Surveillance postoperativer Wundinfektionen im ambulanten Operieren Helmuth Komar Anästhesisten im Gewerbepark Regensburg Klinik im Medipark www.narkose-medipark.de Definitionen ● Surveillance [sə:'veiləns]: s. Überwachung f, (a.Polizei)Aufsicht f [Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Englisch] ● Surveillance laut Definition des Centers for Disease Control and Prevention (CDC): – „Fortlaufende, systematische Erfassung, Analyse und Interpretation nosokomialer Infektionsraten, die für das Planen, die Einführung und Evaluation von medizinischen Maßnahmen notwendig sind, einschließlich der Übermittlung dieser Informationen an diejenigen, die diese Informationen benötigen.“ Surveillance: Warum? ● Rechtliche Verpflichtungen: – MedHygV § 1: Regelungsgegenstand, Geltungsbereich: ● „Diese Verordnung regelt die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung, Erkennung, Erfassung und Bekämpfung nosokomialer Infektionen und Krankheitserregern mit Resistenzen in medizinischen Einrichtungen. Diese Verordnung gilt für: – – – 1) Krankenhäuser 2) Einrichtungen für ambulantes Operieren 3-8 weitere Surveillance: Wie? ● Rechtliche Verpflichtungen: – MedHygV § 10: Aufzeichnung und Bewertung, Ausbruchsmanagment: ● ● ● Leiterinnen und Leiter von Einrichtungen nach § 1 […] haben sicherzustellen, dass 1. die nach § 4 Abs.2 IfSG festgestellten nosokomialen Infektionen und das Auftreten von Krankheitserregern mit speziellen Resistenzen und Multiresistenzen fortlaufend in einer gesonderten Niederschrift aufgezeichnet und bewertet werden. 2. Die Erfassung und Bewertung […] hat mit geeigneten Verfahren, wie z.B. dem Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS), zu erfolgen. Effekte der Surveillance ● ● ● ● Studie aus 1985: 300.000 Patienten, 338 Kliniken Bestimmung der Rate nosokomialer Infekte zu Beginn der Studie (t0) Etablierung eines standardisierten Surveillancemoduls Beschäftigung eines Infektionspräventionsarztes und von Hygienefachpersonal (1/250 Patienten) Effekte der Surveillance ● ● ● Erneute Bestimmung der Rate nosokomialer Infekte 5 Jahre nach t0 Ergebnis: 32 % Reduktion der Infektionsrate in der Studiengruppe vs. Kontrolle (ohne Surveillance und Hygienearzt). [Haley RW, Culver DH e.a.(1985) The efficacy of infection surveillance and control programs in preventing nosocomial infections in US hospitals. Am J Epidemiol 121(2):182-205] Effekte der Surveillance ● ● Bestätigung der amerikanischen Daten durch neuere deutsche Studien Auswertung der KISS-Daten für ZVKassoziierte Sepsis, beatmungassoziierte Pneumonie und postoperative Wundinfekte 1997-2008 ergaben Senkung der Inzidenzen von 17 bis 44% nach Etablierung der Surveillance [Gastmeier P, Schwab F et al (2009) Reproducibility of the surveillance effect to decrease nosocomial infection rates. Infect Control Hosp Epidemiol 30(10):993-9] KISS oder „hausgemachte“ Surveillance? ● Vorteile etablierter Surveillancemodule: – Kein Aufwand für die Entwicklung selbstgestrickter Lösungen – Klare, schriftlich formulierte Algorithmen – Erprobte und praktikable Methodik – Hohe Anzahl teilnehmender Einrichtungen steigert Akzeptanz in der eigenen Abteilung (über 1000 Kliniken in Deutschland beteiligen sich an KISS) – Verfügbarkeit von Referenzdaten zum Vergleich mit der eigenen Abteilung KISS oder „hausgemachte“ Surveillance? ● ● Der Vergleich der hausinternen Infektionsraten mit den Referenzdaten eines großen Netzwerkes stimuliert Präventionsmaßnahmen stärker als die alleinige longitudinale Betrachtung der zeitlichen Entwicklung eigener Daten. Nachteil: Eigene Problembereiche oder Populationen sind nicht ausreichend abgebildet („one size fits all“) Vom „KISS“ zum „AMBU-KISS“ ● ● ● 1995: Gründung des Nationalen Referenzzentrums für die Surveillance nosokomialer Infektionen (NRZ) in Abstimmung mit der Kommission Infektionsepidemiologie am Robert-Koch-Insititut (RKI) Berufung durch das Bundesgesundheitsministerium Evaluation und Weiterempfehlung in 3-Jahresperioden Vom „KISS“ zum „AMBU-KISS“ ● Funktionen des NRZ werden durch das Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Kooperation mit dem Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Freiburg ausgeübt. ● Verwaltung des NRZ obliegt dem RKI ● Geschäftssitz: Berlin-Charité ● Direktorin: Prof. Dr. med. Petra Gastmeier KISS: Projektbeschreibung ● ● ● ● 1996: Entwicklung eines statistischen Algorithmus durch das NRZ Dieser korrigiert die tatsächlich aufgetretenen Inzidenzen nach wichtigen Einfluss-und Risikofaktoren und ermöglicht so orientierende Vergleiche Die Daten werden in den Kliniken erhoben und ans NRZ übermittelt. Die zusammengefassten und anonymisierten Daten werden vom NRZ den Teilnehmern als Referenzdaten bereitgestellt AMBU-KISS ● ● ● Seit 2002 Erfassung von Wundinfektionen nach ambulant durchgeführten Operationen Projektzentrum ist das Institut für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Freiburg In Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Berufsverbänden (Chirurgen, Orthopäden; Ophthalmologen) wurden 12 sog. Indikatoroperationen eingeführt, die überwiegend ambulant durchgeführt werden AMBU-KISS ● ● ● ● Die Indikator-OPs sind über den OPSProzedurencode definiert Teilnehmende AOZ/Praxen wählen 1-12 Indikator-OPs aus und melden deren Zahl und die Anzahl der Wundinfekte, die innerhalb von 30 Tagen postoperativ auftreten, dem NRZ. Das NRZ berechnet aus der Anzahl der Infekte pro durchgeführten Ops die Infektionsrate. Vergleichbarkeit der Daten wird durch Anwendung der CDC-Kriterien für Wundinfekte garantiert AMBU-KISS ● ● Wichtig: Zur Vergleichbarkeit der Daten müssen alle Patienten mit der ausgewählten Indikatoroperation in die Erfassung mit eingeschlossen werden. Wichtiger Unterschied zu OP-KISS: – Bei stationären Patienten werden die Infektionsdaten nach Risikofaktoren stratifiziert. – Bei AMBU-KISS sind Risikopatienten deutlich unterrepräsentiert und werden nicht „herausgerechnet“ 3. Voraussetzungen zur Teilnahme von Einrichtungen für Ambulantes Operieren an AMBU-KISS und Verpflichtungen des NRZ. Von Seiten der teilnehmenden Einrichtungen müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Durchführung von mindestens einer Indikatoroperation, Durchführung von mindestens 30 dieser Indikatoroperationen pro Jahr, Zustimmung der Einrichtungsleitung zur Teilnahme am Projekt, Vierteljährliche Übermittlung der Erfassungsdaten an das Projekt-Zentrum (Freiburg), Strikte Anwendung der CDC Kriterien (für die Nasenseptum-OP und die KataraktOP jeweils die modifizierten Definitionen des Protokolls) für die Diagnostik einer Wundinfektion und Weiterleitung dieser Kriterien an alle weiterbehandelnden Ärzte, Konsequente Anwendung der Festlegungen des Erfassungsprotokolls und Bereitschaft zur Diskussion offener Fragen, Teilnahme an Validierungsmaßnahmen Das NRZ sichert den beteiligten Einrichtungen zu, sie bei der Erfassung zu beraten und fachlich zu unterstützen, mit den Daten streng vertraulich umzugehen, regelmäßig (jährlich) den beteiligten Einrichtungen die standardisierten Infektionsraten als Referenzdaten zuzusenden, Hilfestellung bei der Umsetzung der Erfassungsergebnisse für das Qualitätsmanagement zu geben. Teilnahmebestätigung nach einem Jahr Teilnahme an der Infektionserfassung und der Teilnahme an Validierungsmaßnahmen. Indikatoroperationen Im Einzelnen werden folgende OPS-Codes erfasst: 1.)ART Arthroskopische Kniegelenksoperationen (OPS-Codes: 5-810_h, 5-811_h, 5-812_h, 5-813, 5-815, 5-819_h) 2.)HALLUX Korrektur einer Hallux valgus Deformität, Fuß (OPS-Codes: 5-788.00, 5-788.01, 5-788.10, 5-788.11, 5-788.20, 5-788.21, 5-788.30, 5-788.31, 5-808.a0, 5-808.b0) 3)HERN Verschluss von Leistenhernien, sowie Leisten-/Hodenoperationen mit und ohne Netz, endoskopisch oder offen chirurgisch (OPS-Codes: 5-530, 5-622.5, 5-624.4, 5-625.4) 4)HODEN Hodenoperationen (OPS-Codes: 5-611, 5-622.0, 5-622.1, 5-624.5, 5-630.0, 5-631.0, 5-631.1, 5-633.0, 5-633.1, 5-636.1, 5-636.2) 5)KATARAKT Katarakt-OP (OPS-Code 5-144) Bei diesen Eingriffen gelten modifizierte Definitionen für die Wundinfektion, siehe 6.2 6)LASH Endoskopische suprazervikale Hysterektomie (OPS-Code 5-682.02)2 Indikatoroperationen 7.)LUMB Lumbale Bandscheiben-OP, endoskopisch oder offen chirurgisch (OPS-301-Codes: 5-831.0, 5-831.1, 5-831.2) Für diesen Eingriff gibt es Beispiele zur Anwendung der CDC-Defintionen im Internet www.nrz-hygiene.de, unter Modul OP-KISS, OP-Liste, LUMB.8 8.)MAMMA_EX Mamma-OP: Lokale Exzision, inkl. Exzisionsbiopsie an der Mamma (OPS-Code 5-870.0) 9.)MAMMA_PLAST Mamma-OP: Vergrößerung der Mamma mit Implantation einer Mammaprothese (OPS-Codes: 5-883.0, 5-883.1, 5-883.2) 10.)SEPTUM Nasenseptum-OP (OPS-Codes: 5-214.0, 5-214.3, 5-214.4, 5-214.5, 5-214.6) Bei diesen Eingriffen gelten modifizierte Definitionen für die Wundinfektion, siehe 6.1 11.)STRIP Venöses Stripping, Crossektomie und Stripping von Varizen an den unteren Extremitäten (OPS-Code 5-385.7) 12.) KTS CDC-Kriterien für Wundinfektionen 1.)Postoperative oberflächliche Wundinfektion Infektion an der Inzisionsstelle innerhalb von 30 Tagen nach der Operation, die nur Haut oder subkutanes Gewebe mit einbezieht und eines der folgenden Kriterien trifft zu: 1. Eitrige Sekretion aus der oberflächlichen Inzision 2. Kultureller Nachweis von Erregern aus einem aseptisch entnommenen Wundsekret oder Gewebe von der oberflächlichen Inzision 3. Eines der folgenden Anzeichen: Schwellung oder Berührungsempfindlichkeit,, lokalisierte Schwellung, Rötung oder Überwärmung, und Chirurg öffnet die oberflächliche Inzision bewusst (gilt nicht bei negativer mikrobiologischer Kultur) 4. Diagnose des behandelnden Arztes CDC-Kriterien für Wundinfektionen 2.)Postoperative tiefe Wundinfektion Infektion innerhalb von 30 Tagen nach der Operation (innerhalb von 1 Jahr, wenn Implantat in situ belassen und Infektion scheint mit der OP in Verbindung zu bestehen und erfasst Faszienschicht und Muskelgewebe und eines der folgenden Kriterien trifft zu: 1. Eitrige Sekretion aus der Tiefe der Inzision, aber nicht aus dem operierten Organ bzw. der Körperhöhle, da solche Infektionen dann zur Kategorie 3 gehören würden CDC-Kriterien für Wundinfektionen 2. Spontan oder vom Chirurg bewusst geöffnet, wenn der Patient mindestens eines der nachfolgenden Symptome hat: Fieber > 38°, lokalisierter Schmerz oder Berührungsempfindlichkeit. Dieses Kriterium gilt jedoch nicht bei Vorliegen einer negativen mikrobiologischen Kultur aus der Tiefe der Inzision. 3. Abszess oder sonstige Zeichen der Infektion, die tieferen Schichten betreffend, sind bei der klinischen Untersuchung, während der erneuten Operation, bei der histopathologischen Untersuchung oder bei radiologischen Untersuchungen ersichtlich. 4. Diagnose des behandelnden Arztes. CDC-Kriterien für Wundinfektionen 3. Infektionen von Organen und Körperhöhlen im Operationsgebiet Infektion innerhalb von 30 Tagen nach der Operation (innerhalb von 1 Jahr, wenn Implantat in situ belassen) und Infektion scheint mit der Operation in Verbindung zu stehen und Erfasst Organe oder Körperhöhlen, die während der Operation geöffnet wurden oder an denen manipuliert wurde und Eines der folgenden Kriterien trifft zu: CDC-Kriterien für Wundinfektionen 1. Eitrige Sekretion aus einer Drainage, die Zugang zu dem Organ bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet hat. 2. Kultureller Nachweis von Erregern aus einem aseptisch entnommenen Wundsekret oder Gewebe aus einem Organ bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet. 3. Abszess oder sonstiges Zeichen der Infektion des Organs bzw. der Körperhöhle im Operationsgebiet ist bei klinischer Untersuchung während der erneuten Operation bei der histopathologischen Untersuchung oder bei radiologischen Untersuchungen ersichtlich. 4. Diagnose des behandelnden Arztes. Anmerkung: Für Nasenseptum-und Cataract-OPs existieren spezielle CDC-Kriterien Wundkontaminationsklassen ● 1 = aseptische Eingriffe – ● Nichtinfiziertes OP-Gebiet, in dem keine Entzündung vorhanden ist und weder der Respirations,- Gastrointestinal-noch Urogenitaltrakt eröffnet wurden. Werden primär verschlossen und wenn nötig mit Drainage versorgt. 2 = bedingt aseptische Eingriffe – Eingriffe, in denen der Respirations-, Gastrointestinal-oder Urogenitaltrakt unter kontrollierten Bedingungen und ohne ungewöhnliche Kontamination eröffnet werden Wundkontaminationsklassen ● 3 = kontaminierte Eingriffe – ● Offene, frische Zufallswunden, außerdem Operationen mit einem größeren Bruch in der aseptischen Technik (z.B. offene Herzmassage) oder mit deutlichem Austritt von Darminhalt sowie Eingriffe, bei denen eine akute, nicht eitrige Entzündung vorhanden ist 4 = septische Eingriffe – Alte Verletzungswunden mit devitalisiertem Gewebe und Eingriffe bei bereits vorhandener Infektion oder nach Perforation im GIT. Bei dieser Kontaminationsklasse ist das OP-Feld schon präoperativ mit Erregern kontaminiert. Durchführung der Erfassung Variante 1: Patienten werden zur Nachuntersuchung in die teilnehmende Einrichtung einbestellt. Kommt ein Patient nicht zur Nachuntersuchung, wird telefonisch oder schriftlich beim Patienten oder nachbehandelnden Art nachgefragt. Variante 2: Wie 1, aber ohne Nachfragen, falls der Patient nicht zur Nachsorge erscheint, weil er a) weiß, dass er sich nur bei einem Infekt unbedingt melden soll b) er in jedem Fall einen QS-Bogen zurückschicken muss c) engster Kontakt zu (überschaubar wenigen) Zuweisern und Nachbehandlern besteht. Durchführung der Erfassung Variante 3: Der Patient wird nicht zur Nachuntersuchung einbestellt. Den nachbehandelnden Ärzten werden Listen mit den AMBU-KISS-Patienten geschickt. Die Nachbehandler müssen mit den CDC-Kriterien vertraut sein und in jedem Falle eine POI melden. Weiterleitung und Auswertung ● ● ● Für die Weiterleitung der erfassten Indikatoroperationen existieren Vordrucke, die bevorzugt per Fax quartalsweise an das NRZ geschickt werden. Für jede Infektion ist ein spezieller Infektionserfassungsbogen an das NRZ zu schicken Patientendaten und der Operateur bleiben dabei anonym. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !