VG München, Beschluss v. 07.11.2016 – M 8 S 16.50734 Titel: Unzulässige Klage mit Eilantrag im Dublin-Verfahren wegen Fristversäumnis Normenketten: AsylG § 34a Abs. 2 ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3, § 180, § 181 Abs. 1 VwZG § 3 Abs. 2 S. 2 VwGO § 60 BGB § 187 Abs. 1 Leitsätze: 1 Unsubstantiierte Behauptungen hinsichtlich des Erhalts des angefochtenen Bescheides reichen nicht aus, um die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde zu erschüttern. Wiedereinsetzung kann nicht gewährt werden. (redaktioneller Leitsatz) 2 Ein Asylbewerber muss sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemühen, dessen Inhalt zu erkunden, sich zu orientieren und Rechtsrat zu suchen. Ein Fristversäumnis kann nicht mit mangelnden Sprachkenntnissen entschuldigt werden. (redaktioneller Leitsatz) Schlagworte: Dublin-Verfahren, Antragsfrist, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Zustellung durch Niederlegung Tenor I. Der Antrag wird abgelehnt. II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gründe I. Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die im Bescheid vom 17. August 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“. Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben Staatsangehöriger von Mali und wurde am ... Mai 1992 geboren. In der Akte des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) findet sich in ein vom Antragsteller ausgefüllter Fragebogen zur Bestimmung des für die Prüfung des Antrags zuständigen Mitgliedstaats (Erstbefragung) sowie ein Fragebogen zur Prüfung von Abschiebungshindernissen im Dublin-Verfahren (ergänzende Zweitbefragung). Eine EURODAC-Recherche ergab am 4. Februar 2016 einen Treffer der ersten Kategorie für Italien, EURODAC-Nr. IT1... vom 20. Oktober 2015 in ... Am 8. März 2016 wurde vom Bundesamt ein Wiederaufnahmegesuch an Italien gerichtet. Im Akt des Bundesamts findet sich neben dem Wiederaufnahmegesuch eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom 8. März 2016. Mit Schreiben vom 24. Mai 2016 teilte die Antragsgegnerin dem italienischen Innenministerium mit, dass eine Überstellung derzeit nicht möglich sei, da der Antragsteller flüchtig sei, so dass die Überstellung bis spätestens 29. September 2017 gem. Art. 29 Abs. 2 Dublin-VO erfolge. Im Akt des Bundesamts findet sich hierzu eine automatisch generierte Eingangsbestätigung Italiens vom 24. Mai 2016. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 17. August 2016 wurde der Antrag auf Asyl als unzulässig abgelehnt, festgestellt, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen, die Abschiebung nach Italien angeordnet und das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Im Übrigen wird auf die Begründung des angefochtenen Bescheids verwiesen. Der streitgegenständliche Bescheid wurde dem Antragsteller ausweislich der in den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde am 20. August 2016 zugestellt. Am 14. September 2016 hat der Antragsteller am Verwaltungsgericht München zur Niederschrift Klage gegen den Bescheid vom 17. August 2016 erhoben und beantragt diesen Bescheid auszuheben. In einem handschriftlichen Beiblatt führt der Antragsteller aus, „kein Eilantrag, nur Klage einreichen“. Zur Begründung werde auf die Ausführungen gegenüber der Antragsgegnerin Bezug genommen. Mit Schriftsatz 19. September 2016, am selben Tag per Fax beim Gericht eingegangen, zeigten die Bevollmächtigten des Antragstellers dessen Vertretung an und beantragten, die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen. Weiterhin werde beantragt, dem Antragsteller und Kläger wegen etwaiger Versäumung der Klage- bzw. Antragsfrist Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Dem Antragsteller sei der angefochtene Bescheid erst sehr spät seitens der Verwaltung der Gemeinschafsunterkunft ausgehändigt worden. Der Antragsteller sei der deutschen Sprache nicht mächtig und habe sich daher erst bezüglich eines Rechtsmittels kundig machen müssen. Er habe sofort nach Erhalt des Bescheids beim „Eine-WeltLaden“ vorgesprochen und auf dessen Empfehlung hin selbst Klage eingereicht. Das Bundesamt hat am 22. September 2016 die Asylakte vorgelegt. Eine weitergehende Äußerung oder Antragstellung erfolgte nicht. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die vorgelegte Behördenakte des Bundesamts Bezug genommen. II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid vom 17. August 2016 verfügte Anordnung der Abschiebung nach Italien hat keinen Erfolg. 1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist bereits unzulässig. a) Der Antragsteller hat die nach § 34a Abs. 2 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) vorgesehene Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe der Abschiebungsanordnung versäumt. Ausweislich der in der Akte befindlichen Postzustellungsurkunde hat der Zusteller, weil weder die Einlegung in einen Briefkasten (vgl. § 180 Zivilprozessordnung ZPO) noch die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftsunterkunft möglich war (vgl. § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO), die Sendung entsprechend § 3 Abs. 2 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) bei der Postfiliale niedergelegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich durch Einwurf in den „Gemeinschaftsbriefkasten“ (§ 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO). Gemäß § 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO gilt der Bescheid des Bundesamtes vom 17. August 2016 mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung am 20. August 2016 als zugestellt. Anhaltspunkte für Zustellmängel bestehen nicht und wurden vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht. Die Antragsfrist begann somit am Sonntag, 21. August 2016 zu laufen (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB) und endete am Montag, den 29. August 2016 um 24.00 Uhr (vgl. § 57 Abs. 2 VwGO, § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB, § 193 BGB). Damit ist die erst am 14. September 2016 vom Antragsteller zur Niederschrift erhobene Klage bereits verfristet und der von den Bevollmächtigten des Antragsteller nachgeschoben Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der bei Gericht am 19. September 2016 einging ebenfalls verfristet. Für die Fristberechnung war vorliegend auch nicht die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich. Nach dieser Vorschrift ist die Einlegung des Rechtsbehelfs innerhalb eines Jahres seit Zustellung zulässig, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall und wird vom Antragsteller auch nicht geltend gemacht (vgl. VG München, B.v. 27.7.2016 - M 12 S 16.50477- juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 9.7.2014 - 6a L 911/14.A - juris; OVG des Saarlandes, B.v. 15.1.2001- juris; BVerfG, B.v. 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91- juris). b) Dem Antragsteller kann auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 VwGO gewährt werden. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist nur dann erfolgreich, wenn der Betreffende glaubhaft machen kann, dass er ohne Verschulden daran gehindert war, den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtzeitig zu stellen. Ein Verschulden ist dabei immer dann anzunehmen, wenn dem Säumigen zum Vorwurf gemacht werden kann, dass er die Frist ungenutzt hat verstreichen lassen. Vorliegend ist davon auszugehen, dass den Antragsteller ein Verschulden an der Fristversäumnis trifft. Dem Vorbringen des Antragsstellers ist nicht zu entnehmen, wann er den streitgegenständlichen Bescheid erhalten hat. Die bloße Behauptung, dass der Antragsteller den Bescheid erst sehr spät seitens der Verwaltung der Gemeinschaftsunterkunft erhalten habe, ist durch keinen substantiierten Sachvortrag belegt oder glaubhaft gemacht. Der Antragsteller hat weder dargelegt, an welchem Tag und von wem er den Bescheid erhalten hat, welche Personen er gefragt hat noch in welcher Art und zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91 - juris Rn. 27). Vielmehr hat der Antragsteller im Widerspruch zu dem Vermerk in der Postzustellungsurkunde behauptet, dass ihm seitens der Verwaltung der Gemeinschaftsunterkunft nicht lediglich die Mitteilung über die Niederlegung, sondern bereits der Bescheid übergeben worden sei. Dieser widersprüchliche Sachvortrag reicht nicht, um die Beweiskraft der Postzustellungsurkunde - als nach § 3 Abs. 2 VwZG in Verbindung mit § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO und § 418 Abs. 1 ZPO öffentliche Urkunde zu erschüttern. Die Beweislast dafür, dass eine Fristversäumung nicht auf Verschulden beruht, trägt der säumige Beteiligte. Im Vorliegenden Fall sind die vorgebrachten Behauptungen des Antragstellers nicht nur unsubstantiiert, sondern darüber hinaus auch noch in sich widersprüchlich. Gelingt die Glaubhaftmachung nicht, darf Wiedereinsetzung nicht gewährt werden (vgl. Schoch/Schneider/Bier, Verwaltungsgerichtsordnung, 30. EL Februar 2016 Rn. 21 m. w. N.). Hinzu kommt, dass der Antragsteller die Klage gegen den angefochtenen Bescheid bereits am 14. September 2016 zur Niederschrift beim Verwaltungsgericht München erhoben hat und im Rahmen der Klageerhebung ausdrücklich erklärte „kein Eilantrag, nur Klage einreichen“. Nach der gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung verletzt jedoch auch ein Ausländer, die ihm nach § 60 Abs. 1 VwGO zuzumutende Sorgfalt, wenn er sich von dem Inhalt eines ihm zugegangenen amtlichen Schreibens nicht innerhalb angemessener Zeit Kenntnis verschafft und dadurch eine mit dem Zugang des Schreibens in Lauf gesetzte Rechtsmittelfrist versäumt (vgl. Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung 14. Auflage 2014, § 60 Rn. 10; Beck'scher Online-Kommentar VwGO, Posser/Wolff, 38. EL Stand: 01.07.2016, § 60 Rn. 10; BVerfG, B.v. 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91 - juris Rn. 24). Auch der Umstand, dass der Antragsteller nach Angaben seiner Bevollmächtigten der deutschen Sprache nicht mächtig ist, führt im vorliegenden Fall nicht zur Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Denn für den Fall, dass einem Ausländer ein Bescheid zugestellt wird, dessen Inhalt und Rechtsmittelbelehrung ihm unverständlich sind, werden von ihm im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten zumutbare Anstrengungen verlangt, sich innerhalb angemessener Frist Gewissheit über den genauen Inhalt des Schriftstücks zu verschaffen, wenn er die Bedeutung des Schreibens jedenfalls soweit erfassen kann, dass es sich um ein amtliches Schreiben handeln könnte, das eine ihn belastende Entscheidung enthält (zum Ganzen: BVerwG, B.v. 17.12.1993 - Az. 1 B 177/93 - juris; BayVGH, B.v. 16.8.2011 - Az. 13a ZB 10.30412 - juris; VG Düsseldorf, U.v. 11.4.2012 - Az. 22 K 6259/11.A - juris). Ist der gesamte Aufenthalt eines Asylbewerbers auf den Asylbescheid hin orientiert, ist es ihm zuzumuten, dass er sich bei Eingang eines erkennbar amtlichen Schreibens umgehend und intensiv darum bemüht, dessen Inhalt zu erkunden (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 2 BvR 1401/91 - juris Rn. 23). Anders als im Regelfall, in dem ein amtliches Schreiben den der deutschen Sprache unkundigen Adressaten im anderweitig bestimmten Lebensalltag erreicht, muss ein Asylbewerber damit rechnen, dass dieses gerade sein Verfahren betrifft und von großer Dringlichkeit ist. Er muss sich daher unverzüglich und mit allem ihm zumutbaren Nachdruck um eine rasche Aufklärung über den Inhalt eines ihm nicht verständlichen Schreibens zu bemühen (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91 - juris Rn. 24). Überdies hat er regelmäßig bereits durch seinen Aufenthalt Gelegenheit, sich zu orientieren und Rechtsrat zu suchen (vgl. BVerfGE 60, 253 <294>). Eine Versäumung der Frist, innerhalb derer der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen ist, kann dann nicht mehr mit mangelnden Sprachkenntnissen entschuldigt werden (vgl. BVerfG, B.v. 2.6.1992 - 2 BvR 1401/91 - juris Rn. 24). Es wäre dem Antragsteller vorliegend ohne Weiteres zumutbar gewesen, sich über den Inhalt des offenbar amtlichen Schriftstücks zu informieren, so dass von einer schuldhaften Fristversäumung auszugehen ist, die eine Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO ausschließt. Unter diesen Umständen bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass er nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beanspruchen kann. Der Antrag ist nach alledem bereits unzulässig und war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).