 22. August gefallen waren, bzw. erst am 19. September zu der neuen Brüderschaft stießen. Die Heeresordnung besteht aus zwölf Artikeln, von denen fünf Artikel genaue Vorschriften über die Disziplin während des Marsches, im Feld und beim Wachdienst enthalten. Drei Artikel befassen sich mit Ordnung und Sittenleben innerhalb des Heeres, die restlichen Artikel reglementieren die Aufteilung der Beute, den Umgang mit Deserteuren und der „moralischen“110 Vorbereitung auf den Kampf. Die disziplinarischen Artikel verbieten unter anderem das Verlassen der Marschordnung, bestimmen, dass zum Marsch stets ein gemeinsamer Sammelpunkt festzulegen ist und legen die genaue Marschordnung fest. So heißt es in der Ordnung: „Dann aber sollen sie das Volk in Reih und Glied stellen oder Ordnen, jede Rotte unter ihrem Banner, die Parole soll ausgegeben werde, und dann marschieren, wie jede Rotte an diesem Tag in Reih und Glied aufgestellt wurde […] Es soll aber keine Rotte sich unter die anderen Mischen, auch sollen sie einander nicht behindern oder sich lostrennen.“111 Die Flanken sollten, wie auch die Vorhut, unter ständiger Bewachung stehen. Wer sich nicht an die Ordnung hielt, wurde mit drakonischen Strafen belegt. So hatten die Mitglieder der Bruderschaft die Pflicht „an uns und in uns alle Todsünden und läßlichen Sünden erkennen, vernichten und ausmerzen; hernach an den Königen, den Fürsten und den Herren, den Bürgern, den Handwerkern, den Fronsmännern und an allen Menschen männlichen und weiblichen Geschlechts und jeden Alters.“112 Der Strafenkatalog sah „töten, enthaupten, aufhängen, 109 Smahel, S. 1299. 110 Smahel, S. 1297f. 111 Heeresordnung des Jan Zizka (im folgenden HO), zit. nach: Durdik, S. 62f. 112 HO zit. nach: Macek, S. 111. 27 ertränken (und) verbrennen“113 für schwerwiegende Missachtungen der Ordnung und „Stockschläge oder Rügen“114 als mindere Disziplinarstrafen vor. Bereits fünf Jahre vor der auf dem Frankfurter Reichstag verabschiedeten Ordnung für das Kreuzfahrerheer legte Zizka in seiner Militärordonanz fest: „auch wollen wir unter uns nicht dulden solche, die ungetreu und ungehorsam sind, die Lügner, Diebe, Würfelspieler, Plünderer, Betrunkene und Schmähbuben, Unzüchtige und Ehebrecher.“115 Auffällig ist, dass die Bestrafung nicht von einem dafür vorgesehenen Richter, sondern von den Gemeindemitgliedern, egal welcher sozialen Schicht angehörig, durchgeführt werden konnten. Die Disziplin wurde demnach nicht von einigen Vorgesetzten, sondern von allen Heeresmitgliedern überwacht. Ein Aspekt, der den herrschaftlichen Heeren der Kreuzfahrer geradezu einen weiteren Beweis für die ketzerische Verderbtheit der Hussiten liefern musste. Wurde ein Deserteur gefasst, wurde er „an seinem Halse und an seinem Hab und Gut gerichtet.“ 116 Es sei noch auf den siebten Artikel eingegangen, der das Aufteilen der Beute regelte. Das gesamte Beutegut sollte „zusammengetragen, gefahren und geführt und auf einen Haufen geschichtet werden, dorthin wo der Platz dafür von den Ältesten genannt wurde.“117 Danach sollten „die Ältesten aus allen Gemeinden gewählt werden, um diese Dinge treu zu verwalten und gerecht, wie es jedem zukommt, an Arme und Reiche zu verteilen, damit keiner etwas für sich selbst erhasche oder einer etwas für sich beiseite bringe.“118 Wer dennoch etwas für sich einbehielt, wurde zum Tode verurteilt. Auch hier wurde die Gemeinschaft über die sozialen Herkünfte der Gemeindemitglieder gestellt. Unterstrichen wurden diese Punkte durch das hussitische Kampflied: Die da Gottes Streiter sind. Darin heißt es: „Die Feinde aber fürchtet nicht und achtet ihrer Menge nicht, traget Gott in eurem Herzen, wollen für und mit ihm kämpfen, 113 Nach Smahel, S. 673. 114 Ebd. 115 HO zit. nach: Durdik, S. 64. 116 Ebd. S. 64f. 117 HO zit. nach: Durdik, S. 66. 118 HO zit. nach: Macek, S. 112. 28 und vor dem Feinde weichet nicht. Seid der Losung eingedenk, die euch ward gegeben, achtet euren Hauptmann stets, rettet einander das Leben, und weiche niemand aus Reih und Glied. Wegen Raub, aus Gier nach Gold, lasset euer Leben nicht, und bei Beute haltet euch nicht auf.“119 Damit stellt das Lied, welches vor Zizkas Heeresordnung entstand, eine Heeresordnung im Kleinen dar. Zizkas Heeresordnung basierte auf einer älteren Ordnung aus dem Jahre 1420. In dieser Ordnung werden die Grundsätze wie: Kampfordnung einhalten, Beute aufteilen und das Vermeiden von Unrecht120 bereits aufgeführt. Der große Unterschied jedoch besteht in der kompromisslosen Auswahl der Gemeindemitglieder im Bezug auf ihre ständische Herkunft. Während Zizka die sozialen Strukturen durch die Aufsplittung in die jeweiligen Gemeinden aufrecht hält und in seinem Heer Adlige und Bauern gleichstellt und demnach Adelige zulässt, warnt die ältere Heeresordnung davor, Mitglieder aus der feudalen Klasse aufzunehmen.121 Dieser Artikel lässt auch den Schluss zu, dass sich die Heeresordnung im Kreis der ersten Taboriten herausbildete, in welchem die Land- und Stadtarmut noch das Übergewicht innerhalb der Gemeinde hatte.122 6.2 Ausrüstung, Ordnung und Taktik der Hussiten Die Bewaffnung der hussitischen Heere unterschied sich kaum von derjenigen der Kreuzfahrer. Der Erfolg im Kampf basierte auf dem taktischen Vermögen der 119 Durdik, S. 61. 120 Ebd. S. 56. 121 Ebd. S. 57. 122 Ebd. 29 Heerführer, die vorhandenen Mittel vorteilhaft zu nutzen. In erster Linie waren dies der Gebrauch bäuerlicher Arbeitsgeräte als Waffen sowie die vermehrte Anwendung der Feuerwaffen. Während die Kampfkraft vor allem von den armen Schichten aus Stadt und Land gestellt wurde, kamen die taktischen Anreize in erster Linie aus dem städtischen Umfeld. Wie bereits erwähnt, waren es besonders die städtischen Aufgebote, die innerhalb der Kreuzfahrerheere den Gebrauch von Feuerwaffen vorantrieben. Während jedoch die städtische Macht bei den Kreuzfahrern vor allem in den ersten Jahren nicht ausreichte sich taktisch durchzusetzen, waren die böhmischen Städtebünde, ausgehend von Prag, später von Tabor123, von vornherein stark genug, um innerhalb der hussitischen Heere einen wichtigen und für ihre Gegner gefährlichen Beitrag zur Kampfesweise zu leisten. Durch die wirtschaftliche Macht des Prager Städtebundes, der 1421 nicht weniger als 22 Städte umfasste sowie später dem vereinten Städtebund der Taboriten und Waisen124 war es möglich, die Mittel für diese Art von Bewaffnung aufzubringen. Die Vielzahl von Feuerwaffen in den hussitischen Heeren war für das frühe 15. Jahrhundert eine ungeheuerliche Neuerung. Bei einem durchschnittlichen hussitischen Heer von 6000 bis 7000 Mann Fußvolk wurden etwa 300 Wagen mitgeführt. In den späteren Heeresordnungen der außerhussitischen Parteien wurden durchschnittliche 2 Handfeuerwaffen pro Wagen festgelegt. Dazu kamen „zu je fünf Wagen eine Haubitze und zu jedem fünfundzwanzigsten Wagen eine besonders große Steinbüchse zu achtzehn oder zwanzig Pferden.“ 125 Zieht man die Proviantwagen ab, erhält man eine durchschnittliche Bewaffnung von 360 Handfeuerwaffen wie den Hakenbüchsen, 36 kleinkalibrigen Geschützen wie den Tarasbüchsen und 6 großen Haubitzen. In den späteren Jahren, als sich die hussitischen Heere zu den herrlichen Heerfahrten zusammenschlossen und dabei bis zu 2500 Wagen126 mit sich führten, stieg auch die Zahl der Feuerwaffen drastisch an. Die Geschosse bestanden bei den Handbüchsen aus Blei, die größeren Kaliber verschossen zumeist Steinkugeln, später auch geschmiedete Eisenkugeln. Die Handbüchsen waren 123 Macek, S. 126f. 124 Dem Städtebund der Taboriten und Waisen gehörten 1427 sogar 33 Städte an. 125 Schlesischer Beschluss von 1429 und Nürnberger Beschluss (ca. 1430) zit. nach: Durdik, S. 89. 126 Ebd. S. 90. 30 unzuverlässig, ungenau und in ihrer Reichweite stark eingeschränkt, während die Geschütze, insbesondere die Tarasbüchsen, mit einer Reichweite von etwa 250 Meter eher eingesetzt werden konnten. Diese Tarasbüchsen mit einer Lauflänge von 1000 bis 1300 Millimetern und einem Durchmesser von 40 bis 46 Millimetern konnten aus Eisen oder Bronze gegossen sein.127 Die großkalibrigen Haubitzen128 hatten zwar eine ähnliche Reichweite wie die Tarasbüchsen, hatten jedoch den großen Vorteil, auf kurze Distanzen eine verheerendere Wirkung zu entfalten. Einige Beschreibungen über die Wirkung der hussitischen Geschütze sowie die kurz nach den Hussitenkriegen entstandenen Beschreibungen und Vorschriften, so das Feuerwerkbuch von 1445, lassen darauf schließen, dass für die Haubitzen eine Art Vorläufer der Kartätschen genutzt wurde: „... lade die Büchse mit einer hölzernen Kugel, worauf du Blech legst und darauf Steine und Eisenstücke, die miteinander durch Pech verbunden sind.“129 Während die Tarasbüchsen auf starren Lafetten montiert waren, wurden Haubitzen auf Lafetten gesetzt, die mit zwei Rädern ausgestattet wurden. Zu diesen Feldgeschützen kamen bei Belagerungen noch die großen Bombarden, von denen bereits im Kapitel über das Heereswesen der Kreuzfahrer berichtet wurde. Mit diesen teilweise extrem überdimensionierten Geschützen sollten Breschen in Mauern geschossen werden. Die durchschnittliche wirkungsvolle Reichweite lag bei etwa 300 Metern.130 Während die Kreuzfahrer den militärischen Nutzen einer gezielten Anwendung der Geschütze auf angreifende Truppen nicht erkannten, nutzen die Hussiten ihre Feuerwaffen genau dazu, in die Linien der Angreifen „breite Straßen und Bahnen“131 zu schießen. Überhaupt wurden die Feuerwaffen vor allem defensiv genutzt, was auch eine Beschreibung über das Gefecht bei Horic von 1423 zeigt: „Zizka lagerte sich mit ihnen bei der Kirche […] damit er sich mit seinen Geschützen auf der Höhe aufstellen könne, und damit sie, die zu Pferde heranzogen, von den Pferden absitzen müßten […] durch die Rüstung mehr beschwert als die Fußgänger. Sie rückten bergauf und ermüdeten, die 127 Rathgen, S. 334. 128 Haubitze leitet sich vom tschechischen houfnice ab. 129 Zitiert nach Doletschek, Anton: Die Geschichte der österreichischen Artillerie, Wien 1887, S. 41. 130 Rathgen, S. 45ff. Sowie Durdik, S. 102ff. 131 Durdik, S. 109. 31 Wagen stürmend. […] und bevor sie die Wagen stürmen konnten, erlegte er (Zizka) ihrer nach Belieben.“132 Daneben nutzten die hussitischen Verbände als Schusswaffen vor allem Armbrüste. Die kurzen Bolzen der Armbrust konnten je nach Zugkraft der Waffe die schweren Plattenrüstungen der Gegner brechen. Die hussitischen Armbrustschützen gingen, wenn sie nicht auf dem Kriegswagen stationiert waren, hinter Pavesen in Deckung. Diese großen, rechteckigen Schilde verbreiteten sich rasch in ganz Europa, da sie, auf dem Rücken getragen, ausreichend Schutz für die Armbrustschützen lieferten.133 Das Arsenal der Nahkampfwaffen bestand neben dem klassischen Schwert vor allem aus Stangenwaffen wie Hellebarde, Lanze und Spieß. Waffen, die auch auf Seiten der Kreuzfahrer zum Einsatz kamen. Den Unterschied machten jedoch die zu Waffen umgewandelten bäuerlichen Arbeitsgeräte aus. Der wichtigste Vertreter hierfür war der Kriegsflegel, ein Flegel, der durch Eisenbeschläge und Eisendornen verstärkt wurde. Die hussitische Kriegsführung wäre ohne die Wagenburgen kaum denkbar. Der Streitwagen war anfänglich sicherlich ein einfacher Bauernwagen, der in den Jahren der Kriege mit Brettern und Beschlägen zum verstärkten Kampfwagen ausgebaut wurde. Besonders die späteren Verordnungen der Kreuzfahrerparteien geben ein genaues Bild dieser Wagen. „Ein guter, starker Wagen, der etwas weiter sei denn andere Wagen.“ 134 An dem seitlich ein starkes Brett befestigt wurde so dass die Kämpfer im Wagen besser vor Beschuss geschützt waren.135 Hinzu kam eine Kette, um die Wagen zur Wagenburg zusammenschließen zu können136 . Die Besatzung eines Kampfwagens, welche gleichzeitig die kleinste taktische Einheit innerhalb des hussitischen Heeresverbandes war, setzte sich wie folgt zusammen: Zwei Schützen mit Handbüchsen, vier Armbrustschützen, vier Flegler, vier Hellebardiere, zwei Pavesner und zwei gerüstete 132 Zit. nach: Delbrück, S. 568. 133 Ebd. S. 114. 134 Aus einer Verordnung des deutschen Ordens von 1435; zit. nach Durdik, S. 116. siehe auch Delbrück, S. 556. 135 Ebd. 136 Delbrück, S. 555. 32 und gewappnete Fuhrleute.137 Diese Wagenbesatzung war einem Hauptmann unterstellt. Je zehn Wagen schlossen sich zu einem Verband zusammen, der von einem Zehnerschaftsführer geleitet wurde, dann zu einer von einem Zeilmeister befehligten Wagenreihe, die wiederum dem Hauptmann aller Wagen unterstanden. Die Marschordnung der Wagen bestand aus zwei äußeren (krajni) und zwei inneren (placni) Reihen.138 Diese Reihen wurden zur Wagenburg zusammengekettet und ermöglichten so eine Art Feldfestung aufzubauen. Nun ist die Wagenburg keine Erfindung der Hussiten. Bereits in antiker Zeit gab es Beschreibungen von Wagenburgen.139 Die Germanen nutzten die Wagenburgen als Nachtlager140, während im Verlauf des Mittelalters die Lager durch das Zusammenziehen der Wagen vor allem als eine Art Rückendeckung dienen sollten.141 Die hussitische Taktik ging jedoch weit über den Schutz des Lager hinaus. Die Wagenburgen waren Verteidigungsanlage für das Fußvolk, Basis der Artillerie sowie der Ausgangspunkt für die verheerenden Gegenangriffe der hussitischen Reiterei und Fußtruppen. Diese Neuerung war so überraschend für die Kreuzfahrer, dass sie, wie bereits gezeigt, Jahre brauchten, um diese Taktik nachzuahmen. Bereits in den Gefechten bei Nekmer und Sudomer kamen unter Zizkas Führung Wagen zum Einsatz. Bereits bei Kuttenberg und Deutsch Brod waren die Wagenburgen soweit ausgereift, dass sie den Hussiten - trotz einer oftmaligen zahlenmäßigen Unterlegenheit - die Erfolge der nächsten Jahre brachten. Eine offensive Verwendung in der Schlacht schließt sich jedoch bis auf einige 137 Diese Aufstellung ergibt sich wie auch die Zusammensetzung der Wagen selbst aus den verschiedenen Verordnung der Kreuzfahrerparteien. So vor allem die schlesische Verordnung von 1429, die stark von der hussitischen Tradition beeinflusst zu sein scheint. Dazu die Heeresordnung des Hodetin aus den 30er Jahren des 15. Jahrhunderts, die Nürnberger Verordnungen von 1428 und 1430 und die österreichische Ordnung von 1431. Die Zahlen schwanken zwar, jedoch kann man von einer durchschnittlichen Wagenbesatzung von 18 bis 21 Mann ausgehen. Die stetigen Versuche, das hussitische Kriegswesen zu kopieren, kamen in diesen Verordnungen besonders zum Ausdruck. Vgl.: Durdik, S. 145. 138 Delbrück, S. 556. Reihen wurden auch Zeilen genannt, daher der Begriff Zeilmeister. 139 Delbrück, S. 562. Zitiert wird Euripides. 140 Ebd. 141 Durdik, S. 152. 33 Ausnahmen aus.142 Das Manövrieren unter Feindeseinwirkung war allein schon deshalb ein schwieriges Unterfangen, da die Pferde so kaum geschützt werden konnten. In der Schlacht von Kuttenberg wird zwar ein Ausbrechen der Wagenordnung beschrieben, dies geschah jedoch in der Nacht, auf dem Überraschungsmoment aufbauend. 143 Die geschlossene, offensiv ausgerichtete Marschordnung, bei der die Kraijni über die Placni hinausgingen und so in den Flügeln zwei Spitzen entstanden, in dessen Deckung Fußtruppen lauerten, war langsam und stärker vom Terrain beeinflusst als die offene Marschordnung. Dennoch gibt es Berichte, nach denen die Hussiten in geschlossener Ordnung 12 (im Winter) bis 30 Kilometer (bei optimalen Witterungsverhältnissen) am Tag zurücklegen konnten. Eine Geschwindigkeit, an die kein Heer dieser Zeit herankam. Ein Verdienst sicherlich von Zizka, der so stark auf Disziplin und Ausbildung achtete. Zu den Kampfwagen, der Artillerie und den Fußtruppen kam die hussitische Reiterei. Nach Zizkas Ordnung sollten sie „vorsichtig reiten, vorne, hinten und auf den Seiten das Heer bewachen gleich wie sich selbst.“144 Neben diesem Schutz der Truppen hatten sie vor allem die Aufgabe, als Aufklärer und Kundschafter tätig zu sein. So schickte Zizka im Jahr 1420 eine Reitereinheit in ein 40 Kilometer entferntes Gebiet, um dieses auszukundschaften. Die Ergebnisse der Aufklärung sorgten dafür, dass die Angriffspläne Zizkas fallen gelassen wurden.145 Es gibt noch weitere Beispiele, die später aufgeführt werden sollen, wie die hussitische Reiterei als aufklärende Vorhut gewirkt hat. Auch in der Schlacht wurde die Reiterei als leichte und schnelle Operationen ausführender Teil des Heeres eingesetzt, was zur schweren Reiterei der Kreuzfahrer einen starken Gegensatz bildete. Diese Waffengattungen bildeten in der Schlacht ein geeintes, in allen Abläufen geübtes Ganzes. Die Wagenburgen bildeten den Schutz gegen das angreifende feindliche Heer. An einer bestimmten Feuerlinie angekommen, kamen die Feuerwaffen zum Einsatz, die neben tödlichen Schüssen vor allem Rauch und Lärm über das Schlachtfeld und so 142 Delbrück, S. 559ff. 143 Durdik, S. 155. 144 HO zit. nach: Durdik, S. 170. 145 Ebd. 34 einen moralischen Bonus brachten. Es folgten die Armbrustschützen, die weitere Löcher in die Reihen der Angreifer schossen. Im Nahkampf erwiesen sich die Wagenburgen wiederum als schwer einnehmbare Befestigung, von der aus die Flegler und Hellebardiere ihr Werk taten. Waren die angreifenden Truppen stark genug geschwächt, brachen die Fußtruppen aus der Wagenburg heraus. Die Reiterei setzte mit Einfällen in Flanke und Rücken des Feindes den Endpunkt eines taktischen Uhrwerkes, das die Flucht der Kreuzfahrer und deren Verfolgung verursachte. Jedoch blieb die Taktik der Hussiten über die gesamte Zeit der Kriege, selbst während der herrlichen Heerfahrten, eine hauptsächlich defensive Taktik, die erfolgreich für offensive Feldzüge genutzt wurde. Diverse Belagerungen zeigen, dass die Hussiten nicht auf langwierige Operationen, sondern auf schnelle, kurze Aktionen ausgerichtet waren. Die Kreuzfahrer hatten den Hussiten bis zur Schlacht von Lipan 1434 nichts entgegenzusetzen und auch hier gewannen sie nur durch die Hilfe der gemäßigten hussitischen Truppen, die sich durch die im Laufe der Jahre vollzogene Spaltung der Hussiten mit der katholischen Partei zusammengeschlossen hatten. III. Die Kriegszüge nach Brandenburg und in die Niederlausitz 7. Die herrlichen Fahrten (spanile jizdy) 7.1 Das Ende des dritten Kreuzzuges und die ersten Einfälle der Hussiten Nach Zizkas Tod 1424 war seine Bruderschaft, die sich fortan die Waisen nannte, mit den Taboriten eine Union eingegangen. Dieses vereinte radikale Heer stand gegen die gemäßigten Utraquisten und Katholiken Böhmens. Der innere Konflikt wurde jedoch von den Kreuzfahrern nicht genutzt. Nach dem hussitischen Sieg bei Aussig im Juni 1426 jedoch wuchs die Gefahr, dass das radikale Feldheer nun auch in die Nachbarländer einfallen könnte. Nach der Schlacht von Aussig kam es zwischen den radikalen Bruderschaften und dem hussitischen Adel zum Streit um das weitere Vorgehen. Prokop, auf Seiten der Taboriten und Waisen, war für die gnadenlose Verfolgung und 35 Zerschlagung des Kreuzfahrerheeres, während Hynek Bocek von Podiebrad auf Seiten des Adels für den Rückzug stimmte.146 Das Heer trennte sich im Zuge dieser Auseinandersetzung und ging nun gegeneinander vor.147 Nach dreimonatiger Belagerung Podiebrads durch das Feldheer der Radikalen mussten diese den Rückzug antreten. Die Prager Herren dagegen verbündeten sich mit Prinz Sigmund Korybut, einem litauischen Fürsten, der in den Jahren zuvor des öfteren den Versuch unternommen hatte, die böhmische Krone zu erlangen 148. Korybut suchte einen politischen Ausgleich mit den katholischen Parteien, was die radikalen Bruderschaften zu unterbinden suchten. Am 27. April 1427 kam es in Prag zum Aufruhr, Korybut und einige Prager Stadtherren wurden gefangen genommen und neue Ratsherren eingesetzt. Gleichzeitig stieg unter der Führung Prokops die Macht des taboritischen Städtebundes. Nach dem Aufstand trat auch Prag wieder auf die Seite der Radikalen über.149 Die Gefahr einer hussitischen Offensive außerhalb Böhmens wurde immer größer, besonders nachdem die Taboriten in Österreich, der Oberpfalz und Schlesien eingefallen waren.150 Auf dem Frankfurter Reichstag wurde deshalb am 27. April 1427 ein neuer Kreuzzug ausgerufen. Wie weiter oben beschrieben, endete dieser Kreuzzug in der Niederlage bei Tachau. In den nächsten Monaten nach Tachau festigte sich die Macht der radikalen Bruderschaften insoweit, dass mit dem Bündnis mit Prag, nach der endgültigen Vertreibung Korybuts und einem Waffenstillstand mit den Adligen Parteien151 der innere Konflikt vorerst ruhte. Auf Seiten der deutschen Gebiete begannen die Vorkehrungen für einen vermeintlichen Einfall, die Städte wurden befestigt, das Nachrichtennetz zwischen den Regionen ausgebaut und das Vorgehen in Böhmen noch strenger beobachtet. Innerhalb dieser Phase mehrten sich die Nachrichten über Verräter in den eigenen Reihen - Männer, die den Hussiten ihre Städte hätten ausliefern wollen. So wurden Ende November 1427 in Eger vier Männer auf dem Scheiterhaufen 146 Smahel, S. 1389ff. 147 Macek, S. 125. 148 Rieder 136ff. 149 Macek, S. 127. 150 Smahel, S. 1408. 151 Smahel, S. 1428. 36 verbrannt.152 Angst und Misstrauen wuchsen soweit, dass selbst Unschuldige als Verräter angeklagt wurden. Dies kam jedoch nicht von ungefähr. Die mährischen Städte hatte bereits wiederholt Erfahrungen mit Verrätern gemacht, auch später nahmen die Feldgemeinden bei ihren Feldzügen den Dienst von Spionen und Verrätern in Anspruch. Das Klima war angespannt, fast täglich gingen Warnungen über Einfälle bei den Städten und Fürsten ein. Selbst die Gemahlin Sigismunds warnte die Stadt Pressburg am 30. November vor einem hussitischen Angriff.153 Das hussitische Heer ließ sich jedoch Zeit. Erst nach der Einnahme der Stadt Kolin am 16. Dezember 1427 begann ein Feldzug Richtung Mähren. Am 18. Februar 1428 erreichten sie sogar Preßburg, brandschatzten die Vororte und zogen über Böhmen nach Norden ab.154 Danach wandten sie sich Schlesien zu, womit der Krieg endgültig über die böhmischen Grenzen getreten war. Am 30. März plünderten die Hussiten das Zisterzienserkloster Kamenz, am 1. Mai überfielen sie die Vorstädte Breslaus, um dann bis Mitte Mai zurück nach Böhmen zu ziehen. Laut Macek waren die herrlichen Fahrten als Missionierungsfahrten geplant. Die außerböhmische Landbevölkerung sollte vom hussitischen Glauben unterrichtet und auf deren Seite gezogen werden. Die Hussiten hätten sich dabei als einfache, unterdrückte Menschen präsentiert.155 Geht man jedoch von der rücksichtslosen Härte aus, mit der die Feldheere ihre Züge durchführten, die brennend und raubend durch die Länder zogen156 und dabei eher den Hass als das Verständnis der Landbevölkerung hervorriefen, ist diese Überlegung eher unwahrscheinlich. Ende Mai bis Mitte Juni 1428 zogen hussitische Abteilungen durch die Oberpfalz und überfielen Bärnau und Falkenberg und kamen nach einigen Angaben bis kurz vor Regensburg.157 Währenddessen fielen taboritische Verbände über die Donau in Österreich ein, drangen bis Nußdorf unweit von Wien vor und ließen auch hier eine Spur der Verwüstung 152 Ebd. S. 1432. 153 Ebd. S. 1433. 154 Ebd. S. 1435. 155 Macek, S. 134. 156 Die Liste der den Hussiten zum Opfer gefallenen Orte ist lang und wird im weiteren Verlauf noch durch Beispiele konkretisiert. 157 Smahel, S. 1439. 37 zurück.158 Noch Ende 1427 erließ der Frankfurter Reichstag neben dem Hussitenpfennig auch einen Beschluss über einen erneuten Feldzug gegen die Hussiten. Friedrich I. von Brandenburg wurde zum Oberbefehlshaber ernannt. Der Feldzug wurde jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben, da die benötigten Geldmittel trotz der Steuer nicht eingetrieben werden konnten. Sigismund musste Ende Mai 1428 bei der Burg Golubac eine herbe Niederlage gegen die Türken einstecken, die ihn zu einem Waffenstillstand mit dem osmanischen Sultan Murad II. zwang159. Die desolate militärische Lage an den Fronten gegen die Türken und die Hussiten in dieser Zeit ließ Sigismund deshalb auf eine Einigung mit den Hussiten auf dem nächsten Konzil drängen. Im November 1428 folgte der nächste hussitische Feldzug. Diesmal unter der Führung Johann Kralovecs in die Oberlausitz. Friedland ging in Flammen auf, die Umgebung von Zittau und Löbau wurde geplündert. Die Truppen des Sechsstädtebundes stellten sich den Hussiten entgegen und konnten einen Erfolg erringen, indem sie das Beutegut sicherstellten. 160 Kralovec zog daraufhin ins Glatzer Land, brannte dort unter anderem Habelschwerdt nieder und fiel letztlich in Schlesien ein, wo nach Brieg auch Ohlau fiel. Nach einigen weiteren Plünderungen zogen sie sich erst Ende Januar 1429 nach Böhmen zurück. Die hussitischen Kriegszüge der nächsten Jahre sollten von Seiten der Hussiten den Namen spanile jizdy – herrliche Fahrten bekommen. Bereits im September 1428 suchte Sigismund den Kontakt mit den Hussiten, um eine politische Lösung abseits des Schlachtfeldes zu finden. Prokop Holy erklärte sich im Februar 1429 zu Verhandlungen bereit. Das Treffen der Delegation wurde auf den 6. März nach Mährisch Kromau festgesetzt.161 Sigismund befand sich zu dieser Zeit in Luck, um dort mit dem polnischen König Wladislaw und dem litauischen König Witold über die Situation mit dem deutschen Orden und den Grenzfragen im osteuropäischen Gebiet zu verhandeln. In der Kontinuität seines Handelns gegenüber der Hussitenfrage sollte er auch diesmal, wie 158 Ebd. 159 Baum, S. 213. 160 Jecht, Richard: Der Oberlausitzer Hussitenkrieg und das Land der Sechsstädte unter Kaiser Sigmund, Görlitz 1911, S. 190ff. 161 Smahel, S. 1452. 38 er es bei den Reichstagen so oft tat, nicht zum vereinbarten Termin nach Mährisch Kromau kommen. Stattdessen ging er nach Buda und ließ die hussitische Delegation warten. Erst Ende März kam eine Einladung nach Preßburg, die Prokop entgegennahm, um dort am 4. April 1429 einzutreffen.162 Das erste Mal trafen Sigismund und Prokop persönlich aufeinander, das erste Mal seit dem Beginn der Hussitenkriege suchte man durch Verhandlungen eine politische Basis für eine Einigung. Die Hussiten bestanden auf der Durchsetzung der Prager Artikel, was Sigismund strikt ablehnte. Die Verhandlungen wurden auf das kommende Konzil verlegt. Lediglich ein Waffenstillstand lag in der Luft, jedoch behielt es sich Prokop vor, darüber mit einem hussitischen Landtag zu reden.163 Am 23. Mai 1429 begann in Prag der Landtag. Nach einer Woche wurden folgende Beschlüsse getroffen: Ein Konzil sollte einberufen werden, an dem auch die Griechen und Armenier und vor allem die Patriarchen von Konstantinopel teilnehmen sollten. Der Waffenstillstand sollte nicht für Meißen und Bayern, sowie für die katholischen Parteien innerhalb Böhmens gelten. Diese Bedingungen waren jedoch für Sigismund nicht akzeptabel, weshalb er die Gesandtschaft Prokops im Juli 1429 ein zweites Mal nach Hause schickte. 7.2 Die Feldzüge von 1429 und 1430 Während die Verhandlungen in Preßburg Prokops volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, blieb das taboritische Feldheer nicht tatenlos. Unter dem Hauptmann Jakob Kromesin drang das Heer im Juni 1429 nach Zittau vor „unde czogen vor den lawban weg unde neichinten sich dem Buntczil czu“.164 Nachdem Bunzlau gefallen war, bezahlte Herzog Hans von Saban 600 rheinische Gulden für einen Waffenstillstand, der bis Ende 1429 gelten sollte.165 Während sich in Prag ein weiterer Konflikt zwischen Alt- und Neustadt anbahnte, versuchte Prokop weiterhin eine Einigung mit Sigismund zu finden, scheiterte jedoch am Widerstand der Waisen und der Prager Neustädter. Am 25. 162 Baum, S. 216. 163 Macek, S. 135f. 164 Martin von Bolkenhain: Von den Hussitenkriegen in Schlesien und der Lausitz in: Scriptores Rerum Lusaticarum – Sammlung Ober- und Niederlausitzischer Geschichtschreiber, Goerlitz 1839, S. 360. 165 Jecht, S. 125. 39 September endete dieser Konflikt. Die Neustädter traten dem Bund der Waisen bei, während sich die Altstädter weiter den Taboriten annäherten. Kromesin zog im September wieder gegen die Lausitz. Nachdem er am 17. September die Burg Landsberg eingenommen hatte, führte er das Feldheer der Taboriten gegen Zittau. Am 28. September versuchte er erfolglos das Kloster Oybin einzunehmen, verwüstete stattdessen aber das Umland.166 Bereits am 25. September hatte sich Prokop mit einem weiteren taboritischen Heer auf den Weg gemacht, um sich mit Kromesins Truppen und einem dritten Verband, der von den Waisen gestellt wurde, zu vereinen. Insgesamt standen am 1. Oktober 6000 Mann Fußvolk, 800 Reiter und 260 Wagen in der Oberlausitz.167 Von Olbersdorf, wo sich die drei Heere zusammenschlossen, zogen die Hussiten an Zittau vorbei Richtung Görlitz. Eine Rechnung des Görlitzer Stadtrates vom 9. Oktober 1429168 lässt auf die unmittelbare Gefahr schließen. Darin heißt es: „Item Heincze Wachin louffinde bote, als her schreib, das dy ketzer obir das gebirge komen weren, 6gr. - Item meister Nickel dem bochssenmeister 6 gr. - Item von des pulvers wegen zu machen 12 gr. - Item dem pheilanschefter von 50 sch. pheil anzusetzin ½ sch. gr.“169 Der hier genannte Heincze Wachin, war nach Zittau geschickt worden, um Bericht über die Vorgänge zu erstatten.170 Am 3. Oktober steckten die Hussiten die Görlitzer Vorstadt in Brand. Dem Geständnis des Hans Pilgram nach stürmten die Hussiten unter Zuhilfenahme einiger Görlitzer Stadtbewohner das „slosse“171 Der Sturm konnte zurückgeschlagen werden. Die Hussiten zogen wieder ab. Schon hier lässt sich erkennen, dass die Belagerungstaktik während der herrlichen Fahrten im Bezug auf gut befestigte Städte eher als ein Anklopfen zu sehen ist. Die Heere kamen vor die Stadt, versuchten einen Ansturm und zogen, wenn der Ansturm misslang, wieder ab. Dieses Anklopfen wird bei der Betrachtung des Feldzuges durch die Mark Brandenburg im Jahr 166 Jecht, S. 226. 167 Chronik des Bartosek von Drahonitz in: Goll (Hg.) Fontes Rerum Bohemicarum, http://www.clavmon.cz/clavis/FRRB/chronica/CRONICA%20BARTOSSII%20DE %20DRAHONICZ.htm. 168 Jecht, Richard (Hg.): Codex Diplomaticus Luatiae superioris (CDL) Görlitz 1902. Bl. 111a 169 Ebd. 170 Jecht, S. 227. 171 CDL: Bekenntnis des Hans Pilgram vom November 1429. S. 121f. 40 1432 noch einmal von Interesse sein. Plündernd zog das Feldheer weiter über Ebersbach-Kunnersdorf, Arnsdorf-Döbschitz und Weissenberg172, kam „vor das haws Barud, das mochten sy nicht gewynnen.“173 Am 7. Oktober 1429 standen die Hussiten vor Kamenz. Ohne großen Widerstand, da sich die Bewohner von Kamenz der drohenden Gefahr durch Flucht entzogen hatten174, nahmen die Hussiten die Stadt ein, zerstörten die umliegenden Orte und brannten das Zisterzienserkloster Marienstern nieder. Am 12. Oktober 1429 ging diese große herrliche Fahrt weiter nach Bautzen. Wieder brannten die Vorstädte. Der Ansturm auf die Stadt aus verschiedenen Richtungen dauerte wohl um die 8 bis 10 Stunden. Die Bautzener konnten, nachdem sie die Verteidigungen ähnlich wie in Görlitz in den letzten Wochen ausgebaut hatten, den Angriff zurückschlagen. Auch hier kam es zu keiner Belagerung, stattdessen beließen die Hussiten es bei ihrer Taktik des kurzen Angriffs. Jedoch konnten sie einen Erfolg verbuchen, da die Bautzener 300 Schock Groschen für einen Waffenstillstand zahlten, der bis April 1430 halten sollte.175 Eine besondere Rolle während des Kampfes um Bautzen spielte Peter Preischwitz, ein Bürger Bautzens, der am 3. Februar wegen Verrats hingerichtet wurde.176 Er soll sich mit Friedrich von Hakeborn verschworen haben, um den Hussiten den Einfall in die Stadt zu ermöglichen.177 Da zwischen Oktober 1429 und Februar 1430 doch einige Zeit liegt, scheint es so, als wären seine Taten erst spät bekannt geworden. Jecht schließt nicht aus, dass sich Preischwitz' Geständnis auf einen späteren Verrat bezog.178 Zumindest unterstreicht dieses Vorkommnis, dass die Hussiten die Hilfe von Verrätern und Spionen in Anspruch nahmen. Bereits am 16. Oktober durchzog das Feldheer das Meißner Land, verwüstete die Städte Bischofswerda und Königsbruck, vereinigte sich mit einem weiteren, von Pirna, Stolpen und Dresden aus kommenden hussitischen Verband und zogen die rechte Elbseite über die Klöster Seusslitz und 172 Jecht, S. 230. 173 Bolkenhain, S. 360. 174 Laut Jecht teilweise bis nach Dresden, siehe Jecht, S. 232. 175 Jecht, S. 234f. 176 Smahel, S. 1486. 177 Jecht, S. 237. 178 Jecht, S. 235. 41 Mühlberg nordwärts .179 Als nächstes fielen sie in die Niederlausitz ein. Dieser Einfall ist auf Grund mangelhafter Quellen kaum gesichert. Luckau und Lübben konnten sich halten, Calau und Drebkau kauften sich für 80 und 20 Schock frei.180 Ein Ansturm auf Cottbus konnte zurückgeschlagen werden. Die Belagerung blieb wie in den anderen Fällen aus. Am 27. Oktober 1429 eroberten und zerstörten die hussitischen Truppen die Stadt Guben.181 Auch hier soll wieder ein Verräter beteiligt gewesen sein. Diesmal handelte es sich um den Zolleinnehmer Spilberg, der den Hussiten die Botschaft brachte, dass Guben nur wenig Kampfkraft entgegen zu bringen hatte.182 Es lässt sich jedoch schließen, dass sich die meisten niederlausitzischen Ortschaften auf Anweisung des Landvogtes Hans von Polenz durch Geldzahlungen dem Niederbrennen entziehen konnten.183 Von Guben aus sollen sich die Hussiten in zwei Abteilungen geteilt haben. Die erste Abteilung ging gegen das Zisterzienserkloster Neuzelle vor. Das Kloster wurde geplündert und niedergebrannt. Nach einigen Angaben soll der Abt Peter umgebracht worden sein.184 Jedenfalls findet er sich urkundlich das letzte Mal am 27. Juli 1429 erwähnt.185 Weiter soll der Zug nach Krossen und Freistadt gegangen sein, während sich die zweite Abteilung der Hussiten dem Ort Sommerfeld bemächtigt haben soll.186 Der Angriff auf Forst wurde zurückgeschlagen, wahrscheinlich handelte es sich auch hier wieder nur um ein kurzes Anrennen der Tore. Bolkenhain erwähnt auch die Stadt Spremberg.187 Da dieses etwas abseits von Sommerfeld und Forst liegt, könnte es sich dabei um einen Aufklärungstrupp der hussitischen Reiterei gehandelt haben, die das verlassene188 Spremberg ohne große Probleme ausräumen konnten. Bei Sagan sollen sich die Abteilungen wieder vereinigt haben und über Bunzlau und Lauban abgezogen 179 Ebd. S. 238. 180 Bolkenhain, S. 360. 181 siehe: Lehmann, S. 75. 182 Ebd. 183 Vgl.: Jecht, S. 240. 184 Ebd. S, 241. 185 Ebd. 186 Lehmann, S. 75. 187 Bolkenhain, S. 361. 188 Lehmann, S. 75. 42 sein. Am 4. November 1429 standen die Hussiten noch einmal vor Görlitz. Die von ihnen in die Stadt geschickten Unterhändler, welche die Kapitulation der Stadt verlangten, wurden vom Rat gefangen genommen und hingerichtet. 189 Nach nun knapp sieben Wochen zog das Feldheer wieder Richtung Böhmen ab. Zurück in Böhmen plante Prokop bereits die nächsten Heerfahrt. Es sollte die größte der herrlichen Fahrten werden. Am 14. Dezember brachen mehrere Marschkolonnen mit einer gesamt Stärke von etwa 15.000 bis 20.000 Mann190 von Prag Richtung Meißen und Sachsen auf. Nach mehreren Tagen des ungebremsten Vormarsches, vorbei an Pirna, Dresden und Meißen, wandte sich der Tross nach Leipzig. Am 29. fiel Oschatz den Hussiten zum Opfer. Kurz vor Leipzig wendeten sich die Hussiten dann Richtung Süden. Das hussitische Heer teilte sich in mehrere Verbände. Den ersten Teil bildete die taboritische Feldgemeinde unter der Führung Prokops und Kromesins. Die taboritische Heimatgemeinde, zusammen mit den verbündeten städtischen Aufgeboten, standen unter Andreas von Rimovice. Den dritten Verband stellte das Feldheer der Waisen unter dem ehemaligen Hauptmann der Garde Zizkas Jira von Recice. Weiter folgten das Aufgebot der Prager Altstadt unter Siegmund von Kotencice und die Mitglieder des Städtebundes der Waisen unter Johann Kralovec.191 Diese fünf Abteilungen zogen nun von Leipzig aus bis nach Plauen, welches am 25. Januar 1430 erobert wurde. Die Größe des Heereszuges ermöglichte es den Hussiten, von ihrer bisherigen Taktik bei Stadtangriffen abzuweichen und die Städte während dieser herrlichen Fahrt ohne Ausnahme zu erobern. Nach Plauen folgten Hof, Münchberg und in der Nacht vom 29. auf den 30. Januar Bayreuth und Kulmbach.192 Nun ging es vereint nach Bamberg, wo am 2. Februar ein Brief Prokops eintraf: „Wir fordern euch auf, zunächst zu den Wahrheiten des Evangeliums zurückzukehren, denn für diese Wahrheiten kämpfen wir ohne Unterlass. Wenn ihr diese Forderung annehmt, stellen wir sofort alle Plünderungen ein, und wir werden von euch wahrlich keine Gelder in mutwilliger Weise 189 Smahel, S. 1468. 190 Smahel, S. 1469. 191 Ebd. S. 1472f. 192 Ebd. S. 1474. 43 erzwingen.“193 Die geballte Kraft der Hussiten führte ohne deren Eingreifen in Bamberg zu einer Panik. Das Patriziat verließ fluchtartig die Stadt, während die Armen sich in den Häusern der Reichen gütlich taten und plündernd durch die eigene Stadt zogen.194 Nun griff der Hohenzollern Friedrich I. ein und verhandelte mit den Hussiten über Lösegelder. Das Bistum Bamberg verpflichtete sich zu einer Zahlung von 12.000 Gulden.195 Kurze Zeit später kam es zum Beheimsteiner Vertrag, in dem sich die Stadt Nürnberg zu einer Zahlung von 12.000 Gulden, der Kurfürst zu 9000 Gulden und Pfalzgraf Johann zu 8000 Gulden verpflichteten.196 Der zweite Teil des Vertrages sah vor, dass Prokop mit einer Gesandtschaft von mehreren hundert Mann nach Nürnberg ziehen durfte, um dort öffentlich über die Prager Artikel zu verhandeln. Mit dieser Vereinbarung trat ein Waffenstillstand in Kraft, der bis zum 25. Juli 1430 gelten sollte. 197 Die Hussiten zogen sich nach Böhmen zurück, nicht ohne jedoch am 13. Februar vor Eger aufzutauchen und die Stadt um 900 Gulden zu erleichtern. Am 21. Februar 1430 endete dieser für die Hussiten so erfolgreiche Feldzug mit dem feierlichen Einzug in Prag. Friedrich I. machte sich daran, die Vereinbarungen zu halten, stieß jedoch auf den Widerstand von Kaiser und Kirche. Papst Martin V. war noch immer gegen eine politische Lösung, denn mit „schändlichen und verstockten Ketzern durfte nicht verhandelt werden.“198 Friedrich I. und die Kurfürsten drängten auf die Eröffnung eines Konzils, wogegen sich Martin V. weiterhin beharrlich weigerte. Während die hussitische Delegation in Prag auf einen Geleitbrief des Kurfürsten wartete, musste sich dieser nicht nur dem Papst, sondern auch Sigismund geschlagen geben. Der Kaiser wandte sich gegen Friedrich und versuchte selbst eine Verhandlungsbasis in Böhmen aufzubauen: „Es dünkt uns, dass es für sie wesentlich ehrenvoller wäre, wenn diese Angelegenheiten durch uns als dem natürlichen Herrn und durch die Böhmen selbst 193 Macek, S. 137. 194 Ebd. S. 137f. 195 Baum, S. 220. 196 Ebd. : Macek (S. 138) spricht von 11.000, 14.000 und 10.000 Gulden, Smahel (S. 1479) von 12.000, 9000 und 7000 Gulden 197 Smahel, S. 1479f. 198 Rieder, S. 190. 44 geregelt würden als durch andere.“199 Friedrich konnte seine Versprechen nicht einhalten, er lud zwar die Delegation nach Eger ein, kam dort aber selbst nie an. In dieser Zeit veröffentlichten die Hussiten eine Reihe von Manifesten, unter anderem in deutscher Sprache, die Verbreitung in ganz Europa fanden.200 Diese Manifeste, in denen neben den Prager Artikeln auch die Grundsätze des Hussitismus erläutert wurden, führten zu einer weiteren Diskussion über die Notwendigkeit eines Konzils. Der Druck auf die Kurie nahm nun auch aus den eigenen Reihen zu.201 Der Waffenstillstand brachte zwar für die Gebiete westlich von Böhmen erst einmal Ruhe, die Kriegszüge zu unterlassen widerstrebte den Hussiten jedoch, die durch die Beutezüge ihr eigenes Heer unterhielten. Ende März 1430 fiel das taboritische Feldheer unter Führung Kromesins erneut in Schlesien ein. Dort vereinigten sie sich mit den Truppen von Prinz Sigismund Korybut, der zwar keinen Anspruch mehr auf die böhmische Krone hegte, sich nun jedoch einen eigenen Machtbereich mit Hilfe der Hussiten aufzubauen erhoffte.202 Dazu kamen polnische Truppen unter Dobeslav Puchala, einem Vertrauten des polnischen Kanzlers Johannes Szaffraniec, der mit den Hussiten einen Bund eingegangen war. Offiziell konnte Wladislaw die Hussiten natürlich nicht unterstützen, da aber Litauen und der deutsche Orden ein Bündnis eingegangen waren und sich Wladislaw mehr und mehr von Sigismund entfernte, suchte der polnische König die Nähe der Hussiten. 203 Am 17. April wurde Gleiwitz und kurze Zeit später Beuthen erobert. Puchala eroberte mit seinen Truppen von Polen aus die schlesischen Ortschaften Kreuzburg und Pitschen. Kromesins Truppen zogen nun auf Nimptsch zu, das am 23. April 1430 fiel.204 Die Waisen hatten sich derweil unter Velek von Breznice aufgemacht, um gegen Sigismund in der Slowakei und Ungarn anzugehen. Nach Gefechten bei Kostel im mährischösterreichischen Grenzgebiet stießen die Waisen am 23. April auf Sigismunds Truppen. Nach einigen Tagen des Vorrückens und Austarierens kam es im Sumpfgebiet zwischen 199 Aus einem Brief an Ulrich von Rosenberg vom 16. März 1430 in Smahel, S. 1484. 200 Macek, S. 139ff. 201 Rieder, S. 192. 202 Smahel, S. 1488. 203 Baum, S. 221. 204 Rieder, S. 191. 45 Tyrnau und der Waag zum offenen Schlagabtausch. Dem ungarischen Heerführer Stibor von Stiborze gelang es, in die hussitische Wagenburg einzudringen. Velek fiel während der Schlacht, bevor sich die Waisen in der Nacht davonstehlen konnten. 205 7.3 Der letzte Kreuzzug gegen die Hussiten Die nächsten Monate blieben von großen militärischen Aktionen verschont. Hauptsächlich konzentrierten sich die Kräfte auf Nimptsch und einige kleinere Überfälle auf Münsterberg am 8. September, Namslau am 28. November und Ottmachau am 4. Dezember 1430. Im Dezember kam es zu einem kleinen Feldzug der Waisen in die Oberlausitz. Am 25. Dezember fiel Bernstadt, um Neujahr Reichenbach. Nach dem 9. Januar zogen sie sich jedoch, wahrscheinlich im Hinblick auf einen nach Kuttenberg einberufenen Landtag, wieder zurück nach Böhmen.206 Auf diesem Landtag, der am 11. Februar 1431 stattfand, wurde ein zwölfköpfiger Ausschuss gewählt, der als eine Art „provisorische Regierung“ agiert haben soll.207 Prokop Holy hatte sich derweil mit einer Gesandtschaft nach Krakau aufgemacht, um dort mögliche Verhandlungen mit Wladislaw aufzunehmen. Die wechselseitigen Beziehungen zwischen Polen und Litauen beeinträchtigten jedoch dieses Unternehmen, so dass die Verhandlungen in einer Sackgasse zu enden drohten.208 Am 20. Februar 1431 starb Papst Martin V., was die Chancen einer möglichen hussitischen Beteiligung am Konzil steigen ließ. Über die Vorschläge Wladislaws, dass sich die Hussiten auf dem Konzil einem Schiedsspruch unterstellen sollten, meinte Prokop, erst auf einem Landtag mit den Hussiten reden zu müssen, bevor er irgendwelche Zusagen machen wollte.209 Kromesin bereitete seit dem Landtag im Februar einen erneuten Feldzug in die Oberlausitz vor. Ab dem 19. Februar berannten die Taboriten erfolglos Bautzen. Am 21. 205 Siehe: Grünhagen, Colmar: Hussitenkämpfe der Schlesier 1420-1435, Breslau 1872, S. 183-190. 206 Jecht, S. 255ff. 207 Smahel, S. 1498. 208 Ebd. 209 Ebd. S, 1500. 46 Februar traf das Heer der Waisen ein, gemeinsam nahmen sie am 27. Februar Löbau ein, einen wichtigen Verkehrspunkt zwischen den Sechsstädten.210 Es folgte ein vergeblicher Versuch, Zittau einzunehmen, bevor das hussitische Feldheer am 19. März Lauban eroberte. Der taboritische Teil des Heeres zog nach Schlesien, um dort Goldberg und Lüben dem Erdboden gleich zu machen, dann ging es wieder zurück nach Böhmen. 211 Sigismund hatte für Februar 1431 einen Reichstag nach Nürnberg einberufen. Im Gegensatz zu vielen vorherigen Reichstagen war dieser gut besucht, und selbst Sigismund erschien pünktlich.212 Kardinal Cesarini, den Papst Martin V. kurz vor seinem Tod zum Legaten für einen weiteren Hussitenkreuzzug ernannt hatte, trat vehement für diese Aufgabe ein. Sigismund, der genauso wie Friedrich I. von Brandenburg gegen einen Kreuzzug war, überließ die Entscheidung den Fürsten und Städten, die am 18.3. den Beschluss zur Heerfahrt verabschiedeten.213 Das Heer sollte nach dem Plan des Reichstags in sieben Abteilungen im Juli aufbrechen. Das Oberkommando wurde wieder dem brandenburgischen Kurfürsten überlassen. Am 9. Mai 1431 brach Sigismund gemeinsam mit Friedrich I. nach Eger auf, um erneut mit den Hussiten zu verhandeln.214 Prokop nahm diesmal nicht an den Verhandlungen teil. Die hussitische Gesandtschaft forderte wie schon in Polen freies Gehör vor dem Konzil. Sigismund schlug wie auch Wladislaw vor, dass sich die Hussiten dem Urteil des Konzils zu unterwerfen hatten. Die Chancen auf eine Einigung waren größer als noch im März in Polen.215 Als jedoch der Gesandte des Kardinallegaten Johannes von Ragusa eintraf und ein vehementes militärisches Vorgehen forderte, scheiterten die Verhandlungen abermals.216 Die Parteien zogen sich am 28. Mai 1431 zurück und begannen mit den jeweiligen Vorbereitungen für den kommenden Kreuzzug. Prokop war während der Verhandlungen in Eger mit Kromesin erneut in die Oberlausitz eingefallen. Grund dafür 210 Jecht, S. 281ff. 211 Smahel, S. 1501. 212 Rieder, S. 192. 213 Baum, S. 227. 214 Smahel, S. 1508ff. Jedoch bezieht sich Smahel hierbei großenteils auf Bezold, Friedrich: König Sigismund und die Reichskriege gegen die Hussiten, München 1877, Bd. 3, Kap. 5. 215 Baum, S. 230. 216 Ebd. 47 war der Versuch der Görlitzer, Löbau zurückzuerobern. Innerhalb von 13 Tagen legte das Feldheer eine Strecke von 200 km zurück. Dieser schnelle Vorstoß hinderte die Görlitzer an ihren Rückeroberungsplänen.217 Damit hatte Prokop eine weitere militärische Operation erfolgreich abgeschlossen und zog sich zurück. Am 28. Juni traf das taboritische Feldheer unter Prokop in Pilsen ein, wo es sich mit den restlichen hussitischen Verbänden vereinte und das Kreuzfahrerheer erwartete. Friedrichs Kreuzfahrer versammelten sich in Weiden, von wo aus sie am 1. August 1431 mit einer wahrscheinlichen Stärke von 40.000 bis 90.000 Mann218 die böhmische Grenze Richtung Tachau überschritten. Schon in den ersten Tagen zeigten sich auf Seiten der Kreuzfahrer die alten Muster. Kardinal Cesarini drängte darauf, Tachau im Sturm zu nehmen, dem widersetzte sich Herzog Johann von Bayern, der hoffte Tachau nach dem Sieg gegen die Hussiten als Beute beanspruchen zu können.219 Die Plünderungen durch die Kreuzfahrer hatten schon in den letzten Jahren erheblichen Schaden angerichtet, nun überstiegen sie jedoch das bisherige Maß um ein Vielfaches.220 Der Versorgungsengpass, der sich durch das ausgehungerte Land um Tachau auf die Kreuzfahrer auszuwirken begann sowie die Uneinigkeit in der Führung führte zum Abbruch der Belagerung Tachaus und zum Weitermarsch des Heeres. Nachdem das Heer der Kreuzfahrer Taus erreicht hatte, begannen sie die Stadt zu belagern. Das hussitische Heer hatte sich weiter ins Landesinnere zurückgezogen und begann am 12. August mit einem Eilmarsch Richtung Taus. Während die Kreuzfahrer für den Marsch von Weiden an die Grenze- etwa 55 Kilometer - drei Tage benötigten, legten die Hussiten eine Entfernung von 85 km in zwei Tagen zurück.221 Eine Meisterleistung, die dem hussitischen Heer ein Überraschungsmoment brachte. Am 14. August trafen Katholiken und Hussiten aufeinander. Friedrich I. versuchte die durch Plünderungszüge um Taus verstreuten Truppenteile zusammenzuziehen.222 Jedoch hatte die plötzliche 217 Jecht, S. 297-302. 218 Durdik, S. 237. 219 Ebd. S. 238. 220 Macek, S. 144. 221 Durdik, S. 239. 222 Ebd. S. 240. 48 Verlagerung einiger Truppenteil im Zusammenhang mit den herannahenden Hussiten nur das Ergebnis, dass wieder Chaos und Panik in den Reihen der Kreuzfahrer überhand nahmen. Noch bevor es zu einer Schlacht kommen konnte, verließen die Kreuzzugstruppen wieder einmal fluchtartig das Gelände. Eine Wagenburg der katholischen Truppen versuchte den Rückzug zu sichern, konnte allerdings von hussitischen Abteilungen eingenommen werden. Bis tief in die Nacht hinein verfolgten die Hussiten die flüchtenden Truppen und nahmen dabei „Mengen von Waffen, Büchsen und Pulver, Geld, Fässer voll Gold und Silber, kostbare Gewänder und andere Güter“223 als Beute. Die größte Schmach an diesem Tag erlitt jedoch Kardinal Cesarini. Nachdem er noch am Morgen versucht hatte die Massen gegen die Hussiten aufzubringen, flüchtete er in Verkleidung vom Schlachtfeld, um nicht von den eigenen Leuten aufgegriffen zu werden.224 Die päpstliche Fahne, die Kreuzzugsbulle und Cesarinis Kardinalsmantel fielen in hussitische Hände. Cesarini, heil aus diesem Feldzug herausgekommen, änderte danach seine Ansichten und trat für eine friedliche Lösung mit den Hussiten ein. Im Januar 1432 drängte er auf einen Kompromiss beim Konzil, bevor sich die hussitische Revolution auf Deutschland ausweitete. 225 Der Kreuzzug, der in Taus ein so klägliches Ende gefunden hatte, blieb der letzte große Versuch, mit einem Feldzug gegen die Hussiten anzugehen. Nach Friedrich I. von Brandenburg, Sigismund und zuletzt Kardinal Cesarini war den katholischen Parteien bewusst geworden, dass man auf dem Konzil, welches am 23.7.1431 in Basel eröffnet wurde, eine Einigung mit den Hussiten würde finden müssen. 8. Der Feldzug gegen Brandenburg im Frühjahr 1432 8.1 Von Taus nach Eger Kaum in Prag angekommen, zog das taboritische Heer wieder in den Kampf. In der Oberlausitz hatte der Sechsstädtebund einen erneuten Versuch begonnen, Löbau 223 Prälat Andreas von Regensburg über die Niederlage bei Taus, zit. nach Durdik, S. 240f. 224 Baum, S. 230. 225 Macek, S. 145. 49 zurückzuerobern. Die Belagerung begann am 17. Juli 1431 und dauerte bis zum 12. August 1431 an. Die hussitische Besatzung konnte ausbrechen und entkommen, damit war die Stadt wieder in den Händen der Lausitzer.226 In Schlesien drohte Nimptsch ebenfalls verloren zu gehen. Prokop zog der Stadt entgegen, die Belagerung wurde aber am 8. September beendet.227 Nach zweiwöchigem Zug durch Schlesien konnten sie den Troppauer Herzog Premek zu einem Waffenstillstand zwingen, der vom Herzog verlangte, die Prager Artikel anzunehmen oder 4000 Schock Groschen zu zahlen. 228 In der Führung der Feldheere hatte sich in dieser Zeit eine Veränderung vollzogen. Kromesin war tot, sein Nachfolger bei den Taboriten wurde Otik von Loza. Das Waisenheer, welches im September 1431 in Mähren einen Feldzug Albrechts von Österreich zurückgeschlagen hatte, wurde von Jan Capek ze San geführt. Im Oktober mussten die Hussiten sich in Österreich geschlagen geben. Nikolaus Sokol von Lamberg fiel mit einem hussitischen Aufgebot in Niederösterreich ein. „Nachdem sie viele Fässer Wein und anderes requiriert hatten und sich schon auf dem Rückweg befanden, griffen die Kriegsvölker des Herzogs von Österreich […] unter dem Kommando des Herren Krayg […] die Wiclefiten in der Nähe der Stadt Waidhofen an.“229 Krayg konnte die hussitische Wagenburg am 14. Oktober 1431 erfolgreich angreifen, die Verluste der Hussiten sollen an diesem Tag ein Fünftel betragen haben.230 Ohne Kenntnis der Niederlage Sokols durchzogen taboritische Truppen und Verbände der Waisen die slowakischen Gebiete. Nach den Einnahmen der Burg Likava in der Nacht vom 27. auf den 28. September und der bischöflichen Stadt Neutra Mitte Oktober 1431 231 kam es zwischen Prokop und Capek ze San zum Disput. Prokop bestand auf dem unverzüglichen Abzug während Capek ze San den Feldzug weiterführen wollte. Die Taboriten zogen dennoch über Neustadt an der Waag nach Ungarisch Brod ab. Sigismunds Truppen hatten sich bereits auf die Verfolgung der Hussiten gemacht. Um 226 Jecht, S. 300ff. 227 Grünhagen, S. 216. 228 Smahel, S. 1524. 229 Aus einer tschechischen Chronik, zit. nach: Rieder, S. 194. 230 Smahel, S. 1527. 231 Ebd. S. 1528. 50 deren Rückzug zu sichern, ließ Prokop eine Brücke über die Waag abreißen.232 Das Heer der Waisen wurde immer stärker von den Truppen Sigismunds bedrängt. Da die Brücke nicht mehr vorhanden war, mussten die Waisen einen Umweg über Illau antreten, der das schon abgekämpfte Heer noch mehr ermüdete. Um den 19. November 1431 kam es zu einem Gefecht, bei dem die gesamte Reiterei der Waisen aufgerieben wurde. Am 20 Dezember erreichte der Rest des Heeres endlich Prag.233 Auf politischer Ebene sollte es für die Hussiten besser laufen. Die Niederlage des Kreuzheeres lag schwer auf der katholischen Partei. Auf dem Basler Konzil verfestigte sich die Bereitschaft, den Hussiten die Anhörung vor dem Konzil zu gewähren. Am 15. Oktober sandte das Konzil drei Einladungsschreiben zu den Hussiten. In ihnen war von einer „seit jeher gehegten Liebe der Väter des Konzils zu Böhmen und dem tschechischen Volke“234 die Rede. Die Hauptziele des Konzils wurden am 14. Dezember 1431 verkündet: Die Ausrottung der Häresie, die Herbeiführung eines allgemeinen Friedens und eine grundlegende Kirchenreform.235 Eugen IV. jedoch nutzte die Haltung des Konzils dazu aus, am 12. November und erneut am 18. Dezember eine Auflösungsbulle für das Konzil zu erlassen. Der Konflikt zwischen Papst und Konzil spitzte sich zu. Als die zweite Auflösungsbulle Mitte Januar 1432 in Basel verkündet wurde , gab es kein Halten mehr. Am 15. Februar 1432 wurden die Dekrete des Konstanzer Konzils Haec santa- wonach das Konzil über dem Papst steht- und Frequens über die Abhaltung der Konzilien feierlich erneuert.236 Die Einladung den Konzils wurde in Prag Mitte November mit Erleichterung und Freude aufgenommen. Die Hoffnung auf eine friedliche Lösung wuchs. Allerdings führte das Schreiben auch zum Konflikt mit Prokops Taboriten. Nachdem die Waisen von ihrem missglückten Feldzug zurückgekehrt waren, verschärfte sich die antitaboritische Haltung auf Seiten der Neustadt, die durch die Kritik der Waisen, Prokop 232 Ebd. Nach andere Angaben sei die Brücke allein eingestürzt. 233 Ebd. S. 1529. 234 Zit. nach Rieder, S. 218. 235 Baum, S. 238. 236 Ebd. 51 habe die alleinige Schuld am Ausgang des Feldzuges, noch gefüttert wurde. 237 Die Bündnisse innerhalb Prags wechselten. Die Altstädter, bisher auf taboritischer Seite, wechselten auf die Seite der Waisen und der bis dahin so verhassten Neustädter. Im Januar trat der Landtag in Prag ohne die Anwesenheit Prokops und der Taboriten zusammen. Die Stellung der Radikalen wurde mehr und mehr geschwächt. Der sich in den Feldheeren ausbreitenden Disziplinlosigkeit der letzten Jahre sollte durch neue Beschlüsse Einhalt geboten werden. Prokop stand kurz vor der Isolierung und musste handeln. Er schloss einen Waffenstillstand mit dem katholischen Hauptmann Ulrich von Rosenberg, zog das gesamte taboritische Heer bei Beneschau zusammen und zog, gestärkt durch seine Truppen, in Prag ein.238 Am 10. Februar trat der gesamte hussitische Landtag zusammen. Prokop bekundete die Bereitschaft der Taboriten, die Einladung zum Basler Konzil anzunehmen, sofern man sich über die Bedingungen für die Konzilsreise einigen könne. Die Einigung sah vor, dass man sich in Eger mit einer Gesandtschaft des Konzils traf, um konkrete Vorkehrungen für die Anhörung auf dem Konzil zu verhandeln. Dem Basler Konzil wurde dieser Beschluss am 27. Februar 1432 überbracht.239 Das Treffen in Eger wurde auf den 27. April 1432 angesetzt. 8.2 Der Einfall in die Lausitz und die Mark Brandenburg im März und April 1432 Der innerhussitische Konflikt war den Augen des Konzils nicht verborgen geblieben. Eifrig hatte man Nachrichten über den Streit zwischen Taboriten und Waisen zusammengetragen. So schrieb der Konzilsbeauftragte Johannes Nider von einem Gerücht, nach dem die Prager auf Bitten Prokops, ihm einen Arzt zu schicken, antworteten, dass sie ihm lieber den Henker nach Kuttenberg schicken würden.240 Dieser Konflikt, so hoffte das Konzil, würde die hussitischen Parteien gegeneinander ausspielbar machen.241 Prokop begann mit den Vorbereitungen für einen weiteren 237 Smahel, S. 1531. 238 Ebd. S. 1534f. 239 Ebd. S. 1536f. 240 Ebd. S. 1531. 241 Flocken, S. 148f. 52 Feldzug. Dieser Feldzug, der die Heere von Taboriten und Waisen vereinte, sollte über die Lausitz nach Brandenburg gehen. Über die Gründe, warum die Hussiten nach Brandenburg gingen, gab es bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts eine lebhafte Diskussion.242 Die erste Theorie besagt, dass es sich bei dem Feldzug um einen Beutezug handelte. Diese Theorie basiert auf der Aussage eines Gefangenen in Görlitz. Dieser gab an, dass die Hussiten „eine Reise in die Mark nach Speise tun […] wollten.“243 Wie bereits dargestellt, war die Mark kein wohlhabendes Land. Die „Speise“ demnach dürftig. Böhmen war durch die langen Jahre des Krieges verwüstet und die umgebenden Länder inzwischen zur Genüge ausgeraubt, Brandenburg dagegen von bisherigen Einfällen verschont geblieben. Als alleinigen Grund für einen Zug kann man „Speise“ jedoch ausschließen. Nachdem die Feldzüge in die Slowakei und nach Österreich Ende 1431 schief liefen, schienen die hussitischen Führer davon abzusehen, dort noch einmal einzufallen. Die Oberlausitz blieb beim kommenden Einfall nicht verschont. Man hätte demnach, wie beim großen Feldzug von 1429, weiter nach Westen ins Meißner Land oder bis nach Thüringen gehen können. Hier hätte sich sicherlich mehr Beute machen lassen als in Brandenburg. Die zweite Theorie besagt, dass die Hussiten aus Rache an Friedrich I. wegen seines Amtes als Oberbefehlshaber bei den letzten Kreuzzügen in Brandenburg einmarschierten. Da Prokop jedoch spätestens seit dem Zug 1429 wusste, dass Friedrich I. ein guter Verhandlungspartner war, der zudem als einer der Ersten für eine friedliche Lösung eintrat, wäre es politisch unverständlich, die kommenden Verhandlungen, bei denen Friedrich I. ein wichtige Rolle übernahm, durch Rachegelüste zu erschweren. Viel wahrscheinlich ist dagegen die Überlegung, dass Prokop auf das Konzil und vor allem die Verhandlungen Druck ausüben wollte, indem er einen erfolgreichen Kriegszug durchführte.244 Brandenburg schien erfolgversprechend zu sein. Friedrich I. hatte die Mark seit Jahren nicht mehr betreten, 242 Sello, G.: Die Einfälle der Hussiten in die Mark Brandenburg und ihre Darstellung in der märkischen Geschichtsschreibung in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 19, ohne Angabe des Ortes 1882, S. 614 – 666. Goerlitzer, Max: Der husitische Einfall in die Mark im Jahre 1432 und die „Husitenschlacht“ bei Bernau in 2 Teilen, Berlin 1891. Jecht, S. 322 – 341. 243 Jecht, S. 322. 244 Goerlitzer, 1 S. 5. 53 die Amtsgeschäfte seinem Sohn Johann übergeben. Johann war als Markgraf vor allem mit den Städten beschäftigt. Allein 1429 kam es zweimal zum offenen Konflikt, im Stendaler Aufstand und den Unruhen in Salzwedel.245 Noch im selben Jahr verlor er ein Kräftemessen mit Frankfurt/Oder.246 Der Konflikt mit den Städten führte 1431 zu einem Bündnis zwischen Berlin, Cölln, Brandenburg an der Havel und Frankfurt/Oder. 247 Johann war durch diese Konflikte geschwächt, ein ideales Angriffsziel.248 Eine weitere Überlegung für den Feldzug war sicherlich darin begründet, dass man dem Konzil demonstrieren wollte, dass die innerlichen Konflikte überwunden werden konnten. Die Hoffnung auf eine selbstzerstörerische Spaltung der Hussiten also unbegründet war. 249 Eine letzte Theorie, warum gerade Brandenburg als Ziel auserkoren wurde, ist die mögliche Rache am Bischof von Lebus, der 1431 am Kreuzzug teilgenommen hatte. Die Rachetheorien scheinen jedoch zu sehr der romantischen Vorstellung des 19. Jahrhunderts entsprungen zu sein. Hätten sich die Hussiten an allen rächen wollen, die im Laufe der 16 Jahre Krieg gegen sie ins Feld gezogen waren , wären die Kampfhandlungen wahrscheinlich weitere 16 Jahre weitergeführt worden. Fasst man jedoch diese vielen Theorien zusammen, ergibt sich ein mögliches Ganzes, was zum Kriegszug nach Brandenburg geführt haben könnte. Prokop wird als politischer Denker, der er war,250 mit Sicherheit daran gedacht haben, Druck auf die Verhandlungen in Eger auszuführen und dem katholischen Europa eine hussitische Geeintheit zu demonstrieren. Da Friedrich I. in Eger als Verhandlungspartner auftrat, mochte der Zug auch die Nachgiebigkeit des Kurfürsten fördern wollen. Letztlich wird die Tatsache, dass Brandenburg bisher verschont geblieben war und demnach doch einiges zu holen war sowie die Schwierigkeiten des Markgrafen mit den eigenen Städten den letzten 245 Böcker, Heidelore: Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollerschen Kurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts, in: Materna (Hg.): Brandenburgische Geschichte, S. 181. 246 Ebd. 247 Ebd. S. 182. Am 28. Juni 1432 verkündeten die Stadträte von Berlin und Cölln den Beschluss zur Union. 248 Flocken, S. 154. 249 Goerlitzer, 1 S. 5. 250 Smahel, S. 1537. 54 Zweifler unter den Hussiten davon überzeugt haben, in die Mark einzufallen. Mitte März brachen vier hussitische Abteilungen mit einer Gesamtstärke von 7000 bis 8000 Mann251 , in eine westliche und eine östliche Gruppe geteilt, von Böhmen aus auf. Die westliche Gruppe mit einer Stärke von etwa 5000 Mann überfiel am 17. März 1432 die Stadt Friedland und zog von dort aus über Lauban und Bunzlau ins Glogauer Land. Die östliche Gruppe war zu gleichen Zeit von Königgrätz und Jaromir aufgebrochen und teilte sich in Ihre Abteilungen. Während die eine Abteilung durch das Glogauer Land auf Guben zuging, schwenkte die zweite Abteilung Richtung Lauban. Heinrich von Glogau zog seine Truppen zusammen und wollte von Parschwitz aus Richtung Löwenberg ziehen, um dort die Hussiten aufzuhalten.252 Die westliche Gruppe hatte sich am 25. März bei Freystadt getrennt.253 Der eine Teil ging auf Guben zu, der andere schwenkte unerwartet zurück Richtung Löwenberg und Lauben, wo er sich mit der vierten Abteilung, der Reiterei der Schlesischen Besatzung unter Friedrich von Straßnitz, vereinte.254 Die Führerschaft Friedrichs von Straßnitz scheint auf Grund eines Briefes, den dieser an Anna von Biberstein schrieb, gesichert.255 Jan Capek ze Sans' Teilnahme am Feldzug scheint ebenfalls höchstwahrscheinlich. 256 Nur bei Prokop ist sich die Forschung nicht einig. Für Sello steht außer Frage, dass Prokop teilnahm 257, Goerlitzer schließt dies wiederum völlig aus258, Jecht lässt diese Frage vollends offen und für Smahel scheint Prokops Teilnahme wiederum unumgänglich.259 Am 8. Mai traf Prokop mit der Begründung, er habe auf den Geleitbrief warten müssen, verspätet in Eger ein, noch um den 3. Mai standen die Hussiten jedoch in der Niederlausitz.260 Innerhalb von 5 Tagen von der Niederlausitz nach Prag und von dort aus nach Eger zu 251 Goerlitzer, S. 6. 252 Vgl.: Brief es Herzogs Heinrich von Glogau an die Sechsstädte vom 19. März 1432 in: Palacky, S. 278. 253 Jecht, S. 327. 254 Smahel, S. 1538. 255 Goerlitzer, 1 S. 8. Der Brief findet sich in: CDL, S. 383 f. 256 Ebd. S. 9. 257 Sello, S. 639. 258 Goerlitzer, 1 S. 7. 259 Smahel, S. 1538. 260 Jecht, S. 340. 55 reiten, war selbst bei der hohen Geschwindigkeit des hussitischen Heeres kaum zu bewerkstelligen. Jedoch spricht die Eile des durchgeführten Feldzuges wieder dafür, dass man den Termin in Eger einhalten wollte. Es ist also mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Prokop am Feldzug durch die Mark teilnahm, sich jedoch noch vor dem 27. April vom Heer trennte, um nach Eger zu gelangen. Dafür spricht auch der Brief Friedrichs von Straßnitz, der um diese Zeit geschrieben wurde, nämlich als Hans von Polenz im hussitischen Lager verweilte.261 Die Rückwärtsbewegung von Freystadt nach Löwenberg sollte die Rückzugslinien sichern262, indem die Abteilung drohend nah an Görlitz herankam, um es „einzuschüchtern“.263 In einer eilig ausgeführten Operation brannten die Hussiten die Vorstädte nieder und zogen wieder Richtung Guben. Der vermeintlich chaotische Zug der vier Abteilungen hatte seine verwirrende Wirkung nicht verfehlt. Der Herzog von Glogau konnte aufgrund der Schnelligkeit der Hussiten seinen Plan nicht durchsetzen. Die Rückzugwege waren gesichert. Alle 4 Abteilungen sollten sich am 6. April 1432 in Guben vereinen.264 Der Landvogt Hans von Polenz versuchte seine Truppen zusammenzuziehen und gegen die Hussiten vorzugehen, wurde aber, wie zuvor der Herzog von Glogau, durch die Schnelligkeit der hussitischen Streitmacht an seinen Plänen gehindert. Stattdessen handelte er um den 10. April einen Waffenstillstand für die Niederlausitz aus.265 Guben hatte sich kampflos ergeben und die Tore der Stadt für die Hussiten geöffnet. Ein erster Vorstoß in die Mark Brandenburg erfolgte um den 6. und 7. April. Am 7. April266 überfiel die hussitische Abteilung die Gegend um Seelow, welches sich immerhin 70 km nördlich von Guben befindet, rückten von dort aus wieder südlich auf Frankfurt/Oder zu und bezogen ihr Nachtlager in Müllrose. Ein Aufgebot der Frankfurter griff nun, etwa um den 10. April267, die Hussiten in Müllrose an. Der Vogt der Neumark beschrieb dieses Ereignis in einem Brief an den Hochmeister vom 12. April: „Und weren am montage [7. April] negest 261 Ebd. S. 339. 262 Laut Smahel, S. 1538, hatten die Hussiten damit ein Ergebnis wie im Winter zuvor verhindern wollen. 263 Jecht, S. 328. 264 Ebd. S. 332. 265 Jecht, S. 334. 266 Ebd. S. 335. 267 Jecht, S. 335. 56 vorgegangen herab gerugket wol halbwege ken Franckenfort zu Selow, das sie pochten dem hern bischophe von Lubus und sunte Johannis orden gepocht eynen guten hoff und eyne stat genant Milraze. Do wurden die von Frankfort und ander erbar lute gereit und obirvilen die ketczer im ste[t]chen by nachte und haben do ere reisige zug und beste have dirniddergeleet, also das der ketczer bie drenhundert sint geblebin, die tod sint geslagen und vorbrant, sunder die von Frankfort mit eren helferen die zit nicht wen eynen man haben verloren.“268 Ein Brief der Stadt Frankfurt/Oder an Görlitz vom 17. April wiederholt die Aussage des Vogtes: „Thun wir euch wissin, das wir mit der Hülffe Gotis der Ketzir na by 400. tot geslagin und vorbrant haben zur Melrosen im Stetchin.“269 Der erste Brief weist auf den Bischof von Lebus hin, hiermit sei das Motiv der Rache auf eine kurze Plünderung der bischöflichen Länder beschränkt, der gesamte Feldzug scheint damit aber nicht wegen des Bischofs geführt worden zu sein. Die Zahl der getöteten Hussiten von 300-400 Mann weist darauf hin, dass es sich um ein relativ kleines Kontingent handelte. Das Hauptheer lag zu diesem Zeitpunkt noch in Guben und handelte mit Hans von Polenz den Waffenstillstand aus. Die Marschgeschwindigkeit der hussitischen Abteilung, nämlich 120 km in 4 Tagen inklusive Plünderung des Seelower und Lebuser Gebiets, lag sehr hoch. Dies und die bereits beschriebene Nutzung der Reiterei als Vorhut lässt nur den Schluss zu, dass es sich bei diesem ersten kurzen Einfall um eine Aufklärungsoperation der hussitischen Reiterei handelte. Den Aufklärungscharakter beweist zudem der Verlauf des nun folgenden Zuges des Gesamtheeres, bei dem Lebus angegriffen wurde. Um den 11. April herum zog das Hauptheer von Guben nordwärts und erreichte am 13. April Frankfurt. „Sie woren am Palmtag vor vnser Stad, vnd schickten sich zu storme, vnd das bequome in nicht.“270 Nach dem zurückgeschlagenen Ansturm zogen die Hussiten weiter. Hier wiederholt sich die bereits des öfteren aufgezeigte Gepflogenheit des Anklopfens. Es 268 Zit. nach: Jecht, S. 335f Anmerkung 2. 269 CDL, S. 297. 270 Ebd. Siehe auch einen weiteren Brief des Vogtes der Neumark vom 14. April 1432: „und liggen mit erer wagenburg dovor (Frankfurt) und stormen und haben iczund die vorstete und die dorphere do umb lang gepocht und vorbrant.“ Jecht, S. 336, Anmerkung. 57 folgte Lebus „das haben sy zubrochin gantz weg.“271 In diesem Zusammenhang lässt sich eine weitere taktische Leistung der Hussiten erkennen. Während ihr Zug auf Frankfurt dafür sorgte, dass die Verteidigung der Stadt mit Truppen verstärkt wurde, entstand in den umliegenden Städten, wie in diesem Falle Lebus, ein Kräftevakuum. Das schnelle Umschwenken von Frankfurt auf Lebus sorgte für eine hussitische Übermacht und die damit erfolgreiche Einnahme der Stadt. Am 17. April272 überrannten die Hussiten Müncheberg. Es folgten auf ihrem Zug Buckow und Strausberg.273 Der nördlichste Punkt der hussitischen Expedition scheint Gersdorf, 8 km südlich von Eberswalde, gewesen zu sein.274 Was diesen Umweg im Hinblick auf das Erreichen der Stadt Bernau verursacht hat, lässt sich leider nicht mehr rekonstruieren. Wahrscheinlich sollte der Feldzug ursprünglich nach Eberswalde und weiter zum Zisterzienserkloster Chorin gehen. Die Klöster dieses Ordens waren zuvor ja schon öfter Ziele hussitischer Plünderung gewesen. Der Zeitdruck könnte dem ursprünglichen Plan jedoch ein Ende gesetzt haben, so dass die Hussiten wieder nach Süden schwenken mussten. Am 23. April stand das Feldheer vor Bernau. Die alte Legende von einer offenen Feldschlacht vor der Stadt konnte bereits Ende des 19. Jahrhundert durch Sello und Goerlitzer widerlegt werden. Die „Schlacht um Bernau“ lief letztlich wie die vorherigen Stadterstürmungen. Nachdem die Vorstädte niedergebrannt wurden, namentlich sei hier das St. Georgshospital275erwähnt, begannen mehrere Erstürmungsversuche, die zurückgeschlagen werden konnten.276 Am selben Tag noch sollen die Hussiten abgezogen sein.277 Markgraf Johann plante derweil einen Gegenschlag. In einem Brief an die Görlitzer Truppen vom 19. April 1432 erklärte er: „so sein wir mit unsern mannen und steten eintrechtiglich zu rath worden etc., das wir mit etlicher unser trefflicher herren und fründen hilffe und beistande streites mit den obgenanten ketzern pflegen 271 Ebd. 272 Jecht, S. 336. Goerlitzer, 2 S. 8. Dies geht aus dem bereits zitierten Brief der Stadt Frankfurt vom 17. April hervor: „vnd legin itzund Hueten zu Münchberg 5. milen von vns.“ CDL, S. 278. 273 Goerlitzer, 2 S. 9. 274 CDB I Bd. 24 S. 422f. 275 Sello, S. 652. 276 Ebd. 277 Goerlitzer, 2 S. 12. 58 wullen. Und haben desselben streites under sammunge etc. den sunabend vor dem sontage misericordia domini [3. Mai].“278 Am 28. April 1432 teilte der Kurfürst von Sachsen in einem Schreiben an das Konzil mit, dass er beabsichtige Hilfstruppen nach Brandenburg zu schicken. Auf Grunde der hohen Geschwindigkeit des hussitischen Zuges verlief aber jeder Gegenplan im Sande. Von Bernau aus verließen die Hussiten die Mark Brandenburg, wobei sie wahrscheinlich noch Altlandsberg und Fürstenwalde um jeweils 300 Gulden erleichterten279. Durch die Niederlausitz zogen sie sich dann über die Oberlausitz nach Böhmen zurück. Während Prokop nach Böhmen zurückkehrte, wurde die Gesandtschaft des Konzils in Eger wie bereits erwähnt mit dem angeblich fehlenden Geleitbrief hingehalten. Der Sieg bei Bernau sollte in den nächsten Jahrhunderten zu einer Legende werden, die für die brandenburgische und besonders die Bernauer Identität von Bedeutung war. Aus der kurzen Berennung Bernaus wurde im Verlauf der Zeit eine offene Feldschlacht, bei der die Bernauer in Unterzahl das hussitische Heer vernichtend schlugen. So schrieb der Berliner Historiker Brecht im 19. Jahrhundert: „Zuerst und allein sind die furchtbaren, bis dahin noch nie besiegten Kriegsschaaren der böhmischen Glaubensstreiter von den mannhaften Bewohnern der Mark in offener Schlacht wie in kraftvoll zurückgewiesenen Belagerungen überwältigt worden. […] Mit Stolz konnten die Bernauer auf ihre That zurückblicken, da durch dieselbe die andern Städte der Marken von der Vernichtung verschont blieben.“280 Bis heute hält sich der Spruch: Bernauer Brei macht die Mark hussitenfrei. Der Spruch spielt auf die Legende an, dass die Belagerer durch heißen Brei von den Mauern gedrängt wurden, was auf Grund fehlender Quellenzeugnisse eine Legende bleiben muss. Nur ein paar Jahre nach dem erfolgreichen Zurückschlagen der Feldgemeinde begannen die Bernauer Bürger den Tag des Sieges zu feiern. In einer Urkunde des Bischofs Stephan von Brandenburg aus dem Jahr 1441 beschreibt dieser „... dass im Jahre des Herrn 1432 am Tage des heiligen Georg, ihre (die Ratsherren von Bernau) Stadt durch die Hussiten aus Böhmen belagert und bedrängt war, und dass die Einwohner die Einnahme und Zerstörung der Stadt als augenscheinlich bevorstehend stark befürchteten. [...] Und dass die Einwohner 278 CDL: S. 382f. 279 Sello, S. 637 Anmerkung 2. 280 Zit. nach: Sello, S. 615. 59 derselben von der Gefahr dieser Zerstörung der Stadt durch die Hussiten befreiet wurden, einstimmig versprochen und gelobet haben, den Tag des heiligen Georg […] so hoch wie das Osterfest zu feiern.“281 Bis heute wird in Bernau der Ausgang der Schlacht gefeiert. Anfänglich nur mit einer Prozession und einem Gottesdienst begangen, hat sich das Fest zu einem dreitägigen Stadtfest mit Umzug, Mittelalterspektakel, Rummelplatz und diversen Festspielaufführungen verändert. 9. Das Ende der Hussitenkriege Basel, Lipany, Iglau Prokops Plan schien aufgegangen zu sein. Am 18. Mai wurde in Eger ein Vertrag geschlossen, der den Hussiten „das volle und freie Recht des öffentlichen Gehörs vor versammelten Konzils […] so oft, als sie es während ihres Aufenthaltes in Basel wünschen“282 zugestand. Das freie Geleit galt ausdrücklich für die An- und Abreise, man wollte eine Situation wie 1415 verhindern. Den Hussiten wurde weiterhin zugestanden, ihre Gottesdienste in ihren Unterkünften abzuhalten. Eine Kommission sollte den Hussiten ermöglichen an den Verhandlungen des gesamtkirchlichen Gremiums teilzunehmen.283 Der Egerer Richter, wie die Hussiten den Vertrag nannten, war wahrscheinlich der größte Erfolg, den die Hussiten gegenüber der Kirche erringen konnten.284 Ein zweiter großer Erfolg des Jahre 1432 war der im Sommer geschlossener Bündnisvertrag mit Polen. Jan Capek ze San und Otik von Loza waren mit Wladislaw zusammengetroffen und hatten die bereits bestehenden Beziehungen ausgebaut. Mit diesem Bündnis wollte sich der polnische Könige vor allem die Hilfe der Hussiten gegen den Deutschen Orden sichern. Der erfolgreiche Feldzug an die Ostsee sollte ihm im Folgejahr recht geben. Auf dem Kuttenberger Landtag im September 1432 wurden die Bedingungen des Bündnisvertrages sowie ein auf zwei Jahre festgesetztes Waffenstillstandsabkommen mit Sigismund von Thüringen und Friedrich II. von 281 Zit. nach: Das Bernauer Hussitenfest – Sammlung von Urkunden über Hussitenfeiern (1441 – 1911). Bernau, ohne Angabe von Autor und Jahr, S. 3. Dort angeheftet ist ein Foto der original Urkunde. 282 Macek, S. 146. 283 Der Vertrag von Eger bei: Palacky, S. 281 – 283. 284 Macek, S. 146. 60 Sachsen angenommen. Ein weiterer Waffenstillstand mit Schlesien sorgte dafür, dass zum Jahresende nur noch mit dem Sechsstädtebund und Albrecht von Österreich offiziell Krieg bestand.285 Am 6. Dezember 1432 traf die hussitische Delegation in Taus zusammen, um den Weg nach Basel anzutreten. Am 4. Januar 1433 trafen sie in Basel ein. Dieses Ereignis beschrieb Enea Silvio Piccolomini später so: „Die Bevölkerung der Stadt strömte vor die Wälle, auch ungemein viele Teilnehmer am Konzil erwarteten vor den Toren die Ankunft der Vertreter des tapfersten und berühmtesten Volkes. […] sie bewunderten die fremden Sitten und die vordem nie gesehene Tracht […] am meisten aber blieben ihre Blicke auf einem haften, auf Prokop; […] den seine Landleute ebenso fürchteten wie seine Feinde – als unbesiegbaren, tapferen, unerschrockenen […] Anführer.“286 Die Verhandlungen dauerten bis Mitte April 1433, jedoch ohne Ergebnis. Man einigte sich darauf, die Verhandlungen in Prag weiterzuführen.287 Ende April 1433 begann der Feldzug gegen den Deutschen Orden. In zwei Abteilungen durchzogen die Hussiten das Land auf dem Weg an die Ostsee. Um den 7. Juni erreichten sie die Neumark, wo sie Friedeberg eroberten. Am 6. Juli begann die erfolglose Belagerung der Festung Konitz, von dort aus ging es Mitte August 1433 nach Dirschau, was am 29. August fiel. Am 4. September stand das hussitische Heer an der Ostsee, am 13. September schlossen die Hussiten und der Deutsche Orden einen Waffenstillstand. 288 Damit endete die letzte herrliche Fahrt mit einem weiteren Erfolg für die radikalen Bruderschaften. Auf den Verhandlungen in Prag versuchten die Gesandten des Konzils zu gleicher Zeit den Zwiespalt zwischen Utraquisten und Radikalen für sich zu nutzen. Man verhandelte gesondert mit dem Vertreter der Utraquisten Jan Rokycana und stellte ihm das Amt des Prager Erzbischofs in Aussicht.289 Die Radikalen unter Prokop beharrten weiterhin auf den Prager Artikeln, was im Juli 1433 zur Abreise der Konzilsgesandten ohne Ergebnis führte.290 Das Feldheer begann Anfang Juli mit der 285 Smahel, S. 1556. 286 Zit. nach: Macek, S. 147f. 287 Macek, S. 148f. 288 Ausführlich dazu: Smahel, S. 1579 – 1582. 289 Baum, S. 252. 290 Macek, S. 158. 61 Belagerung der Stadt Pilsen. Dort hatte sich die innerböhmische katholische Partei ein Zentrum aufgebaut. Während der fast einjährigen Belagerung kam es unter den Hussiten immer wieder zu Übergriffen auf die eigenen Leute. So wurde Prokop im September bei Handgreiflichkeiten von Seiten der eigenen Kämpfer verletzt.291 Die Disziplin, von jeher eine Hauptwaffe der Hussiten, zerfiel immer mehr. Am 22. Oktober 1433 traf erneut eine Gesandtschaft des Konzils in Prag ein. Mit Erfolg schaffte es diese Gesandtschaft diesmal, Adelige und reiche Bürger auf ihre Seite zu ziehen, die nun offen gegen die radikalen Bruderschaften auftraten.292 Im November kam es auf einem erneuten Prager Landtag zum ersten Umsturz. Die bisherigen zwölf Regenten der böhmische-hussitischen Regierung wurden durch den Adeligen Ales von Riesenburg ersetzt.293 Am 30. November wurden die Prager Kompaktaten vereinbart. Die Punkte lauteten wie folgt: „das Abendmahl unter beiderlei Gestalt; die freue Verkündigung des Evangeliums durch verordnete Priester unter der höchsten Gewalt des Papstes; kein Güterbesitz der Geistlichkeit, sondern nur Verwaltung von Gütern durch Geistliche; Bestrafung von Todsünden nach dem göttlichen Gesetz, jedoch nur von Personen, die dazu obrigkeitliche Macht haben.“294 Der Konflikt zwischen Utraquisten auf der einen Seite und Taboriten und Waisen auf der anderen spitzte sich im Zuge der Kompaktaten zu. Während die gemäßigten weiterhin für Frieden eintraten, stellten sich Prokop und seine Anhänger dagegen. Für sie schien es nur noch um Krieg zu gehen.295 Nur mit aller Mühe konnte Capek ze San auf dem Herbstlandtag in Prag gegen eine Beendigung der Kämpfe um Pilsen angehen.296 Die offizielle Bestätigung der Kompaktaten zerbrach an der Opposition der Radikalen. Die Belagerung von Pilsen zog sich hin. Die katholische Partei wurde durch die kirchliche Diplomatie, namentlich durch Johannes Palomar, heimlich durch Gold und Proviant unterstützt.297 Das Gold wurde genutzt, um hussitische Adelige zu bestechen, nach und nach traten diese unter der Führung 291 Ebd. 292 Ebd. S. 160. 293 Baum, S. 252. 294 Rieder, S. 223. 295 Ebd. S. 224. 296 Smahel, S. 1605. 297 Macek, S. 162. 62 Menharts von Hradec auf die katholische Seite über.298 Es formierte sich ein Herrenbund, der gegen die radikalen Feldheere angehen sollte. Am 6. Mai nahm der Herrenbund die Prager Neustadt ein. Am 9. Mai wurde die Belagerung von Pilsen abgebrochen. Die Feldheere der Taboriten und Waisen, isoliert von ihren städtischen Verbündeten, begannen damit, sich zu verstärken um gemeinsam gegen die Herrenliga anzugehen. In der Nähe von Böhmisch Brod besetzte das Feldheer einen Hügel bei Lipany.299 Am Nachmittag des 30. Mai begann die letzte Schlacht der radikalen Feldgemeinde. In einem ausgeklügelten Manöver setzte sich die Wagenordnung der Herrenbundes auf die Flanke der radikalen Wagenburg, um dann in einem vorgetäuschten Rückzugsmanöver die Gegner zum Ausbrechen aus der eigenen Ordnung zu provozieren.300 Die offene Schlacht konnten die Herren für sich entscheiden und die Radikalen zurückdrängen. In den Reihen der eigenen Wagenburg wurden Taboriten und Waise nun niedergemacht. Prokop Holy fiel genauso wie Prokupek, Jan Capek ze San dagegen floh noch bevor er an den Kämpfen teilnahm vom Schlachtfeld, was ihm den Ruf des Verräters einbrachte.301 Die militärische Macht der radikalen hussitischen Bruderschaften war vernichtet, der Weg zu einer friedlichen Einigung frei. Diese Einigung gelang nach langen Verhandlungen, als im Sommer 1436 in Iglau die endgültige Fassung der Kompaktaten verkündet wurde. Die Böhmen wurde feierlich wieder in den Schoss der Kirche aufgenommen. Rokycana wurde als Erzbischof von Prag bestätigt und Sigismund bekam endlich seine böhmische Krone. 302 Die Hussitenkriege waren damit beendet. Die Hussitenfrage jedoch nicht. Schlussbetrachtungen Die Hussiten waren für die Bevölkerung des deutschen Reichs im 15. Jahrhundert eine 298 Ebd. 299 Durdik, S. 243. 300 Ebd. S. 245. 301 Ebd. 302 Rieder, S. 232. 63 ähnliche Bedrohung wie die Ungarn im 10. Jahrhundert. Die Angst vor den Ketzern führte zu Panik auf dem Schlachtfeld, zu Verleumdungen und Misstrauen innerhalb der städtischen Gesellschaft und zu Massenfluchten vor dem hussitischen Heer. Kein Kreuzfahrerheer war den Hussiten auf dem Schlachtfeld gewachsen. Nach den anfänglichen Erfolgen, die vor allem auf der revolutionären Taktik der Hussiten beruhten, stieg die Moral auf der einen Seite proportional zur Angst auf der anderen Seite. In den späteren Auseinandersetzungen kam es, wie gezeigt, kaum zu kompletten Schlachten. In den meisten Fällen flohen die Kreuzfahrer noch bevor die Schlacht begann. Diese Angst wurde vom Schlachtfeld mitgenommen und übertrug sich auf die Städte und Dörfer der katholischen Länder. Die Geschehnisse in Bamberg 1429 zeigten, dass die Bewohner, vor allem die Patrizier, lieber ihre Stadt aufgaben und flüchteten, als sich den Hussiten entgegenzustellen. Erst in den dreißiger Jahren des 15. Jahrhunderts kam es zum Umschwung. Die Städte begannen sich zu wehren, an erster Stelle stand dabei der Oberlausitzer Sechsstädtebund. Das Umdenken der katholischen Partei führte zu umfassenden Maßnahmen in der Reichspolitik. Die Matrikel der Reichstage sorgten für eine Heeresordnung, die sich den Umständen anpasste. Mit dem Hussitenpfennig kam es zur ersten allgemeinen Steuer im Reichsgebiet. Im Heereswesen selbst wächst die Macht der städtischen Aufgebote und ihrer auf Feuerwaffen basierenden Kriegsführung. Die hussitische Wagenburg wurde übernommen und blieb bis ins 16. Jahrhundert ein Mittel des Krieges. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht waren die radikalen Bruderschaften unbesiegt, sie nahmen Bamberg ein, ließen Nürnberg 11.000 bis 12.000 Gulden zahlen, um die Stadt nicht anzugreifen und marschierten ungebremst bis zur Ostsee, während König Sigismund tatenlos zusehen musste. Das Ende der Hussiten kam durch ihre eigenen Zerwürfnisse. Die Uneinigkeit innerhalb der eigenen Reihe, das ausgeblutete Böhmen und das intrigante Spiel der Kurie führten zur großen Niederlage bei Lipany und damit dem Ende der Hussitenkriege. Fast 20 Jahre Krieg hatten ihre Spuren hinterlassen. Das vorher wirtschaftlich starke Böhmen war zerstört. In den deutschen Gebieten entstanden Legenden von großen Schlachten die, wie gezeigt, so nie stattfanden. Die Stadt Naumburg feiert noch heute jährlich ein Hussitenfest auf Grund einer Legende, in der die Hussiten vor Naumburg 64 zurückgeschlagen werden konnten. Allerdings kamen die Hussiten im Laufe ihrer Feldzüge nie an Naumburg vorbei. Bernau dagegen hat eine hussitische Geschichte. Die vier betrachteten Aspekte: Die Situation Brandenburgs und der Lausitz Anfang des 15. Jahrhunderts, das Heerwesen der Krieg führenden Parteien und die Betrachtung der herrlichen Heerfahrten geben Auskunft darüber, wie der Feldzug zustande kam, durchgeführt wurde und warum die Hussiten im April 1432 in Brandenburg einfielen. Der Feldzug nach Brandenburg 1432 war ein Feldzug, der verschiedene Aspekte hussitischer Politik und Kriegsführung vereinte. Da Brandenburg ein wirtschaftlich schwaches und von Raubrittern heimgesuchtes Land war, wird es für die ersten Heerfahrten uninteressant gewesen sein. Nach vielen Jahren Krieg jedoch war Brandenburg eines der wenigen von Einfällen verschonten Gebiete, in denen noch einiges an Beute und Nahrung zu holen war, wenn auch nicht viel. Die politischen Hintergründe, der Druck auf das Treffen in Eger und die Demonstration der Einigkeit der Bruderschaften erweisen sich im Kontext der Geschehnisse von 1431 und 1432 als plausibel und sind daher anzunehmen. Die Frage, ob Prokop am Feldzug teilnahm, kann auf Grunde der Quellenlage zwar nicht eindeutig bewiesen werden, es weist aber viel darauf hin, dass er zumindest bis kurz nach Bernau mitzog, bevor er sich auf den Weg nach Eger machte. Es konnte aufgezeigt werden, dass die Kämpfe um Bernau nach dem gleichen Muster abliefen wie viele hussitische Stadtangriffe in den Jahren zuvor. Deshalb muss dieser Schlacht ein besonderer Status abgesprochen werden, es war nichts weiter als das übliche hussitische Verhalten bei befestigten und verteidigungsbereiten Städten außerhalb Böhmens. Für die Bewohner Bernaus dagegen wurde der 23. April zum Tag des Triumphs. Die kleine märkische Stadt konnte die unbesiegbaren Hussiten bezwingen und läuteten deren Untergang ein, so die Legende. Erst die Arbeiten von Sello, Goerlitzer und Jecht konnten der Legende eine historische Tatsächlichkeit entgegenstellen. Dass diese drei Arbeiten demnach wichtig für die Rezeption der Hussitenkriege sind, steht außer Frage. Jedoch muss hier gesagt werden, dass mit den Arbeiten noch immer zu leichtfertig umgegangen wird. Vor allem Goerlitzer, der in der Brandenburgischen Geschichtswissenschaft als Einziger genutzt wird, wurde in strittigen Punkten von Jecht widerlegt. Es scheint also unverständlich, 65 wenn sich regionale Historiker und Stadtkommissionen bei Fragen der Hussiten in Brandenburg ausschließlich auf Goerlitzer beziehen. Hier kann und muss noch einiges an Aufklärungsarbeit erfolgen. Zudem betrachten vor allem Sello und Goerlitzer den Feldzug nicht aus dem Kontext der Hussitenkriege heraus. Die herrliche Heerfahrt nach Brandenburg kann jedoch nur verstanden werden, wenn sie mit den anderen Fahrten verglichen wird, wie es das Anliegen der vorliegenden Arbeit war. 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Bernau, ohne Angabe von Autor und Jahr Monographien: •Baum, Wilhelm: Kaiser Sigismund - Hus, Konstanz und Türkenkriege, Graz 1993 •Aschbach, Joseph von: Geschichte Kaiser Sigmunds, Bd. 1, Aalen 1964 •Flocken, Jan von: Friedrich I. von Brandenburg – Krieger und Reichsfürst im Spätmittelalter, Berlin 2009 •Lehmann, Rudolf: Geschichte der Niederlausitz, Berlin 1963 •Smahel, Frantisek: Die Hussitische Revolution Bd. I, Hannover 2002 •Helbig, Herbert: Gesellschaft und Wirtschaft der Mark Brandenburg, Berlin 1973 •Enders, Lieselott, Die Uckermark – Geschichte einer kurmärkischen Landschaft von 12. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1992 •Engel, Evamaria / Holtz, Eberhard (Hg.): Deutsche Könige und Kaiser des Mittelalters, Leipzig 1989 •Rieder, Heinz: Die Hussiten, Gernsbach 1998 •Prietzel, Malte: Krieg im Mittelalter, Darmstadt 2006 •Jestice, Phyllis C. : Mittelalter – Strategie und Kriegskunst, Königswinter 200 •Bennett, Matthew: Agincourt 1415 - Triumph against the odds. Oxford 1991 •Delbrück, Hans: Geschichte der Kriegskunst – Teil I das Mittelalter, Nachdruck der Neuausgabe, Berlin 2000 •Durdik, Jan: Hussitisches Heerwesen, Berlin 1961 •Fahlbusch, Friedrich Bernward: Städte und Königtum im frühen 15. Jahrhundert, Köln 67 198 •Rathgen, Bernhard: Das Geschütz im Mittelalter, Berlin 1928 •Macek, Josef: Die hussitische revolutionäre Bewegung, Berlin 1958 •Doletschek, Anton: Die Geschichte der österreichischen Artillerie, Wien 1887 •Jecht, Richard: Der Oberlausitzer Hussitenkrieg und das Land der Sechsstädte unter Kaiser Sigmund, Görlitz 1911 •Grünhagen, Colmar: Hussitenkämpfe der Schlesier 1420-1435, Breslau 1872 •Bezold, Friedrich: König Sigismund und die Reichskriege gegen die Hussiten, München 1877 •Sello, G.: Die Einfälle der Hussiten in die Mark Brandenburg und ihre Darstellung in der märkischen Geschichtsschreibung in: Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde 19, ohne Angabe des Ortes 1882 •Goerlitzer, Max: Der husitische Einfall in die Mark im Jahre 1432 und die „Husitenschlacht“ bei Bernau in 2 Teilen, Berlin 1891 Aufsätze in Aufsatzbänden: •Assing, Helmut: Die Veränderung in den Sozialbeziehungen. Neuansätze und Krisensymptome in Wirtschaft, Verfassung und Rechtsprechung, in: Materna, Ingo / Ribbe, Wolfgang (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995 •Seibt, Ferdinand: Vom Vitkov zum Vysehrad – Der Kampf um die böhmische Krone 1420 im Licht der Prager Propaganda in: Seibt, Ferdinand: Hussitenstudien – Personen, Ereignisse, Ideen einer frühen Revolution, München 1991 •Seibt, Ferdinand: Hussitischer Kommunalismus, in: Frantisek Smahel (Hg.): Häresie und vorzeitige Revolution im Spätmittelalter, München 1998 •Moraw, Peter: Staat und Krieg im deutschen Spätmittelalter, in: Rösener, Werner (Hg.): Staat und Krieg – Vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000 68 •Böcker, Heidelore: Die Festigung der Landesherrschaft durch die hohenzollerschen Kurfürsten und der Ausbau der Mark zum fürstlichen Territorialstaat während des 15. Jahrhunderts, in: Materna, Ingo / Ribbe, Wolfgang (Hg.): Brandenburgische Geschichte, Berlin 1995 Lexika •Lexikon des Mittelalters,München - Zürich 1986 •Kruenitz Oeconomische Encyclopaedie Online, Abrufbar unter: http://www.kruenitz1.uni-trier.de (Stand: 26. 2. 2008) Abbildungsverzeichnis: Karte 1: Der Einfall der Hussiten in Brandenburg im April 1432 mit freundlicher Unterstützung von Holger Herzog, Bernau. 69