Leseprobe

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Einleitung des deutschen Herausgebers
Andreas Maercker
Eine Fallgeschichte der anderen Art:
Der 48-jährige Psychotherapeut, um den es in dieser Fallgeschichte geht, beginnt mit einer 56-jährigen Patientin eine Depressionstherapie.
Der Therapeut hat sich erst ab seinem 40. Lebensjahr beruflich der Psychotherapie zugewandt, davor war er über ein Dutzend Jahre in der Grundlagenforschung tätig. Ab seinem 36. Lebensjahr absolvierte er zunächst eine tiefenpsychologisch-psychoanalytische Ausbildung, die vier Jahre dauerte. Seit seinem
Berufsbeginn als Therapeut in eigener Praxis interessierte er sich aktiv für andere Therapieschulen. Er nahm bei diversen Therapiewochen in Süddeutschland
an ganz verschiedenen Weiterbildungskursen teil, die ihm zum Teil brauchbare
Ansätze vermittelten, zum Teil aber auch eher unpraktikabel erschienen, weil sie
wenig mit seinen täglichen Erfahrungen mit Patienten zu tun hatten. Er entschied
sich dann für eine weitere komplette Therapieausbildung, diesmal eine klinischneuropsychologische Ausbildung, weil ihm diese am modernsten und „handfestesten“ erschien.
Depressive Patienten, wie seine derzeitige 56-jährige Patientin, behandelt er
seit einigen Jahren meist mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Methoden. Zusätzlich hat er in den letzten Jahren darauf geachtet, dass seine Patienten jeweils pharmakotherapeutisch behandelt wurden. Die neue Patientin war in ihrer
Anamnese bisher depressionsfrei, bis auf eine etwas unklare Episode in der späten Adoleszenz. Jetzt hat sie innerhalb des letzten halben Jahres schwere depressive Episoden (Major Depression), die zur Zeit weiter akut sind. Der Beginn
der depressiven Episoden stand im zeitlichen Zusammenhang mit beruflichen
und privaten Einschnitten.
Unser Therapeut medikamentiert sie mit einer mittleren Dosis eines SerotoninAntagonisten (SSRI) und überlegt, nach welchem psychotherapeutischen Vorgehen er sie behandeln wird. Aufgrund des starken Auslöse-Zusammenhangs
mit biografischen Einschnitten entscheidet er sich für die Interpersonelle Psychotherapie (IPT), die er vor mehreren Jahren in einem Workshop kennengelernt,
aber in der Zwischenzeit nie konsequent eingesetzt hatte. Die Anwendung der
IPT gelang bei dieser Patientin gut, so dass diese nach 18 Stunden die Therapie
weitgehend symptomfrei beenden konnte.
Der vorliegende Leitfaden ist die deutschsprachige Version des zweiten und neuesten
Therapiemanuals zur Interpersonellen Psychotherapie (IPT) von Weissman, Markowitz
und Klerman (2007 erschienen). Das erste IPT-Handbuch war 1984 in Amerika durch
die Originalautoren und 1996 in Deutschland durch Elisabeth Schramm veröffentlicht
worden. Aus diesem ersten Handbuch haben im deutschen Sprachraum zahlreiche Kol-
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leginnen und Kollegen die Depressionstherapie mittels Interpersoneller Psychotherapie
(IPT) gelernt und wenden diese an.
Der vorliegende IPT-Leitfaden fasst alle relevanten Punkte, die man als Therapeutin oder
Therapeut wissen muss, kurz und prägnant auf dem neuesten Stand zusammen. Dieser
kurze Leitfaden soll dazu dienen, neue Interessenten an diese bewährte und wirksame
Therapie heranzuführen. Die Einleitung möchte zuvor einige besondere Aspekte aufgreifen, die insbesondere auch bisher Außenstehenden der IPT-Methode den Zugang erleichtern möchte.
Warum IPT?
IPT ist ein Psychotherapieverfahren, das an der klinischen Erfahrung ansetzt, dass viele
Störungen entscheidend durch Umwelt- oder biografische Einflüsse geformt werden.
Ob ein Mensch depressiv wird, hängt ja bekanntermaßen in jeweils wechselndem Ausmaß von biologischen (meist genetischen), psychologischen (festgefahrenen Reaktionsmustern) sowie von sozialen Ursachen ab – so wie dies im biopsychosozialen Grundpostulat der Psychopathologie beschrieben wird. Wenn man die zwischenmenschlichen
Beziehungen als sozialen Faktor versteht, so setzt die IPT insbesondere also an dieser
Art der sozialen Ursachen an – und dieser Schwerpunkt unterscheidet die IPT von den
anderen klassischen Depressionstherapien.
Seit mehr als zwanzig Jahren gibt es als die „Klassiker“ der Depressionsbehandlung die
Pharmakotherapie, die Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und eben die Interpersonelle
Psychotherapie. Die IPT ist von den dreien die immer noch am seltensten eingesetzte
Methode. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Pharmakotherapie und KVT wurden seit
den 1950er- bzw. 1960er-Jahren entwickelt und sind damit älter als die IPT, die erst ab
ca. 1980 entwickelt wurde. Ein weiterer Grund liegt in der professionellen Verankerung
dieser Therapieformen: Nur die ärztlichen Kollegen können Pharmaka verschreiben und
setzen diese oft als einzige Therapie ein. Was die psychologischen Psychotherapeuten
betrifft, so ist deren Mehrheit traditionell durch ihre Ausbildung der Kognitiven Verhaltenstherapie verbunden. Dadurch hat es die IPT als ein ausgesprochen schulenunabhängiges Therapieverfahren besonders schwer im klinischen Alltag die angemessene Verbreitung zu finden.
In Tabelle E.1 werden schlaglichtartig ausgewählte Aspekte der drei Therapieformen
dargestellt und miteinander verglichen.
Ein Blick auf die Tabelle E.1 zeigt, dass die IPT durch einige Unterschiede im Vergleich
zu den beiden anderen Therapieansätzen gekennzeichnet ist. Hier sei nur noch einmal
zusammengefasst, dass sie sowohl durch Psychologen und Mediziner gut einsetzbar ist;
dass sie aufgrund ihrer mittleren Schwierigkeit leichter zu erlernen und anzuwenden ist;
und dass sie nicht vorgibt, ein in sich geschlossenes Therapiegebäude zu sein. Dies alles
sind Gründe, so meine ich, die für eine weitere Verbreitung der IPT sprechen sollten.
Ganz wichtig für den therapeutischen Einsatz sind natürlich die handfesten Nachweise,
ob und bei welchen Patienten die IPT therapeutisch hilft. In dieser Einleitung soll nicht
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Tabelle E.1: Die „Klassiker“ der störungsspezifischen Depressionstherapie
Psychopharmaka
Kognitive
Verhaltenstherapie (KVT)
Interpersonelle
Psychotherapie
(IPT)
Erstbeschreiber
(Jahr)
Roland Kuhn,
Irving Selikoff
(ab 1950)
Aaron Beck,
Albert Ellis
(ab 1960)
Gerald Klerman,
Myrna Weissman
(ab 1980)
Notwendige
Vorkenntnisse
zum Erlernen der
Therapiemethode
eingehende biologisch-physiologische (am besten
durch Medizinstudium erwerbbar)
eingehende
psychologische
(am besten durch
Psychologiestudium erwerbbar)
vertiefter Überblick über biopsychosoziale
Bedingungen
Komplexität der
Therapie
sehr hoch
(Dosierung,
Neben-, Wechselwirkungen)
sehr hoch (breites
Spektrum, verhaltensorientiertes
oder kognitives
Vorgehen)
mittel (3 Phasen
und 4 Themen
werden bearbeitet)
Anwendungsmöglichkeit
nur Medizinern
offen
Medizinern und
Psychologen offen
Medizinern und
Psychologen offen
Kombinierbarkeit/
kombinierte
Anwendung
möglich, wünschenswert (mit
KVT oder IPT)
möglich, wünschenswert (meist
mit Pharmaka)
möglich, wünschenswert (mit
Pharmaka, neuerdings auch mit
einzelnen KVTTechniken)
Nutzen/Wirksamkeitsstudien
Nachgewiesen
(es gibt NonResponder)
Nachgewiesen
(es gibt NonResponder)
Nachgewiesen
(es gibt NonResponder)
Potenzial zum
therapeutischen
„Alleinvertretungsanspruch“
Theoretisch: eher
nein;
Praktisch: eher ja
ja
nein
den späteren Kapiteln dieses Buches vorgegriffen werden, die ausführlich auf diese Wirksamkeitsnachweise eingehen werden. Hier sollen nur zwei bedeutende Studienergebnisse
kurz vorgestellt werden.
In der „Depression Collaborative Study“ des National Institut of Mental Health (Elkin
et al., 1989; Elkin, 1994; Gibbons et al., 2002) wurden Ende der 1980er-Jahre Patienten
entweder individuell mit IPT oder KVT bzw. mit Imipramin oder Plazebo behandelt.
Diese Studie war aus mehreren Gründen bahnbrechend: Sie war störungsspezifisch, eine
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Studie nach höchstem wissenschaftlichen Standards und sie ergab durch viele Nachuntersuchungen eine große Fülle an ausgewerteten Daten. Für die Akutbehandlung ergab sich nach 16 Wochen Therapie, dass Imipramin am besten und IPT nahezu ebenbürtig abschnitt. Außerdem wies IPT die niedrigste Rate von Therapieabbrüchen auf.
Allerdings erbrachte die 1,5-Jahres-Katamnese (Elkin, 1994), dass die Mehrheit der Patienten wieder Rückfälle erlitten hatte, wobei die IPT weiterhin bei denjenigen Patienten anhaltend gute Effekte hatte, die eine gute soziale Anpassung aufwiesen.
In Deutschland wurde an der Universitätsklinik Freiburg im Breisgau unter der Leitung
von Elisabeth Schramm die Frage untersucht, wie IPT mit kombinierter antidepressiver
Standardmedikation im Vergleich zu einer medikamentösen Standardtherapie mit begleitenden Arztgesprächen abschneidet. Bei stationär behandelten, schwerer depressiven
Patienten erwies sich die IPT hier (in einer auf das stationäre Setting zugeschnittenen
Variante) in Kombination mit antidepressiver Medikation sowohl akut als auch längerfristig deutlich überlegen (Schramm et al., 2007). Die Resultate dieser randomisierten
kontrollierten Studie zeigten, dass die Kombination aus (modifizierter) IPT und Pharmakotherapie in der akuten Behandlungsphase zu einer schnelleren und größeren Symptomreduktion führten. Auch ein Jahr nach der Klinikentlassung zeigten die Patienten
der Kombinationsbedingung weiterhin höhere Besserungs- und Rückfallvermeidungsraten. Als Responder wurden bei der IPT 71 % eingeschätzt, bei der Standardbehandlung
waren es dagegen nur 38 % der Patienten. Die Effekte waren besonders deutlich bei der
Untergruppe der chronischen, melancholischen und der schwer depressiven Patienten.
Mit dem letzten Ergebnis klingt bereits an, dass man Unterschiede feststellen kann, für
welche Patientengruppen die IPT – mit ihren jeweiligen Modifikationen – besonders
geeignet ist.
Für welche Patienten ist IPT gut geeignet
und für welche nicht?
Der Einsatz der IPT als alleinige Therapie (Monotherapie) empfiehlt sich bei Patienten
mit unipolaren schweren Depressionen (Major Depression) ganz allgemein – und im
Besonderen dann, wenn bei ihnen erkennbare psychosoziale Probleme oder berufliche
oder partnerschaftliche Schwierigkeiten vorliegen.
Alle Schweregrade dieser unipolaren Depressionen können dabei behandelt werden, die
leichteren, mittelschweren sowie die schweren. Bei therapieresistenten, suizidgefährdeten oder chronisch depressiven Patienten ist dagegen eher ein umfassendes und gegebenenfalls stationäres IPT-Behandlungsprogramm angezeigt bzw. zu empfehlen (Schramm
et al., 2007; de Jong-Meyer, Hautzinger, Kühner & Schramm, 2007), wobei immer auch
an eine Kombination mit einer Pharmakotherapie gedacht werden sollte.
Für Patienten mit einer Dysthymie-Diagnose (Vorliegen einer chronischen Form mit
weniger umfassender Depressionssymptomatik) wurde eine IPT-Variante entwickelt
(IPT-D, vgl. Kap. 16 dieses Leitfadens), da die ursprüngliche IPT-Form sich als nicht
ausreichend wirksam erwies. Dabei wird insbesondere auf die chronifizierte Hoffnungslosigkeit dieser Patienten eingegangen.
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Für Patienten mit biploarer manisch-depressiver Erkrankung gibt es inzwischen andere
Therapieformen, so dass die klassische IPT-Form hier in der Regel nicht indiziert ist.
Das gleiche gilt für schwere Depressionen mit ausgeprägten psychotischen Merkmalen
sowie die schizoaffektiven Psychosen.
Schwangerschafts- sowie postpartale Depressionen sowie eine Reihe weiterer depressiver Begleitzustände (z. B. in der Pubertät, bei chronischen körperlichen Erkrankungen)
können jeweils durch entsprechende IPT-Modifikationen, über die der vorliegende Leitfaden Auskunft gibt, wirksam behandelt werden.
Zurück zu den unipolaren oder schweren (Major) Depressionen: Komorbide Erkrankungen, wie alle Angststörungen und die meisten Persönlichkeitsstörungen, stellen keine
Kontraindikation dar. Einzige Ausnahmen sind die Borderline- und die antisozialen Persönlichkeitsstörungen, für die der IPT-Ansatz nicht weitreichend genug ist. Zu schwierig für einen alleinigen IPT-Einsatz wird es ebenfalls bei komorbiden Sucht- und Abhängigkeitsstörungen mit harten psychotropen Substanzen.
Die vielen klinischen Erfolge des IPT-Einsatzes haben das Originalautorenteam sowie
andere Klinikerteams dazu veranlasst, weitgehende IPT-Modifikationen für andere psychische Störungen zu entwickeln. In diesem Buch werden dazu ganz neu entwickelte IPTVersionen für Essstörungen, Angststörungen, Substanzmissbrauch und die BorderlinePersönlichkeitsstörung vorgestellt. Diese Entwicklungen versprechen insofern spannend
zu werden, da es bei diesen Erkrankungen mit den herkömmlichen Therapiemethoden
ja immer noch genügend Non-Responder gibt und neue IPT-Varianten diesen vielleicht
weiterhelfen können.
Allgemeines Vorgehen und Hinweise für Therapeuten aus
dem Bereich der Verhaltenstherapie und Psychoanalyse
Zur Frage des Vorgehens sollen in dieser Einleitung nur einige wenige Aussagen gemacht werden – denn genaue Darstellungen davon sind ja der Hauptinhalt des vorliegenden Buches. Hier nur einige Bemerkungen, die auf Ihre Vorkenntnisse als Leserinnen
und Leser mit depressiven Störungen und deren Therapie abzielen.
Das Vorgehen bei der IPT müsste Ihrer üblichen Vorgehensweise bei der Behandlung depressiver Patienten nahekommen, insbesondere wenn sie an einem medizinischen Krankheitsmodell orientiert sind, wie dem bereits oben genannten biopsychosozialen Modell
psychischer Störungen. Durch eine Diagnosestellung anhand der gängigen psychopathologischen Klassifikationsverzeichnisse wird den Patienten ihre Diagnose(n) mitgeteilt.
Im Rahmen der Informationsvermittlung und Psychoedukation über das/die jeweilige(n) Störungsbild(er) wird dem depressiven Patienten eine sog. Krankenrolle zugebilligt. Was das genau ist, wird in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben – hier
sei nur gesagt, dass diese Krankheitsrolle für die meist akut niedergeschlagenen und
energielosen Patienten ein wichtiges erstes therapeutisches Element ist, das die KVT in
dieser Form so nicht anwendet.
Was das weitere inhaltliche Vorgehen betrifft, legt die IPT dann den Schwerpunkt des
Verstehens und Behandelns der Störung auf das aktuelle Beziehungsnetz der Patien-
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Einleitung des deutschen Herausgebers
ten und nicht primär auf Gedanken, Emotionen und daraus resultierende Handlungsabläufe.
Wenn kognitive Verhaltenstherapeuten die IPT als eine weitere Therapieform erlernen wollen, werden sie in der Regel ihre Aktivitäten und Direktivität etwas einschränken müssen, auf Hausaufgaben und andere strukturierte Übungen verzichten und den
Schwerpunkt eher auf die interpersonelle, anstelle der kognitiven Prozesse legen.
Für Verhaltenstherapeuten, die IPT erlernen wollen, wäre es allerdings ein Fehler, die
im Leitfaden beschriebenen Aspekte in Kochbuch-Manier in rigider Weise nacheinander abzuarbeiten, ohne dass eine tragfähige Beziehung zum Patienten aufgebaut worden
wäre. Ein weiterer Fehler wäre es, die Abfolge der drei Phasen (Anfangs-, mittlere und
Endphase) nicht einzuhalten oder zu schnell mit der zweiten, mittleren Phase auf Kosten der Anfangsphase zu beginnen.
Psychoanalytisch-psychodynamisch arbeitende Therapeuten werden in der Regel aufgrund der kurzen Therapiedauer aktiver, strukturierter und supportiver vorgehen, von
Interpertationen der Übertragung und anderen Deutungen größtenteils absehen und den
Schwerpunkt auf gegenwärtige, statt auf vergangene Beziehungen verlagern müssen.
Manche psychoanalytisch ausgerichtete Kollegen tun sich schwer damit, sich ausführlich mit den depressiven Symptomen zu beschäftigen und die Patienten über die Erkrankung im Sinne einer Psychoedukation aufzuklären. Sie konzentrieren sich stattdessen ziemlich unmittelbar auf Beziehungsaspekte, und dies ist im Rahmen der IPT ein
Fehler.
Ein Wort zum Erlernen der IPT allgemein: Wie schon im Vorwort des ersten IPT-Handbuchs von 1996 festgestellt wurde, sollte der Lektüre dieses Leitfadens möglichst ein
praktisches Trainingsprogramm folgen – denn aus einem Buch allein ist diese Methode
naturgemäß nicht erlernbar.
Das Training in IPT, wie es seit Jahren von der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche
Psychotherapie (AWP; www.ipt.awp-depression.de) und Elisabeth Schramm angeboten
wird, bezieht sich im Wesentlichen darauf, die im Leitfaden beschriebenen Strategien
zu vermitteln. Dieses Training hat nicht zum Ziel, unerfahrene Kliniker zum Psychotherapeuten auszubilden oder therapeutische Grundkenntnisse zu lehren. Es wird vorausgesetzt, dass der Therapeut bereits weiß, wann Interventionen zeitlich angemessen
eingesetzt werden, wie mit Widerstand oder Übertragungsphänomenen umzugehen ist
und wie sich eine offene, explorative Gesprächsführung gestaltet.
Der zukünftige Stellenwert der IPT – ein Ausblick
Die differenzielle Therapieindikation, d. h. die passfähige Zuordnung eines speziellen
Therapieverfahrens zu einem konkreten Patienten mit seinen jeweiligen Störungen, sollte
in der Zukunft das professionelle therapeutische Handeln bestimmen. Bisher haben in
der Psychotherapiepraxis meist nur die folgenden zwei Prinzipien die Therapieindikation bestimmt: (1) das Diagnose-Prinzip, das sich nach der jeweiligen Störungsdiagnose
(z. B. Major Depression, Bulimie, Posttraumatische Belastungsstörung etc.) richtet sowie
(2) das Psychotherapieschul-Prinzip, d. h. die Anwendung des Verfahrens, z. B. Kogni-
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tive Verhaltenstherapie, Psychodynamische Therapie, Gestalttherapie, für das man sich
einmal entschieden hat. Ein kognitiver Verhaltenstherapeut kann dann noch bei einer
Major Depression entweder ein verhaltensorientiertes Vorgehen wählen (nach Lewinsohn oder Hautzinger) oder ein stärker kognitionsbezogenes (nach Beck oder Ellis),
meist so wie er es einmal gelernt hat.
Wenn man die letztgenannten beiden speziellen KVT-Verfahren schon nach der Eignung
für einen konkreten Patienten auswählt, dann ist diese Entscheidung, ob eher verhaltensorientiert oder eher kognitionsbezogen therapiert wird, schon ein drittes Indikationsprinzip, das man nach dem Psychotherapieforscher Klaus Grawe als Ressourcenorientierung bezeichnen kann (Grawe, 1995). Damit ist gemeint, dass Kognitive Therapie
nach Beck, die vor allem die Veränderung kognitiver Verzerrungen anstrebt, z. B. besser bei Patienten wirkt, die die Therapie schon mit geringeren kognitiven Verzerrungen
beginnen. Die psychoanalytisch-psychodynamische Therapie wirkt demnach besser bei
Patienten, die die Therapie bereits mit einer hohen psychologischen Reflektiertheit beginnen. Die IPT wirkt besser bei solchen Patienten, die schon vor der Therapie ein ausgeprägtes zwischenmenschliches Beziehungsnetz gehabt haben, in dem aber aus irgendeinem Grund Probleme entstanden sind.
Als weiterer plausibler Grund für eine differenzielle Therapieindikation soll das Biografiebezugs-Prinzip einer Störung eingebracht werden. Die Leitfrage ist hierbei: Gibt
es konkrete biografische Anlässe für eine Störung? Steht z. B. das Erreichen einer beruflichen Entwicklungsetappe paradoxerweise mit einer nachfolgenden depressiven
Erschöpfungsphase im Zusammenhang? Diese Art Zusammenhang, Erfolg – Erschöpfung, kennen viele nach bestandenen Prüfungen oder Abschlussarbeiten. Oder hat der
Wegzug des letzten erwachsen gewordenen Kindes einen zeitlich plausiblen Zusammenhang mit den Depressionen einer Mutter mittleren Alters?
Das Prinzip des Biografiebezugs ist bisher natürlich am besten aus der Traumafolgenund PTBS-Therapie bekannt. Hier sind per definitionem traumatische Erlebnisse die
Auslöser der Störung. Wir selbst haben allerdings in einer großen epidemiologischen
Studie auch zeigen können, dass in der Kindheit erlebte Traumata die wahrscheinlichen
Erstauslöser für rezidivierende depressive Störungen (Major Depression) sind (Maercker, Michael, Fehm, Becker & Margraf, 2004). Die genannten Beispiele sollen verdeutlichen, dass auch für die Depressionstherapie dieses Biografiebezugs-Prinzip plausibel ist. Die Entwicklungspsychologie der Lebensspanne bietet sich geradezu an, über
das Prinzip des Biografiebezugs für psychotherapeutische Entscheidungen wichtige evidenzbasierte Grundlagen zu liefern (Maercker, 2002).
Damit sind drei Prinzipien genannt, die wichtig sind, wenn es in der differenziellen Therapieindikation darum geht, ein spezielles Therapieverfahren bei einem ganz konkreten
Patienten einzusetzen:
– das Diagnose-Prinzip,
– das Ressourcenaktivierungs-Prinzip,
– das Biografiebezugs-Prinzip.
Was wäre demnach der differenzielle Stellenwert der Interpersonellen Psychotherapie?
Nach dem Diagnose-Prinzip ist die IPT bei verschiedenen depressiven Störungen unbe-
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dingt in Erwägung zu ziehen. Bei welchen weiteren Störungsdiagnosen IPT geeignet
ist, darüber gibt das vorliegende Buch Auskunft. Nach dem RessourcenaktivierungsPrinzip sind insbesondere solche Patienten geeignet, für die die zwischenmenschlichen
Beziehungen immer schon wichtig waren. Patienten, die in früheren Lebensphasen noch
keine gute soziale Anpassung hatten (wie z. B. Einzelgänger, Drogenabhängige) wären
demnach nicht so gut geeignet. Als letztes wäre dann zu überlegen, ob ein biografisches
Auslöseereignis stattgefunden hat und ob dies zu einem der vier IPT-Themen (Trauer,
zwischenmenschliche Konflikte, Rollenwechsel oder zwischenmenschliche Defizite)
passt. Wenn dies gegeben ist, dann sollte die IPT das Mittel der Wahl für die Psychotherapie sein.
Die eingangs geschilderte Fallgeschichte, in der es um einen Therapeuten geht, der sich
selbst im Interesse seiner Patienten weiter entwickeln will, hat von daher nicht ohne
Grund zum häufigeren Einsatz der IPT geführt.
Vorwort der amerikanischen Autoren
Myrna M. Weissman, John C. Markowitz & Gerald L. Klerman
Dieses Buch richtet sich an Ärzte und Psychotherapeuten, die eine evidenzbasierte Psychotherapiemethode erlernen wollen – die Interpersonelle Psychotherapie (IPT) –, die
aber die Zeit nicht aufbringen können, ein detailliertes Manual zu lesen oder einen Kurs
zu besuchen. Weiter wendet sich dieses Buch an Kliniker, die sich an Workshops oder
in der Supervision mit der IPT auseinandergesetzt haben und ein Nachschlagewerk für
ihre praktische Arbeit haben möchten.
IPT wurde ursprünglich zur Behandlung von Patienten mit schwerer Depression entwickelt. Zahlreiche klinische Untersuchungen belegen ihre Wirksamkeit in der Depressionsbehandlung. Weiter gibt es nun auch vermehrt Studien, die einen Effektivitätsnachweis für IPT-Adaptierungen für andere psychiatrische Störungsbilder bringen
konnten. IPT wurde in die offiziellen klinischen Behandlungsrichtlinien in den USA, in
Großbritannien und den Niederlanden aufgenommen. IPT-Manuale und publizierte Forschungsarbeiten existieren beispielsweise für die Behandlung von Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Patienten mit schwerer Depression, für schwangere Frauen und
Frauen mit Wochenbettdepression, für Patienten mit dysthymer Störung und bipolarer
Störung und für die Anwendung im Gruppensetting.
Diese Manuale sind sehr ausführlich und theoretisch, was sie womöglich für die schnelle
Anwendung in der Praxis untauglich macht. Viele Ärzte und Psychotherapeuten kennen
die IPT vom Hörensagen, wissen aber nicht genau was das ist und wie das funktioniert.
Evidenzbasierte Psychotherapiemethoden finden meist nur langsam Platz in den Ausbildungsprogrammen verschiedenster Professionen wie Psychiatrie, Psychologie, Sozialarbeit und anderen Gesundheitsberufen. Daher haben die wenigsten klinischen Praktiker eine formale Ausbildung in IPT. In den letzten zehn Jahren gab es vermehrt Angebote
dazu in postgradualen Workshops, Kursen oder durch neue ausführliche Therapiemanuale, wie das von Weissman, Markowitz und Klerman (1996).
In unserem Buch geben wir einen kurzen systematischen Überblick über IPT. Es erhebt
keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Unser Ziel war es, ein Manuskript zu gestalten,
das sie als Leitfaden für ihre praktische Arbeit verwenden können. Daher haben wir auf
Details wie theoretische oder empirische Einführungen verzichtet. Ausführliche Angaben dazu sind den jeweiligen Manualen zu entnehmen. Das vorliegende Buch ist praxisnah: Es beschreibt, wie die einzelnen Sitzungen mit dem Patienten gestaltet werden
können, wie man in der Behandlung Schwerpunkte setzt und wie man mit Schwierigkeiten umgeht, die im Behandlungssetting auftreten. Weiter führen wir klinische Fallbeispiele an und berichten von praktischen Erfahrungen.
Abschnitt I (Kapitel 1 bis 9) beschreibt im Detail die IPT-Anwendungen bei schwerer
Depression. Weiter werden sie in diesen Kapiteln mit den Grundlagen der IPT vertraut
gemacht. Wenn sie an speziellen IPT-Adaptierungen für affektive Störungen und spezielle Zielgruppen interessiert sind, verweisen wir hier auf Abschnitt II (Kapitel 10 bis
17) und für Interesse an Adaptierungen für nicht affektive Störungen auf Abschnitt III
16
Vorwort der amerikanischen Autoren
(Kapitel 18 bis 21). Abschnitt IV befasst sich mit speziellen Adaptierungen, die die
Struktur der IPT betreffen (Gruppen-, Paar- und Telefonsetting). Hinweise und praktische Fallbeispiele dazu finden sie auch in den vorangehenden Kapiteln. Abschnitt IV
gibt auch weiterführende Hinweise zur IPT-Ausbildung und zu Anlaufstellen.
Die einzelnen Kapitel sind relativ kurz gehalten, so dass Sie schnell zur interessierenden Information gelangen können. In jedem Kapitel, in dem eine IPT-Adaptierung für
ein bestimmtes Störungsbild beschrieben wird, wird kurz auf die Symptome der Störung, die spezifische Modifikation der IPT für diese Störung und die empirische Evidenz eingegangen. Wir haben es vermieden die einzelnen Studienergebnisse näher auszuführen. An dieser Stelle seien interessierte Leser auf die Homepage der International
Society für IPT verwiesen (http://www.interpersonalpsychotherapy.org/). Auf dieser
Webseite findet man eine Übersicht über aktuelle Forschungsarbeiten, die regelmäßig
aktualisiert wird. Wir empfehlen Personen, die sehr wenig Zeit haben, den kurzen Aufriss zur IPT zu lesen und anschließend direkt zu Kapitel 2 überzugehen, das sich mit
entscheidenden Schritten am Beginn der IPT befasst.
Natürlich sind diesem Buch auch Grenzen gesetzt. Es kann bestenfalls als Leitfaden für
bereits erfahrene klinische Praktiker dienen, die sich weiterbilden möchten. Dies ist ein
Buch für die Praxis und setzt daher voraus, dass Praktiker, die es verwenden, mit den
Grundlagen der Psychotherapie vertraut sind und Erfahrung mit dem jeweiligen Störungsbild oder der jeweiligen Altersgruppe, die sie zu behandeln beabsichtigen, haben.
Dieses Buch versteht sich als Ergänzung zum umfangreichen Manual – in englischer
Sprache – von Weissman et al. (2000). Es sei darauf hingewiesen, dass das Lesen dieses Manuals alleine nicht ausreichend ist. Eine Ausbildung in IPT in Form von Kursen
und Supervision bei einem Experten ist unerlässlich.
Dieses Buch füllt eine Lücke in der existierenden klinischen Fachliteratur. Es fokussiert
auf psychotherapeutische Interventionen auf der Mikro-, nicht auf der Makroebene und
richtet sich an eine Reihe von Personen, die im Gesundheitsbereich tätig sind: Psychiater, Psychologen, Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Berater in Schulen, ebenso an Menschen in Entwicklungsländern, wo es wenige Möglichkeiten zur Behandlung psychischer
Erkrankungen gibt.
Wir widmen dieses Buch dem verstorbenen Gerald L. Klerman, MD, einem begnadeten Wissenschaftler. Gemeinsam mit seiner Frau Myrna M. Weissman und Kollegen hat
er die IPT begründet. Leider konnte er als Erstautor des ursprünglichen Manuals dessen
Fertigstellung nicht mehr miterleben. Wir danken zahlreichen Kollegen, die über viele
Jahre hinweg durch ihre Studien zu den einzelnen IPT-Adaptierungen die Weiterentwicklung der IPT vorangetrieben haben. Ihre Arbeiten werden im Laufe des Buches
immer wieder zitiert. Wir danken auch Carlos Blanco, MD, PhD, für seine klaren Anregungen, die er uns zum ersten Entwurf dieses Buches gegeben hat; Herbert Schulberg,
PhD für das Fallbeispiel in Kapitel 14; Paula Ravitz, MD, für ihre Schilderungen der
IPT-Ausbildung in Äthiopien (Kapitel 22), und Heidi Fitterling für die Zusammenstellung des Bandes.
Abschließend weisen wir darauf hin, dass die Angaben zu Patienten aus den Fallbeispielen anonymisiert wurden.
Kurzüberblick über die IPT
IPT ist eine Behandlung für akute Depressionen, die sich in drei Phasen gliedert: Anfangsphase, mittlerer Abschnitt und Therapieabschluss. In jeder Phase, die jeweils einige
Sitzungen in Anspruch nimmt, werden mit dem Patienten bestimmte Aufgaben erarbeitet.
Es besteht die Möglichkeit, im Anschluss an die Behandlung der akuten Depressionen
eine zusätzliche vierte Phase anzuknüpfen. Dies kann in Form einer Langzeitbehandlung oder Erhaltungstherapie erfolgen, wofür Therapeut und Patient einen gesonderten
Behandlungsvertrag abschließen (siehe Kapitel 11). Tabelle 1.1 gibt einen Überblick
über die Phasen und Strategien der IPT, sowie über das Störungsbild der Major Depression. Nähere Ausführungen dazu sind den Kapiteln 1 bis 9 zu entnehmen. Die Ausführungen folgen einem bestimmten Leitfaden, der in den jeweiligen Kapiteln näher erläutert wird.
Genauere Informationen zu den Phasen
Anfangssitzungen
Im Laufe dieser Sitzungen versucht der Therapeut eine positive therapeutische Beziehung aufzubauen: aufmerksam Zuhören, evozieren von Gefühlen, durch Identifizierung
und Normalisierung von Emotionen empathisch auf den Patienten eingehen, Unterstützung anbieten, über das Störungsbild der Depression aufklären.
Diagnostik der Depression: Der erste Schritt in der Anfangsphase ist ein Überblick über
die Depressionen. Die Symptome, die der Patient zeigt, sowie deren Schweregrad, werden erhoben. Unter Zuhilfenahme des DSM-IV wird dem Patienten die Diagnose veranschaulicht. Um ihm das Ausmaß und die Art seiner Symptome verständlich zu machen,
werden Erhebungsverfahren, wie die Hamilton Depression Rating Scale (dt. Hamiltion
Depression Scale, HAMD) oder des Beck Depression Inventory (dt. Beck DepressionsInventar, BDI) eingesetzt. Im Zuge dessen wird die Bedeutung des erzielten Skalenwertes erklärt und darauf aufmerksam gemacht, dass ein solcher Fragebogen regelmäßig zur
Verlaufsdiagnostik vorgegeben werden wird.
Sie sollten das Syndrom beim Namen nennen:
„Sie leiden unter einer schweren Depression.“
Erklären Sie dem Patienten, dass es sich bei der Depression um eine Erkrankung handelt, für die es eine Reihe von Behandlungsmöglichkeiten gibt. Im Weiteren klärt der
Therapeut den Patienten darüber auf, dass Depression eine behandelbare Erkrankung ist
und dass den Patienten selbst keine Schuld an deren Entstehung trifft. Trotz des Symptoms der Hoffnungslosigkeit hat die Depression eine gute Prognose. Die Depressionsskalen werden regelmäßig zur Verlaufsdiagnostik vorgegeben, sodass Patient und Therapeut die Fortschritte erheben können.
IPT ist eine zeitlich begrenzte Therapiemethode. Sie fokussiert auf die wechselseitige
Beziehung von Gefühlen des Patienten und dessen zwischenmenschlichen Beziehungen.
1. Die Depression und
deren interpersonellen
Kontext diagnostizieren.
2. Rahmenbedingungen
und Struktur
der Behandlung festsetzen.
3. Eine erste
Linderung der
Depressionssymptome
herbeiführen.
Anfangssitzungen
Therapeutenrolle
1. Den Konflikt identifizieren.
2. Nach Alternativen
suchen und einen
Behandlungsplan entwickeln.
3. Erwartungen oder
fehlangepasste Kommunikationsmuster
verändern, um eine
zufriedenstellende
Lösung zu erzielen.
Verluste/
Trauer
Rollenkonflikte
– Symptome/Syndrome der Depression besprechen.
– Den Beginn der Symptomentwicklung in Bezug setzen zu dem
offenen oder verdeckten Konflikt, den der Patient mit der jeweiligen Bezugsperson hat.
– Stadium des Konfliktes bestimmen:
1. Verhandlungsstadium (Beruhigen der Beteiligten zum Zwecke
der Konfliktlösung),
2. Stadium der Sackgasse (Verstärkte Förderung von Disharmonie,
damit die Verhandlungen wieder aufgenommen werden können),
3. Auflösungsstadium (beim Trauerprozess unterstützen).
– Mit dem Patienten herausarbeiten, inwieweit unterschiedliche
Rollenerwartungen zum Konflikt beitragen:
• Worum geht es in diesem Konflikt?
• Welche unterschiedlichen Erwartungen und Wertvorstellungen
gibt es?
• Welche Veränderungsmöglichkeiten bestehen?
Strategien
– Symptome/Syndrome der Depression besprechen.
– Den Beginn der Symptomentwicklung in Bezug zum Tod der
Bezugsperson setzten.
– Die Beziehung des Patienten zu dem Verstorbenen rekonstruieren.
– Die Reihenfolge und unmittelbaren Konsequenzen der Ereignisse kurz vor, während und nach dem Tod beschreiben lassen.
– Damit assoziierte Gefühle explorieren (sowohl negative als auch
positive).
– Gefühle, die der Patient äußert, zulassen.
Ziele
1. Den Trauerprozess
fördern.
2. Dem Patienten dabei
helfen, Interessen und
Beziehungen wiederaufzubauen.
Mittlere Sitzungen
Der Therapeut ist der Fürsprecher des Patienten (d. h. ist nicht neutral).
Er ist in seiner Haltung aktiv, nicht passiv.
Die therapeutische Beziehung wird nicht als Übertragungsreaktion gedeutet.
Die therapeutische Beziehung ist keine Freundschaft.
Themen
–
–
–
–
Tabelle 1.1: Ein Überblicksschema über die IPT
1. Das kommende
Ende der Behandlung ausführlich
besprechen.
2. Berücksichtigen,
dass der Abschluss für den
Patienten eine
Zeit des Abschiednehmens
und der Trauer –
in diesem Sinne
einen Rollenwechsel – darstellt.
3. Beim Patienten
das Gefühl stärken, dass er genügend Kompetenzen für seine
Autonomie erworben hat.
Behandlungsende
18
Kurzüberblick über die IPT
1. Den Konflikt identifizieren.
2. Nach Alternativen
suchen und einen
Behandlungsplan entwickeln.
3. Erwartungen oder fehlangepasste Kommunikationsmuster verändern, um eine
zufriedenstellende
Lösung zu erzielen.
1. Den Konflikt identifizieren.
2. Nach Alternativen suchen und einen Behandlungsplan entwickeln.
3. Erwartungen oder
fehlangepasste Kommunikationsmuster
verändern, um eine zufriedenstellende Lösung
zu erzielen.
Rollenwechsel
Zwischenmenschliche
Defizite
– Symptome/Syndrome der Depression besprechen.
– Symptome der Depression in Bezug setzen zu der sozialen Isolation oder der Nichterfüllung sozialer Bedürfnisse.
– Positive und negative Aspekte früherer bedeutsamer Beziehungen abklären.
– Explorieren, ob es sich wiederholende Beziehungsmuster gibt.
– Positive und negative Gefühle des Patienten dem Therapeuten
gegenüber besprechen und ihn dazu ermuntern, nach Parallelen
in anderen Beziehungen zu suchen.
– Symptome/Syndrome der Depression besprechen.
– Symptome der Depression in Bezug setzen zu den Schwierigkeiten bei der Bewältigung der aktuellen Veränderungen im Leben
des Patienten.
– Positive und negative Aspekte alter und neuer Rollen herausarbeiten.
– Die Gefühle des Patienten bezüglich der Veränderung explorieren.
– Mögliche Chancen herausarbeiten, die die neue Rolle mit sich
bringen könnte.
– Dem Patienten helfen, das Ausmaß des Verlustes realistisch einzuschätzen.
– Den Patienten zu adäquaten Äußerungen von Gefühlen ermuntern.
– Den Patienten dabei unterstützen, ein soziales Netz sowie neue
Fertigkeiten, welche die jetzige Rolle erfordert, aufzubauen.
• Wie wahrscheinlich ist das Finden von Alternativen?
• Über welche Ressourcen verfügt der Patient um eine Veränderung der Beziehung herbeiführen zu können?
• Bestehen Parallelen zu anderen Beziehungen?
• Worin besteht der Gewinn, den der Patient aus seinem Verhalten zieht?
• Welche unausgesprochenen Erwartungen stehen hinter diesen
Verhaltensweisen?
• Wie wird der Konflikt aufrechterhalten?
4. Mit ausbleibendem Behandlungserfolg adäquat umgehen:
– Dem Patienten
die Schuld
nehmen, indem
man diese der
Behandlung
zuschreibt.
– Alternative
Behandlungsmethoden
anbieten.
5. Die Notwendigkeit
einer Langzeitbehandlung oder
Erhaltungstherapie erheben.
– Einen neuen
Behandlungsvertrag abschließen.
Kurzüberblick über die IPT
19
20
Kurzüberblick über die IPT
Die Sitzungen werden für einen bestimmten Zeitraum X abgehalten. IPT verspricht
einen positiven Verlauf der Erkrankung.
Teilen Sie dem Patienten die „Krankenrolle“ zu.
„Falls es Dinge geben sollte, die Sie nicht tun können, weil Sie sich depressiv fühlen, so ist das nicht Ihre Schuld: Sie sind krank.“
Der Patient trägt allerdings die Verantwortung in seiner Rolle als Patient an einer Besserung seines Zustandes zu arbeiten.
Beurteilen Sie, ob der Patient auch medikamentöse Behandlung benötigt.
Setzen Sie die depressive Symptomatik in Bezug zum interpersonellen Kontext des Patienten, indem Sie gemeinsam mit dem Patienten die zwischenmenschlichen Beziehungen analysieren. Dadurch wird die Wechselwirkung zwischen diesen Beziehungen und
den aktuell bestehenden depressiven Symptomen verdeutlicht. Bestimmen Sie zusammen mit dem Patient den „interpersonellen Status“:
– Art der Interaktion mit wichtigen Bezugspersonen,
– Erwartungen des Patienten und jene wichtiger Bezugspersonen (Differenzierung dieser Erwartungen voneinander und Klärung, ob diese erfüllt werden),
– befriedigende und unbefriedigende Beziehungsaspekte,
– wünschenswerte Veränderungen in den Beziehungen.
Im weiteren Schritt werden die zentralen Problemthemen: Trauer, Rollenkonflikte, Rollenwechsel, oder interpersonelle Defizite, erhoben:
– Identifizierung des mit der aktuellen depressiven Erkrankung in Verbindung stehenden Problembereiches und Zieldefinition.
– Identifizierung derjenigen Beziehungen oder Beziehungsaspekte, die mit der Depression in Zusammenhang stehen. Welche Veränderungen werden hierin angestrebt?
Erläutern Sie das Konzept der IPT sowie den Behandlungsvertrag. Weiterhin wird das
Krankheitsverständnis der IPT erklärt, das von einer Wechselwirkung von Erkrankung
und aktueller Lebenssituation ausgeht. Im Folgenden sei ein Beispiel für eine mögliche
Formulierung im therapeutischen Gespräch genannt:
„Sie leiden an einer Depression. Diese Erkrankung scheint mit dem, was aktuell in
Ihrem Leben passiert, in Verbindung zu stehen. Wir bezeichnen dies als (Trauer, Rollenkonflikt etc.). Ich schlage vor, wir verbringen die nächsten X Wochen damit, an
der Lösung dieser schwierigen Lebenskrise zu arbeiten. Wenn Sie dieses Problem
lösen können, wird voraussichtlich auch Ihre Depression abklingen. Macht dies in
Ihren Augen Sinn?“
Im weiteren Schritt werden die Behandlungsziele sowohl von Therapeut, als auch Patient bestätigt. Mit Hilfe dieser Zieldefinition wird bestimmt, welche Problembereiche
zunächst behandelt werden. Anschließend wird der Ablauf der Therapie ausführlich besprochen. Der Schwerpunkt in der Behandlung liegt auf aktuellen Themenbereichen.
Das Bedürfnis des Patienten wichtige Anliegen zu besprechen, wird berücksichtigt. Die
Kurzüberblick über die IPT
21
Analyse des zwischenmenschlichen Kontextes ist Gegenstand der Therapie. Ebenso werden organisatorische Details der Behandlung besprochen (Behandlungsdauer, Sitzungshäufigkeit, Termine, Gebühren, Vorgehensweise bei nicht eingehaltenen Terminen).
Mittlere Sitzungen: Die Problembereiche/Themen
Sobald der Patient den Vereinbarungen zugestimmt hat, beginnt die mittlere Behandlungsphase. In allen weiteren Sitzungen, außer den wenigen Treffen in der Abschlussphase, wird an einem der folgenden IPT Problembereiche gearbeitet: Trauer, Rollenkonflikte, Rollenwechsel oder zwischenmenschliche Defizite. In dieser Zeit sollten Sie
Folgendes beachten:
– Aufrechterhaltung einer unterstützenden therapeutischen Beziehung: Zuhören und
Empathie.
– Lenkung der Aufmerksamkeit auf diejenigen Punkte, die im Behandlungsvertrag festgelegt wurden.
– Angebot psychoedukativer Maßnahmen in Bezug auf die Depression. Die Symptome
des Patienten sollten berücksichtigt werden (Verminderung der Energie, Schuldgefühle etc.).
– Evozieren von Emotionen (diese können über einen längeren Zeitraum hinweg anhalten).
– Der Fokus in der IPT-Therapie liegt auf den zwischenmenschlichen Beziehungen
und darauf wie sich der Patient hierin verhält:
• Was fühlt der Patient?
• Was sagt der Patient?
• Angepasste Verhaltensweisen werden positiv verstärkt.
• Der Therapeut zeigt sich mitfühlend, wenn der Patient negative Erfahrungen macht
und sucht nach Alternativen.
• Die Stimmung des Patienten wird mit dem interpersonellen Kontext in Bezug gesetzt.
– Im Rollenspiel können Verhaltensweisen, die im interpersonellen Kontext relevant
sind, erprobt werden.
– Am Ende jeder Sitzung wird das Erarbeitete zusammengefasst.
– In regelmäßigen Abständen wird eine Verlaufsdiagnostik durchgeführt (beispielsweise alle 3 bis 4 Wochen), um den Schweregrad der Symptome zu erheben.
Abschlussphase
Die dritte Phase der IPT ist die Abschlussphase. In diesen Sitzungen wird die Entwicklung in den vorangegangenen Sitzungen reflektiert. Besprechen Sie mit dem Patienten, welche Schritte erreicht wurden und welche noch einmal überdacht werden
müssen. Der nahende Therapieabschluss sollte bereits einige Wochen vor dem tatsächlichen Ende zum Thema gemacht werden. Zeigt der Patient weiterhin Symptome, so
soll eine alternative Behandlungsmethode in Erwägung gezogen werden. Folgende
Möglichkeiten stehen zur Verfügung: IPT-Langzeitbehandlung, zusätzliche Gabe von
Medikamenten, Änderung der Medikation, oder eine andere psychotherapeutische Methode.
1
Was versteht man unter IPT?
1.1
Übersicht
Interpersonelle Psychotherapie (IPT) ist eine zeitlich begrenzte Psychotherapiemethode
mit konkreten Anleitungen für die Praktiker. Sie wurde über einen Zeitraum von 30 Jahren hinweg zunächst zur Behandlung von depressiven Patienten eingesetzt. Später wurde
das Konzept der IPT auch für andere Störungsbilder adaptiert. Es wurde als Leitfaden für
erfahrene Praktiker aus der Psychiatrie und Psychologie konzipiert, kann im klinischen
Umfeld aber ebenso gut weniger versierten Personen gelehrt werden. IPT wird mit oder
auch ohne zusätzlicher Vergabe von Medikamenten angewandt (siehe Klerman, Weissman, Rounsaville & Chevron, 1984; Weissman, Markowitz & Klerman, 2000)1. Einen
kurzen geschichtlichen Überblick über IPT gibt Weissman (2006). Die Methode der IPT
berücksichtigt auch mögliche Komorbidiäten. Das Therapiekonzept kann für Patienten
verschiedener Altersgruppen sowie bei vielen verschiedenen Störungsbildern angewandt
werden. Die Adaptierungen für andere Altersgruppen sowie für andere Störungsbilder
(nicht affektive Störungen) werden nachfolgend in den Kapiteln 2 und 3 beschrieben.
Grundannahme: Depression tritt üblicherweise im Kontext eines sozialen oder interpersonellen Ereignisses auf. Häufig beobachtet werden folgende Problembereiche:
– Zerbrechen einer Ehe,
– Konflikt, der eine wichtige Beziehung gefährdet,
– Rückzug oder Affäre eines Ehepartners,
– Verlust oder Gefährdung des Arbeit,
– Umzug in eine neue Umgebung,
– Tod eines geliebten Menschen,
– Beförderung oder Degradierung,
– Eintritt in den Ruhestand,
– Nachricht über eine Erkrankung.
Das Verständnis der sozialen und interpersonellen Kontextbedingungen bei der Entstehung einer Depression kann Aufschluss über die Ursachen der Symptome geben. Dies
kann der erste Schritt sein, einem Patienten zu helfen, die Depression als eine Krankheit zu verstehen und neue Bewältigungsstrategien im Umgang mit interpersonellen
Problemen zu erwerben. Durch die Entwicklung neuer sozialer Kompetenzen kann die
aktuelle depressive Episode behandelt sowie die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten
künftiger Episoden verringert werden.
Die interpersonelle Psychotherapie vereint Elemente verschiedener Therapierichtungen, die üblicherweise in der ambulanten psychotherapeutischen Depressionsbehandlung zum Einsatz kommen. Wir erachteten es als sinnvoll, die Methoden der IPT sehr
detailliert zu beschreiben, damit sie von Therapeuten effizient angewandt werden können. Auch Patienten erhalten auf diese Weise einen besseren Einblick in die weiteren
Behandlungsschritte. Die Wirksamkeit der IPT für depressive Patienten wurde in zahl1 dt.: Schramm, E. (1996). Interpersonelle Psychotherapie bei Depressionen und anderen psychischen Störungen. Stuttgart: Schattauer.
26
Kapitel 1
reichen klinischen Vergleichsstudien untersucht. Als Kontrollbedingungen wurden die
Gabe von Psychopharmaka, der Einsatz von Placebos oder anderer psychotherapeutischer Kurztherapien sowie keine psychotherapeutischen Behandlungen gewählt. Darüber hinaus wurden Kombinationsstudien bei gleichzeitiger Gabe von Medikamenten
durchgeführt.
IPT ist eine der psychotherapeutischen Interventionen, die in den „Guidlines der American Psychiatric Association“ und in den „Guidelines for Primary Care Physicans“
(siehe http://www.psych.org/psych_pract/treatg/pg/prac_guide.cfm für Details) bei Depressionsbehandlung empfohlen werden2.
Die „eklektische“ Philosophie der IPT: Man kennt heute viele adäquate depressionsspezifische Behandlungsmethoden. Es existieren eine große Anzahl wirksamer Medikamente, sowie etliche psychotherapeutische Interventionskonzepte, die oftmals auch
kombiniert eingesetzt werden. Im Interesse des Patienten, ist es von Vorteil, eine breite
Auswahl an effektiven Behandlungsmethoden zur Verfügung zu haben. Allerdings ist
eine klinische Wirksamkeitsüberprüfung dieser Interventionen unabdingbar.
IPT kann in bestimmten Lebenssituationen eine gute Alternative zur medikamentösen
Behandlung darstellen (beispielsweise in der Schwangerschaft oder Stillperiode; bei
älteren Menschen, bei Patienten mit bereits hoher Medikation oder bei Personen, die
Schwierigkeiten mit Nebenwirkungen haben; bei depressiven Patienten, denen eine Operation bevorsteht; und bei Patienten die eine medikamentöse Intervention ablehnen).
Psychotherapie ist bei kritischen Lebensereignissen und Entscheidungsfindungen induziert. Beispiele dafür wären Beziehungskrisen oder unsichere Arbeitsituationen. Dies
soll in keiner Weise die Wichtigkeit des Einsatzes von Antidepressiva als Behandlungsmethode schmälern. Medikamentöse Behandlung kann im Besonderen bei Patienten induziert sein, die einer raschen Symptomlinderung bedürfen oder eine schwerwiegende
Symptomatik aufweisen, weiterhin bei wahnhafter Depression, bei Patienten, die nicht
auf Psychotherapie ansprechen, oder die es ablehnen mit einem Therapeuten über persönliche Probleme zu sprechen. Diese eklektische Sicht ist Teil der Philosophie der IPT.
1.2
Das Depressionskonzept der IPT
IPT geht von der Vorstellung eines multifaktoriellen Entstehungsmodells depressiver
Symptome aus, das genetische und umweltbedingte Faktoren berücksichtigt. Die Symptome der Depression stehen für gewöhnlich mit der aktuellen Lebenssituation des Patienten in Verbindung, üblicherweise mit ihm nahestehender Personen. Für den Patienten ist es wichtig, diese persönlichen Probleme zu identifizieren und mit ihnen umgehen
zu lernen, sowie deren Zusammenhang mit der Entstehung der Symptomatik zu verstehen.
2 Auch in der „Evidenzbasierten Leitlinie zur Psychotherapie Affektiver Störungen“ (de JongMeyer et al., 2007), die im Auftrag der Fachgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) erarbeitet wurde, wird die IPT empfohlen.
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