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?
Paris.
3) Kavallerie. 12 Regimenter Kürassiere, 26 Dragoner, 20 Chasseurs und 12 Husaren, Summa 70 Regimenter zu 5 Eskadrons,
von denen l Depot, mit zusammen 3150 Offizieren, 12,150 Unteroffizieren, 42,700 Mann, 51,800 Pferden.
4) Die Artillerie besteht aus 16 Fußartilleriebataillonen à 6 Kompanien, 38 Feldartillerieregimentern in 19 Brigaden (das erste
Regiment jeder Brigade besteht aus 12 fahrenden, 2 Depot-, das zweite aus 8 fahrenden, 3 reitenden und 2 Depotbatterien), 2
Pontonierregimentern (in Frankreich nach alter Überlieferung zur Artillerie gehörend), jedes zu 14 Kompanien, 10
Artilleriehandwerker- und 3 Feuerwerkerkompanien, zusammen 69,672 Köpfe (einschließlich 3352 Offiziere, 1170
Artilleriezeugpersonal etc.), 31,144 Pferde stark, wovon 13,104 Köpfe, 480 Pferde auf die Fußartillerie kommen. Bei der Fuß(Festungs-) Artillerie besteht kein Regimentsverband. Die Feldbatterien haben im Frieden die volle Bespannung für 6 Geschütze. Die
Feldartillerie zählt demnach im Frieden 437 Batterien mit 2622 bespannten Geschützen. Zur Feldartillerie gehören ferner 57
Artillerie-Trainkompanien.
5) Genietruppen. Es bestehen 4 Regimenter Sappeurs-Mineurs à 5 Bataillone zu je 4 Kompanien und 1 Depot. Zu jedem
Regiment gehören außerdem 1 Eisenbahnarbeiter- und 1 Eisenbahnbetriebskompanie. Die 4 Regimenter haben eine Stärke von 428
Offizieren, 10,364 Mann und 552 Pferden. Die 4 Eisenbahnarbeiterkompanien bilden den Stamm für 8 Eisenbahnbausektionen, zu
welchen die sechs großen Bahngesellschaften: West-, Nord-, Ost-, Süd-, Orléans- und Paris-Lyon-Mittelmeerlinie gesetzlich das
Personal zu stellen haben, im ganzen etwa 13,000 Mann.
6) Train. Der gesamte Armeetrain besteht aus 20 Eskadrons zu je 3 Feldkompanien in einer Gesamtstärke von 11,000 Mann.
Der Train eines Armeekorps teilt sich in: a) den leichten Train, dessen erste Staffel mit 21 Wagen und 4 Maultieren zum Transport
von Werkzeug, Schanzzeug, 38 Maultieren für Medikamente, 217 Maultieren in 3 Sektionen für Verbandzeug und
Verwundetentransport, die zweite Staffel mit 180 Wagen für die Bagage der Truppen; b) den Train ordinaire, bestehend aus 4
Artillerie-, 2 Infanteriemunitions-, 4 Proviantkolonnen, 1 Telegraphen-, 3 Post- und Kassenabteilungen; c) den schweren Train, 5
Proviantkolonnen mit Furage, Lebensmitteln, Munition etc. Der Train eines Armeekorps umfaßt 1759 Fahrzeuge, 5142 Zugpferde,
266 Maultiere. Hinzutreten soll noch pro Armeekorps 1 Pontontrain aus 38 Fahrzeugen, 250 Pferden.
7) Die Kolonialarmee. Für die kolonialen Operationen Frankreichs, welche in Nordafrika und Ostasien immer größere
Ausdehnungen angenommen haben, reichten das in Afrika dislozierte 19. Armeekorps sowie die Marinetruppen nicht mehr aus. Es
war dies Veranlassung zur Organisation einer Kolonialarmee und von Spezialtruppen für Afrika. Die Kolonialarmee besteht aus 8
Regimentern Marine-Infanterie, 1 Regiment anamitischer, 3 Regimentern tongkingesischer Tirailleure, 1 Regiment Tirailleure vom
Senegal, 2 Kompanien Sipahis von Indien, 2 Kompanien Disziplinartruppen, 2 Regimentern Artillerie zu je 3 fahrenden, 11
Fußbatterien, 1 Kompanie Handwerker, 1 Kompanie Fahrer. Die Spezialtruppen von Afrika bestehen aus 4 Regimentern Zuaven, 4
Regimentern algerischer Tirailleure, 2 Regimentern Fremdenlegion, 4 Disziplinarkompanien, 4 Regimentern Chasseurs d'Afrique, 4
Regimentern Spahis, 3 Kompanien Remontereiter, 4 Bataillonen Artillerie, jedes aus 1 Fuß-, 1 fahrenden, 2 Gebirgsbatterien, 1
Pontonierdetachement bestehend, 4 Geniekompanien, 4 Traineskadrons à 4 Kompanien und 10 Sektionen Verwaltungstruppen.
8) Sanitätswesen. Es bestehen 83 Militärlazarette, für welche 1884 ein Personal von 1189 Ärzten und 152 Pharmazeuten
vorhanden war. Außerdem sind für den Sanitätsdienst in den Lazaretten 25 Sektionen Infirmiers, Krankenträger und Arbeiter
vorhanden. Für den Sanitätsdienst im Feld ist ein Reglement vom 25. Aug. 1884 erlassen worden, welches sich im allgemeinen an
das deutsche anlehnt. Der Sanitätsdienst zerfällt hiernach a) in den Dienst bei den Truppen auf dem Marsch und im Gefecht, bei den
Ambulanzen (4 pro Armeekorps) und in den in den Feldhospitälern, deren Zahl nach Bedarf bestimmt wird; b) im Rücken der Armee
und zwar in den immobilen Feldhospitälern, in den permanenten Militärlazaretten sowie in den Hospitälern der Gesellschaft für
freiwillige Krankenpflege, der Gemeinden, auf den Bahnhöfen, in den Evakuationszügen und in den Rekonvaleszentendepots.
9) Die Territorialarmee (eine Art Landwehr) umfaßt alle Dienstpflichtigen, die der aktiven Armee oder deren Reserve nicht
angehören. Die Reserve der Territorialarmee (eine Art Landsturm) umfaßt die Altersklassen vom 34. bis 40. Lebensjahr und wird nur
dann einberufen, wenn die vorhandenen Streitmittel nicht mehr ausreichen. Das Offizierkorps der Territorialarmee besteht aus
verabschiedeten Offizieren der aktiven Armee, die noch dienstpflichtig oder dienstfähig sind; aus Einjährig-Freiwilligen und
Unteroffizieren der Reserve, die eine Prüfung bestehen und vom Präsidenten der Republik ernannt werden. In jeder Subdivision wird
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1 Regiment Infanterie, in jedem Armeekorpsbezirk 1 Kavallerie- und 1 Artillerieregiment, 1 Geniebataillon und 1 Traineskadron
formiert. Im ganzen inkl. Algerien 145 Infanterieregimenter à 3 Bataillone, 8 Zuavenbataillone, 1 Bataillon Jäger, 144 Eskadrons
Kavallerie, 364 Batterien Artillerie, 52 Kompanien Genie, 18 Traineskadrons. Es können der Territorialarmee ferner zugezählt werden:
32 Bataillone Douaniers (23,000 Mann), 67 Kompanien und 23 Sektionen Forstbeamte (4279 Mann) sowie 2 Bataillone freiwilliger
Artillerie (Lille und Valenciennes, 700 Mann). Die Territorialarmee berechnet sich auf eine Stärke von 637,000 Mann.
Die Friedensstärke des Heers beträgt 25,754 Offiziere, 491,916 Mann. Die Kriegsstärke der Feldarmee ist 620,000 Mann
Infanterie, 42,500 Kavallerie, 79,600 Artillerie, 12,500 Mann Genie: Summa 754,600 Mann mit ca. 121,000 Pferden und 2622
Geschützen in 23 Armeekorps. Die Besatzungs- und Feldreservetruppe würde sich zusammensetzen aus 180,000 Mann für den
Feldkrieg verwendbare Mannschaften der Territorialarmee mit etwa 48 Eskadrons und 54 Feldbatterien, ferner 420,000 weniger
ausgebildete der Territorialarmee mit 100 Eskadrons und 90 Feldbatterien sowie 190 Kompanien Linienfußartillerie, zusammen
638,600 Mann mit 684 Feldgeschützen und 148 Eskadrons. An Depottruppen bleiben in Frankreich zurück etwa 96,000 Mann, so daß
die Gesamtstärke der mobilen Armee etwa 1,489,000 Mann mit 3486 Feldgeschützen betragen würde, wobei die Reserve der
Territorialarmee (Landsturm) unberücksichtigt geblieben ist.
? [Heeresergänzung.] Das Rekrutenkontingent für die Landarmee betrug im J. 1884: 147,235 Mann, von denen 105,335 der
ersten Portion, 41,900 Mann der zweiten Portion angehörten. 7206 Mann wurden der Seearmee überwiesen. Auch das
Offizierkorps ist von der allgemeinen Heeresreorganisation nicht unberührt geblieben. Das seit Jahren in Beratung befindliche
Avancementsgesetz hat noch nicht die Bestätigung erhalten, da der häufige Wechsel der Kriegsminister auch auf dieses Gesetz nicht
ohne Einfluß geblieben ist. Im allgemeinen lehnt sich dasselbe an das bezügliche Gesetz von 1832 an. Die Ergänzung des
Offizierkorps findet im Frieden zu aus den Schulen, zu aus Unteroffizieren statt.
Letztere müssen mindestens zwei Jahre in der Truppe aktiv gedient, eine Militärschule besucht und die vorgeschriebene Prüfung
bestanden haben. Der Beförderung zum Offizier muß die Wahl vorangehen. Das Avancement zu den höhern Chargen ist von dem
Bestehen wissenschaftlicher Prüfungen abhängig. in der Hauptmannscharge werden nach der Anciennität, nach Wahl besetzt (au
choix). Die Beförderung zu höhern Chargen, vom Bataillonschef an aufwärts, findet nur nach Wahl, zum Obersten und General auf
Qualifikationsurteil des Conseil supérieur de la guerre statt.
Bei Unfähigkeit zur Weiterbeförderung werden Leutnants und Hauptleute nach 25jähriger Dienstzeit ex officio verabschiedet. Die
Unteroffiziere ergänzen sich aus der Truppe sowie aus den Militärvorbereitungsschulen. Auch für sie gilt die Bestimmung, daß
niemand in einen höhern Grad befördert werden darf, der nicht die Qualifikation dazu besitzt. Korporale und Brigadiers (den
Obergefreiten unsrer Artillerie entsprechend, Korporale bei den Fuß-, Brigadiers bei den berittenen Truppen) dürfen nach
viermonatlicher Dienstzeit schon zu Unteroffizieren befördert werden. Die Schwierigkeit der Erhaltung eines Stammes älterer
Unteroffiziere führte zu dem Rengagementsgesetz vom 22. Jan. 1881, welches die Altersgrenze für Unteroffiziere auf 47 Jahre
festsetzt und das Rengagement durch Solderhöhung, Verbesserung in den Wohnungs- und Eheschließungsverhältnissen sowie
durch Zivilversorgung erleichtern soll.
[Militärschulen.] Das Militärerziehungs- und Bildungswesen ist seit dem Krieg von 1870/71 außerordentlich gefördert worden; die
Ansprüche sind in jeder Beziehung gesteigert, die deutsche Sprache ist obligatorischer Unterrichtsgegenstand auf allen höhern
Lehranstalten geworden. Für die Ausbildung der nicht aus dem Unteroffizierstand hervorgehenden Offiziere sorgen: a) das
Militärprytaneum zu La Flêche; es hat 500 Zöglinge außer den Pensionären, meist Söhne unbemittelter Offiziere; Lehrplan etwa der
eines Realgymnasiums; b) die Militärschule zu St.-Cyr für Infanterie und Kavallerie, 800 Zöglinge, Kursus zwei Jahre, etwa den
deutschen Kriegsschulen entsprechend; c) die polytechnische Schule zu Paris; d) die höhere Kriegsschule (École supérieure de
guerre), Generalstabsschule, etwa der deutschen Kriegsakademie entsprechend, in Paris; e) die École d'application de l'artillerie et
du génie zu Fontainebleau zur fachlichen Ausbildung von Artillerie- und Ingenieuroffizieren, Kursus zwei Jahre; f) die Reitschule zu
Saumur, mit welcher eine Tierarzneischule verbunden ist; g) die Unteroffizierschule in St.-Maixent zur Ausbildung von Unteroffizieren
für die Beförderung zum Offizier; einjähriger Kursus, 500 Zöglinge; h) durch Gesetz vom 19. Juli 1884 ist die Institution der
Soldatenkinder bei den Truppen (enfants de troupe) aufgehoben und sind 6 Militärvorbereitungsschulen zu Pézénas, Bagnol sur
Cèze, Montreuil sur Mer, Bayeux, Allais und Billaume, mit 5000 Zöglingen, Kursus fünf Jahre vom 13.-18. Jahr, errichtet worden; i)
die Administrationsschule zu Vincennes zur Ausbildung von Administrationsoffizieren aus Unteroffizieren, Kursus zehn Monate,
Besuch obligatorisch; k) die Normalschule für Gymnastik zu Joinville le Pont; l) die Normalschießschule im Lager von Châlons und 4
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Regionalschießschulen in den Lagern von Châlons, Ruchard, Valbonne und Blidah; m) eine Zentralschule für Kriegsfeuerwerkerei zu
Bourges. Es bestehen ferner bei allen Regimentern Regiments- und bei der Artillerie Brigadeschulen zur Ausbildung von
Mannschaften und Unteroffizieren.
Uniformierung. Infanterie: dunkelblauer Dolman mit krapprotem Kragen, dunkelblauen Kragenpatten mit aufgenähter
Regimentsnummer, Käppi aus dunkelblauem Tuch mit Regimentsnummer, Gradabzeichen auf jedem Ärmel, rote Beinkleider.
Kavallerie: Kürassier dunkelblauer Waffenrock, Dragoner dunkelblauer, Jäger und Chasseur himmelblauer Dolman, Dragoner weißer,
Jäger roter, Husar himmelblauer, Chasseur d'Afrique gelber Kragen. Artillerie: dunkelblauer Dolman mit schwarzem Kragen;
Fußartillerie dunkelblaue Kragenpatten, blaues Käppi mit roter Granate.
[Bewaffnung.] Die Infanterie ist mit dem Gewehr M/74, System Gras (s. Handfeuerwaffen), bewaffnet, die Jägerbataillone haben
neuerdings ein Repetiergewehr erhalten; die Marineinfanterie führt das Repetiergewehr System Gras-Kropatscheck. Offiziere und
Feldwebel führen einen Revolver. Der Infanterist trägt 78 Patronen bei sich. Kavallerie: Dragoner, Husaren und Jäger haben den
Gras-Karabiner M/74, die Kürassiere sowie die Unteroffiziere und Trompeter der andern Kavallerie den Revolver M/73, Dragoner und
Kürassiere einen geraden, Husaren und Jäger einen gekrümmten Säbel mit Messingkorb.
Die Kürassiere tragen einen Küraß. Artillerie: Die fahrenden Batterien der Feldartillerie haben 90 mm, die reitenden 80 mm
Geschütze, die Gebirgsbatterien solche von 7 cm Kaliber. Von den frühern Feldgeschützen von 95 mm Kaliber erhält jedes
Armeekorps 2 Batterien als Positionsartillerie. Die Fußmannschaften der Feldartillerie und die Fußartillerie sind mit dem
Gras-Karabiner M/74 ausgerüstet, die berittenen Mannschaften der Feldartillerie mit dem Revolver.
Werkstätten und Fabriken. Geschützgießereien bestehen in Bourges für die Landartillerie und in Ruelle (Charente) für die
Marine. Artilleriewerkstätten gibt es zu Mézières, Rennes, Besançon, Nevers und Toulouse; Feuerwerkslaboratorien in Bourges und
Sevran-Livry bei Paris; letzteres vorzugsweise für Marine. Mit dem Laboratorium in Bourges ist die pyrotechnische Schule verbunden.
Pulverfabriken bestehen in Le Bouchet, Le Rigault, St.-Chamas (Rhônemündungen), Angoulême, Esquerdes (Pas de Calais),
St.-Médard (Gironde), St.-Ponce (Ardennen), Pont du Buis (Finistère), Sévran und Toulouse;
Salpeterraffinerien zu Paris, Lille, Bordeaux und Marseille;
eine Fabrik für Schießwolle in Moulin blanc, Filiale der Pulverfabrik Pont du Buis;
eine Dynamitfabrik zu Vonges (Côte d'Or).
Gewehrfabriken gibt es zu Paris, Vincennes, St.-Etienne, Maubeuge, Château le Rôle.
[Festungen.] Die 1871 eingesetzte Landesverteidigungskommission stellte folgende Grundsätze für die zur Sicherung des
Landes gegen eine feindliche Invasion zu ergreifenden Maßnahmen auf:
1) Paris ist durch einen zweiten, so weit vorgeschobenen Gürtel von Forts zu umgeben, daß es durch ihn vor einem
Bombardement, womöglich vor einer Einschließung gesichert wird;
? 2) die wichtigen Festungen sind, entsprechend der Tragweite der heutigen
Belagerungsgeschütze, durch detachierte Forts zu verstärken;
3) gegen eine Invasion von O. muß ein neues Befestigungssystem geschaffen werden. Aus den Erfahrungen des Kriegs 1870/71
hatte man die Überzeugung gewonnen, daß es der französischen Heeresverwaltung nicht gelingen werde, Vorkehrungen zu treffen,
welche eine gleich schnelle Mobilisierung der Armee gewährleisten, wie sie in Deutschland 1870 zur Ausführung kam und bei einem
künftigen Krieg ohne Zweifel noch exakter zur Ausführung kommen wird. Danach ist zu erwarten, daß deutsche Heeresmassen die
Grenze Frankreichs überschreiten werden, bevor die französische Armee ihnen schlagfertig entgegentreten kann.
Hieraus folgt die Notwendigkeit, die Offensivkraft des Landes durch geeignete Defensivmittel, also durch Befestigungen, zu
unterstützen. Dieser Zweck wird erreicht, wenn die Befestigungen die über die Grenze führenden Heerstraßen, vorzugsweise die
Eisenbahnlinien, sperren und somit die Lebensadern unterbinden, welche der Invasionsarmee aus dem Heimatsland Lebens- und
Streitmittel und Ersatz aller Art zuführen. Aus diesen Erwägungen ging die Anlage der Sperrforts (s. Festung, S. 186) nahe der
Landesgrenze gegenüber Deutschland, der Schweiz und Italien hervor.
Bei Verdun beginnend, zieht sich die Kette derselben, nur hinter den Vogesen südlich Toul bis Epinal eine Lücke zeigend,
ununterbrochen fortlaufend bis zur Schweizer Grenze hin. Dieser gegenüber wie auch gegen Italien sind, durch den Charakter des
Gebirges bedingt, nur die wichtigen Pässe gesperrt. Als Stützpunkte für die Sperrfortkette dienen die mit Forts umgebenen Festungen
Verdun, Toul, Epinal, Belfort, Besançon, Lyon, Briançon. Man hofft den Feind vor den Sperrforts so lange aufzuhalten, bis die
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französische Armee ihre Konzentration hinter der obern Mosel vollendet hat.
Sollte aber dem Feind ein vorzeitiger Durchbruch gelingen und die Armee von ihm zurückgedrängt werden, so soll sie hinter
einem zweiten Gürtel von Festungen, im S. auf dem Plateau von Langres, geschützt durch die mit Forts umgebenen Festungen
Langres, Dijon, Besançon, Grenoble, Aufnahmestellung finden. Sollte aber eine feindliche Armee durch Belgien den Einbruch
versuchen, so sollen hier die großen Festungen Lille, Douai, Valenciennes, Maubeuge, Cambrai sowie die Sperrfestung Givet und
das Sperrfort bei Hirson den Durchbruch aufhalten.
Ist derselbe dennoch gelungen, so bietet der Festungsgürtel Reims (Reims ohne Hauptwall, Fortgürtel 60 km), Soissons, La Fère
bis Amiens, dazwischen Sperrforts bei Péronne, Ham, Lyon (großartige Fortfestung), eine zweite Barriere. Das Zentrum des
Landesverteidigungssystems bildet Paris selbst. Die alte Stadtumwallung mit ihren 94 Bastionen von ca. 33 km Umfang ist stehen
geblieben; ebenso bestehen noch die aus der Belagerung von 1870/71 bekannten Forts, deren Unzulänglichkeit sich erwiesen hat.
Weit vor dieselben hinaus ist ein Gürtel von Forts, von denen mehrere kleinen Festungen gleichen, erbaut worden. Der Raum
hinter ihnen bietet Armeen Unterkunft. Diese aus 7 Forts erster, 14 zweiter Ordnung sowie 40 Redouten und Batterien bestehende
Befestigungslinie (s. Karte bei Paris) hat eine Länge von 124 km, von N. nach S. einen Durchmesser von 34, von O. nach W. von 45
km und umschließt einen Flächenraum von etwa 1200 qkm. Die großen Forts (Palaiseau, Villeneuve, Chelles, Vaujours, Ecouen,
Cormeilles und St.-Cyr) haben eine Besatzung von je 1200 Mann und eine Armierung von 60 schweren Geschützen. Frankreich hat
159 Festungen mit etwa 300 Forts, 400 Batterien, 20 Küstenforts und 120 Küstenbatterien.
Der Verwendung von Brieftauben für Kriegszwecke wird viel Aufmerksamkeit zugewendet. In Paris und Langres sind
Zentralstationen, in Mézières, Verdun, Toul, Belfort, Besançon und Lyon Filialstationen für Brieftauben errichtet. Eine
Luftschiffahrtsschule ist in Chalais bei Meudon unweit Paris und eine zweite 1885 in Grenoble errichtet. Den Armeen werden
Luftschiffertrains für den Gebrauch des Ballon captif beigegeben.
[Die französische Kriegsmarine.] Die Stärke des schwimmenden Materials der französischen Marine Mitte 1885 ist aus der
folgenden Tabelle ersichtlich (zusammengestellt nach dem »Almanach für die k. k. Kriegsmarine«, Pola 1885).
Schiffsart Fertig Im Bau ZusamÂ-men
A. Panzerschiffe¹:
1) Geschwader- (Schlacht-) Schiffe 27 6 33
2) GepanÂ-zerte Kreuzer 9 3 12
3) GepanÂ-zerte KüsÂ-tenÂ-verteidiger 6 - 6
4) PanÂ-zerkanoÂ-nenboote 1 7 8
5) Schwimmende Panzerbatterien 7 - 7
ZusamÂ-men: 50 16 66
B. Torpedofahrzeuge²:
1) TorpedokreuÂ-zer (1260 Ton. Deplacement) - 4 4
2) Torpedo-Avisos (321 Ton. Deplacement) - 8 8
3) Hochsee-Â-Torpedoboote - 3 3
4) Torpedoboote (44 Ton. Depl.) I. Klasse 18 - 18
5) Torpedoboote (31-14 T. Depl.) II. u. III. Kl. 60 - 60
6) Torpedodepot- und ÜbungsÂ-schiff mit 4 Booten 1 - 1
ZusamÂ-men: 79 15 94
C. Kreuzer³:
1) Gedeckte Kreuzer 11 1 12
2) GlattdeckskreuÂ-zer 40 - 40
ZusamÂ-men: 51 1 52
D. Avisos:
1) SchrauÂ-benavisos 21 4 25
2) Radavisos 30 - 30
3) Transportaviso 11 4 15
ZusamÂ-men: 62 8 70
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E. Kanonenboote:
1) Kanonenboote I. Klasse 25 3 28
2) Kanonenschaluppen 37 - 37
3) Zerlegbare KanoÂ-nenschaluppen4 14 - 14
ZusamÂ-men: 76 3 79
Frankreich Transportfahrzeuge:
1) SchrauÂ-benÂ-schiffe 30 2 32
2) SegelÂ-schiffe 21 - 21
ZusamÂ-men: 51 2 53
InsgeÂ-sÂ-amt: 369 45 414
¹ Sämtliche Schlachtschiffe führen Fischtorpedos, die gepanzerten Kreuzer 2 Schlepptorpedos. Beide Schiffsklassen führen je 2
Torpedoboote, die Küstenverteidiger je ein Torpedoboot an Deck. Die stärksten dieser Schiffe, Formidable und Admiral Baudin, von
je 11,441 To. Deplacement, 55 cm größter Panzerstärke, sind armiert mit je drei 37 cm Hinterladerkanonen von 75 Ton. Gewicht. - ²
Die Torpedokreuzer haben je 5, die Avisos je 2 Überwasserlancierapparate. - ³ Sämtliche Kreuzer führen 2 Schlepptorpedos, die
gedeckten je 2, die Glattdeckskreuzer je ein Auslegetorpedoboot an Bord.4 Die zerlegbaren Kanonenschaluppen wurden zum Gebrauch auf Flüssen für den Krieg in Tongking gebaut. Außer den in
vorstehender Tabelle Aufgeführten Schiffen sind noch mehr als 200 Segelschiffe für den Hafendienst, als Werkstätten-, Lazarett- etc.
Schiffe, vorhanden.
? Ludwig XIV. hinterließ 1715 eine Flotte von 150 Segeln, welche, von kleinern Schiffen abgesehen, bis 1779 auf 89 Linienschiffe
und 60 Fregatten wuchs. Bei Beginn der Revolution waren 81 Linienschiffe,
86 Fregatten und 148 kleinere Kriegsschiffe mit zusammen 14,000 Kanonen und einer Bemannung von 78,000 Mann vorhanden.
Beim Beginn des Krimkriegs verfügte Frankreich über eine Flotte von 252 Segelschiffen und 112 Dampfern. Dieser Krieg gab
Napoleon III. Veranlassung zum Bau gepanzerter schwimmender Batterien, welche sich beim Bombardement von Kinburn 17. Okt.
1854 so bewährten, daß sie zum Bau der ersten gepanzerten Fregatte, Gloire, welche 1858 vom Stapel lief, Veranlassung wurden.
Im J. 1861 verfügte die französische Kriegsmarine bereits über 20 Panzerschiffe. Frankreich hat großes Verdienst um die
Entwickelung des Baues von Panzerschiffen.
Die Küste Frankreichs ist gegenwärtig in fünf Bezirke und die Marine dementsprechend in fünf Marinedivisionen geteilt, davon je
eine in den fünf Kriegshäfen Cherbourg, Brest, Lorient, Rochefort u. Toulon. An der Spitze der Kriegsmarine steht der Marineminister,
ihm zur Seite ein Kabinettschef und ein Admiralsrat (conseil d'amirauté). Das Personal besteht aus etwa 32 Vizeadmiralen, 50
Konteradmiralen, 110 Kapitänen zur See, 240 Fregattenkapitänen, 700 Leutnants und 490 Schiffsfähnrichen. Diesem Offizierkorps
entspricht ein Mannschaftsstand von 47,000 Mann, darunter 28,000 Mann an Bord.
Vgl. v. Pfister, Das französische Heerwesen (2. Aufl., Kassel 1877);
Jähns, Das französische Heer von der großen Revolution bis zur Gegenwart (Leipz. 1873);
Dussieux, L'armée en France, histoire et organisation (1884, 3 Bde.);
v. Busse, Die Heere der französischen Republik 1870-71 (Hannov. 1874);
Duc d'Aumale, Les institutions militaires de la France (Brüss. 1867);
Vinoy, L'armée française (Par. 1873);
»Frankreichs Kriegsbereitschaft, eine Studie« (3. Aufl., Berl. 1884);
»Die Befestigung und Verteidigung der deutsch-französischen Grenze« (das. 1879);
»Frankreichs Landesbefestigung« (Bd. 88 des »Archivs für die Artillerie- und Ingenieuroffiziere des deutschen Reichsheers«,
das. 1881);
Obermair, Die Befestigungen Frankreichs (das. 1886);
»Registrande des Großen Generalstabs« (das. 1875 ff.);
v. Löbell, Jahresberichte (das. 1874 ff.);
Chassériau, Précis historique de la marine française (1876);
J. Delabarre ^[richtig: Jules Delarbre], La marine militaire de la France, organisation et administration (1877);
v. Kronenfels, Das schwimmende Flottenmaterial der Seemächte (Wien 1881);
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Derselbe, Die Kriegsschiffbauten 1881-82 (das. 1883).
Kolonien. Die außereuropäischen Besitzungen der Krone Frankreich waren vor der Revolution von 1789 weit ansehnlicher als
jetzt. Die bedeutendste derselben ist jetzt Algerien (s. d.) mit einem Flächeninhalt von 667,065 qkm (12,115 QM.) und (1881)
3,310,412 Einw. Eigentliche Kolonien (unter dem Marineministerium stehend) sind in Asien: Ponditscherri, Tschandarnagar, Karikal,
Mahé und Janaon in Indien mit 508 qkm (9,24 QM.) und (1882) 273,283 Einw., das französische Kochinchina mit 59,800 qkm (1086
QM.) und (1882) 1,642,185 Einw., Kambodscha mit 83,860 qkm (1523 QM.) und 1,500,000 Einw. und Tongking mit 90,000 qkm
(1634 QM.) und 9 Mill. Einwohnern;
in Afrika: Senegal und Gabun mit 700,000 qkm (12,710 QM.) und 4 Mill. Einw., Obok mit 10,000 qkm (181 QM.) und (1884)
22,370 Einw., die Insel Réunion mit 2512 qkm (45,6 QM.) und (1882) 170,518 Einw., die Inseln Mayotta, Nossi Bé und Ste.-Marie mit
824 qkm (14,9 QM.) und (1882) 28,726 Einw.;
in Amerika: St.-Pierre und Miquelon mit 235 qkm (4,3 QM.) und (1882) 5554 Einw., Martinique und Guadeloupe mit
Dependenzen mit 2858 qkm (51,9 QM.) und (1882) 364,884 Einw., Französisch-Guayana mit 121,414 qkm (2205 QM.) und (1882)
24,656 Einw.;
in Ozeanien: Neukaledonien und Dependenzen mit 19,950 qkm (362 QM.) und (1884) 60,703 Einw. und Tahiti nebst
Dependenzen mit 3658 qkm (66 QM.) und (1884) 25,050 Einw. Schutzstaaten sind in Asien: das Königreich Anam mit 275,300 qkm
(5000 QM.) und 6,045,000 Einw.;
in Afrika: Tunis mit 116,348 qkm (2113 QM.) und 1,500,000 Einw. Die auswärtigen Besitzungen Frankreichs (s. Karte
»Kolonien«) beziffern sich sonach:
BesiÂ-tzunÂ-gen QKilom. QMeiÂ-len EinÂ-wohÂ-ner
Algerien 667065 12115 3310412
Kolonien 1096010 19903 17117929
SchutzstaaÂ-ten 391648 7113 7545000
ZusamÂ-men: 2154723 39131 27973341
Die Nationalfarben und die Flagge Frankreichs sind Weiß, Rot und Blau (Trikolore). Die Oriflamme (s. Fahne) dient seit Karl VII.
nicht mehr als Reichspanier. Das alte bourbonische Wappen bildeten zwei zusammengeschobene Schilde, auf dem rechten blauen
drei goldene Lilien. Während der Revolution wichen die drei Lilien dem gallischen Hahn und unter Napoleon I. dem goldenen, auf
Blitzen fahrenden Adler; mit der Restauration kehrten sie zurück, wurden aber nach der Julirevolution abgeschafft. Napoleon III.
brachte den Adler wieder ins Wappen zurück. Gegenwärtig enthält das Wappen eine die Republik darstellende allegorische Figur.
Der einzige Orden in Frankreich ist der Orden der Ehrenlegion (s. d.). S. die Tafeln »Flaggen«, »Orden«, »Wappen«.
Litteratur.
Vgl. für die Geographie: »Dictionnaire topographique de la France« (auf Veranlassung des Unterrichtsministeriums
herausgegeben; jedes Departement bildet einen Band, 1861 ff.);
Gindre de Mancy, Nouveau dictionnaire complet des communes de la France, etc. (5. Ausg. 1874);
Joanne, Dictionnaire géographique, administratif etc. de la France (3. Aufl. 1886);
Derselbe, Géographies départementales de la France (87 Bdchn.);
Maltebrun, La France et ses colonies (Par. 1857);
Derselbe, La France illustrée (neue Ausg. 1879 ff.);
Cortambert, Géographie physique et politique de la France (zuletzt 1886);
Reclus, La France (1877, Bd. 2 der »Géographie universelle«);
Levasseur, Précis de la géographie de la France et de ses colonies (1886);
Heuzé, La France agricole (mit 46 Karten, 1875, offiziell);
Hillebrand, und die Franzosen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (3. Aufl., Berl. 1879);
Hellwald, in Wort und Bild (Leipz. 1884 ff.);
Vignon, Les colonies françaises (1885);
Rambaud, La France coloniale (das. 1886);
Lebon, Das Staatsrecht der französischen Republik (Freiburg 1886);
Voisin-Bey, Die Seehäfen Frankreichs (deutsch, Leipz. 1886);
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die offizielle »Statistique de la France«; »Annuaire statistique de la France« (seit 1878);
Block, Dictionnaire de l'administration française (2. Aufl. 1875-79, mit jährlichen Supplementen) und den jährlich erscheinenden
»Almanach national« (Staatshandbuch).
Kartenwerke (Spezialkarten): Cassini, Carte topographique de la France (1:86,400, Par. 1744-1793, in 182 Bl.);
»Carte de la France« (1:80,000, das. 1818-82, in 267 Bl.; offiziell vom Depot de la guerre);
? seit 1881 wird eine neue Ausgabe dieser
Karte im Maßstab 1:50,000 in 950 Bl. vorbereitet; »Carte de France dressé par le service vicinal« (1:100,000, offiziell vom
Ministerium des Innern, etwa 120 Sektionen erschienen); die »Carte de la France« (im Maßstab 1:320,000 in 33 Bl., 1852-1881). Generalkarte von Vogel (1:1,500,000, in Stielers »Handatlas«, 4 Bl.);
Leuzinger, Physikalische und geographische Karte von Frankreich (1:2,000,000, Bern 1880);
Levasseur, France au 600,000 (12 Bl., Par. 1878) - Höhenschichtenkarten: Carte du nivellement général de la France
(1:800,000, 1872, 6 Bl.);
H. Pigeonnot und Frankreich Drivet, Carte hypsométrique de la France (1:800,000, 1877, 9 Bl.). - Dufrénoy und Elie de
Beaumont, Carte géologique et minéralogique de la France (1:500,000, 1841, 2. Ausg. 1855, 6 Bl. mit 2 Bdn. Text). Für die
Topographie ist Joanne, Atlas de la France 2. Aufl. 1872, 95 Bl.), von Wert.
Geschichte Frankreichs. Am Ende des 5. Jahrh. n. Chr. gründete der westdeutsche Stamm der Franken in Gallien (s. d.) das
Frankenreich (s. d.), welches sich durch Eroberung allmählich über die meisten deutschen Stämme Mitteleuropas ausdehnte. Dieses
Frankenreich war insofern noch ein deutsches, als seine Könige nach deutschen Gesetzen und Sitten lebten, Deutsch die Sprache
ihres Hofs blieb, während allerdings die Masse des Volkes in Gallien romanisiert war. Eine besondere Existenz erlangte das alte
Gallien erst wieder durch die Teilung, welche die Enkel Karls d. Gr., die Söhne Ludwigs des Frommen, 843 zu Verdun mit dem Reich
ihrer Ahnen vornahmen.
Während der zweite Sohn, Ludwig, die fränkischen Besitzungen östlich vom Rhein, der älteste, Lothar, Italien und die Länder
erhielt, welche östlich von Reuß und Rhein, westlich von Rhône, Saône und Maas begrenzt wurden, fiel das Frankenland westlich
von diesen letztern drei Flüssen (auch das Gebiet zwischen Pyrenäen und Ebro gehörte dazu) als Westfranken dem jüngsten Bruder,
Karl dem Kahlen, anheim. Damit beginnt die gesonderte Geschichte des westfränkischen Reichs, des eigentlichen Frankreich. Die
Bevölkerung desselben war keineswegs eine gleichartige; es bestanden in ihr Unterschiede, welche für die gesamte französische
Geschichte von Wichtigkeit geblieben sind.
Den Grundstock derselben bildeten die unter der römischen Herrschaft mit römischen Elementen durchmengten und
romanisierten Kelten, neben denen im Südwesten Basken, im Nordwesten, in der Bretagne, nicht romanisierte Kelten wohnten. Aber
während nördlich von der Loire die in großer Menge einwandernden Franken eine bedeutende Einwirkung aus Wesen und Art der
Bevölkerung ausübten, blieb in den Gegenden südlich von der Loire, wo die Franken erst später erschienen waren und sich nur in
sehr geringer Anzahl niedergelassen hatten, das galloromanische Element in fast unvermischter Reinheit fortbestehen. In Sprache,
Sitte und Rechtsleben unterschieden sich daher Nord- und Südfranzosen, die einander viele Jahrhunderte lang bei weitem schroffer
gegenüberstanden als je die Nord- und Süddeutschen.
Aus dem fränkischen Idiom der Sieger und dem verderbten lateinischen Dialekt der Gallier entwickelte sich nun eine neue
Sprache, die französische, in welcher freilich die gewandtere, feinere und genauere Redeweise der geistig überlegenen
Galloromanen überwog. Das erste litterarische Zeugnis, das wir von der französischen Sprache besitzen, stammt aus dem Jahr 842,
also gerade aus dem Zeitraum, wo ein besonderes Frankreich zuerst in der Geschichte erscheint.
Frankreich unter den Karolingern (843-987). Zunächst befand sich Westfranken unter der Herrschaft der Nachkommen Karls d.
Gr., der Karolinger, in sehr trüben Zuständen. Die großen Vasallen hatten in dem Krieg der drei Söhne Ludwigs des Frommen
gegeneinander die Macht an sich gerissen und betrachteten den Staat als ihre Beute. Sie stürzten sich auf das Besitztum der kleinen
Freien und der Kirchen und rissen es an sich, wie es ihnen gefiel. Das Königtum stand machtlos in dieser allgemeinen Verwirrung;
wenn es nicht ganz zu Boden gerissen wurde, so hatte es dies lediglich dem Übermaß des Übels selbst zu danken: die großen
Vasallen waren so egoistisch, so roh und einander so feindlich, daß sie sich nicht einmal zu Schritten wider ihren gemeinschaftlichen
Gegner, das Königtum, zu vereinigen vermochten.
Karl (II.) der Kahle (843-877), obwohl nicht ohne Begabung und voll Ehrgeiz, vermochte die innere Zerrüttung nicht zu
bemeistern, zumal er auch durch die alljährlich wiederholten Raubanfälle der Normannen und der Sarazenen zu leiden hatte.
Bordeaux, Paris, Nantes, Angers, Orléans und viele andre große Städte des Landes wurden von den Normannen geplündert und
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niedergebrannt. Der Süden Frankreichs zwischen Loire und Pyrenäen, Aquitanien, machte sich völlig unabhängig von dem König in
Paris, ebenso die Bretagne. Je weniger Karl den eignen Besitz behaupten konnte, desto eifriger strebte er aber nach fremdem.
Nach dem Tod seines Neffen Lothar II. teilte er ohne Rücksicht auf den rechtmäßigen Erben dessen Land, Lotharingien
(Lothringen), mit seinem Bruder Ludwig dem Deutschen in dem Vertrag zu Mersen (870): Ourthe, Maas und Jura wurden die
Grenzen Westfrankens gegen Ostfranken oder Deutschland. Ebensowenig Bedenken trug er, bei der Erledigung des Kaisertums 875
dasselbe seinem ältern Bruder, Ludwig, vorwegzunehmen, indem er nach Rom eilte und sich dort vom Papst Johann VIII. die
Kaiserkrone aufsetzen ließ.
Ja, als im nächsten Jahr Ludwig der Deutsche starb, wollte Karl sich auch Ostfrankens bemächtigen, wurde aber von dessen
Sohn Ludwig dem Jüngern bei Andernach aufs Haupt geschlagen (Oktober 876), sogar 877 aus Italien vertrieben und starb auf der
Flucht in einer Hütte am Fuß des Mont Cenis. Seine Nachfolger, Ludwig II. (»der Stammler«, 877-879), Ludwig III. (879-882) und
Karlmann (882-884), konnten den trotzigen Großen gegenüber um so weniger Einfluß üben, als ein früher Tod (das Zeichen
erschöpfter Lebenskraft in der karolingischen Dynastie) sie alle wegraffte.
? Inzwischen hausten die Normannen furchtbarer denn je. In ihrer Verzweiflung riefen 884 die westfränkischen Großen den
Kaiser und König von Ostfranken, Karl den Dicken, auch zu ihrem Herrscher aus. Indes hatte diese neue Vereinigung des großen
fränkischen Reichs keinen Bestand; denn als Karl der Dicke die Paris belagernden Normannen, anstatt sie zu bekämpfen,
schmachvollerweise mit Geld zum Abzug bewog, wurde er 887 auf dem Reichstag zu Tribur abgesetzt; die zwei fränkischen Reiche
trennten sich von neuem, und jedes ging fortan seinen eignen Weg. Damals sagten sich die Beherrscher von Niederburgund oder der
Provence und von Oberburgund von der Herrschaft der Karolinger los und stifteten eigne Königreiche. In Westfranken selbst
übergingen die Großen den einzigen noch lebenden Sohn Ludwigs II., Karl, und setzten dafür den tapfern Grafen Odo von Paris zum
König ein, welcher der Enkel eines in Frankreich angesiedelten Sachsen, Witichin, und der
Sohn Roberts des Tapfern war, dem Karl der Kahle das Land zwischen Seine und Loire zum Lehen gegeben hatte. Odo
vermochte indes nicht zu ruhigem Genuß seiner Herrschaft zu kommen. Einerseits hielt die Kirche fest an der legitimen Dynastie der
Karolinger, die sich ihr stets ergeben gezeigt hatte, und anderseits wollten die Großen nicht auf die Länge die Obergewalt eines
Mannes ertragen, der aus ihrer eignen Mitte hervorgegangen war. Als Karl III., der später den unverdienten Beinamen des
»Einfältigen« erhalten hat, herangewachsen war, wußte er sich an der Spitze einer starken Partei gegen Odo zu behaupten und
erlangte nach dessen Tod (898) die unbestrittene Herrschaft. Um Ruhe vor den Normannen zu erhalten, trat er deren kriegerischem
Führer Hrolf Gangr das Gebiet der untern Seine als westfränkisches Lehen ab (912), nachdem derselbe sich bereit erklärt hatte, zum
Christentum überzutreten; Hrolf wurde unter dem christlichen Namen Robert der erste Herzog der Normandie.
Diese Festsetzung der Normannen im nördlichen Frankreich war ein überaus glückliches Ereignis. Die Raubzüge der
Normannen in den fränkischen Provinzen nahmen damit ein Ende, und in den letztern konnte man sich wieder ungestört den
Geschäften des Friedens widmen. Mit überraschender Leichtigkeit aber nahmen jene skandinavischen Germanen die Sprache und
die Anschauungen ihrer westfränkischen Nachbarn und Unterthanen an; mit der Energie, die sie bei allen ihren Unternehmungen
zeigten, verwandelten sie sich aus Germanen in Romanen und aus den unerbittlichen Feinden der christlichen Religion in deren
begeisterte Vorkämpfer.
Auch Karl III., dessen eignes Gebiet nur in der Umgebung von Laon und einigen durch das ganze Reich zerstreuten Domänen
bestand, vermochte auf die Länge nicht, die verräterischen Vasallen im Zaum zu halten. Er wurde geschlagen (923) und durch
Hinterlist eingekerkert, bis der Schmerz über seine Gefangenschaft 929 seinem Leben ein Ende machte. Nach einer
Schattenherrschaft des Herzogs Rudolf von Französisch-Burgundien folgte der nach England geflüchtete und deshalb »der
Überseeische« (d'Outremer, Ultramarinus) genannte Sohn Karls III., Ludwig IV., 936. Derselbe war aber nur ein Werkzeug in der
Hand Hugos d. Gr., des Nachkommen des Königs Odo, welcher das ganze Land zwischen Aisne und Loire als Herzogtum Francien
und dazu noch das französische Herzogtum Burgundien beherrschte.
Als Ludwig IV. Miene machte, sich auf eigne Füße zu stellen, rettete nur die Dazwischenkunft seines Schwagers, des mächtigen
deutschen Königs Otto I., ihn vor der Rache des übermütigen Hugo. Unter Ottos Schutz folgte auf Ludwig IV., 954 dessen 13jähriger
Sohn Lothar III., dessen Regierung ruhig, aber auch machtlos war, und diesem 986 sein Sohn Ludwig V., der wegen seiner kurzen,
thatenlosen Regierung »der Faule« (le Fainéant) genannt wird, aber schon 987, noch nicht 20 Jahre alt, starb. Es war jetzt nur noch
ein einziger Karolinger übrig, Lothars III. Bruder Karl, der aber als Herzog von Niederlothringen deutscher Vasall war. Dies benutzte
der Sohn Hugos d. Gr., Herzog Hugo von Francien, mit dem Beinamen Capet (Kapuze), um mit Hilfe seines Bruders, des Herzogs
Heinrich von Burgund, und des Erzbischofs Adalbert von Reims sich von den Großen die Königskrone zu erwirken. Ein Versuch
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Karls, ihm dieselbe zu entreißen, scheiterte; Karl und sein Sohn beschlossen ihre Tage im Kerker. Damit endete die unglückliche
Herrschaft der westfränkischen Karolinger.
Die Herrschaft der direkten Linie der Capetinger (987-1328). So gelangte 3. Juli 987 die Dynastie der Kapetinger auf den
französischen Thron, den sie in verschiedenen Linien bis zur großen Revolution behauptet hat, eine Dynastie deutscher Abstammung
ebenso wie die Karolinger. Aber das westfränkische Volk war inzwischen vollständig romanisiert. Während im Innern des Reichs die
verschiedenen Stämme sich zu einer nördlichen und einer südlichen Einheit verschmolzen hatten, waren von germanischem Wesen
nur geringe Spuren in der Sprache übriggeblieben.
Als Staat befand sich Frankreich allerdings in völligster Zerrüttung. Der Süden hatte sich von der königlichen Gewalt fast völlig
losgerissen; auch im mittlern und nördlichen Teil wollten die großen Vasallen die Oberlehnshoheit der Krone nur noch der Form nach
anerkennen. Den politischen Zerfall Frankreichs verhindert, es neu organisiert und allmählich fast alle französisch redenden Gebiete
des alten Frankenreichs zu Einem Staat vereinigt und so die französische Nation eigentlich erst geschaffen zu haben, das ist das
Verdienst des kapetingischen Herrscherhauses.
Das Reich Hugo Capets wurde nach dem unmittelbaren Besitztum desselben France, Frankreich, seine Unterthanen Franzosen
genannt. Indessen mußte Hugo erkennen, daß anfangs seine Macht durch das Königtum nicht verstärkt, sondern lediglich vermindert
war. Zunächst benutzten die Aquitanier die Beseitigung der legitimen Dynastie, um abermals von dem König von Francien abzufallen
und sich den Franzosen feindselig gegenüberzustellen. Aber auch im Norden kümmerten sich die Herzöge und Grafen wenig um den
König, Kämpfe und Empörungen erschütterten unausgesetzt das Reich.
Nur durch Nachgeben, Schenkungen, Anerkennung der vollendeten Thatsachen vermochte Hugo sich zu behaupten und durch
vorsichtiges, aber konsequentes Festhalten an der Oberlehnsherrlichkeit der Krone dieser allmählich eine moralische Macht zu
verschaffen. Die Befestigung der Dynastie auf dem Thron und die Anerkennung der Erblichkeit der Monarchie in Frankreich
beförderten die Kapetinger ferner dadurch, daß die ersten Könige noch bei Lebzeiten den zur Thronfolge bestimmten Sohn krönen
ließen und zum Mitregenten annahmen, wobei das Glück sie auffallend begünstigte.
Fast nie hinterließ ein König einen unmündigen Sohn, nie war die Thronfolge zweifelhaft, so daß nie ein verderblicher Erbstreit
entstand und die Großen des Reichs nie in Versuchung kamen, ein Wahlrecht auszuüben. Indem die Könige nicht nach fernen
Reichen und Eroberungen trachteten, sondern nur auf die Interessen ihrer Dynastie und ihres Landes bedacht waren, erwarben sie
sich das Vertrauen der friedlichen Stände, der Geistlichkeit und der Städte, und vermochten die königliche Autorität über die Vasallen
mehr und mehr zu verstärken.
? Hugo Capet starb schon 996, und ihm folgte ohne alle Anfechtung sein schon mehrere Jahre zuvor von den Großen
anerkannter und gekrönter Sohn Robert (996-1031), der seine Zeit mit dem Lesen der heiligen Schriften und der Abfassung von
Meßbüchern verbrachte und in mönchischer Zurückgezogenheit lebte, aber mit den großen Vasallen in gutem Einvernehmen stand.
Auch behauptete er das Herzogtum Burgund nach dem kinderlosen Tod seines Oheims Heinrich für das kapetingische Haus, indem
er es seinem dritten Sohn, Heinrich, verlieh. Dasein ältester Sohn, Hugo, vor ihm starb, der zweite, Odo, geistesschwach war, so ließ
er 1027 den dritten Sohn in Reims
krönen, und dieser folgte ihm als Heinrich I. (1031-1060). Die Regierung desselben war durch manche Kämpfe mit Verwandten
und Vasallen beunruhigt und daher erfolglos. Nur hatte der König das Glück, 1059, ein Jahr vor seinem Tode, die Krönung seines
Sohns in Anwesenheit der Häupter des Klerus und des Adels feiern zu können. Dieser, Philipp I. (1060-1108), war von zügellosen
Sitten und zog sich durch sein anstößiges eheliches Leben den Bann der Kirche zu. Von allen ritterlichen Unternehmungen hielt er
sich fern und nahm auch nicht am ersten Kreuzzug teil, welchem sich die meisten französischen Großen anschlossen. Wurde
hierdurch das Königtum von manchem unbotmäßigen Vasallen befreit, so erwuchs eine schwere Gefahr für die französische
Monarchie infolge der Eroberung Englands durch Herzog Wilhelm von der Normandie (1066), da nun der mächtigste französische
Vasall eine unabhängige Königskrone trug.
Die Zeit größerer Kraft und stärkern Einflusses begann für das französische Königtum erst, als Philipp I., durch die Last der Jahre
und seiner Unfähigkeit niedergedrückt, 1101 seinen Sohn Ludwig zum Mitregenten berief und dieser 1108 auf dem Thron folgte.
Ludwig VI. (»der Dicke«, 1108-37) war lebhaft, mutig, von klarem Urteil und scharfem Blick für das Richtige und Angemessene. Er
strebte zwar noch nicht die Unterwerfung seiner großen Vasallen unter den königlichen Willen an, aber in seiner unmittelbaren
Umgebung, in den königlichen Domänen Isle de France und Orléanais, Sens und Bourges, wollte er Herr sein, wollte er die Kirche
und das niedere Volk, die bisher schutzlos dem Wüten raubgieriger Burgherren preisgegeben waren, in ihren Rechten und ihrem
Eigentum schützen.
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Während der rohe und übermütige Adel immer zahlreicher nach dem Heiligen Land auswanderte und die Normannen ihre Politik
und ihre Kräfte auf England wandten, dehnte unter Ludwigs Leitung das königliche Haus im engen Bund mit der Kirche, welche die
weltlichen Großen sehr zu fürchten hatte, unter beständigen kleinen Kämpfen seinen Einfluß über das Zentrum Frankreichs aus. Er
begünstigte die Städte durch so zahlreiche und ausgiebige Privilegien, daß man ihn vielfach als den Begründer der städtischen
Freiheit in Frankreich preist.
Aber auch das bisher in dumpfer Knechtschaft verkommene Landvolk durchzog ein freierer und kühnerer Geist. Zugleich lernte
es den König als seinen eigentlichen Herrn und Führer, seinen Verteidiger und Wohlthäter betrachten. Das Gefühl der durch das
Königtum repräsentierten Reichseinheit machte sich immer mehr in den Gemütern des Volkes geltend. Mit Hilfe solcher
Bundesgenossen zwang Ludwig VI. seine trotzigen Lehnsträger zum Gehorsam, und bald sah man sie auf des Königs Aufgebot mit
ihren Mannen zu dessen Heere reiten. Als der deutsche Kaiser. Heinrich V. den französischen König mit einem Krieg bedrohte,
scharten sich Große, Ritter und Volk wetteifernd in Reims um das königliche Banner (1124), so daß der Kaiser sein Vorhaben aufgab.
Am Ende seines Lebens genoß Ludwig VI. noch den Triumph, seinen ältesten Sohn, Ludwig, mit Eleonore, der einzigen Tochter und
Erbin des Herzogs Wilhelm X. von Aquitanien, vermählt zu sehen. Bald darauf starb Ludwig VI. (1. Aug. 1137) nach einer Regierung,
welche dem Königtum wesentlich festere Grundlagen verliehen hatte.
Sein Nachfolger Ludwig VII. (1137-80), abergläubisch fromm und unentschlossen, bald wild leidenschaftlich, bald apathisch,
unternahm 1147, um die grausame Züchtigung der aufrührerischen Champagne zu sühnen, gemeinsam mit dem deutschen König
Konrad III. einen Kreuzzug nach Palästina, welcher erfolglos blieb. Er überließ dem klugen und thatkräftigen Abt Suger von St.-Denis,
der schon seinem Vater zur Seite gestanden, während seiner Abwesenheit die Verwaltung des Reichs, und dieser kräftigte durch
Förderung der Städte und durch Erhöhung des Ansehens und der Macht der königlichen Gerichte die königliche Gewalt.
Alle bisherigen Erfolge wurden aber wieder gefährdet, als Ludwig sich von seiner sittenlosen Gemahlin Eleonore von Aquitanien
trennte und es zuließ, daß diese ihr Erbgut, die Provinzen Poitou, Guienne, Gascogne u. a., ihrem zweiten Gemahl, Heinrich
Plantagenet, der 1154 König von England wurde, zubrachte. Dadurch kam ein großer Teil Frankreichs (27 der jetzigen
Departements) unter englische Herrschaft. Ludwigs Besitz war nicht halb so groß als der des englischen Königs, der ihn 1169 im
Vertrag von Montmirail noch zwang, ihm Quercy und Bretagne abzutreten. So ungünstig auch bei dem Tod Ludwigs VII. (18. Sept.
1180) anscheinend die Sache der Kapetinger den Plantagenets gegenüberstand, so hatten doch jene einen mächtigen Rückhalt an
dem Begriff ritterlicher Treue, der sich allmählich in dem ganzen Adel entwickelt hatte, sowie an der festen Anhänglichkeit der
zahlreichen und wohlbegüterten Städte und der geknechteten, nur vom Königtum geschützten Bauern.
Während so die königliche Autorität langsam unter vielfachen Wandlungen erstarkte, nahmen Bildung und Geistesthätigkeit
bedeutend zu, angeregt durch die Berührung mit der höhern orientalischen Kultur in den Kreuzzügen. Diese erfüllten die
kriegerischen Klassen mit idealem Enthusiasmus und zugleich mit Vorliebe für das Abenteuerliche und Gefährliche. In F., das sich ja
mehr als alle andern Nationen an den Kreuzzügen beteiligte, erhielt dieses »Rittertum« seine erste Ausbildung und entfaltete hier
seine höchste Blüte; auch die ritterliche Poesie entstand auf französischem Boden. In den Städten erfand man die sogen. gotische
Architektur, die, von den reichen Bürgern eifrig gepflegt, die herrlichsten Bauwerke des Mittelalters hervorbrachte und sich siegreich
über das ganze Abendland verbreitete. So herrschte im F. des 12. Jahrh. außerordentliche Rührigkeit, Frische und Fruchtbarkeit des
geistigen Lebens.
Der Sohn Ludwigs VII., Philipp II. (»Augustus«, d. h. Mehrer des Reichs, 1180-1223), der 1180, 15 Jahre alt, den französischen
Thron bestieg, war ein hochbegabter Fürst, von klarer Einsicht, besonnen, energisch, sparsam, nüchtern und schlau, freilich auch
hart, habgierig und treulos. Er erkannte bald, daß die französischen Könige vor allem danach streben müßten, die Macht des Hauses
Plantagenet in Frankreich zu brechen und die französischen Besitzungen desselben an sich zu bringen.
? Solange fremde Herrscher von größerer Macht als der König von Frankreich dessen Vasallen waren, konnte der französische
König nicht die Unterordnung der Lehnsmannen unter seine Gewalt erreichen. Die Empörungen der Söhne Heinrichs II. gegen den
Vater, dann ihr Zwist untereinander begünstigten Philipps Politik. 1189 mußte Heinrich Berry und Auvergne an die französische Krone
abtreten. Der Beteiligung am dritten Kreuzzug konnte sich Philipp nicht entziehen. Aber sofort nach der Eroberung von Akka kehrte er
nach Frankreich zurück und benutzte die lange Abwesenheit Richards von seinem Reich, dessen treulosen Bruder Johann durch das
Versprechen, ihm zum englischen Thron zu verhelfen, zur Abtretung des östlichen Teils der Normandie und
der größern Hälfte der Touraine zu bewegen (1193). Als Richard endlich zurückgekehrt war, begann er einen erbitterten und
blutigen Krieg gegen Philipp August, und da sich auch die Grafen von Champagne, Flandern u. a. gegen die drohend anschwellende
Macht ihres Oberherrn erhoben, gestaltete sich der Kampf keineswegs günstig für Philipp August; doch wurde er zu dessen Glück
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durch einen Machtspruch des Papstes Innocenz III. beendet (Januar 1199). Die Unwürdigkeit von Richards Nachfolger Johann ohne
Land brachte die lange gärende Empörung in den französischen Besitzungen der Plantagenets zum Ausbruch.
Philipp August benutzte dies, um 1204 die Normandie und die Länder an der Loire, Anjou, Maine, Touraine und Poitou, zu
erobern und in dem Waffenstillstand zu Thouars 1206 alles Gebiet nördlich der Loire, vor allem Bretagne und Normandie, zu
behaupten. Der Sieg Philipps bei Bouvines (27. Juli 1214) über die englisch-welfische Streitmacht sicherte die Überlegenheit der
französischen Krone über den englischen Rivalen, erhöhte das Nationalgefühl der Franzosen und verknüpfte sie durch die Bande des
Ruhms und der kriegerischen Ehre mit der kapetingischen Dynastie. In seinem Ehestreit mit der Kirche mußte sich Philipp allerdings
schließlich dem Machtspruch des Papstes unterwerfen; diese Demütigung schädigte aber sein Ansehen nicht, sondern vermehrte nur
die Anhänglichkeit des französischen Klerus.
Eine neue beträchtliche Machtvergrößerung des französischen Königtums wurde schon unter Philipp angebahnt, indem Simon
von Montfort, dem die Kirche den Krieg gegen die albigensischen Ketzer und die Herrschaft in Toulouse übertragen hatte, den Schutz
und Beistand des Königs anrufen und sich der Lehnshoheit desselben unterwerfen mußte. Nach Philipps II. Tod (14. Juli 1223)
erlangte sein Sohn Ludwig VIII. (1223-26) von den Montforts die förmliche Abtretung aller ihrer Rechte auf die albigensischen Länder
und unternahm mit Zustimmung der Großen den Krieg gegen die Ketzer, der durch seinen frühen Tod keine Unterbrechung erfuhr,
vielmehr mit der Eroberung der Grafschaft Toulouse und damit der Ausbreitung der kapetingischen Herrschaft auch über
Südfrankreich endete (1243).
Ludwigs VIII. Sohn Ludwig IX. (1226-70) war erst elf Jahre alt, als er den Thron bestieg. Sein Regierungsanfang war schwierig,
denn sein Vater hatte selbst die königliche Macht geschwächt, indem er seinen jüngern Söhnen bedeutende Besitzungen der Krone
verliehen hatte, und die Vasallen erhoben sich überall, um das drückende Joch der Königsherrschaft wieder abzuschütteln. Die
männliche Energie der Mutter Ludwigs IX., Blanka von Kastilien, welche für ihn die Zügel der Herrschaft ergriff, schlug 1231 den
Aufstandsversuch des Adels nieder.
Auch nach seiner Mündigkeit holte Ludwig stets den Rat seiner klugen Mutter ein und übertrug ihr während seiner Abwesenheit
von Frankreich die Reichsregentschaft. Streng religiös, aber nicht fanatisch, mild und weise, befestigte Ludwig »der Heilige« das
Königtum in den Herzen des Volkes und machte seine Krone zum legitimen, von Gott verliehenen Erbe des kapetingischen
Herrscherhauses. Mit dem englischen König schloß er 1259 einen Vertrag, in welchem er demselben die bereits entrissenen Gebiete
Aquitaniens zurückgab, wogegen dieser seinen Rechten und Ansprüchen auf die Normandie und auf die Grafschaften an der Loire
entsagte und für Aquitanien die Oberlehnsherrlichkeit Frankreichs anerkannte.
Diese Oberlehnshoheit des Königs wurde zu einer wirklichen Herrschaft ausgebildet und demselben eine erhabene Stellung über
den Vasallen eingeräumt. Das Parlament von Paris wurde zum obersten Gerichtshof erhoben, welcher meist aus rechtsgelehrten
königlichen Räten bestand, und dessen Rechtssprüche auch die großen Vasallen anerkennen mußten, und durch die »Satzungen
des heil. Ludwig« (»Établissements de St-Louis«),
eine Zusammenstellung altherkömmlicher Rechtsgewohnheiten und neuer gesetzlicher Verordnungen, ein geordnetes
Rechtsleben geschaffen; Willkür und rohe Gewalt wurden unter die Zucht des Gesetzes gestellt, so daß jedermann in Frieden und
Ruhe lebte. Die Entwickelung der Städte förderte der König durch Verleihung der Selbstverwaltung, Regelung der Abgaben, Zölle,
des Münzwesens etc. und durch Begünstigung von Handel und Gewerbe. Trotz seiner eifrigen Frömmigkeit wahrte er die alten
Rechte der französischen Nationalkirche, die freie Wahl der Geistlichkeit und das Verbot von Abgaben an die Kurie ohne Zustimmung
des Königs und der Kirche selbst, durch die »Pragmatische Sanktion« von 1269 gegen die Ansprüche des Papsttums.
In dem ihm unmittelbar unterworfenen Gebiet, welches etwa 39 der jetzigen Departements umfaßte, übte der König seine Gewalt
durch Beamte aus und erhob regelmäßige Steuern. Diese Erfolge in der innern Politik wurden auch durch die Kreuzzüge nicht
beeinträchtigt, welche Ludwig aus christlichem Eifer gegen die Sarazenen unternahm; der erste hielt ihn sechs Jahre (1248-54) von
Frankreich fern, auf dem zweiten starb er 1270 vor Tunis. Sein Sohn Philipp III. (1270-85), »der Kühne«, erntete vielfach die Früchte
der von seinem Vater ausgestreuten Saat. Indem sein Oheim Alfons kinderlos starb, erbte er dessen weite Besitzungen: die
Markgrafschaft Provence und die Grafschaft Toulouse mit allen Dependenzen und Poitou. Die Krone war jetzt die größte
Landbesitzerin auch im Süden Frankreichs. Weniger glücklich war ein Eroberungszug, den Philipp III. gegen Aragon unternahm; an
den Folgen der Erschöpfung und Aufregung, die er hier durchgemacht, starb er 5. Okt. 1285.
Sein 16jähriger Sohn und Nachfolger Philipp IV., »der Schöne« (1285-1314), brach kühn mit allen Überlieferungen der
mittelalterlichen Gesellschaft, stellte sich nur auf den Standpunkt der Nützlichkeitstheorie und führte auf politischem und sozialem
Gebiet eine vollständige Umgestaltung in den Zuständen seines Reichs herbei. Religion und Kirche suchte er lediglich zu einem
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wichtigen Rad innerhalb der großen Staatsmaschine zu machen. Wie in den richterlichen und administrativen Angelegenheiten,
befreite er sich auch in der Zentralregierung und der Leitung der großen Politik von dem Einfluß der Feudalität, indem er sie lediglich
von ihm gewählten Rechtsgelehrten bürgerlichen Standes übertrug, aus denen er seinen Rat (conseil) bildete.
? Seine übergreifende Gewalt verteidigte eine stetig wachsende Polizeimacht (sergeants d'armes) im Innern, eine fein
organisierte Diplomatie nach außen. Die geistliche Gerichtsbarkeit wurde beschränkt, durch Entfernung der Geistlichen aus
Rechtspflege und Verwaltung die Macht des Klerus und die Ehrfurcht des Volkes vor demselben gemindert. Mit so erhöhter Macht
begann Philipp erobernd aufzutreten. Dem König von England entriß er einige Gebietsteile an der Garonne, brachte die Bretagne
unter französische Oberhoheit und gewann auch Deutsch-Burgund durch eine Heiratsverbindung; den mit England verbündeten
Grafen von Flandern nahm er durch Verrat gefangen und eroberte dessen Land (1300). Nicht minder energisch
trat er gegen den Papst auf. Bonifacius VIII., der herrschsüchtigste aller Päpste, der nicht nur die geistliche, sondern auch die
weltliche Herrschaft über die ganze Christenheit beanspruchte, war wegen Einkerkerung eines päpstlichen Legaten durch den König
mit diesem in Streit geraten und hatte ihn schließlich exkommuniziert. Aber auf einer großen Reichsversammlung in Paris 1302
erklärten nicht nur die weltlichen Stände, sondern auch die Geistlichkeit, daß sie zur Wahrung der Ehre und Rechte des Reichs und
der Krone zu dem König stehen und ihn mit Gut und Leben unterstützen würden.
Daher verweigerte Philipp dem Papst kühn den Gehorsam und appellierte mit Zustimmung des Reichstags an ein allgemeines
Konzil. Zugleich ließ er durch einige Getreue, welche den römischen Adel zur Empörung anstachelten, den Papst zu Anagni
überfallen und gefangen nehmen; Kummer und Zorn töteten denselben nach wenigen Wochen (1303). Sein Nachfolger Benedikt XI.
hielt es für geraten, sich mit dem König auszusöhnen, und Clemens V. erkaufte die Unterstützung, welche Philipp seiner Erhebung
hatte zukommen lassen, mit der Übersiedelung nach dem südfranzösischen Avignon (1309). So geriet das Papsttum in schmachvolle
Abhängigkeit von der französischen Krone.
Philipp benutzte dies nicht nur zur Förderung seiner äußern Politik, sondern auch in der Weise, daß er in beiderseitigem
finanziellen Interesse den Papst zur Aufhebung des reichen Templerordens nötigte (1312); die hervorragendsten Templer wurden
unter erdichteten Anklagen zu Tode gemartert. Lyon nahm er dem machtlosen Deutschen Reich ab, und auch über die benachbarten
deutschen Fürsten dehnte sich Philipps Einfluß aus. Aber an der Kraft eines freiheitliebenden Volkes scheiterte seine List und Gewalt.
Die reichen und stolzen flandrischen Städte erhoben sich unter Anführung des Webers Peter Koning von Brügge gegen die
französische Herrschaft und besiegten das französische Adelsheer in der glorreichen Schlacht bei Courtrai (1302). Alle Versuche,
das Land wiederzuerobern, blieben vergeblich.
Unter Philipps IV. Sohn Ludwig X., »dem Zänker« (1314-16), begann von seiten des Adels gegen die zentralisierende antifeudale
Richtung des Königtums eine umfassende Reaktion, die zur Entlassung der meisten Räte Philipps IV. und zur Hinrichtung des
bisherigen Finanzministers Enguerrand de Marigny führte und, von Ludwigs Bruder und Nachfolger Philipp V., »dem Langen«
(1316-22), zurückgedrängt, unter dem jüngsten der Brüder, Karl IV. (1322-28), vollständig triumphierte. Karl erhielt von den Flandrern
den südlichen, französisch redenden Teil ihres Landes, von den Engländern den Distrikt von Agen abgetreten, indem er sich
geschickt in die innern Streitigkeiten beider Völker einmischte. Aber da Karl IV. gleichfalls keine Söhne hinterließ, so erlosch mit
seinem Tod (1. Febr. 1328) die ältere Linie der Kapetinger im Mannesstamm, nachdem sie während ihrer vierthalbhundertjährigen
Herrschaft das Ansehen des Königtums dauernd befestigt und im Volk das Bewußtsein seiner Nationalität geweckt hatte.
Weil schon 1317 eine Reichsversammlung in Paris erklärt hatte, daß in Frankreich auf Grund des Salischen Gesetzes der
Franken Frauen von der Thronfolge ausgeschlossen seien, so wurde trotz des Einspruchs des Königs Eduard III. von England,
welcher als Sohn Isabellas, einer Tochter Philipps IV., den französischen Thron beanspruchte, Philipp aus der kapetingischen
Seitenlinie der Valois, der leibliche Vetter der letzten drei Könige, als König allgemein anerkannt.
Die Herrschaft der Valois und der hundertjährige Krieg mit England. Philipp VI. (1328-50) war ein prachtliebender Herrscher, der
ritterliche Vergnügungen und Abenteuer liebte und die Blüte des französischen und des ausländischen Adels an seinem Hofe
versammelte. Eduard III. von England leistete ihm die Huldigung für Guienne, und auch Flandern gelang es ihm wieder zu
unterwerfen. Aber der fortdauernde Streit der flandrischen Städte mit dem von Philipp eingesetzten Grafen gab Eduard Gelegenheit,
den Krieg gegen Frankreich zu beginnen, um seinen Anspruch auf die französische Krone durchzusetzen.
Gleich bei Beginn des Kampfes wurde die französische Flotte von der englischen in der Seeschlacht bei Sluys (1340) vernichtet.
Ohne wesentliche Entscheidung wütete der Krieg in Flandern, in der Bretagne, an der Garonne, bis 1346 das englische Heer, das
Eduard auf einem Plünderungszug gegen Paris geführt hatte, auf dem Rückzug zur Schlacht gezwungen, 25. Aug. bei Crécy die
französischen Ritter trotz tapfern Widerstandes völlig besiegte; 25,000 Tote bedeckten das Schlachtfeld.
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Nur die tapfere elfmonatliche Verteidigung von Calais gegen die Engländer rettete die französische Monarchie vor völligem
Verderben. Mitten in dieser durch den Krieg und eine schreckliche Pest verursachten Not starb Philipp VI. (22. Aug. 1350), von dem
Volk, das er mit harten Steuern bedrückt hatte, verwünscht. Doch hatte er die Grenzen Frankreichs insofern erweitert, als er dem
Dauphin von Vienne die Dauphiné abkaufte, nach welcher von nun an die französischen Thronerben sich benannten.
Philipps VI. Sohn und Nachfolger Johann der Gute (1350-64) war ein äußerst beschränkter und schwacher, ganz in den Händen
des hohen Adels befindlicher Fürst. Er ließ sich von dem Prinzen Eduard von Wales (dem »schwarzen Prinzen«) mit dessen fünffach
schwächerm Heer bei Maupertuis (19. Sept. 1356) schlagen und gefangen nehmen; es war dies die schmachvollste Niederlage des
stolzen französischen Adels. Ergrimmt erhoben sich gegen denselben die Bauern in der sogen. Jacquerie, während die großen
Städte, zumal Paris unter seinem Bürgermeister Stephan Marcel, die Gefangenschaft des Königs zu benutzen suchten, um die
Regierung des Reichs an sich zu reißen.
Indes gelang es dem Dauphin Karl, mit Hilfe des fest geeinten Adels beide Bewegungen unter furchtbarem Blutvergießen zu
unterdrücken (1358). Aber das Land gegen die Engländer zu verteidigen, vermochte der Dauphin nicht, und so mußte er sich zu dem
Frieden von Bretigny bequemen (1360), in welchem er den gesamten Südwesten Frankreichs von den Pyrenäen bis zur Loire sowie
im Nordwesten das Gebiet von Calais und Guines (19 der jetzigen Departements) den Engländern als souveränen Besitz überließ
und die Freilassung König Johanns mit 3 Mill. Goldthaler erkaufte. Entlassene Söldnerbanden verwüsteten das geschwächte Reich.
Zu dessen Glück starb König Johann schon im April 1364, nachdem er 1363 das der Krone heimgefallene Herzogtum Burgund
seinem zweiten Sohn, Philipp, übertragen und durch Begründung dieser Nebenlinie der Valois schwere Gefahren für Frankreich
heraufbeschworen hatte. Kein französischer König führte fortan den Namen Johann.
? Karl V. (1364-80), »der Weise«, war von schwachem Körperbau, aber klug, einsichtsvoll, bedächtig und seiner Ziele sich wohl
bewußt. Die Unzufriedenheit der unter englische Herrschaft gelangten Provinzen (denn schon war in allen Gegenden das
Bewußtsein der nationalen Einheit mächtig) gab ihm den Vorwand, den Kampf gegen die Engländer von neuem aufzunehmen.
Da König Eduard III. alt und schwach geworden, der heldenhafte Prinz von Wales in ein schweres Siechtum verfallen war, dem er
bald erlag, nahm der Krieg eine für die Franzosen sehr günstige Wendung. Die Bretonen Duguesclin und Clisson entrissen an der
Spitze der französischen Armee den Engländern fast alle ihre Eroberungen wieder (1369-1375); Kastilien und Neapel ordneten sich
dem französischen Einfluß unter.
Die Zuchtlosigkeit der Söldnerbanden unterdrückte der König, war auf gute und schnelle Rechtspflege bedacht und brachte trotz
des Kriegs Handel und Gewerbe in Aufschwung. Die großen Ausgaben für den Krieg zwangen ihn freilich, das Volk mit Steuern zu
bedrücken. Aber schon 16. Sept. 1380 starb Karl V., sein Reich seinem noch nicht zwölfjährigen Sohn Karl VI. (1380-1422)
hinterlassend. Die Oheime des jungen Königs rissen die Herrschaft an sich, indem sie untereinander und mit dem Volk haderten.
Der Übermut und die Habgier des zügellosen Adels riefen an verschiedenen Stellen des Reichs Aufstände des Volkes hervor.
Der nicht allein in seiner Macht, sondern auch in seiner Existenz bedrohte Adel scharte sich um den jungen König, welchem die
Uneinigkeit der Bürger freie Hand ließ. Zuerst wurden die Flandrer bei Roosebeke geschlagen (1382); nach deren Unterwerfung
wurden die eigentlich französischen Städte unter schweren Strafen zum Gehorsam zurückgebracht.
Allein die Oheime des Königs, der Herzog Johann von Berri und Philipp von Burgund, mißbrauchten den Sieg des Adels zu
selbstsüchtiger Bereicherung; zumal des Burgunders Macht wuchs bedeutend, indem ihm die reiche Erbschaft des flandrischen
Grafenhauses zufiel. Besser gestalteten sich die Verhältnisse, als der junge König selbst die Zügel der Regierung ergriff. Er entfernte
seine Oheime von der Staatsleitung und setzte die alten Räte seines Vaters wieder in ihre Stellen ein. Allein Karl VI. wurde bald durch
sein lebhaftes Naturell zu Ausschweifungen und wilden Vergnügungen aller Art verlockt, die seine Nerven auf das äußerste
überreizten. Dabei wußte er sich durch seine mißvergnügten Oheime von Verrätern umgeben. Künstliche Aufregung, die jene ihm
bereiteten, ein Brand, in dem er beinahe umkam, versenkten ihn 1393 in völlige Geistesnacht, aus welcher er sich immer nur für
kurze Zeit wieder erholte.
Nun bemächtigten sich Philipp von Burgund und des Königs Bruder, der Herzog Ludwig von Orléans, der Regentschaft, indem
sie sich beständig um den maßgebenden Einfluß stritten. Diese Feindschaft machte sich auch auf dem kirchenpolitischen Gebiet
geltend, wo der Burgunder der durch das Schisma angeregten Reformrichtung huldigte, während Ludwig von Orléans dem in Avignon
residierenden Papst anhing. Ebenso zeigte jener sich den volkstümlichen Bestrebungen günstig, Orléans dagegen der Sache der
Aristokratie.
Der Tod Philipps von Burgund (1404) brachte die Gewalt ganz in die Hände des Herzogs von Orléans, der dieselbe aber, im
Einverständnis mit der Königin Isabeau (einer bayrischen Prinzessin), auf das schändlichste mißbrauchte, um in Üppigkeit und Pracht
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zu leben, den König in Mangel und Schmutz verkommen zu lassen, die Angelegenheiten des Reichs zu vernachlässigen und das
Volk auf alle Weise zu drücken. Die allgemeine Unzufriedenheit benutzte der Sohn Philipps von Burgund, Johann der
Unerschrockene, ein heftiger, leidenschaftlicher Mann, um an der Spitze eines Heers in Paris einzuziehen und die Macht des
Herzogs von Orléans zu brechen (1405). Als dieser von neuem Streit erhob, ließ Johann ihn ermorden (1407) und erlangte damit die
Herrschaft in Frankreich, die er zur Hebung des Bürgertums benutzte.
Ihm stand die Adelspartei gegenüber, deren Haupt der Graf von Armagnac war, und welche namentlich im südlichen Frankreich
zahlreich und mächtig war. Der Kampf zwischen den Bourguignons, die den Norden des Reichs mit Paris beherrschten, und den
Armagnacs verwüstete jahrelang das unglückliche Land. Als der Dauphin Ludwig sich den Armagnacs zuneigte, erhob sich wider ihn
der Pariser Pöbel, von dem Fleischer Caboche geführt, und übte in der Hauptstadt einen blutigen demagogischen Terrorismus aus.
Gerade dieser Umstand wurde Johann dem Unerschrockenen schädlich, denn indem sich alle Besitzenden dem Dauphin gegen
die wilden »Cabochiens« anschlossen, wurde es diesem möglich, dieselben zu unterdrücken (1413), den Burgunder aus der Stadt zu
vertreiben und alle Kräfte des Staats gegen ihn aufzubieten. Johann wandte sich um Beistand an die Engländer, welche damals unter
der Herrschaft des hochbegabten, kriegerischen Heinrich V. standen. Gern folgte dieser der Aufforderung (1415) und schlug das
dreifach überlegene französische Heer bei Azincourt (25. Okt. 1415).
Während die Parteikämpfe zwischen den Bourguignons und Armagnacs fortwüteten, machten die Engländer, unterstützt von
Burgund und der Königin Isabeau, die ihren eignen Sohn Karl (jetzt nach dem Tode des ältern Bruders, Ludwig, Dauphin) bitter
haßte, namhafte Fortschritte; Paris selbst fiel in ihre Gewalt (1418). Als der Dauphin den Herzog von Burgund verräterisch auf der
Yonnebrücke bei Montereau ermorden ließ (1419), erklärte der ganze Norden sich für Burgund und England.
Heinrich V. heiratete eine Tochter Karls VI. und wurde im Vertrag von Troyes (1420), den das Parlament zum Reichsgesetz
erhob, als Nachfolger in Frankreich anerkannt. Indes starb er schon im Sommer 1422 mit Zurücklassung eines einjährigen Sohns,
Heinrichs VI., und wenige Monate später (Oktober 1422) folgte ihm der blödsinnige Karl VI. in das Grab. Der Norden Frankreichs
huldigte nun dem unmündigen Heinrich VI. von England; der bisherige Dauphin wurde nur südlich der Loire als König Karl VII.
(1422-61) anerkannt. In wiederholten Siegen eroberten die Engländer alles Land nördlich von der Loire; nur Orléans, der wichtigste
Übergangspunkt an diesem Fluß, leistete hartnäckigen Widerstand.
Karl VII. gab sich indessen in Chinon in der Touraine einem weichlichen, trägen Hofleben hin, an der Rettung des Landes
verzweifelnd. Um so aufgeregter war das französische Landvolk, indem durch die Verwüstungen der englisch burgundischen
Streifkorps das Nationalgefühl erst recht erwachte. Im äußersten Osten des Reichs, in Domremy, erhob sich Jeanne d'Arc, ein
17jähriges schwärmerisches Landmädchen, welches im Glauben, durch himmlische Visionen zur Rettung des Vaterlands berufen zu
sein, an den Hof des Dauphins eilte.
? Sie wußte unter vornehm und gering Glauben an ihre Sendung zu erwecken, die französischen Krieger zu begeistern, Orléans
zu entsetzen (1429) und führte Karl VII. nach Reims zur Krönung. Zwar wurde sie bei dem Versuch, Compiègne zu entsetzen, von
den Engländern gefangen genommen und nach einem schändlichen Prozeß in Rouen als Zauberin verbrannt (30. Mai 1431), allein
der Anstoß zum nationalen Kampf war gegeben. Philipp von Burgund, der englischen Herrschaft überdrüssig, schloß gegen
Bewilligung großer
Vorteile ein Bündnis mit dem französischen König zu Arras (1435). Paris fiel gleichfalls von England ab (1436); immer mehr
zeigte das kleine England sich unfähig, die große französische Monarchie zu behaupten, und überdies wurde es unter dem ganz
schwachen und haltlosen Heinrich VI. durch Parteiungen zerrissen. Nachdem die Engländer von Stellung zu Stellung vertrieben
worden waren, unterlag ihr letzter tüchtiger General in Frankreich, Talbot Graf Shrewsbury, mit seiner kleinen Schar einer großen
französischen Übermacht bei Castillon (17. Juli 1453). Nun fiel auch die Hauptstadt Aquitaniens, Bordeaux, in die Gewalt der
Franzosen. Der große französische Befreiungskrieg war vollendet; nur Calais und Guines ließ man den Engländern.
Das zunehmende Alter hatte auch Karl VII. eine größere Reife gebracht, und außerdem hatte er das Glück, treffliche Ratgeber zu
finden. So hatte die französische Regierung unmittelbar nach der günstigen Wendung des Kampfes auch eine Umgestaltung der
innern Organisation begonnen. Indem die Generalstände des Reichs zu Orléans (1439) eine bleibende Kopfsteuer (taille) zum
Unterhalt einer stehenden Armee bewilligten, wurde nicht allein die Sicherheit des Reichs nach innen und außen, sondern auch die
Macht des Königtums bedeutend gesteigert.
Zur Verwaltung der vermehrten Einnahmen wurden die Rechnungskammer und der Steuergerichtshof errichtet (1443). Die
letzten Lebensjahre Karls VII. wurden durch sein Zerwürfnis mit dem Dauphin Ludwig verbittert, welcher von den elenden
Günstlingen, mit denen Karl sich zuletzt wieder umgeben hatte, derart angefeindet wurde, daß er zu Philipp dem Guten von Burgund
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entfloh. Dieser, der Herzog von der Bretagne und der Graf von Provence, alles Kapetinger, waren die einzigen großen Vasallen, die
noch ihre Unabhängigkeit der Krone gegenüber behaupteten.
Begründung einer starken Königsmacht. Nachdem Karl VII. 22. Juli 1461 gestorben war, kehrte Ludwig XI. (1461-83) aus
Burgund zurück. Seine Absicht war, die aus dem königlichen Hause selbst hervorgegangene hohe Aristokratie zu vernichten und
unumschränkt zu herrschen. Um seine Pläne ungestört durchzuführen, wählte er seine Werkzeuge aus den nicht nur durch Geburt,
sondern auch moralisch niedrig stehenden Menschen. Die Heftigkeit seiner Herrschgier verleitete ihn oft zu Fehlern; aber er verstand
es, die schon abgerissenen Fäden mit unvergleichlicher Geschicklichkeit immer wieder anzuknüpfen und um so behutsamer weiter zu
spinnen. Im Anfang seiner Regierung wußte er sich vom König von Aragonien die Pyrenäengrafschaften Cerdagne und Roussillon,
von Burgund durch Rückkauf die Picardie zu verschaffen.
Indem er aber seine Feindschaft gegen alle Prinzen von Geblüt zu offen aussprach und die Rechte des Adels vielfach
verminderte, brachte er sie alle wider sich auf. Des Königs eigner Bruder, der Herzog von Berri, trat an die Spitze der unzufriedenen
Großen, die sich zum »Bündnis des öffentlichen Wohls« (Ligne du Bien public) gegen den König vereinigten (1465). Nach der
unentschiedenen Schlacht bei Montlhéry mußte Ludwig im Frieden von St.-Maur alle Forderungen der Großen bewilligen und die
Erfolge 300jähriger Thätigkeit der französischen Könige gefährden.
Eine neue Demütigung erfuhr Ludwig 1468 in Péronne durch den stolzen Herzog Karl den Kühnen von Burgund. Bald aber
gelang es ihm, die bisherigen Verbündeten zu entzweien und ihnen mit Hilfe des gefügigen Parlaments den Gewinn zum großen Teil
wieder zu entreißen. Eine Empörung des mächtigen Grafen von Armagnac gab dem König 1473 Veranlassung, dessen weite Länder
im südlichen Frankreich für die Krone einzuziehen. Eine andre günstige Fügung war es, daß Karl der Kühne sein Augenmerk auf
Deutschland und die Schweizer richtete, welch letztere ihn zu wiederholten Malen und zuletzt bei Nancy besiegten, wo der Herzog
selbst fiel (5. Jan. 1477) mit Hinterlassung einer noch unvermählten Tochter, Maria. So stürzte für immer das stolze Gebäude der
burgundischen Macht zusammen, zum großen Nutzen für Ludwig XI., welcher, da Maria den Erzherzog Maximilian von Österreich
und nicht, wie Ludwig verlangt hatte, den Dauphin heiratete, sich sofort eines großen Teils der burgundischen Provinzen bemächtigte.
Er zwang schließlich Maximilian zu dem Frieden von Arras (1482), welcher das Herzogtum Burgund, die Freigrafschaft, Artois und
einige kleinere Herrschaften mit Frankreich vereinigte.
Indem es ihm endlich gelang, nach dem Tode des kinderlosen Königs René von Neapel und Provence diese letztere Provinz mit
den Nebenlandschaften Anjou und Maine für die Krone einzuziehen, hatte er für diese die wirklich natürlichen Grenzen Frankreichs:
die Alpen, den Jura und die Pyrenäen, überall erreicht. Im Innern waren durch Glück, List und Gewalt mit Ausnahme der Bretagne
alle großen Häuser Frankreichs vernichtet oder doch unterworfen. Des Königs Gerichtsbarkeit und Beamtenhierarchie erstreckten
sich über das ganze Reich, dem sie Ordnung und Sicherheit, die Vorbedingungen materieller und geistiger Blüte, verliehen. Ludwig
XI., der endgültige Begründer der großen französischen Monarchie, starb 30. Aug. 1483.
Während der zwei Jahrhunderte von der Thronbesteigung Philipps des Schönen bis zum Tod Ludwigs XI. hatte sich unter
mannigfachen Schwankungen das Königtum immer mehr dem Absolutismus genähert, welcher den demselben dienenden
Rechtsgelehrten nach römischem Vorbild als Ideal vorschwebte. Der französische Großadel hatte seine zeitweilige Überlegenheit
immer nur zu selbstsüchtigen Zwecken, nie, wie der englische, zu dauernder und gesetzlicher Beschränkung der königlichen Macht
zu gunsten der Unterthanen zu benutzen gewußt.
Auch die französische Kirche war auf allen Gebieten, die sich mit dem Staatsleben berührten, der Herrschaft des Königtums
unterworfen worden. Beschränkt wurde das letztere nur durch zwei Institutionen: den durch die Finanznot veranlaßten und immer
mehr sich ausdehnenden erblichen Verkauf der Richterstellen, welcher den Richterstand unabhängiger machte, und die von Philipp
IV. zum erstenmal einberufenen Generalstände (États-Généraux) des Reichs, Abgeordnete der Geistlichkeit, des Adels und der
Städte, deren Zusammentritt aber gänzlich vom Belieben des Königs abhing, und die zu wirklich bleibender Macht trotz wiederholter
Versuche nicht zu gelangen vermochten.
? In den gesamten Anschauungen des französischen Volkes war in diesen beiden Jahrhunderten ein völliger Umschwung vor
sich gegangen. Die Ideale des Mittelalters: Rittertum, kirchliche Frömmigkeit, unbedingte Verehrung des überlieferten, waren
erloschen, und noch war nichts festes und sicheres Neues an deren Stelle getreten. Nur die Gelehrsamkeit, von Italien angeregt, auf
die Antike gegründet, hatte im 15. Jahrh. auch in Frankreich glänzende Fortschritte gemacht; namentlich Karl V. war ein eifriger
Gönner der Wissenschaft gewesen. Ludwig XI. nahm dann eine Anzahl griechischer Gelehrten an
seinem Hof auf, welche auch in Frankreich den Anstoß zu jener gewaltigen humanistischen Bewegung gaben, die zur
Renaissance, zur Wiedergeburt der schönen Künste und wahrer Wissenschaftlichkeit, führte.
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Ludwigs einziger Sohn, Karl VIII. (1483-98), stand bei seiner Thronbesteigung erst in seinem 14. Jahr, fand aber an seiner ältern
Schwester, Anna von Beaujeu, eine treffliche Führerin. Die Opposition der übrigen Prinzen gegen ihre Herrschaft wußte sie
ebensowohl zu unterdrücken wie den Versuch der Generalstände von 1484, eine Art parlamentarischer Regierung durchzuführen.
Der Herzog Franz II. von der Bretagne wurde durch den trefflichen königlichen General La Trémoille bei St.-Aubin (1488) so
entscheidend geschlagen, daß damit die alte Unabhängigkeit dieses Landes ihr Ende erreichte.
Die Erbin Franz' II., die junge Herzogin Anna, die verlobte Braut des römischen Königs Maximilian, wurde 1491 dem jungen Karl
VIII. vermählt und so die Bretagne mit der Krone Frankreichs vereinigt. Damit war das letzte der großen Kronlehen der nationalen
Einheit zum Opfer gefallen. Nach diesem bedeutenden Erfolg faßte Karl VIII. den Entschluß, die Ansprüche des Hauses Anjou, die er
durch Besitznahme der Provence auf die Valois übergegangen meinte, auf Neapel und selbst Jerusalem mit Waffengewalt geltend zu
machen.
Deshalb erkaufte er den Frieden von England durch Entrichtung einer großen Geldsumme, von Spanien durch Rückgabe von
Roussillon und Cerdagne, von Maximilian durch Rückgabe von Artois und der Freigrafschaft im Vertrag zu Senlis (1493). Dann zog er
an der Spitze einer großen Arme ^[richtig: Armee] im Herbst 1494 nach Italien und nahm Anfang 1495 das Königreich Neapel den
Herrschern aus dem Haus Aragon ohne große Schwierigkeiten ab. Da indes Kaiser Maximilian, die Republik Venedig und Ferdinand
der Katholische von Spanien sich gegen ihn verbündeten, mußte er das eroberte Reich, wo die Franzosen sich gründlich verhaßt
gemacht hatten, ebenso schnell wieder räumen. Nur mit Mühe erkämpfte er bei Fornuovo (6. Juli 1495) gegen das Heer seiner
Feinde den freien Durchzug nach der Heimat. Indem er seinen Kummer über den Mißerfolg seines Unternehmens durch
Ausschweifungen zu betäuben suchte, starb er schon 7. April 1498, erst 27 Jahre alt.
Rivalität mit dem Haus Habsburg. Da mit Karl VIII. die direkte Linie der Valois ausstarb, folgte ihm aus der Seitenlinie
Valois-Orléans Ludwig XII. (1498-1515), Urenkel Karls V., ein wohlmeinender, besonnener, thätiger und gerechter Monarch, der
zumal die Lage der untern Klassen seines Volkes zu heben bedacht war, aber nur zu sehr unter dem Einfluß seiner Günstlinge stand.
Durch die Ordonnanz von Blois (März 1499) dehnte er die Freiheiten der französischen Nationalkirche aus und machte den ärgsten
Mißbräuchen in Verwaltung und Rechtspflege ein Ende.
Sein eigentliches Ziel war aber Italien, wo er, außer auf Neapel, auch auf Mailand (hier durch seine Großmutter Valentine
Visconti) Rechte besaß. Im Herbst 1499 nahm er zunächst Mailand ein, dessen Herzog Ludwig Moro er als Gefangenen nach
Frankreich sandte. Über Neapel hatte er sich mit Ferdinand von Aragonien verständigt, und beide Könige hatten beschlossen, das
Reich gemeinschaftlich zu erobern und zu teilen. Die Eroberung erfolgte 1501, aber schon 1503 wurden die Franzosen von den
Spaniern aus Neapel vertrieben. In Oberitalien gründete Papst Julius 1510 gegen Ludwig die Heilige Liga.
Zwar erfocht der französische Feldherr Gaston von Foix bei Ravenna über die Spanier einen glänzenden Sieg (1512); derselbe
blieb aber ohne Resultat, da auch England und der Kaiser sich der Heiligen Liga anschlossen. Dem ganzen Europa war Frankreich
nicht gewachsen. Vielmehr eroberte Ferdinand 1512 das mit Frankreich verbündete kleine Königreich Navarra, von dem nur der
vierte Teil, der nördlich von den Pyrenäen liegende, unabhängig blieb; Mailand aber wurde von den Schweizern durch die Schlacht
bei Novara (1513) den Franzosen abgenommen.
Die Engländer und Deutschen drangen in die Picardie ein und besiegten unter Kaiser Maximilians persönlicher Führung die
Franzosen bei Guinegate. Frankreichs Erschöpfung nötigte darauf Ludwig XII., mit dem Papst, England und Spanien Frieden zu
schließen (1514). Wenige Monate darauf starb er, 1. Jan. 1515, vom Volk auf das tiefste betrauert, für dessen Wohl er in der That
ununterbrochen gesetzgeberisch thätig geblieben war. In der auswärtigen Politik hatte er freilich mit allen seinen Anstrengungen
nichts erreicht.
Es folgte ihm aus der jüngern Linie der Orléans, Angoulême, Franz I. (1515-47), ausgerüstet mit den bestechendsten Gaben des
Körpers und des Geistes, aber zugleich voll Eitelkeit, zügelloser Genußsucht und despotischer Herrschbegier. Zunächst stand er
gänzlich unter der Leitung seiner klugen und ehrgeizigen Mutter Luise von Savoyen. Durch geschickte Verträge sicherte Franz sich
die Neutralität der wichtigern Staaten; dann brach er in das Mailändische ein, wo er den Schweizern bei Marignano (September 1515)
eine große Niederlage beibrachte und darauf das ganze Herzogtum in Besitz nahm. Um die eroberte Stellung in Italien nicht wieder
zu verlieren und das Haus Habsburg nicht zu einer Frankreich erdrückenden Macht gelangen zu lassen, bewarb sich Franz in der
Hoffnung, dadurch Karls V. Wahl zu vereiteln, 1519 um die deutsche Kaiserkrone. Er unterlag aber, und so begann 1521 zwischen
den beiden Nebenbuhlern um die Vorherrschaft in Europa, und Österreich-Spanien, ein 250jähriger Kampf, indem Karl V. von Franz
die Rückgabe von Burgund und Mailand forderte, dieser seine Ansprüche auf Neapel erneuerte.
Der erste Krieg (1521-26) verlief für Frankreich unglücklich. Der französische General Lautrec wurde im Mailändischen bei
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Bicocca geschlagen und zum Rückzug über die Alpen genötigt (1522). Der tüchtigste Feldherr Frankreichs, der Connetable von
Bourbon, wurde durch die Intrigen der Königin-Mutter bewogen, zu Karl V. überzutreten. Franz I. versuchte das schon verlorne
Mailand wiederzuerobern, indem er sich selbst an die Spitze einer Armee stellte, wurde aber bei Pavia 24. Febr. 1525 von dem
kaiserlichen General Prosper Colonna vollständig geschlagen und nach tapferm Kampf selbst gefangen genommen.
? Nach Madrid geführt, mußte er seine Freiheit durch den Frieden von Madrid erkaufen (1526), in welchem er dem Kaiser das
Herzogtum Burgund sowie die Souveränität Frankreichs über Flandern und Artois abtrat und auf alle Ansprüche auf Neapel und
Mailand verzichtete. Allein kaum war er wieder in Freiheit, als er die Herausgabe von Burgund verweigerte und mit dem über Karls
drohende Übermacht erschreckten Papst Clemens VII. und Heinrich VIII. von England ein Bündnis schloß. Karl, durch diese
Treulosigkeit auf das höchste gereizt, ließ zu, daß sein Heer unter Führung des Connetable von Bourbon, der dabei fiel, Rom
erstürmte und plünderte (1527). Eine französische Armee, die unter Lautrec in
Neapel eindrang, wurde durch Mangel, Krankheit und die Kaiserlichen völlig vernichtet (1528). So wurde Franz zu dem Frieden
von Cambrai (1529) genötigt, in welchem er die Abtretung Burgunds durch Zahlung von 2 Mill. Goldthaler rückgängig machte, im
übrigen die Festsetzungen des Vertrags von Madrid bestätigte und versprach, sich in deutsche und italienische Angelegenheiten
nicht weiter einzumischen. So war Italien verloren.
Inzwischen hatte Franz durch das Konkordat des Jahrs 1516 die Freiheit der gallikanischen Kirche vernichtet, indem er dieselbe
teils der päpstlichen, teils der königlichen Macht völlig unterordnete. Während er nach außen mit den Türken und den deutschen
Protestanten unbedenklich Bündnisse gegen den Kaiser einging, verfolgte er im Innern Frankreichs den auch dort kräftig sich
entwickelnden Protestantismus mit der äußersten Grausamkeit. Als Karl V. durch einen glänzenden Feldzug gegen die Seeräuber in
Tunis zum Besten der Christenheit sein Heer und seine Geldmittel erschöpft hatte, griff Franz I., der »allerchristlichste König«, im
Bund mit den Türken ihn von neuem (1536) an. Auch dieser Krieg führte nur zu wechselseitigen Verwüstungen, und so verstand
Franz I. sich unter päpstlicher Vermittelung zu dem Waffenstillstand von Nizza (1538), in welchem Frankreich seine Bundesgenossen
aufopferte, aber im einstweiligen Besitz der von ihm eroberten Landschaften Piemont und Savoyen blieb. Nach Karls V. unglücklicher
Expedition gegen Algier erklärte ihm Franz zum viertenmal den Krieg. Aber trotz anfänglicher Überlegenheit nahm der Kampf infolge
der politischen und strategischen Fehler Franz' I. bald eine üble Wendung, und eine verbündete kaiserlich-englische Armee rückte
gegen Paris. So sah Franz sich zu dem Frieden von Crépy (18. Sept. 1544) genötigt, in welchem er nicht nur die Verträge von Madrid
und Cambrai bestätigte, sondern auch versprach, dem Kaiser bei der Überwältigung der Türken und der Protestanten Hilfe zu leisten.
Als Franz I. 31. März 1547 starb, waren alle seine politischen Pläne gänzlich gescheitert, Italien endgültig verloren und die
französische Monarchie auf allen Seiten eingeengt von den zahlreichen Provinzen der habsburgischen Herrschaft, welche zur
Universalmonarchie berufen zu sein schien.
Franz' I. einziger überlebender Sohn, Heinrich II. (1547-59), erlangte durch den Vertrag von Friedewalde (1551) mit den
aufständischen Protestanten in Deutschland den Besitz der drei lothringischen Bistümer Metz, Toul und Verdun und behauptete ihn in
einem neuen Krieg mit Karl V., der Metz 1552 vergeblich belagerte. Indes der Fortgang des Kampfes entsprach keineswegs diesem
günstigen Anfang. 1557 drang eine spanische Armee unter dem Herzog Emanuel Philibert von Savoyen in das nördliche ein, schlug
den Connetable Montmorency, der selbst gefangen genommen wurde, bei St.-Quentin (August 1557) und eroberte diese wichtige
Stadt.
Zwar bemächtigte sich Franz von Guise im Kampf gegen die mit den Spaniern verbündeten Engländer der letzten Besitzung
derselben auf dem französischen Kontinent, Calais, sowie der spanisch-luxemburgischen Festung Diedenhofen (1558); aber im Feld
erfochten die Spanier unter dem Grafen Egmond einen neuen Sieg bei Gravelingen. Die Erschöpfung beider Staaten, Frankreichs
wie Spaniens, führte endlich 2. April 1559 den Frieden von Cateau-Cambrésis herbei, der Frankreich den Besitz von Metz, Toul,
Verdun und Calais bestätigte. Die durch den Frieden geschaffene Muße wollte Heinrich II. zu gänzlicher Ausrottung des immer
kräftiger sich entwickelnden Protestantismus in Frankreich benutzen; aber eine Wunde, die ihm im Turnier die Lanzenspitze des
Grafen Montgomery verursachte, führte 10. Juli 1559 seinen Tod herbei.
Religionskämpfe. Litteratur und Kunst hatten sich im 16. Jahrh. in Frankreich am originellsten, reichsten und volkstümlichsten
entfaltet. Unter dem Einfluß der ungeheuern Bewegung, erst auf dem Gebiet des Wissens, dann auf dem Gebiet des Glaubens, dort
der Renaissance, hier der Reformation, entwickelte der französische Geist sich mit einer Kraft, einer Vielseitigkeit und Genialität, die,
wenn auch noch vielfach durch Irrtümer und Fehler entstellt, nie wieder ihresgleichen in diesem Land hatten.
Das Interesse an Wissenschaft, Schrifttum und Kunst trat in den Vordergrund des öffentlichen wie des privaten Lebens. Der
französische Protestantismus hatte sich naturgemäß mit dem französisch redenden Genf in Verbindung gesetzt und deshalb die
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Calvinische, reformierte Richtung mit ihrer kühnen, demokratischen, kriegerischen Färbung angenommen. Die Verfolgungen hatten
ihn bedeutend gefördert; die hervorragendsten Führer der geistigen Bewegung, Künstler, Edelleute, selbst königliche Prinzen, waren
zum größten Teil offene oder heimliche Protestanten.
Indem aber das niedere Volk noch in seiner überwiegenden Masse am Katholizismus festhielt, war der Konflikt unvermeidlich.
Die Stellung des Königtums in demselben war schwierig, da die Träger der Krone ihrer Aufgabe nicht gewachsen waren und
zwischen den streitenden Parteien hin- und herschwankten. Vergeblich suchte eine Partei, die »Politiker« unter dem Kanzler
L'Hôpital, welche die Einheit und das Wohl des Vaterlandes über die religiösen Streitigkeiten stellte, Einfluß u. Macht zu erringen.
Schon die kurze Regierung von Heinrichs schwächlichem ältesten Sohn, Franz II. (1559-60), war erfüllt mit den Streitigkeiten der
französischen Reformierten (Hugenotten), an deren Spitze das prinzliche Haus Bourbon (herstammend von einem jüngern Sohn
Ludwigs des Heiligen) stand, und der eifrig katholischen Partei, die von der ehrgeizigen Familie Guise, einer Seitenlinie des
lothringischen Herzogshauses, geleitet wurde. Da Franz II. kinderlos starb, folgte ihm sein zehnjähriger Bruder Karl IX. (1560 bis
1574) unter der Vormundschaft seiner Mutter Katharina von Medicis, einer leidenschaftlichen, herrschsüchtigen, aber wankelmütigen
Frau.
Der Übermacht der Guisen gegenüber begünstigte sie zunächst die Protestanten, denen sie in dem sogen. Januaredikt von 1562
fast völlige Gleichberechtigung mit den Katholiken verlieh. Der hierüber auf das äußerste ergrimmte Franz von Guise führte, indem er
die protestantischen Bewohner des Städtchens Vassy überfallen und ermorden ließ (1. März 1562), den Ausbruch der religiösen
Bürgerkriege (Hugenottenkriege, s. d.) herbei. Nach kurzem Schwanken stellte der Hof sich auf die Seite der Katholiken; der Führer
der Protestanten, der mutige Prinz von Condé, ward in der Schlacht bei Dreux (19. Dez. 1562) geschlagen und gefangen genommen.
Da aber auch Franz von Guise bei der Belagerung von Orléans durch Meuchelmord fiel, so wurde der Streit einstweilen durch den
Frieden von Amboise (März 1563) beendet, freilich nur, um bei der immer entschiedenern Hinneigung der Königin-Mutter zu den
extremen Katholiken schon 1567 wieder auszubrechen. Die Schlacht bei St.-Denis blieb unentschieden; da aber der Pfalzgraf Johann
Kasimir dem Prinzen von
Fortsetzung Frankreich:→ Seite 6.548 || Condé 11,000 deutsche Protestanten zu Hilfe führte, mußte der Hof im Frieden von
Longjumeau
Quelle: Meyers Konversations-Lexikon, 1888; Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte
Auflage, 1885-1892;6. Band, Seite 535 im Internet seit 2005; Text geprüft am 18.4.2007; publiziert von Peter Hug; Abruf am
11.4.2017 mit URL:
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