DOI: 10.1002/piuz.200901220 Interferentielle Fotografie Farbbilder aus gefrorenem Licht A LBAN K ELLERBAUER Vor gut hundert Jahren erhielt Gabriel Lippmann für sein revolutionäres Farbfotografie-Verfahren den Nobelpreis für Physik. Nach einer kurzen Blütephase geriet diese Technik wieder in Vergessenheit, obwohl sie überraschende Parallelen zur modernen Holografie aufweist. Mikroskopisch kleine optische Spektrometer könnten das Prinzip wieder aufleben lassen. ean-Christophe Blaser erbittet sich einige Minuten Konzentration, um die Zahlenkombination des Safeschlosses einzustellen. Schließlich schwenkt der Kurator des Musée de l’Élysée in Lausanne, des ältesten und bedeutendsten Fotografie-Museums der Schweiz, die schwere Stahltür auf und gewährt Zutritt zum Allerheiligsten des Museums. Hier lagern in den flachen Schubladen zweier Stahlschränke die Juwelen seiner Kollektion, wie Blaser sich selber ausdrückt. Es ist das fotografische Vermächtnis des französischen Physikers Gabriel Lippmann, das aus etwa 130 nach seinem Verfahren aufgenommenen Farbfotografien aus der Zeit von etwa 1891–1899 besteht. Die Aufnahmen sind klein, keine ist größer als eine Postkarte. Und doch vermitteln sie mit ihrem Detailreichtum und ihrer Farbtreue einen erstaunlichen Blick zurück in eine Zeit, die wir sonst nur aus verwaschenen Schwarzweißaufnahmen kennen. Lippmann wurde 1845 als Sohn französischer Eltern in Luxemburg geboren. Er studierte zunächst an der École normale in Paris, musste die Ausbildung zum Lehrer aber J Gabriel Lippmann (1845–1921), Nobelpreis für Physik 1908. 16 | Phys. Unserer Zeit | 1/2010 (41) nach einer nicht bestandenen Prüfung abbrechen. Trotzdem erhielt er 1872 ein Stipendium der französischen Regierung, das ihm einen mehrjährigen Forschungsaufenthalt in Heidelberg und Berlin ermöglichte. In Heidelberg, wo er mit dem Physiologen Wilhelm Kühne in den Labors von Gustav Kirchhoff arbeitete, entwickelte er das Kapillarelektrometer, das viele Jahrzehnte lang zur hochgenauen Messung von Spannungen, insbesondere für die Elektrokardiografie, eingesetzt wurde. 1875 kehrte Lippmann nach Paris zurück und wurde 1883 an die Sorbonne berufen. Dort war er zunächst Professor für Mathematische Physik, später für Allgemeine Physik. Der Universalgelehrte wurde unter anderem Doktorvater von Marie Curie. Er starb 1921 auf See bei der Rückreise von einer diplomatischen Mission nach Kanada. Gefrorenes Licht Die ab 1860 entwickelten frühen Techniken der Farbfotografie beruhten auf subtraktiven oder additiven Verfahren mit zwei oder drei Farbstoffen, wie sie auch bei der modernen Analogfotografie zur Anwendung kommen. Haupthindernisse dieser ersten Versuche waren die mangelnde Beständigkeit und Farbtreue der Bilder. Lippmann löste beide Probleme mit seiner Erfindung, die er selber Heliochromie (von altgriech. helios „Sonne“ und chroma „Farbe“) oder interferentielle Fotografie nannte. Zugleich erreichte er die Darstellung aller theoretisch möglichen Farben, also des kontinuierlichen Sonnenspektrums. In dieser Hinsicht ist bis heute kein anderes fotografisches Verfahren der Lippmannschen Fotografie ebenbürtig. Lippmann entwickelte seine Methode ab etwa 1880. Er stellte sie aber erst nach knapp zwölf Jahren harter Arbeit 1891 der Académie des Sciences vor, nachdem er die größten technischen Probleme gelöst hatte [1]. Das Prinzip der interferentiellen Fotografie beruht auf der Speicherung von Farbinformation als Interferenzmuster im Volumen einer lichtempfindlichen Schicht. Es ist vereinfacht in Abbildung 1 dargestellt. Als Aufnahmemedium dient eine Glasplatte, die auf einer Seite mit einer fotografischen Emulsion beschichtet ist. Dabei kommt gewöhnliche Silberchemie aus der Schwarzweiß-Fotografie zum Einsatz, bei der das Licht die Silberionen in Halogensalzen (zum Beispiel Ag+Br–) zu metallischem Silber reduziert. Die anschließende Entwicklung reduziert weitere Silberionen in unmittelbarer Nähe der primären Keime und macht diese so sichtbar. © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim FA R B F OTO G R A F I E | OPTIK Gabriel Lippmanns Aufnahme eines Waldwegs in Fontainebleau bei Paris, ca. 1891–1899 (mit frdl. Genehmigung des Musée de l’Élysée, Lausanne). Für die Aufnahme wird die aufrecht gestellte Fotoplatte auf der Emulsionsseite mit einem Quecksilberfilm benetzt (Abbildung 1a). Dann bildet die Linse einer Camera obscura die Lichtstrahlen des Objekts auf der Fotoplatte ab. Sie durchdringen diese, werden vom Quecksilberspiegel reflektiert und interferieren in der Emulsion mit sich selbst. Betrachten wir zunächst ein vereinfachtes Modell dieses Prozesses. Das elektrische Feld der in z-Richtung einfallenden und reflektierten ebenen Wellen einer monochromatischen Lichtquelle mit der Vakuumwellenlänge λ und der Frequenz ν hat die Form ⎛ –2πnz ⎞ E = E0 xˆ cos ⎜ – 2πν t ⎟ und ⎝ λ ⎠ ⎛ 2πnz ⎞ E = E0 xˆ cos ⎜ – 2πν t + π ⎟ . ⎝ λ ⎠ (1) Dabei bezeichnet n die Brechzahl der Emulsion, E0 ist das Maximum der elektrischen Amplitude und x̂ der Einheitsvektor in ihrer Richtung, er steht senkrecht auf z. Die ursprüngliche Polarisierung und Phase der Welle können wir ohne Verlust der Allgemeinheit frei wählen. Die Interferenz zwischen einfallender und reflektierter Welle, also die Addition der beiden Beiträge aus Gleichung (1), sorgt für eine stehende Welle mit dem elektrischen Feld E = 2 E0 xˆ sin 2πnz sin 2πν t . λ (2) Die Bestrahlungsstärke (oder Intensität) ist der zeitgemittelte Betrag des Poyntingschen Vektors S, der den Energie© 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim transport pro Zeiteinheit in Richtung der Wellenfortpflanzung darstellt: I = 〈 S〉 = ncε 0 〈 E 2 〉 2πnz = 2ncε 0 E02 sin 2 . λ (3) Dabei stehen ε0 für die elektrische Feldkonstante und c für die Vakuumlichtgeschwindigkeit. Ein Faktor 1/2 ergibt sich aus der Integration des zeitabhängigen Teils von Gleichung (2) über eine Periode. Die Intensitätsbäuche haben also einen Abstand von d = λ/2n. An den Orten der Intensitätsmaxima werden nun bevorzugt Silberionen reduziert. Dadurch entstehen bei der Entwicklung feine reflektierende Plättchen, auch Laminae genannt. Sie sind senkrecht zur Einfallsrichtung des Lichts ausgerichtet. In jedem Bildpunkt der Fotoplatte wird über die Plättchenabstände die Wellenlänge des abgebildeten Objektpunktes im Volumen der Emulsion gespeichert. Damit Plättchen mit einem Abstand von d = 200 nm (bei blauem Licht mit λ = 400 nm) aufgelöst werden können, muss die fotografische Schicht eine Zeilendichte von etwa 10 000 pro mm erreichen. Das ist etwa hundert Mal feiner als die Auflösung eines modernen Negativfilms. Lippmann fertigte dazu Emulsionen an, die im Vergleich zur normalen Schwarzweiß-Fotografie eine stark verringerte Menge an Silberhalogenid-Molekülen enthielten. Eine gleichmäßige Lichtempfindlichkeit im gesamten sichtbaren Wellenlängenbereich (Isochromatismus) erreichte er durch die Zugabe von gelblich-rötlichen organischen Farbstoffen. www.phiuz.de 1/2010 (41) | Phys. Unserer Zeit | 17 Zum Betrachten einer Lippmann-Fotografie braucht man eine diffuse Lichtquelle, die ein kontinuierliches Emissionsspektrum aufweist. Abbildung 1b zeigt, wie das einfallende weiße Licht dann von mehreren Schichten der teilweise durchlässigen Laminae reflektiert wird. Dabei interferieren die jeweils entstehenden Elementarwellen nur dann konstruktiv, wenn der Ausfallswinkel gleich dem Einfallswinkel α ist und außerdem der Gangunterschied δ ein Vielfaches der Wellenlänge in der Emulsion λ'/n beträgt. Für konstruktive Interferenz gilt demnach die aus der RöntgenBeugung bekannte Bragg-Bedingung m Von Lippmann zu Denisjuk λ' = 2d cos α mit m = 1, 2, …. n (4) Mit dem oben gefundenen Ausdruck für d ergibt sich also λ' = (λ/m) cos α. Bei kleinen Einfallswinkeln (cos α ≈ 1) hat das an den Plättchen gebeugte Licht exakt die gleiche Wellenlänge wie das Licht, das diese hervorgerufen hat, oder einen ganzzahligen Teiler davon. Da der Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichts nur rund eine Oktave umfasst, beobachtet man die höheren Harmonischen in der Regel nicht. ABB. 1 | Aus der Winkelbedingung ergibt sich die Notwendigkeit, das Bild genau in Aufsicht anzuschauen. Steigt der Betrachtungswinkel über 10° hinaus, dann verschieben sich nämlich die Farben zunehmend wahrnehmbar. Die Lichtquelle muss sich demnach hinter dem Betrachter befinden. Das sorgt allerdings für störende Reflexe beim Blick auf die Fotoplatte. Ein flaches Prisma kann diese unterbinden und schützt zudem die empfindliche Schicht vor Beschädigung. Es wird oft mit Kanadabalsam auf die Emulsion geklebt, das eine ähnliche Brechzahl wie Glas hat. PR I N Z I P D E R L I PPM A N N - FOTO G R A F I E Im Jahre 1962 stellte der russische Physiker Juri Denisjuk (1927–2006) die nach ihm benannte Denisjuk-Holografie vor, die auf Lippmanns Arbeiten basiert [2]. Dieses frühe holografische Verfahren erfordert für die Aufnahme eine monochromatische Lichtquelle (zum Beispiel einen Laser), zur Betrachtung kann man aber wie bei Lippmann eine diffuse Weißlichtquelle verwenden. Auch ein DenisjukHologramm wird senkrecht zum Aufnahmemedium betrachtet. ABB. 2 a) a) | VO N L I PPM A N N Z U D E N I S J U K λ1 λ2 d λ3 Objekt Linse Gl Em Gl Sp b) b) einfallendes weißes Licht d δ/2 Em Sp λ λ α λ Gl Em Betrachter Aufnahmemedium: Glasplatte (Gl) mit einer lichtempfindlichen Schicht Silberhalogenid-Emulsion (Em) (Schichtdicken nicht maßstabsgetreu). a) Aufnahme: Eine spiegelnde Schicht (Sp) aus Quecksilber hinter der Fotoplatte reflektiert das Licht in die Emulsion zurück; es interferiert mit dem einfallenden Licht, an den Intensitätsmaxima entsteht metallisches Silber. b) Betrachtung: Die teildurchlässigen, reflektierenden Schichten werfen bei annähernd senkrechtem Einfall selektiv Licht mit derselben Wellenlänge zurück, das sie entstehen ließ. 18 | Phys. Unserer Zeit | 1/2010 (41) www.phiuz.de Gl Em Objekt a) Interferentielle Fotografie nach Lippmann: Reflektierende Plättchen speichern die Farbinformation, indem ihr Abstand die Wellenlängeninformation enthält; die Phase aller stehenden Wellen ist durch den Intensitätsknoten an der Grenzfläche zwischen Emulsion (Em) und spiegelnder Schicht (Sp) für alle Bildpunkte festgelegt. b) Weißlichtholografie nach Denisjuk: Das hinter der Fotoplatte plazierte Objekt reflektiert die einfallenden monochromatischen Lichtwellen und prägt so den erzeugten Plättchen eine Phaseninformation auf. © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim FA R B F OTO G R A F I E | OPTIK Gabriel Lippmanns Aufnahme des Palais du Luxembourg (frz. Senat) (mit frdl. Genehmigung der Université Pierre et Marie Curie). Abbildung 2 verdeutlicht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Verfahren. Bei der Lippmann-Fotografie wird das einfallende Licht am Quecksilberspiegel reflektiert. Die Phase der stehenden Welle wird unabhängig von der Farbe des einfallenden Lichts durch die Intensitätsknoten an der Grenzfläche zwischen Spiegel und Emulsion fixiert. Diese Farbinformation wird in jedem Lichtpunkt durch den Abstand d der parallelen Plättchen voneinander gespeichert. Bei der Denisjuk-Holografie ist die Situation genau umgekehrt. Die Reflexion des einfallenden monochromatischen Lichts findet an dem abzubildenden Objekt statt (Abbildung 2b). Aus der Überlagerung von einfallendem und reflektiertem Licht bildet sich wieder eine stehende Welle. Sie trägt nun jedoch eine Information über die dreidimensionale Beschaffenheit des Gegenstands, die wiederum in Form der reflektierenden Plättchen gespeichert wird. Bei der Betrachtung rekonstruiert die selektive Reflexion der einfallenden Lichtwelle in jedem Bildpunkt die Phase der ursprünglichen stehenden Welle und gibt so die dreidimensionale Form des Körpers wieder. Darstellung natürlicher Farben Bei genauerer Überlegung wird offensichtlich, dass die diskutierte vereinfachte Darstellung die Lippmann-Aufnahme eines realen Objektes nicht zufriedenstellend beschreiben kann. Die meisten Gegenstände erscheinen nicht in reinen Spektralfarben, sondern besitzen ein kontinuierliches Reflexionsspektrum f(λ). Das primäre Spektrum des Sonnenlichts F(λ) ist ebenfalls kontinuierlich. Es entspricht unge© 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim fähr demjenigen eines schwarzen Körpers bei 5500 °C und ist im sichtbaren Bereich recht flach. Das vom Betrachter in jedem Punkt des Gegenstands beobachtete Farbspektrum ist somit das Produkt F(λ) f(λ). Ist eine Emulsion nun isochromatisch, dann ist bei ihr das Produkt aus Sonnenspektrum und Empfindlichkeitsspektrum F(λ) O(λ) für alle sichtbaren Wellenlängen annähernd konstant. Lippmann erkannte bald, dass er die Speicherung von natürlichen Farben theoretisch nicht einfach durch eine Kombination diskreter Laminae beschreiben konnte. Schon 1894 veröffentlichte er die mathematisch korrekte Beschreibung der interferentiellen Fotografie mit Hilfe des Fourier-Formalismus, die solche kontinuierlichen Reflexionsspektren berücksichtigt [3]. Lippmann ging vereinfachend davon aus, dass die Silberhalogenid-Moleküle unendlich fein in der Emulsion verteilt sind. Damit weist sie keinerlei Körnigkeit auf. Bei der Aufnahme entstehen nach der Entwicklung der Fotoplatte reflektierende Volumenelemente, deren Reflexionsgrad R(z) = [0; 1] proportional zur Intensität I(z) der stehenden Lichtwelle ist. Bei einem einfallenden Lichtstrahl, der ein kontinuierliches Spektrum aufweist, ergibt sich I(z) aus der Überlagerung vieler monochromatischer Beiträge der Gleichung (3) ähnlichen Form dI ( z , λ ) = 2ncε 0 E02 sin 2 2πnz dλ. λ (5) Die Integration dieses Ausdrucks über das primäre Lichtspektrum ergibt die gesamte Lichtintensität als Funktion des Abstands vom Spiegel: www.phiuz.de 1/2010 (41) | Phys. Unserer Zeit | 19 I ( z ) = ∫ F ( λ ) f ( λ ) O ( λ ) dI ( z , λ ) dλ λ = 2ncε 0 E02 ∫ f ( λ ) sin 2 λ 2πnz dλ. λ (6) Der Ausdruck unter dem Integral stellt die verallgemeinerte Fourier-Transformation (siehe „Fourier-Transformation“ auf S. 21) des Reflexionsspektrums f(λ) dar; als Basissystem dienen die Funktionen g(z) = sin2(2πnz/λ) = 1/2 – 1/2 cos(4πnz/λ), (7) die gerade sind und die Periodizität λ/(2n) besitzen. Bei der Betrachtung unter weißem Licht werden die monochromatischen Anteile der Lichtwelle von den spiegelnden Volumenelementen in der Emulsion partiell reflektiert. Analog zu Gleichung (1) ergibt sich nun für eine am Ort z reflektierte Teilwelle: ˆ R( z ) cos (–2 πν't + π + φ ) dz , dE( z , λ') = E0 x (8) wobei wir die zeitliche Entwicklung des Feldes an der Oberfläche der Fotoplatte betrachten. Die zusätzliche Phasenverschiebung φ = –4πnz/λ' rührt von der in der Emulsion zurückgelegten optischen Weglänge her. Die partiellen Reflexionen überlagern sich dann zu dem Gesamtfeld E(λ') = ∫ dE ( z , λ ') dz Gebrüder Auguste (1862–1954) und Louis Lumière (1864–1948), Pioniere der Fotografie und Kinematografie. (9a) kann durch die Gradation der fotografischen Emulsion ausgeglichen werden. Zuletzt bleibt die Frage zu klären, ob die zeitliche Kohärenz des Lichts von gemischtfarbigen oder weißen Objekten ausreicht, um die nötige Selbstinterferenz zu gewährleisten. Ausgehend von der Heisenbergschen Unschärferelation erhalten wir einen Ausdruck für das Produkt von Kohärenzzeit τc und spektraler Bandbreite Δν: D 4πnz dz cos 2 πν't λ' ˆ ∫ R( z ) sin 4πnz dz sin 2 πν't , + E0 x λ' D ˆ ∫ R( z ) cos = –E0 x D τc Δν ≈ 1, aus der sich die Beziehung mit D für die Dicke der Emulsion. Wenn wir in Gleichung (9b) das erste Integral mit X(λ') und das zweite mit Y(λ') abkürzen, dann ist die resultierende Intensität für jeden monochromatischen Anteil der Betrachtungslichtquelle I ( λ ') = ncε 0 2 2 E0 X ( λ '), 2 (10) da der gemischte Term X(λ')Y(λ') verschwindet. Zudem ist Y(λ') = 0, da es sich bei dem Integranden um das Produkt aus einer geraden und einer ungeraden Funktion handelt. Das Integral X(λ') ist aber nichts anderes als die inverse Fourier-Transformation von R(z). Sein Quadrat stellt den Reflexionsgrad der gesamten Fotoemulsion bei der Wellenlänge λ' dar. Daher ergibt sich als Endergebnis für das rekonstruierte Farbspektrum in dem betreffenden Bildpunkt bis auf numerische Konstanten das Produkt F(λ') f 2(λ'). Der Gesamtvorgang der Aufnahme und Betrachtung einer Lippmann-Fotografie bildet also das Reflexionsspektrum des aufgenommenen Objekts auf sein Quadrat ab. In der Terminologie der digitalen Bildverarbeitung entspricht das einer sogenannten Gammakorrektur von zwei. Dadurch werden die am stärksten ausgeprägten Anteile des ursprünglichen Spektrums zusätzlich verstärkt. Dieser Effekt 20 | Phys. Unserer Zeit | 1/2010 (41) www.phiuz.de (11) (9b) Lc = c λ2 τ ≈ n c n Δλ (12) für die Kohärenzlänge Lc ergibt, wobei c wieder die Vakuumlichtgeschwindigkeit bezeichnet. Bei dem annähernd monochromatischen Licht einer Natriumdampflampe und insbesondere bei Laserlicht beläuft sich die Kohärenzlänge auf viele hundert Perioden der stehenden Welle oder mehr. Wird die Lippmann-Platte jedoch mit dem kontinuierlichen Sonnenspektrum belichtet (zentrale Wellenlänge λ ≈ 550 nm, Breite des Spektrums Δλ ≈ 300 nm), dann beträgt die Kohärenzlänge nur etwa einen Mikrometer. Obwohl in diesem Fall nur noch wenige Perioden der stehenden Lichtwelle gespeichert werden können, enthält die genaue Form des Intensitätsmusters ausreichend Informationen, um das Spektrum zu rekonstruieren. Aufstieg und Fall der Heliochromie Für Lippmanns Verfahren entwickelte sich schnell eine große Begeisterung, die 1908 in der Verleihung des Nobelpreises für Physik an ihn gipfelte (s. Physik in unserer Zeit 2009, 39(6), 271). Etwa vierzig Jahre lang wurde die Heliochromie von professionellen Fotografen wie den Gebrüdern Lumière in Frankreich praktiziert. Aber auch bekann© 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim FA R B F OTO G R A F I E te Natur- und Geisteswissenschaftler wie der Spanier Santiago Ramón y Cajal (Nobelpreis für Medizin 1906) und der deutsche Arzt und Anthropologe Richard Neuhauss waren Enthusiasten der Heliochromie. Sie experimentierten an technischen Verbesserungen und veröffentlichten wissenschaftliche Artikel über ihre Arbeiten. Einige technische Schwierigkeiten ließen sich aber trotz aller Anstrengungen nicht überwinden: – Um die nötige Feinkörnigkeit zu erreichen, mussten die lichtempfindlichen Silberhalogenid-Moleküle im Vergleich zur normalen Schwarzweiß-Fotografie stark verdünnt werden. Dadurch wurde die Emulsion weniger lichtempfindlich und erforderte Belichtungszeiten von einer Minute oder mehr. So war die Heliochromie für Portraitaufnahmen nur bedingt geeignet. – Die Handhabung der Utensilien bei der Aufnahme war – selbst im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Verfahren – sehr kompliziert. Insbesondere das Hantieren mit dem Gefahrstoff Quecksilber erwies sich als Hemmschuh für eine breite Anwendung. – Die Wiedergabe erforderte eine optimale Beleuchtung durch eine diffuse Weißlichtquelle, zumeist wurden die Bilder bei Tageslicht betrachtet. Eine Ausstellung in Innenräumen, zumal ohne elektrisches Licht, war nicht möglich. – Einer kommerziellen Anwendung stand insbesondere die Tatsache entgegen, dass Lippmann-Fotografien nicht vervielfältigt werden können. Dadurch wurden sie für die Druck- und Werbeindustrie uninteressant. Andererseits ist dadurch aber jedes Heliochrom ein unersetzliches Unikat. Aus diesen Gründen wurde das Verfahren schon ab etwa 1910 zunehmend durch trichromatische Verfahren abgelöst, obwohl diese eigentlich qualitativ unterlegen waren. Dazu zählen die Autochromie, ein von den Gebrüdern Lumière entwickeltes und ab 1904 eingesetztes Rasterverfahren, und ab 1935/36 die modernen Dreischicht-Diafilme Kodachrome und Agfacolor. Heute könnten – dank der für die Holografie weiterentwickelten fotografischen Materialien – einige dieser Schwierigkeiten überwunden werden. Inzwischen sind polymere Emulsionen verfügbar, die extrem hohe Auflösungen erreichen und mit trockenen Verfahren entwickelt werden. Angesichts des Siegeszugs der digitalen Fotografie werden sich analoge fotografische Verfahren freilich nur noch in Nischenanwendungen behaupten können. Das grundlegende Prinzip der Lippmann-Fotografie, nämlich die Speicherung des kompletten Wellenlängenspektrums der Ausgangswelle als Fourier-Transformierte, könnte jedoch in den nächsten Jahren in der Nanotechnologie eine Renaissance erleben. Interferentielle Spektrometrie Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelte Joseph von Fraunhofer (1787–1826) das optische Spektrometer, ein Gerät zur Aufspaltung eines Lichtstrahls in seine spektralen © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | OPTIK Komponenten. Damit entdeckte er 1814 im Sonnenspektrum dunkle Linien, die einige Jahrzehnte später als Absorptionslinien von chemischen Elementen erkannt wurden. Bis heute sind Spektrometer von großer Bedeutung für die Klassifizierung von Sternen und anderen astronomischen Objekten. Spektrometer sind außerdem in der analytischen Chemie weit verbreitet und finden Anwendung in der Medizin, wo sie für Gewebeuntersuchungen eingesetzt werden. Die wichtigsten Bauformen sind die auf Brechung beruhenden Prismenspektrometer sowie Gitterspektrometer, bei denen das Licht durch Beugung aufgefächert wird. Alle diese Geräte sind jedoch groß, unhandlich und empfindlich. Aufbauend auf einem mehr als 65 Jahre alten Vorschlag des amerikanischen Physikers und Heliochromie-Experten Herbert E. Ives (1882–1953) wird von französischen Forschern derzeit ein Miniatur-Spektrometer entwickelt, das sich das Lippmannsche Prinzip zu eigen macht [4]. Der Aufbau ist in Abbildung 3a illustriert. Bei dem SWIFTS (Stationary-Wave Integrated Fourier Transform Spectrometry) ge- FO U R I E R-T R A N S FO R M AT I O N | In seinem Standardwerk „Analytische Theorie der Wärme“ postulierte der französische Physiker und Mathematiker Joseph Fourier, dass sich alle stetigen periodischen Funktionen als Reihen von Sinus- und Kosinusfunktionen darstellen lassen [5]. Die Frequenzen der Winkelfunktionen sind dabei ganzzahlige Vielfache der Grundfrequenz ω = 2πν der Ausgangsfunktion f (t): ∞ a fˆ (t ) = 0 + ∑ (ak cos k ωt + bk sin k ωt ). 2 k =1 Verschiebt man den Nulldurchgang der Ausgangsfunktion geeignet, dann erhält man eine rein gerade Reihe (nur aus Kosinusfunktionen bestehend) oder eine rein ungerade Reihe (nur aus Sinusfunktionen bestehend). Die Koeffizienten der Entwicklung sind definiert als ak = 2 ∫ f (t) cos k ωt dt und T T bk = 2 ∫ f (t) sink ωt dt, T T wobei man über eine beliebige Periode T = 2π/ω der Ausgangsfunktion integrieren kann. Diese ist durch die Vektoren der Entwicklungskoeffizienten a = (a0, a1,…) und b = (b0, b1,…) eindeutig und umkehrbar dargestellt. Soll die Methode der Fourier-Entwicklung auf nichtperiodische Funktio- www.phiuz.de nen erweitert werden, so tritt an die Stelle der diskreten Entwicklungskoeffizienten eine Funktion (oder Distribution) F(ω), die sich aus der Projektion der Ausgangsfunktion auf ein System von Basisfunktionen g(ω) ergibt: F (ω ) = f (t ) = 1 f (t ) g (ω ) dt und ∫ 2π T 1 F (ω ) g– (t ) dω ∫ 2π ω für die Hin- beziehungsweise Rücktransformation. Üblicherweise wählt man als Basissystem die komplexe Exponentialfunktion g (ω) = e–iωt. Weniger bekannt ist, dass man die Fourier-Transformation durch eine Projektion auf jedes beliebige vollständige und orthogonale Basissystem durchführen kann (verallgemeinerte Fourier-Transformation). Insbesondere folgt aus der Eulerschen Identität (e iϕ = cos ϕ + i sin ϕ), dass für ungerade Funktionen g (ω ) = g– (t ) = sin ωt und für gerade Funktionen g (ω ) = g– (t ) = cos ωt geeignete Basissysteme sind. 1/2010 (41) | Phys. Unserer Zeit | 21 ABB. 3 | SWIFTS a) Nanodetektoren Lichtfeldprofil Spiegel einfallende Lichtwelle Substrat Wellenleiter b) durch Ultraviolett-Lithografie auf ein Siliciumsubstrat aufgebracht und mit einer Siliciumdioxidschicht umschlossen. Die gesamte Struktur war weniger als einen Millimeter lang und etwa 50 μm breit. Um eine saubere Rekonstruktion des Spektrums zu erreichen, muss das Intensitätssignal mit einer Auflösung abgetastet werden, die etwa einem Viertel der Wellenlänge des einfallenden Lichts entspricht. Da optische Nanodetektoren in dieser Größe noch nicht zur Verfügung stehen, deponierten die Forscher entlang dem Wellenleiter ebenfalls mit einem lithografischen Verfahren eine Kammstruktur aus wenige Nanometer dünnen Golddrähtchen. Mit einer Kamera nahmen sie das an den Drähtchen gestreute Licht auf. Auf diese Weise gelang es ihnen, das Spektrum einer breitbandigen Infrarot-Lichtquelle mit guter Genauigkeit zu rekonstruieren. 1,0 Zusammenfassung Intensität 0,8 0,6 0,4 0,2 0 1,0 1,5 z / μm 0 5 1,0 0,5 0,8 Intensität 2,5 2,0 0,6 0,4 0,2 0 350 550 500 450 / nm e 400 g n lä Wellen 600 a) Eine polychromatische Lichtwelle wird in einen Wellenleiter eingespeist, der durch einen Spiegel abgeschlossen ist. Durch Selbstinterferenz entsteht eine stehende Welle mit einem charakteristischen Intensitätsverlauf, der die FourierTransformation des primären Spektrums darstellt. b) Das von den Nanodetektoren aufgenommene Intensitätsprofil kann durch (erneute) Fourier-Transformation auf das ursprüngliche Wellenlängenspektrum zurückgeführt werden. nannten Verfahren wird der zu analysierende Lichtstrahl in einen Lichtwellenleiter eingeleitet, der in einen Spiegel mündet. Alternativ kann der Strahl aufgespalten und gegenläufig mit sich selbst überlagert werden. Wiederum entsteht durch Selbstinterferenz des Lichtstrahls eine stehende Welle. Im Randfeld des Lichtprofils angebrachte Nanodetektoren messen die Lichtintensität als Funktion des Abstands z vom Spiegel. Abbildung 3b zeigt links das Intensitätsprofil einer Quecksilberdampf-Lampe als Beispiel. Daraus kann man nun mit einer Fourier-Transformation das ursprüngliche Wellenlängenspektrum der Lampe (rechts) rückrechnen. Die Technik besticht durch ihre hohe spektrale Auflösung λ/Δλ = 2nL/λ. Diese wird bei monochromatischem Licht nur durch die optische Weglänge nL begrenzt – und somit durch die mit Detektoren bestückte Länge des Wellenleiters. In ersten Versuchen wurde der Lichtwellenleiter 22 | Phys. Unserer Zeit | 1/2010 (41) www.phiuz.de Vor über hundert Jahren entwickelte Gabriel Lippmann die Heliochromie. Dieses fotografische Verfahren kann das kontinuierliche Spektrum des sichtbaren Lichts abbilden. Dabei speichert die Fotoemulsion in ihrem Volumen die Farbinformation als Fourier-Transformierte des ursprünglichen Spektrums. Moderne holografische Techniken funktionieren ähnlich, halten aber statt der Wellenlänge des reflektierten Lichts seine Phase und damit die dreidimensionale Gestalt des Objekts fest. Aus technischen und wirtschaftlichen Gründen konnte sich die Heliochromie nicht durchsetzen. Neue spektrometrische Verfahren zum Beispiel nutzen jedoch wieder das Prinzip der Lippmannschen Fotografie. Stichworte Farbfotografie, Gabriel Lippmann, Heliochromie, Wellenoptik, Holografie, Interferenz, Beugung, Spektrometrie, Fourier-Transformation, SWIFTS. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] G. Lippmann, C. R. Acad. Sci. 1891, 112, 274. Yu. N. Denisyuk, Sov. Phys. – Doklady 1962, 7, 543. G. Lippmann, C. R. Acad. Sci. 1894, 118, 92. E. le Coarer et al., Nature Photon. 2007, 1, 473. J. Fourier, Théorie analytique de la chaleur. Firmin Didot, Paris 1822. Der Autor Alban Kellerbauer, Studium der Physik in Stuttgart und Montréal (Kanada). Promotion 2002 in Heidelberg. Postdoc am CERN an Isolde und am Antimaterie-Experiment Athena. Von 2006 bis 2009 Leiter einer Emmy-Noether-Nachwuchsgruppe am MPI für Kernphysik in Heidelberg. Seit 2008 tätig am Institut für Transurane der Europäischen Kommission in Karlsruhe. Habilitation in Physik 2009 an der Universität Heidelberg. Anschrift Priv.-Doz. Dr. Alban Kellerbauer, Universität Heidelberg, Fakultät für Physik und Astronomie, Albert-Ueberle-Str. 3–5, 69120 Heidelberg. [email protected] © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim