Broschüre_Wanderausstellung

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Thomas Scharf-Wrede (Hrsg.)
Rückblicke. Einblicke. Querblicke.
1.200 Jahre Bistum Hildesheim
Begleitbroschüre zur Wanderausstellung des Bistumsarchivs Hildesheim
Hildesheim 2015
Vorwort
Die Wanderausstellung „Rückblicke. Einblicke. Querblicke. 1200 Jahre Bistum Hildesheim“ will einen Einblick in die lange und ereignisreiche Geschichte des
Bistums Hildesheim geben.
Welchen Weg hat die Kirche von Hildesheim seit 815
genommen? In sechs Schritten wird versucht, diese
Frage zumindest ansatzhaft zu beantworten: in allgemein verständlicher Form, Vorwissen um die allgemeine Kirchen-, Landesgeschichte und Diözesangeschichte wird nicht vorausgesetzt. Dass auf den Ausstellungstafeln sowie in der Audio- und Videostation viele
Themen nur angerissen sind und viele Orte, Personen
oder Ereignisse unerwähnt bleiben, liegt auf der Hand:
1200 Jahre sind ja schließlich eine lange Zeit…
In der Audio- und Videostation können Quellentexte
aus 1200 Jahren – von der Bistumsgründung bis in die
Gegenwart – auszugsweise angehört sowie Bilder
und Videos aus der Geschichte des Bistums Hildesheim angesehen werden: als inhaltliche Ergänzung
der Tafeln und als eine andere Möglichkeit des „Geschichte-Erfahrens“.
Den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung
sowie den Leserinnen und Lesern dieser kleinen Begleitbroschüre viel Freude beim Rückblick, beim Einblick und beim Querblick in die 1200-jährige Geschichte des Bistums Hildesheim.
Thomas Scharf-Wrede
Die Tafeln – Texte und Bilder – bieten einen Einstieg in
die Hildesheimer Bistumsgeschichte von 815 bis in die
jüngste Gegenwart. Sie erzählen von der legendenumwobenen Gründung des Bistums, von seiner ersten Blütezeit unter den Bischöfen Bernward und Godehard, von der nachhaltigen Rivalität der Hildesheimer Bischöfe und der welfischen Herzöge, von der
sog. Stiftsfehde, von der Reformation und dem Erhalt
des Katholizismus im 16./17. Jahrhundert, von der Säkularisation von 1803, der Neuumschreibung des Bistums Hildesheim 1824 und den diversen Aufbrüchen
im 19. Jahrhundert sowie von seinem völligen „NeuWerden“ nach 1945.
Bildliche Darstellung
der Gründung des
Bistums Hildesheim aus
dem 17. Jahrhundert
Bernwardtür
im Westportal
des Hildesheimer
Mariendoms
St. Michaelis-Kirche in Hildesheim, Lieblingsgründung von
Bischof Bernward
815-1100
Die Gründung des Bistums Hildesheim im Jahr 815
durch Kaiser Ludwig den Frommen, Sohn Kaiser Karls
des Großen, erfolgte vor dem Hintergrund der Ausdehnung des fränkischen Reiches und der damit zusammenhängenden Christianisierung weiter Teile des
heutigen Niedersachsen. Auf einer Anhöhe in der
„Hildesheimer Mulde“ an der Innerste errichtete Kaiser Ludwig eine kleine Marienkirche, welcher der erste
Hildesheimer Bischof Gunthar (815-834) einen der hl.
Cäcilia geweihten Dom anschloss.
Auch wenn dieser Dom sicherlich kein Provisorium
war, wurde er doch bereits durch Bischof Altfrid (851874) – den vierten Bischof in der heute 70 Bischöfe
zählenden Hildesheimer Bischofsliste – durch einen
Neubau ersetzt: deutlich größer und deutlich stärker
auf „Nachhaltigkeit“ ausgerichtet, weil man inzwischen um das Gelingen der Bistumsgründung wusste. Dieser der Gottesmutter Maria geweihte Dom
und die ihm benachbarten Gebäude wurden 1046
durch einen großen Brand vernichtet. Sein Wiederaufbau erfolgte durch Bischof Hezilo (1054-1079),
der den neuen Dom 1061 feierlich weihte und für
dessen Mittelschiff einen großen, das himmlische
Jerusalem symbolisierenden Radleuchter stiftete. Im
Laufe der Jahrhunderte immer wieder den Bedürfnissen resp. dem Geschmack der Zeit angepasst, blieb
dieser Dom in seinen Grundfesten bis zur Zerstörung
der Stadt Hildesheim im Zweiten Weltkrieg bestehen.
Hof tätig gewesen, gelang Bischof Bernward eine
politische und wirtschaftliche Verfestigung des Bistums Hildesheim, wie ihm auch eine grundlegende
Qualifizierung des Diözesanklerus ein wichtiges Anliegen war. Nachhaltiges Zeugnis seines Wirkens als
Hildesheimer Bischof sind u.a. die Bernwardtür mit
„Bildgeschichten“ aus dem Alten und Neuen Testa­
ment sowie die Christussäule mit Szenen aus dem
öffentlichen Wirken Jesu im Hildesheimer Dom und
sowie in der St. Michaelis-Kirche, die eine Klosteranlage ist. Dass der Hildesheimer Mariendom und die
St. Michaelis-Kirche heute Teil des UNESCO-Welterbes sind, gründet ganz wesentlich im Tun von Bischof
Bernward.
Nachfolger von Bischof Bernward wurde der vormalige Abt des Benediktinerklosters Niederaltaich Godehard, der sich in seinem Episkopat in besonderer
Weise um die konsequente Ausrichtung der Kirche am
Evangelium bemühte: durch den Bau zahlreicher Kirchen und eine Intensivierung der Seelsorge, u.a. durch
regelmäßige Predigten der Pfarrer vor Ort. Beide Bischöfe, Bernward und Godehard, erfuhren im Bistum
Hildesheim eine breite Verehrung und wurden im 12.
Jahrhundert heiliggesprochen, Mitte des 20. Jahrhunderts dann auch Bischof Altfrid.
Die Amtszeit der Hildesheimer Bischöfe Bernward
(993-1022) und Godehard (1022-1038) gilt allgemein
als eine „Blütezeit“ des Bistums Hildesheim. In jungen
Jahren in verschiedenen Funktionen am kaiserlichen
1
Bischofsstab von
Bischof Otto I. (1260-1279)
Gründungsreliquiar des
Bistums Hildesheim
2
1100-1400
Während des Hochmittelalters verfestigte sich die
„Doppelrolle“ der Reichsbischöfe als geistliche Oberhirten und weltliche Herrscher, wobei die Grenzen
ihres kirchlichen und weltlichen Verantwortungsbereichs nicht immer deckungsgleich waren.
Das Bistum Hildesheim wurde auf einem Reichstag zu
Mainz im Jahr 1235 räumlich-politisch umschrieben
und in Abgrenzung zum Herzogtum BraunschweigLüne­burg als „selbständig und von jeglicher herzoglicher Gewalt eximiert“ anerkannt. Trotzdem oder
vielleicht auch gerade deswegen kam es im 13./14.
Jahrhundert immer wieder zu Auseinandersetzungen
zwischen den Welfen und den Hildesheimer Bischöfen, die 1367 in der Schlacht bei Dinklar gleichsam
kulminierten. Dem welfischen Heer in jeglicher Beziehung unterlegen, schien die Schlacht für die Hildesheimer bereits verloren, als – so die Legende – der
Hildesheimer Bischof Gerhard vom Berge (1365-1398)
den Seinen durch das Zeigen des Gründungsreliquiars
des Bistums Hildesheim den besonderen Beistand der
Gottesmutter Maria zusagte und die Hildesheimer
nunmehr doch noch siegten.
Wie eng politische und kirchlichreligiöse Belange in
dieser Zeit miteinander verbunden waren, zeigt die
Verwendung des Gefangenen-Lösegelds durch Bischof Gerhard: aus ihm finanzierte er die Errichtung
eines Kartäuserklosters in der Stadt Hildesheim, stiftete als Ausdruck seines Dankes an die Gottesmutter
der Domkirche einen großen Goldkelch und ließ auch
noch die Kuppel des Hildesheimer Mariendoms vergolden …
Von erheblicher Bedeutung für die Entwicklung des
Bistums Hildesheim war das Domkapitel, das sich im
Laufe des Mittelalters aus einer verfassten geistlichen
Korporation – um 1000 galt es im deutschen Sprachraum als eine Art „Musterdomkapitel“ – zu einem „positiven Gegenpol“ zur bischöflichen Amtsgewalt weiterentwickelte. Eine Anerkennung seiner besonderen
Rechte erfolgte durch Bischof Adelog (1170/71-1190),
der 1179 in seinem „Großen Privileg“ für sich und
seine Nachfolger versprach, das Domkapitel bei allen
wichtigen Geschäften zu konsultieren. Seit dem Ende
des 12. Jahrhunderts kam – und kommt – dem Domkapitel als wichtigste Aufgabe das Recht der Wahl des
neuen Bischofs zu.
In etwa parallel zur „Kompetenzabklärung“ zwischen
Bischof und Domkapitel begann im 13. Jahrhundert
auch eine Emanzipation der Stadt Hildesheim, die
eine zunehmend eigenständige Politik zu verfolgen
begann – was mitursächlich dafür war, dass die Hildesheimer Bischöfe den Domhof verließen und zumeist auf ihren Burgen Steuerwald und Marienburg
nördlich bzw. südlich von Hildesheim lebten.
Wichtige Impulse für das volksfromme Leben gaben
die Ordensgemeinschaften der Zisterzienser, Magdalenerinnen, Franziskaner und Dominikaner, die im
Laufe des 12./13. Jahrhunderts auch ins Bistum Hildesheim kamen; wobei die Gründung eines Klosters
stets prozesshaften Charakter besaß.
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Bischof Ernst von Bayern
(1573-1612)
4
1400-1600
Um 1500 gab es im rund 3.000 km2 großen Bistum
Hildesheim – heute ist das Bistum ungefähr zehnmal
so groß – 318 Pfarreien, von denen sich 63 im Eigenkirchenrecht des Bischofs befanden, 116 unter einem
weltlichen Patronat standen und 139 geistlichen
Korporationen zugehörig waren. Ebenso gab es im
Bistum Hildesheim neun Kanonikerstifte, fünf Benediktiner- und zwei Zisterzienserabteien, fünf Augustinerchorherrenstifte, ein Kartäuserkloster, eine Dominikaner- und zwei Franziskanerniederlassungen, fünf
Zisterzienserinnenklöster, 16 Kanonissenstifte und
Benediktinerinnenklöster sowie zwei Niederlassungen der Magdalenerinnen.
Nachdem im Laufe des 13./14. Jahrhunderts die Hildesheimer Bischöfe aufgrund finanzieller Schwierigkeiten immer wieder Burgen und Ländereien
verpfändet hatten, reduzierte Bischof Johann von
Sachsen-Lauenburg (1504-1527) die Bistumsausgaben in erheblichem Umfang und forderte den Landadel zur Rückgabe der diesem ja nur leihweise überlassenen Güter auf: ohne Erfolg. Als der Hildesheimer
Bischof seinen Anspruch daraufhin mit Gewalt durchsetzen wollte, schalteten sich die welfischen Nachbarn des Bistums Hildesheim ein, wodurch aus einer
an sich lokalen Streitigkeit um Eigentumsfragen rasch
ein politisch-militärischer Flächenbrand wurde.
Erst mit dem „Quedlinburger Rezess“ vom 13. Mai
1523 fand die mehrjährige „Hildesheimer Stiftsfehde“
ihr Ende. Der Hildesheimer Bischof musste das „Große Stift“ an die Welfen abtreten, ihm und dem Domkapitel verblieben als politischer Herrschaftsbereich
lediglich das „Kleine Stift“, nämlich die Ämter Peine,
Steuerwald und Marienburg sowie die Dompropstei
mit rund 90 Dörfern.
Auch im Bistum und in der Stadt Hildesheim stießen
trotz mannigfacher Reformbemühungen gerade im
Laufe des 15. Jahrhunderts die reformatorischen Ideen Martin Luthers auf ein reges Interesse. 1542 wurde in der Hildesheimer St. Andreas-Kirche der erste
evangelisch-lutherische Gottesdienst gefeiert und
zwei Jahre später erhielt die Stadt durch Johannes
Bugenhagen eine evangelisch-lutherische Kirchenordnung: Die Stadt Hildesheim schloss sich der „neuen
Lehre“ an, wie vor ihr bereits Goslar, Braunschweig,
Hannover und Göttingen. Lediglich das Domkapitel,
die Benediktinerabteien St. Michael und St. Godehard, die Kollegiatstifte Hl. Kreuz, St. Andreas, St. Johannis, St. Mauritius, das Augustinerchorherrenstift
St. Bartholomäus zur Sülte, die Klöster der Kartäuser
und Magdalenerinnen sowie das Stift im Schüsselkorb
blieben katholisch.
Dass das Bistum Hildesheim anders als die welfischen
Nachbarländer und die Bistümer Minden, Verden und
Halberstadt katholisch blieb, gründet ganz wesentlich
in der durch Bischof Burchard von Oberg (1557-1573)
initiierten „Anbindung“ des Bistums Hildesheim an
die (katholischen) Wittelsbacher, die fortan mit einer
kurzen Unterbrechung für fast 200 Jahre den Bischof
von Hildesheim stellten; wie zeitweise auch in Köln,
Paderborn und Münster. Erster Wittelsbacher auf
dem Hildesheimer Bischofsstuhl war Ernst von Bayern
(1573-1612), unter dessen Leitung die Umsetzung der
Beschlüsse des Reformkonzils von Trient (1545-1563)
und eine den politischen wie strukturellen Rahmenbedingungen entsprechende (katholische) Gegenreformation begann.
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Hauptportal des
Gymnasiums Josephinum
in Hildesheim
St. Clemens-Kirche in Hannover,
Ansicht von ca. 1850
Innenansicht des barockisierten
Hildesheimer Domes, um 1870
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1600-1800
Von erheblicher Bedeutung für die weitere Entwicklung des Bistums Hildesheim war die Übernahme
der Domschule durch die Jesuiten im Jahr 1595. Ihnen oblag fortan die Erziehung der Jugend und die
Ausbildung des Diözesanklerus, wie sie sich auch als
Domprediger engagierten und von Hildesheim aus bis
nach Skandinavien und Lettland missionarisch tätig
wurden; 1612 zählte das Mariano-Josephinum bereits
rund 300 Schüler.
Ausgangspunkt für eine Reform des katholischen
Kirchenwesens und die Rekatholisierung des Bistums Hildesheim – selbst im „Kleinen Stift“ schloss
sich ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung der
„neuen Lehre“ an – bildeten die Errichtung eines Bischöflichen Generalvikariats und Offizialats sowie
die Visitation der Pfarreien und Stifte in den Jahren
1608/09. Diese ergab, dass die Dörfer des Amts Marienburg und der Dompropstei sowie die domkapitularischen Dörfer katholischer Konfession waren, wohingegen das Amt Peine lutherischer und das Amt
Steuerwald gemischter Konfession war – wie auch
deutlich wurde, dass die Besetzung einer Pfarrstelle
mit einem katholischen Pfarrer (natürlich) über kurz
oder lang die gesamte Gemeinde wieder dieser Konfession zuführte.
Während des 30-jährigen Krieges (1618-1648) wurde auch das Bistum Hildesheim verwüstet und geriet
durch die welfische Besetzung der Stadt Hildesheim
im Jahr 1634 sogar kurzzeitig in existenzielle Gefahr
– bevor dem Hildesheimer Bischof nur neun Jahre
später durch den „Goslarer Rezess“ weite Teile des bis
dahin durch die Welfen verwalteten „Großen Stifts“
restituiert wurden; gegen die Zusage, auf eine Rekatholisierung zu verzichten. Durch den Westfälischen
Friedensschluss von 1648 wurden die konfessionellen
Verhältnisse im „Heiligen Römischen Reich Deutscher
Nation“ dann endgültig manifestiert: auch für das Bistum Hildesheim, in dem nunmehr – bis zur Säkularisation – ein katholischer Bischof als Landesherr über ein
Territorium mit einer evangelisch-lutherischen Bevölkerungsmehrheit herrschte.
Unter der Leitung von Fürstbischof Maximilian Heinrich von Bayern (1650-1688) wurde 1652 in Hildesheim eine Diözesansynode durchgeführt, die vor allem die Umsetzung der Beschlüsse des Reformkonzils
von Trient (1545-1563) wie u.a. die Einrichtung eines
Seminars zur Ausbildung des Klerus und die Pflicht zur
Führung von Kirchenbüchern, die Residenzpflicht des
Pfarrers und die Verwendung des Römischen Breviers
und Missales vorschrieb. In seine Amtszeit fielen auch
der Neubau der Kartause, die Übergabe des Klosters
Lamspringe an Benediktiner aus England und der Bau
einer neuen Klosterkirche sowie die Begründung von
Ordensniederlassungen der Kapuziner in Hildesheim
und Peine, der Dominikaner in Gronau und der An­
nuntiatinnen in Hildesheim.
Eine besondere Bedeutung für den „kirchlichen Alltag“ besaßen im 17./18. Jahrhundert die Weihbischöfe, waren die Fürstbischöfe selbst doch nur sehr selten
im Bistum Hildesheim präsent.
Neue (kleine) Kirchengemeinden entstanden im
18. Jahrhundert nach den Konversionen von Herzog
Johann Friedrich von Calenberg-Grubenhagen-Göttingen bzw. von Herzog Anton Ulrich von BraunschweigWolfenbüttel in Hannover, Celle, Wolfenbüttel, Braunschweig und Göttingen; wobei die Anfänge durchweg
schwierig waren.
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St. Marien-Kirche in
Bremen-Blumenthal
St. Marien-Kirche
in Lüneburg
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1800-1900
Mit der Besetzung des Hildesheimer Domhofs durch
preußische Truppen und dem Reichsdeputationshauptschluss fand 1802/03 die politische Eigenständigkeit des Bistums Hildesheim ihr Ende: „Alle Güter
der Domkapitel und ihrer Dignitarien werden den
Domänen der Bischöfe einverleibt und gehen mit den
Bistümern auf die Fürsten über, denen diese angewiesen sind.“
Im Zuge des Wiener Kongresses 1814/15 wurde das
vormalige Fürstbistum Hildesheim dem neu begründeten Königreich Hannover zugewiesen, das im Jahr
1824 mit dem Hl. Stuhl in Rom eine Zirkumskriptionsbulle abschloss, in welcher die grundsätzlichen
Belange des Bistums Hildesheim und des – ebenfalls
zum Königreich Hannover gehörenden – Bistums Osnabrück geregelt wurden; 1834 konnte der Hl. Stuhl
noch eine ergänzende Vereinbarung mit dem Herzogtum Braunschweig abschließen, das nunmehr auch
verbindlich dem Bistum Hildesheim zugwiesen wurde.
Kirchengemeinden gab es im neuen Bistum Hildesheim in Stadt und Stift Hildesheim (55 Pfarreien), im
vom Erzbistum Mainz an Hildesheim gelangten Untereichsfeld (20 Pfarreien sowie 13 Filialkirchen), in Hannover, Göttingen und Celle sowie in Braunschweig,
Wolfenbüttel und Helmstedt; die Zahl der Katholiken
belief sich 1824/34 auf rund 60.000.
Am 1. Juli 1828 konstituierte sich das neue Hildesheimer Domkapitel und am 26. März 1829 wurde Godehard Josef Osthaus zum ersten Bischof des „neuen“
Bistums Hildesheim gewählt. Ihm und seinen Nachfolgern Franz Ferdinand Fritz (1836-1840) und Jakob
Joseph Wandt (1841-1849) gelang eine „Grundstabi-
lisierung“ des Bistums Hildesheim in der neuen Zeit,
u.a. durch die Neugliederung des Bistums in Dekanate,
die Errichtung eines eigenständigen Priesterseminars
und die Einführung regelmäßiger Dekanatskonferenzen, wie sie auch in politischer bzw. kirchenpolitischer
Hinsicht recht moderat agierten.
Einen immensen Aufschwung nahm das Bistum Hildesheim ab der Mitte des 19. Jahrhunderts unter der
Leitung von Bischof Eduard Jakob Wedekin (18501870).
Infolge des Anstiegs der Katholikenzahl um fast 30%
auf knapp 85.000 und einer starken wirtschaftsbedingten Binnenmigration kam es jetzt zur Gründung
zahlreicher neuer katholischer Kirchengemeinden
in der Diaspora, u.a. in Hameln, Nienburg, Lüneburg,
Hannoversch Münden, Verden, Harburg, Neustadt a.
Rbge. und Holzminden; wobei die jeweilige Initiative stets von den Katholiken vor Ort ausging. Mit der
Gründung einer neuen Gemeinde verbunden war
stets auch die Einrichtung einer katholischen Volksschule: Ausdruck der grundsätzlichen „Zukunftsorientierung“ der Kirche von Hildesheim.
Erhebliche Bedeutung für die insgesamt positive Entwicklung des Bistums Hildesheim besaß auch die von
Bischof Wedekin mit großem Nachdruck geförderte
Neuansiedlung von Ordensgemeinschaften. So kamen kamen Franziskaner und Augustiner in die diözesanen Wallfahrtszentren Ottbergen (Hildesheim)
und Germershausen (Duderstadt), übernahmen die
Duderstädter Ursulinen die Mädchenschulen in Hildesheim und Hannover und kamen Vinzentinerinnen
aus Paderborn nach Hildesheim. Gerade ihre sozial-
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Besuch von Kaiser Wilhelm II. in
Hildesheim am 31. Oktober 1900
Das Bistum Hildesheim nach seiner Neuumschreibung im Jahre 1824
10
caritative Arbeit in Hildesheim, Hannover, Göttingen,
Celle und etlichen anderen Orten trug erheblich zur
Akzeptanz der katholischen Kirche in einer weithin
evangelisch-lutherisch dominierten Umgebung bei.
Schon bald nach der Gründung des Deutschen Reiches
kam es im sog. Kulturkampf zu einer grundsätzlichen
Auseinandersetzung zwischen Regierung und katholischer Kirche um die jeweiligen Rechte und Pflichten;
maßgebliche Protagonisten im politischen Bereich
waren dabei Reichskanzler Otto von Bismarck und der
hannoversche Zentrumsabgeordnete Ludwig Windthorst. Durch verschiedene Reichs- und Landesgesetze wie das „Schulaufsichtsgesetz“, das „Gesetz über
die Vorbildung und Anstellung von Geistlichen“ und
das „Gesetz über die Vermögensverwaltung in den
katholischen Kirchengemeinden“ eskalierte die Auseinandersetzung rasch zum offenen Kirchenkampf.
Mit Ausnahme der in der Krankenpflege tätigen Vinzentinerinnen mussten alle Ordensgemeinschaften
das Bistum verlassen, wurde das Priesterseminar geschlossen und „verwaisten“ nach und nach rund 1/3
aller Hildesheimer Pfarreien, da Bischof Daniel Wilhelm Sommerwerck (1871-1905) sie nach ihrem Vakanzwerden nicht wieder besetzen konnte.
Letztlich konnte die katholische Kirche ihre weitgehende Eigenständigkeit jedoch behaupten und nach
den Milderungs- und Friedensgesetzen von 1884/
87 gerade auch im Bistum Hildesheim einen neuerlichen starken Aufschwung nehmen, wobei den
Vereinen und Verbänden eine besondere Bedeutung
zukam: Jungfrauen- und Jungmännervereine, Frauenund Männervereine, Gesellenvereine, Arbeitervereine,
Marienvereine, Vinzenzvereine, Borromäusvereine und
Volksvereine bildeten das eigentliche „Herzzentrum“
der Kirche.
Zwischen 1880 und 1910 stieg die Zahl der Hildesheimer Diözesanen von knapp 92.000 auf rund 208.000
Katholiken an, was den Bau zahlreicher neuer Kirchen,
Schulen und sozial-caritativer Einrichtungen in den
traditionellen Kerngebieten des Bistums wie in der Diaspora erforderlich machte.
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Festgottesdienst beim Deutschen Katholikentag 1924 in Hannover
12
1900-2015
In Fortführung der kirchenpolitischen und seelsorg­
lichen Linie seiner Amtsvorgänger Wedekin und Sommerwerck bemühte sich auch Bischof Adolf Bertram
(1906-1914) – von 1914-1945 Bischof bzw. Erzbischof
von Breslau, ab 1916 Kardinal und ab 1920 Vorsitzender der Fuldaer Bischofskonferenz – um den Aufbau
eines möglichst engmaschigen Netzwerkes von Kirchengemeinden und kirchlicher Einrichtungen. Der
„Schutz des Glaubens und die Pflege des Glaubenslebens“ bildeten den Mittelpunkt seiner Arbeit, weswegen er in seinen Predigten und Hirtenbriefen immer
wieder an den Vorbildcharakter der Eltern für ihre Kinder appellierte.
Nachdem sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts
in Hannover und Hildesheim lokale Caritasverbände
zusammengefunden hatten, wurde 1917 – während
des Ersten Weltkriegs – durch Bischof Joseph Ernst
(1915-1928) der Hildesheimer Diözesancaritasverband
gegründet, dem bereits in den 1920er Jahren erhebliche Aufgaben zukamen.
1924 fand in Hannover der Deutsche Katholikentag
statt, auf dessen Arbeitssitzungen insbesondere das
„Christsein im Alltag“ thematisiert wurde und dessen
Höhepunkt ein Gottesdienst mit Nuntius Eugenio Pacelli – dem späteren Papst Pius XII. – und rund 60.000
Teilnehmern bildete. Im Anschluss an den Katho­
likentag führte Pfarrer Wilhelm Maxen (1867-1946)
in seiner Pfarrgemeinde St. Marien eine Haus- und
Kapellenmission durch: Kirche müsse sich aktiv auf
den Weg zu den Menschen machen, so seine Überzeugung.
Durch das Preußenkonkordat von 1929 kam es zu
einer Neuregelung der Beziehungen zwischen Kirche
und Staat, wobei die realen Auswirkungen für das Bistum Hildesheim eher gering blieben.
In der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erfuhr auch das Bistum Hildesheim erhebliche
Beeinträchtigungen: Katholische Vereine wurden verboten, katholische Schulen und Ordensniederlassungen aufgehoben. Der kirchliche Alltag selbst wurde
in vielfältiger Weise behindert: Jeder Gottesdienstbesuch, jeder Ministrantendienst am Altar, jede Teilnahme an einer kirchlichen Gruppenstunde, jedes
Engagement im Kirchenvorstand widersprach dem
totalitären Anspruch des Regimes.
Bischof Joseph Godehard Machens (1934-1956) legte,
wie schon sein nach Berlin gewechselter Vorgänger Bischof Nikolaus Bares (1929-1933), immer wieder vehement Protest gegen die im Laufe der Jahre immer massiver werdenden Übergriffe ein, u.a. durch Predigten im
Hildesheimer Dom und Hirtenbriefe an die Diözesanen
im gesamten Bistum, insbesondere verwaltete er sich
auch nachdrücklich – wenn auch vergeblich – gegen
jede einzelne Schließung einer katholischen Schule.
Besondere Probleme erwuchsen dem Bistum Hildesheim zwischen 1933 und 1945 im sog. Aufbaugebiet
um Salzgitter und Wolfenbüttel, wo das nationalsozialistische Regime eine „Musterstadt ohne Gott“
errichten wollte – dennoch in verschiedenen kleinen
Kapellen katholischer Gottesdienst gefeiert werden
konnte.
13
Bischof Joseph Godehard Machens
(1934-1956)
Unterzeichnung des Niedersachsenkonkordats am 26. Februar 1965 durch
Ministerpräsident Georg Diederichs und
Nuntius Corrado Bafile
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Zahllose Frauen und Männer erfuhren die Willkür und
Brutalität des Staates, der Partei und ihrer Hilfsgruppierungen, u.a. Pfarrer Christoph Hackethal (18991942) und Pfarrer Joseph Müller (1894-1944), die
beide ihre Treue zum Evangelium und zur Kirche mit
ihrem Leben bezahlen mussten.
Der Zweite Weltkrieg endete in einer Katastrophe:
Millionen Menschen kamen ums Leben, Millionen
Menschen mussten ihre Heimat verlassen oder verloren ihren gesamten Besitz, zahlreiche Städte – auch
die Bischofsstadt Hildesheim – versanken in Schutt
und Asche.
Durch die Katastrophe des Zweiten Weltkrieges (19391945) wuchs die Zahl der Hildesheimer Diözesanen
von rund 265.000 auf fast 700.000 im Jahr 1950 an,
deren seelsorgliche Betreuung das Bistum vor enorme
Probleme stellte: Zahlreiche neue Kirchengemeinden
entstanden und zahlreiche neue Kirchen wurden gebaut; wobei bis zu deren Fertigstellung etliche evangelisch-lutherische Kirchen für den katholischen Gottesdienst mitgenutzt werden konnten.
Den 1950 begonnenen Wiederaufbau des im Krieg
nahezu vollständig zerstörten Hildesheimer Mariendoms schloss Bischof Heinrich Maria Janssen (19571982) mit dessen Weihe am 27. März 1960 ab. Über
300 Kirchen zwischen Cuxhaven und Hannoversch
Münden bzw. zwischen Hameln und Helmstedt konnten in der Amtszeit von Bischof Janssen neu errichtet
oder grundrenoviert werden. Dass das Miteinander
von Staat und katholischer Kirche nach teilweise heftigen Auseinandersetzungen in den 1950er Jahren um
die Wiedereinrichtung der Bekenntnisschule durch
das Niedersachsenkonkordat im Jahr 1965 einvernehmlich geregelt werden konnte: auch hieran besaß
Bischof Janssen erheblichen Anteil.
1962 fand in Hannover ein Deutscher Katholikentag
statt: eine Großveranstaltung, von der ein deutliches
Signal für eine ökumenische Zusammenarbeit der beiden großen Kirchen in Deutschland ausgegangen ist.
Um eine Umsetzung der Beschlüsse der Beschlüsse des
Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965), zu dessen
Teilnehmern auch Bischof Janssen und Weihbischof
Heinrich Pachowiak (1958-1992) gehörten, ging es der
Hildesheimer Diözesansynode von 1968/69; bei ihr waren erstmalig auch Laien stimmberechtigt.
Bischof Josef Homeyer (1983-2004) waren die die politisch-staatliche und kirchliche VersöhnungEuropas
und Herzensanliegen, weswegen er u.a. ein interna­
tionales Jugendprojekt – den „Friedensgrund“ – ins
Leben rief, wie er auch eine Partnerschaft des Bistums
Hildesheim mit der Kirche von Bolivien begründete;
„in mundum universum“, so lautete sein Wahlspruch.
Um eine Zukunftsperspektive für das Bistum Hildesheim unter aus vielerlei Gründen immer schwieriger
werdenden Rahmenbedingungen ging es der Diözesansynode 1989/90: „Auf neue Art Kirche sein“.
In ausgesprochen konstruktiver und kreativer Weise
ist das Bistum unter der Leitung von Bischof Norbert
Trelle (seit 2006) derzeit darum bemüht, sich „neu
aufzustellen“: nicht um des Neuen an sich willen, sondern weil sich die Anforderungen an die Kirche von
Hildesheim wie auch ihre Möglichkeiten verändert
haben und weiter verändern.
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Gesamtnachweis für die Ab­bildungen
in der Wanderausstellung „1.200 Jahre
Bistum Hildesheim“
Göttingen, Fotoarchiv Schuffels, Aufnahme Hans Jakob
Schuffels: 1100-1400: Siegel; 1600-1800: Gymnasium
Josephinum
Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek Niedersächsische Landesbibliothek: 1400-1600: Wappen
Bischof Joseph Clemens (Ms XXI, 1235 fol. 41r.)
Hannover, Michaela Düllmann: 815-1100: St. Michaelis-Kirche; 1100-1400: Schlacht bei Dinklar; 14001600: Kreuzgang St. Mauritius; 1800-1900: Generalvikariat
Hannover, Manfred Zimmermann (EUROME­DIAHOUSE):
815-1100: Heziloleuchter, Christussäule
Hildesheim, bph/Walter Kirchner für Ingenieure Bamberger: 815-1100: Bernwardtür
Hildesheim, Bistumsarchiv: 815-1100: Rosenstock,
St. Godehardi-Kirche; 1400-1600: Bischof Burchard,
Einführung der Reformation, Dom Verden; 1600-1800:
IHS-Monogramm, Vereinbarung Domprediger, St. Clemens Hannover, Päpstliches Gratulationsschreiben;
1800-1900: Karte, Zirkumskriptionsbulle, St. Ludwig
Celle, St. Bernward-Krankenhaus, St. Marien Blumen­
thal, St. Marien Lüneburg, Ludwig Windthorst, Strafbefehl gegen Bischof Sommerwerk, Ursulinen Duderstadt,
St. Godehard Hannover; 1900-2015: alle Bilder
Hildesheim, Dombibliothek: 1600-1800: Weihbischof
Adamus Adami
Hildesheim, Dommuseum: 815-1100: Tympanon,
Gründungslegende, Lebensbeschreibung Bischof
Bernwards; 1100-1400: Bischofsstab Ottos I., Goldkelch, Bischof Gerhard vom Berge, Gründungsreliquiar; 1400-1600: Epiphanius-Schrein, Kasel; 1600-1800:
16
Büste Ignatius von Loyola, Monstranz aus Ruthe, Innenansicht Dom; 1800-1900: Bischof Wedekin
Hildesheim, Stadtarchiv: 1400-1600: Quedlinburger
Rezess (Best. 1 Nr. 545); 1800-1900: Besuch Kaiser Wilhelms II. (Best. 951 Nr. 7193)
Hildesheim, Vinzentinerinnen: 1800-1900: M. Theo­
dora Franzen
Wienhausen, Lüneburger Klosterarchive: 1100-1400:
Nonnenchor Kloster Wienhausen
Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek: 1100-1400:
Evangeliar Heinrichs des Löwen (Cod. Guelf. 105 Noviss. 2°, fol. 171v.)
Baumstark, Reinhold (Hrsg.): Rom in Bayern. Kunst
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Das ist Beschreibung der Vornemsten und bekantisten
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Weihnachtsfeier zu Greccio
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