Flieg, Maikäfer, flieg... von Dr. Peter Herger, Buchrain Maikäfer flieg von heller oder dunkler, braun bis fast schwarz, wie sie Reinhard Mey in seinem Maikäfer-Lied besingt. Viel Im Mai 1999 müssten sie eigentlich wieder fliegen im auffallender als der Unterschied zwischen unseren bei­ Rontal, die Maikäfer, zur Freude aller Kinder. Viel­ den leicht sind es aber auch so wenige, dass wir sie kaum Männchen und Weibchen des Maikäfers: Die Fühler­ bemerken. Denn der Maikäfer, Urbild eines Käfers für fächer beim Männchen sind viel grösser, länger als der Maikäferarten ist der Unterschied zwischen die meisten von uns, ist in vielen Gebieten der Schweiz Kopf, beim Weibchen kaum halb so lang. Die Fühler sehr selten geworden, und bereits gibt es Kinder, die sind beim Maikäfer - wie bei allen Insekten - die noch nie einen Maikäfer in der Hand gehabt und ihm «Nasen». Sie tragen aber nicht nur Sinneszellen für beim Luftpumpen und anschliessenden schwerfälligen den Geruchssinn, sondern auch für den Tast- und Start in die Luft zugesehen haben. Werden wir Maikä­ Luftströmungssinn. fer bald nur noch in Schokoladeform in den Kondito­ reien finden? So bekannt der Maikäfer allgemein ist, so wenig wissen die meisten von uns über die Lebenswei­ se, Entwicklung und Verbreitung dieser Krabbeltiere. Waldmaikäfer (links) und Feldmaikäfer (rechts) von hinten gese­ hen. Der auffälligste Unterschied liegt in der Hinterleibsspitze Porträt eines Maikäfermännchens. Deutlich sichtbar sind die Vom Ei zum Käfer grossen Fühlerfächer Nach der Paarung graben sich die Maikäferweibchen Nicht alle Maikäfer sind gleich bevorzugt auf gemähten Wiesen und offenen Äckern etwa 10-25 cm tief in die Erde. Dort legen sie ihre Eier Wer weiss schon, dass es in der Schweiz zwei Maikä­ ab, im Mittel zwei Dutzend, im Maximum 42. Das ferarten gibt, den Feldmaikäfer (wiss. Bezeichnung dauert etwa 3-6 Tage. Etwa zwei Drittel der Weibchen Melolontha Waldmaikäfer sterben nach der ersten Eiablage, die andern paaren (Melolontha hippocastani)? Beide sind etwa 2-3 cm sich nochmals und legen nach zwei bis drei Wochen melolontha) und den gross und auf den ersten Blick kaum voneinander zu nochmals Eier. Nach etwa sechs Wochen, also etwa im unterscheiden. Beim Waldmaikäfer ist aber der Fort­ Juli, schlüpfen die jungen Engerlinge und machen sich satz am Hinterende meist deutlich knotenartig ver­ im Boden auf Nahrungssuche: Wurzeln von Gräsern, dickt, während diese Verdickung beim Feldmaikäfer Kräutern und holzigen Pflanzen wie Obstbäume und fehlt. Reben. Etwa im August/September wird ihnen die Der Feldmaikäfer kommt praktisch in allen tieferen Haut zu eng und sie häuten sich ein erstes Mal. Wenn Lagen der Schweiz bis auf eine Höhe von etwa 1000 m es Ende Oktober kälter wird, ziehen sie sich zur Über­ vor, so auch im Rontal. Mit ihm werden wir uns im winterung in tiefere Bodenschichten zurück. Sobald es folgenden beschäftigen. Der Waldmaikäfer ist bedeu­ im nächsten April wärmer wird, wandern die Enger­ tend seltener und bevorzugt eher höhere Lagen, ist linge aus der T iefe wieder in die Wurzel zone empor z. B. im Entlebuch anzutreffen, aber kaum im Rontal. und fressen. Im Juni erfolgt die Häutung zum dritten Innerhalb beider Arten gibt es teilweise beträchtliche und letzten Larvenstadium. Nach dieser Häutung sind Unterschiede in der Behaarung und in der Färbung die Engerlinge enorm gefrässig, daher treten Enger- 89 liliJ o lingsschäden meist ein Jahr nach einem Massenflug URNER BASLER E8l • FLUG FLUG BERNER FLUG 4-JÄHRIGE ENTWICKLUNG Berechnung Bezeichnung auf. Ab Ende Oktober wandern sie dann wieder in die 11110 Jahreszahl: 3, Rest 0 Berner Flug III/1 Jahreszahl: 3, Rest 1 Urner Flug 111/2 Jahreszahl: 3, Rest 2 Tiefe zur zweiten Überwinterung. Im Frühling des drit­ Basler Flug ten Jahres steigen die Engerlinge nochmals für eine kurze Zeit in die Wurzelzone auf, nach etwa zwei Monaten sind sie aber bereits ausgewachsen und gra­ ben sich wieder in die Tiefe, wo sie sich nach einiger Aus unserer Übersicht der Schweiz ist ersichtlich, Zeit verpuppen. Nach etwa fünf Wochen schlüpfen dass das Rontal zum Gebiet des Berner Fluges gehört. Ende August /Anfang September die Maikäfer, bleiben Teilt man die Jahreszahl 1999 durch 3, gibt das 666, aber noch in der Tiefe und schliessen gleich die dritte und es bleibt ein Rest von 1, also ist 1999 im Rontal Überwinterung an. Erst im Mai des vierten Jahres - ein Flugjahr. Wenn sich auch das Vorkommen des also drei Jahre nach der Elterngeneration - kommen Maikäfers heute noch weitgehend mit den Fluggebie­ die neuen Maikäfer aus dem Boden und fliegen zu den ten von 1949 (gernäss unserer Karte) deckt, so sind Frassbäumen, um Blätter zu fressen und Partner zu doch einige Veränderungen feststellbar. So sind eigent­ finden . Bevorzugte Frassbäume sind übrigens Eiche, liche Massenflüge nur noch in wenigen Gebieten fest­ Ahorn, Buche, Steinobstbäume, Nussbaum, Haselnuss stellbar. Das Gebiet des Berner Fluges hat sich ausge­ und Lärche, wobei junge, zarte Blätter von den Käfern dehnt, der Basler Flug ist nur noch in den Kantonen besonders geschätzt werden. Ob- und Nidwalden und im Rhonetal sehr ausgeprägt, im «Stammland» Baselbiet jedoch nur noch ganz lokal bei Pratteln. Vereinzelt treten übrigens Maikäfer auch in den «Zwischenjahren» im Verbreitungsgebiet auf, eine Überschneidung von Gebieten mit dreijährigen Flugzyklen wurde bisher jedoch nur ausnahmsweise und höchstens vorübergehend beobachtet. Für die räumliche Trennung der Fluggebiete bzw. Flugjahre hat die Wissenschaft bis heute keine plausible Erklärung. Maikäfer-Engerling Maikäferjahre in der Schweiz Da die Entwicklung des Maikäfers in einer Region synchron verläuft und drei Jahre dauert, erscheinen alle drei Jahre die Maikäfer in grösserer Zahl, wir bezeichnen solche Jahre als Flugjahre. Jedes Jahr ist in der Schweiz irgendwo ein Flugjahr, aber nicht alle Gebiete haben dasselbe Flugjahr. Der Naturforscher Oswald Heer hat 1841 die Schweizer Maikäferweibchen beim Reifungsfrass drei ver­ schiedenen Flugjahre nach Kantonen benannt, in Maikäferbekämpfung im Laufe der Zeit denen damals besonders starke Flüge auftraten: Basler Flug, Berner Flug und Urner Flug. Diese Bezeichnung Da die Engerlinge durch Wurzelfrass erhebliche Schä­ hat sich bei uns und teils sogar im benachbarten Aus­ den in landwirtschaftlichen Kulturen anrichten kön­ land eingebürgert. Für den internationalen Gebrauch nen, versuchte man mit verschiedenen Mitteln diese werden aber seit Schneider-Orelli (1949) neutralere Plage abzuwehren . Im Mittelalter ging man mit Pro­ Bezeichnungen mit römischen Ziffern (für die Zyklus­ zessionen und Exorzismen gegen die Engerlinge vor. dauer) und arabischen für die Berechnung verwendet; Als diese 1479 in Bern grosse Verwüstungen anrichte- 90 ten, beauftragte der Bischof von Lausanne den Leut­ Absterben bringt, die sehr ähnlichen Larven der Juni-, priester von Bern, die Engerlinge vor den Richter zu Gartenlaub- und Rosenkäfer aber verschont. Der Pilz zitieren und ihnen die Exkommunikation anzudrohen, wird z. B. auf Gerstenkörnern produziert, die dann in wenn sie nicht innert sechs Tagen weichen. Da sie den Boden eingehackt werden. weder der ersten noch weiterer Vorladungen Folge lei­ steten, wurden sie schliesslich exkommuniziert. Solche kirchliche Maikäfer- oder Engerlingsprozesse dauerten Maikäfers Verwandte meist so lange, bis sich die Plage ohnehin abschwäch­ te. Daher wurde ihre Wirksamkeit an manchen Orten Als «Junikäfer» werden bei uns verschiedene kleinere selbst im aufgeklärten 18. Jahrhundert noch nicht in Verwandte des Maikäfers bezeichnet, neben dem Frage gestellt. eigentlichen Junikäfer auch der Gartenlaubkäfer. All diese Käfer sind jedoch trotz ihrer Ähnlichkeit mit Maikäfern nicht etwa junge, noch nicht ausgewachse­ ne Maikäfer, sondern eigene Arten. Einmal geschlüpf­ te Käfer können ja mit ihrem Panzer nicht mehr wach­ sen, das Wachstum ist nur im Larvenstadium möglich. Rosenkäfer - diese wunderschönen, grünmetallisch glänzenden Käfer - sehen zwar ganz anders aus als Maikäfer, gehören aber trotzdem in die gleiche Familie der Blatthornkäfer (Scarabaeidae). Ihre Larven sind ebenfalls Engerlinge und den Maikäferengerlingen in Aussehen und Grösse sehr ähnlich. Im Gegensatz zu diesen sind sie aber sehr nützlich, weil sie sehr effizient Kompostmaterial abbauen. Engerlinge im Kompost­ haufen sind immer Rosenkäferlarven, man sollte sie Flieg, Maikäfer, flieg unbedingt leben lassen! Sie können höchstens schäd­ lich werden, wenn sie in sehr grosser Zahl in T öpfen Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Enger­ oder Blumenkisten auftreten. Dann sollte man sie her­ lingsbekämpfung auf wissenschaftliche Basis gestellt. auslesen und in den Komposthaufen setzen. Es gibt Durch das Sammeln von Käfern und Engerlingen soll­ übrigens einen einfachen Trick, um herauszufinden, ten die Populationen reduziert und dadurch die Schä­ ob ein Engerling vom Maikäfer oder Rosenkäfer den vermindert werden. In verschiedenen Kantonen stammt. Man legt ihn auf eine glatte Fläche und bestand bis um 1950 eine Sammelpflicht. Die Wirk­ schaut, wie er sich fortbewegt. Bewegt er sich nur seit­ samkeit dieser Methode wird übrigens heute stark lich fort, ist es ein Maikäferengerling, bewegt er sich angezweifelt. Beim Einsammeln der Käfer wird auch auf dem Rücken fort, ist es eine Rosenkäferlarve. unter günstigsten Bedingungen (keine hohen Bäume!) Bewegt er sich auf seinen sechs Beinen fort und ist kaum je ein Drittel der Tiere erwischt, und diese sind etwas kleiner, dann ist es die Larve des Junikäfers. erst noch überwiegend Männchen, weil diese sich ständig in den Frassbäumen aufhalten und in den ersten Flügen auch stark in der Überzahl sind. In den 50er Jahren wurde das Einsammeln der Maikäfer abgelöst durch die chemische Bekämpfung mit hoch­ wirksamen Insektiziden - mit allen heute bekannten unerwünschten Nebenwirkungen. Mit dem Gift schä­ digte man nämlich auch viele natürliche Feinde der Maikäfer sowie Bienen und andere Nützlinge. Heute werden bei uns Engerlinge vorwiegend auf biologische Art bekämpft mit Hilfe des Engerlingspilzes Beauveria brogniartii. Das ist ein Schimmelpilz, der ausschliess­ lich die Engerlinge des Maikäfers befällt und zum Maikäfermännchen beim Start 91