www.rheindrache.de Ein Streifzug durch die Römerzeit am Rhein, 50 bis 280 n. Chr. Petra Willnecker Oktober 2013 2 Warum noch eine Römergeschichte .. mögen Sie fragen, wo es doch schon viele Bücher und Websites, archäologische Parks und Erlebnismuseen gibt, in denen die römische Vergangenheit des Rheinlands wieder lebendig wird. Nun, die alten Römerstädte in unserer Region, unter ihnen Köln, Bonn, Remagen und Mainz, blicken auf eine über 2000jährige Geschichte zurück. Fast 500 Jahre lang waren sie Teil des römischen Reiches, und so begegnet uns dort die römische Vergangenheit auf Schritt und Tritt. Das Siebengebirge lag zwar in Sichtweise der Römer in Bonn und Köln, doch auf der anderen Rheinseite – und damit auf der anderen Seite der Grenze, in Germania Magna, im Barbaricum. So war der Rhein zugleich die Grenze der römischen Provinz Germania Inferior und ihre Lebensader: Hier patrouillierten die Schiffe der Flotte, und Handelsschiffe brachten mediterrane Köstlichkeiten und vieles mehr. Am Drachenfels bauten die Römer Steine ab, in Bonn und Köln, ja sogar in Xanten und Nimwegen wurde mit Trachyt vom Drachenfels gebaut. In dieser Geschichte geht es um das Leben an der Rheingrenze in der Römerzeit. Wir widmen wir uns einer römisch-ubischen Familie, die über Generationen hier lebte. Einige von ihnen sind am Rhein geboren, andere haben ihre Wurzeln in Italien, auf dem Balkan oder noch weiter weg. Es ist eben eine antike „verpanschte Familie“, wie es Carl Zuckmayer viel später einmal ausgedrückt hat. Das ist durchaus Absicht, denn diese Geschichte ist verbunden mit einem großen Dankeschön dafür, dass wir heute im vereinten Europa leben, und dass der Rhein keine Grenze mehr ist. 3 Die Hauptpersonen Die Rheingrenze (50-68) Vier-Kaiser-Jahr und Bataver-Aufstand (68-72) Generation 1 Marcus Prunus Aliter (12-90),Offizier der legio I Germanica in Bonn Pumella Pulchra (20-90), Aliters Frau Lucius Olivifer Nativo (15-85), Aliters Halbbruder, Chef des Handelshauses Olivifer in Mailand Generation 2 Fortiter (50-120), Aliters und Pumellas Sohn, Offizier in der legio I Germanica Rubeus (52-122), ihr jüngerer Sohn in Bonn Nauticula (58-128), Pflegetochter in ihrem Haus, seit 73 Rubios Frau Poesina (43-113), Olivifer Nativos Tochter, in Augst Römische Provinzen (85-110) Marcus Prunus Aliter, nun Veteran der legio I Germania in Bonn Pumella Pulchra, seine Frau Lucius Olivifer Nativo, sein Halbbruder Fortiter, nun legio XI Claudia in Windisch, später Heirat nach Augst Rubeus, nun Offizier in der Hafenkommandatur in Bonn Nauticula, nun Rubios Frau Generation 3 Rubeus Minor (74-144), Nauticulas und Rubeus‘ Sohn, legio I Minervia, in Nimwegen Nauticula Minor (76-146), ihre Tochter C. Uvius Pino (65-145), Offizier der legio I Minervia 4 Die Zeit der guten Kaiser (110-162) Nauticula Minor, nun Uvius Pinos Frau C. Uvius Pino, nun Veteran der legio I Minervia Ubiscumquus (90-160), Fortiters Sohn in Augst Generation 4 Nautianus (112-192),Pinos und Nauticula Minors Sohn, Offizier der Classis Germanica Anike (130-208), seine Frau, aus Nimwegen Lenticula (110-185), Pinos und Nauticula Minors Tochter Lucianus, ihr Mann, Offizier der legio I Minervia mit Einsätzen in Britannien Fabicula (115-190), Pinos und Nauticula Minors Tochter Verenatus (115-190), Ubiscumquus‘ Sohn, ihr Mann Bedrohte Grenzen (162-180) Nautianus, nun Veterander Classis Germanica Anike, seine Frau Lenticula, Pinos und Nauticula Minors Tochter Lucianus, ihr Mann, nun Veteran der legio I Minervia Fabicula, Pinos und Nauticula Minors Tochter Verenatus (114-186), ihr Mann Generation 5 Vigilius (160-234), Nautianus' und Anikes Sohn Rubula (165-235), seine Schwester, in Bonn, später in Lyon Lucianus Minor, Lenticulas Sohn (135-210), Offizier der legio I Minervia Römische Bürger (180-235) Vigilius, Offizier der Classis Germanica Viticula, seine Frau Fructo (165-235),Offizier der Hilfstruppen, Gutshof an der Rheintalstraße Generation 6 Vitus (205-285), Vigilius‘ und Viticulas Sohn Sohn Florens (208-288), Fructos Sohn Das Reich in der Krise (235-258) Vitus, nun Offizier der Classis Germanica Florens, nun Offizier der legio I Minervia, stationiert an der Rheintalstraße Finno, ein germanischer Händler Petronius Alutensis, ein Legionär der I Minervia armenischer Abstammung Frankeneinfälle (258-278) Vitus, nun Veteran der Classis Germanica Florens, nun Offizier der Legio I Minervia, stationiert an der Rheintalstraße 5 Die R Rheing renze Felsenmee er am Rüdenet, in der Näähe der römischen Steinbrüche am D Drachenfels An derr Rheingrenze, zur Zeit Z von K Kaiser Clau udius (41-54 n. Chr..) Caesarss Gallischer Krieg (58-51 v.C Chr.) hatte römisch he Legioneen an den n Rhein gebracht. Nach seinem s Sieg über die e keltischen und germ manischen Stämme Galliens G er Rhein diie Grenze zwischen dem Römiischen Reich auf de r linken und dem war de freien „Germania Magna“ auf der rechten Rheinseite. R . Das Siebbengebirge e lag in Sichtwe eite der rö ömischen Legionäre L iin Bonn un nd Köln. Marcus Prunus Aliter, ein Mittdreißige M er, war Ce enturio derr legio I Geermanica, die seit dem Ja ahr 43 in Bonn, dam mals Bonn na, station niert war. Schon früüh hatte er e seine Heimattstadt Med diolanum, das heutiigen Maila and, verla assen. Dortt hatte er einen Halbbru uder, Lucius Oliviferr Nativo, Ju uniorchef eines Hand delshausess. 6 Auf dem Weg nach Germania Inferior (um 50) Straßburg, Mainz, Bingen, Koblenz, Remagen – langsam fuhr der Flussfrachter an den Römerstädten am Rhein vorbei. Lucius Olivifer Nativo war auf dem Weg von seiner Heimatstadt Mailand, dem antiken Mediolanum in Norditalien, nach Bonn in Germania Inferior, wo die legio I Germanica stationiert war. Sein Halbbruder Marcus Prunus Aliter war dort Centurio. Kurz nach dem frühen Tod seiner ersten Frau hatte der Vater Nativos Mutter geheiratet. Ihre Familie betrieb ein gut gehendes Handelshaus, und so brachte ihm diese zweite Ehe den Aufstieg in die besseren Kreise. Der Sohn aus erster Ehe war im neuen Haushalt nur geduldet, der Einstieg in das Handelshaus blieb ihm verwehrt. Mit 18 Jahren war er in die Armeeeingetreten und hatte sich gleich zum Dienst an der Rheingrenze gemeldet. Nativo aber mochte seinen Halbbruder sehr und es bekümmerte ihn, dass er so weit weg war. Sogar seinen Namen hatte er abgelegt und nannte sich nun „Aliter“ - ein anderer. Inzwischen war der Vater hochbetagt und Nativo hatte die Leitung des Handelshauses übernommen. Er ging in seinem Geschäft auf: Weine aus dem ganzen Mittelmeerraum, Datteln, Feigen und andere Spezereien aus den Provinzen im Osten und aus Afrika, Pfirsiche aus den südlichen Regionen, und immer wieder Oliven und ihr köstliches Öl, das er ganz besonders liebte. Sie kamen aus Istrien, Apulien, dem Süden der Iberischen Halbinsel und aus Nordafrika. Nativo war nicht wohl bei dem Gedanken, dass sein Bruder an der umkämpften Rheingrenze stationiert war. Auch fast 40 Jahre nach der verheerenden Niederlage des Varus gegen die Germanen unter Arminius waren viele Römer noch tief erschüttert. Damals hatte Kaiser Augustus acht Legionen an den Rhein kommandiert; sein Enkel Germanicus war mit dem gesamten Heer in einen verheerender Krieg gegen die Germanen gezogen, doch ein entscheidender Sieg war ihm nicht gelungen. Dann hatte Augustus' Nachfolger Tiberius den Feldherrn abberufen und den Krieg beendet. Er hatte selbst viele Jahre in Germanien gekämpft, verhandelt und kannte es gut. Nach seiner Einschätzung hätte Rom zu viel investieren müssen, bevor Germanien eine gewinnbringende Provinz werden würde – wenn man überhaupt so weit käme. Viele Römer aus Nativos Bekanntschaft schimpften immer noch darüber. Er aber war froh, dass Tiberius so entschieden hatte. Rom hatte Hass gesät, und Hass würde nur neuen Hass hervorbringen. Den Cheruskerfürsten Arminius hatten die Römer nicht bezwingen können, den Ehemann und Vater Arminius schon. Seine schwangere Frau Thusnelda war von ihrem eigenen Vater Segestes an Germanicus ausgeliefert worden, sein Sohn war in Gefangenschaft zur Welt gekommen. Beim Triumphzug des Germanicus hatte Segestes als Freund Roms auf der Ehrentribüne gesessen, während seine Familie als Kriegsgefangene vorgeführt worden war. Nativo fühlte nur Verachtung für einen solchen Vater und Großvater. Dann fegte er die düsteren Gedanken weg. „Schluss damit“, dachte er. Er freute sich schon auf die Gesichter der Truppen und ihres Anhangs, wenn er seine Waren auslud: Oliven, Olivenöl, frisches Obst, die Würzsoße Garum und natürlich Wein – nicht den ganz teuren aus der Ägäis, aber einfache, leckere Weine aus Italien, Gallien und der Iberische Halbinsel. Die meisten Legionäre waren einfache Leute 7 aus Italien und Südgallien und vermissten ihre heimische Küche doch sehr. Vor allem freute er sich auf seinen Halbbruder Aliter. Bonn (um 50) Endlich war er da und konnte Aliter in die Arme schließen. Doch - für ihn, den Mann aus Mailand mit seiner urbanen Kultur, seinen Bädern und Fußbodenheizungen, war das kleine Bonn fast ein Kulturschock. Da waren die ubische Siedlung, das Legionslager, an dem immer noch gezimmert wurde, und eine hastig aufgebaute Lagervorstadt, die Canabae Legionis. „So schlimm ist es nicht“, lachte Aliter, als er die Miene seines Halbbruders sah, „komm‘ erst mal an, unser Bad steht zur Verfügung, und danach führe ich Dich herum.“ Und so schlimm war es dann auch nicht. Am Abend saßen die beiden am Rheinuferbei einem Glas des mitgebrachten Weins. Das kleine Städtchen hatte seinen Reiz. Es lag auf einer Halbinsel zwischen dem großen, mächtigen Rhein und einem Altarm, der Gumme, und im Hinterland sah er weite Ebenen und Berge. Auch das bunt gemischte Völkchen um ihn herum mochte er. Da waren die germanischen Ubier, die vor vielen Jahren Agrippa auf der linken Rheinseite angesiedelt hatte, einige Kelten, eine Kohorte thrakischer Hilfstruppen und die Männer der legio I Germanica. Nach und nach ließen sich auch Händler und Handwerker nieder. Aliter schmunzelte. „Hast Du gedacht, hier essen wir vom Fußboden oder laufen in Fellen herum?“ fragte er, „gib' unserem Bonn ein wenig Zeit, Du wirst sehen, es wird ein schmuckes Städtchen!“ Nativo stutzte. „Das klingt so, als wolltest Du hierbleiben“, sagte er. „Schon möglich“, antwortete Aliter langsam, „ich möchte Dir jemanden vorstellen“. Eine junge Frau mit rotblonden Haaren trat auf sie zu. „Das ist Pumella Pulchra“, sagte Aliter strahlend, „mit ihr möchte ich mein Leben verbringen, und wenn meine Dienstzeit vorbei ist, werden wir heiraten.“ Nativo war überrascht, doch er freute sich von ganzem Herzen für seinen Halbbruder. „Nun, dann werde ich wohl häufiger kommen müssen“, sagte er, und für eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach. Dann nahm Nativo noch einen großen Schluck und sagte: „Weißt Du, Vater hatte vor allem die Kundschaft in den großen Städten Italiens im Auge. Ich bin gerne mal unterwegs, vor allem auf dem Wasser, und ich möchte unser Geschäft hierhin ausdehnen. Vielleicht finde ich ja Handelspartner am Rhein.“ Aliter strahlte. „Nach dem Ende meiner Dienstzeit möchte ich mich mit um die Verpflegung unserer Leute kümmern1“, sagte er, „der Lagerkommandant ist für jede Hilfe dankbar. Noch können wir sie vor Ort nicht ausreichend versorgen und vieles muss importiert werden, vor allem die Speisen aus der Heimat. Du hast ja gesehen, wie sich die Kameraden freuen, wenn sie Oliven und Olivenöl zu einem fairen Preis kaufen können. Also, einen Handelspartner hättest Du hier schon einmal.“ Darauf tranken sie. „Und wer weiß“, fügte Nativo träumend hinzu, „bislang habe ich ja nur Frachtraum auf einem Schiff gemietet, aber wenn das Geschäft gut läuft, kann ich vielleicht einmal mit einem eigenen Schiff kommen.“ 1 Zu dieser Zeit gab es eine Sondermilitärstelle im Süden Bonn, die sich um die Logistik kümmerte 8 Die andere Rheinseite (54) Nach seiner aktiven Dienstzeit gründeten Aliter und Pumella Pulchra eine Familie. Sie bekamen zwei Söhne, die sie Fortiter und Rubeus nannten. Sie lebten in einem schmucken kleinen Steinhäuschen am Rhein. Es war weit genug weg, um nicht vom Hochwasser überrascht zu werden, und doch nahe genug, dass sie von ihrem Fenster aus die Schiffe sahen. Aliter liebte diesen Betrieb auf dem Rhein. Oft schaute er hinüber zum anderen Ufer. Ein breiter Streifen auf der rechten Rheinseite war Militärgebiet. Pumella Pulchra war schon hier auf der linken Rheinseite in der Ubiersiedlung geboren worden. Die ganz Alten in ihrer Familie erzählten noch von der alten Heimat der Ubier drüben auf der rechten Seite, etwas weiter südlich. Bald würden Arbeitstrupps auf die andere Seite übersetzen und an einem der Sieben Berge Steine brechen. Die uralten Ubier nannten ihn Drachenfels. Nun hatten die römischen Bauingenieure festgestellt, dass sich das Gestein dort besonders gut verbauen ließ, und allem voran sollte die Colonia Claudia Ara Agrippinensium, die CCAA, eine Stadtmauer bekommen. Agrippina und die CCAA (um 55) Aliter erinnerte sich an die Zeit, als die legio I Germanica dort gestanden hatte. Um das Jahr 28 hatte man das Doppellegionslager dann aufgelöst; die legio XX Valeria Victrix war nach Neuss, lateinisch Novaesium, gegangen, seine eigene I Germanica nach Bonn. Im Jahre 50 war aus dem Oppidum Ubiorum die Colonia Claudia Ara Agrippinensium geworden, eine Stadt römischen Rechts. Das hatte die Kaisergattin Agrippina bei ihrem Mann Kaiser Claudius durchgesetzt. Die uralten Veteranen erinnerten sich noch an den November des Jahres 15, in dem Agrippina als Tochter des Feldherrn Germanicus dort geboren worden war. Nun, viele Jahre später, hatte sie ein bewegtes Leben hinter sich und schließlich Kaiser Claudius, ihren Onkel, dazu gebracht, sie zu heiraten und Nero, ihren Sohn aus erster Ehe, zu adoptieren. Agrippina galt als sehr machtbewusste Frau. Steinbruch am Drachenfels (um 55) Inzwischen war der Steinbruch drüben auf der anderen Rheinseite in vollem Gang. Es war eine harte Arbeit für alle Männer der Arbeitstrupps: Zunächst schlugen sie auf der gewünschten Trennlinie Stück für Stück Keillöcher ein, dann steckten sie Eisenkeile in die Löcher und schlugen sie mit einem Hammer nacheinander ein, bis ein Spalt durch den Stein ging und man das gewünschte Stück abspalten konnte. Dann wurde der Stein noch vor Ort grob zusammengehauen und gut gesichert den Berg hinab zum Rheinufer gebracht. Dort wurde er verladen. Mit seiner Frau Pumella Pulchra und seinen beiden Söhnen wollte Aliter es den Männern etwas leichter machen und für ordentliche Verpflegung sorgen. Er hatte in der Nähe des Steinbruchs einen Stand aufgebaut: eine Holzplatte auf zwei Böcken, auf denen er die Speisen anbot, daneben einige Amphoren mit Wasser und ein 9 einfacher Klappstuhl für ihn. Hier konnte sich die Männer zwischendurch Oliven, Brot, Käse, Obst und Wasser holen. Sein Bruder Nativo kam nun regelmäßig nach Bonn und hatte stets die herrlichsten Oliven, Ölivenöle, Früchte und natürlich auch Weine dabei. So verbrachte Aliter viele Tage auf der anderen Rheinseite am Fuß des Drachenfels. Er sah zu, wie die Schiffe der römischen Rheinflotte, der Classis Germanica, unterhalb der Steinbrüche anlegten, beladen wurden und weiterfuhren nach Norden. Wo würden all diese Steine verbaut werden? Manchmal gönnten sich die Mannschaften nach getaner Arbeit eine kurze Pause, bevor sie wieder ablegten. Dann erzählten sie ihm von der gewaltigen Stadtmauer rund um die CCAA und von ihrem neuen Flottenkastell2, das südlich von der Stadt gebaut wurde. Aber die Fahrt ging noch viel weiter zu den Legionslagern in Novaesium (Neuss), Vetera (Xanten), bis hinauf ins Land der Bataver, wo sich der Rhein mehrfach gabelte. Nauticula (62) Aliter hatte viele Angehörige der Rheinflotte kennengelernt, und mit manchen freundete er sich auch an. Die meisten stammten aus dem Osten des Reiches. Da war Tschorba, der mit den thrakischen Hilfstruppen gekommen war. Aliter merkte, dass er Sorgen hatte. Eines Abends, als sie ein Glas miteinander tranken, sprach er ihn an. „Es stimmt, ich weiß mir keinen Rat mehr“, sagte Tschorba, und dann brach es aus ihm hervor: „Meine Frau ist vor kurzem gestorben, und ich habe eine kleine Tochter. Ja, ich weiß, eigentlich dürfen wir nicht heiraten, aber so fern der Heimat allein zu sein ist schwer, auch wenn es mir hier am Rhein gefällt. Nauticula ist ein so lebhaftes Kind, sie liebt den Fluss und die Schiffe wie ich – am liebsten wäre sie den ganzen Tag draußen am Wasser. Nun ist sie bei Verwandten meiner Frau, die sehr konservativ sind und kein Verständnis dafür aufbringen. Du weißt ja, für eine römische Frau schickt es sich, zuhause zu bleiben. Nauticula kommt mir bei jedem Besuch blasser vor, und ich bin die ganze Zeit weg.“ Er schwieg eine Weile, dachte nach und fuhr dann fort: „Vielleicht sollte ich all das gar nicht sagen, schließlich denken die meisten römischen Familienväter in dieser Hinsicht genauso. Doch wie ich Dich kennengelernt habe, liebst Du Deine Kinder und willst sie glücklich sehen.“„Nauticula heißt sie?“ fragte Aliter verwundert, „das ist ein ungewöhnlicher Name für ein Mädchen.“ „Eigentlich heißt sie ja auch Gaia“, antwortete Tschorba, „ich nenne sie Nauticula, weil sie ein kleiner Seemann ist.“ Aliter lächelte, dann sagte er: „Was wäre denn damals aus den römischen Truppen auf der rechten Rheinseite, im Feindesland, geworden, wenn Germanicus‘ Gattin Agrippina Maior schicklich zuhause geblieben wäre, als verzagte Römer die Rheinbrücke in der CCAA sperren wollten? Man hätte sie ihrem Schicksal überlassen! Und nun komm' mal mit zu mir.“ Und dann erzählten sie Pumella Pulchra dieselbe Geschichte. Die beiden schauten sich an. „Wir haben uns immer noch ein Schwesterchen für unsere Söhne gewünscht“, sagte Pumella Pulchra, „nun, wenn Du magst, kann Dein Töchterchen hier bei uns leben und Dich bei jedem Einlaufen begrüßen!“ 2 Köln-Alteburg 10 Betrieb auf dem Rhein (um 65) Einige glückliche Jahre gingen ins Land. Nauticula wuchs mit Fortiter und Rubeus auf und es ging hoch her in dem kleinen Steinhäuschen am Rhein. Fortiter wollte wie der Vater Offizier in der Bonner legio I Germanica werden. Mit seinen Kameraden würde er die Rheingrenze sichern, doch Legionär zu sein war für ihn noch viel mehr: Nun, da Frieden an der Rheingrenze war, würden sie Straßen, Brücken und Aquädukte bauen, und er, Sohn eines Römers und einer Ubierin, würde mithelfen, aus seinem Heimatland Germania Inferior eine blühende Provinz zu machen. Rubeus liebte den Betrieb auf dem Rhein und wollte zur Hafenkommandatur gehen, deren Chef ein Centurio im Stab Kommandanten der legio I Germanica war. Zwar konnte man Bonn nicht mit der großen CCAA vergleichen, doch am Hafen war immer Betrieb: Die Schiffe der Rheinflotte patrouillierten rheinauf- und rheinabwärts, und fast täglich legten kleine und großen Handelsschiffe an, brachten Getreide und andere Vorräte für die Legion, Terra-Sigilata-Geschirr und andere Handelswaren aus Gallien und Germania Superior. Die Freude am Betrieb auf dem Rhein verband Rubeus und Nauticula; die beiden mochten sich überhaupt sehr gerne. Schon von weitem erkannten sie das Schiff, auf dem Nauticulas Vater Tschorba seinen Dienst tat, und ebenso Nativos Schiff. Nativo hatte seinen Traum verwirklicht; er hatte neue Handelswege aufgebaut und besaß ein eigenes Schiff. Von Mailand aus führte seine Handelsroute über die römische Fernstraße nach Augst, lateinisch Augusta Raurica, am Rhein in Germania Superior. Diese Stadt lag am schiffbaren Rhein; hier schnitten sich wichtiger Fernstraßen; Gewerbe, Handwerk und Handel blühten. Vor allem aber hatte seine Tochter Poesina einen ortsansässigen Handelspartner geheiratet und mit ihm eine Niederlassung des Handelshauses Olivifer eröffnet. Von dort war es nur ein Katzensprung zum Legionslager Vindonissa (Windisch), das sein Haus auch belieferte. Dann ging es weiter über die Legionsstädte Straßburg und Mainz, lateinisch Argentorate und Moguntiacum, zu Aliter nach Bonn, und von dort aus bis hinauf ins Bataverland im Norden Germania Inferiors. 11 Vierk kaiserjjahr un nd Bata aver-Au ufstand d Um das Jahr J 70 am Rhein, R die liinke Seite istt römisch, diie rechte gerrmanisch Gegen Ende der Regierung gszeit Kaiiser Neross an der Rh heingrenzee In der frühen Ka aiserzeit festigte f sicch die römische He errschaft aam Rhein.. Kaiser Claudiu us (41-54) erhob die Ubierstad dt „Oppidu um Ubiorum m“ auf Dräängen sein ner Frau Agrippiina zu eine er Stadt rö ömischen R Rechts, derr Colonia Claudia C Araa Agrippine ensium, kurz CC CAA. Sie brachte den n Kaiser au uch dazu, ihren Sohn n Nero (544-68), als NachfolN ger ein nzusetzen. Am Drach henfels braachen die Römer Ste eine, u.a. ffür den Ba au einer Stadtm mauer um die d CCAA. Marcus Prunus Aliter, A nun Veteran d der legio I Germania, und seiine Frau Pumella P a hatten zwei z Söhne e, Fortiter und Rube eus, und die Pflegetoochter Nauticula. Pulchra Fortiter war in die Bonne er legio I Germanica a eingetre eten, Rubeeus lernte in der erte sich Aliter A um sseine Kame eraden; Hafenkkommandattur. Auch als Veteraan kümme ein bessonderes Anliegen A war w ihm die e Versorgung der Arb beitstruppss in den Stteinbrüchen am m Drachen nfels. Lucius Olivifer Nativo N hattte das Haandelsgesch häft seine es Vaters üübernomm men und den Ha andel nach h Germania Superio or und Germania Inferior aussgedehnt, er kam häufig nach Bon nn. Auch er war FFamilienva ater, sein ältester Sohn würrde das Stammhaus in Mailand M übe ernehmen ; seine To ochter Poe esina hattee einen HandelsH partnerr in Augst geheiratet und leite ete nun mit m die Nied derlassungg des Hand delshauses Olivvifer dort. 12 Machtkampf in Rom (68/69) Im Jahre 68 geriet das Römische Reich in eine Staatskrise. Kaiser Nero (54-68) war zu einem Tyrannen geworden, hatte seine Mutter Agrippina ermorden lassen, und wenige Jahre zuvor waren große Teile Roms in Flammen aufgegangen. Es kam zu einem Aufstand in Gallien gegen Nero, um den Statthalter von Hispanien, Servicius Sulpicius Galba, auf den Thron zu bringen. Die Rheinlegionen schlugen den Aufstand nieder; doch in Rom zwang der Senat Nero zum Selbstmord und erhob Galba zum neuen Kaiser. Ausgerechnet Galba, den die Rheinlegionen gerade erst bekämpft hatten. Nun verweigerte er ihnen nicht nur die üblichen Geschenke, sondern machte aus seinem Misstrauen kein Hehl. Er entließ die kaiserliche Leibwache aus Batavern, was eine Beleidigung für den ganzen Stamm war, und ließ den Bruder ihres Kommandeurs Civilis zu Unrecht hinrichten. In Germanien setzte er sogleich einen neuen Statthalter ein, Aulus Vitellius. Aufmerksame Beobachter am Rhein spürten die zunehmende Spannung. Als Nativo in diesem Sommer wieder kam, war auch er bedrückt. Lange blieb er bei seinem Halbbruder, dann machte er noch einmal eine Reise über die CCAA, Neuss, Xanten bis ins Bataverland und zurück nach Bonn. „Ein alter Soldat der legio V Alaudae in Xanten hat mir seine Ersparnisse anvertraut“, sagte er zu Aliter, „er rechnet mit einem Krieg. Sollte ich ihn nicht mehr wiedersehen, soll ich das Geld in seinem Sinn verwenden. Es ist tragisch. Die V Alaudae war von Anfang an hier am Rhein, dieser Mann wurde sogar hier geboren. Er war nie in Rom, noch nicht einmal in Italien und doch gilt er hier als Feind.“ Der alte Legionär sollte Recht behalten. Im Januar 69 riefen die Rheinlegionen Vitellius zum Kaiser aus. Der marschierte mit einem großen Teil seiner Truppen nach Italien; mit dabei waren auch Aliters junger Sohn Fortiter und andere Soldaten der legio I Germanica. In Rom war inzwischen Galba ermordet und Marcus Salvius Otho zum neuen Kaiser ausgerufen wurden. Vitellius' Truppen besiegten Othos und erreichten Rom. Dort glaubte er sich am Ziel und schickte den Großteil seiner Truppen zurück an den Rhein. Doch ein halbes Jahr später riefen die Truppen im Osten des Reiches den Kommandanten in Judäa, Vespasian, zum Kaiser aus. Der Bürgerkrieg ging weiter. Vitellius rief seine Truppen wieder nach Rom und forderte Verstärkung durch die Rheinlegionen an. Doch sein Kommandant in Mainz, Flaccus, lehnte ab, da die Rheingrenze ohnehin kaum geschützt war. Daraufhin befahl ihm Vitellius, unter den Batavern weitere Truppen auszuheben. „Und dass nur, damit sie einem römischen Kaiser und Besatzer gegen einen anderen helfen“, dachte Aliter. Schon jetzt hatte fast jede batavische Familie mindestens ein Familienmitglied in der römischen Armee. Er war Soldat, aber auch Vater eines Soldaten. Bataver-Aufstand (69/70) Die römischen Rekrutierer bedrängten und drangsalierten die Bataver so sehr, dass es zum Aufstand kam. An die Spitze setzte sich Iulius Civilis, ein batavischer Adliger und römischer Bürger, der viele Jahre in römischem Heer gekämpft hatte. Zusammen mit dem Nachbarstamm der Cannanefates eroberten die Bataver die nur 13 schwach bewachten römischen Einrichtungen und besiegten kurz darauf ein römisches Entsatzheer. Zudem hatte Civilis einen Brief von Vespasian erhalten, in dem dieser seinen Aufstand unterstützte - schließlich waren so die Vitellius-treuen Rheinlegionen in Germanien gebunden Nach Vespasians Sieg hätten die Bataver und ihre Verbündeten in Frieden und Freiheit leben können. Doch Civilis dachte nicht an Frieden, sondern trug den Krieg tiefer ins Römische Reich hinein: Im September 69 griff er mit seinen Truppen das Legionslager Xanten an und ließ Städte in Germania Inferior und Gallia Belgica plündern. Ihm muss klar gewesen sein, dass dies kein römischer Kaiser hinnehmen konnte, auch Vespasian nicht. Vermutlich fühlte er sich sicher, denn große Teile der Rheinlegionen kämpften im Bürgerkrieg in Italien. Civilis hingegen hatte Unterstützung bekommen: die Brukterer und Tenkterer auf der rechten Rheinseite, alte Feinde Roms, und Vitellius‘ batavische Hilfstruppen waren zu ihm gestoßen. Im Oktober 69 zog ein römisches Heer mit den Legionen XVI Gallica und XV Primigenia los, um Xanten zu befreien. Auch die in Bonn verbliebenen Soldaten der legio I Germanica zogen mit. Aliter war tief besorgt. Gerade jetzt, wo sein Leben so glücklich war, geriet alles ins Wanken. Wenn es nicht bald gelänge, Xanten zu befreien und den Aufstand glimpflich zu beenden, würden die Folgen für Germania Inferior und vielleicht auch Germania Superior verheerend sein. Dann kam aus Rom die Nachricht, dass Vespasians Truppen in Italien standen. Das brachte die Rheinlegionen in dieselbe Situation wie im Jahr zuvor, als sie im Dienste Kaiser Neros den Aufstand zugunsten Galbas niedergeschlagen hatten - doch dann war ausgerechnet Galba Kaiser geworden. Nun waren sie dabei, für ihren Kaiser Vitellius den Aufstand der Bataver niederzuschlagen, deren Anführer ein Unterstützer Vespasians zu sein schien. Man entschied abzuwarten; bevor das Entsatzheer Xanten erreichte, blieb es in Gelduba (Krefeld) stehen. Dann griff Civilis seinerseits das römische Heer an. Die Römer siegten und konnten die Belagerung von Xanten aufheben, doch auch sie hatten schwere Verluste. Als die Männer im Legionslager Xanten gerade aufatmeten, kamen beunruhigende Nachrichten aus Germania Superior: Die Chatten und die Usipeter hatten den Rhein überschritten, plünderten linksrheinisches Gebiet und bedrohten Mainz. Aliter war gleich klar: Mainz und Germania Superior waren für Rom ungleich wichtiger war als Germania Inferior. Er lag richtig: Flaccus ließ Xanten mit Proviant, aber unterbesetzt zurück, und zog mit der Truppe nach Süden. Auch aus Rom kamen schlechte Nachrichten: Im November 69 hatte Vespasian gesiegt, und Vitellius war in Rom ermordet worden. Nun schwuren die Offiziere Vespasian die Treue, die meisten ihrer Soldaten aber taten es nur gezwungenermaßen. Als Flaccus dann auch noch im Namen von Vespasian Geld verteilen ließ, wurde er von erbosten Soldaten umgebracht. Sein General Vocula entkam mit knapper Not. Wenig später konnte Vocula mit den Legionen I Germanica, IIII Macedonica und XXII Primigenia die Belagerung von Mainz beenden. Nun, da Vespasian gesiegt hatte und Römer und Bataver demselben Kaiser dienten, hätte Civilis Frieden schließen können. Doch im März 70 griffen seine Truppen das unterbesetzte Legionslager Xanten erneut an.In Mainz ließ Vocula die Legionen IIII Macedonica und XXII Primigenia zum Schutz der Stadt zurück und machte sich mit 14 den anderen auf den Weg nach Xanten. Doch auf dem Weg erreichten ihn Nachrichten von einem Aufstand in Gallien, und er ließ in Neuss haltmachen. Während die Legionen in Neuss lagerten, rückten die Heere der Aufständischen immer näher. Schließlich desertierten die Legionäre der I Germanica und XVI Gallica, ermordeten Vocula und leisteten den Treueeid auf ein Gallisches Reich. Für die eingeschlossenen Soldaten der Legionen XV Primigenia und V Alaudae in Xanten war die Lage nun aussichtlos, sie ergaben sich. Civilis hatte zugesagt, ihr Leben zu verschonen, doch als sie waffenlos aus dem Lager marschierten, wurden sie niedergemacht. Das Lager wurde geplündert und in Brand gesteckt. Raubzüge ins Rheinland (69/70) Aliter in Bonn war erschüttert. Zwei Legionen waren umgekommen, zwei andere, unter ihnen seine eigene I Germanica, hatten die Seite gewechselt. Auch die Flotte hatte nichts ausrichten können. Nun gab es kein Halten mehr: Raubzüge gegen die romanisierten Stämme in Nordgallien und Germania Inferior folgten, das ganze Rheinland wurde verheert. Auch die CCAA wurde erobert, hier schlug Civilis' sein Hauptquartier auf. Bald würden die Aufständischen auch über Bonn hereinbrechen, das konnten Aliter und die wenigen Veteranen nicht verhindern. Im Gegenteil, nun da seine legio I Germanica ihnen Treue geschworen hatte, würde ihm jede Aktion gegen sie als Verrat ausgelegt werden. Vor allem musste er seine Familie in Sicherheit bringen und schickte sie zu ubischen Verwandten seiner Frau in die CCAA. Er wusste, dass Civilis der CCAA und den Ubiern dort etwas schuldete, denn diese hatten seinen Sohn geschützt, als die Römer seinen Tod verlangten. Natürlich wollte Aliters Familie nicht fortgehen, schon gar nicht ohne ihn, doch er bestand darauf. Viele Bataver kämpften um ihre Ehre und ihre Freiheit, die Aufständischen in Gallien für ein eigenes Gallisches Reich, und vielen Germanen von der rechten Rheinseite, die sich dem Aufstand angeschlossen hatten, ging es vor allem ums Plündern. Das alles machte Aliter seiner Familie eindringlich klar. „Und auf allen Seiten gibt es Leute, die sich nicht scheuen werden, alles und jeden niederzumachen“, schloss er. Verschiedene Emotionen spiegelten sich in den Gesichtern seiner Familie – Angst um ihn, aber auch Entschlossenheit. Man konnte doch nicht die Arbeit eines langen Lebens einfach so aufgeben. „Nein, das werden wir auch nicht“, sagte Aliter, „auch wenn die legio I Germanica dem gallischen Führer Treue geschworen hat, sind wir nicht verpflichtet, gemeinen Räubern und Plünderern alles hier zu überlassen.“ Nun horchte seine Familie auf. „Wir werden sammeln, was wir auf keinen Fall verlieren möchten“, sagte er, „und das nehmt Ihr mit in die CCAA.“ Damit war auch seine Familie einverstanden. So schnell es ging, sammelten sie unauffällig ihre wichtigsten Besitztümer und die ihrer Freunde und Nachbarn ein und sicherten sie für den Transport in die CCAA. „Wir müssen etwas da lassen“, warnte Aliter immer wieder, „damit die Beutegierigen etwas finden, dann ziehen sie vielleicht wieder ab, ohne viel zu zerstören.“ Schließlich standen die Reisewagen zur Abfahrt in die CCAA bereit. Und doch fiel ihnen allen der Abschied schwer. Als der Zug mit Aliters Familie, Freunden und Nachbarn sicher auf dem Weg in die CCAA war, ging er zu seinen alten Kameraden in die Militärgebäude im Süden der Stadt. 15 Schon wenig später brach eine ganze Horde von den Aufständischen über Bonn herein. Sie besetzten zentrale Gebäude der Stadt und den Hafen. Kurz darauf sahen Aliter und seine Kameraden im Norden ein großes Feuer lodern - das Legionslager brannte lichterloh. Aliter war klar gewesen, dass gerade das Lager ein verhasster Anblick für die Aufständischen war; doch er hatte viele Jahre seines Lebens hier zugebracht, und der Anblick des brennenden Lagers tat ihm sehr weh. „Verdammt!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor. Dann machte sich eine zügellose Horde über Bonn her. Wieder sah Aliter einzelne Feuer auflodern. Als sie seinem Haus immer näher kamen, vergaß er jede Vorsicht und rannte los. Keuchend kam er an und sah, wie einige Barbaren mit Schwertern und Stangen auf die Fenster und Türen einschlugen. Als sie ihn sahen, drehten sie sich um und kamen mit erhobenen Waffen auf ihn zu. Aliter erstarrte. „Halt!“, donnerte eine laute Stimme. Ein Mann, offensichtlich ein batavischer Offizier, rannte los und schlug den Angreifern die Waffen aus der Hand. „Halt, sage ich! Ihr werdet keine Zivilisten töten!“ „Das ist ein Römer!“ schrie einer der Angreifer. „Egal!“, schrie der Bataver zurück, „wir sind Krieger, keine gemeinen Mörder!“ Dann wandte er sich an Aliter: „Ich kenne Dein Haus, Ihr habt immer faire Preise gemacht, egal ob Römer, Ubier oder Bataver. Gib‘ mir von Deinen Lebensmitteln für meine Leute ab und ein Fass Wein für die da“, sagte er und zeigte auf die Angreifer, „und dann sind wir weg.“ Das tat Aliter, und der batavische Offizier hielt Wort. Aliter blickte ihm nach. Er war froh und dankbar, dass er mit dem Leben davon gekommen war, und dasselbe wünschte er ihm. Nach dem Krieg (70) Nach seinem Sieg im Bürgerkrieg hatte Kaiser Vespasian in Rom nun Truppen zur Verfügung, um den Aufstand niederzuschlagen. Eine gewaltige Streitmacht von insgesamt acht Legionen zog unter General Cerialis nach Germania Inferior, und trotz der Unterstützung durch die Brukterer und Tenkterer wurden die Bataver besiegt; weite Teile ihres Landes und ihre Hauptstadt wurden zerstört. Wenigstens schloss Cerialis einen maßvollen Frieden. Nun konnte Aliter seine Familie wieder in die Arme schließen. Doch es waren bange Tage, denn Fortiters legio I Germanica war unter den Besiegten. Endlich kam ein Brief von Poesina aus Augst: Fortiter lebte und war wohlauf. Kaiser Vespasian hatte die I Germanica aufgelöst und die Soldaten anderen Legionen in Illyrien zugeteilt. Weiter schrieb sie, dass Fortiter zur legio XI Claudia kommen würde, die gerade von Dalmatien nach Vindonissa versetzt wurde. Aliter atmete tief durch und legte den Brief aus der Hand. Das war mehr als man hoffen konnte. Vindonissa, das war in Germania Superior, ganz in der Nähe von Augst. Da würde er ihn besuchen können, ihm als ehemaligem Centurio würde man das kaum verwehren. Wozu hatte er noch seinen Helm mit dem quergestellten Helmbusch? Im Spätsommer war Nativo endlich wieder in Bonn. Zusammen mit seinem Halbbruder Aliter ging er durch das zerstörte Legionslager. Zwischen den Trümmern erblickte Nativo eine Münze auf dem Boden und hob sie auf. Sie zeigte die Zerstörung des Legionslagers Xanten und den Untergang der Legionen XV Primigenia und V Alaudae. Offensichtlich hatte Civilis diese Münzen prägen lassen. Angewidert 16 schmiss Nativo sie weg. „Wir werden das Lager wieder aufbauen“, sagte Aliter entschieden, „aus Stein!“ Auch Aliters und Pumellas Steinhäuschen stand noch, bedurfte aber gewaltiger Reparaturen. „Du weißt, der alte Legionär der V Alaudae hat mir seine Ersparnisse vermacht“, sagte Nativo langsam, „ich werde sie Euch geben, damit Ihr hier alles neu aufbaut. Euer kleines Steinhäuschen mit einem Ladenlokal, in dem Ihr Oliven, Olivenöl und alle die guten Dinge verkauft, die ich bringe. Und vielleicht auch eine kleine Garküche. Das gebt Ihr dann später weiter an Nauticula und Rubeus.“ Es folgte einen Moment Schweigen, dann sah er neue Hoffnung in den Gesichtern - ja, das war ein guter Weg. „Wir wollen das Andenken dieses alten Legionärs der V Alaudae in Ehren halten“, meinte Aliter, „vielleicht mit einem guten Namen für das Haus.“ „Villa Alaudae!“ sagte Nauticula freudestrahlend. Ein neues Legionslager (um 70) Kaiser Vespasian saß sicher auf seinem Thron, doch er traute den Rheinlegionen nicht, die auf der Seite seines Gegners Vitellius gestanden hatten und im BataverAufstand zum Teil übergelaufen waren. Fast alle alteingesessenen Legionen wurden in weit entfernte Regionen versetzt oder gar aufgelöst, an ihrer Stelle kamen neue Legionen, auf die der Kaiser sich verlassen konnte. Die legio I Germanica war aufgelöst worden; dafür kam die legio XXI Rapax nach Bonn. Sie musste sich zunächst ein neues Legionslager aufbauen, eines der größten Legionslager am Rhein sollte es werden. Tag für Tag wurden drüben am Drachenfels Steine gebrochen. Wieder saß Aliter, nun ein älterer Herr, am Drachenfels und baute seinen Stand auf. Ganz wohl war ihm nicht, denn er kannte niemanden in der neuen Legion. Diese hatte zu den Stützen von Cerialis gehört, während die Bonner legio I Germanica Schande auf sich geladen hatte. Dabei wollte er ins Gespräch mit den Männern der XXI Rapax kommen, denn schließlich hatte diese Legion bis vor kurzem im Legionslager Vindonissa gestanden, wo nun die XI Claudia mit seinem Sohn Fortiter war. Aliter wollte alles von Vindonissa wissen. Schließlich fasste er sich ein Herz und fragte einen alten Legionär der XXI Rapax, dem es besonders gut zu schmecken schien. „Vindonissa ist gar nicht schlecht“, sagte der, „ein kleines Städtchen so wie Bonn hier, nur viel höher gelegen. Für die jungen Kerle ist fast zu ruhig. Ihr könnt hier in ein Schiff steigen und den Rhein aufwärts fast bis dorthin fahren.“ Familien-Bande (71) Im Frühjahr des folgenden Jahres war es so weit. Nativos Schiff legte in Bonn an. Doch bevor sie nach Süden fuhren, wollten Aliter und Nativo mit Nauticulas Vater Tschorba noch etwas regeln. Kaiser Vespasians gewaltige Reorganisation der Rheinarmee betraf auch ihn. Die Mainzer legio IIII Macedonica wurde aufgelöst, als IIII Flavia Felix neu aufgestellt und nach Dalmatien versetzt. Noch schlimmer traf es die Neusser legio XVI Gallica, sie wurde als XVI Flavia Firma neu gegründet und gleich an die Ostgrenze nach Syrien versetzt. Die Donau-Legionen aus Cerialis‘ Heer mussten schnell zurück an die mittlere und untere Donau. Diese Truppenverlegungen waren eine gewaltige logistische Aufgabe, und auch auf die Rheinflotte, die Classis Germanica, kam 17 einiges zu. Tschorba, der selbst von der unteren Donau kam, würde lange weg sein, und das bedrückte ihn sehr. „Du weißt, wie lieb wir Nauticula haben, und dass Du Dir keine Sorgen um sie machen musst“, sagte Aliter beruhigend, „und vielleicht möchtest Du auch Deine Heimat wiedersehen.“ Nativo fuhr fort: „Ich weiß, die Dienstzeit bei der Flotte ist noch länger als bei der Legion, aber Du hast es bald geschafft, und dann bekommst Du römisches Bürgerrecht. Setz‘ das jetzt nicht auf Spiel, und wenn Du Deinen Dienst beendet hast, möchte ich Dich gerne als Schiffsführer für unser Geschäft gewinnen.“ Tschorba verschlug es die Sprache, damit hatte er trotz aller Freundschaft nicht gerechnet. Nauticula flog ihm um den Hals. Während er seine Tochter fest im Arm hielt und Tränen wegblinzelte, fuhr Nativo fort: „Ich brauche einen tüchtigen Kapitän, der sich auch an der Donau auskennt, denn da verlagert sich jetzt vieles hin.“ Aliter strahlte von einem Ohr zum anderen, dann sagte er: „Auch ubische Auxiliartruppen sind an die Donau verlegt worden. Als Anfang kannst Du Ihnen etwas Leckeres aus ihrer Heimat mitbringen, und auf dem Rückweg dann unseren thrakischen Hilfstruppen und Mitbürgern hier am Rhein etwas aus ihrer Heimat. Das sind wir Ihnen doch schuldig!“ Einige Tage später ging es rheinaufwärts zu Nativos Tochter Poesina nach Augst. Dort angekommen, war es nur noch ein kurzer Weg zum Legionslager Vindonissa. Aliter setzte seinen alten Helm auf und machte sich auf, um seinen Sohn abzuholen. Einige glückliche Tage konnte Fortiter im Kreis der Familie verbringen. „Ich habe es noch gut getroffen“, sagte er bewegt, „viele von der I Germanica sind getötet worden. Vindonissa ist ganz in Ordnung, und es ist am Rhein, ich bin oft hier bei Poesina und kann sogar Urlaub bei Euch machen. Es hätte viel schlimmer kommen können.“ Nach einigen glücklichen Tagen in Augst reisten sie auf dem Landweg weiter nach Mailand. Nativo hatte, auch im Namen seiner Frau und seiner Kinder, darauf bestanden. Nach über zwanzig Jahren Abwesenheit von seiner Heimatstadt war es eine bewegende Zeit für Aliter, und die Herzlichkeit, mit der Nativos Familie die seine aufnahm, gab ihm sehr viel. „Es ist Zeit, Frieden mit der Vergangenheit zu schließen“, sagte Nativo, „Du und ich, wir gehören hierhin, und wir gehören an den Rhein, und das vererben wir unseren Kindern.“ „Villa Alaudae“ (72) Aliters wieder aufgebautes Steinhäuschen, die „Villa Alaudae“, war ein Schmuckstück geworden. Sie lag nahe am Ufer, und die Fenster waren so angeordnet, dass man von den Wohnräumen der Familie aus den Rhein sehen konnte und die Schiffe, die anlegten und ausliefen. Das Haus war weiß getüncht, unten mit einem dunkleren Rotton abgesetzt. Durch eine Säulenhalle kam man zum Eingang und sah gleich auf das kleine Peristyl, ein Gärtchen, von dem aus offene Türen mit Holzeinfassung in die umgebenden Räume führten. Neben den Wohnräumen, der Küche und den Wirtschaftsräumen gab es ein kleines Ladenlokal, das zur Straßenseite hin offen war. Der Boden hatte Steinfliesen und in den selbstgezimmerten Regalen standen Amphoren und Glasflaschen mit den herrlichsten Oliven, Olivenölen und Weinen. Über die Theke konnten die Leute auch warme Mahlzeiten kaufen, denn die meisten Häuser waren klein und eng, und das Kochen war kaum möglich. Es war 18 kein Vergleich mit den opulenten Menüs, die bei den Gelagen der Oberschicht aufgetragen wurden, aber das musste auch nicht sein. Die Gerichte von der „Villa Alaudae“ waren alle frisch zubereitet und schmeckten einfach gut. Als das Haus fast fertig war, hatten einige Legionäre der XXI Rapax einen kleinen Steinblock vom Drachenfels gebracht. Aliter war gerührt; er wusste ja, dass der Steinbruch ein militärischer Betrieb war und die Steine nur für offizielle Bauten verwendet wurden. „Ja, das stimmt“, sagte ein Offizier, „doch Du hast so viel für uns getan, Du bist so oft mit uns drüben, da ist es nur richtig, dass Du ein Stückchen von drüben auch hier hast. Dieser Block gäbe einen guten Weihestein hier für Euer Peristyl.“ So geschah es. Nun war der Weihestein fertig gemeißelt und wurde im Beisein von Familie und Freunden gesetzt. Er zeigte drei Frauen in ubischer Festtracht, die zusammen auf einer Bank saßen. Die beiden äußeren trugen große, auffällige Hauben; die mittlere war kleiner dargestellt und trug ihr Haar offen. Alle drei hielten einen Fruchtkorb auf dem Schoß. Es waren die Aufanischen Mütter; sie standen für Jugend, Erwachsensein und Alter, das Wachsen, Blühen und Absterben in der Natur. Über diesen ewigen Kreislauf des Lebens wachten sie und gewährten mütterlichen Schutz. Die Einheimischen, unter ihnen Pumella Pulchras Familie, verehrten sie seit alters her; nun bat Aliter um Schutz für seine ganze, weitverzweigte Familie: Pumella Pulchra, seine geliebte Frau, Fortiter, sein ältester Sohn, der im Legionslager Vindonissa in Germania Superior seinen Dienst tat und ab und zu auf Urlaub kam, Rubeus, sein jüngerer Sohn, der bald seine Pflegetochter Nauticula heiraten würde, ihr Vater Tschorba, der auf der Donau unterwegs war, und natürlich Nativo, sein Halbbruder, der ihn in den Schoß seiner Ursprungsfamilie zurückgeholt hatte. 19 Römische Provinzen Ein Blick in die „Villa Alaudae“ Germania Inferior, zur Zeit der Flavischen Kaiser Nach dem Ende von Bürgerkrieg und Bataver-Aufstand wurden im römischen Germanien die zerstörten Städte und Kastelle wieder aufgebaut. Kaiser Vespasian (69-79) hatte eine Reorganisation der gesamten Rheinarmee verfügt; in Bonn stand nun die legio XXI Rapax und hatte das Legionslager in Stein neu aufgebaut. Der Veteran Aliter und seine Frau Pumella Pulchra lebten in einem schmucken Steinhäuschen am Rheinufer, der „Villa Alaudae“, benannt nach während des Bataver-Aufstands untergegangenen Xantener legio V Alaudae. Dort führten sie ein Ladenlokal mit Garküche, spezialisiert auf Oliven, Olivenöl und die guten Dinge, die Aliters Halbbruder Olivifer Nativo vom Handelshaus Olivifer ihnen brachte. Noch immer betrieb Aliter seinen Verpflegungstand für die Arbeitstrupps in den römischen Steinbrüchen am Drachenfels. Nach dem Bürgerkrieg gehörte auch Aliters Sohn Fortiter, Legionär der I Germanica, zu den Besiegten. Doch er hatte Glück im Unglück: er kam zur legio XI Claudia, die nach Vindonissa (Windisch) versetzt wurde – also an den Rhein und ganz in die Nähe von Augst, wo das Handelshaus Olivifer eine Niederlassung hatte. Rubeus, Aliters und Pumellas jüngerer Sohn, war nun Offizier in der Hafenkommandatur in Bonn und hatte ihre Pflegetochter Nauticula geheiratet. Die beiden bekamen zwei Kinder, Rubeus Minor und Nauticula Minor. 20 Germania Inferior (um 85) 73/74 hatten die Römer das Land zwischen Rhein und Donau, das „Dekumatland“, unter ihre Herrschaft gebracht. Fortan verlief die Grenze nicht mehr entlang der beiden Flüsse, sondern schloss das Land zwischen ihnen ein. Neue Straßen wurden gebaut, und so gelangten römische Truppen schnell von der Donau an den Rhein und umgekehrt. Dort, am Rande des Imperiums, blieben Germanen und Daker erbitterte und wehrhafte Feinde. Nach dem Tod Vespasians und seines ältesten Sohns Titus (Regierungszeit 79-81) wurde der jüngere Sohn Domitian (81-96) Kaiser. Anders als sein Vater und sein Bruder konnte er keinen militärischen Ruhm vorweisen, was seine Autorität in der militärisch geprägten römischen Welt schwächte. Nun zog er mit einer gewaltigen Armee über den Rhein gegen die weit unterlegenen Chatten. In zwei Feldzügen wurde das Gebiet zwischen Taunus, Lahn und Main, die Wetterau, erobert. Doch so gewaltig und überlegen die römische Armee auch war - die Kampfesweise der Germanen machte ihr zu schaffen. Diese brachen immer wieder aus ihren Verstecken im Wald über die Römer herein und verschwanden wieder im Dickicht. Nun schlugen die Römer Schneisen in den Wald und legten Patrouillenwege an. Dazu errichteten sie hölzerne Wachtürme, und zwar nahe genug beieinander, dass die Besatzungen Sichtkontakt hatten. War Gefahr im Verzug, ging eine Warnung mittels optischer oder akustischer Signale von Turm zu Turm und zu den Kastellen hinter dem Limes. Nach dieser Demonstration römischer Militärmacht wandelte Domitian die bisherigen Militärbezirke in römische Provinzen um: Germania Inferior3 mit der Hauptstadt Köln; Germania Superior4 mit der Hauptstadt Mainz. Dazu ließ er „Germania Capta“, „Germanien eingenommen“, auf seine Münzen drucken – aus seiner Sicht hatte er das „Germanenproblem“ ein für alle Mal gelöst. Hauptstadt CCAA (um 85) Nun war Köln, die antike Colonia Claudia Ara Agrippinensium, kurz CCAA, Hauptstadt einer römischen Provinz. Das machte die ohnehin schon prächtige Stadt am Rhein noch attraktiver für viele Menschen. Hier ließ es sich auch für verwöhnte, an einen gehobenen Lebensstandard gewöhnte Römer gut leben. Von der CCAA aus führten Handelswege durch ganz Germanien und Gallien bis hinauf nach Britannien, und so wurde die Stadt auch schnell zur Wirtschaftsmetropole im Nordwesten des Römischen Reiches. Der Statthalter einer römischen Provinz war ein mächtiger Mann, er war zugleich oberster Befehlshaber der dort stationierten Legionen und auch der Kommandant der Flotte vor Ort war ihm unterstellt. So war die Struktur der römischen Provinzverwaltung seit langem. Für die junge Provinz Germania Inferior und ihre gerade erhobene Hauptstadt CCAA aber war das alles neu - und einigen Würdenträgern im Stab des Statthalters arg zu Kopf gestiegen. 3 Niedergermanien: Teile der heutigen Niederlande, Nordwestdeutschlands westlich des Rheins und Belgien 4 Obergermanien: Teile der heutigen Schweiz, Frankreichs und des südwestlichen Deutschlands 21 „Meine Güte“, schimpfte Rubeus, als er nach einem langen Tag in der CCAA zurück in die „Villa Alaudae“ kam, „einige im Stab des Statthalters drehen da jetzt ganz durch. Sie halten sie sich für die Götter wissen was und wollen alle einen Palast haben!“ Gerade hatte er als Offizier der Bonner Hafenkommandatur eine große Versendung von Steinen vom Drachenfels in die CCAA sicher geleitet. Doch als er dem diensthabenden Offizier im Stab des Statthalters Meldung machen wollte, hatte dieser ihm hochnäsig ausrichten lassen, dass man sich in Bonn mehr anstrengen müsste. Rubeus konnte sich gar nicht beruhigen – die hatten ja keine Ahnung, was für eine gewaltige Leistung seine Männer Tag für Tag erbrachten. „Dafür schuften unsere Leute doch nicht“, wetterte er, „unser Hafen und unsere Frachtschiffe sind denen auch nicht gut genug. Dabei sollen sie froh sein über die Steine vom Drachenfels, die unsere Schiffe regelmäßig bringen, damit die CCAA ihre Stadtmauer ausbauen kann, denn das kommt allen zugute!“ Nun drängten sich seine Kinder zu ihm. „Ach lass' sie reden“, meinte sein Sohn Rubeus Minor, „morgen sind wir wieder bei den Steinbrüchen und bringen den Männern wieder was mit. So gute Oliven wie wir hat der Statthalter nicht!“ „Ganz bestimmt nicht“, ergänzte seine Schwester Nauticula Minor, „wir haben eine neue Sorte aus Hispanien, ganz lecker!“ Trotz all seiner Wut musste Rubeus lächeln, die Logik seiner Kinder war einwandfrei. Rubeus Minor wollte alles wissen, was mit den Steinbrüchen zu tun hatte, wohin die Steine transportiert wurden und was man damit baute, und Nauticula Minor kannte all ihre Waren und Handelsrouten und die meisten Handelsschiffe. Er liebte seine Kinder innig und hoffte, dass er sie noch lange um sich haben würde. Legio I Minervia (88) „Nauticula Minor!“ klang es energisch durch die Räume der „Villa Alaudae“. So wurde sie nur gerufen, wenn sie etwas angestellt hatte. Und sie sah es gleich: in dem Brunnen im Garten trieb noch ihr Spielzeugschiff. „Aber wenn doch noch Ware abzuladen ist!“ protestierte sie noch. Dabei wollte ihre Mutter Nauticula auf den Offizier der neuen Bonner Legion, der gerade die „Villa Alaudae“ betreten hatte, einen guten Eindruck machen. Doch ihre Sorge war ganz unnötig. Der Offizier lachte, nahm das Schiffchen und richtete das Segel aus. „Siehst Du, so fährt es gleich viel besser“, sagte er freundlich zu dem Mädchen, und zu ihrer Mutter: „Weißt Du, ich bin aus Burdigala, wir sagen Bordeaux, da haben wir auch einen großen Hafen! Ich bin übrigens Sempronius Uvius Pino.“ Von nun an kam Uvius Pino häufiger in die „Villa Alaudae“. Er mochte die hübsche, aufgeweckte Nauticula Minor und fühlte sich in ihrer ungezwungenen Familie gleich wohl. Vielleicht würde es in dem kleinen Bonn ja doch nicht so öde werden wie einige gemeint hatten. Wäre Bonn nicht der Standort der neuen Lieblingslegion Kaiser Domitians, wäre es wohl kaum auf der Landkarte, hatte jemand behauptet. In der Tat hatte Domitian selbst die Legion für seinen Feldzug gegen die Chatten ausgehoben und sie legio I Minervia Flavia Domitiana benannt. Flavia nach ihm, Domitian war der letzte Kaiser der flavischen Dynastie, und Minerva war seine Lieblingsgöttin. Seit 83 stand sie in dem gewaltigen neuen Legionslager Bonn, die legio XXI Rapax war zurück nach Mainz gegangen. Die meisten die Legionäre stammten aus Südgallien und waren zuvor noch nicht am Rhein gewesen. Noch 22 immer bot die Armee jungen Männern Chancen: ein regelmäßiges, gutes Einkommen, und auch Männer aus bescheideneren Verhältnissen konnten es aus eigener Kraft bis zum Centurio bringen. Nach der ehrenvollen Entlassung bekamen die Veteranen etwas Land geschenkt. Auf der anderen Seite musste man oft weit weg ziehen, und das war auch Uvius Pino schwergefallen. Nauticula und Rubeus lachten. „So hat Onkel Nativo damals bei seinem ersten Besuch auch gedacht“, sagte Rubeus, „mit dem hochurbanen Mailand kann unser Bonn nicht mithalten. Aber das muss es ja auch nicht, es ist schön hier am Rhein, und Tempel und Bäder kann man bauen, wie Du siehst. Nur der Wein hat noch nicht die Qualität, die Ihr von daheim gewohnt seid. Aber da können wir Abhilfe schaffen. Die Anbindung nach Gallien uns ans Mittelmeer über den Rhein, die Mosel, die Saône und die Rhône ist gut; und fast jeden Tag legen Schiffe hier an.“ Fortiter (88) Nach vielen Jahren in Vindonissa ging Fortiters Dienstzeit bei der legio XI Claudia zu Ende. Alles in allem hatte er Glück gehabt, denn seine Legion war nur in leichte Gefechte verwickelt gewesen; dafür hatten sie viel Infrastruktur aufgebaut. Seit langem belieferte das Handelshaus Olivifer auch das Legionslager Vindonissa. Bei seinen Besuchen in Poesinas Haus hatte er ihre Familie gut kennengelernt und sich vor kurzem mit ihrer Nichte verlobt. Für Nativo, der nun auch ein hohes Alter erreicht hatte, war Fortiter der ideale Nachfolger für die Rheinroute. Fortiters Hochzeit war ein großer Tag. Nach einer kurzen Zeremonie in Augst gingen sie an Bord von Nativos Schiff, dann es ging rheinabwärts nach Bonn, wo Aliter mit seiner Familie schon wartete. Eine Hochzeitsfeier an Bord eines Schiffes, das war passend für den Händler, der viele Jahre auf dem Rhein gefahren war, und seinen Nachfolger, der die Route nun übernehmen würde. Aliter und Pumella Pulchra waren überglücklich, dass sie diesen Tag noch erleben durften. Später am Abend saßen die Brüder Fortiter und Rubeus zusammen und schmiedeten Pläne. „Jetzt wirst Du häufiger hier sein“, begann Rubeus, „und wir beide können dazu beitragen, aus Germania Inferior eine blühende Provinz zu machen, eingebunden in das Reich und die Pax Romana5.“ „Wenn es die Pax Romana denn geben würde“, meinte Fortiter, „hier in Germania Inferior und auch unten in Germania Superior herrscht Frieden, aber an der Donau zieht Gefahr auf. Tschorba hat mir viel berichtet. Der Fluss ist die Nordgrenze unserer Provinzen Raetien, Noricum, Pannonia Superior und Inferior und ganz im Osten Moesia Superior und Inferior, das ist eine lange und schwer zu verteidigende Grenze. Und wer weiß schon, was in den Quaden, Markomannen und Sarmaten jenseits der Grenze vorgeht. Unsere erbittertsten und gefährlichsten Feinde sind die Daker an der unteren Donau.“ Rubeus nickte. Vor einigen Jahren (85/86) hatten die Daker die schlecht gesicherte Grenze überfallen und die römischen Truppen hatten sie nicht entscheidend zurückschlagen können. „Kaiser Domitian zieht schon an der Donaugrenze Truppen zusammen“, sagte Fortiter, „es gibt Überlegungen, auch die legio XI Claudia wieder auf den Balkan zu versetzen. Da kommt einiges auf uns zu.“ 5 Römischer Friede, Teil des Herrschaftsprogramms seit Augustus: innerhalb des Reichs sollte Frieden herrschen, die Grenzen sollten gut gesichert sein, doch kein Verzicht auf Eroberungen. 23 Saturninus-Aufstand und Ende der legio XXI Rapax (89-92) Glücklich war Uvius Pino nicht, als er über die Wachgänge des Bonner Legionslagers ging. Am nächsten Morgen würden sie losziehen, um den Aufstand des Stadthalters von Germania Superior, Saturninus, niederzuschlagen. Während Kaiser Domitian an der unteren Donau gegen die Daker kämpfte, hatte sich Saturninus gegen den zunehmend verhassten Kaiser erhoben. Die Legionen XIIII Gemina und XXI Rapax in Mainz und die germanischen Chatten hatten sich auf seine Seite geschlagen. Ausgerechnet die XXI Rapax. Uvius Pino kannte niemanden aus dieser Legion persönlich, und doch bedrückte es ihn. Bis vor kurzem hatte die XXI Rapax in Bonn gestanden, sie hatte das Lager erbaut. Vielleicht müssten sie gegen Männer kämpfen, die zuvor im selben Haus geschlafen und vom selben Tisch gegessen hatten. Auch Nauticula und Rubeus in der „Villa Alaudae“ dachten voller Sorge an das Kommende. Viele der Soldaten der XXI Rapax waren regelmäßig in die „Villa Alaudae“ gekommen, hatten eingekauft und gegessen. Sie allen hofften, dass der Feldzug nicht unnötig Menschenleben kostete. Dann zog das niedergermanische Heer6, unter dem Befehl des späteren Kaisers Trajan nach Süden und schlug den Aufstand schnell nieder. Um nicht an zwei Fronten zugleich kämpfen zu müssen, hatte Kaiser Domitian einen Waffenstillstand mit den Dakern geschlossen, der Tributzahlen gleich kam. Das hatte sie erstarken lassen; ihr König Decebalus schmiedete Allianzen gegen Rom. Nach der Niederschlagung des Aufstands in Germania Superior zog Kaiser Domitian mit seinem Heer die Donau hinab gegen die Jazygen und Daker. Doch der Kaiser konnte keinen Sieg erringen und musste schließlich Decebalus als Klientelkönig anerkennen. Endlich war Uvius Pino wieder in Bonn. „Was wird aus der XXI Rapax?“ fragten ihn Nauticula und Rubeus. „Sie ist nach Pannonien verlegt worden, um gegen die Sarmaten zu kämpfen“, antwortete er nicht ohne Sorge. Wenig später kamen schlimme Nachrichten: Die XXI Rapax war im Kampf gegen die Sarmaten untergegangen. Am nächsten Tag setzten Uvius Pino, Rubeus und einige Kameraden über auf die andere Rheinseite zum Drachenfels, wo Arbeitstrupps der Legion Steine für das Lager gebrochen hatten. Dort setzten sie einen Weihestein für die gefallenen Soldaten der legio XXI Rapax. Im Norden Germania Inferiors (92) Uvius Pino kam oft in die „Villa Alaudae“, und die Freundschaft vertiefte sich. Schon bald war klar, dass Nauticula Minor niemand anderen zum Mann nehmen wollte als ihn, und auch ihr Bruder Rubeus Minor mochte ihn sehr. Nun war Rubeus Minor selbst seit kurzem in der legio I Minervia. Er war bei den Bauingenieuren der Legion und wurde zu Einsätzen in ganz Germania Inferior geschickt. Anders als der Süden, wo er zuhause war, oder gar Germania Superior war der Norden ländlich und weniger von der städtischen römischen Kultur geprägt. Für einen verwöhnten Stadtrömer aus der CCAA mag es dort öde gewesen sein, und 6 I Minervia, VI Victrix, X Gemina, XXII Primigenia 24 für die Legionäre der X Gemina, die aus Hispanien ins Legionslager Noviomagus, einheimisch Nimwegen, gekommen waren, war nördliche Germania Inferior mit seinem rauen Klima eher trostlos. Für den jungen Bauingenieur Rubeus Minor hingegen, der den Rhein liebte, war es eine aufregende Welt. Hinter Xanten gabelte sich der Fluss mehrfach, bis er im Rhein-Maas-Delta in die Nordsee mündete. Rubeus war begeistert, als er den Kanal zwischen Maas und Rhein sah, den Mitte des ersten Jahrhunderts der Statthalter Corbulo hatte anlegen lassen. In Nimwegen sollte ein neues, steinernes Legionslager für die legio X Gemina gebaut werden, und auch vom Drachenfels wurden Steine herangebracht. Nun war Rubeus Minor oft im Norden, das kam seinem Pioniergeist entgegen und er hatte Freude daran, sein Wissen an die Kameraden weiterzugeben. Auch als das neue Legionslager fertig war, blieb er als Ausbilder im Norden. Schließlich verliebte er sich in ein einheimisches Mädchen und ließ sich mit ihr in Nimwegen nieder. Daker-Krieg (101) In Bonn neigte sich Uvius Pinos Dienstzeit dem Ende zu. Er freute sich schon darauf, mit Nauticula Minor eine Familie zu gründen. Dann kam der Marschbefehl - die gesamte Legion I Minervia musste in den Krieg gegen die Daker ziehen. Trajan war nun Kaiser - ganz in der Nähe, in der CCAA, hatte man ihn dazu ausgerufen. Nun setzte er an, die Macht des Reiches zu vergrößern. Der von Kaiser Domitian geschlossene Waffenstillstand mit den Dakern ging mit Roms Anspruch auf Weltherrschaft nicht einher. Aus dem gesamten Imperium wurden Truppen und Marinesoldaten zusammengezogen. Auch Fortiter in Augst war alarmiert. Uvius Pino, der künftige Ehemann seiner Nichte Nauticula Minor, und seine ehemaligen Kameraden von der legio XI Claudia würden in den Krieg ziehen. Es hieß sogar, dass seine alte Legion dauerhaft auf den Balkan versetzt würde; das Lager in Vindonissa sollte aufgegeben werden. Nun brauchte die Truppe zuverlässige Lieferanten. Das Handelshaus Olivifer hatte Verträge mit der Legion und er selbst hatte Freunde dort; natürlich würde er mit seinem Schiff dabei sein. Doch es fiel ihm schwer, seine junge Familie zurückzulassen, aber wenigstens wusste er sie im Familienkreis gut aufgehoben. Im Mai 101 überschritt Trajans gewaltiges Heer auf einer Pontonbrücke bei Viminacium7 die Donau und rückte in Dakien ein. Der dakische König Decebalus und sein Heer waren vorbereitet, und es wurde ein schrecklicher Krieg. Als beide Seiten erschöpft Frieden schlossen, war es eher ein Waffenstillstand. Römische Truppen besetzten einen Teil Dakiens. Um den Einmarsch jederzeit zu ermöglichen, erbaute Trajans Architekt Apolloduros von Damaskus eine mächtige Steinbrücke über die Donau bei Drobeta Trunu. Auch die Daker rüsteten wieder auf und suchten neue Verbündete. Im Frühsommer 105 marschierten die Römer erneut ein - es wurde ein Vernichtungskrieg. Kaiser Trajan feierte einen gewaltigen Triumph in Rom und gab sogar eine Säule in Auftrag, die seinen Feldzug verherrlichen sollte.8 Uvius Pino aber freute sich 7 Damals eine wichtige Grenzstadt der Provinz Moesia Superior, sie lag in der Nähe des heutigen Kostolac, Serbien. 8 Die Trajanssäule 25 darauf, nachhause zu kommen. Endlich konnte er mit allen Ehren seinen Abschied nehmen, Nauticula Minor heiraten und mit ihr eine Familie gründen. Noch lange hatte er Albträume vom Krieg in Dakien. Die Erinnerungen an schreckliche Waffe der Daker, die so fürchterliche Wunden schlug, verfolgten ihn, und auch die Bilder der zerstörten Hauptstadt – um nicht in römische Gefangenschaft kamen, hatten die Menschen Gift genommen. Fortiter und sein Handelshaus Olivifer hatten all die Kriegs- und Besatzungsjahre lang die Truppen versorgt und auch manche Nachricht hin- und hergebracht. Nun freute er sich darauf, die Städte entlang der Donau, unter ihnen Carnuntum (Petronell-Carnuntum), Vindobona (Wien), Aquincum (Budapest) und Singidunum (Belgrad)einmal in Friedenszeiten zu besuchen und dort Handel zu treiben. Und da waren seine Kameraden von der legio XI Claudia, die nun in Durosturum (Silistra, Bulgarien) ganz im Osten der Donaugrenze stationiert war. Vielleicht würde er selbst nicht mehr alle diese Fahrten machen können, aber ganz bestimmt die nächste Generation des Handelshauses Olivifer. 26 Die Z Zeit de er gute n Kaise er Weihsteine für die Aufa anischen Müttter, hier Na achbildungen n in der Bonnner Rheinaue e Germania Inferio or, zur Ze eit Kaiser Trajans German nia Inferio or und Ge ermania SSuperior waren w röm mische Proovinzen; auf a der rechten n Seite en ntstand de er Obergerrmanisch-R Rätische Liimes. In B Bonn war nun n die legio I Minervia stationiert s t. Kaiser T Trajan (98--117) hatte e einen geewaltigen Feldzug gegen d die Daker unternomm men und s ie schließllich vernichtend gescchlagen. Auch A die german nischen Legionen I Minervia M un d XXX Ulpiia Victrix waren w beteeiligt gewe esen. Die ersste Genera ation unse erer Famil ie, Aliter und Pume ella Pulchrra in Bonn n sowie Aliters Halbbruder Nativo in Mailan nd, lebten n nicht mehr. Alle hatten no och die Rückke ehr Fortite ers aus de er Armee und seine e Heirat in n Nativos Familie in n Augst erleben n dürfen. Rubeus, R Offfizier in d der Hafenk kommandatur in Bon n, und seine Frau Nauticu ula lebten mit ihren n Kindern R Rubeus Min nor und Na auticula M Minor in de er „Villa Alaudae“. Nach dem d Ende des schre ecklichen Daker-Krie D gs konntenn Nauticula Minor und der Offizier Uvius U Pino von der le egio I Mine ervia endlic ch heirate n. 27 Ubi Ubi, ibi Gustatio (um 110) Während Kaiser Trajan, der Eroberer, weit im Osten des Reiches gegen die Parther zog, herrschte am Rhein und an der Donau Frieden. Fortiters Sohn war es vergönnt, in dieser Zeit zu leben. Eigentlich hieß er nach seinem Vater Fortiter Minor, aber da er überall unterwegs war, nannte man ihn bald „Ubiscumquus“ oder kurz „Ubi“. Auch er ging in seinem Geschäft auf und freute sich jedes Mal über die glücklichen Gesichter, wenn er seine Waren ablieferte. Wenn ihm die Segnung zuteil geworden war, den Rhein und die Donau zu einer Zeit des Friedens zu befahren, so dachte er, dann wollte er möglichst viele Menschen an dieser Segnung teilhaben lassen. Bald hieß es an vielen Orten: „Ubi Ubi, ibi gustatio“ - „Wo Ubi ist, da sind auch Leckereien.“ Dann spornte ihn noch mehr an. Vom heimischen Augst aus waren der Rhein und die Donau nicht weit. Wie früher Lucius Olivifer Nativo belieferte er die „Villa Alaudae“ in Bonn und fuhr dann weiter rheinabwärts zur CCAA, Xanten und Nimwegen, wo er einige Tage bei seinem Cousin Rubeus Minor verbrachte. Bis an die Mündung des Rheins waren die beiden gefahren, und hätte es nicht so gestürmt, wäre er am liebsten noch nach Britannien übergesetzt. Auch zum rechtsrheinischen Germanien gab es Beziehungen. Der Limes war keine undurchlässige Grenze, mit der sich das Römische Reich abschottete - solange sich germanische Händler ordnungsgemäß an den Wachtürmen anmeldeten und die Zollabgaben leisteten, durften sie im römischen Reich ihre Waren anbieten, u.a. Vieh, Schinken, Felle, Bernstein, Seifen, Haare, und Honig. Dann trafen sich Soldaten und Zivilisten, Römer und Germanen und es herrschte reger Betrieb. Honig mochte Ubi ganz besonders gerne, und den musste er immer mitbringen. Oft fuhr er auch die Donau hinab zum Legionslager Vindobona (Wien) in Pannonia Superior. Er mochte diesen Ort direkt an Donau. Da die Sicherung der langen Donaugrenze immer wichtiger wurde, baute man Vindobona zu einem logistischen Zentrum für die Donau-Armee aus. Kaiser Trajan gab Order, die Rheingrenze weiter zu befestigen, damit er Truppen vom Rhein an die Donau verlegen konnte. Schließlich kam die legio X Gemina von Nimwegen nach Vindobona. Schmunzelnd hatte Ubiscumquus die Legionäre betrachtet, wie sie nach getaner Arbeit in die Tavernen strömten und sich bei gutem Wetter einen Tisch draußen sicherten. Er wusste ja von seinem Cousin Rubeus Minor, wie wenig die Männer aus dem Süden das raue Wetter oben in Germania Inferior mochten – Pannonien war schon angenehmer für sie. Ubis Frau begleitete ihn oft. Sie wollte nicht ewig daheim in Augst auf ihn warten, während er den Rhein und die Donau bereiste. So kam es, dass sein Sohn Verenatus in an einem herrlichen Frühlingstag an der Donau auf die Welt kam. Bonn – ein schmuckes Städtchen am Rhein (um 120) Uvius Pino und Nauticula Minor bekamen drei Kinder, den Sohn Nautianus und die Töchter Lenticula und Fabicula. Uvius Pino nannte sie liebevoll seine „Legio Mama Victrix“. 28 Bonn lag an der römischen Rheintalstraße9, die am Rhein entlang von der CCAA über Bonn nach Koblenz und weiter nach Germania Superior führte. Das Städtchen blühte auf und bot bald allen Komfort. Im Zentrum gab es einen großen öffentlichen Platz, dazu Badegebäude, Tempel und sogar ein großes öffentliches Bad. Entlang der Rheintalstraße und ihrer Nebenstraßen lagen die römischen Häuser. Zumeist waren es lange, schmale Streifenhäusermit Steinsockel und Wänden in Fachwerkbau. Viele Häuser hatten zur Straße hin kleine Verkaufsläden, oder Werkstätten, dahinter lagen die Wohnräume. Germanische Hilfstruppen in Dakien (um 120) Auch Ubi kam oft und gerne nach Bonn, und wenn er konnte, blieb er einige Tage bei seiner Cousine Nauticula Minor und ihrer Familie. Als sein Söhnchen alt genug war, nahm er ihn manchmal mit. Dann tobte Verenatus mit Uvius Pinos und Nauticulas Kindern durch die „Villa Alaudae“. Er mochte auch Uvius Pino gerne und es imponierte ihm, dass der seinen Geburtsort Vindobona an der Donau kannte. Immer wieder bat er ihn, von der Donau zu erzählen, vor allem wollte er wissen, was hinter Vindobona käme. Uvius Pino aber brachte es nicht übers Herz, ihm zu erzählen, dass ein grausamer Krieg ihn an die untere Donau gebracht hatte. So sagte er nur: „Weißt Du, hinter Vindobona kommt Aquincum (Budapest), das ist beides in Pannonien, und dann beginnt schon die Provinz Moesien, hier fließt die Donau in das Schwarze Meer. Und ganz weit weg, jenseits von Moesien auf dem anderen Donauufer, liegt Dakien. Vielleicht wirst Du in einigen Jahren, wenn Du größer bist, einmal mit Deinem Vater hinfahren. Das würde mich freuen, denn dann könntet Ihr unseren germanischen Hilfstruppen dort, die so weit weg von ihrer Heimat ihren Dienst tut, etwas Leckeres mitbringen.“ Auch drei Legionen standen in Dakien. Eine solche Konzentration römischer Militärmacht bedeutete, dass man hier mit weiteren Kämpfen rechnete. Seit einigen Jahren standen auch ubische und batavische Hilfstruppen in Dakien. Pino kannte viele ubischen Soldaten, sie waren in die „Villa Alaudae“ gekommen und hatten sich von ihm, dem Veteranen des Dakerfeldzugs, Rat geholt. Für diese jungen Männer war der lange Dienst bei den Hilfstruppen ein Weg, regelmäßig Sold zu beziehen und für sich und ihre Nachkommen das römische Bürgerrecht zu erwerben. Uvius Pino wusste, dass in den Kämpfen an der Grenze die Hilfstruppen an vorderster Front standen, und auch wenn ihn die Erinnerungen an den Dakerkrieg immer noch schmerzten, wollte er ihnen möglichst viel von seinen Erfahrungen und Kenntnissen mit auf den Weg geben. Doch dem Jungen gegenüber behielt er all dies für sich. Er wünschte ihm und seinen Kindern aus tiefstem Herzen, dass sie Krieg nie erfahren müssten. So sagte er nur: „Ja wirklich, das wäre schön. Etwas Leckeres aus der Heimat, und vielleicht könnt Ihr auch Briefe mitnehmen. Dakien ist wirklich sehr weit weg.“ 9 Die Rheintalstraße gehört zu den frühesten Römerstraßen der Region und führte von Süden kommendüber die Legionslager Straßburg und Mainz, dann Koblenz in Germania Superior nach Remagen in Germania Inferior und weiter nach Bonn und zur CCAA. 29 Kaiser Hadrian am Rhein (121) Auf Kaiser Trajan folgte Hadrian, unter dessen Kommando die legio I Minervia im zweiten Dakerkrieg gekämpft hatte. Hadrian bereiste alle Provinzen und kam auch an den Rhein. Der Besuch des Kaisers war ein großes Ereignis. Viele Bonner standen am Rhein und winkten, als die Flotte des Kaisers vorbei fuhr. Unter ihnen waren auch Uvius Pino, Nauticula Minor und ihre Kinder. In der CCAA würde es sicher Festlichkeiten geben. Die Hauptstadt von Germania Inferior war inzwischen eine antike Weltstadt mit prächtigen Repräsentationsgebäuden und einer gewaltigen Stadtmauer, die mit Steinen vom Drachenfels gebaut worden war. Die CCAA hatte auch ein Amphitheater, doch für ihn, Uvius Pino, war das nichts. Er verabscheute die blutigen Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen zutiefst. Viele seiner Landsleute schauten ihn deshalb verständnislos an, doch niemand wagte eine Bemerkung. Man wusste um seine Leistungen als Centurio, und nie hatte er von seinen Leuten mehr verlangt als von sich selbst. Auch als Veteran hatte er seine Verdienste: Drüben bei den Steinbrüchen am Drachenfels hatte er einmal blitzschnell reagiert und mit einem gewaltigen Satz gleich zwei Männer zu Boden gerissen, als sich ein Block aus der Befestigung gelöst hatte und auf sie zugerast war. Die Männer hatten blaue Flecken, doch der Steinblock war an ihnen vorbei gerast. Nein, Uvius Pino musste niemandem etwas beweisen. Sein Sohn war fasziniert von der Rheinflotte. Das wunderte den Vater nicht, denn mütterlicherseits stammte er aus einer Schiffsführerfamilie, und er selbst war in Bordeaux, einer Hafenstadt aufgewachsen. Uvius Pino hoffte inständig für seinen Sohn, dass ihm schlimme Kriegseinsätze erspart bleiben würden. Vielleicht konnte er dazu beitragen, in einer Zeit des Friedens das Aufblühen der germanischen Provinzen mitzugestalten. Frieden .. am Abend legte Pino vor dem Weihestein der Aufanischen Mütter in seinem Peristyl einige Äpfel nieder. Hier an der Rheingrenze war Frieden und sein kleines Bonn blühte auf. Doch im Osten des riesigen Reiches, in Judäa, brodelte es, bald würde auch Kaiser Hadrian einen erbitterten, grausamen Krieg10 führen. Legio I Minervia in Britannien (um 122) Kaiser Hadrian entschied, anstelle weiterer Eroberungen die bestehenden Grenzen zu sichern. Er inspizierte alles genau und ließ die Rheingrenze weiter verstärken. Von Germania Inferior aus zog würde er weiter nach Britannien ziehen; dort ließ er gerade einen gigantischen Grenzwall11 errichten. Die Neusser legio VI Victrix würde mit ihm ziehen und auch eine Abordnung der legio I Minervia hatte Order bekommen, ihn zu begleiten. Unter ihnen war Lucianus, der mit Uvius Pinos Familie befreundet war und sie oft in der „Villa Alaudae“ besucht hatte. Nun kam er noch einmal zu einem Abschiedsbesuch. „Wir gehen ans nördliche Ende der römischen Welt“, sagte er, „einige meinen, dass hinter dem Nebel, dem Wald und dem Moor die Welt aufhört, aber das hat man ja 10 11 Der Aufstand unter Simon Bar Kochba (132-135) Hadrianswall 30 vor einiger Zeit auch von Germanien behauptet, und nun leben wir hier glücklich. Lass' es ruhig ein bisschen regnen und stürmen; mir wird schon nichts passieren. Aber Ihr und Eure gute Küche werdet mir in Britannien arg fehlen.“ Pino schmunzelte und schenkte ihm noch einmal Wein nach. „Wie lange werdet Ihr bleiben?“ fragte er. „Nun, die VI Victrix ist ganz nach Eburacum, auf einheimisch York, versetzt worden“, antwortete Lucianus, „der Kaiser braucht Verstärkung an der Nordgrenze. Dort kommt es immer wieder zu Gefechten mit den einheimischen Stämmen, den Briganten und weiter nördlich den Pikten. Die legio VIIII Hispana soll dabei untergegangen ist, aber wir wissen nichts Genaues, und ich will es auch nicht glauben. Aber der Kaiser lässt nun einen massiven Grenzwall bauen, dazu braucht er mehr Männer, und da wir viel Expertise haben, sollen auch unsere Fachleute mit.“ Uvius Pinos Familie verabschiedete ihn herzlich, sie alle würden ihn vermissen. Beim Hinausgehen rief ihm Lenticula noch nach, dass es bei seiner Rückkehr sein Lieblingsgericht geben würde. Exercitus Germaniae Inferioris (um 122) Ein Jahr später kam eine neue Legion, die legio XXX Ulpia Victrix, nach Xanten. Sie war von Kaiser Trajan, mit vollem Name C. Ulpius Traianus, für seinen Krieg gegen die Daker ausgehoben worden und nach ihm benannt. Fortan würde sie in enger Zusammenarbeit mit ihrer Schwesterlegion, der I Minervia in Bonn, das niedergermanische Heer (Exercitus Germaniae Inferioris) bilden. Schnell sprach sich auch bei den Männern der XXX Ulpia Victrix herum, dass es in der „Villa Alaudae“ in Bonn hervorragende Oliven und Olivenöl gab, und dass ihr Name an die frühere Xantener Legion V Alaudae erinnerte. Auch Generationen später waren der Tod der Legionäre und die Zerstörung des alten Lagers ein Trauma für die Römer. Man hatte ein neues Legionslager, mit lateinischem Namen Vetera II, erbaut. In seiner Nähe war eine neue Stadt Xanten entstanden, die Trajan zu einer Kolonie römischen Rechts, der Colonia Ulpia Traiana (CUT), erhoben hatte. Oft kamen Offizieren der XXX Ulpia Victrix nach den Stabsbesprechungen ins kleine Ladenlokal der „Villa Alaudae“, aßen etwas und unterhielten sich mit Uvius Pino. Gewiss mussten sie weiter die Rheingrenze sichern, doch in dieser Zeit des Friedens konnten man Bauprojekte in ganz Germania Inferior planen - von Voorburg im Norden, fast schon bei der Mündung des Rheins in die Nordsee, bis hinunter nach Remagen, ganz im Süden an der Grenze zu Germania Superior. Ein dicker Offizier der XXX Ulpia Victrix strahlte, als er eines Abends ankündigte, dass Xanten ein prächtiges Forum erhalten sollte. Auch Uvius Pino lächelte - gegenüber am Drachenfels gab es die richtigen Steine dafür. In der Eifel, im Brohltal und am Drachenfels wurden Steine gebrochen; auch Abordnungen der legio I Minervia arbeiteten oft in den Steinbrüchen. Nun würde der Veteran Uvius Pino drüben am Drachenfels einen Stand aufbauen und die Kost der Mannschaften aufbessern. „Wie Onkel Aliter früher“, sagte seine hochbetagte Schwiegermutter Nauticula, und dabei strahlte sie über das ganze Gesicht. 31 Frumentarii und die „Legio Mama Victrix“ (um 130) Kaiser Hadrian hatte auch merkwürdige Seiten. Seiner Meinung nach ließen es sich die Grenztruppen zu gut gehen; es hieß, dass ihm besonders die Gärten ein Dorn im Auge wären. „Dabei lässt sich der Kaiser in Rom eine herrliche Villa bauen“, dachte Uvius Pino, „im Daker-Krieg war er unser Kommandant, er kennt uns und weiß, dass wir fähig sind.“ Leider wurde der Kaiser auch immer misstrauischer. Schließlich ließ er seine Spione, die Frumentarii, alles und jeden bespitzeln. Eigentlich waren die Frumentarii für die Versorgung der Truppen mit Lebensmittel zuständig, aber nach und nach hatte sich auch diese Nebenbeschäftigung entwickelt. Leider gab es solche Leute auch in Bonn. Da war Gaius Discordans, ein Centurio der legio I Minervia, der sich immer wieder übergangen fühlte und darauf sann, sich hervorzutun. Wenn sich der Kaiser in Rom schon an den Gärten hier am Rhein störte, überlegte er, dann würde es ihn ganz bestimmt empören, dass die Leute der „Villa Alaudae“ die Arbeitstrupps in den Steinbrüchen sogar vor Ort verköstigten. Ein ums andere Mal kam er in die „Villa Alaudae“ und tat so, als wenn er die feinsten Oliven und das feinste Olivenöl kaufen wollte. Natürlich speiste ein hochgestellter Römer nicht in der Garküche, und in Anbetracht seiner Position fühlten sich Uvius Pino und Nauticula Minor verpflichtet, ihn standesgemäß zu bewirten. Schon bald spürten sie, wie Unbehagen in ihnen aufstieg. Bei einem weiteren Besuch sah Discordans die Amphoren und Körbe, die für den Transport zum Drachenfels am nächsten Morgen bereitstanden, und erkundigten sie eingehend danach. Jetzt hatten sie Gewissheit. „Wir müssen aufpassen, da stimmt was nicht“, raunte Uvius Pino seiner Frau leise zu, als Discordans gerade nach seiner Sänfte schickte. Auch ihre Kinder hatten Discordans gleich misstraut und ihn im Auge behalten. Diese letzte Bemerkung ihres Vaters hatten sie gehört. „Kommt“, sagte Nautianus zu seinen Schwestern. Schnell machte er sich an den Amphoren zu schaffen und achtete darauf, dass Discordans ihn beim Verlassen des Hauses dabei sah. „Du bist der Sohn, nicht?“ fragte der gönnerhaft. Nautianus nickte und sagte eifrig: „Ja, wir bereiten alles vor, damit es morgen schnell geht.“ Bevor sie zu Bett gingen, schlichen sich Lenticula und Fabicula in die Nähe der Amphoren und Körbe und vergruben dort einige Knochen für die Familienhunde Gioia und Gaudio, und zwar so, dass die beiden es mitbekamen. Dann gingen sie zurück in ihr Schlafzimmer. Mitten in der Nacht riss sie Gebell aus dem Schlaf. Die Schwestern liefen ans Fenster: Da waren Gioia und Gaudio, die eine schemenhafte Gestalt anbellten. Schon kam ihr Bruder mit einer Laterne und hob sie an - da stand Discordans, der sich eine Amphore schnappen wollte als Beweis, dass die „Villa Alaudae“ entgegen den Wünschen des Kaisers die Soldaten verweichlichte. Er wollte sich schnell wegschleichen, doch ihr Vater und einigen Männer waren schon herangeeilt und versperrten den Weg. „So“, sagte Uvius Pino streng, „Du hast also gedacht, dass Du uns mit dieser Amphore anschwärzen kannst. Lass' Dir eines gesagt sein – die Männer, die dort drüben am Drachenfels Steine brechen, arbeiten verdammt hart für Germania Inferior! So ist die Stadtmauer der CCAA entstanden, unser Lager, das Forum in Xanten und viel mehr! Und nun verschwinde!“ 32 Discordans kam nie wieder in die Villa Alaudae - die Schande, dass er sich von Kindern hatte hereinlegen lassen, war zu groß. Uvius Pino hingegen platzte vor Stolz über seine „Legio Mama Victrix“. Die Rheinflotte im Frieden (um 150) Entlang des Rheins lebten einheimische Germanen, Kelten und zugezogene Römer aus dem Mittelmeerraum. All diese Menschen waren zusammengewachsen und entwickelten ihre eigene Identität - nicht nur als zugezogene oder romanisierte Germanen und Gallier, sondern als selbstbewusste Einwohner von Germania Inferior und Germania Superior. Nautianus war nun Offizier der Rheinflotte, der Classis Germanica, und war die meiste Zeit auf einer Flussliburne unterwegs. Er hatte ein instinktives Verständnis für sein Schiff und die Gewässer und war so auch für die Schiffsbauer und Segelmacher in der Flottenbasis eine große Hilfe. Rheinabwärts ging es von Bonn über die CCAA, die Hauptstadt von Germania Inferior und Weltstadt am Rhein, das Legionslager und die prächtig ausgebaute Stadt Xanten, lateinisch Colonia Ulpia Traiana, bis hinauf in den Norden, wo sein Onkel Rubeus Minor mit seiner Familie lebte. Rheinaufwärts nach Remagen, Koblenz, Mainz, die Hauptstadt von Germania Superior mit dem Lager der legio XXII Primigenia, und Straßburg, wo die legio VIII Augusta stationiert war. In Friedenszeiten gehörte der Transport von Baumaterial aus den Steinbrüchen zu den Hauptaufgaben der Flotte, und oft zogen Arbeitskommandos der Classis Germanica aus, Steine zu holen. So kam Nautianus in dienstlicher Mission oft an den Drachenfels. Noch immer betrieb seine Familie dort bei den Steinbrüchen ihren Verpflegungsstand. Als kleiner Junge hatte er geholfen, und wenn er heute als Flottenoffizier mit seinen Leuten unterhalb der Steinbrüche anlegte, ging er selbst sich etwas holen. Heute war seine große Schwester Lenticula Chefin der „Villa Alaudae“, und sie machte das prima. Lenticula hatte den Offizier Lucianus geheiratet, der nach seinem Einsatz in Britannien zurück in Bonn war. Bei den beiden war der Familienbetrieb in den allerbesten Händen. Nautianus selbst hatte vor kurzem geheiratet. Die Dienstzeit der Flottenoffiziere war noch länger als die der Legionäre, und so sehr er sein heimatliches Bonn und die „Villa Alaudae“ auch liebte, wollte er auch als Veteran nicht nur an Land bleiben, dafür liebte er das Leben auf dem Rhein zu sehr. Als wenn er es gewusst hätte, schenkte der Rhein ihm schließlich seine Frau: Anike, ein junge Frau aus dem Norden Germania Inferiors, die er bei einem Besuch bei seinem Onkel Rubeus Minor in Nimwegen kennengelernt hatte. Ihr ging es wie ihm, sie liebte ihre Heimat und auch die ihres Mannes, und so pendelten sie zwischen Nimwegen und Bonn hin und her. Wenn Anike in der „Villa Alaudae“ war, bereitete sie ein ganz besonderes Gebäck zu - kleine Kügelchen, die sie Pofertiuli12 nannte. Bald waren sie eine weitere Attraktion der „Villa Alaudae“. Ganz im Süden von Nautianus‘ Route lag Augst, wo die Niederlassung des Handelshauses Olivifer zuhause war. Oft legte er seine Urlaubstage so, dass er einige Tage 12 gemeint sind Pofertjes 33 dort verbringen konnte, denn seit einiger Zeit lebte auch seine kleine Schwester Fabicula hier; sie hatte Verenatus, den Freund aus Kindertagen, geheiratet. Noch immer hatte die „Legio Mama Victrix“ eine enge Beziehung zueinander. Heute halfen sie den zahlreichen ubischen und batavischen Hilfstruppen an der unteren Donau, die Verbindung in ihre Heimat aufrecht zu halten. Lenticula in Bonn nahm Post der Angehörigen entgegen, Fabicula organisierte den Transport zwischen Bonn und Augst, auch Nautianus nahm wann immer es ging Sendungen mit. In Augst wurden die Sendungen auf ein Schiff der Donauroute des Handelshauses Olivifer gebracht, und in Viminacium an der unteren Donau übernahm ein zuverlässiger Handelspartner den Transport weiter nach Dakien hinein. Uvius Pino und Nauticula Minor, ihre inzwischen hochbetagten Eltern, waren überglücklich. 34 Bedrrohte Grenzen G n Ein römisccher Wachturrm im Wald Germania Inferio or und Germania Su uperior zu ur Zeit Kaiiser Marc A Aurels Die Ära a der Ado optivkaiserr, der „gu ten Kaiserr“ (96-160 0), war einne Zeit re elativen Frieden ns, die de em Römischen Reich h eine inne ere Erneue erung undd wirtschafftlichen Aufschw wung bracchte. Auch h Bonn erllebte eine Blütezeitt. Doch sc hon währe end der Regieru ungszeit Marc M Aurells (161-1800) begann der lange Abwehrkkampf dess Römischen Reiches. Im I Osten überfielen n die Parther das rö ömische A Armenien; an der Donau drängten Barbarenv völker in d die römischen Provin nzen Raetiien, Noricum und Pannon nien. Der Offfizier Uviu us Pino vo on der Leggio I Minervia und seine s Frauu Nauticula a Minor hatten lange Zeiit glücklic ch in ihrerr „Villa Allaudae“ ge elebt und ihre drei Kinder Lenticu ula, Nautia anus und Fabicula F aaufwachsen n sehen. Nautianus N w war mit Leib und Seele O Offizier de er Classis Germanica G a, Lenticula a führte die „Villa A Alaudae“ und u war mit ein nem Offiziier der leg gio I Minerrvia verheiratet, Fab bicula hattte mit Ve erenatus vom Ha andelshauss Olivifer geheiratett und lebtte mit ihm m in Augst.. Am Ende e seiner Dienstzzeit heirattete Nautiianus Anikke aus Nim mwegen und u gründeete mit ihr eine Familie e. 35 Bitten an die Aufanischen Mütter (um 158) Seit langem war der Kult der Aufanischen Mütter im Rheinland tief verwurzelt. Bonn war sogar zum Zentrum des Kults geworden und auch das römische Militär hatte ihn in seinen Festtagskalender übernommen. Nun, zur Zeit des Kaisers Antoninus Pius, war ihnen ein großes Zentralheiligtum erbaut worden. Es lag im Westen der Stadt an einer Biegung der Gumme. Weit über Bonn hinaus kamen Menschen hierher, um den Aufanischen Müttern zu danken oder ihren Schutz zu erbitten. Auch Fabicula kam regelmäßig nach Bonn und legte im Namen der ubischen Hilfstruppen im fernen Dakien dort einige Blumen nieder. An diesem Tag hatte sich Lenticula mit ihrem Ehemann Lucianus hierhin begeben. Da stand ein Weihestein für einen gefallenen Kameraden der legio I Minervia. Auch wenn Kaiser Antoninus Pius keine großen Kriege führte, kam es doch zu Aufständen in Randbereichen des riesigen Römischen Reichs. Eine Abordnung der I Minervia war nach Mauretania Caesarensis13 geschickt worden, um dort einen Aufstand niederzuschlagen; Kameraden waren in der Ferne gefallen und begraben worden. Unter ihnen war ein älterer Legionär, der oft auf einen Imbiss in die „Villa Alaudae“ gekommen war. Er hatte sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet, um Soldaten mit Familie die lange Trennung zu ersparen. Nun war er tot und lag irgendwo an den Gestaden des Mittelmeers begraben. „Ich weiß, Mauretania ist weit weg“, bat Lenticula leise, „aber vielleicht könnt Ihr helfen, dass sich dort in der Ferne Menschen auch um fremde Gefallene kümmern.“ Lucianus, ihr Mann, schwieg. Er selbst war in Britannien an der Nordgrenze des Reiches gewesen, am Hadrianswall, und auch nach seiner Rückkehr hatte er die Entwicklung dort verfolgt. Noch immer standen vier Legionen auf der Insel. Kaiser Antoninus Pius hatte die Grenze nach Norden verlegen lassen und einen zweiten Wall14 errichten lassen. Die neue Grenze war deutlich kürzer als der Hadrianswall, aber Rom hatte sie nicht halten können. Nun wurde die Grenze zurückverlegt und am Hadrianswall standen viele Reparaturen an. Wieder hatte man eine Abordnung der legio I Minervia nach Britannien beordert, und auch ihr Sohn Lucianus Minor war unter ihnen. Beide Eltern waren sehr besorgt, denn aus Britannien kam Kunde von einem Aufstand. Lucianus hatte die Feinde gegen die römischen Kastelle anrennen sein – wilde, bemalte Krieger, die alles und jeden niedermachen würden, wäre das römische Militär nicht zur Stelle. Doch er hatte auch von geldgierigen, korrupten Provinzbeamten gehört, die nichts um die ihnen unterstellten Menschen gaben – egal ob einheimische Britannier oder Römer. Kaiser Antoninus Pius war sicher ein rechtschaffener Mann, zahlreiche seiner Vertreter in den Provinzen waren es nicht. Doch vor Lenticula wollte er nicht davon reden. „Mach‘ Dir nicht so viele Sorgen“, sagte er, „unser Sohn ist bei den Bauingenieuren, die den Hadrianswall befestigen, bevor etwas passiert. Sie ziehen nicht in einen neuen Krieg.“ 13 Mauretania Caesarensis ist das heutige Mauretanien und Algerien, der Grabstein ist in Cartenna in Algerien 14 den nach ihm benannten Antoniuswall 36 Partherfeldzug (162-166) Schon wenige Jahre später fanden sich wieder viele Menschen am Heiligtum der Aufanischen Mütter ein und baten um Schutz für sich und ihre Lieben. Weit im Osten hatten die Parther15 das römische Armenien überfallen, es kam zum Krieg. Von überall her zog Kaiser Marc Aurel Truppen zusammen, die ganze legio I Minervia erhielt den Marschbefehl. Als die Legion aufbrach, standen viele Menschen am Lagertor, um ihnen Lebewohl zu sagen. Auch Nautianus, seine Frau Anike und seine Schwester Lenticula waren dabei. Er hatte gerade seinen aktiven Dienst bei der Flotte beendet und freute sich auf das Leben mit Anike. Lenticulas Sohn war noch immer in Britannien, und auch wenn keiner aus ihrer Familie mitzog, fühlten sie mit ihren Freunden und deren Familien. Gerade salbaderte ein Karriereoffizier aus Rom, der vor kurzem zur Legion gestoßen war, lautstark von einem überwältigenden Sieg und einem anschließenden Triumphzug in Rom. Er kannte die Trajanssäule, auf der Kaiser Trajan seinen Feldzug hatte verherrlichen lassen, und erhoffte sich wohl Ähnliches für diesen Feldzug. Nautianus schauderte es. Sein Vater Uvius Pino hatte ihm vom Dakerkrieg erzählt, von blutigen Kämpfen, Tod und Zerstörung und Jahren fern der Heimat. Nun zogen wieder Söhne, Brüder, Männer und Väter in einen Krieg am anderen Ende des riesigen Reiches. Die Pest (167) Bange Jahre für die Angehörigen und Freunde der Bonner Legionäre gingen ins Land. Ab und zu kamen Nachrichten von der Front im Osten des Reiches an den Rhein. Ein römisches Heer mit der legio I Minervia hatte Armenien für Rom zurückerobert, einige Soldaten waren bis zum Kaspischen Meer gekommen, und Mitkaiser Lucius Verus nannte sich bereits „Armenien-Sieger“. Aber von den Männern hatten sie nichts erfahren. Wieder stand Lenticula am Rheinufer. Da lagen jede Menge Steine am Kai, die eigentlich weiter transportiert werden sollten, doch nun machten die Menschen in Bonn daraus Grabsteine. Viele Männer der legio I Minervia waren nicht zurückgekommen, und die Heimkehrer waren von Krankheit und Angst gezeichnet. Die römische Armee im Osten hatte gesiegt, doch um welchen Preis! Ein anderes Heer hatte die parthischen Metropolen Ktesiphon und Seleukia am Euphrat erobert und den Königspalast dem Erdboden gleich gemacht, nicht einmal vor Tempeln hatten sie halt gemacht. Bald darauf war eine verheerende Seuche ausgebrochen beim Brandschatzen und Plündern hatten sich die römischen Soldaten infiziert. In den beengten Quartieren des Heeres, wo acht Männer sich ein Zelt teilten, verbreitete die Seuche sich rasend schnell, und auf dem Weg zurück über Athen schleppten die Legionäre sie mit ins Reich. 15 Seit den Tagen der Republik waren die Parther die großen Gegner der Römer im Osten. Kaiser Trajan war weit in den Osten vorgedrungen, die Parther schienen besiegt, doch bald schon waren die Kämpfe erneut ausgebrochen. Kaiser Hadrian entschied, diese Provinzen wieder aufzugeben, doch Armenien blieb umstritten. 37 In Rom triumphierten die siegreichen Kaiser. Doch nach dem Triumphzug der Truppen brach die Seuche auch in Rom aus und verheerte Italien und Spanien. Entlang der Rückwege der Soldaten und der Handelsrouten verbreitete sie sich weiter an den Rhein und bis hinauf nach Britannien. Es gab kein Heilmittel und auch die Verbreitung konnte nicht verhindert werden; in vielen Regionen starben unzählige Menschen einfach weg. In der Landwirtschaft wurden in diesen Regionen das Land nicht mehr bestellt, Ernten fielen aus und es kam zu Versorgungsengpässen oder gar Hunger. Man hörte schon von Massenfluchten in Ägypten, der Kornkammer des Reiches. „Was für ein bitterer Triumph“, dachte Lenticula. Nicht, dass sie überhaupt etwas davon hielt, besiegte Feinde vorzuführen, und die Spiele verabscheute sie wie ihr Vater. Jetzt machte die Seuche vor niemandem Halt, egal ob Feind oder Römer. Aufbruch an die Front (167) Am Ufer lag das Schiff ihres Bruders Nautianus vor Anker. Bald würde er ablegen und mit seinen Kameraden von der Flotte nach Süden fahren. Es war noch schlimmer gekommen: An der mittleren Donau hatten Barbaren in breiter Front die Grenze überrannt, die Wachposten niedergemacht und verwüsteten nun römisches Gebiet. Kaiser Marc Aurel zog alle verfügbaren Truppen und Flotteneinheiten an der Donau zusammen, auch Einheiten der legio I Minervia waren auf dem Weg. Nautianus war klar, dass es viel zu wenig waren, um die langgestreckte Grenze wirksam zu verteidigen. Doch die Donau als Hauptverbindungsweg durch die römischen Provinzen in Mittel- und Südosteuropa zum Schwarzen Meer war für das Reich lebenswichtig. Auch als Veteran konnte er jetzt nicht ruhig daheim bleiben. „Wir müssen dem Konvoi der Handelsschiffe Geleitschutz zu geben“, hatte er im Familienkreis gesagt, „und wir müssen wissen, was mit unseren Leuten ist - mit Lenticula und Verenatus in Augst, mit dem Stammhaus in Mailand, und den Freunden und Handelspartnern an der Donau.“ Doch es fiel ihm sehr schwer, sich von seiner Familie zu trennen. Anike und er hatten zwei Kinder, den Sohn Vigilius und die Tochter Rubula; sie würden nun bei Lenticula bleiben. Bevor er ablegte, nahm er sie noch einmal mit auf sein Schiff. „Schaut, unser Schiff ist sehr schnell und stabil, und unsere Männer an Bord sind tapfere Soldaten. Aber die Donau ist ein gewaltiger Fluss mit vielen gefährlichen Stellen.“ Vigilius wusste, worauf sein Vater hinaus wollte. Er schluckte, dann sagte er tapfer: „Deine Kameraden werden froh sein, dass ein so erfahrener Flottenoffizier wie Du dabei ist.“ „Und Onkel Verenatus und sein Sohn erst“, ergänzte Anike ebenso tapfer, „er fährt auch in dieser gefährlichen Zeiten die Donau hinab und bringt Mannschaften, Ausrüstung und Lebensmittel heran.“ Die kleine Rubula auf seinem Arm schmiegte sich an ihn. Nautianus schaute sie alle liebevoll an und nickte. „Fabicula leitet das Geschäft daheim, die Männer sind schon auf dem Weg an die Front. Von der Versorgung unserer Truppen hängt jetzt alles ab“, sagte er, „deshalb müssen wir mit der Flotte die Handelsschiffe auf dem Rhein und der Donau schützen.“ Er schwieg einen Moment, dann sagte er bewegt: „Lenticula und Ihr werdet hier in Bonn die Stellung halten. Ich weiß, Ihr schafft das.“ Als das Schiff ablegte, ahnte selbst der erfahrene Nautianus nicht, wie lange der Krieg dauern würde. 38 Markomannen-Kriege (167-180) Das Römische Reich steckte in einer tiefen Krise: Die Seuche hatte unzählige Menschenleben gefordert, auch Mitkaiser Lucius Verus war daran gestorben, es fanden sich kaum neue Männer für die Armee und der Kaiser hatte kein Geld, um seine Soldaten zu bezahlen. In dieser Notlage rekrutierte man sogar Straftäter, Sklaven und Gladiatoren. Doch die Katastrophe nahm ihren Lauf: Immer wieder griffen die Barbaren an, bereiteten der unerfahrenen römische Armee eine verheerende Niederlage und fielen sogar in Italien ein. Kaiser Marc zog entlang der Donau nach Norden ins Markomannen-Land. Acht Jahre dauerte der erbittert geführte Krieg, dann hatte die römische Armee die Feinde besiegt.16 Endlich konnte auch Nautianus zurück zu seiner Familie; in den letzten Jahren hatte er sie kaum gesehen. Auch zuhause am Rhein war einiges geschehen. Während der Kaiser an der Donau kämpfte, waren die germanischen Chauken aus dem Norden Germanias auf dem Seeweg in Gallia Belgica eingefallen. Der Statthalter hatte sie mithilfe der verbliebenen Teile des Heeres besiegen können. Lenticulas Sohn Lucianus Minor war mit dabei gewesen; ihr Mann hatte wegen seines hohen Alters nicht mitziehen können, doch darauf bestanden, sich im Lager um die Ausrüstung der Legion zu kümmern. Lenticula, Anike und Tochter Rubula hatten die Versorgung der Menschen daheim aufrecht erhalten. Nautianus‘ Sohn Vigilius war fast erwachsen und wollte wie sein Vater in die Flotte eintreten. Das war ein ehrbarer Weg, den er, als langjähriger Flottenoffizier, ihm nicht abschlagen konnte. Doch als Vater war er tief besorgt. Nach dem römischen Sieg waren nicht einmal friedliche Germanen verschont geblieben: Römische Legionäre hatten Dörfer überfallen, Frauen und Kinder versklavt und sogar Belohnungen für die abgeschlagenen Köpfe ihrer Feinde erhalten.17 Nautianus war entsetzt; so schürte man nur Hass. Schon wenige Jahre später brach an der Donaugrenze wieder Krieg aus. Seit einem Jahr war Vigilius bei der Flotte und übernahm mit seinen Kameraden den Schutz der Handelsschiffe. Der Vater wäre am liebsten wieder mitgefahren; nur die dringende Mahnung des Sohnes, dass nicht alle erfahrene Offizier wegziehen und Germania Inferior bei einem erneuten Angriff der Chauken schutzlos zurücklassen sollten, hatte ihn davon abgehalten. Immer neue Pestwellen verheerten das Reich, und auch das Stammhaus der Olivifers im italienischen Mailand wurde schwer heimgesucht; die Handelswege brachen zusammen. Mit dem Mut der Verzweiflung hielten Verenatus und Fabicula den Betrieb aufrecht und lieferten was sie auftreiben konnten an die Front. Bis zuletzt steuerte Verenatus das Legionslager Vindobona an und brachte Lebensmittel, obwohl schlimme Nachrichten von dort kamen. Doch wie konnte er in dieser schweren Zeit seine Landsleute und seine Geburtsstadt alleine lassen? Schließlich wurde auch er schwer krank, und man brachte ihn in ein Feldlazarett in Vindobona. Tagelang schwebte er zwischen Leben und Tod. Sogleich war Fabicula 16 17 In diesen Jahren in Feldlagern an der Front schrieb Marc Aurel seine „Selbstbetrachtungen“ Die Marc-Aurel-Säule zeigt solche Szenen 39 an sein Lager geeilt, und auch sein Sohn und Vigilius kamen so oft es ging. Endlich war Verenatus außer Lebensgefahr und schlief tief und ruhig. Ein Arzt trat zu ihm; er gehörte zur legio III Augusta, die aus Africa18 an die Donau kommandiert worden war. „Ich wünsche ihm von Herzen, dass er wieder ganz gesund wird“, sagte er, „er hat so viel für uns getan“. „Er liebt seinen Beruf“, antwortete Fabicula, „vor allem den Handel mit Oliven und Olivenöl. Doch durch die Pest und den Krieg ist fast alles bei uns zusammengebrochen“. Ein Lächeln glitt über die müden Züge des Arztes. „Oliven“, sagte er weich, „das lässt mich an zuhause denken. Daheim in Hadrumetum, das liegt südlich von Karthago, haben wir herrliche Olivenbäume und bestes Olivenöl.“ Er verstummte für eine kurze Zeit, war in Gedanken in seiner Heimat. Dann fuhr er fort: „Wenn Ihr wollt, könnte ich Euch da was vermitteln. Sofern wir diesen Krieg überleben und gesund zurückkehren. Aber versprecht mir, dass Ihr dann auch nach Aquincum (Budapest) liefert. Viele unserer Männer gehen nicht zurück, sondern werden in die legio II Adiutrix versetzt, nachdem so viele Legionäre gefallen sind. Sie sollen auch dort ein Stückchen zuhause haben.“ Fabicula lächelte. „Unseren Leuten ein Stückchen zuhause zu bringen, darin haben wir Übung“, sagte sie, „das versprechen wir gerne.“ Oliven aus Africa (um 180/181) Verenatus und Fabicula waren zurück in Augst und hatten auch ihren Sohn wohlbehalten wieder. Doch wie sollte es mit dem Handelshaus Olivifer weitergehen? Die Pest hatte das Haus zu schwer getroffen, als dass es alleine weiterbestehen und gar eine neue Handelsroute über das Mittelmeer nach Afrika aufbauen konnte. Der Patron in Mailand entschied, sein Haus in ein befreundetes Handelsunternehmen, das Al'Alio, einzugliedern, welches seinen Stammsitz in Lyon hatte und über Schiffe und Handelsrouten bis hinauf nach Germania Superior und Germania Inferior verfügte. Es war eine schwere Entscheidung, doch nur so konnten sie ihren Handel mit Oliven und Olivenöl weiter betreiben. Verenatus trug diese Entscheidung des Patrons mit. Fabicula und er würden in Augst wohnen bleiben, ihr Haus bliebe immer in der Familie, und ihr Sohn würde nach Lyon gehen und von dort aus den Handel weiter betreuen. Für Verenatus war nun jeder Tag ein Geschenk. Er ließ es sich nicht nehmen, zusammen mit seiner geliebten Frau Fabicula nach Africa zu reisen, um seinen Freund, den Arzt der legio III Augusta wiederzusehen und das Herkunftsland seiner neuen Waren kennenzulernen. Fast ergriffen ging er mit ihm durch die uralten Olivenhaine. Seit Anbeginn der römischen Zivilisation wurden die Olivenbäume dort als heilige Pflanzen verehrt, und die Oliven wurden gleich nach der Ernte in Lake konserviert. All dies hatte eine lange Tradition, in die sein Haus nun eintrat. Als er die ersten Oliven und die ersten Amphoren Olivenöl mit auf den Heimweg nahm, war er voller Zuversicht. Einige Wochen später brachten Verenatus und Fabicula die ersten Oliven aus Africa nach Bonn. Die Wiedersehensfreude war groß. Lange saßen Lenticula, Nautianus und Fabicula, die „Legio Mama Victrix“, zusammen am Rheinufer, genossen den Ausblick auf den Fluss und die Berge und beobachteten die Schiffe. An eben dieser 18 Die römische Provinz Africa umfasste große Teile des heutigen Algeriens, Tunesiens und Libyens. Hauptquartier der Legio III Augusta war Lambaesis in Algerien. 40 Stelle hatten sie als Kinder die Flottenparade Kaiser Hadrians auf dem Rhein gesehen. „Unser Junge ist schon auf dem Weg zu Al’Alio in Lyon, er wird dort mitarbeiten und unsere Handelspartner am Rhein und an der Donau betreuen“, sagte Fabicula, „und er wird sicher auch oft selbst zu Euch kommen.“ „Rubula wird die ‚Villa Alaudae‘ übernehmen“, sagte Nautianus lächelnd, „auch Anike und ich bleiben in der Nähe. Ich weiß doch, dass Ihr ohne ihre köstlichen Pofertiuli nicht mehr auskommt.“ Auch Lenticula lächelte schelmisch. „Mein Junge wird nicht mithelfen können“ begann sie, „im Gegenteil, wir werden Essen in sein Haus liefern müssen.“ Immer mehr Menschen von weit her kamen nach Bonn, um die Reihen der legio I Minervia wieder aufzufüllen; viele von ihnen kamen aus dem Osten. Als Veteran kümmerte sich Lenticulas Sohn Lucianus Minor um sie und half ihnen, sich in der fremden Umgebung schnell zurechtzufinden. Oft übte er mit ihnen und ihren Angehörigen auch Latein, so wie sich seine Frau um die Frauen und Töchter der Zugezogenen kümmerte. All dies ging besser bei einem leckeren Imbiss aus der „Villa Alaudae“. So war alles gut geregelt. „Erinnert Ihr Euch an damals, an Discordans?“ fragte Lenticula, „wenn der wüsste, dass wir nun auch noch ins Haus liefern!“ Sie alle kicherten, dachten an ihre unbeschwerte Kindheit am Rhein. Diese Zeit war lange vorbei, dennoch war heute kein Tag für Wehmut. Lenticula, Nautianus und Fabicula hatten ihre Lieben und sich gut durch die schweren Kriegsjahre gebracht- noch einmal hatte die „Legio Mama Victrix“ ihrem Namen alle Ehre gemacht. 41 Römiische Bürger B Ein klein ner römischer Gutshof Germania Inferio or und Sup perior zurr Zeit von Kaiser Co ommodus Die Zeiit Kaiser Marc M Aurelss war ein W Wendepun nkt in der Römischenn Geschich hte. Auf dem R Rückweg vom Parthe erfeldzug hatten diie Legione en die Pesst eingesc chleppt, unzähliigen Mensschen starrben. Dan nn überran nnten Gerrmanen unnd Sarmatten die Donauggrenze und d drangen bis nach Italien vorr. In zwei langen Krriegen konnte der Kaiser die Feind de zurückd drängen; d doch das Reich gerriet in einne schwere Wirtschaftsskrise. Sein n Nachfolg ger Comm modus (180 0-193) schlloss einenn Waffensttillstand und lie eß den Lim mes weiter verstärkken. Das Römische R Reich R war in die De efensive geraten n, und es nicht n genug Soldaten n, mehrere e Fronten zugleich z zuu verteidig gen. Auch ffür die Me enschen in n der „Villla Alauda ae“ in Bon nn und diie Handelssfamilie Oliviferr war es eine schwere Zeit gew wesen. Wä ährend derr langen K Kriegsjahre e hatten sie Tru uppen an der d Donau ugrenze un nterstützt und zuhau use in Bonnn und Augst den Betrieb b so gut es ging aufre echterhalte en. Die Pesst hatte das Handelshaus Olivvifer schwe er heimgessucht, Verrenatus wä äre fast gestorb ben, Hande elswege waren w zusaammengeb brochen. Schweren H Herzens ha atte der Patroniin Mailand d entschied den, sein H Haus in eiin größeres Unternehhmen, dass Al'Alio in Lyon n, einzuglie edern. Doc ch der Han ndel mit Oliven O ging weiter, nnun kamen sie aus Hadrum metum in der d römischen Provin nz Africa Proconsular P ris. Am End de ihres Lebens kam m die „Leggio Mama Victrix“ V no och einmaal in Bonn zusammen. Nun würd de die nä ächste Ge eneration übernehm men, unterr ihnen Vigilius, V Nautian nus‘ Sohn, wie der Vater V Offiziier der Flo otte. 42 Niederbieber - der Limes wird verstärkt (um 185) Kaiser Marc Aurel hatte Roms Feinde jenseits der Donau aufhalten können, doch er selbst hatte nicht überlebt; gegen Ende des Krieges war er im Feldlager an der Pest gestorben. Sein Sohn und Nachfolger Commodus schloss einen Waffenstillstand mit den Markomannen und ließ den Limes weiter verstärken. Germania Superior, Gallia Belgica und Raetien waren blühende Provinzen; hier gab es ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft. Die meisten Menschen im freien Germanien hingegen waren arm, und der Wohlstand in den römischen Provinzen weckte Neid. Direkt an der Grenze zu Germania Inferior, in Niederbieber, entstand auf der rechten Rheinseite ein neues großes Kastell, 1000 Mann sollten hier untergebracht werden. Vigilius und seine Kameraden von der Flotte transportierten ununterbrochen Baumaterial dorthin. Bei der gemeinsamen Arbeit hatte Vigilius sich mit Kameraden angefreundet, allen voran mit Fructo, der in einer teilberittenen Kundschaftereinheit, dem Numerus Eploratorum Germanicorum Divitiensium19, diente. Am Limes waren hauptsächlich Hilfstruppen stationiert; nach Niederbieber kamen der Numerus20 Brittonum mit vielen Menschen aus dem römischen Britannien und Fructos Einheit. Er war hier am Rhein, an der Südgrenze von Germania Inferior, groß geworden und kannte fast jeden Strauch auf beiden Seiten des Rheins. Vigilius hatte oft mit seinen Kameraden von den Hilfstruppen gegessen und festgestellt, dass ihr Essen doch arg einseitig war - meistens gab es Puls, einen Brei aus Zwiebel, Speck, angeröstetem Getreide und Mehl. Und so setzte er die alte Tradition seiner Familie fort: Wann immer er in Niederbieber zu tun hatte, brachte er Vorräte aus der Villa Alaudae mit; dann kamen zur großen Freude seiner Kameraden frische Oliven, Olivenöl, Käse und Früchte auf den Tisch. Zum Nachtisch gab es Pofertiuli, die seine Mutter Anike immer noch mit viel Liebe zubereitete. Er selbst war mit diesem köstlichen Gebäck groß geworden. Nun lachte er in sich hinein, als er sah, wie ausgewachsene Soldaten sich die Backen vollstopften und genussvoll aßen. Eines Abends saßen Fructo und Vigilius bei einem Glas Moselwein zusammen. „Mmhh, lecker“, meinte Fructo, „noch kein Vergleich mit den Qualitätsweinen aus Italien oder Gallien, aber es wird was mit dem Weinbau hier.“ Die meisten Soldaten, überhaupt die meisten Römer konnten nicht ohne Wein sein. Auch die Einheimischen waren schnell auf den Geschmack gekommen. Seit Beginn der Römerzeit am Rhein hatte man Wein importiert und dann an der Mosel in Gallia Belgica angefangen, Wein anzubauen. „Ob Du es glaubst oder nicht“, sagte Fructo in verschwörerischem Ton, „einige Leute, unter ihnen ein Cousin von mir, wollen auch hier am Rhein Wein anbauen.“21 „In dieser Region haben die Vorfahren meiner Familie, die Ubier, einst gelebt“, sagte Vigilius nachdenklich, „dann wurden sie von ihren Nachbarn fast aufgerieben und Agrippa siedelte sie auf dem linken Rheinufer an. Jetzt verstärken wir hier den Limes. Als Junge war ich oft mit zu den Markttagen im Limesgebiet und habe mich 19 die Germanische Aufklärungseinheit aus Deutz Numerus-Einheiten waren kleine, taktisch unabhängige Einheiten, die in Abstimmung mit den römischen Legionsstandorten die Grenzsicherung übernahmen 21 In der Tat gilt das Neuwieder Becken als "Wiege" des Weinbaus am Mittelrhein 20 43 jedes Mal auf den Honig aus Germanien gefreut, jetzt sehe ich nur noch wenige germanische Händler hier. Wein braucht lange, meinst Du, dass wir ihn wachsen sehen und vielleicht auch trinken können?“ „Viele teilen Deine Sorge“, meinte Fructo, „selbst Händler aus befreundeten Clans kommen kaum noch; dafür suchen immer mehr Germanen Arbeit bei uns. Wir wissen, dass andere Germanen hinzuziehen, die uns feindlich gesinnt sind22. Sie sind kaum in der Lage, Überschüsse zu erwirtschaften und Vorräte anzulegen, jede schlechte Ernte bringt Hunger, und jetzt wird auch das Klima noch rauer.“ Er schwieg eine Weile, dann sagte er: „Drüben im Barbaricum braut sich etwas zusammen. Wir können nur vorausplanen, unsere Leute sichern und leben. Und Du, Vigilius, bist gerade mal Mitte zwanzig, Du hast den Markomannen-Krieg und die Pest überstanden, nun freue Dich an jedem Tag des Friedens am Rhein.“ In den folgenden Jahren kam Vigilius oft nach Niederbieber, auch als das Kastell längst fertig war. Nach und nach lernte er Fructos große Familie kennen. Unter ihnen war auch eine junge Dame namens Viticula, die er auf Anhieb mochte und nach seiner Dienstzeit heiraten wollte. Nun würde er mit einer jungen Frau aus der Gegend, aus der seine Ursprungsfamilie einst über den Rhein gekommen war, eine neue Familie gründen, und darauf freute er sich sehr. Mit einem Bein an der Rhône, mit dem anderen am Rhein (um 197) Noch einmal brachte eine neue Kaiserdynastie, die Severer, eine Stabilisierung. Septimius Severus (193-211) war der erste Kaiser, der nicht der alten senatorischen Elite Roms entstammte, er wurde noch nicht einmal in Rom zum Kaiser ausgerufen. Septimius Severus kam aus Leptis Magna in Nordafrika, seine Muttersprache war Punisch, und seine zweite Frau Julia Domna stammte aus dem Hochadel Syriens. In Bonn verehrte man das severische Kaiserhaus. Im Bürgerkrieg nach dem Tod des verhassten Commodus 193 hatte sich die legio I Minervia sofort auf Severus‘ Seite geschlagen - gegen Pescennius Niger, den Truppen in Syrien zum Kaiser ausgerufen hatten. Einen anderen Thronprätendenten, Clodius Albinus in Britannien, konnte Septimius Severus erst einmal hinhalten, indem er ihm die Nachfolge auf dem Thron versprach. Severus siegte und nahm Rom ein. Bald darauf wurde Albinus klar, dass der Kaiser nicht daran dachte, ihn an der Macht zu beteiligen. Wieder brach Krieg aus. Anfang 197 kam es in der Nähe von Lyon zu einer blutigen Schlacht, in der Albinus unterlag und am Ende umkam. Auch Soldaten der legio I Minervia hatten in Lyon gekämpft. Nach seinem Sieg brauchte der Kaiser dort Männer, auf die er sich verlassen konnte, und verlegte auch Einheiten der I Minervia dorthin. Für viele war das Grund zur Freude, vor allem für die Legionäre, die aus Gallien stammten und sich als Veteranen gerne dort niederlassen wollten. Andere freuten sich nach den Jahren im Städtchen Bonn an der Rheingrenze auf etwas Abwechslung in der gallischen Weltstadt Lyon. Für Vigilius‘ Familie bedeutete es, Abschied zu nehmen. Seine Schwester Rubula war mit Silvanus, einem Offizier der legio I Minervia, verheiratet. Er stammte aus Südgallien und würde nun mit nach Lyon gehen. Auch für ihn war das nicht einfach 22 Äußerst aggressive Elbgermanen 44 - seine Heimat war Gallien, seine Liebe Rubula hatte er in Bonn gefunden. „Nun stehe ich mit einem Bein an der Rhône und mit dem anderen am Rhein“, sagte er. Rubula wollte sich und ihnen allen Mut machen. „Papa und Mama mussten doch auch mit langen Trennungen fertig werden, und mein Großvater Uvius Pino stammte aus Bordeaux.“ „Ich bringe Euch“, sagte Vigilius entschieden, „wir fahren über den Rhein, dann die Mosel und die Rhône hinab.“ Rubula strahlte, und ihr Mann drückte seinem Schwager dankbar die Hand. „Was wird aus der ‚Villa Alaudae‘?“ fragte Rubula. Sie hing an dem Familienunternehmen, das sie in den letzten Jahren gut durch eine Umbruchsphase gesteuert hatte. Vigilius erinnerte sich noch gut an den Tag, als Verenatus und Fabicula mit den ersten Oliven aus Africa nach Bonn gekommen waren. Damals lagen die Markomannen-Kriege gerade hinter ihnen und die Pest hatte das Reich verheert. Verenatus wäre fast daran gestorben und das Handelshaus war so schwer heimgesucht worden, dass es alleine nicht weiter bestehen konnte und in ein größeres Handelsunternehmen, das Al’Alio in Lyon, eingegliedert worden war. Auch ihr Cousin war dorthin gegangen, und so ließ sich der neue Handelsbetrieb gut an. In der „Villa Alaudae“ gab es nun eine köstliche kulinarische Mischung: Oliven und Olivenöl aus Africa und dem Mittelmeerraum und andere mediterrane Spezialitäten ebenso wie die Pofertiuli ihrer Mutter Anike und andere einheimische Gerichte. Bisher hatte Rubula die Leitung innegehabt, und noch lebte Vigilius‘ Liebe Viticula noch nicht bei ihnen. „Dann werden Viticula und ich eben vor dem offiziellen Ende meiner Dienstzeit heiraten“ sagte Vigilius trocken. „Und wenn die Lage in Lyon einigermaßen stabil ist, werde ich mich mit um die Logistik kümmern“, sagte sein Schwager Silvanus, „Al’Alio ist ja in Lyon, und Kaiser Septimius Severus, der selbst aus der Provinz Africa stammt, fördert den Handel mit seiner Heimat nach Kräften. Das sollte schon so gehen. Dann werden wir auch oft hier sein.“ Constitutio Antoniana – Römisches Bürgerrecht (212) Wer um das Jahr 212 nach Bonn kam, sah fast überall freudige Gesichter, viele Häuser und Straßen waren geschmückt, und auch Schiffer auf den Rhein bliesen in ihrer Hörner. Kaiser Caracalla (211-217) hatte mit der „Constitutio Antoniana“ allen Freien das Römische Bürgerrecht geschenkt. Auch die Menschen in Bonn waren nun römische Staatsbürger. Caracalla, bei der alten Elite in Rom und bei vielen Menschen wegen seiner Grausamkeit verhasst, bevorzugte die Soldaten. Er hob den Sold an und gestattete ihnen, schon während ihrer Dienstzeit zu heiraten. Endlich hatten die römischen Autoritäten ein Einsehen: die Soldaten durften mehr Zeit mit ihren Familien in den Lagerdörfern verbringen. Dafür bekam das Römische Reich etwas zurück, denn auch als Veteranen blieben die Soldaten oft ihrem alten Stationierungsort treu. Vigilius war nun Veteran der Flotte, er lebte mit Viticula und den beiden Kindern Vitus und Uvilla in der „Villa Alaudae“. Er freute sich für seinen Kameraden Fructo von den Hilfstruppen, der durch die Verordnung des Kaisers römischer Bürger wurde. Wenige Jahre vor dem Ende seiner Dienstzeit machte ihm eine alte Verletzung arg zu schaffen, doch erst nach einer langen Dienstzeit hatte man bisher das Bürgerrecht bekommen. Nun konnte er mit allen Ehren aus dem aktiven Dienst bei den Hilfstruppen ausscheiden und sich ganz offiziell mit seiner Liebe und 45 seinem kleinen Sohn Florens auf dem Hof ihrer Familie niederlassen. Dort würde er auch Polizeiaufgaben wahrnehmen. Auch im Kastell Niederbieber und dem umgebenden Vicus feierten die Menschenden Erlass des Kaisers. Als Vigilius mit seinem Sohn Vitus zu Besuch kam, war alles festlich geschmückt. Die Schwerter und Schilde blinkten, und die Feldzeichenträger reckten stolz ihre Feldzeichen in den blauen Himmel. Auf einmal zupfte Vitus seinen Vater am Ärmel und zeigte auf etwas. Vigilius folgte seinem Blick. Zwischen all den römischen Feldzeichen leuchtete ein feuervergoldeter Drachenkopf, sein Körper aus Stoff flatterte im Wind. „Das ist eine Dracostandarte23“, sagte er, „sie ist noch selten und etwas ganz Besonderes in unserem Heer.“ Und dann erzählte er: „Weißt Du, das Römische Reich ist riesig, und die Soldaten kommen aus vielen verschiedenen Ländern. Diese Drachenreiter sind Sarmaten, sie stammen von der unteren Donau. Viele von ihnen sind in Britannien24 stationiert, und einige sind jetzt auch hier am Rhein.“ Vigilius fühlte eine tiefe Freude in sich aufsteigen. Hier, am Rande des Römischen Reiches, erlebte er auf kleinem Raum dessen ganze Vielfalt, und das faszinierte ihn immer wieder. Hierhin brachten die vielen Soldaten aus vielen verschiedenen Ecken des riesigen Reiches ihre Sprache, ihre Kultur und ihre Leckereien mit; hier trafen sich römische Kultur und einheimische Traditionen. Dann sagte er fast träumerisch: „Der Drache ist wunderschön, nicht?“ Vitus gab keine Antwort, aber auch er würde die Dracostandarte nie vergessen. Fructos Hof (um 215) Fructos Gutshof lag an der Rheintalstraße zwischen Bonn und Remagen, von seinem Fenster aus sah er in der Ferne den Drachenfels und die anderen Berge. Die römischen Autoritäten sahen es gerne, dass sich Veteranen an der Rheintalstraße ansiedelten und auch Polizeiaufgaben wahrnahmen. Der Hof gedieh prächtig. Fructos Sohn Florens bekam bald eine Schwesterchen und weitere Geschwister, die oft mit Vigilius‘ Kindern über den Hof tollten. An diesem Tag war Vigilius wieder zu Besuch bei seinem Freund. „Erzähl‘ mal, wie geht’s Dir denn so als Veteran?“ fragte Fructo. „Ganz gut“, meinte Vigilius, und das stimmte ja auch. Viticula und er führten die „Villa Alaudae“, seit seine Schwester Rubula vor einigen Jahren mit ihrem Mann Silvanus nach Lyon gegangen war. Dessen Wunsch war in Erfüllung gegangen: nachdem sich die Lage stabilisiert hatte, war er Verbindungsoffizier zwischen Bonn und Lyon geworden und viel zwischen beiden Städten unterwegs. Und da auch das Handelshaus Al’Alio in Lyon war, konnte er die Sendungen für Bonn gleich dort in Auftrag geben. „Wann immer Silvanus und Rubula nach Bonn kommen, bringen sie selbst einige Amphoren mit, das lassen sie sich nicht nehmen“, lachte er, „und jedesmal freuen sie sich wieder über die glücklichen Gesichter.“ Er nahm noch einen Schluck, dann sagte er lächelnd: „Manche Dinge ändern sich eben nicht, dasselbe hat schon Großmutter 23 Gemeint ist die berühmte Dracostandarte aus Niederbieber Das legt der Film „König Artus“ nah. Von den 6.500 von den Sarmaten zu stellenden Soldaten gingen alleine 5000 an die Nordgrenze des Reiches in Britannien. 24 46 Nauticula Minor von ihrem Großvater Aliter und ihrem Großonkel Olivifer Nativo, den Begründern unseres Hauses, berichtet.“ Fructo nickte zufrieden. „Und jetzt hab‘ ich noch eine Neuigkeit für Dich“, fuhr Vigilius mit einem verschmitzten Lächeln fort, „Du weißt ja, die Abordnungen der legio I Minervia sind aus Lyon zurück, aber Silvanus stammt aus Gallien und hat sich mit Rubula dort niedergelassen. Und rate mal wo genau, auf einem Weingut! Beim nächsten Mal werden sie uns ihren eigenen Rotwein aus Gallia Lugdunensis mitbringen!“ Vigilius strahlte über das ganze Gesicht. „Und noch was“, sagte er, „Silvanus hat uns schon dorthin eingeladen, und er bietet an, dass Leute aus Eurer Familie, die dort drüben auf der anderen Rheinseite Wein anbauen, auf ihrem Gut lernen können. Viticula kann es kaum erwarten und ist schon drüben und berichtet ihrer Familie. Auch Uvilla will unbedingt mit!“ Beide schauten hinüber zu Vigilius‘ kleiner Tochter, die mit ihrem Bruder Vitus und Fructos Kindern spielte. Die Freundschaft der Väter setzte sich bei den Kindern fort; Vitus und Florens waren wie Brüder. Vitus wollte wie er Flottenoffizier werden, Florens, der nun auch ein kleiner römischer Bürger war, wollte in die legio I Minervia eintreten. Uvilla würde einmal die „Villa Alaudae“ übernehmen. Vigilius ging das Herz auf. Als er klein war, herrschte Not: das bange Warten auf die Rückkehr der Soldaten aus dem Partherkrieg, die Pest, der Vater Nautianus, der als Veteran noch einmal an die Front zog, um die Handelsschiffen Geleitschutz zu geben. Nun herrschte Frieden an der Rheingrenze, die ubischen und batavischen Hilfstruppen waren von der unteren Donau zurück, und er hoffte innig, dass diese nächste Generation in Frieden leben konnte. Besuch aus Straßburg (um 220) Nun, da Geld in die Provinzen kam, wurden Straßen gebaut, Gutshöfe erweitert und erneuert. Auch in Bonn wurde viel gebaut: Tempel, ein Forum und auch Werkhallen und neue Stichstraßen zum Rhein. Vigilius war außer sich vor Freude - nicht nur die Bonner legio I Minervia, sondern auch die Classis Germanica, seine Rheinflotte, baute eine große Werkhalle am Rheinufer mit einer Großküche und einem Backofen! Fast täglich schaute er bei der Baustelle vorbei. Seit Generationen hatte die „Villa Alaudae“ geholfen, die eintönige Kost der Arbeitstrupps in den Steinbrüchen am Drachenfels aufzubessern, er selbst hatte auch den Hilfstruppen in Niederbieber immer etwas mitgebracht. Nun konnte er das mit „seiner“ Flotte im Rücken noch viel effizienter machen! Ganz besonders freute ihn auch, dass das Heiligtum der Aufanischen Mütter instand gesetzt wurde. Er war oft da und brachte Verpflegung für die Männer, die dort arbeiteten. Viele Menschen von nah und fern kamen hierher und baten die Muttergöttinnen um ihren Schutz. An diesem Tag war Silvius, ein Centurio der legio VIII Augusta aus Straßburg, in Bonn. Vigilius hatte ihn abends zu sich in die „Villa Alaudae“ eingeladen. Während seiner aktiven Zeit hatte er oft in Straßburg angelegt; er mochte die Stadt in Germania Superior mit ihrer gallo-römischen Prägung und freute sich darauf, Neuigkeiten zu hören. „So guten Wein wie bei Euch haben wir hier noch nicht“, begann er während er einschenkte, „nun erzähl‘ mal, was bewegt Dich, hierher zu 47 kommen?“ „Viele unserer Leute haben eine enge Bindung an den Rhein und Germania Superior“ antwortete Silvius, „sie möchten sich nach ihrem aktiven Dienst hier niederlassen und Familien gründen. Deshalb möchte ich stellvertretend für sie den Matrones danken dafür, dass es hier an der Grenze noch ruhig ist und bitten, dass es noch lange so bleibt.“ Unten im Südwesten, in den Agri Decumates zwischen Rhein und Donau, war eine neue große Germanengruppe aufgetaucht, die Germania Superior und Raetien bedrohte. „Kaiser Caracalla hatte sich zu einem Präventivschlag entschlossen und selbst seine Truppen ins Barbarenland jenseits des Limes geführt“, fuhr Silvius fort, „unsere legio VIII Augusta und die XXII Primigenia aus Mainz waren mit dabei. Erst einmal haben wir denen blutige Nasen verpasst und ich hoffe, dass sie nun Ruhe geben. Der Kaiser ist nach Rom zurück und triumphiert, danach will er in den Osten gegen die Parther ziehen.“ „Ihr müsst nicht mit?“ fragte Vigilius. Abordnungen der Legionen I Minervia und XII Primigenia hatten in den Partherkriegen von Caracallas Vater Septimius Severus gekämpft. „Nein“, sagte Silvius, und er klang erleichtert, „das will Kaiser Caracalla mit den mesopotamischen Legionen, die sein Vater aufgestellt hatte, schaffen.“ Er schwieg eine Weile, nahm noch einen Schluck und sagte dann: „Das ist auch ein Grund, dankbar zu sein. Weißt Du, ich möchte am Rhein alt werden.“ Finno und Puella (um 225) Als Vigilius wieder einmal bei Fructo zu Besuch war, sah er zahlreiche germanische Arbeitskräfte auf dem Landgut. „Ja“, erläuterte Fructo, „immer mehr kommen jetzt 'rüber ins römische Reich, um als Feldarbeiter zu arbeiten. Auch ein germanischer Händler ist heute hier, wir werden uns wohl zusammentun. Finno, komm‘ doch mal her!“ Auch Vigilius kannte ihn. Finno, ein Original unter den germanischen Händlern, hatte immer ganz besonders leckeren Honig und prächtiges Streuobst von der anderen Rheinseite mitgebracht. „Ach wisst Ihr“, sagte Finno traurig, „drüben auf der anderen Seite hat sich vieles geändert. Es ziehen immer mehr fremde Menschen hinzu. Die Männer sind rücksichtloser, rauer als wir. Nicht, dass wir nicht auch hart arbeiten und für Haus und Hof kämpfen würden, aber sie sind eher bereit, sich mit Gewalt etwas zu nehmen. Mein Mädchen und ich, wir werden wohl ..“ Fructo und Vigilius lächelten. Mit dem „Mädchen“ war Finnos Eselin Puella gemeint. „Komm, Du weißt, dass Puella in die Jahre kommt“, sagte Fructo freundlich, „Ihr solltet nicht mehr so weite Touren machen, und sei versichert, dass Ihr bei uns immer willkommen seid.“ „Wo genau ist Dein Zuhause“, fragte Vigilius. Finno zeigte auf die andere Seite. „Nicht weit hinter diesen Bergen dort! Von da hab' ich Euch das schöne Streuobst mitgebracht!“ „Na siehst Du“, sagte Fructo, „wenn es wirklich brenzlig wird, dann kommst Du her. Von hier hast Du einen herrlichen Blick.“ Der Limes beginnt zu wanken (um 231) Einige wirre Jahre waren ins Land gegangen. Kaiser Caracalla war 218 ermordet worden. Im anschließenden Machtkampf hatte die legio I Minervia Elegabal aus der Familie der Severer unterstützt und dafür den Namenszusatz Antoniniana bekom- 48 men. Doch Elegabal galt als verkommen, und wenig später wurde auch er ermordet. Nun wurde Alexander Severus (222-235) auf den Thron gehoben, ein Knabe noch, der völlig unter dem Einfluss seiner Mutter Julia Mamaea stand. Dennoch kehrte in den ersten Jahren seiner Regierung wieder etwas Ordnung ein. Doch dann kamen beunruhigende Nachrichten aus dem Osten des Reiches. Dort hatten die persischen Sassaniden 226 das Partherreich erobert, und Rom hatte einen neuen, mächtigen Gegner. 230/231 verwüstete ein persisches Heer die römische Provinz Mesopotamien; auch Syrien und Kappadokien waren bedroht. Alexander Severus musste in den Krieg ziehen und reiste im Frühjahr 231 mit Julia Mamaea nach Osten. Für diesen Feldzug zog er Truppen aus dem Westen ab; auch Einheiten der Mainzer, Xantener und Straßburger Legionen mussten mit – auf die Gefahr hin, ihre Regionen fast schutzlos zurückzulassen. Fructo war Veteran, nahm aber weiter seine Polizeiaufgaben an der Rheintalstraße wahr. Er war tief besorgt. Umherziehende Räuberbandendrangsalierten die Menschen; Schmuggel und Korruption breiteten sich aus. „Der Kaiser hat zu viele Legionen vom Rhein in den Osten kommandiert“, dachte er, „er stammt ja von dort. Aber die meisten einfachen Soldaten haben tiefe Wurzeln geschlagen und wollen auch nach ihrem aktiven Dienst hier mit ihren Familien leben.“ An seiner Seite war sein Sohn Florens. Als römischer Bürgerhatte gleich in die legio I Minervia eintreten können, und hatte schon nach kurzer Zeit seine Versetzung an diesen Außenposten an der Rheintalstraße bekommen. Nun wurde jeder Mann gebraucht, und Florens war mit den Aufgaben und der Gegend bestens vertraut. Finno, der germanische Händler, lebte mit seiner Eselin Puella nun auf Fructos Hof. „Als Gärtner“, wie er betonte, denn ein Gnadenbrot wollte er nicht. Beide, Herr und Tier, fanden schnell Anschluss, und schon bald wuchsen prächtige Pfirsiche, Pflaumen, Zwetschgen, Birnen und Äpfel im Obstgarten, und Fructos Familie wuchs mit dem fröhlichen Wiehern Puellas und der anderen Esel auf. Nur manchmal, wenn er sich unbeobachtet glaubte, blickte Finno sehnsuchtsvoll auf die andere Rheinseite hinüber, wo sein Zuhause war. Ob je wieder Frieden herrschen würde? In Bonn stellte sich Vigilius‘ Familie dieselbe Frage. Vitus war seit kurzem Flottenoffizier wie sein Vater und kam gerade aus dem Norden Germania Inferiors, der Heimat seiner Mutter Anike, zurück. Auch von hier wurden immer wieder Überfälle gemeldet, doch das römische Militär konnte sie bislang abwehren. Gerade erst hatte die legio I Minervia drüben auf der anderen Rheinseite germanische Plünderer besiegt. Man hatte einen Siegesaltar auf dem Kampfplatz errichtet; das war dem Statthalter und den Legionskommandeuren offenbar sehr wichtig. Besorgt sagte Vigilius zu seinen Kindern: „Ich hatte so gehofft, dass Eurer Generation Krieg erspart bleibt. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Wenn noch nicht einmal die unmittelbare Nähe eines großen Legionslagers die Germanen abschreckt, sind auch wir nicht mehr sicher.“ 49 Das R Reich in i der Krise Kaiser Maximinus Thrax T führtee seine Trupp pen tief in germanischess Gebiet Germania Inferio or und Germania Su uperior, zu ur Zeit de er Soldaten nkaiser Kaiser Caracalla hatte mitt der „Con nstitutio Antoniana“ allen Freiien das Rö ömische Bürgerrrecht gescchenkt. Doc ch der Lim mes begann n zu wanke en. Jenseitts der Grenze, im Barbariicum, warren fremd de Elbgerm manen zug gezogen, die Rom feindlich gesinnt waren. Die Situa ation versc chärfte sicch, als Kaiiser Alexander Seveerus Truppen vom Rhein a abzog, um im Osten gegen eine en neuen Feind, F die Sassanidenn, zu kämp pfen. Vigiliuss, Offizier der Classis Germaniica, hatte mit seinen n Kameradden immer wieder Steine für die Ve erstärkung des Limess und insb besondere den Neubaau des Kasstells in Niederb bieber tra ansportiertt. Dabei haat er eine e enge Fre eundschaftt geschlosssen mit Fructo,, einem Offizier O de er Hilfstru uppen. Na ach seinem m aktiven Dienst ließ sich Fructo mit seine er Familie e auf eine em Gutsho of an der Römischeen Rheinta alstraße nieder und übernahm do ort auch Polizeiaufg gaben. Sc chon bald nahm err einen german nischen Hä ändler mit seinem Essel bei sich h auf. Vigilius lebte m mit seiner Familie in der „ „Villa Alau udae“. Die Fre eundschaftt der Vätter setzte sich auch h bei ihre en Söhnenn fort; Vittus und Florenss wuchsen miteinand der auf un nd waren ein e Leben lang unzeertrennlich h. Ihren Vätern war es vergönnt, de en folgende en Aleman nnensturm nicht mehhr zu erleb ben. 50 Raubzüge der Alemannen (233-234) 233/234 drangen die Alemannen über den Limes, brannten Kastelle nieder und fielen in Germania Superior und Raetien ein. Die Landgüter der Römer wurden überfallen, die Menschen grausam gefoltert, erschlagen oder versklavt, die Gebäude geplündert und angezündet. Als endlich Verstärkung kam, war es längst zu spät. Die Helfer sahen sie nur noch Tod und Zerstörung, niedergebrannte Höfe und verzweifelte Menschen. Auch die Menschen in Bonn fühlten mit ihren Mitbürgern im Südwesten und waren sehr besorgt; man musste mit weiteren Überfällen rechnen. An diesem Tag war Florens bei Vitus und seiner Schwester Uvilla in der „Villa Alaudae“. „Auch unsere Mitbürger aus dem Osten sind besorgt“, sagte Uvilla, „von den Sassaniden haben sie nur gehört, aber was sie gehört haben, ist schlimm genug. Die Sassaniden haben die Parther gestürzt und wollen nun ein neues persisches Großreich errichten. Unsere Mitbürger fürchten um ihre alte Heimat und haben Angst, dass es ein langer Krieg wird und immer wieder Truppen von hier in den Osten abkommandiert werden.“ „Das schwächt unsere Grenzverteidigung noch mehr“, sagte Florens mit düsterer Miene, „die Besatzung der Limeskastelle allein kann große Raubtrupps nicht aufhalten, und die Legionsstandorte in Mainz und Straßburg sind durch Truppenverlegungen an den Osten unterbesetzt. Wenn die Barbaren einmal durch sind, hält sie in Gallien bis hinab nach Italien keiner mehr auf.“ „Irgendwann müssen sie zurück über den Rhein, und dann kriegen wir sie“, sagte Vitus entschlossen. Die schlimmen Nachrichten erreichten Kaiser Severus Alexanders Heer in Lager von Antiochia nach einem verlustreichen Feldzug. Sie brachten die Soldaten aus den germanischen Provinzen noch mehr gegen ihn auf. Schnell traf er ein unsicheres Abkommen und brach den Feldzug ab. Noch immer stand er ganz unter dem Einfluss seiner Mutter und wurde von der Truppe wenig respektiert. In der zweiten Jahreshälfte 234 oder Anfang 235 eilte der Kaiser mit seiner Mutter nach Mainz. Mit einigen Legionen zog der Kaiser auf einer Pontonbrücke über den Rhein. Doch dann scheuten er und seine Mutter den Kampf und boten sogar den Germanen große Summen an, damit sie Frieden hielten. Für viele Soldaten war nun das Maß voll. Ein Teil des Heeres meuterte – unter ihnen die Mainzer legio XII Primigenia – und erhoben den Offizier Maximinus Thrax zum Kaiser. Niemand wollte für den Kaiser und seine Mutter kämpfen, seine Soldaten liefen zum Gegner über. Julia Mamaea und Severus Alexander wurden im März 235 in ihrem Zelt im Feldlager ermordet. Maximinus Thrax‘ Gegenschlag (235) Einige Jahre lebte der germanische Händler Finno nun schon auf Fructos Hof. Er hatte es nicht bereut, es gab viel für ihn zu tun. Auch die Eselin Puella, sein „Mädchen“, hatte noch einige glückliche Jahre auf Fructos Hof inmitten seiner Kinderschar verbracht. Nun lag sie hier, auf dem linken Rheinufer, begraben. Es war richtig gewesen, zu Fructo auf die rechte Rheinseite zu ziehen. Im Grenzgebiet waren marodierende Räuberbanden unterwegs, auch Germanen, die ihn ohne Rücksicht auf seine germanische Herkunft für etwas Beute erschlagen würden. 51 Unter den Römern waren viele, die verroht waren und auf jeden Germanen einschlagen würden – egal ob Freund oder Feind. Wieder einmal starrte Finno sehnsuchtsvoll nach drüben. Er glaubte nicht, dass es bald Frieden geben würde; viel zu verworren war die Lage. Wenn nur Florens und Vitus endlich wieder hier wären! Kaiser Maximinus Thrax war mit seinen Legionen zu einem Vergeltungsfeldzug ins Innere Germaniens aufgebrochen. Auch die legio I Minervia hatte sich auf seine Seite geschlagen und hieß nun legio I Minervia Maximiana. Florens als Kundschafter und Vitus als Flottenoffizier hatten mitgemusst, denn der Kaiser brauchte jeden Mann. Dabei wusste keiner so recht, gegen wen die Truppen ins Feld zogen. Drüben im Barbaricum waren Völker aus ihrer angestammten Heimat fortgezogen, hatten auf ihrem Weg andere verdrängt oder sich mit ihnen zusammengeschlossen, hatten sich wieder abgespalten und neu zusammengefunden. Keiner daheim auf Fructos Hof und in der „Villa Alaudae“ in Bonn wusste, was ihre Jungens drüben im Barbaricum erwartete. Das waren sie auch für Finno, seine Jungens, obwohl er Germane von der rechten Rheinseite war. Auch Fructo und Florens waren germanischer Abstammung, Vitus hatte ubische, gallisch-römische und thrakische Vorfahren. Und es waren fremde, neu hinzugezogene Germanen gewesen, die sich in drüben in Finnos Heimat mit Gewalt nahmen, was sie brauchten. Ja, Vitus und Florens waren seine Jungens, denn er hatte sie aufwachsen sehen. Wenn sie nur endlich gesund wiederkämen! Als es auf den Winter zuging, kehrten Maximinus Thrax und seine Soldaten an den Rhein zurück. Auf dem Rückmarsch waren sie am Harzhorn tief in Germanien in einen Hinterhalt der Germanen geraten, doch dank ihrer überlegenen Ausrüstung und Waffentechnik hatten sie gesiegt. Unsichere Zukunft (um 238) Auch Vitus und Florens kehrten unverletzt, aber gezeichnet von den vielen Strapazen zurück. Doch sie konnten nur wenige Tage daheim in der „Villa Alaudae“ und auf Florens‘ Hof verbringen, denn ihr Dienst ging gleich weiter. An diesem Abend sah Finno, wie Vitus am linken Rheinufer stand und hinüber zum Drachenfels schaute. Er wollte sich schon wieder zurückziehen, da sprach Vitus ihn freundlich an. „Bleib‘ nur“, sagte er, „nun stehen wir beide hier und schauen hinüber. Seit so vielen Jahren haben unsere Leute dort Steine abgebaut, wir von der Flotte haben sie transportiert, und meine Familie hat über Generationen einen Verpflegungstand dort betrieben. Heute ist daran gar nicht zu denken, die Flotte und die Kameraden von der Legion sind ständig in Alarmbereitschaft und auf Patrouille. Manchmal habe ich Angst, dass in meiner Generation das Lebenswerk meiner Vorfahren zu Bruch geht.“ Finno nickte. Auch in Germania Inferior kam es zunehmend zu Überfällen rechtsrheinischer Germanen. Bislang hatte die Armee die römischen Landgüter und Höfe gut verteidigen können, doch die Überfälle wurden immer mehr, und sie erfolgten in immer kürzeren Abständen. Oft genug kamen die römischen Truppen zu spät. Das rief andere Kriegsherren auf den Plan, und sie fanden immer mehr Gefolgsleute. „Ich weiß, mein Junge“, sagte er, „ich weiß. Dauernd sind Truppen vom Rhein 52 an anderen Fronten unterwegs, zumal jetzt, wo an der unteren Donau die Goten in römisches Gebiet eingefallen sind. Das kann nicht gut gehen. Und der Kaiser? Er ist durch Gewalt an die Macht gekommen; ich fürchte, er wird auch durch Gewalt enden. Vielleicht gibt es irgendwann hier wieder Frieden, aber ich werde es wohl nicht mehr erleben.“ Nun schaute Vitus ihn erschrocken an. „Sei nicht traurig“, beruhigte ihn Finno, „ich bin Fructo so dankbar, dass er mich und Puella damals aufgenommen hat, und dass ich Dich und Florens aufwachsen sehen konnte. Und einen Wunsch hätte ich schon noch: Ich möchte noch erleben, dass Ihr beide heiratet und eine Familie gründet. Dann wüsste ich, dass unser Leben hier weitergeht.“ Finno sollte Recht behalten. Maximus Thrax führte seine ganze Regierungszeit durch Krieg und wurde am Ende von Soldaten ermordet. Aufstände und Bürgerkriege folgten. Am Ende setzte sich Gordian III. (238-244) durch. Doch auch seine Regierungszeit war von Abwehrschlachten gegen die Goten und Sassaniden geprägt. Der Kaiser begab sich in den Osten; wieder wurden Truppen vom Rhein abgezogen und auch Einheiten der Bonner Legion, nun legio I Minervia Gordiana, zogen mit. Nach ersten Erfolgen erlitten die Römer 244 eine schwere Niederlage. Schließlich kam 253 Gallienus als Mitkaiser seines Vaters Valerian auf den Thron, er sollte die Verteidigung des Westens übernehmen, und ein wenig Ruhe schien einzukehren. Petronius Alutensis (um 256) Endlich konnten sich Vitus und Florenz von ihrem aktiven Dienst verabschieden, standen aber als ständige Reserve zur Verfügung. Endlich war auch Zeit für Privates. Vitus heiratete Cicilla aus Florens‘ Familie, und auch Florens hatte seine Liebe gefunden. Finno war außer sich vor Freude. Niemand wusste, wie alt er inzwischen war, auf jeden Fall uralt. Einige Wochen später starb er mit einem Lächeln auf dem Gesicht im Kreis der Familie, die ihn adoptiert hatte. Dann geriet die Ostgrenze des Reiches völlig ins Wanken. 252-256 stießen die Sassaniden in einer Großoffensive nach Mesopotamien, Armenien und Syrien vor. Wichtige Grenzstädte wie Dura Epopos am Euphrat fielen an die Feinde. Wieder musste Kaiser Gallienus Truppen vom Rhein abziehen, um das Heer Valerians im Osten zu stärken. Unter den Legionären der I Minervia waren auch Männer, die ihre Wurzeln im Osten des Reiches hatten. Seit dem Parther-Krieg zogen zunehmend Menschen aus dem Osten her, oder sie waren vor Ort für die Legion rekrutiert worden. So wie der Großvater von Petronius, er war aus Armenien an den Rhein gekommen. Nach seiner aktiven Zeit in der Legion hatte er eine Einheimische geheiratet. Auch wenn Bonn keine so große Stadt wie die CCAA war, so fand er hier ein bunt gemischtes Völkchen vor, was ihm gut gefiel. Sein Sohn und sein Enkel waren am Rhein geboren worden. Petronius war oft in der „Villa Alaudae“ bei Vitus und seiner Familie zu Gast. Dann fragten ihn die Kinder regelmäßig aus, was er sich gerne und geduldig gefallen ließ. Als feststand, dass Truppen von der Rheinfront an die Ostgrenze verlagert würden, hatte sich Petronius selbst gemeldet. „Natürlich fällt es mir schwer, von hier weg zu gehen“, sagte er, „aber ich möchte auch einmal die Welt meines Großvaters kennenlernen.“ „Sind die Berge dort in Armenien wirklich so hoch?“ wollte der 53 kleine Vitillus wissen. „Ja, sehr hoch“, antwortete Petronius lächelnd. „Höher als die dort drüben?“ hakte der Kleine nach, mit einer ausladenden Handbewegung auf die Sieben Berge drüben auf der anderen Rheinseite. Da lachte Petronius herzlich. „Viel viel höher“, sagte er, „so hoch, dass sie in die Wolken hineinreichen!“ Bewegt nahmen viele kleine und große Einwohner des Städtchens Bonn Abschied von Petronius. Keiner wusste, ob man ihn wiedersehen würde. 54 Fran kenein nfälle Eiin römisches Schiff mit Dracostandar D rte Germania Inferio or zur Zeiit von Kaisser Gallien nus (253-2 268) datenkaiser (235-2844/85) gilt als a eine Ze eit der Krisse des Röm mischen Die Zeiit der Sold Reichess. Im Inne eren ließ der d gewalttsame Wec chsel auf dem Kaiseerthron da as Reich nicht zur Ruhe ko ommen. Im mmer wied der riefen Truppen T ih hre Anführeer zum Kaiser aus - und e ermordeten sie weniig später. Nach außen musste e es sich faast unentw wegt an mehrerren Fronte en gegen neue, mäch htige Feind de verteidiigen: An deer unteren n Donau waren die Goten n durchgeb brochen; i m Osten kamen k die e römischeen Truppen n gegen k mehr an; in SSüdwestdeutschland kam es zu verhee erenden die Sasssaniden kaum Raubzü ügen der Alemannen.. German nia Inferio or war bislang versschont geb blieben; gegen g Übeergriffe einzelner german nischer Stä ämme hattten sich diie Römer gut g wehren können. Doch inzw wischen waren die alten Stämme auf a der recchten Rhe einseite zum Großstaamm der Franken F zusamm mengewachsen und so s zu einerr ernsten Bedrohung B für die Röömer gewo orden. Nach vvielen Generationen war Vituss Familieno oberhaupt in der „V Villa Alaud dae“. Er war Ve eteran der Flotte. Se ein bester Freund wa ar Florens, der an d er Rheinta alstraße für die e legio I Minervia M Die enst tat u und den Ho of seines Vaters V Fruucto übern nommen hatte. Beide warren sehr besorgt, de enn durch den ständigen Abzuug von Truppen in den Osten oder in n Bürgerkrriege war d die Rheingrenze kaum m geschützzt. 55 Frankeneinfall (256-258) Bald darauf fielen die Franken in Germania Inferior ein; mehrere Kastelle am Rhein wurden zerstört, Krefeld-Gelduba dem Erdboden gleichgemacht, fast alle Einwohner und die zur Hilfe eilenden Soldaten wurden niedergemetzelt. Die Franken drangen nach Gallia Belgica vor und eroberten Trier. Nur dank ihrer steinernen Stadtmauer überstand die CCAA den Überfall. Kaiser Gallienus eilte nach Gallien und konnte Trier zurückerobern, er reorganisierte die Verteidigung von Germania Superior und Gallia Belgica. Zusammen mit seinem Statthalter in Germanien, Postumus, konnte er die Franken zurückdrängen. Ein Katastrophenjahr für die römische Welt (260) Doch 260 musste Gallienus den Feldzug plötzlich abbrechen. Im Osten war das römische Heer unter Kaiser Valerian in der Schlacht bei Edessa und Karrhai in Mesopotamien vernichtend geschlagen worden, der Kaiser selbst in die Gefangenschaft des Sassanidenkönigs geraten. Erst viel später erfuhren seine Lieben daheim in Bonn, dass Petronius Alutensis nicht zurückkehren würde. Er war unter den Toten von Edessa und Karrhai. Es blieb noch nicht einmal Zeit, ihn zu betrauern. Als die Nachricht von der Niederlage des Kaisers nach Rom kam, ließ sich ein Statthalter an der Donau zum Kaiser ausrufen und ein Bürgerkrieg brach aus; wieder wurden die Truppen vom Rhein und vom Limes abgezogen. Sogleich überrannten die Alemannen und Franken den Limes und drangen auf den gut ausgebauten Römerstraßen bis nach Spanien und Italien vor. Mit knapper Not konnte Kaiser Gallienus sie bei Mailand zurückschlagen; doch die Folgen für die römischen Provinzen an Rhein und Donau waren verheerend. Auch als Veteran war Vitus stets auf seinem Schiff auf dem Rhein unterwegs, denn die Flotte brauchte jeden Mann. Wieder war er auf dem Weg von Bonn hinab nach Germania Superior und zurück. Angestrengt blickte er auf die rechte Rheinseite. Irgendwo in den dichten Wäldern lauerten ihre Feinde, und die konnten plötzlich über die römischen Siedlungen hereinbrechen. Der Überfall von Krefeld-Gelduba war so schnell gekommen, dass weder die Zivilisten noch die herbeieilenden Soldaten eine Chance gehabt hatten. Endlich konnte Gallienus' Statthalter in Germania Inferior, Postumus, die Franken entscheidend schlagen. Doch nach einem Streit mit dem Sohn des Kaisers über Beute, die seine Truppen den Franken abgejagt hatten, riefen seine Truppen ihn zum Kaiser aus. Auch die Xantener legio XXX Ulpia Victrix und die Bonner legio I Minervia stellten sich auf seine Seite. Andere germanische Legionen, so die XXII Primigenia in Mainz, hielten weiter Kaiser Gallienus die Treue. Von der VIII Augusta in Straßburg wusste man es nicht genau. Vitus war bedrückt. Nun musste man nicht nur die Franken bekämpfen, nun gingen sich die Römer untereinander an die Kehle. Sit vobis terra levis - möge die Erde über Euch leicht sein (260) Es drängte ihn zu seinem Freund Florens, er musste sich vergewissern, dass es ihm und seinen Angehörigen und allen dort auf dem Hof gut ging. Immerhin war Florens 56 ein Offizier der legio I Minervia, und die XXII Primigenia war auf der Seite von Kaiser Gallienus verblieben. Mit aller Inbrunst wehrte sich Vitus gegen den Gedanken, dass sich nach so vielen Jahren an der Rheingrenze Angehörige zweier benachbarter Legionen bekriegen würden, aber es waren schlimme Zeiten, und das ging auch an den Soldaten nicht spurlos vorbei. Auf dem Hof lief ihm Florens entgegen. Gottseidank, hier war alles heil. Aber Florens hatte schlimme Nachrichten. „Sie haben Niederbieber zerstört.“ Vitus war erschüttert. Niederbieber.. sein Vater Vigilius hatte es mit aufgebaut, hier hatten sie mit Fructo die Verleihung des römischen Bürgerrechts gefeiert, hier hatte er die feuervergoldete Dracostandarte gesehen – und nun war all dies zerstört. Es schien ihm, als wenn die Welt seiner Kindheit, die seines Vaters und Großvaters in Trümmern lag. Er hockte sich nieder, nahm ein paar Brocken Erde auf und ließ sie langsam wieder zu Boden fallen. „Sit vobis terra levis - möge die Erde über Euch leicht sein“, sprach er als kurzes Totengebet. „Vermutlich waren es die Barbaren“, meinte Florens, „aber einige zweifeln dran.“ Langsam richtete sich Vitus auf. „So schlimm es ist, wir dürfen es jetzt nicht zu sehr an uns heranlassen, sonst nimmt es uns jede Kraft. Wir müssen uns jetzt um die Sicherheit unserer Leute kümmern.“ Fest umarmte er seinen Freund, dann machte er sich entschlossen auf den Weg. Einen handwerklich begabten Kameraden bat er, eine Dracostandarte für den Mast seines Schiffes zu schnitzen und sie goldfarben anzumalen. Dann ruderten sie los. Jederzeit konnte der Feind wieder über die Grenze dringen. Gallisches Sonderreich (260-274) Die drei Gallischen Provinzen, Germania Inferior und Germania Superior, zeitweise auch Spanien und Britannien, sagten sich von Rom los und bildeten ein „Gallisches Sonderreich“ mit der CCAA als Hauptstadt. Kaiser Gallienus in Rom konnte das nicht hinnehmen. Dabei verstand Postumus sich als Römer und hatte nicht die Absicht, Gallienus seinen Thron streitig zu machen. Aber da der Kaiser nicht an allen Fronten zugleich kämpfen konnte, nahmen Postumus und seine Männer die Verteidigung Galliens und Germaniens in die eigene Hand. Er scheute sich nicht, Zahlungen an die Thüringer im rechtsrheinischen Germanien zu leisten, damit sie ihrerseits die Franken beschäftigt hielten. Für einige Jahre herrschte Ruhe an der Rheingrenze, und die Römer gewannen Zeit, um sich besser gegen die Franken und Alemannen zu schützen. Postumus organisierte die Grenzverteidigung in der Tiefe. Nicht nur direkt an der Grenze, auch im Hinterland wurden Truppen stationiert, die eingreifen konnten, wenn Feinde einmal durchgebrochen waren. Die großen Straßen nach Tongeren ins Innere von Germania Inferior und nach Augusta Treverorum in Gallia Belgica wurden durch Kleinkastelle (Burgi) und dort stationierte Reiterverbände gesichert. Auch reichten die beiden großen Flottenstützpunkte in der CCAA und in Mainz alleine nicht mehr aus, die Grenze musste engmaschiger überwacht werden. Auf der rechten Rheinseite, gegenüber den Kastellen, wurden befestigte Anlegestellen für Schiffe gebaut (Lände-Burgi). Jederzeit musste man mit großangelegten Raubzügen der Franken und Alemannen in römisches Gebiet rechnen, viele Menschen verließen ihre Häuser und Landgüter 57 und zogen in die Städte oder in die Nähe gut befestigter Kastelle, manche zogen auch ganz fort aus dem Grenzgebiet tiefer hinein ins Römische Reich. Vitus und sein Freund Florens halfen, wo sie konnten. Vitus brachte viele Menschen mit seinem Schiff zu Verwandten in anderen Orten. Schon bald war sein Schiff mit der goldenen Dracostandarte bekannt und man winkte ihm oft schon vom Ufer zu. Dann ließ er heranrudern und nahm die schutzsuchenden Menschen mit. Wer gar nicht wusste wohin, fand auf Florens‘ Hof erst einmal Unterschlupf. An vielen Orten auf dem Land baute man Burgi - Wehrtürme, in denen die Menschen auf dem Land im Falle eines Angriffs Schutz finden konnten. Auch auf Florens‘ Hof entstand ein großer Burgus. Aber das Reich kam nicht zur Ruhe. Kaiser Gallienus war von seinen eigenen Leuten ermordet worden, wie so viele Kaiser vor und vielleicht auch nach ihm. Wenige Jahre später kam es zu einem Kampf zwischen Postumus‘ Truppen und den Legionen in Mainz, und Postumus siegte. Als er seinen Soldaten die Plünderung untersagte, wurde auch er ermordet. Die Katastrophe (276) Nach dem Postumus‘ Tod ging es mit dem Gallischen Sonderreich bergab. Die neuen Kaiser verlegten ihre Residenz nach Trier und waren vor allem mit ihren eigenen Intrigen beschäftigt. Derweil kam in Rom ein starker Herrscher an die Macht, Aurelian (270-275). Bei seinem Regierungsantritt herrschte er nur über ein Drittel des Römischen Reiches, denn große Teile des Ostens hatten sich unter der Führung der Oasenstadt Palmyra von Rom losgesagt, und im Westen bestand das Gallische Sonderreich. Das nahm Aurelian nicht hin. Als er Palmyra besiegt hatte, zog er 274 mit seinem Heer über die Alpen, um auch dem Gallischen Sonderreich ein Ende zu machen. Auch der Herrscher in Trier, Tetricus, rief seine Armee zusammen. Die Soldaten, die noch am Rhein standen, mussten mit. Die Veteranen Vitus und Florens standen an der Rheintalstraße und sahen ihnen bange nach. „Wenn die Franken wieder angreifen, bevor sie zurück sind, haben wir keine Chance“, sagte Vitus bedrückt. „Sie werden kommen, alter Freund“, antwortete Florens langsam, „seit Jahren beobachten sie, wie immer wieder Truppen vom Rhein abgezogen werden. Sie wissen längst, wie verwundbar wir sind. Und nach allem, was ich von Aurelian gehört habe, ist er sehr hart.“ „Dann können wir uns nur weiter gut vorbereiten“, sagte Vitus, „wir schaffen Vorräte ins Lager, und beim geringsten Anzeichen von Gefahr sucht die Familie dort Schutz. Und wie sieht es bei Euch?“ „Der Burgus auf unserem Hof steht sicher und fest“, sagte Florens, „wir haben ihn so groß gebaut, dass viele Menschen und Tiere dort unterkommen. Dazu haben wir eine steinerne Wand hochgezogen und zwei Wälle mit Gräben angelegt. Ganz außen steht eine hohe Palisadenwand, das wird sie abhalten.“ Vitus nickte, doch er war beklommen. Noch einmal drückte er seinen Freund ganz fest, dann machte er sich auf den Weg zurück nach Bonn. Schon bald darauf kamen erste Meldung aus Gallien, die Schlimmes ahnen ließen. Dann kamen nur wenige Männer zurück ins Bonner Legionslager - erschöpft, niedergeschlagen, mutlos. In einer blutigen Schlacht bei Châlons-sur-Marne hatte Aurelian gesiegt. Es mag ein Sieg für die Autorität Roms gewesen sein, doch für Gallien und das Rheinland war es eine Katastrophe. Sehr viele Soldaten der 58 Rheinarmee waren umgekommen oder auf Aurelians Befehl hingerichtet worden, und so blieb kaum jemand mehr, der die Grenze hätte verteidigen können. Doch es blieb keine Zeit zur Trauer. Die Mannschaften im Lager mussten verstärkt, die Vorräte weiter aufgestockt werden. Die meisten Menschen hatten von der Katastrophe in Gelduba erfahren und wussten, wie schnell die Überfälle kommen konnten. Immer mehr Menschen bereiteten sich darauf vor, beim ersten Anzeichen von Gefahr ins befestigte Lager zu fliehen. Vitus hielt sie immer wieder an, für den Ernstfall zu üben. Wenig später überrannten die Franken und Alemannen das Land. Viele Kastelle am Rhein wurden zerstört, weite Teile Hollands, Belgiens und Frankreichs wurden verwüstet, Paris ging in Flammen auf. Eine fränkische Horde überrannte das kleine Bonn, und nur die schnelle Flucht ins Legionslager konnte Leben retten. Dort war man vorbereitet: Pfeilhagel auf Pfeilhagel geht auf die Angreifer nieder, das steinerne Legionslager hielt dem Angriff stand, und die Franken mussten den Angriff aufgeben. Doch die Menschen im Legionslager konnten nicht aufatmen. Wütend und frustriert zogen die Franken ab und gingen auf leichtere Ziele los. Wenig später sah man Feuer lodern, im Vicus und dann weiter weg. Als klar wurde, dass die Franken die Belagerung abbrachen, hatte ihnen ein Teil der Soldaten gleich nachgesetzt. Doch für viele Häuser und Höfe kam die Hilfe zu spät. Die „Villa Alaudae“ wird aufgegeben (276) Sobald er seine Familie in Sicherheit wusste, machte sich Vitus auf zu seinem Freund Florens. Doch schon von weitem sah er den Rauch - der Hof war niedergebrannt. Während er verzweifelt durch die Trümmer lief, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Als er sich umdrehte, sah er einen der Nachbarn auf sich zu laufen. „Vitus“, rief er keuchend, „sie haben alles niedergebrannt, aber Florens, die Familie, die Tiere - sie leben, der Burgus hat standgehalten“. Wenig später konnte der hemmungslos weinende Vitus seinen Freund und dessen Angehörige in die Arme schließen. Dann mussten sie Abschied von ihrem Hof nehmen, denn hier draußen hatten sie alleine keine Chance. Florens, seine Angehörigen und seine Nachbarn luden ihr Hab und Gut auf Karren und zogen ins Bonner Legionslager. Auch die Wohngebiete außerhalb des Lagers wurden aufgegeben, alle suchten nun Schutz innerhalb des Lagers. Vitus und seiner Familie fiel es unendlich schwer, die „Villa Alaudae“ zu verlassen. Noch einmal gingen sie durch das Haus, das über Generationen hinweg in ihrer Familie gewesen war. Wie hatten sie diesen Blick aus dem Fenster auf den Rhein und die Berge auf der anderen Seite geliebt! Nun würden auch sie im Legionslager leben; die meisten Einrichtungsgegenstände waren schon in ein Steinhäuschen innerhalb des Lagers gebracht worden, wo sie ihr kleines Ladenlokal einigermaßen weiterführen konnten. Doch ihre „Villa Alaudae“ aufzugeben brach ihnen das Herz. 59 Epilog Am Rhein Germania Inferior und Germania Superior, um 280 Einige Jahre herrschte Anarchie, dann konnte Kaiser Probus (276-282) die Alemannen und Franken auf dem Rückzug abfangen und besiegen. Dann traf er eine weitreichende Entscheidung: Die Grenze des Römischen Reiches wurde endgültig an den Rhein und die Donau zurückgenommen. Zugleich machte er die besiegten Franken und Alemannen zu Föderaten Roms, d.h. zu Verbündeten, die auf römischem Gebiet oder unmittelbar an der Grenze siedeln durften. Dafür mussten sie loyal zum Römischen Reich stehen und es gegen Eindringliche verteidigen. Wenig später versiegten die schriftlichen Quellen zur legio I Minervia. Kaiser Diokletian (285-305) schließlich reformierte das Heer: Fortan gab es reine Grenzheere (Limitanei), und Bewegungsheere im Hinterland (Comitatenses). 60 Probus und der Wein (um 278) Nach vielen Jahren war endlich wieder Frieden an der Rheingrenze. Endlich konnten sich die Menschen in Bonn auch außerhalb des Lagers sicher fühlen. Florens und Vitus saßen am Ufer des Rheins. Dort hatten ihnen die Legionäre eine einfache Bank gebaut, einen Aussichtsplatz in der Sonne für ältere Herren. Sie lächelten ein wenig, wenn die beiden Veteranen sich langsam niederließen, und doch waren sie sehr respektvoll. Vitus und Florens stießen mit etwas Wein an. „Gallis omnibus et Hispanis ac Brittannis hinc permisit, ut vites haberent vinumque conficerent“25, zitierten sie lautstark eine Verordnung des Kaisers Probus. „Ja, jetzt dürfen wir überall Wein anbauen.“ Die Menschen in Germania Inferior und Germania Superior waren schnell auf den Geschmack gekommen. Reben gab es an der Mosel und am Rhein längst, auch hier wurde Wein angebaut, aber noch immer galten Produktionsbeschränkungen zugunsten der Winzer in Italien aus der Zeit Kaiser Domitians. Diese hatte Probus nun aufgehoben. „Das wäre was für uns, noch Wein anzubauen“, sagte Vitus, „was meinst Du? Drüben am Drachenfels, da vor sie die Steine gebrochen haben, müsste es eigentlich gut gehen.“ Sie überredeten die Legionäre, sie noch einmal auf die andere Seite zu den Steinbrüchen am Drachenfels zu rudern. Eine kleine, unbewachsene Stelle zeigte den Platz, wo Vitus' Familie seit Generation ihren Verpflegungsstand aufgeschlagen hatte. Ein wenig weiter waren die Weihesteine, fast verdeckt von Gras und Feldblumen. „Vielleicht wird irgendwann einmal der Tag kommen, wo dieser Fluss nicht mehr die Grenze ist“, sagte Vitus. Ganz entfernt meinte er, Puellas fröhliches Wiehern zu hören. Mit einem letzten Blick auf den Drachenfels dachte er: „und vielleicht es ist ja irgendwann einmal so, dass wir hier Frieden, Wein und immer fröhliche Esel haben.“ 25 "Er erlaubte allen Galliern, Spaniern und Briten, Reben zu besitzen und Wein herzustellen.“ 61 Namen lateinisch-deutsch Quelle: Wikipedia, Public Domain Section Provinzen und Städte Germania Inferior Germania Superior Bonna – Bonn Colonia Claudia Ara Agrippiensium, kurz CCAA Mogontiacum Argentorate Vindonissa Noviomagus Augusta Raurica Rigomagus Bingium Confluentes Vetera CUT – Colonia Ulpia Traiana Niedergermanien Obergermanien Köln Mainz Straßburg, Frankreich Windisch, Schweiz Nimwegen, Niederlande Augst, Schweiz Remagen Bingen Koblenz Legionslager Xanten Xanten nach der Erhebung zur Kolonie römischen Rechts 62 Personen Von den historischen Personen abgesehen, sind die Menschen in dieser Geschichte frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt. Aus diesem Grund haben die meisten auch frei erfundene lateinische Namen. Richtig ist freilich, dass im römischen Germanien der dritte Namensteil, der Cognomen, auch der Rufname war, und dass hier eine Menge Phantasie zum Zug kam. Marcus Prunus Aliter Prunus – Pflaumenbaum, Aliter - ein anderer Pumella Pulchra Die schöne Pumella Fortiter Tapfer Rubeus Vom Brombeerstrauch Nauticula Nautianus Abgeleitet von nauta - Seemann Olivifer Oliven tragend Uvius Pino Uvilla Abgeleitet von uva - Weintraube Ubiscumquus Abgeleitet von ubiscumque - überall Verenatus Im Frühling geboren Legio Mama Victrix Legion siegreiche Mama legio – Legion, victrix - siegreich Lenticula Verkleinerungsform von lens - Linse Fabicula Verkleinerungsform von faba - Bohne Discordans Abgeleitet von discordia - Zwietracht Vigilius Römischer Vorname - wachsam Rubula Die kleine Rote Abgeleitet von rubus - rot Viticula Verkleinerung von vitis - die Weinrebe Puella Mädchen Vitus römischer Vorname, abgeleitet von vita, Leben Tschorba Ein Begriff aus der bulgarische Küche - Suppe 63 Inhaltsverzeichnis Warum noch eine Römergeschichte .. ..................................................... 2 Die Hauptpersonen .............................................................................. 3 Die Rheingrenze ................................................................................. 5 Auf dem Weg nach Germania Inferior (um 50) .......................................... 6 Bonn (um 50) ................................................................................. 7 Die andere Rheinseite (54) ................................................................. 8 Agrippina und die CCAA (um 55)........................................................... 8 Steinbruch am Drachenfels (um 55) ...................................................... 8 Nauticula (62) ................................................................................ 9 Betrieb auf dem Rhein (um 65) .......................................................... 10 Vierkaiserjahr und Bataver-Aufstand ....................................................... 11 Machtkampf in Rom (68/69).............................................................. 12 Bataver-Aufstand (69/70)................................................................. 12 Raubzüge ins Rheinland (69/70) ......................................................... 14 Nach dem Krieg (70) ....................................................................... 15 Ein neues Legionslager (um 70) .......................................................... 16 Familien-Bande (71) ....................................................................... 16 „Villa Alaudae“ (72) ....................................................................... 17 Römische Provinzen ........................................................................... 19 Germania Inferior (um 85) ................................................................ 20 Hauptstadt CCAA (um 85)................................................................. 20 Legio I Minervia (88) ....................................................................... 21 Fortiter (88)................................................................................. 22 Saturninus-Aufstand und Ende der legio XXI Rapax (89-92) ......................... 23 Im Norden Germania Inferiors (92) ...................................................... 23 Daker-Krieg (101) .......................................................................... 24 Die Zeit der guten Kaiser ..................................................................... 26 Ubi Ubi, ibi Gustatio (um 110) ........................................................... 27 Bonn – ein schmuckes Städtchen am Rhein (um 120) ................................ 27 Germanische Hilfstruppen in Dakien (um 120) ........................................ 28 Kaiser Hadrian am Rhein (121) ........................................................... 29 Legio I Minervia in Britannien (um 122) ................................................ 29 64 Exercitus Germaniae Inferioris (um 122) ............................................... 30 Frumentarii und die „Legio Mama Victrix“ (um 130) ................................. 31 Die Rheinflotte im Frieden (um 150) ................................................... 32 Bedrohte Grenzen ............................................................................. 34 Bitten an die Aufanischen Mütter (um 158)............................................ 35 Partherfeldzug (162-166) ................................................................. 36 Die Pest (167) ............................................................................... 36 Aufbruch an die Front (167) .............................................................. 37 Markomannen-Kriege (167-180) ......................................................... 38 Oliven aus Africa (um 180/181).......................................................... 39 Römische Bürger ............................................................................... 41 Niederbieber - der Limes wird verstärkt (um 185) ................................... 42 Mit einem Bein an der Rhône, mit dem anderen am Rhein (um 197).............. 43 Constitutio Antoniana – Römisches Bürgerrecht (212) ............................... 44 Fructos Hof (um 215) ...................................................................... 45 Besuch aus Straßburg (um 220) .......................................................... 46 Finno und Puella (um 225) ................................................................ 47 Der Limes beginnt zu wanken (um 231) ................................................ 47 Das Reich in der Krise ......................................................................... 49 Raubzüge der Alemannen (233-234) .................................................... 50 Maximinus Thrax‘ Gegenschlag (235) ................................................... 50 Unsichere Zukunft (um 238) .............................................................. 51 Petronius Alutensis (um 256) ............................................................. 52 Frankeneinfälle ................................................................................ 54 Frankeneinfall (256-258) .................................................................. 55 Ein Katastrophenjahr für die römische Welt (260) ................................... 55 Sit vobis terra levis - möge die Erde über Euch leicht sein (260) .................. 55 Gallisches Sonderreich (260-274) ........................................................ 56 Die Katastrophe (276) ..................................................................... 57 Die „Villa Alaudae“ wird aufgegeben (276) ............................................ 58 Epilog ............................................................................................ 59 Probus und der Wein (um 278) ........................................................... 60 Namen lateinisch-deutsch .................................................................... 61