Attentat auf Hitler wollte keine Beendigung des Krieges

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Antifa
Gefällige Widerständler
Warum Allen W. Dulles den antifaschistischen Kampf der Kommunisten
geringschätzte und welche Bedeutung der 20. Juli 1944 hat. Ein Artikel aus
dem Jahre 1947
Am 10. Juli dieses Jahres starb Norbert Podewin. Er war der langjährige Freund und
Biograph von Albert Norden, ein deutscher Antifaschist, Kommunist, Journalist und
Politiker der KPD und der SED. Norden wurde vor beinahe 110 Jahren, am 4. Dezember
1904, in Myslowitz als Sohn des Rabbiners Joseph Norden geboren, der 1943 im KZ
Theresienstadt ermordet wurde. Im Zuge der faschistischen Machtübernahme in
Deutschland floh er über die Tschechoslowakei nach Frankreich und 1941 in die USA. Im
Exil verfasste er antifaschistische Bücher, wie das »Braunbuch über Reichstagsbrand und
Hitlerterror«, sowie Artikel in den ExilzeitschriftenGerman American und Freies
Deutschland. 1944 war er Gründungsmitglied des »Council for a Democratic Germany«. Von
1949 an war Norden drei Jahre Leiter der Presseabteilung im Informationsamt der DDR,
von 1953 bis 1955 Professor für neuere Geschichte an der Ost-Berliner HumboldtUniversität. Von 1958 bis 1981 war Norden Mitglied des Politbüros des ZK der SED. Am
30. Mai 1982 starb er in Berlin. Die Marx-Engels-Stiftung gedenkt am 29. November mit
einer Veranstaltung in ihrem Wuppertaler Zentrum seiner und seines Freundes Norbert
Podewin (mehr Informationen unter marx-engels-stiftung.de [1]). Der folgende, leicht
gekürzte Text aus der Feder Nordens über die Bedeutung des 20. Juli erschien am 1. Juli
1947 in der Weltbühne. (jW)
Wenn ein Buch den anspruchsvollen Titel »Deutschlands Untergrund« (Germany's Underground,
New York 1947) trägt, dann erwartet der Leser, ein ungefähres Bild der Kräfte zu finden, die seit
1933 in Deutschland selbst den Kampf gegen die Hitler-Diktatur aufnahmen. Aber es scheint,
dass diese frühzeitige Opposition gegen den Faschismus und ihr märtyrerreicher Weg weitgehend
unbekannt sind, denn von ihr ist in dem Buch kaum die Rede. In seinem Mittelpunkt steht
vielmehr das Komplott, das in dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 gipfelte.
Und das ist kein Zufall. Die Schichten, die vor und seit 1933 den Kampf gegen den Nazismus
führten, waren vorwiegend Sozialisten und Kommunisten, die sich jenseits des Ozeans
weitgehender Unbeliebtheit erfreuen, während die Kreise, die den Kern der Verschwörung vom
20. Juli bildeten, vorwiegend zu den konservativen Gesellschaftsgruppen gehörten, die ein
gerüttelt Maß Schuld am Machtantritt des deutschen Faschismus trugen. Kein Wunder, dass ihre
Überlebenden gegenwärtig in den amerikanischen Salons herumgereicht werden, wo man mit so
viel Antipathie von jenen Deutschen spricht, die von der ersten Stunde an gegen Hitler stritten,
deren Familiennamen aber kein »von« schmückt und die auch nicht über einflussreiche Positionen
in der bürgerlichen Gesellschaft verfügten.
Führende Kapitalvertreter
Noch weniger verwunderlich dürfte sein, dass der amerikanische Historiker des 20. Juli Allen W.
Dulles ist, kein Unbekannter für die Leser der Weltbühne, seitdem an dieser Stelle zum ersten
Mal in der europäischen Presse die Verbindungen von Allen und seines Bruders John F. Dulles
mit den profaschistischen Kreisen des internationalen Finanzkapitals aufgedeckt wurden (»Graue
Eminenz«,Weltbühne, 1. Dezember 1946). Während der ganzen Hitler-Ära bis zur Beteiligung der
USA am Zweiten Weltkrieg war Allen W. Dulles Direktor der amerikanischen und der englischen
Schroeder-Bank, der ausländischen Finanzagentur des deutschen Stahl-Trusts, die auch direkte
Aufträge von der Hitler-Regierung erhielt und deren englischer Zweig mit Dulles Zustimmung
sich der »Anglo German Fellowship« anschloss, der politischen Propagandaorganisation für das
»Dritte Reich« in England, deren Fäden Reichsaußenminister Joachim vonRibbentrop zog. Die
geographisch und politisch in der Wall-Street gelegene Rechtsanwaltsfirma Sullivan &
Cromwell, deren Seniorchef John F. Dulles, der Berater Außenminister George C. Marshalls, und
deren Mitglied Allen W. Dulles ist, vertritt die Schroeder-Bank in allen juristischen Fragen. Wie
sein Bruder John gehört auch Allen zum reaktionären Hoover-Flügel der Republikanischen Partei
und wurde ihr New Yorker Schatzmeister.
Diese Tatsachen machen es verständlich, warum Dulles in seinem Buch so wenig über jene
authentischen deutschen Antifaschisten zu sagen weiß, die allerdings zu einer Zeit agierten, als
die Dulles noch mit den Nazi-Trusts profitable Geschäfte machten. Notgedrungen musste man die
Freundschaft aufgeben, als Hitler Amerika den Krieg erklärte, und setzte nun die Hoffnung auf
jene Kreise in Deutschland, die sich zwar der Nazigeister entledigen wollten, ohne aber an dem
von diesen stabilisierten kapitalistischen System zu rütteln. Darum identifiziert Dulles den
deutschen Untergrund mit der Affäre des 20. Juli. Nun wird dieser Tag zweifellos ein wichtiges
Datum in der Geschichte der innerdeutschen Widerstandsbewegung bleiben – wenn auch
wiederum nicht so entscheidend, wie gewisse Kreise glauben machen wollen, die den
langjährigen Widerstand der deutschen Linken gegen den Faschismus ins Dunkel eines recht
beredten Schweigens hüllen, damit der Stern der Verschwörer vom 20. Juli umso heller strahle.
Man verstehe uns recht: Wir verneigen uns mit dem schuldigen Respekt vor den Opfern Hitlers,
auch wenn sie vorher Marschallstäbe von ihm entgegennahmen und erst dann von ihm abfielen,
als Deutschlands militärische Niederlage besiegelt war. Aber das enthebt uns nicht der Pflicht zu
untersuchen, warum die Männer des 20. Juli scheiterten, deren Chancen wahrhaftig größer waren
als die irgendeiner anderen Antinazibewegung zuvor. Und dafür bietet das Buch von Dulles
interessantes Material, das umso bemerkenswerter ist, als er innerlich der Gedankenwelt der
wichtigsten Männer des 20. Juli nicht so fern steht. Als Chef des amerikanischen Geheimdienstes
für Deutschland mit Sitz in Zürich war Dulles von 1942 bis 45 durch zahlreiche Kontakte mit den
oppositionellen Gruppen der Generalität und ihrer Verbündeten in Zivil über deren Ideen und
Bewegungen gut unterrichtet und konnte nach der Eroberung Deutschlands sein Wissen durch
Einsicht in Originalakten ergänzen.
Konspirativer Militärzirkel
Dulles nennt als die militärischen Schlüsselfiguren des Komplotts Generaloberst Ludwig Beck,
bis zum Sommer 1938 Chef des deutschen Generalstabs; den Generaloberst Kurt von
Hammerstein, Oberkommandierender der deutschen Armee von 1930 bis 1934; Feldmarschall
Erwin von Witzleben; den Hauptquartiermeister General Eduard Wagner; den Leiter der
Wirtschaftsabteilung des Generalstabs, General Georg Thomas; General Hans Oster, die rechte
Hand des Admirals Wilhelm Canaris, Leiter der »Abwehr«, der selber ebenfalls die Verschwörung
begünstigte; General Friedrich Olbricht und Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, beide in
kommandierenden Positionen der sogenannten Ersatzarmee. Hinzu kamen später nach Stalingrad
so einflussreiche Offiziere wie General H. von Tresckow, Stabschef der Mittleren Armeegruppe
in Russland, sein Vorgesetzter, der Marschall Fedor von Bock, ferner der Marschall Walther von
Brauchitsch und der Panzergeneral Heinz Guderian, die drei letzteren, wie andere mit
Vorbehalten, die für ihre Vorsicht, nicht für ihre Tapferkeit zeugten und ihnen am Ende doch
nichts ersparten. Als die Alliierten im Juni 1944 erfolgreich in Frankreich eingefallen waren,
schlossen sich die Marschälle Günther von Kluge, Oberkommandeur der im Westen stehenden
Armeen, und Erwin Rommel, der die Armeegruppe B. befehligte, bedingt der Opposition an, die
in dem Militärkommandeur von Paris, General Carl-Heinrich von Stülpnagel, und anderen hohen
Offizieren weitere Stützen hatte. Diese eindrucksvolle, bei weitem nicht vollständige Liste
umreißt den sehr weiten Kreis der Verschwörung, deren Bedeutung durch die ausschlaggebenden
Stellungen der Militärs im Kriege noch unterstrichen wird. Warum also scheitern sie? Nun, wir
kennen die Geschichte von der Zeitbombe, die nicht losging, als sie Hitler in dem Flugzeug
begleitete, das ihn 1943 von der Ostfront nach Deutschland brachte. Man weiß auch von den
verschiedenen Versuchen im Jahre 1944, Hitler zu töten, bis zu dem Hauptattentat, das am 20.
Juli nur seine Verwundung herbeiführte. Die Chronisten dieser Episoden tun oft so, als ob das
Misslingen der Anschläge für den Fehlschlag der ganzen Aktion verantwortlich sei, durch die
Beck an die Stelle Hitlers als Staatschef treten, Witzleben das Oberkommando übernehmen und
der frühere Reichs-Preiskommissar und Leipziger Oberbürgermeister Carl Friedrich Goerdeler als
Reichskanzler ein Kabinett »auf der Grundlage christlicher Tradition und westlicher Zivilisation«
bilden sollte. Dem ist nicht so.
Obwohl die Bombe Oberst Stauffenbergs Hitler nicht tötete, hätte der Umsturz durchaus glücken
können. Für einige Stunden nach dem Attentat lag der Vorteil des Handelns durchaus bei Beck
und seinen Bundesgenossen. Hätten sie ihn nur zu nutzen gewusst! Dort in Ostpreußen das durch
die Bombenexplosion und Verwirrung zeitweilig paralysierte Hauptquartier Hitlers und Wilhelm
Keitels – hier in Berlin im Kriegsministerium das Hauptquartier der Antinazigenerale. In ihrer
Hand war das ganze Telefon- und Morse-Netz zu den Armeekommandos in Deutschland und den
besetzten Ländern. In dieser Stunde war vieles möglich. Gewiss wurden die Befehle zur
Verhaftung der SS-Offiziere durchgegeben, und tatsächlich begann in Paris und in Wien die
Arretierung der Himmlerschen Elemente. Nur, im Mittelpunkt der Verschwörung und
Deutschlands, im Nervenzentrum des den Kontinent beherrschenden Militärapparats ließ man
kostbare Zeit verstreichen, ohne auch nur jene primitivsten Maßnahmen zu ergreifen, die jeder
Aufstand erfordert. Anstatt mit einigen, wenn auch kleinen Truppenteilen, sofort die
Regierungsgebäude, Verkehrsknotenpunkte und vor allem das Radio zu besetzen, um die
Errichtung der neuen Regierung zu proklamieren, dringend an das Volk zu appellieren, wurde zu
spät und nicht energisch genug unternommen. Wir werden gleich sehen, dass die Ursache dafür
viel tiefer als in taktischen Fehlern der Rebellen lag. Jedenfalls gab ihr Verhalten den Naziführern
die Möglichkeit, sich von dem Schock zu erholen und die Situation wieder herzustellen. Wer
aufmerksam Dulles' Buch liest, wird unschwer die wirklichen Gründe für die Niederlage der
Männer vom 20. Juli erkennen.
Gegen die Sowjetunion
Die wichtigste Ursache des Versagens der Generale lag darin, dass sie gar nicht für ein neues
Deutschland eintraten, sondern nur für eine andere Spielart des deutschen Imperialismus. Sie
warfen Hitler nicht so sehr vor, dass er Krieg führte, als dass er ihn falsch führte und zu viel
Feinde angenommen hatte. Einer der engsten diplomatischen Vertrauensmänner der Gruppe, der
frühere deutsche Botschafter in Rom, Ulrich von Hassell, der nach dem 20. Juli hingerichtet
wurde, ließ 1940 dem damaligen englischen Außenminister Lord Halifax ein Memorandum
überreichen, in dem Elsaß-Lothringen, der polnische Korridor, Polnisch-Oberschlesien,
Österreich und die Sudeten für Deutschland gefordert wurden! Im Januar 1944 schickte Dulles
auf Grund der ihm übersandten Botschaften Becks und Goerdelers einen Bericht über die
politische Position der Verschwörer nach Washington, in dem es heißt: »Die Gruppe ist nur dann
bereit zu handeln, wenn ihr von den Westmächten zugesichert wird, dass sie nach der Beseitigung
der Nazis in direkte Verhandlungen mit den Angelsachsen treten kann. Die Gruppe ist ganz
besonders daran interessiert, dass Verhandlungen über Washington und London geführt werden,
und dass sie nicht direkt mit Moskau zu tun haben werde. Das Hauptmotiv ihrer Aktion ist der
leidenschaftliche Wunsch, Mitteleuropa davor zu bewahren, ideologisch und tatsächlich unter die
Kontrolle Russlands zu geraten.«
Das war im Januar. Aber noch »im Mai 1944 erhielt Hans Bernd Gisevius (deutscher Vizekonsul
in Zürich und Mittelsmann der Verschwörer zu Dulles. A. N.) von Berlin einen Plan, der von der
Militärgruppe in der Verschwörung vorgeschlagen war und der immer noch auf der Idee basierte,
dass die Deutschen ausschließlich nach dem Westen kapitulieren könnten«.
Anfang Juli kam ein anderer Vertrauensmann der Verschwörer, Theodor Strünck, der nach dem
20. Juli ebenfalls verhaftet und hingerichtet wurde, nach der Schweiz und meldete die Details der
unmittelbar bevorstehenden Aktion, auch dass der Oberkommandeur der Heimatarmee, General
Friedrich Fromm, und der Berliner Polizeipräsident, Wolf-Heinrich Graf von Helldorff, auf die
Seite der Verschwörer getreten seien. Was Strünck über die politischen Gedanken berichtete, von
denen die Generalsgruppe in jenen Tagen beherrscht war, gab Dulles in einem Lagebericht am
13. Juli nach Washington weiter. Er berichtet darüber in dem Buch:
»Ich meldete, dass die Verschwörer sich darüber klar seien, dass sie nur noch einige Wochen Zeit
hätten, um zu beweisen, dass Deutsche selber Deutschland von Hitler und seiner Bande befreien
und ein anständiges Regime errichten könnten und dass die Bedrohung deutschen Gebietes im
Osten und ihr Wunsch, soviel als möglich von Deutschland vor der sowjetischen Besetzung zu
retten, ihrer Bewegung neuen Anstoß gegeben hätte. Daher werde im Falle eines Gelingens des
Anschlages wahrscheinlich ein geordneter Rückzug im Westen erfolgen, während Deutschlands
beste Divisionen zur Verteidigung an die Ostfront geschickt werden würden.«
Es ist demnach klar, dass die rebellierenden Generale Fleisch vom Fleisch des deutschen
Imperialismus waren, seine alte Taktik des Ausspielens des Westens gegen den Osten fortsetzen
wollten und sich derselben Hoffnung hingaben wie das Große Hauptquartier Hindenburgs nach
dem Ersten Weltkrieg: nämlich den Krieg nachträglich im Osten, möglichst mit Hilfe westlicher
Länder, zu gewinnen. Einstellung des Widerstandes im Westen und Fortsetzung des Krieges im
Osten – das war aber nicht nur die Lieblingsidee der Generale. Auch Goerdeler, ein konservativer
Freund der monarchischen Staatsform und leitender Kopf bürgerlicher antinazistischer
Oppositionskreise, bekannte sich zu dieser Plattform und – es muss gesagt werden – eine
sozialdemokratische Gruppe, die zu dem oppositionellen Kreisau-Zirkel des Grafen Moltke
gehörte. Dulles berichtet darüber:
»Um Weihnachten 1942 herum trafen sich Carlo Mierendorff, Theodor Haubach und Emil Henk
in einem Kurort in den bayrischen Bergen. In Kenntnis der Pläne zur Ermordung Hitlers fragten
sie sich: ›Aber was nach Hitler?‹ Wohin würde Deutschland sich wenden? Die amerikanischen
und britischen Streitkräfte waren weit weg, und keine baldige Invasion des Kontinents war zu
erwarten. So kamen sie zu dem Schluss, dass, solange die Russen die einzige Macht mit großer
militärischer Streitkraft auf dem Kontinent seien, Hitlers Verschwinden Deutschland allzu leicht
in die Hände des Kommunismus liefern könnte. Deutschland würde von Sowjetrussland
überwältigt werden. Emil Henk zufolge beschlossen diese Sozialdemokraten, ihre
Mitverschwörer dahingehend zu beeinflussen, Hitlers Ermordung zu verschieben, bis die
amerikanischen und englischen Armeen sich auf dem Kontinent festgesetzt hätten. Mierendorff
wurde delegiert, um Leuschner (der frühere hessische Innenminister und sozialdemokratische
Vertrauensmann im engsten Verschwörerkreis. A. N.) zu überzeugen, und Moltke sollte die
Sache mit Beck besprechen. Leuschner stimmte zu, obwohl er die Gefahr der Verzögerung sah;
der Schatten der Gestapo war bereits über ihnen allen, und Leuschner hatte Grund genug zu
fürchten, dass bis zur Invasion der Untergrund dezimiert sein würde.«
Ungelenke Palastrevolte
Soweit Dulles, und wir möchten uns jeden Kommentar zu einer Politik ersparen, die aus Sorge
vor einer zu schroffen Linksentwicklung in Deutschland bereit war, Hitler und seinen Krieg noch
länger zu dulden. Hier sind wir bei der innenpolitischen Konzeption der Männer des 20. Juli.
Horror erfasste sie bei dem Gedanken an eine Volksrevolution. Ihr Plan bestand darin, das Volk
vor das Fait accompli einer Palastrebellion zu stellen. Als am 11. Juli 1944 einer der Verschwörer
dem Generaloberst Beck vorschlug, dass die in das Komplott eingeweihten Kommandeure ihre
Armeen zum Kampf gegen die Nazis führen sollten, lehnte Beck entschieden ab. »Er wollte
keinen Bürgerkrieg.« In der Tat tauchte bei der Skizzierung der Maßnahmen, die sofort nach dem
Attentat zu ergreifen waren, nicht einmal der Gedanke auf, sich durch das Radio und andere
Mittel an das Volk um Hilfe zu wenden, die deutschen und ausländischen Arbeiter zum Aufstand
gegen die Nazifronvögte aufzurufen und so dem Umsturz die breite soziale Basis zu verschaffen.
Hier haben wir es mit der innenpolitischen Ergänzung der verdächtigen außenpolitischen Haltung
der Verschwörer zu tun, durch die sie ihre eigene Stellung schwächten. Aus der neuen Regierung,
auf die sie sich geeinigt hatten und deren komplette Ministerliste vorlag, sollten den zuverlässigen
Informationen von Dulles zufolge die Kommunisten völlig ausgeschlossen bleiben. Diese
Ausschaltung mag umso mehr befremden, als die Kommunisten doch einen recht beträchtlichen
Sektor der Antinaziopposition darstellten. Adam von Trott zu Solz, einer der diplomatischen
Vertrauensmänner der Verschwörer – auch er nach dem 20. Juli hingerichtet – gab im April 1944
bei einem Besuch in der Schweiz eine Übersicht über die Lage in Deutschland, aus der Dulles
zitiert:
»Der Zug zur äußersten Linken hat erstaunliche Ausmaße angenommen und gewinnt ständig an
Triebkraft. Es existiert in Deutschland ein kommunistisches Zentralkomitee, das die
kommunistische Tätigkeit in Deutschland leitet und koordiniert. Seine Wirksamkeit ist durch die
Anwesenheit von Millionen russischer Kriegsgefangener und Arbeiter in Deutschland mächtig
verstärkt, und viele von ihnen sind heimlich organisiert worden. Der ständig wachsende
kommunistische Einfluss…«
Für den Entschluss der Verschwörer, dem kommunistischen Flügel der Antinaziopposition keine
Regierungsbeteiligung zu gewähren, suchen und finden der Anwalt von Wall-Street und seine
adligen Ghostwriters Entschuldigungsgründe, und dabei gelangen sie auf das sonst von ihnen
vermiedene Feld der Verleumdung. Die Tatsache, dass die nach dem Reichstagsbrand durch
Verhaftung und Ermordung ihrer Funktionärskader beraubte KPD bei den Terrorwahlen am 5.
März 1933 eine Million Stimmen verlor, verwandelt sich unter der Feder der Autoren von
»Deutschlands Untergrund« in einen »Überlauf von über einer Million Kommunisten zu den
Nazis. Danach wurden viele Kommunisten sogar Mitglieder der Gestapo«. Judas Ischariot hat
zahlreiche Nachkommen, und bei Errichtung der Nazidiktatur war keine Partei ohne Verräter,
wenn auch eine objektive Geschichtsschreibung wird festhalten müssen, dass gewisse bürgerliche
Gruppierungen sich mit Haut und Haar und Reichstagsfraktion dem »Dritten Reich« und seinen
Ermächtigungsgesetzen verschrieben, während keine Partei so viele Helden des antifaschistischen
Kampfes produzierte wie die der Kommunisten. Dulles Behauptung ist also eine Verfälschung
des Tatbestandes, die mit dem Nachteil der Unoriginalität den Vorteil verbindet, dass sie die
Voreingenommenheit des Autors enthüllt.
Mit den Kommunisten?
Zur Entschuldigung der Gruppe des 20. Juli, die sich der Zusammenarbeit mit den Kommunisten
widersetzte, führt Dulles das Argument ins Feld, dass die kommunistischen
Untergrundorganisationen von der Gestapo zersetzt worden seien, weswegen ein Kontakt mit
ihnen unzweckmäßig gewesen wäre. Nun stimmt es zweifellos, dass Himmlers Geheimpolizei
ihre Bemühungen ganz besonders auf die Kommunisten konzentrierte, die ja in der ersten Zeit
des Naziregimes als einzige politische Partei den aktiven Untergrundkampf proklamierten und
betrieben. Aber gerade die beiden Beweise, die Dulles anführt, erweisen sich bei näherem
Hinsehen als nicht stichhaltig.
Er erwähnt die »Rote Kapelle«, jene weitverzweigte, zu den Kommunisten neigende
Geheimorganisation, an der zahlreiche bekannte Intellektuelle beteiligt waren und deren
Aufdeckung im Zweiten Weltkrieg mit vielen Hinrichtungen endete. Er behauptet, dass sie
»durch einen russischen Agenten, der mit Fallschirm in Deutschland absprang, der Gestapo
verraten« wurde. In Wirklichkeit ging die Gruppe aus ganz anderen Gründen hoch, die nichts mit
Verrat, wohl aber mit der Entschlüsselung einer Geheimchiffre zu tun haben. Da man im State
Department, wie ich zu wissen glaube, über den wirklichen Sachverhalt sehr genau informiert ist
und Mr. Dulles ein langjähriger höherer Beamter des amerikanischen Außenministeriums war,
wäre es ihm nicht schwergefallen, die Wahrheit festzustellen. Allerdings hätte er sich dann der
Möglichkeit beraubt, eine tendenziöse Desinformation zu verbreiten.
Die zweite Geschichtsfälschung, derer er sich schuldig macht, bezieht sich auf die unmittelbare
Vorgeschichte des 20. Juli. Oberst Stauffenberg fiel beträchtlich aus dem Rahmen der übrigen an
der Verschwörung beteiligten Militärs. Wo diese oft nur an die Konservierung der Wehrmacht
dachten und in den eroberten Ländern Faustpfänder gegenüber den Alliierten sahen, welch
letztere man auseinanderzumanövrieren gedacht, wo sie, die Generale, eine militärische
Atempause zu gewinnen trachteten und innenpolitisch eine konservative Regierungsform
etablieren wollten, da hatte Stauffenberg eine ganz andere Konzeption. Er lehnte das
verantwortungslose Spiel ab, das eine Einheitsfront des nachhitlerischen Deutschlands mit den
Westmächten gegen die Sowjetunion betrieb, und er forderte mit einer Energie die auch durch
seine schwere Verwundung in Nordafrika nicht beeinträchtig worden war, die Einschaltung der
Kommunisten in die Aufstandsfront.
Er fand dabei die Unterstützung des neben Leuschner hervorragendsten Repräsentanten der
Sozialdemokratie in der Verschwörung, Dr. Julius Leber, der sich am 22. Juni 1944 mit Anton
Saefkow und Franz Jacob traf, den Leitern der zentralen kommunistischen Gruppe. Anfang Juli
wurden Saefkow, Jacob, Leber und viele andere Kommunisten und Sozialdemokraten verhaftet
und später hingerichtet. Ohne den Schatten eines Beweises macht Dulles für die Verhaftung
Lebers und seiner Parteigenossen die angebliche Zersetzung des kommunistischen Untergrundes
durch die Gestapo verantwortlich, nicht ohne Leber für sein »etwas zu hastiges« Vorgehen,
nämlich für seinen Versuch der Herstellung der gemeinsamen Front mit den Kommunisten, leise
zu tadeln. Eine wahrheitsgetreue Geschichte des deutschen Untergrundes wird auch hier die
Tatsachen ins rechte Licht rücken.
Authors
Albert Norden
Source URL (modified on 26.11.2014): https://www.jungewelt.de/thema/gef%C3%A4lligewiderst%C3%A4ndler
Links
[1] http://marx-engels-stiftung.de
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