„Berlin wird Hauptstadt“

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Renate Künast
Volker Ratzmann
Kommission von Bundestag und Bundesrat
zur Modernisierung
der bundesstaatlichen Ordnung
Kommissionsdrucksache
0016
(bereits als Arbeitsunterlage 0019 verteilt)
„Berlin wird Hauptstadt“
Ein Vorschlag
zur Rolle und Funktion
einer Hauptstadt
im deutschen Föderalismus
Berlin, den 19.01.04
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Berlin: Hauptstadt in einem föderalen Staat
Damit Berlin „Hauptstadt in einem föderalen Staat wird“ und seinen Aufgaben gerecht werden
kann, brauchen wir eine klare Definition der Hauptstadtfunktion und der damit verbundenen
Aufgaben. Diese müssen eindeutig von den Aufgaben und damit auch der Finanzmisere des
Landes Berlin getrennt sein.
Deshalb schlagen wir die Verankerung Berlins als Hauptstadt im Grundgesetz vor. Alle
mit der Funktion als Hauptstadt verbundenen Aufgaben sollen in einem Bundesgesetz
geregelt werden. Dieses bedarf der Zustimmung des Bundesrates und des Landes Berlin.
Ziel eines Hauptstadtgesetzes ist,
· die Gestaltung der Hauptstadtfunktionen aus der Bilateralität und dem bisher damit
verbundenen Durcheinander herauszulösen,
· Transparenz der Hauptstadtfunktion und ihrer Aufgaben herzustellen,
· die Länder an der Gestaltung der Funktion und Aufgaben Berlins als deutscher Hauptstadt in
unserem Föderalismus mit ihrer besonderen historischen Entwicklung zu beteiligen und
damit
· Berlin in dieser Besonderheit als Gesicht des föderalen Deutschland in der
Außenwahrnehmung und als Identifikationspunkt für alle im Föderalismus zu entwickeln.
Erste These: Nur wenn Berlin wichtiger Identifikationspunkt des föderalen Systems wird,
wird Berlin als Hauptstadt im föderalen Staat wirklich verankert und seinen Aufgaben
gerecht werden können.
Berlin ist die neue Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands. Ihr kommt eine
außerordentliche Bedeutung in der nationalen wie internationalen Wahrnehmung Deutschlands
zu. Gleichzeitig soll und will Berlin keine Hauptstadt eines neuen Zentralismus sein. Berlin soll
vielmehr als Gesicht des wiedervereinigten föderalen Deutschland wahrgenommen werden und
Identifikationspunkt für alle im föderalen System werden. Es gilt, die Bundesländer
einzubeziehen, um Berlin auch als Herz im Sinne eines Angebots kultureller Identität im
wiedervereinigten Deutschland zu entwickeln. Dafür müssen alle Beteiligten, Bund und alle
Bundesländer, einschließlich Berlin, Vorstellungen für eine „Hauptstadt im Deutschland des 21.
Jahrhunderts“ entwickeln.
Berlin hat in vielen gesellschaftlichen Entwicklungen inzwischen eine Vorreiterrolle
eingenommen. Fragen des Zusammenwachsens von Ost und West, der Gestaltungen von
Migration und ihres Potentials für die Standortentwicklung, des Nebeneinander von hoher
Erwerbslosigkeit und „neuer Mitte“ zeigen sich in Berlin besonders stark. Lösungen können hier
als Pilotprojekte für andere deutsche Städte dienen.
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Zweite These: Um den Hauptstadtaufgaben gerecht werden zu können, bedarf es
gesetzlicher Regelungen, die über den bisherigen Rahmen hinausgehen.
Bislang sind Rolle und Funktion der Hauptstadt nicht gesetzlich geregelt. Stattdessen gibt es ein
Bonn-Berlin-Gesetz, einen Hauptstadtvertrag und einen Einigungsvertrag, die den Sitz des
Parlaments und der wesentlichen Bundesverwaltung sowie eine begrenzte Unterstützung für
kulturelle Leistungen vorsehen.
Dieses hat zu einer „Kultur des Durcheinanders“ in der Kompetenzzuschreibung und damit auch
Finanzverantwortung bei der Regelung der hauptstädtischen Funktionen geführt.
Der Hauptstadtvertrag läuft dieses Jahr aus. Wir wollen klare Regelungen für die
Kompetenzzuschreibung rechtlich verankern.
Berlin soll im Grundgesetz als Hauptstadt verankert werden. Alle mit der Funktion als
Hauptstadt verbundenen Aufgaben sollen in einem Bundesgesetz (Hauptstadtgesetz) geregelt
werden, das der Zustimmung des Bundesrates und des Landes Berlins (oder seiner
Rechtsnachfolge) bedarf.
Als Schwerpunkte dieser Aufgaben sehen wir die Bereiche
- Innere Sicherheit
- eine würdige Darstellung der Bundesorgane
- eine angemessene Behandlung der deutschen Verantwortung vor der Geschichte
- ein angemessener Umgang mit dem geschichtlichen und architektonischen Erbe der
verschiedenen historischen Funktionen und Hauptstadtfunktionen Berlins
- die Förderung kultureller Ereignisse und Einrichtungen mit Hauptstadtbedeutung, soweit sie
in Berlin stattfinden
- Erhalt und Errichtung von Infrastruktur mit Hauptstadtfunktion.
Die Fusion der Länder Berlin mit Brandenburg ist ein sinnvoller Schritt, um diesen
Hauptstadtprozess zu befördern und Überlagerung von Kompetenzen, die Berlin wahrnehmen
muss, zu entflechten. Der Länderfinanzausgleich wird damit klar von der Finanzierung der
Hauptstadtfunktion und der damit verbundenen Aufgaben getrennt.
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Dritte These: Die Hauptstadtaufgaben gehören allen. Aber: Berliner Aufgaben gehören
Berlin.
Der Widerspruch zwischen einem breiten Hauptstadtverständnis und einer engen Festlegung der
Hauptstadtaufgaben gibt dem Land Berlin die Möglichkeit, seine Finanzierungsprobleme mit der
Hauptstadtfinanzierung zu verquicken. Dies verhindert, dass Berlin seine Rolle als „föderale
Hauptstadt“ und das heißt als Identifikationspunkt für alle findet und ausfüllt. Deshalb muss das
Land Berlin bis zur Fusion mit Brandenburg gezielt seine „Hausaufgaben“ machen, den Haushalt
sanieren und Wachstum und Lebensqualität in Berlin ermöglichen.
Gleichzeitig muss die kommunale Selbstverwaltungsgarantie erhalten bleiben. Nur so kann eine
angemessene Abgrenzung zwischen den Aufgaben der Kommune und denen der Hauptstadt
Berlin gewährleistet werden.
Vierte These: Berlin ist Berlin, nicht Paris, nicht Washington D.C.
Weder wäre eine zentralistische Wahrnehmung der Hauptstadtaufgaben Berlins sinnvoll, noch
wäre es eine Lösung nach dem Vorbild Washington D.C.s. Beidem steht unser föderales System
entgegen. Wichtige Aufgaben und Institutionen werden weiterhin in anderen Bundesländern als
Berlin angesiedelt sein, so z.B. die Börse in Frankfurt am Main. Es widerspricht aber auch dem
föderalen Charakter, wenn der Bund die Hauptstadt „übernehmen“ und sie seiner
Eigenständigkeit berauben würde. Washington D.C. macht deutlich, zu welchen Entwicklungen
das führen kann: Der Senat der USA bestimmt in D.C. über den Haushalt der Stadt, obwohl er
nur ca. 30 % davon finanziert. Das System führt auch nicht zu einer Identifikation mit der
Hauptstadt, im Gegenteil.
Fünfte These: Eine starke föderale Hauptstadt Berlin mit gesetzlich geregelten Aufgaben
dient allen, den Ländern, dem Bund und den Berlinerinnen und Berlinern
Ein Vorbild für eine deutsche Hauptstadt in unserem föderalen System gibt es nicht. Wir müssen
die Rolle Berlins finden und ausgestalten.
Der vorgeschlagene Weg einer gesetzlichen Klärung der Hauptstadtaufgaben und ihrer
Wahrnehmung ist dafür eine wichtige Grundlage und hätte für das Land Berlin, die anderen
Bundesländer sowie den Bund viele Vorteile:
- Transparenz der Aufgaben und der Zuständigkeiten
- Effektiverer Einsatz der Finanzmittel
- Mitspracherecht der Bundesländer bei den Hauptstadtfunktionen
- Stärkung der Hauptstadt Berlin im föderalen System
- Entwicklung Berlins als kulturelle und geistige Identifikationspunkt und Gesicht des
wiedervereinigten föderalen Deutschlands.
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