-1- Recht und Ökonomie I Vorlesung 8 Verbrechen und Strafe Rechtsdurchsetzung -2- Rechtsdurchsetzung betrifft die Frage, wodurch man einen (potenziellen) Schädiger davon abbringen kann, eine schädigende Handlung zu setzen Rechtsdurchsetzung betrifft ferner die Frage, wie man einem Geschädigten zu seinem Recht verhelfen kann. Die normative Seite der Rechtsdurchsetzung: wie viele Ressourcen in einer Volkswirtschaft sollen für die Verfolgung und Sanktionierung von Gesetzesbrechern aufgewendet werden. Frage nach den am besten geeigneten Instrumenten: Es kommen Geldbußen oder Haftstrafen oder aber eine Kombination aus beiden in Betracht. Was ist eine strafbare Handlung? Sorgfältig................fahrlässig…………..schuldhaft...................grausam -3- Das Problem der Prävention Ansatzpunkt: schadensgeneigte Handlungsweisen schadensbezogene Handlungsweisen? oder Angenommen, „Lustgewinn“ aus dem Werfen von Steinen im Gebirge sei 50 und die Strafe für die Handlungsweise sei 100, könne aber nur mit einer Wahrscheinlichkeit von p = 0,3 verhängt werden. Die abschreckende Wirkung ist 100 * 0,3 = 30, aber 30 ist kleiner als 50. Um den Lustgewinn von 50 zu neutralisieren, müsste das Strafmaß bei gleichbleibender Wahrscheinlichkeit seiner Verhängung 50 : 0,3 = 166,67 sein! -4- Es gilt aber auch zu bedenken, dass die schadensgeneigte Handlungsweise nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit z.B. h = 0,2 auch zu einem Schadensfall führt. Die abschreckende Wirkung ist dann 0,3 * 0,2 * 100 = 6. 6 << 50! Abschreckung erst ab 50 : 0,06 oder 833,33 (!) So ergibt sich das einsichtige Dilemma, dass Sanktionen gegen böses Tun besser greifen als vorbeugende Maßnahmen, weil dann mehr Information vorhanden ist. Anders ausgedrückt: Die eben beschriebenen Umstände sprechen eher für schadensbezogene Sanktionen, als für vorbeugende Abschreckungsmaßnahmen. -5- Optimale Abschreckung? Die sozialen Kosten (SC) der Abschreckung sind SC = (direkte Kosten d + indirekte Kosten i von Schäden und Leid durch Straftaten) mal Frequenz von Straftaten h in Abhängigkeit von Ausgaben für Abwehrmaßnahmen Z, also h(Z) + Z Schäden und Leid netto: d + i – Benefits b (!?) -6- Dann soll im gesellschaftlichen Interesse Z so gewählt werden, dass bh(Z) – (d + i)h(Z) – Z maximiert bzw. die sozialen Nettokosten minimiert werden, also: aus ∂h/∂Z, mit h´ als marginalem Rückgang der Straftaten bei zusätzlichen Z von 1€ folgt 1 = -(d + i – b)h´, d.h. 1€ ist gleich dem Fall der Rate der Verbrechen multipliziert mit dem Nettoschaden -7- Ökonomie der optimalen Abschreckung soziale Grenzkosten sozialer Grenznutzen 100% -8- Der Kalkül des Straftäters Bei der Planung einer Straftat hängt das Ausmaß des Erfolges (der Beute) vom „Preis“ ab, den der Straftäter bei höheren Erfolgsaussichten zu zahlen bereit ist, sowie von den Kosten, welche ihm durch Abwehrmaßnahmen in den Weg gelegt werden Kosten, die dem Straftäter entstehen: Das Erlernen von Fähigkeiten, die Beschaffung von Geräten, das Auskundschaften von Möglichkeiten, Opportunitätskosten der Zeit für andere Tätigkeiten -9- Kosten der Opfer: In Form von Vermögensverlusten in Form körperlichen und seelischen Schadens Kosten der Rechtsdurchsetzung Aufwendungen zur Verhinderung bzw. Aufdeckung von Straftaten Kosten für die Gesellschaft: Kosten der Vorkehrungen zur Verhinderung von Eigentumsdelikten (Sicherheitsschlösser, Alarmeinrichtungen) Kosten der Abwanderung aus gefährlichen Gegenden Soziale Kosten der Rechtsdurchsetzung und die sozialen Vorteile ergeben ein Gleichgewicht bei einer gewissen "natürlichen" Rate der Straftaten - 10 - Höhe der Strafe Art der Strafe (Geldstrafe, Freiheitsstrafe) Sonderfall Todesstrafe: Ob die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat, kann letztlich nur empirisch beantwortet werden. Eine eindeutige Antwort liegt aber bisher nicht vor (siehe Wiedergabe einer Diskussion weiter unten). Die gesellschaftlichen Kosten sind jedenfalls sehr hoch: Geschworenengericht, Prozessdauer Das Problem Waffenbesitz Drogendelikte Vertrieb von Pornographie Bestimmte Glücksspiele - 11 - Strenge der Bestrafung Strafmaß Auszahlung erwartetes Strafmaß 1 2 1: Abschreckung wirkt 2: keine Abschreckung Schwere der Straftat - 12 - Grenzkosten Grenzeinkommen 2 1 Zahl der Straftaten Der individuelle Kalkül - 13 - 1: Grenzertrag der Straftaten wenn p fix und f variiert 2: Grenzkosten bei Variation der Strafhöhe f, MCf p = durchschnittl. Wahrscheinlichkeit (für alle Straftaten) gefasst zu werden f = durchschnittl. Strafmass p und f sind die „Instrumentvariablen“; die Auswirkungen von p und f werden jeweils über die „Straftatenelastizität“ erfasst, d.h. die relative Änderung der Straftaten bei relativer Änderung der Instrumente Sei EU = pU(Y – f) + (1 – p)U(Y) dann ist ∂EU/∂p = U(Y – f) – U(Y) < 0 und ∂EU/∂f = -pU(Y – f) < 0 - 14 - Bestrafungselastizität der Zahl der Straftaten ► Abschreckung (Rechtssystem) ► Wirtschaftliche Bedingungen ► Sozioökonomische Faktoren Noch einmal zurück zur optimalen Abschreckung Wie sind die € für Abschreckung bestmöglich angelegt? Offenbar dann, wenn ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Maß der Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich jemand abschrecken lässt und der Schwere der Strafe, mit der zu rechnen ist - 15 - Gewissheit der Bestrafung p=1 „Iso-Abschreckungskurve“ Schwere der Strafe - 16 - Und noch eine Anmerkung zum Problem Gefängnis oder Geldstrafe Schwere der Geldstrafe Solvenzbeschränkung 1 Opportunitätskosten Geld/Gefängnis Iso-Abschreckungskurve Solvenzbeschränkung 2 Schwere der Gefängnisstrafe - 17 - Lässt sich die Abschreckung von Straftaten empirisch belegen? Jonathan Klick und Alexander Tabarrok benutzten den Umstand, dass nach 9/11 im Zentrum von Washington Sicherheitskräfte massiv im Einsatz waren, um die Auswirkungen dieser Maßnahme auf Überfälle aller Art zu überprüfen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Zahl der Verbrechen in den bewachten Gebieten des Zentrums gegenüber den anderen, nicht mehr bewachten Gebieten dramatisch gesunken ist und machen dafür die abschreckende Wirkung der zusätzlichen Sicherheitskräfte verantwortlich. Es lässt sich auf diese Weise die durchschnittliche Verhinderungselastizität i.S. von Gary Becker ermitteln. (American Enterprise Institute Discussion paper, October 22, 2003) - 18 - Schutzmaßnahmen dagegen, ein Verbrechensopfer zu werden: Rational handelnde Menschen, welche vermeiden wollen, Opfer eines Verbrechens zu werden, haben eine Nachfrage nach Vermeidung, die in einer Nachfrage nach Vorrichtungen und Mitteln mündet um Verbrechen zu vermeiden. Die entsprechende Nachfragekurve hat den üblichen Verlauf. Vermeidung ist aber mit Kosten verbunden. Schematisch ergibt sich für die „Selbsthilfe“ das folgende Bild GK,GN in € S1 S2 D Vermiedene Verbrechen - 19 - Ad S1 und S2: Wenn Sie aus dem Büro gehen und die Türe offen stehen lassen, dann deshalb, weil die Sekretärin im Vorzimmer ohnehin jeden sieht, der unberechtigt eindringen will – für Sie selbst sind dann die Grenzkosten der Vermeidung relativ niedrig. Und je niedriger diese Kosten sind, desto bereitwilliger werden Sie sein, sie auf sich zu nehmen um damit mehr Straftaten abzuwenden. Der Effekt tritt auch auf, wenn z.B. Überwachungseinrichtungen wie Warnanlagen billiger werden. Zuletzt noch die Reaktion auf eine Steigerung des Wertes des eigenen Besitzes oder eine gesteigerte Besorgnis um das eigene Wohlbefinden – das äußert sich in einer Verschiebung der „Nachfragekurve“ D. D1 D2 - 20 - Es überrascht, dass die empirischen Nachweise über abschreckende Wirkungen ein widersprüchliches Bild ergeben. Zwei Quellen: 1. Samuel Cameron, The Economics of Crime Deterrence: A Survey of Theory and Evidence, in Kyklos (1988), 301ff 2. Ehrlich, Isaac, Capital Punishment and Deterrence: Some Further Thoughts and Additional Evidence. Journal of Political Economy, Vol. 85, No. 4, pp. 741-88, August 1977. Available at SSRN: http://ssrn.com/abstract=961491 as of 2007 In “The Economist’s Voice” vom April 2006 habe ich eine Debatte zwischen mehreren amerikanischen Rechtsökonomen gefunden, welche die abschreckende Wirkung der Todesstrafe betrifft: Isaac Ehrlich 1975: Eine Zeitreihenanalyse 1933-1969 erbringt 8 Gewaltverbrechen weniger je Hinrichtung - 21 - Dezhbakhsh-Rubin-Sheperd (2003) kommen auf durchschnittlich 18 Gewaltverbrechen weniger. Die Methode ist aber fragwürdig (sagen Donohue und Wolfers) Die ökonometrische Untersuchung verwendet die folgenden Variablen: 1. Staatweise aggregierte Zahlen von Einweisungen in Gefängnisse 2. Gesamte aggregierte Zahl besoldeter Polizisten 3. Ausgaben für Justizwesen 4. Stimmenanteil der Republikaner bei den letzten Präsidentschaftswahlen je Bundesstaat Die Kritiker zeigen, dass entgegen den ursprünglichen optimistischen Ergebnissen mit dem Datensatz zwischen 429 „geretteten“ Leben und 86 zusätzlichen Morden begründet werden könnten. - 22 - Tatsächlich hätte es in den 25 Jahren vor 2006 rund 1000 Exekutionen gegeben, was die Rettung von 429.000 Leben bedeuten würde. Es wurden aber 500.000 Morde verübt (!) Donohue und Wolfers empfehlen, doch wieder zu den preistheoretischen Überlegungen von Gary Becker zurückzukehren. Und ihr Argument dafür, warum sie der Todesstrafe keine besonders abschreckende Wirkung zuerkennen, läuft so: Wenn man für ein Kapitalverbrechen mit „lebenslänglich“ bestraft wird („in einen Käfig gesperrt“), dann ist der Preis für die Straftat sehr hoch (ohne Amnestiemöglichkeit). Kann es dann eine zusätzliche marginale Abschreckung geben, wenn man nach vielen Jahren Kerker exekutiert wird? 2004 habe es 16.137 Morde - 23 - gegeben, 125 Todesurteile seien gesprochen worden. Von 3314 zum Tode verurteilten Strafgefangenen wurden nur 59 hingerichtet. Weitere Schätzungen mit dem früher erwähnten Datensatz über die Periode 1934 – 2000 zeigen überhaupt keine abschreckende Wirkung mehr, sondern das Gegenteil. Je vollstrecktem Todesurteil ergeben sich zwischen -1 und -1,7 zusätzliche Mordfälle (!) Die Autoren gelangen zu dem Schluss „The view that the death penalty deters is still the product of belief, not evidence“ - 24 - Notizen zum Drogenhandel und (anderen Formen von) organisiertem Verbrechen Politiken: ► Prohibition, d.h. für illegal erklären und strafrechtlich verfolgen: Verschärfte Kontrollen und höhere Strafen verteuern das Angebot (Risikoprämie) und den effektiven Suchtgiftpreis für die Nachfrager ► Fahndung ► Höchststrafen Problem: Wirkungen oft durch internes Pönalesystem der Drogenmafia unterlaufen! Problem Undercoveragenten Überwachung von Einsteigern - 25 - ► Legalisierung? ► Teillegalisierung? Trennung von Abhängigen und Einsteigern und beschränkte Versorgung der Abhängigen (Destabilisierung der Nachfragekurve) Organisiertes Verbrechen Jurimetrische Untersuchungen ► Konstruktion geeigneter Indizes die Handel mit Menschen, Waffen, Drogen, Autos und Zigaretten umfassen „Organisierte Kriminelle Vereinigung“: Sie ist strukturiert, hat zeitlichen Bestand, begeht ihre Verbrechen wegen des materiellen Erfolges (d.h. ist profitorientiert), ist gewaltbereit, nutzt die Korruptionsanfälligkeit in Politik und Verwaltung, betreibt systematisch Geldwäsche um Rückverfolgung der Gewinne zu erschweren und investiert in die offizielle Ökonomie. - 26 - Die Begünstigung von organisierter Kriminalität ergibt sich aus 6 wesentlichen Rahmenbedingungen Sozio-ökonomischen Faktoren der politischen Lage (Funktionssicherheit der demokratischen Strukturen) dem System der Rechtspflege insbesondere der Unabhängigkeit und Integrität der Gerichte den Leitungsstrukturen („governance“) im privatwirtschaftlichen Bereich den Leitungsstrukturen im öffentlichen Sektor Es gibt ferner einen Bezug zu den Stückkosten der Wirtschaftszweige, und dem Schattenwirtschaftsanteil - 27 - Befunde: Enger Zusammenhang von Organisiertem Verbrechen und Korruption! Korruption auf lokaler Ebene Hier spielen - Unabhängigkeit der Gerichte - Beachtung der Menschenrechte - Unabhängigkeit der öffentlich Bediensteten die wichtigste Rolle Korruption auf zentralstaatlicher Ebene Hier haben signifikanten Einfluss - die Durchsetzung der Rechtsvorschriften für Banken - die „politische Kultur“ - der Ausbildungsstand und die Entlohnung der Hochbürokratie - das Ausmaß an Freihandel - 28 - Befunde implizieren die hohe Bedeutung institutioneller Reformen Siehe auch E.Buscaglia-J.van Dijk, Controlling organized crime and corruption in the public sector, Forum on Crime and Society vol.3 December 2003