Einführung in die formale Demographie R OLAND R AU Universität Rostock, Wintersemester 2014/2015 08. Dezember 2014 c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 1 / 27 Vergangene Vorlesung Berechnung von Charakteristische Gleichung der stabilen Bevölkerung (in diskreter Notation) Determinanten Eigenwerten; dominanter Eigenwert = der dem Betrage nach größte Eigenwert; ⇒ Langfristige Wachstumsrate einer Bevölkerung (rechten) Eigenvektoren; zum dominanten Eigenwert gehörender rechter Eigenvektor ⇒ langfristig stabile Altersstruktur, wenn alle Summe der Vektorelemente gleich eins ist. c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 2 / 27 Langfristige Entwicklung: Unterscheidung von Matrizen nicht-negativ reduzierbar nicht-reduzierbar primitiv c Roland Rau imprimitiv Einführung in die formale Demographie 3 / 27 Langfristige Entwicklung: 3 Theoreme: Perron-Frobenius Theorem das starke ergodische Theorem (“strong ergodic theorem”) das schwache ergodische Theorem (“weak ergodic theorem”) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 4 / 27 Langfristige Entwicklung: Perron-Frobenius Theorem Das Perron-Frobenius Theorem beschreibt die Eigenschaften von nicht-negativen Matrizen, d.h. in einer Matrix A sind alle Elemente aij > 0. Wir beschränken uns jedoch auf reduzierbare Matrizen, d.h. auf Projektionsmatrizen mit post-reproduktiven Altersstufen (typischerweise menschliche Bevölkerungen). (Das Perron-Frobenius Theorem beschreibt auch die Eigenschaften von nicht-reduzierbaren Matrizen, aber das ist nicht unser Thema.) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 5 / 27 Langfristige Entwicklung: Perron-Frobenius Theorem Das Perron-Frobenius Theorem für reduzierbare Matrizen besagt: Es gibt einen reellen Eigenwert λ1 (mit den entsprechenden rechten und linken Eigenvektoren† w1 > 0 und v1 > 0). Für diesen Eigenwert gilt: λ1 > |λi |, fuer i > 1 (Siehe Caswell, 2001, S. 84) † Unser bisher kennengelernten Eigenvektoren sind rechte Eigenvektoren. Zu den sogenannten linken Eigenvektoren kommen wir noch. c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 6 / 27 Langfristige Entwicklung: Perron-Frobenius Theorem Beispiel (kein Beweis): > A [,1] [,2] [,3] [,4] [1,] 0.0 0.9 0.5 0.0 [2,] 0.9 0.0 0.0 0.0 [3,] 0.0 0.8 0.0 0.0 [4,] 0.0 0.0 0.7 0.0 > eigen(A)$values [1] 1.0706308+0.0000000i -0.5353154+0.2229075i [3] -0.5353154-0.2229075i 0.0000000+0.0000000i c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 7 / 27 Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme Literatur: Caswell (2001): Kapitel 4.5 (S. 79ff), Kapitel 13.4.1 (S. 369ff) Cohen (1979) Dinkel (1989): S. 127ff Keyfitz and Caswell (2005): Kapitel 7.2 (S. 155ff) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 8 / 27 Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme Das starke ergodische Theorem (strong ergodic theorem): Für primitive Matrizen gilt: n(t) = c1 w1 , lim t→∞ λt 1 wobei: n(t) die (altersdifferenzierte, age-/state-specific) Bevölkerung zum Zeitpunkt t, λ1 der dominante Eigenwert, w1 der zu λ1 gehörige (rechte) Eigenvektor ist. c1 ist ein Skalar, der von der ursprünglichen Bevölkerung n0 abhängig ist. c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 9 / 27 Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme Das starke ergodische Theorem (strong ergodic theorem): Für primitive Matrizen gilt: n(t) lim = c1 w1 , t→∞ λt 1 Weniger formal: Für primitive Matrizen A gilt, dass die langfristige Entwicklung/Dynamik der zu dieser Matrix A gehörenden Bevölkerung durch die Bevölkerungswachstumsrate λ1 und die stabile Bevölkerungsstruktur (gegeben durch w1 ) determiniert wird (Kurzbeweis: Caswell, 2001, S. 84ff). D.h. dass langfristig die Wachstumsrate und die Altersstruktur einer Bevölkerung von Ihrem Startzustand unabhängig ist (jedoch nicht die absolute Bevölkerungsgrösse). “Bevölkerungen vergessen Ihre Geschichte” (Dinkel, 1989, S. 128) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 10 / 27 http://demo07.wiwi.uni-rostock.de/apps/ErgodicityStrong/ c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 11 / 27 Langfristige Entwicklung: Die ergodischen Theoreme Das schwache ergodische Theorem (weak ergodic theorem): Erfahren zwei Bevölkerungen mit unterschiedlicher (Ausgangs-)Altersstruktur diesselbe Fertilität und Mortalität zu jedem Zeitpunkt, für beide Bevölkerungen gilt also zum jeweiligen Zeitpunkt dieselbe Projektionsmatrix, so werden die beiden Bevölkerungen langfristig dieselbe Altersstruktur besitzen (sofern A primitiv ist). “Altersstrukturen vergessen Ihre Geschichte” (Dinkel, 1989, S. 128) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 12 / 27 http://demo07.wiwi.uni-rostock.de/apps/ErgodicityWeak/ c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 13 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik Die charakteristische Gleichung det(A − λI) = 0, wobei A eine quadratische Matrix mit n Zeilen und n Spalten ist, hat n Lösungen. Wir haben dies im Falle einer 2 × 2 Matrix selbst berechnet. Oder R hat es und wird es für uns berechnen. c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 14 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik Bisher hatten wir nur den dominanten Eigenwert λ1 betrachtet (der ja nach dem Perron-Frobenius-Theorem als reelle Zahl existieren muss). Beispiel: > round(usa66,4) [,1] [,2] [,3] [1,] 0.0000 0.0010 0.0852 [2,] 0.9967 0.0000 0.0000 [3,] 0.0000 0.9984 0.0000 [4,] 0.0000 0.0000 0.9978 [5,] 0.0000 0.0000 0.0000 [6,] 0.0000 0.0000 0.0000 [7,] 0.0000 0.0000 0.0000 [8,] 0.0000 0.0000 0.0000 [9,] 0.0000 0.0000 0.0000 [10,] 0.0000 0.0000 0.0000 > > eigen(usa66)$values [1] 1.0497530+0.0000000i [4] -0.3938842+0.3657818i [7] 0.0115489-0.5221369i [10] -0.0851577+0.0000000i > [,4] 0.3057 0.0000 0.0000 0.0000 0.9967 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 [,5] 0.4000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9961 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 [,6] 0.2806 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9947 0.0000 0.0000 0.0000 [,7] 0.1526 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9924 0.0000 0.0000 [,8] 0.0642 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9887 0.0000 [,9] 0.0148 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9827 [,10] 9e-04 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0e+00 0.3111947+0.7442091i 0.3111947-0.7442091i -0.3938842-0.3657818i 0.0115489+0.5221369i -0.4111571+0.1204161i -0.4111571-0.1204161i Doch was sind diese seltsamten Werte mit dem i ?!? c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 15 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Es handelt sich dabei um sogenannte komplexe Zahlen. Grob gesagt handelt es sich dabei um eine weitere Erweiterung der Zahlenräume, wie Sie dies schon in der Vergangenheit häufiger gemacht haben. Generelle Frage: Welchen Wert hat x? Problem x = 17 + 4 x = 4 − 13 x=3−3 4x = 13 x2 = 2 x2 = −1 Lösung im Bereich der . . . natürlichen Zahlen negativen Zahlen ganzen Zahlen rationale Zahlen / Brüche irrationale Zahlen komplexe Zahlen c Roland Rau Lösung x = 21 x = −9 x=0 13 x =√ 4 x =√ 2 x = −1 Einführung in die formale Demographie 16 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Aber gibt es solche Zahlen überhaupt? Ja! Angeblich wollte Gerolamo (Geronimo) Cardano (1501–1576) folgende Aufgabe lösen: Man nehme einen Stab mit einer Länge von 10 Einheiten. Dieser Stab soll nun in zwei Teile a und b zerteilt werden, so dass das von a und b gebildete Rechteck eine Fläche von 40 hat. Quelle: Wikipedia c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 17 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Es muss also gelten: a + b = 10; a · b = 40 ⇒ b = 10 − a; 10a − a2 = 40; a1,2 = −b ± oder : ⇒ a(10 − a) = 40 a2 − 10a + 40 = 0 √ √ √ √ b2 − 4ac 10 ± 102 − 4 · 1 · 40 10 ± 100 − 160 10 ± −60 = = = 2a 2·1 2 2 nun definieren wir: i = 10 ± Einsetzen : √ −1 ⇒ p √ √ p √ p √ 4 · 15 · (−1) 4 15 (−1) 2 15 (−1) 10 = ± =5± = 5 ± 15i 2 2 2 2 a1,2 = 5 ± 3.872983i c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 18 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Es gibt zwei Darstellungsformen für komplexe Zahlen: 1 im sogenannten kartesischen Koordinatensystem: a + bi, wobei a der reale Teil ist und b der sogenannte imaginäre Teil ist. 4 i 0 1 2 3 x1 0 1 2 3 4 5 6 Real −3 −2 −1 −1 −4 x2 x1,2 = 5 ± √ 15i = 5 ± 3.872983i c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 19 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Es gibt zwei Darstellungsformen für komplexe Zahlen: 2 in der sogenannten polaren Form: Ebenfalls zwei Komponenten: Entfernung vom Nullpunkt und in welcher Richtung. Entfernung: c = Winkel φ: √ a2 + b2 sin φ = Gegenkathete Hypotenuse cos φ = Ankathete Hypotenuse tan φ = Gegenkathete Ankathete b c = = c b a c = b a φ a c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 20 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Und wozu benötigen wir dies? Es erlaubt uns die kurzfristige Dynamik von Bevölkerungen zu beschreiben. Z.B. die Periodenlänge der Schwankungen der Anteile der Altersstufen, die wir bisher beobachtet haben. “Period of Oscillation”: 2π 2π Pi = = I(λi ) φi tan−1 R(λ i) (Caswell (2001, S. 101), Keyfitz and Caswell (2005, S. 169)) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 21 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Beispiel > round(usa66,4) [,1] [,2] [,3] [,4] [,5] [,6] [,7] [,8] [,9] [,10] [1,] 0.0000 0.0010 0.0852 0.3057 0.4000 0.2806 0.1526 0.0642 0.0148 9e-04 [2,] 0.9967 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [3,] 0.0000 0.9984 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [4,] 0.0000 0.0000 0.9978 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [5,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.9967 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [6,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9961 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [7,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9947 0.0000 0.0000 0.0000 0e+00 [8,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9924 0.0000 0.0000 0e+00 [9,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9887 0.0000 0e+00 [10,] 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.0000 0.9827 0e+00 > > eigen(usa66)$values [1] 1.0497530+0.0000000i 0.3111947+0.7442091i 0.3111947-0.7442091i [4] -0.3938842+0.3657818i -0.3938842-0.3657818i 0.0115489+0.5221369i [7] 0.0115489-0.5221369i -0.4111571+0.1204161i -0.4111571-0.1204161i [10] -0.0851577+0.0000000i > > eigen(usa66)$vectors[,1] / sum(eigen(usa66)$vectors[,1]) [1] 0.12519582+0i 0.11886860+0i 0.11305025+0i 0.10745531+0i 0.10202672+0i [6] 0.09680920+0i 0.09173400+0i 0.08672214+0i 0.08167595+0i 0.07646200+0i > c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 22 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen i 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 ∗ |λi | = λi 1.0498+0.0000i 0.3112+0.7442i 0.3112-0.7442i -0.3939+0.3658i -0.3939-0.3658i 0.0115+0.5221i 0.0115-0.5221i -0.4112+0.1204i -0.4112-0.1204i -0.0852+0.0000i w1 0.1252 0.1189 0.1131 0.1075 0.1020 0.0968 0.0917 0.0867 0.0817 0.0765 R(λi ) 1.0498 0.3112 0.3112 0.3939 0.3939 0.0115 0.0115 0.4112 0.4112 0.0852 I(λi ) 0.0000 0.7442 0.7442 0.3658 0.3658 0.5221 0.5221 0.1204 0.1204 0.0000 |λi |∗ 1.0498 0.8067 0.8067 0.5375 0.5375 0.5223 0.5223 0.4284 0.4284 0.0852 I(λi ) R(λi ) 0.0000 2.3915 2.3915 0.9287 0.9287 45.2109 45.2109 0.2929 0.2929 0.0000 Pi — 5.3486 5.3486 8.3952 8.3952 4.0571 4.0571 22.0537 22.0537 — p R(λi )2 + I(λi )2 c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 23 / 27 (kurzfristige) Übergangsdynamik — komplexe Zahlen Der erwartete Werte von 0.1252 ist der langfristige Anteil der jüngsten Altersstufe an der Gesamtbevölkerung (sprich das erste Element von w1 — siehe vorhergehende 0.125 0.120 Erwartet (langfristig) Tatsächlich P2=5.3486=26.743 Jahre 0.115 Anteil der Altersgruppe 0.130 Folie.) 0 5 10 15 20 25 30 Jahr (5er Schritte) c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 24 / 27 Literatur Caswell, H. (2001). Matrix Population Models. Construction, Analysis, and Interpretation. Second Edition. Sunderland, MA: Sinauer. Cohen, J. E. (1979). Ergodic Theorems in Demography. Bulletin of the American Mathematical Society (New Series) 1(2), 275–295. Dinkel, R. H. (1989). Demographie. Band 1: Bevölkerungsdynamik. München, D: Vahlen. Keyfitz, N. and H. Caswell (2005). Applied Mathematical Demography. Third Edition. New York, NY: Springer. c Roland Rau Einführung in die formale Demographie 25 / 27 Lizenz This open-access work is published under the terms of the Creative Commons Attribution NonCommercial License 2.0 Germany, which permits use, reproduction & distribution in any medium for non-commercial purposes, provided the original author(s) and source are given credit. 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