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www.rheindrache.de
Ein Streifzug durch die Römerzeit am Rhein, 50 bis 280 n. Chr.
Petra Willnecker
Oktober 2013
2
Warum noch eine Römergeschichte ..
mögen Sie fragen, wo es doch schon viele Bücher und Websites, archäologische
Parks und Erlebnismuseen gibt, in denen die römische Vergangenheit des Rheinlands wieder lebendig wird. Nun, die alten Römerstädte in unserer Region, unter
ihnen Köln, Bonn, Remagen und Mainz, blicken auf eine über 2000jährige Geschichte zurück. Fast 500 Jahre lang waren sie Teil des römischen Reiches, und so
begegnet uns dort die römische Vergangenheit auf Schritt und Tritt.
Das Siebengebirge lag zwar in Sichtweise der Römer in Bonn und Köln, doch auf der
anderen Rheinseite – und damit auf der anderen Seite der Grenze, in Germania
Magna, im Barbaricum. So war der Rhein zugleich die Grenze der römischen Provinz
Germania Inferior und ihre Lebensader: Hier patrouillierten die Schiffe der Flotte,
und Handelsschiffe brachten mediterrane Köstlichkeiten und vieles mehr. Am
Drachenfels bauten die Römer Steine ab, in Bonn und Köln, ja sogar in Xanten und
Nimwegen wurde mit Trachyt vom Drachenfels gebaut.
In dieser Geschichte geht es um das Leben an der Rheingrenze in der Römerzeit.
Wir widmen wir uns einer römisch-ubischen Familie, die über Generationen hier
lebte. Einige von ihnen sind am Rhein geboren, andere haben ihre Wurzeln in
Italien, auf dem Balkan oder noch weiter weg. Es ist eben eine antike „verpanschte
Familie“, wie es Carl Zuckmayer viel später einmal ausgedrückt hat.
Das ist durchaus Absicht, denn diese Geschichte ist verbunden mit einem großen
Dankeschön dafür, dass wir heute im vereinten Europa leben, und dass der Rhein
keine Grenze mehr ist.
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Die Hauptpersonen
Die Rheingrenze (50-68)
Vier-Kaiser-Jahr und Bataver-Aufstand (68-72)
Generation 1
Marcus Prunus Aliter (12-90),Offizier der legio I Germanica in Bonn
Pumella Pulchra (20-90), Aliters Frau
Lucius Olivifer Nativo (15-85), Aliters Halbbruder, Chef des Handelshauses Olivifer
in Mailand
Generation 2
Fortiter (50-120), Aliters und Pumellas Sohn, Offizier in der legio I Germanica
Rubeus (52-122), ihr jüngerer Sohn in Bonn
Nauticula (58-128), Pflegetochter in ihrem Haus, seit 73 Rubios Frau
Poesina (43-113), Olivifer Nativos Tochter, in Augst
Römische Provinzen (85-110)
Marcus Prunus Aliter, nun Veteran der legio I Germania in Bonn
Pumella Pulchra, seine Frau
Lucius Olivifer Nativo, sein Halbbruder
Fortiter, nun legio XI Claudia in Windisch, später Heirat nach Augst
Rubeus, nun Offizier in der Hafenkommandatur in Bonn
Nauticula, nun Rubios Frau
Generation 3
Rubeus Minor (74-144), Nauticulas und Rubeus‘ Sohn, legio I Minervia, in Nimwegen
Nauticula Minor (76-146), ihre Tochter
C. Uvius Pino (65-145), Offizier der legio I Minervia
4
Die Zeit der guten Kaiser (110-162)
Nauticula Minor, nun Uvius Pinos Frau
C. Uvius Pino, nun Veteran der legio I Minervia
Ubiscumquus (90-160), Fortiters Sohn in Augst
Generation 4
Nautianus (112-192),Pinos und Nauticula Minors Sohn,
Offizier der Classis Germanica
Anike (130-208), seine Frau, aus Nimwegen
Lenticula (110-185), Pinos und Nauticula Minors Tochter
Lucianus, ihr Mann, Offizier der legio I Minervia mit Einsätzen in Britannien
Fabicula (115-190), Pinos und Nauticula Minors Tochter
Verenatus (115-190), Ubiscumquus‘ Sohn, ihr Mann
Bedrohte Grenzen (162-180)
Nautianus, nun Veterander Classis Germanica
Anike, seine Frau
Lenticula, Pinos und Nauticula Minors Tochter
Lucianus, ihr Mann, nun Veteran der legio I Minervia
Fabicula, Pinos und Nauticula Minors Tochter
Verenatus (114-186), ihr Mann
Generation 5
Vigilius (160-234), Nautianus' und Anikes Sohn
Rubula (165-235), seine Schwester, in Bonn, später in Lyon
Lucianus Minor, Lenticulas Sohn (135-210), Offizier der legio I Minervia
Römische Bürger (180-235)
Vigilius, Offizier der Classis Germanica
Viticula, seine Frau
Fructo (165-235),Offizier der Hilfstruppen, Gutshof an der Rheintalstraße
Generation 6
Vitus (205-285), Vigilius‘ und Viticulas Sohn Sohn
Florens (208-288), Fructos Sohn
Das Reich in der Krise (235-258)
Vitus, nun Offizier der Classis Germanica
Florens, nun Offizier der legio I Minervia, stationiert an der Rheintalstraße
Finno, ein germanischer Händler
Petronius Alutensis, ein Legionär der I Minervia armenischer Abstammung
Frankeneinfälle (258-278)
Vitus, nun Veteran der Classis Germanica
Florens, nun Offizier der Legio I Minervia, stationiert an der Rheintalstraße
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Auf dem Weg nach Germania Inferior (um 50)
Straßburg, Mainz, Bingen, Koblenz, Remagen – langsam fuhr der Flussfrachter an
den Römerstädten am Rhein vorbei. Lucius Olivifer Nativo war auf dem Weg von
seiner Heimatstadt Mailand, dem antiken Mediolanum in Norditalien, nach Bonn in
Germania Inferior, wo die legio I Germanica stationiert war. Sein Halbbruder
Marcus Prunus Aliter war dort Centurio.
Kurz nach dem frühen Tod seiner ersten Frau hatte der Vater Nativos Mutter
geheiratet. Ihre Familie betrieb ein gut gehendes Handelshaus, und so brachte ihm
diese zweite Ehe den Aufstieg in die besseren Kreise. Der Sohn aus erster Ehe war
im neuen Haushalt nur geduldet, der Einstieg in das Handelshaus blieb ihm
verwehrt. Mit 18 Jahren war er in die Armeeeingetreten und hatte sich gleich zum
Dienst an der Rheingrenze gemeldet. Nativo aber mochte seinen Halbbruder sehr
und es bekümmerte ihn, dass er so weit weg war. Sogar seinen Namen hatte er
abgelegt und nannte sich nun „Aliter“ - ein anderer.
Inzwischen war der Vater hochbetagt und Nativo hatte die Leitung des Handelshauses übernommen. Er ging in seinem Geschäft auf: Weine aus dem ganzen Mittelmeerraum, Datteln, Feigen und andere Spezereien aus den Provinzen im Osten und
aus Afrika, Pfirsiche aus den südlichen Regionen, und immer wieder Oliven und ihr
köstliches Öl, das er ganz besonders liebte. Sie kamen aus Istrien, Apulien, dem
Süden der Iberischen Halbinsel und aus Nordafrika.
Nativo war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sein Bruder an der umkämpften
Rheingrenze stationiert war. Auch fast 40 Jahre nach der verheerenden Niederlage
des Varus gegen die Germanen unter Arminius waren viele Römer noch tief
erschüttert. Damals hatte Kaiser Augustus acht Legionen an den Rhein kommandiert; sein Enkel Germanicus war mit dem gesamten Heer in einen verheerender
Krieg gegen die Germanen gezogen, doch ein entscheidender Sieg war ihm nicht
gelungen. Dann hatte Augustus' Nachfolger Tiberius den Feldherrn abberufen und
den Krieg beendet. Er hatte selbst viele Jahre in Germanien gekämpft, verhandelt
und kannte es gut. Nach seiner Einschätzung hätte Rom zu viel investieren müssen,
bevor Germanien eine gewinnbringende Provinz werden würde – wenn man
überhaupt so weit käme.
Viele Römer aus Nativos Bekanntschaft schimpften immer noch darüber. Er aber
war froh, dass Tiberius so entschieden hatte. Rom hatte Hass gesät, und Hass
würde nur neuen Hass hervorbringen. Den Cheruskerfürsten Arminius hatten die
Römer nicht bezwingen können, den Ehemann und Vater Arminius schon. Seine
schwangere Frau Thusnelda war von ihrem eigenen Vater Segestes an Germanicus
ausgeliefert worden, sein Sohn war in Gefangenschaft zur Welt gekommen. Beim
Triumphzug des Germanicus hatte Segestes als Freund Roms auf der Ehrentribüne
gesessen, während seine Familie als Kriegsgefangene vorgeführt worden war.
Nativo fühlte nur Verachtung für einen solchen Vater und Großvater.
Dann fegte er die düsteren Gedanken weg. „Schluss damit“, dachte er. Er freute
sich schon auf die Gesichter der Truppen und ihres Anhangs, wenn er seine Waren
auslud: Oliven, Olivenöl, frisches Obst, die Würzsoße Garum und natürlich Wein –
nicht den ganz teuren aus der Ägäis, aber einfache, leckere Weine aus Italien,
Gallien und der Iberische Halbinsel. Die meisten Legionäre waren einfache Leute
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aus Italien und Südgallien und vermissten ihre heimische Küche doch sehr. Vor
allem freute er sich auf seinen Halbbruder Aliter.
Bonn (um 50)
Endlich war er da und konnte Aliter in die Arme schließen. Doch - für ihn, den Mann
aus Mailand mit seiner urbanen Kultur, seinen Bädern und Fußbodenheizungen, war
das kleine Bonn fast ein Kulturschock. Da waren die ubische Siedlung, das Legionslager, an dem immer noch gezimmert wurde, und eine hastig aufgebaute Lagervorstadt, die Canabae Legionis. „So schlimm ist es nicht“, lachte Aliter, als er die
Miene seines Halbbruders sah, „komm‘ erst mal an, unser Bad steht zur Verfügung,
und danach führe ich Dich herum.“
Und so schlimm war es dann auch nicht. Am Abend saßen die beiden am Rheinuferbei einem Glas des mitgebrachten Weins. Das kleine Städtchen hatte seinen Reiz.
Es lag auf einer Halbinsel zwischen dem großen, mächtigen Rhein und einem
Altarm, der Gumme, und im Hinterland sah er weite Ebenen und Berge. Auch das
bunt gemischte Völkchen um ihn herum mochte er. Da waren die germanischen
Ubier, die vor vielen Jahren Agrippa auf der linken Rheinseite angesiedelt hatte,
einige Kelten, eine Kohorte thrakischer Hilfstruppen und die Männer der legio I
Germanica. Nach und nach ließen sich auch Händler und Handwerker nieder.
Aliter schmunzelte. „Hast Du gedacht, hier essen wir vom Fußboden oder laufen in
Fellen herum?“ fragte er, „gib' unserem Bonn ein wenig Zeit, Du wirst sehen, es
wird ein schmuckes Städtchen!“ Nativo stutzte. „Das klingt so, als wolltest Du
hierbleiben“, sagte er. „Schon möglich“, antwortete Aliter langsam, „ich möchte
Dir jemanden vorstellen“. Eine junge Frau mit rotblonden Haaren trat auf sie zu.
„Das ist Pumella Pulchra“, sagte Aliter strahlend, „mit ihr möchte ich mein Leben
verbringen, und wenn meine Dienstzeit vorbei ist, werden wir heiraten.“
Nativo war überrascht, doch er freute sich von ganzem Herzen für seinen Halbbruder. „Nun, dann werde ich wohl häufiger kommen müssen“, sagte er, und für
eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Dann nahm Nativo noch einen großen
Schluck und sagte: „Weißt Du, Vater hatte vor allem die Kundschaft in den großen
Städten Italiens im Auge. Ich bin gerne mal unterwegs, vor allem auf dem Wasser,
und ich möchte unser Geschäft hierhin ausdehnen. Vielleicht finde ich ja Handelspartner am Rhein.“ Aliter strahlte. „Nach dem Ende meiner Dienstzeit möchte ich
mich mit um die Verpflegung unserer Leute kümmern1“, sagte er, „der Lagerkommandant ist für jede Hilfe dankbar. Noch können wir sie vor Ort nicht ausreichend
versorgen und vieles muss importiert werden, vor allem die Speisen aus der
Heimat. Du hast ja gesehen, wie sich die Kameraden freuen, wenn sie Oliven und
Olivenöl zu einem fairen Preis kaufen können. Also, einen Handelspartner hättest
Du hier schon einmal.“ Darauf tranken sie. „Und wer weiß“, fügte Nativo träumend
hinzu, „bislang habe ich ja nur Frachtraum auf einem Schiff gemietet, aber wenn
das Geschäft gut läuft, kann ich vielleicht einmal mit einem eigenen Schiff
kommen.“
1
Zu dieser Zeit gab es eine Sondermilitärstelle im Süden Bonn, die sich um die Logistik kümmerte
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Die andere Rheinseite (54)
Nach seiner aktiven Dienstzeit gründeten Aliter und Pumella Pulchra eine Familie.
Sie bekamen zwei Söhne, die sie Fortiter und Rubeus nannten. Sie lebten in einem
schmucken kleinen Steinhäuschen am Rhein. Es war weit genug weg, um nicht vom
Hochwasser überrascht zu werden, und doch nahe genug, dass sie von ihrem
Fenster aus die Schiffe sahen. Aliter liebte diesen Betrieb auf dem Rhein.
Oft schaute er hinüber zum anderen Ufer. Ein breiter Streifen auf der rechten
Rheinseite war Militärgebiet. Pumella Pulchra war schon hier auf der linken
Rheinseite in der Ubiersiedlung geboren worden. Die ganz Alten in ihrer Familie
erzählten noch von der alten Heimat der Ubier drüben auf der rechten Seite, etwas
weiter südlich.
Bald würden Arbeitstrupps auf die andere Seite übersetzen und an einem der
Sieben Berge Steine brechen. Die uralten Ubier nannten ihn Drachenfels. Nun
hatten die römischen Bauingenieure festgestellt, dass sich das Gestein dort
besonders gut verbauen ließ, und allem voran sollte die Colonia Claudia Ara
Agrippinensium, die CCAA, eine Stadtmauer bekommen.
Agrippina und die CCAA (um 55)
Aliter erinnerte sich an die Zeit, als die legio I Germanica dort gestanden hatte.
Um das Jahr 28 hatte man das Doppellegionslager dann aufgelöst; die legio XX
Valeria Victrix war nach Neuss, lateinisch Novaesium, gegangen, seine eigene I
Germanica nach Bonn.
Im Jahre 50 war aus dem Oppidum Ubiorum die Colonia Claudia Ara Agrippinensium
geworden, eine Stadt römischen Rechts. Das hatte die Kaisergattin Agrippina bei
ihrem Mann Kaiser Claudius durchgesetzt. Die uralten Veteranen erinnerten sich
noch an den November des Jahres 15, in dem Agrippina als Tochter des Feldherrn
Germanicus dort geboren worden war. Nun, viele Jahre später, hatte sie ein
bewegtes Leben hinter sich und schließlich Kaiser Claudius, ihren Onkel, dazu
gebracht, sie zu heiraten und Nero, ihren Sohn aus erster Ehe, zu adoptieren.
Agrippina galt als sehr machtbewusste Frau.
Steinbruch am Drachenfels (um 55)
Inzwischen war der Steinbruch drüben auf der anderen Rheinseite in vollem Gang.
Es war eine harte Arbeit für alle Männer der Arbeitstrupps: Zunächst schlugen sie
auf der gewünschten Trennlinie Stück für Stück Keillöcher ein, dann steckten sie
Eisenkeile in die Löcher und schlugen sie mit einem Hammer nacheinander ein, bis
ein Spalt durch den Stein ging und man das gewünschte Stück abspalten konnte.
Dann wurde der Stein noch vor Ort grob zusammengehauen und gut gesichert den
Berg hinab zum Rheinufer gebracht. Dort wurde er verladen.
Mit seiner Frau Pumella Pulchra und seinen beiden Söhnen wollte Aliter es den
Männern etwas leichter machen und für ordentliche Verpflegung sorgen. Er hatte in
der Nähe des Steinbruchs einen Stand aufgebaut: eine Holzplatte auf zwei Böcken,
auf denen er die Speisen anbot, daneben einige Amphoren mit Wasser und ein
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einfacher Klappstuhl für ihn. Hier konnte sich die Männer zwischendurch Oliven,
Brot, Käse, Obst und Wasser holen. Sein Bruder Nativo kam nun regelmäßig nach
Bonn und hatte stets die herrlichsten Oliven, Ölivenöle, Früchte und natürlich auch
Weine dabei.
So verbrachte Aliter viele Tage auf der anderen Rheinseite am Fuß des Drachenfels.
Er sah zu, wie die Schiffe der römischen Rheinflotte, der Classis Germanica,
unterhalb der Steinbrüche anlegten, beladen wurden und weiterfuhren nach
Norden. Wo würden all diese Steine verbaut werden? Manchmal gönnten sich die
Mannschaften nach getaner Arbeit eine kurze Pause, bevor sie wieder ablegten.
Dann erzählten sie ihm von der gewaltigen Stadtmauer rund um die CCAA und von
ihrem neuen Flottenkastell2, das südlich von der Stadt gebaut wurde. Aber die
Fahrt ging noch viel weiter zu den Legionslagern in Novaesium (Neuss), Vetera
(Xanten), bis hinauf ins Land der Bataver, wo sich der Rhein mehrfach gabelte.
Nauticula (62)
Aliter hatte viele Angehörige der Rheinflotte kennengelernt, und mit manchen
freundete er sich auch an. Die meisten stammten aus dem Osten des Reiches. Da
war Tschorba, der mit den thrakischen Hilfstruppen gekommen war.
Aliter merkte, dass er Sorgen hatte. Eines Abends, als sie ein Glas miteinander
tranken, sprach er ihn an. „Es stimmt, ich weiß mir keinen Rat mehr“, sagte
Tschorba, und dann brach es aus ihm hervor: „Meine Frau ist vor kurzem gestorben,
und ich habe eine kleine Tochter. Ja, ich weiß, eigentlich dürfen wir nicht
heiraten, aber so fern der Heimat allein zu sein ist schwer, auch wenn es mir hier
am Rhein gefällt. Nauticula ist ein so lebhaftes Kind, sie liebt den Fluss und die
Schiffe wie ich – am liebsten wäre sie den ganzen Tag draußen am Wasser. Nun ist
sie bei Verwandten meiner Frau, die sehr konservativ sind und kein Verständnis
dafür aufbringen. Du weißt ja, für eine römische Frau schickt es sich, zuhause zu
bleiben. Nauticula kommt mir bei jedem Besuch blasser vor, und ich bin die ganze
Zeit weg.“ Er schwieg eine Weile, dachte nach und fuhr dann fort: „Vielleicht
sollte ich all das gar nicht sagen, schließlich denken die meisten römischen Familienväter in dieser Hinsicht genauso. Doch wie ich Dich kennengelernt habe, liebst
Du Deine Kinder und willst sie glücklich sehen.“„Nauticula heißt sie?“ fragte Aliter
verwundert, „das ist ein ungewöhnlicher Name für ein Mädchen.“ „Eigentlich heißt
sie ja auch Gaia“, antwortete Tschorba, „ich nenne sie Nauticula, weil sie ein
kleiner Seemann ist.“
Aliter lächelte, dann sagte er: „Was wäre denn damals aus den römischen Truppen
auf der rechten Rheinseite, im Feindesland, geworden, wenn Germanicus‘ Gattin
Agrippina Maior schicklich zuhause geblieben wäre, als verzagte Römer die
Rheinbrücke in der CCAA sperren wollten? Man hätte sie ihrem Schicksal überlassen! Und nun komm' mal mit zu mir.“ Und dann erzählten sie Pumella Pulchra
dieselbe Geschichte. Die beiden schauten sich an. „Wir haben uns immer noch ein
Schwesterchen für unsere Söhne gewünscht“, sagte Pumella Pulchra, „nun, wenn
Du magst, kann Dein Töchterchen hier bei uns leben und Dich bei jedem Einlaufen
begrüßen!“
2
Köln-Alteburg
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Betrieb auf dem Rhein (um 65)
Einige glückliche Jahre gingen ins Land. Nauticula wuchs mit Fortiter und Rubeus
auf und es ging hoch her in dem kleinen Steinhäuschen am Rhein. Fortiter wollte
wie der Vater Offizier in der Bonner legio I Germanica werden. Mit seinen Kameraden würde er die Rheingrenze sichern, doch Legionär zu sein war für ihn noch viel
mehr: Nun, da Frieden an der Rheingrenze war, würden sie Straßen, Brücken und
Aquädukte bauen, und er, Sohn eines Römers und einer Ubierin, würde mithelfen,
aus seinem Heimatland Germania Inferior eine blühende Provinz zu machen.
Rubeus liebte den Betrieb auf dem Rhein und wollte zur Hafenkommandatur gehen,
deren Chef ein Centurio im Stab Kommandanten der legio I Germanica war. Zwar
konnte man Bonn nicht mit der großen CCAA vergleichen, doch am Hafen war
immer Betrieb: Die Schiffe der Rheinflotte patrouillierten rheinauf- und rheinabwärts, und fast täglich legten kleine und großen Handelsschiffe an, brachten
Getreide und andere Vorräte für die Legion, Terra-Sigilata-Geschirr und andere
Handelswaren aus Gallien und Germania Superior. Die Freude am Betrieb auf dem
Rhein verband Rubeus und Nauticula; die beiden mochten sich überhaupt sehr
gerne. Schon von weitem erkannten sie das Schiff, auf dem Nauticulas Vater
Tschorba seinen Dienst tat, und ebenso Nativos Schiff.
Nativo hatte seinen Traum verwirklicht; er hatte neue Handelswege aufgebaut und
besaß ein eigenes Schiff. Von Mailand aus führte seine Handelsroute über die
römische Fernstraße nach Augst, lateinisch Augusta Raurica, am Rhein in Germania
Superior. Diese Stadt lag am schiffbaren Rhein; hier schnitten sich wichtiger
Fernstraßen; Gewerbe, Handwerk und Handel blühten. Vor allem aber hatte seine
Tochter Poesina einen ortsansässigen Handelspartner geheiratet und mit ihm eine
Niederlassung des Handelshauses Olivifer eröffnet. Von dort war es nur ein
Katzensprung zum Legionslager Vindonissa (Windisch), das sein Haus auch belieferte. Dann ging es weiter über die Legionsstädte Straßburg und Mainz, lateinisch
Argentorate und Moguntiacum, zu Aliter nach Bonn, und von dort aus bis hinauf ins
Bataverland im Norden Germania Inferiors.
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12
Machtkampf in Rom (68/69)
Im Jahre 68 geriet das Römische Reich in eine Staatskrise. Kaiser Nero (54-68) war
zu einem Tyrannen geworden, hatte seine Mutter Agrippina ermorden lassen, und
wenige Jahre zuvor waren große Teile Roms in Flammen aufgegangen. Es kam zu
einem Aufstand in Gallien gegen Nero, um den Statthalter von Hispanien, Servicius
Sulpicius Galba, auf den Thron zu bringen. Die Rheinlegionen schlugen den
Aufstand nieder; doch in Rom zwang der Senat Nero zum Selbstmord und erhob
Galba zum neuen Kaiser.
Ausgerechnet Galba, den die Rheinlegionen gerade erst bekämpft hatten. Nun
verweigerte er ihnen nicht nur die üblichen Geschenke, sondern machte aus seinem
Misstrauen kein Hehl. Er entließ die kaiserliche Leibwache aus Batavern, was eine
Beleidigung für den ganzen Stamm war, und ließ den Bruder ihres Kommandeurs
Civilis zu Unrecht hinrichten. In Germanien setzte er sogleich einen neuen Statthalter ein, Aulus Vitellius.
Aufmerksame Beobachter am Rhein spürten die zunehmende Spannung. Als Nativo
in diesem Sommer wieder kam, war auch er bedrückt. Lange blieb er bei seinem
Halbbruder, dann machte er noch einmal eine Reise über die CCAA, Neuss, Xanten
bis ins Bataverland und zurück nach Bonn. „Ein alter Soldat der legio V Alaudae in
Xanten hat mir seine Ersparnisse anvertraut“, sagte er zu Aliter, „er rechnet mit
einem Krieg. Sollte ich ihn nicht mehr wiedersehen, soll ich das Geld in seinem Sinn
verwenden. Es ist tragisch. Die V Alaudae war von Anfang an hier am Rhein, dieser
Mann wurde sogar hier geboren. Er war nie in Rom, noch nicht einmal in Italien und doch gilt er hier als Feind.“
Der alte Legionär sollte Recht behalten. Im Januar 69 riefen die Rheinlegionen
Vitellius zum Kaiser aus. Der marschierte mit einem großen Teil seiner Truppen
nach Italien; mit dabei waren auch Aliters junger Sohn Fortiter und andere
Soldaten der legio I Germanica. In Rom war inzwischen Galba ermordet und Marcus
Salvius Otho zum neuen Kaiser ausgerufen wurden. Vitellius' Truppen besiegten
Othos und erreichten Rom. Dort glaubte er sich am Ziel und schickte den Großteil
seiner Truppen zurück an den Rhein. Doch ein halbes Jahr später riefen die
Truppen im Osten des Reiches den Kommandanten in Judäa, Vespasian, zum Kaiser
aus. Der Bürgerkrieg ging weiter.
Vitellius rief seine Truppen wieder nach Rom und forderte Verstärkung durch die
Rheinlegionen an. Doch sein Kommandant in Mainz, Flaccus, lehnte ab, da die
Rheingrenze ohnehin kaum geschützt war. Daraufhin befahl ihm Vitellius, unter den
Batavern weitere Truppen auszuheben. „Und dass nur, damit sie einem römischen
Kaiser und Besatzer gegen einen anderen helfen“, dachte Aliter. Schon jetzt hatte
fast jede batavische Familie mindestens ein Familienmitglied in der römischen
Armee. Er war Soldat, aber auch Vater eines Soldaten.
Bataver-Aufstand (69/70)
Die römischen Rekrutierer bedrängten und drangsalierten die Bataver so sehr, dass
es zum Aufstand kam. An die Spitze setzte sich Iulius Civilis, ein batavischer Adliger
und römischer Bürger, der viele Jahre in römischem Heer gekämpft hatte. Zusammen mit dem Nachbarstamm der Cannanefates eroberten die Bataver die nur
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schwach bewachten römischen Einrichtungen und besiegten kurz darauf ein
römisches Entsatzheer. Zudem hatte Civilis einen Brief von Vespasian erhalten, in
dem dieser seinen Aufstand unterstützte - schließlich waren so die Vitellius-treuen
Rheinlegionen in Germanien gebunden
Nach Vespasians Sieg hätten die Bataver und ihre Verbündeten in Frieden und
Freiheit leben können. Doch Civilis dachte nicht an Frieden, sondern trug den Krieg
tiefer ins Römische Reich hinein: Im September 69 griff er mit seinen Truppen das
Legionslager Xanten an und ließ Städte in Germania Inferior und Gallia Belgica
plündern. Ihm muss klar gewesen sein, dass dies kein römischer Kaiser hinnehmen
konnte, auch Vespasian nicht. Vermutlich fühlte er sich sicher, denn große Teile
der Rheinlegionen kämpften im Bürgerkrieg in Italien. Civilis hingegen hatte
Unterstützung bekommen: die Brukterer und Tenkterer auf der rechten Rheinseite,
alte Feinde Roms, und Vitellius‘ batavische Hilfstruppen waren zu ihm gestoßen. Im
Oktober 69 zog ein römisches Heer mit den Legionen XVI Gallica und XV Primigenia
los, um Xanten zu befreien. Auch die in Bonn verbliebenen Soldaten der legio I
Germanica zogen mit.
Aliter war tief besorgt. Gerade jetzt, wo sein Leben so glücklich war, geriet alles
ins Wanken. Wenn es nicht bald gelänge, Xanten zu befreien und den Aufstand
glimpflich zu beenden, würden die Folgen für Germania Inferior und vielleicht auch
Germania Superior verheerend sein. Dann kam aus Rom die Nachricht, dass
Vespasians Truppen in Italien standen. Das brachte die Rheinlegionen in dieselbe
Situation wie im Jahr zuvor, als sie im Dienste Kaiser Neros den Aufstand zugunsten
Galbas niedergeschlagen hatten - doch dann war ausgerechnet Galba Kaiser
geworden. Nun waren sie dabei, für ihren Kaiser Vitellius den Aufstand der Bataver
niederzuschlagen, deren Anführer ein Unterstützer Vespasians zu sein schien. Man
entschied abzuwarten; bevor das Entsatzheer Xanten erreichte, blieb es in Gelduba
(Krefeld) stehen. Dann griff Civilis seinerseits das römische Heer an. Die Römer
siegten und konnten die Belagerung von Xanten aufheben, doch auch sie hatten
schwere Verluste.
Als die Männer im Legionslager Xanten gerade aufatmeten, kamen beunruhigende
Nachrichten aus Germania Superior: Die Chatten und die Usipeter hatten den Rhein
überschritten, plünderten linksrheinisches Gebiet und bedrohten Mainz. Aliter war
gleich klar: Mainz und Germania Superior waren für Rom ungleich wichtiger war als
Germania Inferior. Er lag richtig: Flaccus ließ Xanten mit Proviant, aber unterbesetzt zurück, und zog mit der Truppe nach Süden.
Auch aus Rom kamen schlechte Nachrichten: Im November 69 hatte Vespasian
gesiegt, und Vitellius war in Rom ermordet worden. Nun schwuren die Offiziere
Vespasian die Treue, die meisten ihrer Soldaten aber taten es nur gezwungenermaßen. Als Flaccus dann auch noch im Namen von Vespasian Geld verteilen ließ,
wurde er von erbosten Soldaten umgebracht. Sein General Vocula entkam mit
knapper Not. Wenig später konnte Vocula mit den Legionen I Germanica, IIII Macedonica und XXII Primigenia die Belagerung von Mainz beenden.
Nun, da Vespasian gesiegt hatte und Römer und Bataver demselben Kaiser dienten,
hätte Civilis Frieden schließen können. Doch im März 70 griffen seine Truppen das
unterbesetzte Legionslager Xanten erneut an.In Mainz ließ Vocula die Legionen IIII
Macedonica und XXII Primigenia zum Schutz der Stadt zurück und machte sich mit
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den anderen auf den Weg nach Xanten. Doch auf dem Weg erreichten ihn Nachrichten von einem Aufstand in Gallien, und er ließ in Neuss haltmachen. Während die
Legionen in Neuss lagerten, rückten die Heere der Aufständischen immer näher.
Schließlich desertierten die Legionäre der I Germanica und XVI Gallica, ermordeten
Vocula und leisteten den Treueeid auf ein Gallisches Reich.
Für die eingeschlossenen Soldaten der Legionen XV Primigenia und V Alaudae in
Xanten war die Lage nun aussichtlos, sie ergaben sich. Civilis hatte zugesagt, ihr
Leben zu verschonen, doch als sie waffenlos aus dem Lager marschierten, wurden
sie niedergemacht. Das Lager wurde geplündert und in Brand gesteckt.
Raubzüge ins Rheinland (69/70)
Aliter in Bonn war erschüttert. Zwei Legionen waren umgekommen, zwei andere,
unter ihnen seine eigene I Germanica, hatten die Seite gewechselt. Auch die Flotte
hatte nichts ausrichten können. Nun gab es kein Halten mehr: Raubzüge gegen die
romanisierten Stämme in Nordgallien und Germania Inferior folgten, das ganze
Rheinland wurde verheert. Auch die CCAA wurde erobert, hier schlug Civilis' sein
Hauptquartier auf. Bald würden die Aufständischen auch über Bonn hereinbrechen,
das konnten Aliter und die wenigen Veteranen nicht verhindern. Im Gegenteil, nun
da seine legio I Germanica ihnen Treue geschworen hatte, würde ihm jede Aktion
gegen sie als Verrat ausgelegt werden.
Vor allem musste er seine Familie in Sicherheit bringen und schickte sie zu
ubischen Verwandten seiner Frau in die CCAA. Er wusste, dass Civilis der CCAA und
den Ubiern dort etwas schuldete, denn diese hatten seinen Sohn geschützt, als die
Römer seinen Tod verlangten. Natürlich wollte Aliters Familie nicht fortgehen,
schon gar nicht ohne ihn, doch er bestand darauf. Viele Bataver kämpften um ihre
Ehre und ihre Freiheit, die Aufständischen in Gallien für ein eigenes Gallisches
Reich, und vielen Germanen von der rechten Rheinseite, die sich dem Aufstand
angeschlossen hatten, ging es vor allem ums Plündern. Das alles machte Aliter
seiner Familie eindringlich klar. „Und auf allen Seiten gibt es Leute, die sich nicht
scheuen werden, alles und jeden niederzumachen“, schloss er.
Verschiedene Emotionen spiegelten sich in den Gesichtern seiner Familie – Angst
um ihn, aber auch Entschlossenheit. Man konnte doch nicht die Arbeit eines langen
Lebens einfach so aufgeben. „Nein, das werden wir auch nicht“, sagte Aliter, „auch
wenn die legio I Germanica dem gallischen Führer Treue geschworen hat, sind wir
nicht verpflichtet, gemeinen Räubern und Plünderern alles hier zu überlassen.“ Nun
horchte seine Familie auf. „Wir werden sammeln, was wir auf keinen Fall verlieren
möchten“, sagte er, „und das nehmt Ihr mit in die CCAA.“
Damit war auch seine Familie einverstanden. So schnell es ging, sammelten sie
unauffällig ihre wichtigsten Besitztümer und die ihrer Freunde und Nachbarn ein
und sicherten sie für den Transport in die CCAA. „Wir müssen etwas da lassen“,
warnte Aliter immer wieder, „damit die Beutegierigen etwas finden, dann ziehen
sie vielleicht wieder ab, ohne viel zu zerstören.“ Schließlich standen die Reisewagen zur Abfahrt in die CCAA bereit. Und doch fiel ihnen allen der Abschied schwer.
Als der Zug mit Aliters Familie, Freunden und Nachbarn sicher auf dem Weg in die
CCAA war, ging er zu seinen alten Kameraden in die Militärgebäude im Süden der
Stadt.
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Schon wenig später brach eine ganze Horde von den Aufständischen über Bonn
herein. Sie besetzten zentrale Gebäude der Stadt und den Hafen. Kurz darauf
sahen Aliter und seine Kameraden im Norden ein großes Feuer lodern - das
Legionslager brannte lichterloh. Aliter war klar gewesen, dass gerade das Lager ein
verhasster Anblick für die Aufständischen war; doch er hatte viele Jahre seines
Lebens hier zugebracht, und der Anblick des brennenden Lagers tat ihm sehr weh.
„Verdammt!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor.
Dann machte sich eine zügellose Horde über Bonn her. Wieder sah Aliter einzelne
Feuer auflodern. Als sie seinem Haus immer näher kamen, vergaß er jede Vorsicht
und rannte los. Keuchend kam er an und sah, wie einige Barbaren mit Schwertern
und Stangen auf die Fenster und Türen einschlugen. Als sie ihn sahen, drehten sie
sich um und kamen mit erhobenen Waffen auf ihn zu. Aliter erstarrte.
„Halt!“, donnerte eine laute Stimme. Ein Mann, offensichtlich ein batavischer
Offizier, rannte los und schlug den Angreifern die Waffen aus der Hand. „Halt, sage
ich! Ihr werdet keine Zivilisten töten!“ „Das ist ein Römer!“ schrie einer der
Angreifer. „Egal!“, schrie der Bataver zurück, „wir sind Krieger, keine gemeinen
Mörder!“ Dann wandte er sich an Aliter: „Ich kenne Dein Haus, Ihr habt immer faire
Preise gemacht, egal ob Römer, Ubier oder Bataver. Gib‘ mir von Deinen Lebensmitteln für meine Leute ab und ein Fass Wein für die da“, sagte er und zeigte auf
die Angreifer, „und dann sind wir weg.“ Das tat Aliter, und der batavische Offizier
hielt Wort. Aliter blickte ihm nach. Er war froh und dankbar, dass er mit dem
Leben davon gekommen war, und dasselbe wünschte er ihm.
Nach dem Krieg (70)
Nach seinem Sieg im Bürgerkrieg hatte Kaiser Vespasian in Rom nun Truppen zur
Verfügung, um den Aufstand niederzuschlagen. Eine gewaltige Streitmacht von
insgesamt acht Legionen zog unter General Cerialis nach Germania Inferior, und
trotz der Unterstützung durch die Brukterer und Tenkterer wurden die Bataver
besiegt; weite Teile ihres Landes und ihre Hauptstadt wurden zerstört. Wenigstens
schloss Cerialis einen maßvollen Frieden.
Nun konnte Aliter seine Familie wieder in die Arme schließen. Doch es waren bange
Tage, denn Fortiters legio I Germanica war unter den Besiegten. Endlich kam ein
Brief von Poesina aus Augst: Fortiter lebte und war wohlauf. Kaiser Vespasian hatte
die I Germanica aufgelöst und die Soldaten anderen Legionen in Illyrien zugeteilt.
Weiter schrieb sie, dass Fortiter zur legio XI Claudia kommen würde, die gerade
von Dalmatien nach Vindonissa versetzt wurde. Aliter atmete tief durch und legte
den Brief aus der Hand. Das war mehr als man hoffen konnte. Vindonissa, das war
in Germania Superior, ganz in der Nähe von Augst. Da würde er ihn besuchen
können, ihm als ehemaligem Centurio würde man das kaum verwehren. Wozu hatte
er noch seinen Helm mit dem quergestellten Helmbusch?
Im Spätsommer war Nativo endlich wieder in Bonn. Zusammen mit seinem Halbbruder Aliter ging er durch das zerstörte Legionslager. Zwischen den Trümmern
erblickte Nativo eine Münze auf dem Boden und hob sie auf. Sie zeigte die
Zerstörung des Legionslagers Xanten und den Untergang der Legionen XV Primigenia
und V Alaudae. Offensichtlich hatte Civilis diese Münzen prägen lassen. Angewidert
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schmiss Nativo sie weg. „Wir werden das Lager wieder aufbauen“, sagte Aliter
entschieden, „aus Stein!“
Auch Aliters und Pumellas Steinhäuschen stand noch, bedurfte aber gewaltiger
Reparaturen. „Du weißt, der alte Legionär der V Alaudae hat mir seine Ersparnisse
vermacht“, sagte Nativo langsam, „ich werde sie Euch geben, damit Ihr hier alles
neu aufbaut. Euer kleines Steinhäuschen mit einem Ladenlokal, in dem Ihr Oliven,
Olivenöl und alle die guten Dinge verkauft, die ich bringe. Und vielleicht auch eine
kleine Garküche. Das gebt Ihr dann später weiter an Nauticula und Rubeus.“ Es
folgte einen Moment Schweigen, dann sah er neue Hoffnung in den Gesichtern - ja,
das war ein guter Weg. „Wir wollen das Andenken dieses alten Legionärs der V
Alaudae in Ehren halten“, meinte Aliter, „vielleicht mit einem guten Namen für das
Haus.“ „Villa Alaudae!“ sagte Nauticula freudestrahlend.
Ein neues Legionslager (um 70)
Kaiser Vespasian saß sicher auf seinem Thron, doch er traute den Rheinlegionen
nicht, die auf der Seite seines Gegners Vitellius gestanden hatten und im BataverAufstand zum Teil übergelaufen waren. Fast alle alteingesessenen Legionen wurden
in weit entfernte Regionen versetzt oder gar aufgelöst, an ihrer Stelle kamen neue
Legionen, auf die der Kaiser sich verlassen konnte. Die legio I Germanica war
aufgelöst worden; dafür kam die legio XXI Rapax nach Bonn. Sie musste sich
zunächst ein neues Legionslager aufbauen, eines der größten Legionslager am Rhein
sollte es werden. Tag für Tag wurden drüben am Drachenfels Steine gebrochen.
Wieder saß Aliter, nun ein älterer Herr, am Drachenfels und baute seinen Stand
auf. Ganz wohl war ihm nicht, denn er kannte niemanden in der neuen Legion.
Diese hatte zu den Stützen von Cerialis gehört, während die Bonner legio I Germanica Schande auf sich geladen hatte. Dabei wollte er ins Gespräch mit den Männern
der XXI Rapax kommen, denn schließlich hatte diese Legion bis vor kurzem im
Legionslager Vindonissa gestanden, wo nun die XI Claudia mit seinem Sohn Fortiter
war. Aliter wollte alles von Vindonissa wissen. Schließlich fasste er sich ein Herz
und fragte einen alten Legionär der XXI Rapax, dem es besonders gut zu schmecken
schien. „Vindonissa ist gar nicht schlecht“, sagte der, „ein kleines Städtchen so wie
Bonn hier, nur viel höher gelegen. Für die jungen Kerle ist fast zu ruhig. Ihr könnt
hier in ein Schiff steigen und den Rhein aufwärts fast bis dorthin fahren.“
Familien-Bande (71)
Im Frühjahr des folgenden Jahres war es so weit. Nativos Schiff legte in Bonn an.
Doch bevor sie nach Süden fuhren, wollten Aliter und Nativo mit Nauticulas Vater
Tschorba noch etwas regeln.
Kaiser Vespasians gewaltige Reorganisation der Rheinarmee betraf auch ihn. Die
Mainzer legio IIII Macedonica wurde aufgelöst, als IIII Flavia Felix neu aufgestellt
und nach Dalmatien versetzt. Noch schlimmer traf es die Neusser legio XVI Gallica,
sie wurde als XVI Flavia Firma neu gegründet und gleich an die Ostgrenze nach
Syrien versetzt. Die Donau-Legionen aus Cerialis‘ Heer mussten schnell zurück an
die mittlere und untere Donau. Diese Truppenverlegungen waren eine gewaltige
logistische Aufgabe, und auch auf die Rheinflotte, die Classis Germanica, kam
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einiges zu. Tschorba, der selbst von der unteren Donau kam, würde lange weg sein,
und das bedrückte ihn sehr.
„Du weißt, wie lieb wir Nauticula haben, und dass Du Dir keine Sorgen um sie
machen musst“, sagte Aliter beruhigend, „und vielleicht möchtest Du auch Deine
Heimat wiedersehen.“ Nativo fuhr fort: „Ich weiß, die Dienstzeit bei der Flotte ist
noch länger als bei der Legion, aber Du hast es bald geschafft, und dann bekommst
Du römisches Bürgerrecht. Setz‘ das jetzt nicht auf Spiel, und wenn Du Deinen
Dienst beendet hast, möchte ich Dich gerne als Schiffsführer für unser Geschäft
gewinnen.“ Tschorba verschlug es die Sprache, damit hatte er trotz aller Freundschaft nicht gerechnet. Nauticula flog ihm um den Hals. Während er seine Tochter
fest im Arm hielt und Tränen wegblinzelte, fuhr Nativo fort: „Ich brauche einen
tüchtigen Kapitän, der sich auch an der Donau auskennt, denn da verlagert sich
jetzt vieles hin.“ Aliter strahlte von einem Ohr zum anderen, dann sagte er: „Auch
ubische Auxiliartruppen sind an die Donau verlegt worden. Als Anfang kannst Du
Ihnen etwas Leckeres aus ihrer Heimat mitbringen, und auf dem Rückweg dann
unseren thrakischen Hilfstruppen und Mitbürgern hier am Rhein etwas aus ihrer
Heimat. Das sind wir Ihnen doch schuldig!“
Einige Tage später ging es rheinaufwärts zu Nativos Tochter Poesina nach Augst.
Dort angekommen, war es nur noch ein kurzer Weg zum Legionslager Vindonissa.
Aliter setzte seinen alten Helm auf und machte sich auf, um seinen Sohn abzuholen. Einige glückliche Tage konnte Fortiter im Kreis der Familie verbringen. „Ich
habe es noch gut getroffen“, sagte er bewegt, „viele von der I Germanica sind
getötet worden. Vindonissa ist ganz in Ordnung, und es ist am Rhein, ich bin oft
hier bei Poesina und kann sogar Urlaub bei Euch machen. Es hätte viel schlimmer
kommen können.“
Nach einigen glücklichen Tagen in Augst reisten sie auf dem Landweg weiter nach
Mailand. Nativo hatte, auch im Namen seiner Frau und seiner Kinder, darauf
bestanden. Nach über zwanzig Jahren Abwesenheit von seiner Heimatstadt war es
eine bewegende Zeit für Aliter, und die Herzlichkeit, mit der Nativos Familie die
seine aufnahm, gab ihm sehr viel. „Es ist Zeit, Frieden mit der Vergangenheit zu
schließen“, sagte Nativo, „Du und ich, wir gehören hierhin, und wir gehören an den
Rhein, und das vererben wir unseren Kindern.“
„Villa Alaudae“ (72)
Aliters wieder aufgebautes Steinhäuschen, die „Villa Alaudae“, war ein Schmuckstück geworden. Sie lag nahe am Ufer, und die Fenster waren so angeordnet, dass
man von den Wohnräumen der Familie aus den Rhein sehen konnte und die Schiffe,
die anlegten und ausliefen. Das Haus war weiß getüncht, unten mit einem dunkleren Rotton abgesetzt. Durch eine Säulenhalle kam man zum Eingang und sah gleich
auf das kleine Peristyl, ein Gärtchen, von dem aus offene Türen mit Holzeinfassung
in die umgebenden Räume führten. Neben den Wohnräumen, der Küche und den
Wirtschaftsräumen gab es ein kleines Ladenlokal, das zur Straßenseite hin offen
war. Der Boden hatte Steinfliesen und in den selbstgezimmerten Regalen standen
Amphoren und Glasflaschen mit den herrlichsten Oliven, Olivenölen und Weinen.
Über die Theke konnten die Leute auch warme Mahlzeiten kaufen, denn die
meisten Häuser waren klein und eng, und das Kochen war kaum möglich. Es war
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kein Vergleich mit den opulenten Menüs, die bei den Gelagen der Oberschicht
aufgetragen wurden, aber das musste auch nicht sein. Die Gerichte von der „Villa
Alaudae“ waren alle frisch zubereitet und schmeckten einfach gut.
Als das Haus fast fertig war, hatten einige Legionäre der XXI Rapax einen kleinen
Steinblock vom Drachenfels gebracht. Aliter war gerührt; er wusste ja, dass der
Steinbruch ein militärischer Betrieb war und die Steine nur für offizielle Bauten
verwendet wurden. „Ja, das stimmt“, sagte ein Offizier, „doch Du hast so viel für
uns getan, Du bist so oft mit uns drüben, da ist es nur richtig, dass Du ein Stückchen von drüben auch hier hast. Dieser Block gäbe einen guten Weihestein hier für
Euer Peristyl.“ So geschah es.
Nun war der Weihestein fertig gemeißelt und wurde im Beisein von Familie und
Freunden gesetzt. Er zeigte drei Frauen in ubischer Festtracht, die zusammen auf
einer Bank saßen. Die beiden äußeren trugen große, auffällige Hauben; die mittlere
war kleiner dargestellt und trug ihr Haar offen. Alle drei hielten einen Fruchtkorb
auf dem Schoß. Es waren die Aufanischen Mütter; sie standen für Jugend, Erwachsensein und Alter, das Wachsen, Blühen und Absterben in der Natur. Über diesen
ewigen Kreislauf des Lebens wachten sie und gewährten mütterlichen Schutz.
Die Einheimischen, unter ihnen Pumella Pulchras Familie, verehrten sie seit alters
her; nun bat Aliter um Schutz für seine ganze, weitverzweigte Familie: Pumella
Pulchra, seine geliebte Frau, Fortiter, sein ältester Sohn, der im Legionslager
Vindonissa in Germania Superior seinen Dienst tat und ab und zu auf Urlaub kam,
Rubeus, sein jüngerer Sohn, der bald seine Pflegetochter Nauticula heiraten würde,
ihr Vater Tschorba, der auf der Donau unterwegs war, und natürlich Nativo, sein
Halbbruder, der ihn in den Schoß seiner Ursprungsfamilie zurückgeholt hatte.
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Römische Provinzen
Ein Blick in die „Villa Alaudae“
Germania Inferior, zur Zeit der Flavischen Kaiser
Nach dem Ende von Bürgerkrieg und Bataver-Aufstand wurden im römischen
Germanien die zerstörten Städte und Kastelle wieder aufgebaut. Kaiser Vespasian
(69-79) hatte eine Reorganisation der gesamten Rheinarmee verfügt; in Bonn stand
nun die legio XXI Rapax und hatte das Legionslager in Stein neu aufgebaut.
Der Veteran Aliter und seine Frau Pumella Pulchra lebten in einem schmucken
Steinhäuschen am Rheinufer, der „Villa Alaudae“, benannt nach während des
Bataver-Aufstands untergegangenen Xantener legio V Alaudae. Dort führten sie ein
Ladenlokal mit Garküche, spezialisiert auf Oliven, Olivenöl und die guten Dinge, die
Aliters Halbbruder Olivifer Nativo vom Handelshaus Olivifer ihnen brachte. Noch
immer betrieb Aliter seinen Verpflegungstand für die Arbeitstrupps in den römischen Steinbrüchen am Drachenfels.
Nach dem Bürgerkrieg gehörte auch Aliters Sohn Fortiter, Legionär der I Germanica, zu den Besiegten. Doch er hatte Glück im Unglück: er kam zur legio XI Claudia,
die nach Vindonissa (Windisch) versetzt wurde – also an den Rhein und ganz in die
Nähe von Augst, wo das Handelshaus Olivifer eine Niederlassung hatte. Rubeus,
Aliters und Pumellas jüngerer Sohn, war nun Offizier in der Hafenkommandatur in
Bonn und hatte ihre Pflegetochter Nauticula geheiratet. Die beiden bekamen zwei
Kinder, Rubeus Minor und Nauticula Minor.
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Germania Inferior (um 85)
73/74 hatten die Römer das Land zwischen Rhein und Donau, das „Dekumatland“,
unter ihre Herrschaft gebracht. Fortan verlief die Grenze nicht mehr entlang der
beiden Flüsse, sondern schloss das Land zwischen ihnen ein. Neue Straßen wurden
gebaut, und so gelangten römische Truppen schnell von der Donau an den Rhein
und umgekehrt. Dort, am Rande des Imperiums, blieben Germanen und Daker
erbitterte und wehrhafte Feinde.
Nach dem Tod Vespasians und seines ältesten Sohns Titus (Regierungszeit 79-81)
wurde der jüngere Sohn Domitian (81-96) Kaiser. Anders als sein Vater und sein
Bruder konnte er keinen militärischen Ruhm vorweisen, was seine Autorität in der
militärisch geprägten römischen Welt schwächte. Nun zog er mit einer gewaltigen
Armee über den Rhein gegen die weit unterlegenen Chatten. In zwei Feldzügen
wurde das Gebiet zwischen Taunus, Lahn und Main, die Wetterau, erobert.
Doch so gewaltig und überlegen die römische Armee auch war - die Kampfesweise
der Germanen machte ihr zu schaffen. Diese brachen immer wieder aus ihren
Verstecken im Wald über die Römer herein und verschwanden wieder im Dickicht.
Nun schlugen die Römer Schneisen in den Wald und legten Patrouillenwege an.
Dazu errichteten sie hölzerne Wachtürme, und zwar nahe genug beieinander, dass
die Besatzungen Sichtkontakt hatten. War Gefahr im Verzug, ging eine Warnung
mittels optischer oder akustischer Signale von Turm zu Turm und zu den Kastellen
hinter dem Limes.
Nach dieser Demonstration römischer Militärmacht wandelte Domitian die bisherigen Militärbezirke in römische Provinzen um: Germania Inferior3 mit der Hauptstadt
Köln; Germania Superior4 mit der Hauptstadt Mainz. Dazu ließ er „Germania
Capta“, „Germanien eingenommen“, auf seine Münzen drucken – aus seiner Sicht
hatte er das „Germanenproblem“ ein für alle Mal gelöst.
Hauptstadt CCAA (um 85)
Nun war Köln, die antike Colonia Claudia Ara Agrippinensium, kurz CCAA, Hauptstadt einer römischen Provinz. Das machte die ohnehin schon prächtige Stadt am
Rhein noch attraktiver für viele Menschen. Hier ließ es sich auch für verwöhnte, an
einen gehobenen Lebensstandard gewöhnte Römer gut leben. Von der CCAA aus
führten Handelswege durch ganz Germanien und Gallien bis hinauf nach Britannien,
und so wurde die Stadt auch schnell zur Wirtschaftsmetropole im Nordwesten des
Römischen Reiches.
Der Statthalter einer römischen Provinz war ein mächtiger Mann, er war zugleich
oberster Befehlshaber der dort stationierten Legionen und auch der Kommandant
der Flotte vor Ort war ihm unterstellt. So war die Struktur der römischen Provinzverwaltung seit langem. Für die junge Provinz Germania Inferior und ihre gerade
erhobene Hauptstadt CCAA aber war das alles neu - und einigen Würdenträgern im
Stab des Statthalters arg zu Kopf gestiegen.
3
Niedergermanien: Teile der heutigen Niederlande, Nordwestdeutschlands westlich des Rheins und
Belgien
4
Obergermanien: Teile der heutigen Schweiz, Frankreichs und des südwestlichen Deutschlands
21
„Meine Güte“, schimpfte Rubeus, als er nach einem langen Tag in der CCAA zurück
in die „Villa Alaudae“ kam, „einige im Stab des Statthalters drehen da jetzt ganz
durch. Sie halten sie sich für die Götter wissen was und wollen alle einen Palast
haben!“ Gerade hatte er als Offizier der Bonner Hafenkommandatur eine große
Versendung von Steinen vom Drachenfels in die CCAA sicher geleitet. Doch als er
dem diensthabenden Offizier im Stab des Statthalters Meldung machen wollte,
hatte dieser ihm hochnäsig ausrichten lassen, dass man sich in Bonn mehr anstrengen müsste. Rubeus konnte sich gar nicht beruhigen – die hatten ja keine Ahnung,
was für eine gewaltige Leistung seine Männer Tag für Tag erbrachten. „Dafür
schuften unsere Leute doch nicht“, wetterte er, „unser Hafen und unsere Frachtschiffe sind denen auch nicht gut genug. Dabei sollen sie froh sein über die Steine
vom Drachenfels, die unsere Schiffe regelmäßig bringen, damit die CCAA ihre
Stadtmauer ausbauen kann, denn das kommt allen zugute!“
Nun drängten sich seine Kinder zu ihm. „Ach lass' sie reden“, meinte sein Sohn
Rubeus Minor, „morgen sind wir wieder bei den Steinbrüchen und bringen den
Männern wieder was mit. So gute Oliven wie wir hat der Statthalter nicht!“ „Ganz
bestimmt nicht“, ergänzte seine Schwester Nauticula Minor, „wir haben eine neue
Sorte aus Hispanien, ganz lecker!“ Trotz all seiner Wut musste Rubeus lächeln, die
Logik seiner Kinder war einwandfrei. Rubeus Minor wollte alles wissen, was mit den
Steinbrüchen zu tun hatte, wohin die Steine transportiert wurden und was man
damit baute, und Nauticula Minor kannte all ihre Waren und Handelsrouten und die
meisten Handelsschiffe. Er liebte seine Kinder innig und hoffte, dass er sie noch
lange um sich haben würde.
Legio I Minervia (88)
„Nauticula Minor!“ klang es energisch durch die Räume der „Villa Alaudae“. So
wurde sie nur gerufen, wenn sie etwas angestellt hatte. Und sie sah es gleich: in
dem Brunnen im Garten trieb noch ihr Spielzeugschiff. „Aber wenn doch noch Ware
abzuladen ist!“ protestierte sie noch. Dabei wollte ihre Mutter Nauticula auf den
Offizier der neuen Bonner Legion, der gerade die „Villa Alaudae“ betreten hatte,
einen guten Eindruck machen. Doch ihre Sorge war ganz unnötig. Der Offizier
lachte, nahm das Schiffchen und richtete das Segel aus. „Siehst Du, so fährt es
gleich viel besser“, sagte er freundlich zu dem Mädchen, und zu ihrer Mutter:
„Weißt Du, ich bin aus Burdigala, wir sagen Bordeaux, da haben wir auch einen
großen Hafen! Ich bin übrigens Sempronius Uvius Pino.“
Von nun an kam Uvius Pino häufiger in die „Villa Alaudae“. Er mochte die hübsche,
aufgeweckte Nauticula Minor und fühlte sich in ihrer ungezwungenen Familie gleich
wohl. Vielleicht würde es in dem kleinen Bonn ja doch nicht so öde werden wie
einige gemeint hatten. Wäre Bonn nicht der Standort der neuen Lieblingslegion
Kaiser Domitians, wäre es wohl kaum auf der Landkarte, hatte jemand behauptet.
In der Tat hatte Domitian selbst die Legion für seinen Feldzug gegen die Chatten
ausgehoben und sie legio I Minervia Flavia Domitiana benannt. Flavia nach ihm,
Domitian war der letzte Kaiser der flavischen Dynastie, und Minerva war seine
Lieblingsgöttin. Seit 83 stand sie in dem gewaltigen neuen Legionslager Bonn, die
legio XXI Rapax war zurück nach Mainz gegangen. Die meisten die Legionäre
stammten aus Südgallien und waren zuvor noch nicht am Rhein gewesen. Noch
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immer bot die Armee jungen Männern Chancen: ein regelmäßiges, gutes Einkommen, und auch Männer aus bescheideneren Verhältnissen konnten es aus eigener
Kraft bis zum Centurio bringen. Nach der ehrenvollen Entlassung bekamen die
Veteranen etwas Land geschenkt. Auf der anderen Seite musste man oft weit weg
ziehen, und das war auch Uvius Pino schwergefallen.
Nauticula und Rubeus lachten. „So hat Onkel Nativo damals bei seinem ersten
Besuch auch gedacht“, sagte Rubeus, „mit dem hochurbanen Mailand kann unser
Bonn nicht mithalten. Aber das muss es ja auch nicht, es ist schön hier am Rhein,
und Tempel und Bäder kann man bauen, wie Du siehst. Nur der Wein hat noch nicht
die Qualität, die Ihr von daheim gewohnt seid. Aber da können wir Abhilfe
schaffen. Die Anbindung nach Gallien uns ans Mittelmeer über den Rhein, die
Mosel, die Saône und die Rhône ist gut; und fast jeden Tag legen Schiffe hier an.“
Fortiter (88)
Nach vielen Jahren in Vindonissa ging Fortiters Dienstzeit bei der legio XI Claudia zu
Ende. Alles in allem hatte er Glück gehabt, denn seine Legion war nur in leichte
Gefechte verwickelt gewesen; dafür hatten sie viel Infrastruktur aufgebaut. Seit
langem belieferte das Handelshaus Olivifer auch das Legionslager Vindonissa. Bei
seinen Besuchen in Poesinas Haus hatte er ihre Familie gut kennengelernt und sich
vor kurzem mit ihrer Nichte verlobt. Für Nativo, der nun auch ein hohes Alter
erreicht hatte, war Fortiter der ideale Nachfolger für die Rheinroute.
Fortiters Hochzeit war ein großer Tag. Nach einer kurzen Zeremonie in Augst
gingen sie an Bord von Nativos Schiff, dann es ging rheinabwärts nach Bonn, wo
Aliter mit seiner Familie schon wartete. Eine Hochzeitsfeier an Bord eines Schiffes,
das war passend für den Händler, der viele Jahre auf dem Rhein gefahren war, und
seinen Nachfolger, der die Route nun übernehmen würde. Aliter und Pumella
Pulchra waren überglücklich, dass sie diesen Tag noch erleben durften.
Später am Abend saßen die Brüder Fortiter und Rubeus zusammen und schmiedeten
Pläne. „Jetzt wirst Du häufiger hier sein“, begann Rubeus, „und wir beide können
dazu beitragen, aus Germania Inferior eine blühende Provinz zu machen, eingebunden in das Reich und die Pax Romana5.“ „Wenn es die Pax Romana denn geben
würde“, meinte Fortiter, „hier in Germania Inferior und auch unten in Germania
Superior herrscht Frieden, aber an der Donau zieht Gefahr auf. Tschorba hat mir
viel berichtet. Der Fluss ist die Nordgrenze unserer Provinzen Raetien, Noricum,
Pannonia Superior und Inferior und ganz im Osten Moesia Superior und Inferior, das
ist eine lange und schwer zu verteidigende Grenze. Und wer weiß schon, was in den
Quaden, Markomannen und Sarmaten jenseits der Grenze vorgeht. Unsere erbittertsten und gefährlichsten Feinde sind die Daker an der unteren Donau.“ Rubeus
nickte. Vor einigen Jahren (85/86) hatten die Daker die schlecht gesicherte Grenze
überfallen und die römischen Truppen hatten sie nicht entscheidend zurückschlagen können. „Kaiser Domitian zieht schon an der Donaugrenze Truppen zusammen“, sagte Fortiter, „es gibt Überlegungen, auch die legio XI Claudia wieder auf
den Balkan zu versetzen. Da kommt einiges auf uns zu.“
5
Römischer Friede, Teil des Herrschaftsprogramms seit Augustus: innerhalb des Reichs sollte
Frieden herrschen, die Grenzen sollten gut gesichert sein, doch kein Verzicht auf Eroberungen.
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Saturninus-Aufstand und Ende der legio XXI Rapax (89-92)
Glücklich war Uvius Pino nicht, als er über die Wachgänge des Bonner Legionslagers
ging. Am nächsten Morgen würden sie losziehen, um den Aufstand des Stadthalters
von Germania Superior, Saturninus, niederzuschlagen. Während Kaiser Domitian an
der unteren Donau gegen die Daker kämpfte, hatte sich Saturninus gegen den
zunehmend verhassten Kaiser erhoben. Die Legionen XIIII Gemina und XXI Rapax in
Mainz und die germanischen Chatten hatten sich auf seine Seite geschlagen.
Ausgerechnet die XXI Rapax. Uvius Pino kannte niemanden aus dieser Legion
persönlich, und doch bedrückte es ihn. Bis vor kurzem hatte die XXI Rapax in Bonn
gestanden, sie hatte das Lager erbaut. Vielleicht müssten sie gegen Männer
kämpfen, die zuvor im selben Haus geschlafen und vom selben Tisch gegessen
hatten.
Auch Nauticula und Rubeus in der „Villa Alaudae“ dachten voller Sorge an das
Kommende. Viele der Soldaten der XXI Rapax waren regelmäßig in die „Villa
Alaudae“ gekommen, hatten eingekauft und gegessen. Sie allen hofften, dass der
Feldzug nicht unnötig Menschenleben kostete. Dann zog das niedergermanische
Heer6, unter dem Befehl des späteren Kaisers Trajan nach Süden und schlug den
Aufstand schnell nieder.
Um nicht an zwei Fronten zugleich kämpfen zu müssen, hatte Kaiser Domitian
einen Waffenstillstand mit den Dakern geschlossen, der Tributzahlen gleich kam.
Das hatte sie erstarken lassen; ihr König Decebalus schmiedete Allianzen gegen
Rom. Nach der Niederschlagung des Aufstands in Germania Superior zog Kaiser
Domitian mit seinem Heer die Donau hinab gegen die Jazygen und Daker. Doch der
Kaiser konnte keinen Sieg erringen und musste schließlich Decebalus als Klientelkönig anerkennen.
Endlich war Uvius Pino wieder in Bonn. „Was wird aus der XXI Rapax?“ fragten ihn
Nauticula und Rubeus. „Sie ist nach Pannonien verlegt worden, um gegen die
Sarmaten zu kämpfen“, antwortete er nicht ohne Sorge. Wenig später kamen
schlimme Nachrichten: Die XXI Rapax war im Kampf gegen die Sarmaten untergegangen. Am nächsten Tag setzten Uvius Pino, Rubeus und einige Kameraden über
auf die andere Rheinseite zum Drachenfels, wo Arbeitstrupps der Legion Steine für
das Lager gebrochen hatten. Dort setzten sie einen Weihestein für die gefallenen
Soldaten der legio XXI Rapax.
Im Norden Germania Inferiors (92)
Uvius Pino kam oft in die „Villa Alaudae“, und die Freundschaft vertiefte sich.
Schon bald war klar, dass Nauticula Minor niemand anderen zum Mann nehmen
wollte als ihn, und auch ihr Bruder Rubeus Minor mochte ihn sehr.
Nun war Rubeus Minor selbst seit kurzem in der legio I Minervia. Er war bei den
Bauingenieuren der Legion und wurde zu Einsätzen in ganz Germania Inferior
geschickt. Anders als der Süden, wo er zuhause war, oder gar Germania Superior
war der Norden ländlich und weniger von der städtischen römischen Kultur geprägt.
Für einen verwöhnten Stadtrömer aus der CCAA mag es dort öde gewesen sein, und
6
I Minervia, VI Victrix, X Gemina, XXII Primigenia
24
für die Legionäre der X Gemina, die aus Hispanien ins Legionslager Noviomagus,
einheimisch Nimwegen, gekommen waren, war nördliche Germania Inferior mit
seinem rauen Klima eher trostlos. Für den jungen Bauingenieur Rubeus Minor hingegen, der den Rhein liebte, war es eine aufregende Welt. Hinter Xanten gabelte
sich der Fluss mehrfach, bis er im Rhein-Maas-Delta in die Nordsee mündete.
Rubeus war begeistert, als er den Kanal zwischen Maas und Rhein sah, den Mitte
des ersten Jahrhunderts der Statthalter Corbulo hatte anlegen lassen.
In Nimwegen sollte ein neues, steinernes Legionslager für die legio X Gemina
gebaut werden, und auch vom Drachenfels wurden Steine herangebracht. Nun war
Rubeus Minor oft im Norden, das kam seinem Pioniergeist entgegen und er hatte
Freude daran, sein Wissen an die Kameraden weiterzugeben. Auch als das neue
Legionslager fertig war, blieb er als Ausbilder im Norden. Schließlich verliebte er
sich in ein einheimisches Mädchen und ließ sich mit ihr in Nimwegen nieder.
Daker-Krieg (101)
In Bonn neigte sich Uvius Pinos Dienstzeit dem Ende zu. Er freute sich schon darauf,
mit Nauticula Minor eine Familie zu gründen.
Dann kam der Marschbefehl - die gesamte Legion I Minervia musste in den Krieg
gegen die Daker ziehen. Trajan war nun Kaiser - ganz in der Nähe, in der CCAA,
hatte man ihn dazu ausgerufen. Nun setzte er an, die Macht des Reiches zu
vergrößern. Der von Kaiser Domitian geschlossene Waffenstillstand mit den Dakern
ging mit Roms Anspruch auf Weltherrschaft nicht einher. Aus dem gesamten
Imperium wurden Truppen und Marinesoldaten zusammengezogen.
Auch Fortiter in Augst war alarmiert. Uvius Pino, der künftige Ehemann seiner
Nichte Nauticula Minor, und seine ehemaligen Kameraden von der legio XI Claudia
würden in den Krieg ziehen. Es hieß sogar, dass seine alte Legion dauerhaft auf den
Balkan versetzt würde; das Lager in Vindonissa sollte aufgegeben werden. Nun
brauchte die Truppe zuverlässige Lieferanten. Das Handelshaus Olivifer hatte
Verträge mit der Legion und er selbst hatte Freunde dort; natürlich würde er mit
seinem Schiff dabei sein. Doch es fiel ihm schwer, seine junge Familie zurückzulassen, aber wenigstens wusste er sie im Familienkreis gut aufgehoben.
Im Mai 101 überschritt Trajans gewaltiges Heer auf einer Pontonbrücke bei
Viminacium7 die Donau und rückte in Dakien ein. Der dakische König Decebalus und
sein Heer waren vorbereitet, und es wurde ein schrecklicher Krieg. Als beide Seiten
erschöpft Frieden schlossen, war es eher ein Waffenstillstand. Römische Truppen
besetzten einen Teil Dakiens. Um den Einmarsch jederzeit zu ermöglichen, erbaute
Trajans Architekt Apolloduros von Damaskus eine mächtige Steinbrücke über die
Donau bei Drobeta Trunu. Auch die Daker rüsteten wieder auf und suchten neue
Verbündete. Im Frühsommer 105 marschierten die Römer erneut ein - es wurde ein
Vernichtungskrieg.
Kaiser Trajan feierte einen gewaltigen Triumph in Rom und gab sogar eine Säule in
Auftrag, die seinen Feldzug verherrlichen sollte.8 Uvius Pino aber freute sich
7
Damals eine wichtige Grenzstadt der Provinz Moesia Superior, sie lag in der Nähe des heutigen
Kostolac, Serbien.
8
Die Trajanssäule
25
darauf, nachhause zu kommen. Endlich konnte er mit allen Ehren seinen Abschied
nehmen, Nauticula Minor heiraten und mit ihr eine Familie gründen. Noch lange
hatte er Albträume vom Krieg in Dakien. Die Erinnerungen an schreckliche Waffe
der Daker, die so fürchterliche Wunden schlug, verfolgten ihn, und auch die Bilder
der zerstörten Hauptstadt – um nicht in römische Gefangenschaft kamen, hatten
die Menschen Gift genommen.
Fortiter und sein Handelshaus Olivifer hatten all die Kriegs- und Besatzungsjahre
lang die Truppen versorgt und auch manche Nachricht hin- und hergebracht. Nun
freute er sich darauf, die Städte entlang der Donau, unter ihnen Carnuntum
(Petronell-Carnuntum), Vindobona (Wien), Aquincum (Budapest) und Singidunum
(Belgrad)einmal in Friedenszeiten zu besuchen und dort Handel zu treiben. Und da
waren seine Kameraden von der legio XI Claudia, die nun in Durosturum (Silistra,
Bulgarien) ganz im Osten der Donaugrenze stationiert war. Vielleicht würde er
selbst nicht mehr alle diese Fahrten machen können, aber ganz bestimmt die
nächste Generation des Handelshauses Olivifer.
26
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27
Ubi Ubi, ibi Gustatio (um 110)
Während Kaiser Trajan, der Eroberer, weit im Osten des Reiches gegen die Parther
zog, herrschte am Rhein und an der Donau Frieden.
Fortiters Sohn war es vergönnt, in dieser Zeit zu leben. Eigentlich hieß er nach
seinem Vater Fortiter Minor, aber da er überall unterwegs war, nannte man ihn
bald „Ubiscumquus“ oder kurz „Ubi“. Auch er ging in seinem Geschäft auf und
freute sich jedes Mal über die glücklichen Gesichter, wenn er seine Waren
ablieferte. Wenn ihm die Segnung zuteil geworden war, den Rhein und die Donau
zu einer Zeit des Friedens zu befahren, so dachte er, dann wollte er möglichst viele
Menschen an dieser Segnung teilhaben lassen. Bald hieß es an vielen Orten: „Ubi
Ubi, ibi gustatio“ - „Wo Ubi ist, da sind auch Leckereien.“
Dann spornte ihn noch mehr an. Vom heimischen Augst aus waren der Rhein und die
Donau nicht weit. Wie früher Lucius Olivifer Nativo belieferte er die „Villa
Alaudae“ in Bonn und fuhr dann weiter rheinabwärts zur CCAA, Xanten und
Nimwegen, wo er einige Tage bei seinem Cousin Rubeus Minor verbrachte. Bis an
die Mündung des Rheins waren die beiden gefahren, und hätte es nicht so gestürmt,
wäre er am liebsten noch nach Britannien übergesetzt.
Auch zum rechtsrheinischen Germanien gab es Beziehungen. Der Limes war keine
undurchlässige Grenze, mit der sich das Römische Reich abschottete - solange sich
germanische Händler ordnungsgemäß an den Wachtürmen anmeldeten und die
Zollabgaben leisteten, durften sie im römischen Reich ihre Waren anbieten, u.a.
Vieh, Schinken, Felle, Bernstein, Seifen, Haare, und Honig. Dann trafen sich
Soldaten und Zivilisten, Römer und Germanen und es herrschte reger Betrieb.
Honig mochte Ubi ganz besonders gerne, und den musste er immer mitbringen.
Oft fuhr er auch die Donau hinab zum Legionslager Vindobona (Wien) in Pannonia
Superior. Er mochte diesen Ort direkt an Donau. Da die Sicherung der langen
Donaugrenze immer wichtiger wurde, baute man Vindobona zu einem logistischen
Zentrum für die Donau-Armee aus. Kaiser Trajan gab Order, die Rheingrenze weiter
zu befestigen, damit er Truppen vom Rhein an die Donau verlegen konnte.
Schließlich kam die legio X Gemina von Nimwegen nach Vindobona. Schmunzelnd
hatte Ubiscumquus die Legionäre betrachtet, wie sie nach getaner Arbeit in die
Tavernen strömten und sich bei gutem Wetter einen Tisch draußen sicherten. Er
wusste ja von seinem Cousin Rubeus Minor, wie wenig die Männer aus dem Süden
das raue Wetter oben in Germania Inferior mochten – Pannonien war schon
angenehmer für sie.
Ubis Frau begleitete ihn oft. Sie wollte nicht ewig daheim in Augst auf ihn warten,
während er den Rhein und die Donau bereiste. So kam es, dass sein Sohn Verenatus
in an einem herrlichen Frühlingstag an der Donau auf die Welt kam.
Bonn – ein schmuckes Städtchen am Rhein (um 120)
Uvius Pino und Nauticula Minor bekamen drei Kinder, den Sohn Nautianus und die
Töchter Lenticula und Fabicula. Uvius Pino nannte sie liebevoll seine „Legio Mama
Victrix“.
28
Bonn lag an der römischen Rheintalstraße9, die am Rhein entlang von der CCAA
über Bonn nach Koblenz und weiter nach Germania Superior führte. Das Städtchen
blühte auf und bot bald allen Komfort. Im Zentrum gab es einen großen öffentlichen Platz, dazu Badegebäude, Tempel und sogar ein großes öffentliches Bad.
Entlang der Rheintalstraße und ihrer Nebenstraßen lagen die römischen Häuser.
Zumeist waren es lange, schmale Streifenhäusermit Steinsockel und Wänden in
Fachwerkbau. Viele Häuser hatten zur Straße hin kleine Verkaufsläden, oder
Werkstätten, dahinter lagen die Wohnräume.
Germanische Hilfstruppen in Dakien (um 120)
Auch Ubi kam oft und gerne nach Bonn, und wenn er konnte, blieb er einige Tage
bei seiner Cousine Nauticula Minor und ihrer Familie. Als sein Söhnchen alt genug
war, nahm er ihn manchmal mit. Dann tobte Verenatus mit Uvius Pinos und
Nauticulas Kindern durch die „Villa Alaudae“.
Er mochte auch Uvius Pino gerne und es imponierte ihm, dass der seinen Geburtsort
Vindobona an der Donau kannte. Immer wieder bat er ihn, von der Donau zu
erzählen, vor allem wollte er wissen, was hinter Vindobona käme. Uvius Pino aber
brachte es nicht übers Herz, ihm zu erzählen, dass ein grausamer Krieg ihn an die
untere Donau gebracht hatte. So sagte er nur: „Weißt Du, hinter Vindobona kommt
Aquincum (Budapest), das ist beides in Pannonien, und dann beginnt schon die
Provinz Moesien, hier fließt die Donau in das Schwarze Meer. Und ganz weit weg,
jenseits von Moesien auf dem anderen Donauufer, liegt Dakien. Vielleicht wirst Du
in einigen Jahren, wenn Du größer bist, einmal mit Deinem Vater hinfahren. Das
würde mich freuen, denn dann könntet Ihr unseren germanischen Hilfstruppen dort,
die so weit weg von ihrer Heimat ihren Dienst tut, etwas Leckeres mitbringen.“
Auch drei Legionen standen in Dakien. Eine solche Konzentration römischer
Militärmacht bedeutete, dass man hier mit weiteren Kämpfen rechnete. Seit
einigen Jahren standen auch ubische und batavische Hilfstruppen in Dakien. Pino
kannte viele ubischen Soldaten, sie waren in die „Villa Alaudae“ gekommen und
hatten sich von ihm, dem Veteranen des Dakerfeldzugs, Rat geholt. Für diese
jungen Männer war der lange Dienst bei den Hilfstruppen ein Weg, regelmäßig Sold
zu beziehen und für sich und ihre Nachkommen das römische Bürgerrecht zu
erwerben. Uvius Pino wusste, dass in den Kämpfen an der Grenze die Hilfstruppen
an vorderster Front standen, und auch wenn ihn die Erinnerungen an den Dakerkrieg immer noch schmerzten, wollte er ihnen möglichst viel von seinen Erfahrungen und Kenntnissen mit auf den Weg geben.
Doch dem Jungen gegenüber behielt er all dies für sich. Er wünschte ihm und
seinen Kindern aus tiefstem Herzen, dass sie Krieg nie erfahren müssten. So sagte
er nur: „Ja wirklich, das wäre schön. Etwas Leckeres aus der Heimat, und vielleicht
könnt Ihr auch Briefe mitnehmen. Dakien ist wirklich sehr weit weg.“
9
Die Rheintalstraße gehört zu den frühesten Römerstraßen der Region und führte von Süden
kommendüber die Legionslager Straßburg und Mainz, dann Koblenz in Germania Superior nach
Remagen in Germania Inferior und weiter nach Bonn und zur CCAA.
29
Kaiser Hadrian am Rhein (121)
Auf Kaiser Trajan folgte Hadrian, unter dessen Kommando die legio I Minervia im
zweiten Dakerkrieg gekämpft hatte. Hadrian bereiste alle Provinzen und kam auch
an den Rhein. Der Besuch des Kaisers war ein großes Ereignis. Viele Bonner standen
am Rhein und winkten, als die Flotte des Kaisers vorbei fuhr. Unter ihnen waren
auch Uvius Pino, Nauticula Minor und ihre Kinder.
In der CCAA würde es sicher Festlichkeiten geben. Die Hauptstadt von Germania
Inferior war inzwischen eine antike Weltstadt mit prächtigen Repräsentationsgebäuden und einer gewaltigen Stadtmauer, die mit Steinen vom Drachenfels gebaut
worden war.
Die CCAA hatte auch ein Amphitheater, doch für ihn, Uvius Pino, war das nichts. Er
verabscheute die blutigen Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen zutiefst. Viele seiner
Landsleute schauten ihn deshalb verständnislos an, doch niemand wagte eine
Bemerkung. Man wusste um seine Leistungen als Centurio, und nie hatte er von
seinen Leuten mehr verlangt als von sich selbst. Auch als Veteran hatte er seine
Verdienste: Drüben bei den Steinbrüchen am Drachenfels hatte er einmal blitzschnell reagiert und mit einem gewaltigen Satz gleich zwei Männer zu Boden
gerissen, als sich ein Block aus der Befestigung gelöst hatte und auf sie zugerast
war. Die Männer hatten blaue Flecken, doch der Steinblock war an ihnen vorbei
gerast. Nein, Uvius Pino musste niemandem etwas beweisen.
Sein Sohn war fasziniert von der Rheinflotte. Das wunderte den Vater nicht, denn
mütterlicherseits stammte er aus einer Schiffsführerfamilie, und er selbst war in
Bordeaux, einer Hafenstadt aufgewachsen. Uvius Pino hoffte inständig für seinen
Sohn, dass ihm schlimme Kriegseinsätze erspart bleiben würden. Vielleicht konnte
er dazu beitragen, in einer Zeit des Friedens das Aufblühen der germanischen
Provinzen mitzugestalten.
Frieden .. am Abend legte Pino vor dem Weihestein der Aufanischen Mütter in
seinem Peristyl einige Äpfel nieder. Hier an der Rheingrenze war Frieden und sein
kleines Bonn blühte auf. Doch im Osten des riesigen Reiches, in Judäa, brodelte es,
bald würde auch Kaiser Hadrian einen erbitterten, grausamen Krieg10 führen.
Legio I Minervia in Britannien (um 122)
Kaiser Hadrian entschied, anstelle weiterer Eroberungen die bestehenden Grenzen
zu sichern. Er inspizierte alles genau und ließ die Rheingrenze weiter verstärken.
Von Germania Inferior aus zog würde er weiter nach Britannien ziehen; dort ließ er
gerade einen gigantischen Grenzwall11 errichten.
Die Neusser legio VI Victrix würde mit ihm ziehen und auch eine Abordnung der
legio I Minervia hatte Order bekommen, ihn zu begleiten. Unter ihnen war
Lucianus, der mit Uvius Pinos Familie befreundet war und sie oft in der „Villa
Alaudae“ besucht hatte. Nun kam er noch einmal zu einem Abschiedsbesuch. „Wir
gehen ans nördliche Ende der römischen Welt“, sagte er, „einige meinen, dass
hinter dem Nebel, dem Wald und dem Moor die Welt aufhört, aber das hat man ja
10
11
Der Aufstand unter Simon Bar Kochba (132-135)
Hadrianswall
30
vor einiger Zeit auch von Germanien behauptet, und nun leben wir hier glücklich.
Lass' es ruhig ein bisschen regnen und stürmen; mir wird schon nichts passieren.
Aber Ihr und Eure gute Küche werdet mir in Britannien arg fehlen.“ Pino schmunzelte und schenkte ihm noch einmal Wein nach. „Wie lange werdet Ihr bleiben?“
fragte er. „Nun, die VI Victrix ist ganz nach Eburacum, auf einheimisch York,
versetzt worden“, antwortete Lucianus, „der Kaiser braucht Verstärkung an der
Nordgrenze. Dort kommt es immer wieder zu Gefechten mit den einheimischen
Stämmen, den Briganten und weiter nördlich den Pikten. Die legio VIIII Hispana soll
dabei untergegangen ist, aber wir wissen nichts Genaues, und ich will es auch nicht
glauben. Aber der Kaiser lässt nun einen massiven Grenzwall bauen, dazu braucht
er mehr Männer, und da wir viel Expertise haben, sollen auch unsere Fachleute
mit.“ Uvius Pinos Familie verabschiedete ihn herzlich, sie alle würden ihn vermissen. Beim Hinausgehen rief ihm Lenticula noch nach, dass es bei seiner Rückkehr
sein Lieblingsgericht geben würde.
Exercitus Germaniae Inferioris (um 122)
Ein Jahr später kam eine neue Legion, die legio XXX Ulpia Victrix, nach Xanten. Sie
war von Kaiser Trajan, mit vollem Name C. Ulpius Traianus, für seinen Krieg gegen
die Daker ausgehoben worden und nach ihm benannt. Fortan würde sie in enger
Zusammenarbeit mit ihrer Schwesterlegion, der I Minervia in Bonn, das niedergermanische Heer (Exercitus Germaniae Inferioris) bilden.
Schnell sprach sich auch bei den Männern der XXX Ulpia Victrix herum, dass es in
der „Villa Alaudae“ in Bonn hervorragende Oliven und Olivenöl gab, und dass ihr
Name an die frühere Xantener Legion V Alaudae erinnerte. Auch Generationen
später waren der Tod der Legionäre und die Zerstörung des alten Lagers ein
Trauma für die Römer. Man hatte ein neues Legionslager, mit lateinischem Namen
Vetera II, erbaut. In seiner Nähe war eine neue Stadt Xanten entstanden, die
Trajan zu einer Kolonie römischen Rechts, der Colonia Ulpia Traiana (CUT),
erhoben hatte.
Oft kamen Offizieren der XXX Ulpia Victrix nach den Stabsbesprechungen ins kleine
Ladenlokal der „Villa Alaudae“, aßen etwas und unterhielten sich mit Uvius Pino.
Gewiss mussten sie weiter die Rheingrenze sichern, doch in dieser Zeit des Friedens
konnten man Bauprojekte in ganz Germania Inferior planen - von Voorburg im
Norden, fast schon bei der Mündung des Rheins in die Nordsee, bis hinunter nach
Remagen, ganz im Süden an der Grenze zu Germania Superior. Ein dicker Offizier
der XXX Ulpia Victrix strahlte, als er eines Abends ankündigte, dass Xanten ein
prächtiges Forum erhalten sollte. Auch Uvius Pino lächelte - gegenüber am
Drachenfels gab es die richtigen Steine dafür.
In der Eifel, im Brohltal und am Drachenfels wurden Steine gebrochen; auch
Abordnungen der legio I Minervia arbeiteten oft in den Steinbrüchen. Nun würde
der Veteran Uvius Pino drüben am Drachenfels einen Stand aufbauen und die Kost
der Mannschaften aufbessern. „Wie Onkel Aliter früher“, sagte seine hochbetagte
Schwiegermutter Nauticula, und dabei strahlte sie über das ganze Gesicht.
31
Frumentarii und die „Legio Mama Victrix“ (um 130)
Kaiser Hadrian hatte auch merkwürdige Seiten. Seiner Meinung nach ließen es sich
die Grenztruppen zu gut gehen; es hieß, dass ihm besonders die Gärten ein Dorn im
Auge wären. „Dabei lässt sich der Kaiser in Rom eine herrliche Villa bauen“, dachte
Uvius Pino, „im Daker-Krieg war er unser Kommandant, er kennt uns und weiß, dass
wir fähig sind.“ Leider wurde der Kaiser auch immer misstrauischer. Schließlich ließ
er seine Spione, die Frumentarii, alles und jeden bespitzeln. Eigentlich waren die
Frumentarii für die Versorgung der Truppen mit Lebensmittel zuständig, aber nach
und nach hatte sich auch diese Nebenbeschäftigung entwickelt.
Leider gab es solche Leute auch in Bonn. Da war Gaius Discordans, ein Centurio der
legio I Minervia, der sich immer wieder übergangen fühlte und darauf sann, sich
hervorzutun. Wenn sich der Kaiser in Rom schon an den Gärten hier am Rhein
störte, überlegte er, dann würde es ihn ganz bestimmt empören, dass die Leute der
„Villa Alaudae“ die Arbeitstrupps in den Steinbrüchen sogar vor Ort verköstigten.
Ein ums andere Mal kam er in die „Villa Alaudae“ und tat so, als wenn er die
feinsten Oliven und das feinste Olivenöl kaufen wollte. Natürlich speiste ein
hochgestellter Römer nicht in der Garküche, und in Anbetracht seiner Position
fühlten sich Uvius Pino und Nauticula Minor verpflichtet, ihn standesgemäß zu
bewirten. Schon bald spürten sie, wie Unbehagen in ihnen aufstieg. Bei einem
weiteren Besuch sah Discordans die Amphoren und Körbe, die für den Transport
zum Drachenfels am nächsten Morgen bereitstanden, und erkundigten sie eingehend danach. Jetzt hatten sie Gewissheit. „Wir müssen aufpassen, da stimmt was
nicht“, raunte Uvius Pino seiner Frau leise zu, als Discordans gerade nach seiner
Sänfte schickte.
Auch ihre Kinder hatten Discordans gleich misstraut und ihn im Auge behalten.
Diese letzte Bemerkung ihres Vaters hatten sie gehört. „Kommt“, sagte Nautianus
zu seinen Schwestern. Schnell machte er sich an den Amphoren zu schaffen und
achtete darauf, dass Discordans ihn beim Verlassen des Hauses dabei sah. „Du bist
der Sohn, nicht?“ fragte der gönnerhaft. Nautianus nickte und sagte eifrig: „Ja, wir
bereiten alles vor, damit es morgen schnell geht.“ Bevor sie zu Bett gingen,
schlichen sich Lenticula und Fabicula in die Nähe der Amphoren und Körbe und
vergruben dort einige Knochen für die Familienhunde Gioia und Gaudio, und zwar
so, dass die beiden es mitbekamen. Dann gingen sie zurück in ihr Schlafzimmer.
Mitten in der Nacht riss sie Gebell aus dem Schlaf. Die Schwestern liefen ans
Fenster: Da waren Gioia und Gaudio, die eine schemenhafte Gestalt anbellten.
Schon kam ihr Bruder mit einer Laterne und hob sie an - da stand Discordans, der
sich eine Amphore schnappen wollte als Beweis, dass die „Villa Alaudae“ entgegen
den Wünschen des Kaisers die Soldaten verweichlichte. Er wollte sich schnell
wegschleichen, doch ihr Vater und einigen Männer waren schon herangeeilt und
versperrten den Weg. „So“, sagte Uvius Pino streng, „Du hast also gedacht, dass Du
uns mit dieser Amphore anschwärzen kannst. Lass' Dir eines gesagt sein – die
Männer, die dort drüben am Drachenfels Steine brechen, arbeiten verdammt hart
für Germania Inferior! So ist die Stadtmauer der CCAA entstanden, unser Lager, das
Forum in Xanten und viel mehr! Und nun verschwinde!“
32
Discordans kam nie wieder in die Villa Alaudae - die Schande, dass er sich von
Kindern hatte hereinlegen lassen, war zu groß. Uvius Pino hingegen platzte vor
Stolz über seine „Legio Mama Victrix“.
Die Rheinflotte im Frieden (um 150)
Entlang des Rheins lebten einheimische Germanen, Kelten und zugezogene Römer
aus dem Mittelmeerraum. All diese Menschen waren zusammengewachsen und
entwickelten ihre eigene Identität - nicht nur als zugezogene oder romanisierte
Germanen und Gallier, sondern als selbstbewusste Einwohner von Germania Inferior
und Germania Superior.
Nautianus war nun Offizier der Rheinflotte, der Classis Germanica, und war die
meiste Zeit auf einer Flussliburne unterwegs. Er hatte ein instinktives Verständnis
für sein Schiff und die Gewässer und war so auch für die Schiffsbauer und Segelmacher in der Flottenbasis eine große Hilfe. Rheinabwärts ging es von Bonn über die
CCAA, die Hauptstadt von Germania Inferior und Weltstadt am Rhein, das Legionslager und die prächtig ausgebaute Stadt Xanten, lateinisch Colonia Ulpia Traiana,
bis hinauf in den Norden, wo sein Onkel Rubeus Minor mit seiner Familie lebte.
Rheinaufwärts nach Remagen, Koblenz, Mainz, die Hauptstadt von Germania
Superior mit dem Lager der legio XXII Primigenia, und Straßburg, wo die legio VIII
Augusta stationiert war.
In Friedenszeiten gehörte der Transport von Baumaterial aus den Steinbrüchen zu
den Hauptaufgaben der Flotte, und oft zogen Arbeitskommandos der Classis
Germanica aus, Steine zu holen. So kam Nautianus in dienstlicher Mission oft an
den Drachenfels. Noch immer betrieb seine Familie dort bei den Steinbrüchen ihren
Verpflegungsstand. Als kleiner Junge hatte er geholfen, und wenn er heute als
Flottenoffizier mit seinen Leuten unterhalb der Steinbrüche anlegte, ging er selbst
sich etwas holen. Heute war seine große Schwester Lenticula Chefin der „Villa
Alaudae“, und sie machte das prima. Lenticula hatte den Offizier Lucianus
geheiratet, der nach seinem Einsatz in Britannien zurück in Bonn war. Bei den
beiden war der Familienbetrieb in den allerbesten Händen.
Nautianus selbst hatte vor kurzem geheiratet. Die Dienstzeit der Flottenoffiziere
war noch länger als die der Legionäre, und so sehr er sein heimatliches Bonn und
die „Villa Alaudae“ auch liebte, wollte er auch als Veteran nicht nur an Land
bleiben, dafür liebte er das Leben auf dem Rhein zu sehr. Als wenn er es gewusst
hätte, schenkte der Rhein ihm schließlich seine Frau: Anike, ein junge Frau aus
dem Norden Germania Inferiors, die er bei einem Besuch bei seinem Onkel Rubeus
Minor in Nimwegen kennengelernt hatte. Ihr ging es wie ihm, sie liebte ihre Heimat
und auch die ihres Mannes, und so pendelten sie zwischen Nimwegen und Bonn hin
und her. Wenn Anike in der „Villa Alaudae“ war, bereitete sie ein ganz besonderes
Gebäck zu - kleine Kügelchen, die sie Pofertiuli12 nannte. Bald waren sie eine
weitere Attraktion der „Villa Alaudae“.
Ganz im Süden von Nautianus‘ Route lag Augst, wo die Niederlassung des Handelshauses Olivifer zuhause war. Oft legte er seine Urlaubstage so, dass er einige Tage
12
gemeint sind Pofertjes
33
dort verbringen konnte, denn seit einiger Zeit lebte auch seine kleine Schwester
Fabicula hier; sie hatte Verenatus, den Freund aus Kindertagen, geheiratet.
Noch immer hatte die „Legio Mama Victrix“ eine enge Beziehung zueinander. Heute
halfen sie den zahlreichen ubischen und batavischen Hilfstruppen an der unteren
Donau, die Verbindung in ihre Heimat aufrecht zu halten. Lenticula in Bonn nahm
Post der Angehörigen entgegen, Fabicula organisierte den Transport zwischen Bonn
und Augst, auch Nautianus nahm wann immer es ging Sendungen mit. In Augst
wurden die Sendungen auf ein Schiff der Donauroute des Handelshauses Olivifer
gebracht, und in Viminacium an der unteren Donau übernahm ein zuverlässiger
Handelspartner den Transport weiter nach Dakien hinein.
Uvius Pino und Nauticula Minor, ihre inzwischen hochbetagten Eltern, waren überglücklich.
34
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35
Bitten an die Aufanischen Mütter (um 158)
Seit langem war der Kult der Aufanischen Mütter im Rheinland tief verwurzelt.
Bonn war sogar zum Zentrum des Kults geworden und auch das römische Militär
hatte ihn in seinen Festtagskalender übernommen. Nun, zur Zeit des Kaisers Antoninus Pius, war ihnen ein großes Zentralheiligtum erbaut worden. Es lag im Westen
der Stadt an einer Biegung der Gumme. Weit über Bonn hinaus kamen Menschen
hierher, um den Aufanischen Müttern zu danken oder ihren Schutz zu erbitten.
Auch Fabicula kam regelmäßig nach Bonn und legte im Namen der ubischen
Hilfstruppen im fernen Dakien dort einige Blumen nieder.
An diesem Tag hatte sich Lenticula mit ihrem Ehemann Lucianus hierhin begeben.
Da stand ein Weihestein für einen gefallenen Kameraden der legio I Minervia. Auch
wenn Kaiser Antoninus Pius keine großen Kriege führte, kam es doch zu Aufständen
in Randbereichen des riesigen Römischen Reichs. Eine Abordnung der I Minervia war
nach Mauretania Caesarensis13 geschickt worden, um dort einen Aufstand niederzuschlagen; Kameraden waren in der Ferne gefallen und begraben worden. Unter
ihnen war ein älterer Legionär, der oft auf einen Imbiss in die „Villa Alaudae“
gekommen war. Er hatte sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet, um Soldaten
mit Familie die lange Trennung zu ersparen. Nun war er tot und lag irgendwo an
den Gestaden des Mittelmeers begraben. „Ich weiß, Mauretania ist weit weg“, bat
Lenticula leise, „aber vielleicht könnt Ihr helfen, dass sich dort in der Ferne
Menschen auch um fremde Gefallene kümmern.“
Lucianus, ihr Mann, schwieg. Er selbst war in Britannien an der Nordgrenze des
Reiches gewesen, am Hadrianswall, und auch nach seiner Rückkehr hatte er die
Entwicklung dort verfolgt. Noch immer standen vier Legionen auf der Insel. Kaiser
Antoninus Pius hatte die Grenze nach Norden verlegen lassen und einen zweiten
Wall14 errichten lassen. Die neue Grenze war deutlich kürzer als der Hadrianswall,
aber Rom hatte sie nicht halten können. Nun wurde die Grenze zurückverlegt und
am Hadrianswall standen viele Reparaturen an.
Wieder hatte man eine Abordnung der legio I Minervia nach Britannien beordert,
und auch ihr Sohn Lucianus Minor war unter ihnen. Beide Eltern waren sehr besorgt,
denn aus Britannien kam Kunde von einem Aufstand. Lucianus hatte die Feinde
gegen die römischen Kastelle anrennen sein – wilde, bemalte Krieger, die alles und
jeden niedermachen würden, wäre das römische Militär nicht zur Stelle. Doch er
hatte auch von geldgierigen, korrupten Provinzbeamten gehört, die nichts um die
ihnen unterstellten Menschen gaben – egal ob einheimische Britannier oder Römer.
Kaiser Antoninus Pius war sicher ein rechtschaffener Mann, zahlreiche seiner
Vertreter in den Provinzen waren es nicht. Doch vor Lenticula wollte er nicht davon
reden. „Mach‘ Dir nicht so viele Sorgen“, sagte er, „unser Sohn ist bei den Bauingenieuren, die den Hadrianswall befestigen, bevor etwas passiert. Sie ziehen
nicht in einen neuen Krieg.“
13
Mauretania Caesarensis ist das heutige Mauretanien und Algerien, der Grabstein ist in Cartenna in
Algerien
14
den nach ihm benannten Antoniuswall
36
Partherfeldzug (162-166)
Schon wenige Jahre später fanden sich wieder viele Menschen am Heiligtum der
Aufanischen Mütter ein und baten um Schutz für sich und ihre Lieben. Weit im
Osten hatten die Parther15 das römische Armenien überfallen, es kam zum Krieg.
Von überall her zog Kaiser Marc Aurel Truppen zusammen, die ganze legio I
Minervia erhielt den Marschbefehl. Als die Legion aufbrach, standen viele Menschen
am Lagertor, um ihnen Lebewohl zu sagen. Auch Nautianus, seine Frau Anike und
seine Schwester Lenticula waren dabei. Er hatte gerade seinen aktiven Dienst bei
der Flotte beendet und freute sich auf das Leben mit Anike. Lenticulas Sohn war
noch immer in Britannien, und auch wenn keiner aus ihrer Familie mitzog, fühlten
sie mit ihren Freunden und deren Familien.
Gerade salbaderte ein Karriereoffizier aus Rom, der vor kurzem zur Legion
gestoßen war, lautstark von einem überwältigenden Sieg und einem anschließenden
Triumphzug in Rom. Er kannte die Trajanssäule, auf der Kaiser Trajan seinen
Feldzug hatte verherrlichen lassen, und erhoffte sich wohl Ähnliches für diesen
Feldzug. Nautianus schauderte es. Sein Vater Uvius Pino hatte ihm vom Dakerkrieg
erzählt, von blutigen Kämpfen, Tod und Zerstörung und Jahren fern der Heimat.
Nun zogen wieder Söhne, Brüder, Männer und Väter in einen Krieg am anderen
Ende des riesigen Reiches.
Die Pest (167)
Bange Jahre für die Angehörigen und Freunde der Bonner Legionäre gingen ins
Land. Ab und zu kamen Nachrichten von der Front im Osten des Reiches an den
Rhein. Ein römisches Heer mit der legio I Minervia hatte Armenien für Rom
zurückerobert, einige Soldaten waren bis zum Kaspischen Meer gekommen, und
Mitkaiser Lucius Verus nannte sich bereits „Armenien-Sieger“. Aber von den
Männern hatten sie nichts erfahren.
Wieder stand Lenticula am Rheinufer. Da lagen jede Menge Steine am Kai, die
eigentlich weiter transportiert werden sollten, doch nun machten die Menschen in
Bonn daraus Grabsteine. Viele Männer der legio I Minervia waren nicht zurückgekommen, und die Heimkehrer waren von Krankheit und Angst gezeichnet.
Die römische Armee im Osten hatte gesiegt, doch um welchen Preis! Ein anderes
Heer hatte die parthischen Metropolen Ktesiphon und Seleukia am Euphrat erobert
und den Königspalast dem Erdboden gleich gemacht, nicht einmal vor Tempeln
hatten sie halt gemacht. Bald darauf war eine verheerende Seuche ausgebrochen beim Brandschatzen und Plündern hatten sich die römischen Soldaten infiziert. In
den beengten Quartieren des Heeres, wo acht Männer sich ein Zelt teilten,
verbreitete die Seuche sich rasend schnell, und auf dem Weg zurück über Athen
schleppten die Legionäre sie mit ins Reich.
15
Seit den Tagen der Republik waren die Parther die großen Gegner der Römer im Osten. Kaiser
Trajan war weit in den Osten vorgedrungen, die Parther schienen besiegt, doch bald schon waren
die Kämpfe erneut ausgebrochen. Kaiser Hadrian entschied, diese Provinzen wieder aufzugeben,
doch Armenien blieb umstritten.
37
In Rom triumphierten die siegreichen Kaiser. Doch nach dem Triumphzug der
Truppen brach die Seuche auch in Rom aus und verheerte Italien und Spanien.
Entlang der Rückwege der Soldaten und der Handelsrouten verbreitete sie sich
weiter an den Rhein und bis hinauf nach Britannien. Es gab kein Heilmittel und
auch die Verbreitung konnte nicht verhindert werden; in vielen Regionen starben
unzählige Menschen einfach weg. In der Landwirtschaft wurden in diesen Regionen
das Land nicht mehr bestellt, Ernten fielen aus und es kam zu Versorgungsengpässen oder gar Hunger. Man hörte schon von Massenfluchten in Ägypten, der Kornkammer des Reiches.
„Was für ein bitterer Triumph“, dachte Lenticula. Nicht, dass sie überhaupt etwas
davon hielt, besiegte Feinde vorzuführen, und die Spiele verabscheute sie wie ihr
Vater. Jetzt machte die Seuche vor niemandem Halt, egal ob Feind oder Römer.
Aufbruch an die Front (167)
Am Ufer lag das Schiff ihres Bruders Nautianus vor Anker. Bald würde er ablegen
und mit seinen Kameraden von der Flotte nach Süden fahren. Es war noch schlimmer gekommen: An der mittleren Donau hatten Barbaren in breiter Front die
Grenze überrannt, die Wachposten niedergemacht und verwüsteten nun römisches
Gebiet. Kaiser Marc Aurel zog alle verfügbaren Truppen und Flotteneinheiten an
der Donau zusammen, auch Einheiten der legio I Minervia waren auf dem Weg.
Nautianus war klar, dass es viel zu wenig waren, um die langgestreckte Grenze
wirksam zu verteidigen. Doch die Donau als Hauptverbindungsweg durch die
römischen Provinzen in Mittel- und Südosteuropa zum Schwarzen Meer war für das
Reich lebenswichtig. Auch als Veteran konnte er jetzt nicht ruhig daheim bleiben.
„Wir müssen dem Konvoi der Handelsschiffe Geleitschutz zu geben“, hatte er im
Familienkreis gesagt, „und wir müssen wissen, was mit unseren Leuten ist - mit
Lenticula und Verenatus in Augst, mit dem Stammhaus in Mailand, und den
Freunden und Handelspartnern an der Donau.“
Doch es fiel ihm sehr schwer, sich von seiner Familie zu trennen. Anike und er
hatten zwei Kinder, den Sohn Vigilius und die Tochter Rubula; sie würden nun bei
Lenticula bleiben. Bevor er ablegte, nahm er sie noch einmal mit auf sein Schiff.
„Schaut, unser Schiff ist sehr schnell und stabil, und unsere Männer an Bord sind
tapfere Soldaten. Aber die Donau ist ein gewaltiger Fluss mit vielen gefährlichen
Stellen.“ Vigilius wusste, worauf sein Vater hinaus wollte. Er schluckte, dann sagte
er tapfer: „Deine Kameraden werden froh sein, dass ein so erfahrener Flottenoffizier wie Du dabei ist.“ „Und Onkel Verenatus und sein Sohn erst“, ergänzte Anike
ebenso tapfer, „er fährt auch in dieser gefährlichen Zeiten die Donau hinab und
bringt Mannschaften, Ausrüstung und Lebensmittel heran.“ Die kleine Rubula auf
seinem Arm schmiegte sich an ihn. Nautianus schaute sie alle liebevoll an und
nickte. „Fabicula leitet das Geschäft daheim, die Männer sind schon auf dem Weg
an die Front. Von der Versorgung unserer Truppen hängt jetzt alles ab“, sagte er,
„deshalb müssen wir mit der Flotte die Handelsschiffe auf dem Rhein und der
Donau schützen.“ Er schwieg einen Moment, dann sagte er bewegt: „Lenticula und
Ihr werdet hier in Bonn die Stellung halten. Ich weiß, Ihr schafft das.“
Als das Schiff ablegte, ahnte selbst der erfahrene Nautianus nicht, wie lange der
Krieg dauern würde.
38
Markomannen-Kriege (167-180)
Das Römische Reich steckte in einer tiefen Krise: Die Seuche hatte unzählige
Menschenleben gefordert, auch Mitkaiser Lucius Verus war daran gestorben, es
fanden sich kaum neue Männer für die Armee und der Kaiser hatte kein Geld, um
seine Soldaten zu bezahlen. In dieser Notlage rekrutierte man sogar Straftäter,
Sklaven und Gladiatoren.
Doch die Katastrophe nahm ihren Lauf: Immer wieder griffen die Barbaren an,
bereiteten der unerfahrenen römische Armee eine verheerende Niederlage und
fielen sogar in Italien ein. Kaiser Marc zog entlang der Donau nach Norden ins
Markomannen-Land. Acht Jahre dauerte der erbittert geführte Krieg, dann hatte
die römische Armee die Feinde besiegt.16
Endlich konnte auch Nautianus zurück zu seiner Familie; in den letzten Jahren
hatte er sie kaum gesehen. Auch zuhause am Rhein war einiges geschehen.
Während der Kaiser an der Donau kämpfte, waren die germanischen Chauken aus
dem Norden Germanias auf dem Seeweg in Gallia Belgica eingefallen. Der Statthalter hatte sie mithilfe der verbliebenen Teile des Heeres besiegen können. Lenticulas Sohn Lucianus Minor war mit dabei gewesen; ihr Mann hatte wegen seines hohen
Alters nicht mitziehen können, doch darauf bestanden, sich im Lager um die
Ausrüstung der Legion zu kümmern. Lenticula, Anike und Tochter Rubula hatten die
Versorgung der Menschen daheim aufrecht erhalten.
Nautianus‘ Sohn Vigilius war fast erwachsen und wollte wie sein Vater in die Flotte
eintreten. Das war ein ehrbarer Weg, den er, als langjähriger Flottenoffizier, ihm
nicht abschlagen konnte. Doch als Vater war er tief besorgt. Nach dem römischen
Sieg waren nicht einmal friedliche Germanen verschont geblieben: Römische
Legionäre hatten Dörfer überfallen, Frauen und Kinder versklavt und sogar
Belohnungen für die abgeschlagenen Köpfe ihrer Feinde erhalten.17 Nautianus war
entsetzt; so schürte man nur Hass.
Schon wenige Jahre später brach an der Donaugrenze wieder Krieg aus. Seit einem
Jahr war Vigilius bei der Flotte und übernahm mit seinen Kameraden den Schutz
der Handelsschiffe. Der Vater wäre am liebsten wieder mitgefahren; nur die
dringende Mahnung des Sohnes, dass nicht alle erfahrene Offizier wegziehen und
Germania Inferior bei einem erneuten Angriff der Chauken schutzlos zurücklassen
sollten, hatte ihn davon abgehalten.
Immer neue Pestwellen verheerten das Reich, und auch das Stammhaus der
Olivifers im italienischen Mailand wurde schwer heimgesucht; die Handelswege
brachen zusammen. Mit dem Mut der Verzweiflung hielten Verenatus und Fabicula
den Betrieb aufrecht und lieferten was sie auftreiben konnten an die Front. Bis
zuletzt steuerte Verenatus das Legionslager Vindobona an und brachte Lebensmittel, obwohl schlimme Nachrichten von dort kamen. Doch wie konnte er in dieser
schweren Zeit seine Landsleute und seine Geburtsstadt alleine lassen?
Schließlich wurde auch er schwer krank, und man brachte ihn in ein Feldlazarett in
Vindobona. Tagelang schwebte er zwischen Leben und Tod. Sogleich war Fabicula
16
17
In diesen Jahren in Feldlagern an der Front schrieb Marc Aurel seine „Selbstbetrachtungen“
Die Marc-Aurel-Säule zeigt solche Szenen
39
an sein Lager geeilt, und auch sein Sohn und Vigilius kamen so oft es ging. Endlich
war Verenatus außer Lebensgefahr und schlief tief und ruhig. Ein Arzt trat zu ihm;
er gehörte zur legio III Augusta, die aus Africa18 an die Donau kommandiert worden
war. „Ich wünsche ihm von Herzen, dass er wieder ganz gesund wird“, sagte er, „er
hat so viel für uns getan“. „Er liebt seinen Beruf“, antwortete Fabicula, „vor allem
den Handel mit Oliven und Olivenöl. Doch durch die Pest und den Krieg ist fast alles
bei uns zusammengebrochen“. Ein Lächeln glitt über die müden Züge des Arztes.
„Oliven“, sagte er weich, „das lässt mich an zuhause denken. Daheim in Hadrumetum, das liegt südlich von Karthago, haben wir herrliche Olivenbäume und
bestes Olivenöl.“ Er verstummte für eine kurze Zeit, war in Gedanken in seiner
Heimat. Dann fuhr er fort: „Wenn Ihr wollt, könnte ich Euch da was vermitteln.
Sofern wir diesen Krieg überleben und gesund zurückkehren. Aber versprecht mir,
dass Ihr dann auch nach Aquincum (Budapest) liefert. Viele unserer Männer gehen
nicht zurück, sondern werden in die legio II Adiutrix versetzt, nachdem so viele
Legionäre gefallen sind. Sie sollen auch dort ein Stückchen zuhause haben.“
Fabicula lächelte. „Unseren Leuten ein Stückchen zuhause zu bringen, darin haben
wir Übung“, sagte sie, „das versprechen wir gerne.“
Oliven aus Africa (um 180/181)
Verenatus und Fabicula waren zurück in Augst und hatten auch ihren Sohn wohlbehalten wieder. Doch wie sollte es mit dem Handelshaus Olivifer weitergehen? Die
Pest hatte das Haus zu schwer getroffen, als dass es alleine weiterbestehen und gar
eine neue Handelsroute über das Mittelmeer nach Afrika aufbauen konnte. Der
Patron in Mailand entschied, sein Haus in ein befreundetes Handelsunternehmen,
das Al'Alio, einzugliedern, welches seinen Stammsitz in Lyon hatte und über Schiffe
und Handelsrouten bis hinauf nach Germania Superior und Germania Inferior
verfügte. Es war eine schwere Entscheidung, doch nur so konnten sie ihren Handel
mit Oliven und Olivenöl weiter betreiben. Verenatus trug diese Entscheidung des
Patrons mit. Fabicula und er würden in Augst wohnen bleiben, ihr Haus bliebe
immer in der Familie, und ihr Sohn würde nach Lyon gehen und von dort aus den
Handel weiter betreuen.
Für Verenatus war nun jeder Tag ein Geschenk. Er ließ es sich nicht nehmen,
zusammen mit seiner geliebten Frau Fabicula nach Africa zu reisen, um seinen
Freund, den Arzt der legio III Augusta wiederzusehen und das Herkunftsland seiner
neuen Waren kennenzulernen. Fast ergriffen ging er mit ihm durch die uralten
Olivenhaine. Seit Anbeginn der römischen Zivilisation wurden die Olivenbäume dort
als heilige Pflanzen verehrt, und die Oliven wurden gleich nach der Ernte in Lake
konserviert. All dies hatte eine lange Tradition, in die sein Haus nun eintrat. Als er
die ersten Oliven und die ersten Amphoren Olivenöl mit auf den Heimweg nahm,
war er voller Zuversicht.
Einige Wochen später brachten Verenatus und Fabicula die ersten Oliven aus Africa
nach Bonn. Die Wiedersehensfreude war groß. Lange saßen Lenticula, Nautianus
und Fabicula, die „Legio Mama Victrix“, zusammen am Rheinufer, genossen den
Ausblick auf den Fluss und die Berge und beobachteten die Schiffe. An eben dieser
18
Die römische Provinz Africa umfasste große Teile des heutigen Algeriens, Tunesiens und Libyens.
Hauptquartier der Legio III Augusta war Lambaesis in Algerien.
40
Stelle hatten sie als Kinder die Flottenparade Kaiser Hadrians auf dem Rhein
gesehen. „Unser Junge ist schon auf dem Weg zu Al’Alio in Lyon, er wird dort
mitarbeiten und unsere Handelspartner am Rhein und an der Donau betreuen“,
sagte Fabicula, „und er wird sicher auch oft selbst zu Euch kommen.“ „Rubula wird
die ‚Villa Alaudae‘ übernehmen“, sagte Nautianus lächelnd, „auch Anike und ich
bleiben in der Nähe. Ich weiß doch, dass Ihr ohne ihre köstlichen Pofertiuli nicht
mehr auskommt.“
Auch Lenticula lächelte schelmisch. „Mein Junge wird nicht mithelfen können“
begann sie, „im Gegenteil, wir werden Essen in sein Haus liefern müssen.“ Immer
mehr Menschen von weit her kamen nach Bonn, um die Reihen der legio I Minervia
wieder aufzufüllen; viele von ihnen kamen aus dem Osten. Als Veteran kümmerte
sich Lenticulas Sohn Lucianus Minor um sie und half ihnen, sich in der fremden
Umgebung schnell zurechtzufinden. Oft übte er mit ihnen und ihren Angehörigen
auch Latein, so wie sich seine Frau um die Frauen und Töchter der Zugezogenen
kümmerte. All dies ging besser bei einem leckeren Imbiss aus der „Villa Alaudae“.
So war alles gut geregelt. „Erinnert Ihr Euch an damals, an Discordans?“ fragte
Lenticula, „wenn der wüsste, dass wir nun auch noch ins Haus liefern!“ Sie alle
kicherten, dachten an ihre unbeschwerte Kindheit am Rhein. Diese Zeit war lange
vorbei, dennoch war heute kein Tag für Wehmut. Lenticula, Nautianus und Fabicula
hatten ihre Lieben und sich gut durch die schweren Kriegsjahre gebracht- noch
einmal hatte die „Legio Mama Victrix“ ihrem Namen alle Ehre gemacht.
41
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42
Niederbieber - der Limes wird verstärkt (um 185)
Kaiser Marc Aurel hatte Roms Feinde jenseits der Donau aufhalten können, doch er
selbst hatte nicht überlebt; gegen Ende des Krieges war er im Feldlager an der Pest
gestorben. Sein Sohn und Nachfolger Commodus schloss einen Waffenstillstand mit
den Markomannen und ließ den Limes weiter verstärken. Germania Superior, Gallia
Belgica und Raetien waren blühende Provinzen; hier gab es ein funktionierendes
Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft. Die meisten Menschen im freien
Germanien hingegen waren arm, und der Wohlstand in den römischen Provinzen
weckte Neid. Direkt an der Grenze zu Germania Inferior, in Niederbieber, entstand
auf der rechten Rheinseite ein neues großes Kastell, 1000 Mann sollten hier
untergebracht werden. Vigilius und seine Kameraden von der Flotte transportierten
ununterbrochen Baumaterial dorthin.
Bei der gemeinsamen Arbeit hatte Vigilius sich mit Kameraden angefreundet, allen
voran mit Fructo, der in einer teilberittenen Kundschaftereinheit, dem Numerus
Eploratorum Germanicorum Divitiensium19, diente. Am Limes waren hauptsächlich
Hilfstruppen stationiert; nach Niederbieber kamen der Numerus20 Brittonum mit
vielen Menschen aus dem römischen Britannien und Fructos Einheit. Er war hier am
Rhein, an der Südgrenze von Germania Inferior, groß geworden und kannte fast
jeden Strauch auf beiden Seiten des Rheins.
Vigilius hatte oft mit seinen Kameraden von den Hilfstruppen gegessen und
festgestellt, dass ihr Essen doch arg einseitig war - meistens gab es Puls, einen Brei
aus Zwiebel, Speck, angeröstetem Getreide und Mehl. Und so setzte er die alte
Tradition seiner Familie fort: Wann immer er in Niederbieber zu tun hatte, brachte
er Vorräte aus der Villa Alaudae mit; dann kamen zur großen Freude seiner
Kameraden frische Oliven, Olivenöl, Käse und Früchte auf den Tisch. Zum Nachtisch
gab es Pofertiuli, die seine Mutter Anike immer noch mit viel Liebe zubereitete. Er
selbst war mit diesem köstlichen Gebäck groß geworden. Nun lachte er in sich
hinein, als er sah, wie ausgewachsene Soldaten sich die Backen vollstopften und
genussvoll aßen.
Eines Abends saßen Fructo und Vigilius bei einem Glas Moselwein zusammen.
„Mmhh, lecker“, meinte Fructo, „noch kein Vergleich mit den Qualitätsweinen aus
Italien oder Gallien, aber es wird was mit dem Weinbau hier.“ Die meisten
Soldaten, überhaupt die meisten Römer konnten nicht ohne Wein sein. Auch die
Einheimischen waren schnell auf den Geschmack gekommen. Seit Beginn der
Römerzeit am Rhein hatte man Wein importiert und dann an der Mosel in Gallia
Belgica angefangen, Wein anzubauen. „Ob Du es glaubst oder nicht“, sagte Fructo
in verschwörerischem Ton, „einige Leute, unter ihnen ein Cousin von mir, wollen
auch hier am Rhein Wein anbauen.“21
„In dieser Region haben die Vorfahren meiner Familie, die Ubier, einst gelebt“,
sagte Vigilius nachdenklich, „dann wurden sie von ihren Nachbarn fast aufgerieben
und Agrippa siedelte sie auf dem linken Rheinufer an. Jetzt verstärken wir hier den
Limes. Als Junge war ich oft mit zu den Markttagen im Limesgebiet und habe mich
19
die Germanische Aufklärungseinheit aus Deutz
Numerus-Einheiten waren kleine, taktisch unabhängige Einheiten, die in Abstimmung mit den
römischen Legionsstandorten die Grenzsicherung übernahmen
21
In der Tat gilt das Neuwieder Becken als "Wiege" des Weinbaus am Mittelrhein
20
43
jedes Mal auf den Honig aus Germanien gefreut, jetzt sehe ich nur noch wenige
germanische Händler hier. Wein braucht lange, meinst Du, dass wir ihn wachsen
sehen und vielleicht auch trinken können?“
„Viele teilen Deine Sorge“, meinte Fructo, „selbst Händler aus befreundeten Clans
kommen kaum noch; dafür suchen immer mehr Germanen Arbeit bei uns. Wir
wissen, dass andere Germanen hinzuziehen, die uns feindlich gesinnt sind22. Sie
sind kaum in der Lage, Überschüsse zu erwirtschaften und Vorräte anzulegen, jede
schlechte Ernte bringt Hunger, und jetzt wird auch das Klima noch rauer.“ Er
schwieg eine Weile, dann sagte er: „Drüben im Barbaricum braut sich etwas
zusammen. Wir können nur vorausplanen, unsere Leute sichern und leben. Und Du,
Vigilius, bist gerade mal Mitte zwanzig, Du hast den Markomannen-Krieg und die
Pest überstanden, nun freue Dich an jedem Tag des Friedens am Rhein.“
In den folgenden Jahren kam Vigilius oft nach Niederbieber, auch als das Kastell
längst fertig war. Nach und nach lernte er Fructos große Familie kennen. Unter
ihnen war auch eine junge Dame namens Viticula, die er auf Anhieb mochte und
nach seiner Dienstzeit heiraten wollte. Nun würde er mit einer jungen Frau aus der
Gegend, aus der seine Ursprungsfamilie einst über den Rhein gekommen war, eine
neue Familie gründen, und darauf freute er sich sehr.
Mit einem Bein an der Rhône, mit dem anderen am Rhein (um 197)
Noch einmal brachte eine neue Kaiserdynastie, die Severer, eine Stabilisierung.
Septimius Severus (193-211) war der erste Kaiser, der nicht der alten senatorischen
Elite Roms entstammte, er wurde noch nicht einmal in Rom zum Kaiser ausgerufen.
Septimius Severus kam aus Leptis Magna in Nordafrika, seine Muttersprache war
Punisch, und seine zweite Frau Julia Domna stammte aus dem Hochadel Syriens.
In Bonn verehrte man das severische Kaiserhaus. Im Bürgerkrieg nach dem Tod des
verhassten Commodus 193 hatte sich die legio I Minervia sofort auf Severus‘ Seite
geschlagen - gegen Pescennius Niger, den Truppen in Syrien zum Kaiser ausgerufen
hatten. Einen anderen Thronprätendenten, Clodius Albinus in Britannien, konnte
Septimius Severus erst einmal hinhalten, indem er ihm die Nachfolge auf dem
Thron versprach. Severus siegte und nahm Rom ein. Bald darauf wurde Albinus klar,
dass der Kaiser nicht daran dachte, ihn an der Macht zu beteiligen. Wieder brach
Krieg aus. Anfang 197 kam es in der Nähe von Lyon zu einer blutigen Schlacht, in
der Albinus unterlag und am Ende umkam.
Auch Soldaten der legio I Minervia hatten in Lyon gekämpft. Nach seinem Sieg
brauchte der Kaiser dort Männer, auf die er sich verlassen konnte, und verlegte
auch Einheiten der I Minervia dorthin. Für viele war das Grund zur Freude, vor
allem für die Legionäre, die aus Gallien stammten und sich als Veteranen gerne
dort niederlassen wollten. Andere freuten sich nach den Jahren im Städtchen Bonn
an der Rheingrenze auf etwas Abwechslung in der gallischen Weltstadt Lyon.
Für Vigilius‘ Familie bedeutete es, Abschied zu nehmen. Seine Schwester Rubula
war mit Silvanus, einem Offizier der legio I Minervia, verheiratet. Er stammte aus
Südgallien und würde nun mit nach Lyon gehen. Auch für ihn war das nicht einfach
22
Äußerst aggressive Elbgermanen
44
- seine Heimat war Gallien, seine Liebe Rubula hatte er in Bonn gefunden. „Nun
stehe ich mit einem Bein an der Rhône und mit dem anderen am Rhein“, sagte er.
Rubula wollte sich und ihnen allen Mut machen. „Papa und Mama mussten doch
auch mit langen Trennungen fertig werden, und mein Großvater Uvius Pino
stammte aus Bordeaux.“ „Ich bringe Euch“, sagte Vigilius entschieden, „wir fahren
über den Rhein, dann die Mosel und die Rhône hinab.“ Rubula strahlte, und ihr
Mann drückte seinem Schwager dankbar die Hand.
„Was wird aus der ‚Villa Alaudae‘?“ fragte Rubula. Sie hing an dem Familienunternehmen, das sie in den letzten Jahren gut durch eine Umbruchsphase gesteuert
hatte. Vigilius erinnerte sich noch gut an den Tag, als Verenatus und Fabicula mit
den ersten Oliven aus Africa nach Bonn gekommen waren. Damals lagen die
Markomannen-Kriege gerade hinter ihnen und die Pest hatte das Reich verheert.
Verenatus wäre fast daran gestorben und das Handelshaus war so schwer heimgesucht worden, dass es alleine nicht weiter bestehen konnte und in ein größeres
Handelsunternehmen, das Al’Alio in Lyon, eingegliedert worden war. Auch ihr
Cousin war dorthin gegangen, und so ließ sich der neue Handelsbetrieb gut an. In
der „Villa Alaudae“ gab es nun eine köstliche kulinarische Mischung: Oliven und
Olivenöl aus Africa und dem Mittelmeerraum und andere mediterrane Spezialitäten
ebenso wie die Pofertiuli ihrer Mutter Anike und andere einheimische Gerichte.
Bisher hatte Rubula die Leitung innegehabt, und noch lebte Vigilius‘ Liebe Viticula
noch nicht bei ihnen. „Dann werden Viticula und ich eben vor dem offiziellen Ende
meiner Dienstzeit heiraten“ sagte Vigilius trocken. „Und wenn die Lage in Lyon
einigermaßen stabil ist, werde ich mich mit um die Logistik kümmern“, sagte sein
Schwager Silvanus, „Al’Alio ist ja in Lyon, und Kaiser Septimius Severus, der selbst
aus der Provinz Africa stammt, fördert den Handel mit seiner Heimat nach Kräften.
Das sollte schon so gehen. Dann werden wir auch oft hier sein.“
Constitutio Antoniana – Römisches Bürgerrecht (212)
Wer um das Jahr 212 nach Bonn kam, sah fast überall freudige Gesichter, viele
Häuser und Straßen waren geschmückt, und auch Schiffer auf den Rhein bliesen in
ihrer Hörner. Kaiser Caracalla (211-217) hatte mit der „Constitutio Antoniana“
allen Freien das Römische Bürgerrecht geschenkt. Auch die Menschen in Bonn
waren nun römische Staatsbürger. Caracalla, bei der alten Elite in Rom und bei
vielen Menschen wegen seiner Grausamkeit verhasst, bevorzugte die Soldaten. Er
hob den Sold an und gestattete ihnen, schon während ihrer Dienstzeit zu heiraten.
Endlich hatten die römischen Autoritäten ein Einsehen: die Soldaten durften mehr
Zeit mit ihren Familien in den Lagerdörfern verbringen. Dafür bekam das Römische
Reich etwas zurück, denn auch als Veteranen blieben die Soldaten oft ihrem alten
Stationierungsort treu.
Vigilius war nun Veteran der Flotte, er lebte mit Viticula und den beiden Kindern
Vitus und Uvilla in der „Villa Alaudae“. Er freute sich für seinen Kameraden Fructo
von den Hilfstruppen, der durch die Verordnung des Kaisers römischer Bürger
wurde. Wenige Jahre vor dem Ende seiner Dienstzeit machte ihm eine alte
Verletzung arg zu schaffen, doch erst nach einer langen Dienstzeit hatte man
bisher das Bürgerrecht bekommen. Nun konnte er mit allen Ehren aus dem aktiven
Dienst bei den Hilfstruppen ausscheiden und sich ganz offiziell mit seiner Liebe und
45
seinem kleinen Sohn Florens auf dem Hof ihrer Familie niederlassen. Dort würde er
auch Polizeiaufgaben wahrnehmen.
Auch im Kastell Niederbieber und dem umgebenden Vicus feierten die Menschenden Erlass des Kaisers. Als Vigilius mit seinem Sohn Vitus zu Besuch kam, war alles
festlich geschmückt. Die Schwerter und Schilde blinkten, und die Feldzeichenträger
reckten stolz ihre Feldzeichen in den blauen Himmel.
Auf einmal zupfte Vitus seinen Vater am Ärmel und zeigte auf etwas. Vigilius folgte
seinem Blick. Zwischen all den römischen Feldzeichen leuchtete ein feuervergoldeter Drachenkopf, sein Körper aus Stoff flatterte im Wind. „Das ist eine Dracostandarte23“, sagte er, „sie ist noch selten und etwas ganz Besonderes in unserem
Heer.“ Und dann erzählte er: „Weißt Du, das Römische Reich ist riesig, und die
Soldaten kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Diese Drachenreiter sind
Sarmaten, sie stammen von der unteren Donau. Viele von ihnen sind in Britannien24
stationiert, und einige sind jetzt auch hier am Rhein.“
Vigilius fühlte eine tiefe Freude in sich aufsteigen. Hier, am Rande des Römischen
Reiches, erlebte er auf kleinem Raum dessen ganze Vielfalt, und das faszinierte ihn
immer wieder. Hierhin brachten die vielen Soldaten aus vielen verschiedenen
Ecken des riesigen Reiches ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Leckereien mit; hier
trafen sich römische Kultur und einheimische Traditionen. Dann sagte er fast
träumerisch: „Der Drache ist wunderschön, nicht?“ Vitus gab keine Antwort, aber
auch er würde die Dracostandarte nie vergessen.
Fructos Hof (um 215)
Fructos Gutshof lag an der Rheintalstraße zwischen Bonn und Remagen, von seinem
Fenster aus sah er in der Ferne den Drachenfels und die anderen Berge. Die
römischen Autoritäten sahen es gerne, dass sich Veteranen an der Rheintalstraße
ansiedelten und auch Polizeiaufgaben wahrnahmen. Der Hof gedieh prächtig.
Fructos Sohn Florens bekam bald eine Schwesterchen und weitere Geschwister, die
oft mit Vigilius‘ Kindern über den Hof tollten.
An diesem Tag war Vigilius wieder zu Besuch bei seinem Freund. „Erzähl‘ mal, wie
geht’s Dir denn so als Veteran?“ fragte Fructo. „Ganz gut“, meinte Vigilius, und das
stimmte ja auch. Viticula und er führten die „Villa Alaudae“, seit seine Schwester
Rubula vor einigen Jahren mit ihrem Mann Silvanus nach Lyon gegangen war.
Dessen Wunsch war in Erfüllung gegangen: nachdem sich die Lage stabilisiert hatte,
war er Verbindungsoffizier zwischen Bonn und Lyon geworden und viel zwischen
beiden Städten unterwegs. Und da auch das Handelshaus Al’Alio in Lyon war,
konnte er die Sendungen für Bonn gleich dort in Auftrag geben. „Wann immer
Silvanus und Rubula nach Bonn kommen, bringen sie selbst einige Amphoren mit,
das lassen sie sich nicht nehmen“, lachte er, „und jedesmal freuen sie sich wieder
über die glücklichen Gesichter.“ Er nahm noch einen Schluck, dann sagte er
lächelnd: „Manche Dinge ändern sich eben nicht, dasselbe hat schon Großmutter
23
Gemeint ist die berühmte Dracostandarte aus Niederbieber
Das legt der Film „König Artus“ nah. Von den 6.500 von den Sarmaten zu stellenden Soldaten
gingen alleine 5000 an die Nordgrenze des Reiches in Britannien.
24
46
Nauticula Minor von ihrem Großvater Aliter und ihrem Großonkel Olivifer Nativo,
den Begründern unseres Hauses, berichtet.“ Fructo nickte zufrieden.
„Und jetzt hab‘ ich noch eine Neuigkeit für Dich“, fuhr Vigilius mit einem verschmitzten Lächeln fort, „Du weißt ja, die Abordnungen der legio I Minervia sind
aus Lyon zurück, aber Silvanus stammt aus Gallien und hat sich mit Rubula dort
niedergelassen. Und rate mal wo genau, auf einem Weingut! Beim nächsten Mal
werden sie uns ihren eigenen Rotwein aus Gallia Lugdunensis mitbringen!“ Vigilius
strahlte über das ganze Gesicht. „Und noch was“, sagte er, „Silvanus hat uns schon
dorthin eingeladen, und er bietet an, dass Leute aus Eurer Familie, die dort drüben
auf der anderen Rheinseite Wein anbauen, auf ihrem Gut lernen können. Viticula
kann es kaum erwarten und ist schon drüben und berichtet ihrer Familie. Auch
Uvilla will unbedingt mit!“
Beide schauten hinüber zu Vigilius‘ kleiner Tochter, die mit ihrem Bruder Vitus und
Fructos Kindern spielte. Die Freundschaft der Väter setzte sich bei den Kindern
fort; Vitus und Florens waren wie Brüder. Vitus wollte wie er Flottenoffizier
werden, Florens, der nun auch ein kleiner römischer Bürger war, wollte in die legio
I Minervia eintreten. Uvilla würde einmal die „Villa Alaudae“ übernehmen.
Vigilius ging das Herz auf. Als er klein war, herrschte Not: das bange Warten auf die
Rückkehr der Soldaten aus dem Partherkrieg, die Pest, der Vater Nautianus, der als
Veteran noch einmal an die Front zog, um die Handelsschiffen Geleitschutz zu
geben. Nun herrschte Frieden an der Rheingrenze, die ubischen und batavischen
Hilfstruppen waren von der unteren Donau zurück, und er hoffte innig, dass diese
nächste Generation in Frieden leben konnte.
Besuch aus Straßburg (um 220)
Nun, da Geld in die Provinzen kam, wurden Straßen gebaut, Gutshöfe erweitert und
erneuert. Auch in Bonn wurde viel gebaut: Tempel, ein Forum und auch Werkhallen
und neue Stichstraßen zum Rhein. Vigilius war außer sich vor Freude - nicht nur die
Bonner legio I Minervia, sondern auch die Classis Germanica, seine Rheinflotte,
baute eine große Werkhalle am Rheinufer mit einer Großküche und einem Backofen! Fast täglich schaute er bei der Baustelle vorbei. Seit Generationen hatte die
„Villa Alaudae“ geholfen, die eintönige Kost der Arbeitstrupps in den Steinbrüchen
am Drachenfels aufzubessern, er selbst hatte auch den Hilfstruppen in Niederbieber
immer etwas mitgebracht. Nun konnte er das mit „seiner“ Flotte im Rücken noch
viel effizienter machen!
Ganz besonders freute ihn auch, dass das Heiligtum der Aufanischen Mütter instand
gesetzt wurde. Er war oft da und brachte Verpflegung für die Männer, die dort
arbeiteten. Viele Menschen von nah und fern kamen hierher und baten die Muttergöttinnen um ihren Schutz.
An diesem Tag war Silvius, ein Centurio der legio VIII Augusta aus Straßburg, in
Bonn. Vigilius hatte ihn abends zu sich in die „Villa Alaudae“ eingeladen. Während
seiner aktiven Zeit hatte er oft in Straßburg angelegt; er mochte die Stadt in
Germania Superior mit ihrer gallo-römischen Prägung und freute sich darauf,
Neuigkeiten zu hören. „So guten Wein wie bei Euch haben wir hier noch nicht“,
begann er während er einschenkte, „nun erzähl‘ mal, was bewegt Dich, hierher zu
47
kommen?“ „Viele unserer Leute haben eine enge Bindung an den Rhein und
Germania Superior“ antwortete Silvius, „sie möchten sich nach ihrem aktiven
Dienst hier niederlassen und Familien gründen. Deshalb möchte ich stellvertretend
für sie den Matrones danken dafür, dass es hier an der Grenze noch ruhig ist und
bitten, dass es noch lange so bleibt.“
Unten im Südwesten, in den Agri Decumates zwischen Rhein und Donau, war eine
neue große Germanengruppe aufgetaucht, die Germania Superior und Raetien
bedrohte. „Kaiser Caracalla hatte sich zu einem Präventivschlag entschlossen und
selbst seine Truppen ins Barbarenland jenseits des Limes geführt“, fuhr Silvius fort,
„unsere legio VIII Augusta und die XXII Primigenia aus Mainz waren mit dabei. Erst
einmal haben wir denen blutige Nasen verpasst und ich hoffe, dass sie nun Ruhe
geben. Der Kaiser ist nach Rom zurück und triumphiert, danach will er in den Osten
gegen die Parther ziehen.“ „Ihr müsst nicht mit?“ fragte Vigilius. Abordnungen der
Legionen I Minervia und XII Primigenia hatten in den Partherkriegen von Caracallas
Vater Septimius Severus gekämpft. „Nein“, sagte Silvius, und er klang erleichtert,
„das will Kaiser Caracalla mit den mesopotamischen Legionen, die sein Vater aufgestellt hatte, schaffen.“ Er schwieg eine Weile, nahm noch einen Schluck und
sagte dann: „Das ist auch ein Grund, dankbar zu sein. Weißt Du, ich möchte am
Rhein alt werden.“
Finno und Puella (um 225)
Als Vigilius wieder einmal bei Fructo zu Besuch war, sah er zahlreiche germanische
Arbeitskräfte auf dem Landgut. „Ja“, erläuterte Fructo, „immer mehr kommen
jetzt 'rüber ins römische Reich, um als Feldarbeiter zu arbeiten. Auch ein germanischer Händler ist heute hier, wir werden uns wohl zusammentun. Finno, komm‘
doch mal her!“ Auch Vigilius kannte ihn. Finno, ein Original unter den germanischen Händlern, hatte immer ganz besonders leckeren Honig und prächtiges
Streuobst von der anderen Rheinseite mitgebracht.
„Ach wisst Ihr“, sagte Finno traurig, „drüben auf der anderen Seite hat sich vieles
geändert. Es ziehen immer mehr fremde Menschen hinzu. Die Männer sind rücksichtloser, rauer als wir. Nicht, dass wir nicht auch hart arbeiten und für Haus und
Hof kämpfen würden, aber sie sind eher bereit, sich mit Gewalt etwas zu nehmen.
Mein Mädchen und ich, wir werden wohl ..“ Fructo und Vigilius lächelten. Mit dem
„Mädchen“ war Finnos Eselin Puella gemeint. „Komm, Du weißt, dass Puella in die
Jahre kommt“, sagte Fructo freundlich, „Ihr solltet nicht mehr so weite Touren
machen, und sei versichert, dass Ihr bei uns immer willkommen seid.“ „Wo genau
ist Dein Zuhause“, fragte Vigilius. Finno zeigte auf die andere Seite. „Nicht weit
hinter diesen Bergen dort! Von da hab' ich Euch das schöne Streuobst mitgebracht!“
„Na siehst Du“, sagte Fructo, „wenn es wirklich brenzlig wird, dann kommst Du
her. Von hier hast Du einen herrlichen Blick.“
Der Limes beginnt zu wanken (um 231)
Einige wirre Jahre waren ins Land gegangen. Kaiser Caracalla war 218 ermordet
worden. Im anschließenden Machtkampf hatte die legio I Minervia Elegabal aus der
Familie der Severer unterstützt und dafür den Namenszusatz Antoniniana bekom-
48
men. Doch Elegabal galt als verkommen, und wenig später wurde auch er ermordet. Nun wurde Alexander Severus (222-235) auf den Thron gehoben, ein Knabe
noch, der völlig unter dem Einfluss seiner Mutter Julia Mamaea stand. Dennoch
kehrte in den ersten Jahren seiner Regierung wieder etwas Ordnung ein.
Doch dann kamen beunruhigende Nachrichten aus dem Osten des Reiches. Dort
hatten die persischen Sassaniden 226 das Partherreich erobert, und Rom hatte
einen neuen, mächtigen Gegner. 230/231 verwüstete ein persisches Heer die
römische Provinz Mesopotamien; auch Syrien und Kappadokien waren bedroht.
Alexander Severus musste in den Krieg ziehen und reiste im Frühjahr 231 mit Julia
Mamaea nach Osten. Für diesen Feldzug zog er Truppen aus dem Westen ab; auch
Einheiten der Mainzer, Xantener und Straßburger Legionen mussten mit – auf die
Gefahr hin, ihre Regionen fast schutzlos zurückzulassen.
Fructo war Veteran, nahm aber weiter seine Polizeiaufgaben an der Rheintalstraße
wahr. Er war tief besorgt. Umherziehende Räuberbandendrangsalierten die
Menschen; Schmuggel und Korruption breiteten sich aus. „Der Kaiser hat zu viele
Legionen vom Rhein in den Osten kommandiert“, dachte er, „er stammt ja von
dort. Aber die meisten einfachen Soldaten haben tiefe Wurzeln geschlagen und
wollen auch nach ihrem aktiven Dienst hier mit ihren Familien leben.“ An seiner
Seite war sein Sohn Florens. Als römischer Bürgerhatte gleich in die legio I Minervia
eintreten können, und hatte schon nach kurzer Zeit seine Versetzung an diesen
Außenposten an der Rheintalstraße bekommen. Nun wurde jeder Mann gebraucht,
und Florens war mit den Aufgaben und der Gegend bestens vertraut.
Finno, der germanische Händler, lebte mit seiner Eselin Puella nun auf Fructos Hof.
„Als Gärtner“, wie er betonte, denn ein Gnadenbrot wollte er nicht. Beide, Herr
und Tier, fanden schnell Anschluss, und schon bald wuchsen prächtige Pfirsiche,
Pflaumen, Zwetschgen, Birnen und Äpfel im Obstgarten, und Fructos Familie wuchs
mit dem fröhlichen Wiehern Puellas und der anderen Esel auf. Nur manchmal, wenn
er sich unbeobachtet glaubte, blickte Finno sehnsuchtsvoll auf die andere Rheinseite hinüber, wo sein Zuhause war. Ob je wieder Frieden herrschen würde?
In Bonn stellte sich Vigilius‘ Familie dieselbe Frage. Vitus war seit kurzem Flottenoffizier wie sein Vater und kam gerade aus dem Norden Germania Inferiors, der
Heimat seiner Mutter Anike, zurück. Auch von hier wurden immer wieder Überfälle
gemeldet, doch das römische Militär konnte sie bislang abwehren. Gerade erst
hatte die legio I Minervia drüben auf der anderen Rheinseite germanische Plünderer
besiegt. Man hatte einen Siegesaltar auf dem Kampfplatz errichtet; das war dem
Statthalter und den Legionskommandeuren offenbar sehr wichtig. Besorgt sagte
Vigilius zu seinen Kindern: „Ich hatte so gehofft, dass Eurer Generation Krieg
erspart bleibt. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn noch nicht einmal die
unmittelbare Nähe eines großen Legionslagers die Germanen abschreckt, sind auch
wir nicht mehr sicher.“
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50
Raubzüge der Alemannen (233-234)
233/234 drangen die Alemannen über den Limes, brannten Kastelle nieder und
fielen in Germania Superior und Raetien ein. Die Landgüter der Römer wurden
überfallen, die Menschen grausam gefoltert, erschlagen oder versklavt, die
Gebäude geplündert und angezündet. Als endlich Verstärkung kam, war es längst zu
spät. Die Helfer sahen sie nur noch Tod und Zerstörung, niedergebrannte Höfe und
verzweifelte Menschen.
Auch die Menschen in Bonn fühlten mit ihren Mitbürgern im Südwesten und waren
sehr besorgt; man musste mit weiteren Überfällen rechnen. An diesem Tag war
Florens bei Vitus und seiner Schwester Uvilla in der „Villa Alaudae“. „Auch unsere
Mitbürger aus dem Osten sind besorgt“, sagte Uvilla, „von den Sassaniden haben sie
nur gehört, aber was sie gehört haben, ist schlimm genug. Die Sassaniden haben die
Parther gestürzt und wollen nun ein neues persisches Großreich errichten. Unsere
Mitbürger fürchten um ihre alte Heimat und haben Angst, dass es ein langer Krieg
wird und immer wieder Truppen von hier in den Osten abkommandiert werden.“
„Das schwächt unsere Grenzverteidigung noch mehr“, sagte Florens mit düsterer
Miene, „die Besatzung der Limeskastelle allein kann große Raubtrupps nicht aufhalten, und die Legionsstandorte in Mainz und Straßburg sind durch Truppenverlegungen an den Osten unterbesetzt. Wenn die Barbaren einmal durch sind, hält sie
in Gallien bis hinab nach Italien keiner mehr auf.“ „Irgendwann müssen sie zurück
über den Rhein, und dann kriegen wir sie“, sagte Vitus entschlossen.
Die schlimmen Nachrichten erreichten Kaiser Severus Alexanders Heer in Lager von
Antiochia nach einem verlustreichen Feldzug. Sie brachten die Soldaten aus den
germanischen Provinzen noch mehr gegen ihn auf. Schnell traf er ein unsicheres
Abkommen und brach den Feldzug ab. Noch immer stand er ganz unter dem
Einfluss seiner Mutter und wurde von der Truppe wenig respektiert.
In der zweiten Jahreshälfte 234 oder Anfang 235 eilte der Kaiser mit seiner Mutter
nach Mainz. Mit einigen Legionen zog der Kaiser auf einer Pontonbrücke über den
Rhein. Doch dann scheuten er und seine Mutter den Kampf und boten sogar den
Germanen große Summen an, damit sie Frieden hielten. Für viele Soldaten war nun
das Maß voll. Ein Teil des Heeres meuterte – unter ihnen die Mainzer legio XII
Primigenia – und erhoben den Offizier Maximinus Thrax zum Kaiser. Niemand wollte
für den Kaiser und seine Mutter kämpfen, seine Soldaten liefen zum Gegner über.
Julia Mamaea und Severus Alexander wurden im März 235 in ihrem Zelt im
Feldlager ermordet.
Maximinus Thrax‘ Gegenschlag (235)
Einige Jahre lebte der germanische Händler Finno nun schon auf Fructos Hof. Er
hatte es nicht bereut, es gab viel für ihn zu tun. Auch die Eselin Puella, sein
„Mädchen“, hatte noch einige glückliche Jahre auf Fructos Hof inmitten seiner
Kinderschar verbracht. Nun lag sie hier, auf dem linken Rheinufer, begraben.
Es war richtig gewesen, zu Fructo auf die rechte Rheinseite zu ziehen. Im Grenzgebiet waren marodierende Räuberbanden unterwegs, auch Germanen, die ihn ohne
Rücksicht auf seine germanische Herkunft für etwas Beute erschlagen würden.
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Unter den Römern waren viele, die verroht waren und auf jeden Germanen
einschlagen würden – egal ob Freund oder Feind.
Wieder einmal starrte Finno sehnsuchtsvoll nach drüben. Er glaubte nicht, dass es
bald Frieden geben würde; viel zu verworren war die Lage. Wenn nur Florens und
Vitus endlich wieder hier wären! Kaiser Maximinus Thrax war mit seinen Legionen
zu einem Vergeltungsfeldzug ins Innere Germaniens aufgebrochen. Auch die legio I
Minervia hatte sich auf seine Seite geschlagen und hieß nun legio I Minervia
Maximiana. Florens als Kundschafter und Vitus als Flottenoffizier hatten mitgemusst, denn der Kaiser brauchte jeden Mann.
Dabei wusste keiner so recht, gegen wen die Truppen ins Feld zogen. Drüben im
Barbaricum waren Völker aus ihrer angestammten Heimat fortgezogen, hatten auf
ihrem Weg andere verdrängt oder sich mit ihnen zusammengeschlossen, hatten sich
wieder abgespalten und neu zusammengefunden. Keiner daheim auf Fructos Hof
und in der „Villa Alaudae“ in Bonn wusste, was ihre Jungens drüben im Barbaricum
erwartete.
Das waren sie auch für Finno, seine Jungens, obwohl er Germane von der rechten
Rheinseite war. Auch Fructo und Florens waren germanischer Abstammung, Vitus
hatte ubische, gallisch-römische und thrakische Vorfahren. Und es waren fremde,
neu hinzugezogene Germanen gewesen, die sich in drüben in Finnos Heimat mit
Gewalt nahmen, was sie brauchten. Ja, Vitus und Florens waren seine Jungens,
denn er hatte sie aufwachsen sehen. Wenn sie nur endlich gesund wiederkämen!
Als es auf den Winter zuging, kehrten Maximinus Thrax und seine Soldaten an den
Rhein zurück. Auf dem Rückmarsch waren sie am Harzhorn tief in Germanien in
einen Hinterhalt der Germanen geraten, doch dank ihrer überlegenen Ausrüstung
und Waffentechnik hatten sie gesiegt.
Unsichere Zukunft (um 238)
Auch Vitus und Florens kehrten unverletzt, aber gezeichnet von den vielen
Strapazen zurück. Doch sie konnten nur wenige Tage daheim in der „Villa Alaudae“
und auf Florens‘ Hof verbringen, denn ihr Dienst ging gleich weiter.
An diesem Abend sah Finno, wie Vitus am linken Rheinufer stand und hinüber zum
Drachenfels schaute. Er wollte sich schon wieder zurückziehen, da sprach Vitus ihn
freundlich an. „Bleib‘ nur“, sagte er, „nun stehen wir beide hier und schauen hinüber. Seit so vielen Jahren haben unsere Leute dort Steine abgebaut, wir von der
Flotte haben sie transportiert, und meine Familie hat über Generationen einen
Verpflegungstand dort betrieben. Heute ist daran gar nicht zu denken, die Flotte
und die Kameraden von der Legion sind ständig in Alarmbereitschaft und auf
Patrouille. Manchmal habe ich Angst, dass in meiner Generation das Lebenswerk
meiner Vorfahren zu Bruch geht.“
Finno nickte. Auch in Germania Inferior kam es zunehmend zu Überfällen rechtsrheinischer Germanen. Bislang hatte die Armee die römischen Landgüter und Höfe
gut verteidigen können, doch die Überfälle wurden immer mehr, und sie erfolgten
in immer kürzeren Abständen. Oft genug kamen die römischen Truppen zu spät.
Das rief andere Kriegsherren auf den Plan, und sie fanden immer mehr Gefolgsleute. „Ich weiß, mein Junge“, sagte er, „ich weiß. Dauernd sind Truppen vom Rhein
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an anderen Fronten unterwegs, zumal jetzt, wo an der unteren Donau die Goten in
römisches Gebiet eingefallen sind. Das kann nicht gut gehen. Und der Kaiser? Er ist
durch Gewalt an die Macht gekommen; ich fürchte, er wird auch durch Gewalt
enden. Vielleicht gibt es irgendwann hier wieder Frieden, aber ich werde es wohl
nicht mehr erleben.“ Nun schaute Vitus ihn erschrocken an. „Sei nicht traurig“,
beruhigte ihn Finno, „ich bin Fructo so dankbar, dass er mich und Puella damals
aufgenommen hat, und dass ich Dich und Florens aufwachsen sehen konnte. Und
einen Wunsch hätte ich schon noch: Ich möchte noch erleben, dass Ihr beide
heiratet und eine Familie gründet. Dann wüsste ich, dass unser Leben hier
weitergeht.“
Finno sollte Recht behalten. Maximus Thrax führte seine ganze Regierungszeit
durch Krieg und wurde am Ende von Soldaten ermordet. Aufstände und Bürgerkriege folgten. Am Ende setzte sich Gordian III. (238-244) durch. Doch auch seine
Regierungszeit war von Abwehrschlachten gegen die Goten und Sassaniden geprägt.
Der Kaiser begab sich in den Osten; wieder wurden Truppen vom Rhein abgezogen
und auch Einheiten der Bonner Legion, nun legio I Minervia Gordiana, zogen mit.
Nach ersten Erfolgen erlitten die Römer 244 eine schwere Niederlage. Schließlich
kam 253 Gallienus als Mitkaiser seines Vaters Valerian auf den Thron, er sollte die
Verteidigung des Westens übernehmen, und ein wenig Ruhe schien einzukehren.
Petronius Alutensis (um 256)
Endlich konnten sich Vitus und Florenz von ihrem aktiven Dienst verabschieden,
standen aber als ständige Reserve zur Verfügung. Endlich war auch Zeit für
Privates. Vitus heiratete Cicilla aus Florens‘ Familie, und auch Florens hatte seine
Liebe gefunden. Finno war außer sich vor Freude. Niemand wusste, wie alt er
inzwischen war, auf jeden Fall uralt. Einige Wochen später starb er mit einem
Lächeln auf dem Gesicht im Kreis der Familie, die ihn adoptiert hatte.
Dann geriet die Ostgrenze des Reiches völlig ins Wanken. 252-256 stießen die
Sassaniden in einer Großoffensive nach Mesopotamien, Armenien und Syrien vor.
Wichtige Grenzstädte wie Dura Epopos am Euphrat fielen an die Feinde. Wieder
musste Kaiser Gallienus Truppen vom Rhein abziehen, um das Heer Valerians im
Osten zu stärken.
Unter den Legionären der I Minervia waren auch Männer, die ihre Wurzeln im Osten
des Reiches hatten. Seit dem Parther-Krieg zogen zunehmend Menschen aus dem
Osten her, oder sie waren vor Ort für die Legion rekrutiert worden. So wie der
Großvater von Petronius, er war aus Armenien an den Rhein gekommen. Nach
seiner aktiven Zeit in der Legion hatte er eine Einheimische geheiratet. Auch wenn
Bonn keine so große Stadt wie die CCAA war, so fand er hier ein bunt gemischtes
Völkchen vor, was ihm gut gefiel. Sein Sohn und sein Enkel waren am Rhein
geboren worden.
Petronius war oft in der „Villa Alaudae“ bei Vitus und seiner Familie zu Gast. Dann
fragten ihn die Kinder regelmäßig aus, was er sich gerne und geduldig gefallen ließ.
Als feststand, dass Truppen von der Rheinfront an die Ostgrenze verlagert würden,
hatte sich Petronius selbst gemeldet. „Natürlich fällt es mir schwer, von hier weg
zu gehen“, sagte er, „aber ich möchte auch einmal die Welt meines Großvaters
kennenlernen.“ „Sind die Berge dort in Armenien wirklich so hoch?“ wollte der
53
kleine Vitillus wissen. „Ja, sehr hoch“, antwortete Petronius lächelnd. „Höher als
die dort drüben?“ hakte der Kleine nach, mit einer ausladenden Handbewegung auf
die Sieben Berge drüben auf der anderen Rheinseite. Da lachte Petronius herzlich.
„Viel viel höher“, sagte er, „so hoch, dass sie in die Wolken hineinreichen!“
Bewegt nahmen viele kleine und große Einwohner des Städtchens Bonn Abschied
von Petronius. Keiner wusste, ob man ihn wiedersehen würde.
54
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Frankeneinfall (256-258)
Bald darauf fielen die Franken in Germania Inferior ein; mehrere Kastelle am Rhein
wurden zerstört, Krefeld-Gelduba dem Erdboden gleichgemacht, fast alle Einwohner und die zur Hilfe eilenden Soldaten wurden niedergemetzelt. Die Franken
drangen nach Gallia Belgica vor und eroberten Trier. Nur dank ihrer steinernen
Stadtmauer überstand die CCAA den Überfall.
Kaiser Gallienus eilte nach Gallien und konnte Trier zurückerobern, er reorganisierte die Verteidigung von Germania Superior und Gallia Belgica. Zusammen mit
seinem Statthalter in Germanien, Postumus, konnte er die Franken zurückdrängen.
Ein Katastrophenjahr für die römische Welt (260)
Doch 260 musste Gallienus den Feldzug plötzlich abbrechen. Im Osten war das
römische Heer unter Kaiser Valerian in der Schlacht bei Edessa und Karrhai in
Mesopotamien vernichtend geschlagen worden, der Kaiser selbst in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs geraten. Erst viel später erfuhren seine Lieben daheim
in Bonn, dass Petronius Alutensis nicht zurückkehren würde. Er war unter den
Toten von Edessa und Karrhai. Es blieb noch nicht einmal Zeit, ihn zu betrauern.
Als die Nachricht von der Niederlage des Kaisers nach Rom kam, ließ sich ein
Statthalter an der Donau zum Kaiser ausrufen und ein Bürgerkrieg brach aus;
wieder wurden die Truppen vom Rhein und vom Limes abgezogen. Sogleich
überrannten die Alemannen und Franken den Limes und drangen auf den gut
ausgebauten Römerstraßen bis nach Spanien und Italien vor. Mit knapper Not
konnte Kaiser Gallienus sie bei Mailand zurückschlagen; doch die Folgen für die
römischen Provinzen an Rhein und Donau waren verheerend.
Auch als Veteran war Vitus stets auf seinem Schiff auf dem Rhein unterwegs, denn
die Flotte brauchte jeden Mann. Wieder war er auf dem Weg von Bonn hinab nach
Germania Superior und zurück. Angestrengt blickte er auf die rechte Rheinseite.
Irgendwo in den dichten Wäldern lauerten ihre Feinde, und die konnten plötzlich
über die römischen Siedlungen hereinbrechen. Der Überfall von Krefeld-Gelduba
war so schnell gekommen, dass weder die Zivilisten noch die herbeieilenden
Soldaten eine Chance gehabt hatten.
Endlich konnte Gallienus' Statthalter in Germania Inferior, Postumus, die Franken
entscheidend schlagen. Doch nach einem Streit mit dem Sohn des Kaisers über
Beute, die seine Truppen den Franken abgejagt hatten, riefen seine Truppen ihn
zum Kaiser aus. Auch die Xantener legio XXX Ulpia Victrix und die Bonner legio I
Minervia stellten sich auf seine Seite. Andere germanische Legionen, so die XXII
Primigenia in Mainz, hielten weiter Kaiser Gallienus die Treue. Von der VIII Augusta
in Straßburg wusste man es nicht genau. Vitus war bedrückt. Nun musste man nicht
nur die Franken bekämpfen, nun gingen sich die Römer untereinander an die Kehle.
Sit vobis terra levis - möge die Erde über Euch leicht sein (260)
Es drängte ihn zu seinem Freund Florens, er musste sich vergewissern, dass es ihm
und seinen Angehörigen und allen dort auf dem Hof gut ging. Immerhin war Florens
56
ein Offizier der legio I Minervia, und die XXII Primigenia war auf der Seite von
Kaiser Gallienus verblieben. Mit aller Inbrunst wehrte sich Vitus gegen den
Gedanken, dass sich nach so vielen Jahren an der Rheingrenze Angehörige zweier
benachbarter Legionen bekriegen würden, aber es waren schlimme Zeiten, und das
ging auch an den Soldaten nicht spurlos vorbei. Auf dem Hof lief ihm Florens
entgegen. Gottseidank, hier war alles heil. Aber Florens hatte schlimme Nachrichten. „Sie haben Niederbieber zerstört.“
Vitus war erschüttert. Niederbieber.. sein Vater Vigilius hatte es mit aufgebaut,
hier hatten sie mit Fructo die Verleihung des römischen Bürgerrechts gefeiert, hier
hatte er die feuervergoldete Dracostandarte gesehen – und nun war all dies
zerstört. Es schien ihm, als wenn die Welt seiner Kindheit, die seines Vaters und
Großvaters in Trümmern lag. Er hockte sich nieder, nahm ein paar Brocken Erde auf
und ließ sie langsam wieder zu Boden fallen. „Sit vobis terra levis - möge die Erde
über Euch leicht sein“, sprach er als kurzes Totengebet. „Vermutlich waren es die
Barbaren“, meinte Florens, „aber einige zweifeln dran.“ Langsam richtete sich
Vitus auf. „So schlimm es ist, wir dürfen es jetzt nicht zu sehr an uns heranlassen,
sonst nimmt es uns jede Kraft. Wir müssen uns jetzt um die Sicherheit unserer
Leute kümmern.“
Fest umarmte er seinen Freund, dann machte er sich entschlossen auf den Weg.
Einen handwerklich begabten Kameraden bat er, eine Dracostandarte für den Mast
seines Schiffes zu schnitzen und sie goldfarben anzumalen. Dann ruderten sie los.
Jederzeit konnte der Feind wieder über die Grenze dringen.
Gallisches Sonderreich (260-274)
Die drei Gallischen Provinzen, Germania Inferior und Germania Superior, zeitweise
auch Spanien und Britannien, sagten sich von Rom los und bildeten ein „Gallisches
Sonderreich“ mit der CCAA als Hauptstadt. Kaiser Gallienus in Rom konnte das
nicht hinnehmen. Dabei verstand Postumus sich als Römer und hatte nicht die
Absicht, Gallienus seinen Thron streitig zu machen. Aber da der Kaiser nicht an
allen Fronten zugleich kämpfen konnte, nahmen Postumus und seine Männer die
Verteidigung Galliens und Germaniens in die eigene Hand. Er scheute sich nicht,
Zahlungen an die Thüringer im rechtsrheinischen Germanien zu leisten, damit sie
ihrerseits die Franken beschäftigt hielten. Für einige Jahre herrschte Ruhe an der
Rheingrenze, und die Römer gewannen Zeit, um sich besser gegen die Franken und
Alemannen zu schützen.
Postumus organisierte die Grenzverteidigung in der Tiefe. Nicht nur direkt an der
Grenze, auch im Hinterland wurden Truppen stationiert, die eingreifen konnten,
wenn Feinde einmal durchgebrochen waren. Die großen Straßen nach Tongeren ins
Innere von Germania Inferior und nach Augusta Treverorum in Gallia Belgica
wurden durch Kleinkastelle (Burgi) und dort stationierte Reiterverbände gesichert.
Auch reichten die beiden großen Flottenstützpunkte in der CCAA und in Mainz
alleine nicht mehr aus, die Grenze musste engmaschiger überwacht werden. Auf
der rechten Rheinseite, gegenüber den Kastellen, wurden befestigte Anlegestellen
für Schiffe gebaut (Lände-Burgi).
Jederzeit musste man mit großangelegten Raubzügen der Franken und Alemannen
in römisches Gebiet rechnen, viele Menschen verließen ihre Häuser und Landgüter
57
und zogen in die Städte oder in die Nähe gut befestigter Kastelle, manche zogen
auch ganz fort aus dem Grenzgebiet tiefer hinein ins Römische Reich. Vitus und
sein Freund Florens halfen, wo sie konnten. Vitus brachte viele Menschen mit
seinem Schiff zu Verwandten in anderen Orten. Schon bald war sein Schiff mit der
goldenen Dracostandarte bekannt und man winkte ihm oft schon vom Ufer zu. Dann
ließ er heranrudern und nahm die schutzsuchenden Menschen mit. Wer gar nicht
wusste wohin, fand auf Florens‘ Hof erst einmal Unterschlupf. An vielen Orten auf
dem Land baute man Burgi - Wehrtürme, in denen die Menschen auf dem Land im
Falle eines Angriffs Schutz finden konnten. Auch auf Florens‘ Hof entstand ein
großer Burgus.
Aber das Reich kam nicht zur Ruhe. Kaiser Gallienus war von seinen eigenen Leuten
ermordet worden, wie so viele Kaiser vor und vielleicht auch nach ihm. Wenige
Jahre später kam es zu einem Kampf zwischen Postumus‘ Truppen und den
Legionen in Mainz, und Postumus siegte. Als er seinen Soldaten die Plünderung
untersagte, wurde auch er ermordet.
Die Katastrophe (276)
Nach dem Postumus‘ Tod ging es mit dem Gallischen Sonderreich bergab. Die neuen
Kaiser verlegten ihre Residenz nach Trier und waren vor allem mit ihren eigenen
Intrigen beschäftigt. Derweil kam in Rom ein starker Herrscher an die Macht,
Aurelian (270-275). Bei seinem Regierungsantritt herrschte er nur über ein Drittel
des Römischen Reiches, denn große Teile des Ostens hatten sich unter der Führung
der Oasenstadt Palmyra von Rom losgesagt, und im Westen bestand das Gallische
Sonderreich. Das nahm Aurelian nicht hin. Als er Palmyra besiegt hatte, zog er 274
mit seinem Heer über die Alpen, um auch dem Gallischen Sonderreich ein Ende zu
machen. Auch der Herrscher in Trier, Tetricus, rief seine Armee zusammen. Die
Soldaten, die noch am Rhein standen, mussten mit.
Die Veteranen Vitus und Florens standen an der Rheintalstraße und sahen ihnen
bange nach. „Wenn die Franken wieder angreifen, bevor sie zurück sind, haben wir
keine Chance“, sagte Vitus bedrückt. „Sie werden kommen, alter Freund“,
antwortete Florens langsam, „seit Jahren beobachten sie, wie immer wieder
Truppen vom Rhein abgezogen werden. Sie wissen längst, wie verwundbar wir sind.
Und nach allem, was ich von Aurelian gehört habe, ist er sehr hart.“
„Dann können wir uns nur weiter gut vorbereiten“, sagte Vitus, „wir schaffen
Vorräte ins Lager, und beim geringsten Anzeichen von Gefahr sucht die Familie dort
Schutz. Und wie sieht es bei Euch?“ „Der Burgus auf unserem Hof steht sicher und
fest“, sagte Florens, „wir haben ihn so groß gebaut, dass viele Menschen und Tiere
dort unterkommen. Dazu haben wir eine steinerne Wand hochgezogen und zwei
Wälle mit Gräben angelegt. Ganz außen steht eine hohe Palisadenwand, das wird
sie abhalten.“ Vitus nickte, doch er war beklommen. Noch einmal drückte er
seinen Freund ganz fest, dann machte er sich auf den Weg zurück nach Bonn.
Schon bald darauf kamen erste Meldung aus Gallien, die Schlimmes ahnen ließen.
Dann kamen nur wenige Männer zurück ins Bonner Legionslager - erschöpft,
niedergeschlagen, mutlos. In einer blutigen Schlacht bei Châlons-sur-Marne hatte
Aurelian gesiegt. Es mag ein Sieg für die Autorität Roms gewesen sein, doch für
Gallien und das Rheinland war es eine Katastrophe. Sehr viele Soldaten der
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Rheinarmee waren umgekommen oder auf Aurelians Befehl hingerichtet worden,
und so blieb kaum jemand mehr, der die Grenze hätte verteidigen können.
Doch es blieb keine Zeit zur Trauer. Die Mannschaften im Lager mussten verstärkt,
die Vorräte weiter aufgestockt werden. Die meisten Menschen hatten von der
Katastrophe in Gelduba erfahren und wussten, wie schnell die Überfälle kommen
konnten. Immer mehr Menschen bereiteten sich darauf vor, beim ersten Anzeichen
von Gefahr ins befestigte Lager zu fliehen. Vitus hielt sie immer wieder an, für den
Ernstfall zu üben.
Wenig später überrannten die Franken und Alemannen das Land. Viele Kastelle am
Rhein wurden zerstört, weite Teile Hollands, Belgiens und Frankreichs wurden
verwüstet, Paris ging in Flammen auf. Eine fränkische Horde überrannte das kleine
Bonn, und nur die schnelle Flucht ins Legionslager konnte Leben retten. Dort war
man vorbereitet: Pfeilhagel auf Pfeilhagel geht auf die Angreifer nieder, das
steinerne Legionslager hielt dem Angriff stand, und die Franken mussten den
Angriff aufgeben.
Doch die Menschen im Legionslager konnten nicht aufatmen. Wütend und frustriert
zogen die Franken ab und gingen auf leichtere Ziele los. Wenig später sah man
Feuer lodern, im Vicus und dann weiter weg. Als klar wurde, dass die Franken die
Belagerung abbrachen, hatte ihnen ein Teil der Soldaten gleich nachgesetzt. Doch
für viele Häuser und Höfe kam die Hilfe zu spät.
Die „Villa Alaudae“ wird aufgegeben (276)
Sobald er seine Familie in Sicherheit wusste, machte sich Vitus auf zu seinem
Freund Florens. Doch schon von weitem sah er den Rauch - der Hof war niedergebrannt. Während er verzweifelt durch die Trümmer lief, hörte er jemanden seinen
Namen rufen. Als er sich umdrehte, sah er einen der Nachbarn auf sich zu laufen.
„Vitus“, rief er keuchend, „sie haben alles niedergebrannt, aber Florens, die
Familie, die Tiere - sie leben, der Burgus hat standgehalten“.
Wenig später konnte der hemmungslos weinende Vitus seinen Freund und dessen
Angehörige in die Arme schließen. Dann mussten sie Abschied von ihrem Hof
nehmen, denn hier draußen hatten sie alleine keine Chance. Florens, seine
Angehörigen und seine Nachbarn luden ihr Hab und Gut auf Karren und zogen ins
Bonner Legionslager.
Auch die Wohngebiete außerhalb des Lagers wurden aufgegeben, alle suchten nun
Schutz innerhalb des Lagers. Vitus und seiner Familie fiel es unendlich schwer, die
„Villa Alaudae“ zu verlassen. Noch einmal gingen sie durch das Haus, das über
Generationen hinweg in ihrer Familie gewesen war. Wie hatten sie diesen Blick aus
dem Fenster auf den Rhein und die Berge auf der anderen Seite geliebt! Nun
würden auch sie im Legionslager leben; die meisten Einrichtungsgegenstände waren
schon in ein Steinhäuschen innerhalb des Lagers gebracht worden, wo sie ihr
kleines Ladenlokal einigermaßen weiterführen konnten. Doch ihre „Villa Alaudae“
aufzugeben brach ihnen das Herz.
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Epilog
Am Rhein
Germania Inferior und Germania Superior, um 280
Einige Jahre herrschte Anarchie, dann konnte Kaiser Probus (276-282) die Alemannen und Franken auf dem Rückzug abfangen und besiegen. Dann traf er eine
weitreichende Entscheidung: Die Grenze des Römischen Reiches wurde endgültig an
den Rhein und die Donau zurückgenommen. Zugleich machte er die besiegten
Franken und Alemannen zu Föderaten Roms, d.h. zu Verbündeten, die auf römischem Gebiet oder unmittelbar an der Grenze siedeln durften. Dafür mussten sie
loyal zum Römischen Reich stehen und es gegen Eindringliche verteidigen.
Wenig später versiegten die schriftlichen Quellen zur legio I Minervia. Kaiser
Diokletian (285-305) schließlich reformierte das Heer: Fortan gab es reine Grenzheere (Limitanei), und Bewegungsheere im Hinterland (Comitatenses).
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Probus und der Wein (um 278)
Nach vielen Jahren war endlich wieder Frieden an der Rheingrenze. Endlich
konnten sich die Menschen in Bonn auch außerhalb des Lagers sicher fühlen.
Florens und Vitus saßen am Ufer des Rheins. Dort hatten ihnen die Legionäre eine
einfache Bank gebaut, einen Aussichtsplatz in der Sonne für ältere Herren. Sie
lächelten ein wenig, wenn die beiden Veteranen sich langsam niederließen, und
doch waren sie sehr respektvoll.
Vitus und Florens stießen mit etwas Wein an. „Gallis omnibus et Hispanis ac
Brittannis hinc permisit, ut vites haberent vinumque conficerent“25, zitierten sie
lautstark eine Verordnung des Kaisers Probus. „Ja, jetzt dürfen wir überall Wein
anbauen.“ Die Menschen in Germania Inferior und Germania Superior waren schnell
auf den Geschmack gekommen. Reben gab es an der Mosel und am Rhein längst,
auch hier wurde Wein angebaut, aber noch immer galten Produktionsbeschränkungen zugunsten der Winzer in Italien aus der Zeit Kaiser Domitians. Diese hatte
Probus nun aufgehoben. „Das wäre was für uns, noch Wein anzubauen“, sagte
Vitus, „was meinst Du? Drüben am Drachenfels, da vor sie die Steine gebrochen
haben, müsste es eigentlich gut gehen.“
Sie überredeten die Legionäre, sie noch einmal auf die andere Seite zu den
Steinbrüchen am Drachenfels zu rudern. Eine kleine, unbewachsene Stelle zeigte
den Platz, wo Vitus' Familie seit Generation ihren Verpflegungsstand aufgeschlagen
hatte. Ein wenig weiter waren die Weihesteine, fast verdeckt von Gras und
Feldblumen.
„Vielleicht wird irgendwann einmal der Tag kommen, wo dieser Fluss nicht mehr
die Grenze ist“, sagte Vitus. Ganz entfernt meinte er, Puellas fröhliches Wiehern
zu hören. Mit einem letzten Blick auf den Drachenfels dachte er: „und vielleicht es
ist ja irgendwann einmal so, dass wir hier Frieden, Wein und immer fröhliche Esel
haben.“
25
"Er erlaubte allen Galliern, Spaniern und Briten, Reben zu besitzen und Wein herzustellen.“
61
Namen lateinisch-deutsch
Quelle: Wikipedia, Public Domain Section
Provinzen und Städte
Germania Inferior
Germania Superior
Bonna – Bonn
Colonia Claudia Ara Agrippiensium,
kurz CCAA
Mogontiacum
Argentorate
Vindonissa
Noviomagus
Augusta Raurica
Rigomagus
Bingium
Confluentes
Vetera
CUT – Colonia Ulpia Traiana
Niedergermanien
Obergermanien
Köln
Mainz
Straßburg, Frankreich
Windisch, Schweiz
Nimwegen, Niederlande
Augst, Schweiz
Remagen
Bingen
Koblenz
Legionslager Xanten
Xanten nach der Erhebung zur Kolonie
römischen Rechts
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Personen
Von den historischen Personen abgesehen, sind die Menschen in dieser Geschichte
frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein
zufällig und sind nicht beabsichtigt. Aus diesem Grund haben die meisten auch frei
erfundene lateinische Namen. Richtig ist freilich, dass im römischen Germanien der
dritte Namensteil, der Cognomen, auch der Rufname war, und dass hier eine Menge
Phantasie zum Zug kam.
Marcus Prunus Aliter
Prunus – Pflaumenbaum, Aliter - ein anderer
Pumella Pulchra
Die schöne Pumella
Fortiter
Tapfer
Rubeus
Vom Brombeerstrauch
Nauticula
Nautianus
Abgeleitet von nauta - Seemann
Olivifer
Oliven tragend
Uvius Pino
Uvilla
Abgeleitet von uva - Weintraube
Ubiscumquus
Abgeleitet von ubiscumque - überall
Verenatus
Im Frühling geboren
Legio Mama Victrix
Legion siegreiche Mama
legio – Legion, victrix - siegreich
Lenticula
Verkleinerungsform von lens - Linse
Fabicula
Verkleinerungsform von faba - Bohne
Discordans
Abgeleitet von discordia - Zwietracht
Vigilius
Römischer Vorname - wachsam
Rubula
Die kleine Rote
Abgeleitet von rubus - rot
Viticula
Verkleinerung von vitis - die Weinrebe
Puella
Mädchen
Vitus
römischer Vorname, abgeleitet von vita, Leben
Tschorba
Ein Begriff aus der bulgarische Küche - Suppe
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Inhaltsverzeichnis
Warum noch eine Römergeschichte .. ..................................................... 2 Die Hauptpersonen .............................................................................. 3 Die Rheingrenze ................................................................................. 5 Auf dem Weg nach Germania Inferior (um 50) .......................................... 6 Bonn (um 50) ................................................................................. 7 Die andere Rheinseite (54) ................................................................. 8 Agrippina und die CCAA (um 55)........................................................... 8 Steinbruch am Drachenfels (um 55) ...................................................... 8 Nauticula (62) ................................................................................ 9 Betrieb auf dem Rhein (um 65) .......................................................... 10 Vierkaiserjahr und Bataver-Aufstand ....................................................... 11 Machtkampf in Rom (68/69).............................................................. 12 Bataver-Aufstand (69/70)................................................................. 12 Raubzüge ins Rheinland (69/70) ......................................................... 14 Nach dem Krieg (70) ....................................................................... 15 Ein neues Legionslager (um 70) .......................................................... 16 Familien-Bande (71) ....................................................................... 16 „Villa Alaudae“ (72) ....................................................................... 17 Römische Provinzen ........................................................................... 19 Germania Inferior (um 85) ................................................................ 20 Hauptstadt CCAA (um 85)................................................................. 20 Legio I Minervia (88) ....................................................................... 21 Fortiter (88)................................................................................. 22 Saturninus-Aufstand und Ende der legio XXI Rapax (89-92) ......................... 23 Im Norden Germania Inferiors (92) ...................................................... 23 Daker-Krieg (101) .......................................................................... 24 Die Zeit der guten Kaiser ..................................................................... 26 Ubi Ubi, ibi Gustatio (um 110) ........................................................... 27 Bonn – ein schmuckes Städtchen am Rhein (um 120) ................................ 27 Germanische Hilfstruppen in Dakien (um 120) ........................................ 28 Kaiser Hadrian am Rhein (121) ........................................................... 29 Legio I Minervia in Britannien (um 122) ................................................ 29 64
Exercitus Germaniae Inferioris (um 122) ............................................... 30 Frumentarii und die „Legio Mama Victrix“ (um 130) ................................. 31 Die Rheinflotte im Frieden (um 150) ................................................... 32 Bedrohte Grenzen ............................................................................. 34 Bitten an die Aufanischen Mütter (um 158)............................................ 35 Partherfeldzug (162-166) ................................................................. 36 Die Pest (167) ............................................................................... 36 Aufbruch an die Front (167) .............................................................. 37 Markomannen-Kriege (167-180) ......................................................... 38 Oliven aus Africa (um 180/181).......................................................... 39 Römische Bürger ............................................................................... 41 Niederbieber - der Limes wird verstärkt (um 185) ................................... 42 Mit einem Bein an der Rhône, mit dem anderen am Rhein (um 197).............. 43 Constitutio Antoniana – Römisches Bürgerrecht (212) ............................... 44 Fructos Hof (um 215) ...................................................................... 45 Besuch aus Straßburg (um 220) .......................................................... 46 Finno und Puella (um 225) ................................................................ 47 Der Limes beginnt zu wanken (um 231) ................................................ 47 Das Reich in der Krise ......................................................................... 49 Raubzüge der Alemannen (233-234) .................................................... 50 Maximinus Thrax‘ Gegenschlag (235) ................................................... 50 Unsichere Zukunft (um 238) .............................................................. 51 Petronius Alutensis (um 256) ............................................................. 52 Frankeneinfälle ................................................................................ 54 Frankeneinfall (256-258) .................................................................. 55 Ein Katastrophenjahr für die römische Welt (260) ................................... 55 Sit vobis terra levis - möge die Erde über Euch leicht sein (260) .................. 55 Gallisches Sonderreich (260-274) ........................................................ 56 Die Katastrophe (276) ..................................................................... 57 Die „Villa Alaudae“ wird aufgegeben (276) ............................................ 58 Epilog ............................................................................................ 59 Probus und der Wein (um 278) ........................................................... 60 Namen lateinisch-deutsch .................................................................... 61 
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