Einführung in die formale Demographie

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Einführung in die formale Demographie
R OLAND R AU
Universität Rostock, Wintersemester 2014/2015
08. Dezember 2014
c Roland Rau
Einführung in die formale Demographie
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Vergangene Vorlesung
Berechnung von
Charakteristische Gleichung der stabilen Bevölkerung
(in diskreter Notation)
Determinanten
Eigenwerten; dominanter Eigenwert = der dem Betrage
nach größte Eigenwert; ⇒ Langfristige Wachstumsrate
einer Bevölkerung
(rechten) Eigenvektoren; zum dominanten Eigenwert
gehörender rechter Eigenvektor ⇒ langfristig stabile
Altersstruktur, wenn alle Summe der Vektorelemente
gleich eins ist.
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung:
Unterscheidung von Matrizen
nicht-negativ
reduzierbar
nicht-reduzierbar
primitiv
c Roland Rau
imprimitiv
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Langfristige Entwicklung:
3 Theoreme:
Perron-Frobenius Theorem
das starke ergodische Theorem
(“strong ergodic theorem”)
das schwache ergodische Theorem
(“weak ergodic theorem”)
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung:
Perron-Frobenius Theorem
Das Perron-Frobenius Theorem beschreibt die
Eigenschaften von nicht-negativen Matrizen, d.h. in einer
Matrix A sind alle Elemente aij > 0.
Wir beschränken uns jedoch auf reduzierbare Matrizen,
d.h. auf Projektionsmatrizen mit post-reproduktiven
Altersstufen (typischerweise menschliche Bevölkerungen).
(Das Perron-Frobenius Theorem beschreibt auch die
Eigenschaften von nicht-reduzierbaren Matrizen, aber das
ist nicht unser Thema.)
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung:
Perron-Frobenius Theorem
Das Perron-Frobenius Theorem für reduzierbare Matrizen
besagt:
Es gibt einen reellen Eigenwert λ1 (mit den entsprechenden
rechten und linken Eigenvektoren† w1 > 0 und v1 > 0). Für
diesen Eigenwert gilt:
λ1 > |λi |,
fuer i > 1
(Siehe Caswell, 2001, S. 84)
†
Unser bisher kennengelernten Eigenvektoren sind rechte Eigenvektoren.
Zu den sogenannten linken Eigenvektoren kommen wir noch.
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung:
Perron-Frobenius Theorem
Beispiel (kein Beweis):
> A
[,1] [,2] [,3] [,4]
[1,] 0.0 0.9 0.5 0.0
[2,] 0.9 0.0 0.0 0.0
[3,] 0.0 0.8 0.0 0.0
[4,] 0.0 0.0 0.7 0.0
> eigen(A)$values
[1] 1.0706308+0.0000000i -0.5353154+0.2229075i
[3] -0.5353154-0.2229075i 0.0000000+0.0000000i
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme
Literatur:
Caswell (2001): Kapitel 4.5 (S. 79ff), Kapitel 13.4.1 (S. 369ff)
Cohen (1979)
Dinkel (1989): S. 127ff
Keyfitz and Caswell (2005): Kapitel 7.2 (S. 155ff)
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme
Das starke ergodische Theorem (strong ergodic theorem):
Für primitive Matrizen gilt:
n(t)
= c1 w1 ,
lim
t→∞ λt
1
wobei:
n(t) die (altersdifferenzierte, age-/state-specific) Bevölkerung zum
Zeitpunkt t,
λ1 der dominante Eigenwert,
w1 der zu λ1 gehörige (rechte) Eigenvektor ist.
c1 ist ein Skalar, der von der ursprünglichen Bevölkerung n0 abhängig
ist.
c Roland Rau
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Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme
Das starke ergodische Theorem (strong ergodic theorem):
Für primitive Matrizen gilt:
n(t)
lim
= c1 w1 ,
t→∞ λt
1
Weniger formal:
Für primitive Matrizen A gilt, dass die langfristige Entwicklung/Dynamik der
zu dieser Matrix A gehörenden Bevölkerung durch die
Bevölkerungswachstumsrate λ1 und die stabile Bevölkerungsstruktur
(gegeben durch w1 ) determiniert wird (Kurzbeweis: Caswell, 2001, S. 84ff).
D.h. dass langfristig die Wachstumsrate und die Altersstruktur einer
Bevölkerung von Ihrem Startzustand unabhängig ist (jedoch nicht die
absolute Bevölkerungsgrösse).
“Bevölkerungen vergessen Ihre Geschichte” (Dinkel, 1989, S. 128)
c Roland Rau
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http://demo07.wiwi.uni-rostock.de/apps/ErgodicityStrong/
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Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme
Das schwache ergodische Theorem (weak ergodic theorem):
Erfahren zwei Bevölkerungen mit unterschiedlicher (Ausgangs-)Altersstruktur
diesselbe Fertilität und Mortalität zu jedem Zeitpunkt, für beide
Bevölkerungen gilt also zum jeweiligen Zeitpunkt dieselbe Projektionsmatrix,
so werden die beiden Bevölkerungen langfristig dieselbe Altersstruktur
besitzen (sofern A primitiv ist).
“Altersstrukturen vergessen Ihre Geschichte” (Dinkel, 1989, S. 128)
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http://demo07.wiwi.uni-rostock.de/apps/ErgodicityWeak/
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik
Die charakteristische Gleichung
det(A − λI) = 0,
wobei A eine quadratische Matrix mit n Zeilen und n Spalten ist,
hat n Lösungen.
Wir haben dies im Falle einer 2 × 2 Matrix selbst berechnet.
Oder R hat es und wird es für uns berechnen.
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik
Bisher hatten wir nur den dominanten Eigenwert λ1 betrachtet (der ja nach
dem Perron-Frobenius-Theorem als reelle Zahl existieren muss).
Beispiel:
> round(usa66,4)
[,1]
[,2]
[,3]
[1,] 0.0000 0.0010 0.0852
[2,] 0.9967 0.0000 0.0000
[3,] 0.0000 0.9984 0.0000
[4,] 0.0000 0.0000 0.9978
[5,] 0.0000 0.0000 0.0000
[6,] 0.0000 0.0000 0.0000
[7,] 0.0000 0.0000 0.0000
[8,] 0.0000 0.0000 0.0000
[9,] 0.0000 0.0000 0.0000
[10,] 0.0000 0.0000 0.0000
>
> eigen(usa66)$values
[1] 1.0497530+0.0000000i
[4] -0.3938842+0.3657818i
[7] 0.0115489-0.5221369i
[10] -0.0851577+0.0000000i
>
[,4]
0.3057
0.0000
0.0000
0.0000
0.9967
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
[,5]
0.4000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.9961
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
[,6]
0.2806
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.9947
0.0000
0.0000
0.0000
[,7]
0.1526
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.9924
0.0000
0.0000
[,8]
0.0642
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.9887
0.0000
[,9]
0.0148
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.0000
0.9827
[,10]
9e-04
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0e+00
0.3111947+0.7442091i 0.3111947-0.7442091i
-0.3938842-0.3657818i 0.0115489+0.5221369i
-0.4111571+0.1204161i -0.4111571-0.1204161i
Doch was sind diese seltsamten Werte mit dem i ?!?
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Es handelt sich dabei um sogenannte komplexe Zahlen. Grob gesagt handelt
es sich dabei um eine weitere Erweiterung der Zahlenräume, wie Sie dies
schon in der Vergangenheit häufiger gemacht haben.
Generelle Frage: Welchen Wert hat x?
Problem
x = 17 + 4
x = 4 − 13
x=3−3
4x = 13
x2 = 2
x2 = −1
Lösung im Bereich der . . .
natürlichen Zahlen
negativen Zahlen
ganzen Zahlen
rationale Zahlen / Brüche
irrationale Zahlen
komplexe Zahlen
c Roland Rau
Lösung
x = 21
x = −9
x=0
13
x =√
4
x =√ 2
x = −1
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Aber gibt es solche Zahlen überhaupt?
Ja! Angeblich wollte Gerolamo (Geronimo)
Cardano (1501–1576) folgende Aufgabe
lösen:
Man nehme einen Stab mit einer Länge von
10 Einheiten. Dieser Stab soll nun in zwei
Teile a und b zerteilt werden, so dass das von
a und b gebildete Rechteck eine Fläche von
40 hat.
Quelle: Wikipedia
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Es muss also gelten:
a + b = 10; a · b = 40
⇒ b = 10 − a;
10a − a2 = 40;
a1,2 =
−b ±
oder :
⇒ a(10 − a) = 40
a2 − 10a + 40 = 0
√
√
√
√
b2 − 4ac
10 ± 102 − 4 · 1 · 40
10 ± 100 − 160
10 ± −60
=
=
=
2a
2·1
2
2
nun definieren wir: i =
10 ±
Einsetzen :
√
−1
⇒
p
√ √ p
√ p
√
4 · 15 · (−1)
4 15 (−1)
2 15 (−1)
10
=
±
=5±
= 5 ± 15i
2
2
2
2
a1,2 = 5 ± 3.872983i
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Es gibt zwei Darstellungsformen für komplexe Zahlen:
1 im sogenannten kartesischen Koordinatensystem:
a + bi,
wobei a der reale Teil ist und b der sogenannte imaginäre Teil ist.
4
i
0
1
2
3
x1
0
1
2
3
4
5
6
Real
−3
−2
−1
−1
−4
x2
x1,2 = 5 ±
√
15i = 5 ± 3.872983i
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Es gibt zwei Darstellungsformen für komplexe Zahlen:
2
in der sogenannten polaren Form: Ebenfalls zwei Komponenten: Entfernung
vom Nullpunkt und in welcher Richtung.
Entfernung: c =
Winkel φ:
√
a2 + b2
sin φ =
Gegenkathete
Hypotenuse
cos φ =
Ankathete
Hypotenuse
tan φ =
Gegenkathete
Ankathete
b
c
=
=
c
b
a
c
=
b
a
φ
a
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Und wozu benötigen wir dies?
Es erlaubt uns die kurzfristige Dynamik von Bevölkerungen zu beschreiben.
Z.B. die Periodenlänge der Schwankungen der Anteile der Altersstufen, die
wir bisher beobachtet haben.
“Period of Oscillation”:
2π
2π
Pi =
=
I(λi )
φi
tan−1 R(λ
i)
(Caswell (2001, S. 101), Keyfitz and Caswell (2005, S. 169))
c Roland Rau
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Beispiel
> round(usa66,4)
[,1]
[,2]
[,3]
[,4]
[,5]
[,6]
[,7]
[,8]
[,9] [,10]
[1,] 0.0000 0.0010 0.0852 0.3057 0.4000 0.2806 0.1526 0.0642 0.0148 9e-04
[2,] 0.9967 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[3,] 0.0000 0.9984 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[4,] 0.0000 0.0000 0.9978 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[5,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.9967 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[6,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9961 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[7,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9947 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00
[8,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9924 0.0000 0.0000 0e+00
[9,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9887 0.0000 0e+00
[10,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9827 0e+00
>
> eigen(usa66)$values
[1] 1.0497530+0.0000000i 0.3111947+0.7442091i 0.3111947-0.7442091i
[4] -0.3938842+0.3657818i -0.3938842-0.3657818i 0.0115489+0.5221369i
[7] 0.0115489-0.5221369i -0.4111571+0.1204161i -0.4111571-0.1204161i
[10] -0.0851577+0.0000000i
>
> eigen(usa66)$vectors[,1] / sum(eigen(usa66)$vectors[,1])
[1] 0.12519582+0i 0.11886860+0i 0.11305025+0i 0.10745531+0i 0.10202672+0i
[6] 0.09680920+0i 0.09173400+0i 0.08672214+0i 0.08167595+0i 0.07646200+0i
>
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
i
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
∗
|λi | =
λi
1.0498+0.0000i
0.3112+0.7442i
0.3112-0.7442i
-0.3939+0.3658i
-0.3939-0.3658i
0.0115+0.5221i
0.0115-0.5221i
-0.4112+0.1204i
-0.4112-0.1204i
-0.0852+0.0000i
w1
0.1252
0.1189
0.1131
0.1075
0.1020
0.0968
0.0917
0.0867
0.0817
0.0765
R(λi )
1.0498
0.3112
0.3112
0.3939
0.3939
0.0115
0.0115
0.4112
0.4112
0.0852
I(λi )
0.0000
0.7442
0.7442
0.3658
0.3658
0.5221
0.5221
0.1204
0.1204
0.0000
|λi |∗
1.0498
0.8067
0.8067
0.5375
0.5375
0.5223
0.5223
0.4284
0.4284
0.0852
I(λi )
R(λi )
0.0000
2.3915
2.3915
0.9287
0.9287
45.2109
45.2109
0.2929
0.2929
0.0000
Pi
—
5.3486
5.3486
8.3952
8.3952
4.0571
4.0571
22.0537
22.0537
—
p
R(λi )2 + I(λi )2
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(kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen
Der erwartete Werte von 0.1252 ist der langfristige Anteil der jüngsten Altersstufe an
der Gesamtbevölkerung (sprich das erste Element von w1 — siehe vorhergehende
0.125
0.120
Erwartet (langfristig)
Tatsächlich
P2=5.3486=26.743 Jahre
0.115
Anteil der Altersgruppe
0.130
Folie.)
0
5
10
15
20
25
30
Jahr (5er Schritte)
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Literatur
Caswell, H. (2001). Matrix Population Models. Construction, Analysis, and Interpretation. Second Edition.
Sunderland, MA: Sinauer.
Cohen, J. E. (1979). Ergodic Theorems in Demography. Bulletin of the American Mathematical Society (New
Series) 1(2), 275–295.
Dinkel, R. H. (1989). Demographie. Band 1: Bevölkerungsdynamik. München, D: Vahlen.
Keyfitz, N. and H. Caswell (2005). Applied Mathematical Demography. Third Edition. New York, NY: Springer.
c Roland Rau
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18057 Rostock
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Fax.: +49-381-498 4395
Email: [email protected]
Sprechstunde im WS 2014/2015: Mittwochs, 09:00–10:00
(und nach Vereinbarung)
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