Lichtenberg Gesellschaft e.V. www.1ichtenberg-gesellschaft.de Der folgende Text ist nur für den persönlichen, wissenschaftlichen und pädagogischen Gebrauch frei verfügbar. Jeder andere Gebrauch (insbesondere Nachdruck - auch auszugsweise - und Übersetzung) bedarf der Genehmigung der Herausgeber. The following text is freely available for personal, scientific, and educational use only. Any other use, including translation and republication of the whole or part of the text, requires permission from the Lichtenberg Gesellschaft. This document is made available by tuprints, E-Publishing-Service of the TU Darmstadt. http://[email protected] © 1987-2006 Lichtenberg Gesellschaft e. V. Lichtenberg-Jahrbuch / herausgegeben im Auftrag der Lichtenberg Gesellschaft. Lichtenberg-Jahrbuch / published on behalf of the Lichtenberg Gesellschaft. Erscheint jährlich. Appears annually. Bis Heft 11/12 (1987) unter dem Titel: Photorin. Until no. 11/12 (1987) under the title: Photorin. Jahrbuch 1988 bis 2006 Druck und Herstellung: Saarbrücker Druckerei und Verlag (SDV), Saarbrücken Yearbooks 1988 to 2006 printed and produced at: Saarbrücker Druckerei und Verlag (SDV), Saarbrücken Druck und Verlag seit Jahrbuch 2007: Winter Verlag, Heidelberg Printer and publisher since Jahrbuch 2007: Winter Verlag, Heidelberg ISSN 0936-4242 ISSN 0936-4242 Alte Jahrbücher können preisgünstig bei der Lichtenberg Gesellschaft bestellt werden. Old yearbooks can be purchased at reduced rates directly from the Lichtenberg Gesellschaft. Im Namen Georg Christoph Lichtenbergs (1742-1799) ist die Lichtenberg Gesellschaft ein interdisziplinäres Forum für die Begegnung von Literatur, Naturwissenschaften und Philosophie. Sie begrüßt Mitglieder aus dem In- und Ausland. Ihre Tätigkeit umfasst die Veranstaltung einer jährlichen Tagung. Mitglieder erhalten dieses Jahrbuch, ein Mitteilungsblatt und gelegentliche Sonderdrucke. 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Lichtenberg schlägt sich auf die Seite der letzteren; davon wird in den ersten Kapiteln die Rede sein. Während man in der 2. Hälfte des 18. Jh. in der Beobachtung und Berechnung der Kometenbahnen bedeutende Forschritte erzielt (Kap. I), steckt das Wissen über die Natur und Herkunft der Kometen, über Aufbau und Enwicklung von Kometenkopf und -schweif noch in den ersten Anfängen. Lichtenberg spart hierzu nicht mit Vermutungen und Hypothesen, die uns heute wegen ihrer vorausweisenden Kühnheit und Treffsicherheit erstaunen lassen (Kap. III). Einen breiten Raum widmet Lichtenberg besonders in seinen populärwissenschaftlichen Schriften selbstverständlich dem Kometenglauben. Hier gilt es weniger, die alte Furcht vor den Kometen als Unheilsboten zu bekämpfen, als seinen wissenschaftlich immer mehr aufgeklärten Lesern die Furcht vor einem verheerenden Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen zu nehmen (Kap. IV). Die zahlreichen Stellen in Lichtenbergs Schriften, an denen er die Kometen nicht um ihrer selbst willen zitiert, sondern um Dinge und Zustände durch den Vergleich mit Kometenerscheinungen zu erhellen, sollen hier nicht vorgebracht werden - außer dem Hinweis, daß Kometen auch für das Erscheinen hübscher „Mägdgen" stehen können, denn das Leitzitat setzt sich fort mit „I saw her, the white one, and the brown flat one too". I. DIE NATUR DER KOMETENBAHNEN Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Stand der Kometenforschung in der 2. Hälfte des 18. Jh.: Im Jahre 1758/59 war mit der von Edmund Halley (1656-1742) vorausberechneten Wiederkehr des nach ihm benannten Kometen zum erstenmal erwiesen, daß sich die Kometen in geschlossenen elliptischen Bahnen im Verein mit den Planeten um die Sonne bewegen können. - Im Mittelalter war man der Auffassung des Aristoteles gefolgt, daß Kometen Erscheinungen der irdischen Atmosphäre seien2. Als dann im ausgehenden 15. Jh. und beginnenden 16. Jh. insbesondere durch Regiomontan (Joh. Müller, 1436-1476, aus Königsberg in 57 Franken) und Peter Apian (1501-1552) in Ingolstadt die sorgfältige Beobachtung von Kometenpositionen eingeleitet wird, kann den Astronomen nicht lange verborgen bleiben, daß die Kometen in ihren Bewegungen mehr den Planeten folgen als Objekten der Erdatmosphäre. Aber erst Tycho Brahe (1546-1601) gelingt beim Kometen des Jahres 1577 durch koordinierte Beobachtungen von der Uranienburg auf der Insel Hven und von Prag aus nach Art geodätischer Landvermessung der Nachweis, daß die Kometen nicht der sublunaren Sphäre sondern dem planetaren Raum angehören3. Es folgt die erregende Auseinandersetzung zwischen „The Curved and the Straight": Joh. Kepler (1571-1630) konstruiert aus seinen Beobachtungen des Kometen von 1607, des Halleyschen, eine Gerade als Bahn4. Zwei Generationen später findet der Pfarrer Georg Samuel Dörffel (1643-1688) aus Plauen im Vogtland für den Kometen von 1680/81 eine Parabelbahn, in deren Brennpunkt die Sonne steht5. Bereits im Jahre 1687 kann Isaac Newton (1643-1727) durch sein Gravitationsgesetz die Erklärung für die Bewegung der Mitglieder des Planetensystems um die Sonne liefern6. Die Auseinandersetzung um die Natur der Kometenbahnen wird jedoch erst durch Halleys klassische Arbeit „Astronomiae Cometicae Synopsis", Oxford 1705, zu einem vorläufigen Abschluß gebracht7. Er berechnet zunächst parabolische Bahnen für 24 Kometenerscheinungen. Er erkennt sogleich, daß die Bahnelemente der Kometen von 1531 (beobachtet durch Apian), 1607 (Kepler) und 1682 (John Flamsteed, Vorgänger Halleys im Amt des Astronomer Royal in Greenwich) auffallend übereinstimmen, so daß es sich im denselben, periodisch wiederkehrenden - fortan nach Halley benannten - Kometen handeln muß. Diese Erkenntnis erzwingt eine elliptische Bahn mit 76 Jahren Umlaufszeit um die Sonne. Die von Halley vorausberechnete Wiederkehr wird durch die Auffindung des Kometen durch den Bauern und Liebhaberastronomen Joh. Georg Palitzsch in Prohlis bei Dresden am 1. Weihnachtstag des Jahres 1758 glanzvoll bestätigt. Ob der sechzehnjährige Lichtenberg diese Erscheinung des Halleyschen Kometen während seiner Schulzeit in Darmstadt bewußt zur Kenntnis genommen hat, läßt sich nicht ermitteln. Seine erste astronomisch-wissenschaftliche Kometenbeobachtung kann man durch einen Bericht von A. G. Kästner über den zweiten Kometen des Jahres 1766 im Hannoverschen Magazin nachweisen. Kästner zitiert die Beobachtungen des jungen Lichtenberg und bescheinigt ihm, daß er „sich hier mit glücklichem Eifer auf die Mathematik gelegt hat" 8 . Die 2. Hälfte des 18. Jh. kann man als eine Zeit der Kometenjäger und Kometenberechner charakterisieren. Zwischen der Wiederkehr des Kometen Halley 1759 und dem Ende des Jahrhunderts, dem Todesjahr Lichtenbergs, werden 42 Kometen entdeckt9. Charles Messier (1730-1817) aus Paris hält mit 13 Entdeckungen die Spitze. Ludwig XV. nennt ihn spöttisch „le furet des comètes", das Kometenfrettchen. Es folgen P. F. A. Méchain (1744-1804), ebenfalls in Paris tätig, mit 9 Entdeckungen und Caroline Herschel (1750-1848), die Schwester des berühmten Friedrich Wilhelm Herschel, in Slough in England mit 7 Kometen. Deutsche Astronomen sind mit bescheidenen 4 Entdeckungen beteiligt, darunter J. E. Bode (1747-1826), der Herausgeber des Berliner Astronomischen Jahrbuches und der Bremer Artzt Wilhelm Olbers (1758-1840), letzterer mit zwei Entdeckungen. Alle werden später durch Jean 58 Louis Pons (1761-1831) überflügelt, der zwischen 1801 und 1827 in Marseille, Marlia und Florenz 37 Kometen entdeckt. Lichtenbergs Zeit ist auch eine Zeit der Bahnbrecher. Im Prinzip kann man die aktuelle Bahn eines Kometen - die „oskulierende Bahn", wenn der Komet die Sonne „küßt" - aus der Beobachtung von 3 Örtern an der Sphäre zu drei Zeiten bestimmmen. Von übergeordnetem Interesse ist jedoch der Gesamtverlauf der Bahn und deren Entwicklung über große Zeiträume. Dieses Problem kann aber nur gelöst werden, wenn der Einfluß der gravitativen Kräfte aller Massen im Sonnensystem auf den Kometen verfolgt wird. So tritt zu der Schwierigkeit, die Bahnbrechung im Zwei-Körper-System Sonne-Komet in den Griff zu bekommen (L. Euler, J. H. Lambert, J. de Lagrange, P. S. de Laplace, C. F. Gauß), die Aufgabe, den Einfluß insbesondere der großen Planeten Jupiter, Saturn und des 1781 durch F. W. Herschel entdeckten Uranus auf die Kometenbahnen zu bestimmen. Da dieses Viel-Körper-Problem sich als analytisch unlösbar erwies, brachte man ad hoc „Störungen" an die Kometenbahnen an (Lagrange10, Laplace11). Die Folge solcher Störungen ist z. B., daß die Bahn des Kometen Lexell 1770 bei nahen Vorübergängen an Jupiter zweimal vollständig umgewandelt wurde. Merkliche Störungen erleidet auch der Komet Halley, als deren Folge seine Umlaufszeit zwischen 74.42 Jahren (1835-1910) und 79.25 Jahren (451-530) geschwankt hat. Heute läßt sich das Viel-Körper-Problem mithilfe der Großrechner numerisch beliebig genau lösen und damit beispielsweise die Erscheinungen des Halleyschen Kometen bis weit vor die Zeitenwende exakt datieren. A. G. Kästner berichtet verschiedentlich12, daß Lichtenberg Positionen von Kometen bestimmt hat. In einem Brief an Kästner vom 22. Mai 1771 zeigt Lichtenberg, daß er die exakte Ortsbestimmung astronomischer Objekte anläßlich der Erscheinung des mit bloßem Auge sichtbaren Kometen Messier trefflich beherrscht (siehe Abb. 1). Es läßt sich aus Lichtenbergs Veröffentlichungen allerdings nicht entnehmen, daß er auch eine oskulierende Bahn berechnet habe. II. DIE SUCHE NACH PERIODISCHEN KOMETEN Es gab zu Lichtenbergs Zeiten eine brennende Frage, deren Antwort als wichtiger empfunden wurde als Ergebnisse nächtelanger Kometenjagd oder Seiten weise Formeln zu Störungsrechnungen, nämlich die Frage: Gibt es außer dem Halleyschen noch weitere periodische Kometen? - Denn die Bahnstücke, die man bei der Annäherung der Kometen an die Sonne beobachten konnte, ließen sich einfacher und besser durch eine Parabel darstellen - also durch eine offene Bahn, bei der der Komet nicht in Sonnennähe zurückkehrt - als durch eine geschlossene elliptische Bahn, die dann außerordentlich langgestreckt wäre, den Kometen viele tausend Astronomische Einheiten (mittlere Entfernung Erde-Sonne) aus dem inneren Bereich des Sonnensystems herausführte, aber ihn auch wieder in Sonnennähe zurückbrächte. Lichtenberg vertritt mit Entschiedenheit die These 14 , daß sich alle Kometen in Ellipsen um die Sonne bewegen. Daß Dörffel beim Kometen von 1680/81 dennoch nur eine Parabelbahn fand, entschuldigt Lichtenberg, denn „dieses kann bey einer so langen Ellipse, von der 59 wir nur ein so kleines Stück übersehen, gar für keinen Fehler gerechnet werden"15. In der Tat kann auch heute bei den meisten Kometen erst durch außerordentlich genaue Beobachtungen die Parabelapproximation durch die langgestreckte Ellipse ersetzt werden. Zurück zur Hauptfrage jener Zeit, die wir nach Lichtenbergs Überzeugung, daß schließlich alle Kometen, weil in Ellipsen laufend, periodisch seien, präzisieren müssen: Gibt es außer dem Halleyschen Kometen weitere „kurzperiodische" Kometen, solcherart, daß sie von der Menschheit in überschaubaren Zeiten mehrmals registriert wurden oder in Zukunft registriert werden? In Lichtenbergs Schriften wie in denen seiner Zeitgenossen16 finden sich zwei, nur zwei, brauchbare Vermutungen: • Für 1789/90 erwartet Lichtenberg17 die Wiederkehr des Kometen von 1532 (Apian) und 1661 (Hevelius u. a.); seine Periode müßte also etwa 128 Jahre betragen. Aber schon 1785 weist Mechain nach, daß diese Kometen nicht identisch sind, und er behält recht, da 1789/90 kein entsprechender Komet erscheint. • Die zweite Vermutung18 bezieht sich auf die Kometen von 1264 und 1556 (Periode dann ungefähr 292 Jahre). Der Komet von 1556 ist auch als Kaiser Karl V. Komet bekannt, da Karl in ihm seinen nahen Tod erkannt haben will 19 . Der Traum einer Wiederkehr im Jahre 1848 erfüllt sich nicht; verbesserte Bahnberechnungen des Niederländers M. Hoek zeigen, daß die Erscheinungen von 1264 und 1556 doch zwei unterschiedlichen Kometen zuzuordnen sind. - Eine Vermutung E. Halleys selbst, daß die Kometen von 43 v. Chr., 531, 1106 und 1680 n. Chr. (Periode als etwa 574 Jahre) identisch seien, erwies sich bald als unhaltbar, wurde aber dennoch von W. Whiston in seiner Sündfluterklärung aufgegriffen (siehe Kap. IV). Und dann geschieht das Wunder: Charles Messier entdeckt am 14. April 1770 in Paris einen Kometen, A. J. Lexell in Petersburg berechnet im Sommer des Jahres 1770 Erläuterndes Diagramm Lichtenbergs zur Ortsbestimmung des Kometen Messier am 21. Mai 1771 1 3 . Im Zentrum C des Fadenkreuzes AB-DE des Teleskops stand Pollux, der hellste Stern des Sternbildes Zwillinge. Der Komet trat bei b in das Gesichtsfeld ein und passierte um 22 h 59 m 09 s den Stundenfaden DE im Punkt c. Aus der Durchgangszeit und dem linearen Abstand cC zu Pollux errechnete Lichtenberg dann den Kometenort unter Anbringung aller notwendigen Korrekturen wie Refraktion, Nutation und Aberration comme il faut! 60 aufgrund gesammelter Positionsbeobachtungen die Bahn mit dem Ergebnis20: Die Periode beträgt nur 5.6 Jahre! Außerdem kommt der Komet der Erde so nahe wie nach unserer heutigen Erkenntnis erst wieder der Komet IRAS-Araki-Alcock 1983 2 1 , nämlich etwa 4.8 Millionen km oder 12 Mondentfernungen. Lichtenberg berichtet: „So kam im Jahr 1770, im Sommer, einmal des Nachts ein Comet, den ich selbst beobachtet habe, unserer Erde so nahe, daß es aussah, als wolle er uns mehr etwas im Vertrauen sagen, als aus der Ferne verkünden"; da es Lichtenberg aber um die Widerlegung des Kometenaberglaubens geht, fährt er fort „und diesen verschliefen die Leute, und es krähte kein Hahn darnach"22. Daß im Jahre 1775 der Komet Lexell nicht wiedergesehen wird, kann man noch mit ungünstigen Sichtbedingungen erklären; einen Fehler enthalten Lexells Berechnungen jedenfalls nicht. Als aber auch 1780/81 der Komet ausbleibt, ist die Enttäuschung groß. Nach der Jahrhundertwende kann Laplace zeigen23, daß der Komet 1767 durch Jupiterstörungen in seine kurzperiodische Bahn gelenkt wurde, daß Jupiter ihn aber bei der nächsten Annäherung im Jahre 1779 auch wieder aus der Bahn hinauswarf. - Gleiches Schicksal erlitten auch die Kometen Helfenzrieder 1766 und Pigott 1783, jedoch wurden erst nach 1800 die Bahnen berechnet und ihre kurzen Gastbesuche im Innern des Sonnensystems offenbar24. Ironischerweise haben Lichtenberg und seine Zeitgenossen eine Reihe kurzperiodischer Kometen beobachtet, aber die so sehr gesuchte Eigenschaft an ihnen nicht erkannt. Zu diesen zählt der Komet Encke, der mit 3.30 Jahren die kürzeste Periode aller bekannten Kometen aufweist, beobachtet 1786 und 1796, aber erst 1819 von J. F. Encke (1797-1865) berechnet. Ferner gehört dazu der Komet Biela, 1772 erstmals beobachtet, aber nach einer weiteren Beobachtung 1806 erst im Jahre 1826 von dem Hauptmann W. von Biela in Josephstadt in Böhmen wiederentdeckt und berechnet (Periode 6.6 Jahre). Dieser Komet teilt sich 1846 unter den Augen der Beobachter, wird 1852 in zwei getrennten Nebelmassen nochmals gesehen und macht sich seitdem nur noch durch einen starken Meteorstrom, die Bieliden, bemerkbar. III. DIE NATUR DER KOMETEN Während Lichtenbergs Zeit war das Wissen über die Herkunft der Kometen, über ihren Aufbau und ihre Zusammensetzung nur bescheidenes Stückwerk. Wesentliche Fortschritte konnten erst erzielt werden, nachdem in der 2. Hälfte des 19. Jh. die Spektroskopie auch in die Kometenastronomie Einzug hielt, nachdem die Photographie die Entwicklung von Kometenkopf und -schweif dokumentarisch festhalten konnnte, nachdem die Photometrie auch kleinste Helligkeitsvariationen registrieren konnte. Zweifellos ein gewaltiger Fortschritt gegenüber dem 18. Jh.; aber selbst die In-situ-Beobachtungen von 6 Raumsonden am Kometen Halley 1986 werden nur einen kleinen Beitrag aber keineswegs eine umfassende Antwort auf alle Fragen bringen. In einem längeren Aufsatz im Göttinger Taschen Calender für das Jahr 1787 vermittelt Lichtenberg den Lesern seine Kenntnisse und Ansichten über die Natur der 61 Kometen; hier erfahren wir etwas zur „Physik" der Kometen, gelegentlich flankiert von Bemerkungen in den Briefen und Sudelbüchern. In der Frage der Herkunft der Kometen folgt Lichtenberg der Kosmogonie Kants: Kometen entstehen gleichzeitig mit den Planeten durch gravitatives „Zusammenfallen in einen Klumpen"25 aus dem fein verteilten Sonnennebel. Lichtenberg zieht Kants Theorie der Buffonschen vor, nach der die Planeten durch einen Deus-ex-machina-Kometen aus der Sonne gerissen werden. Erst recht wendet er sich gegen die Meinung des Aristoteles, Kometen seien Ausdünstungen der Erde („hätte dieser außerordentliche Mann mehr Beobachtungen gekannt"26), denn „diese Hypothese mußte den Fortgang der Wissenschaft nicht wenig hindern"27. Wir erfahren auch Lichtenbergs originelle Ideen zum letzten Schicksal der Kometen: Sie müssen sich durch die Einwirkung der Sonne auflösen, denn, je näher sie der Sonne kommen, so erleiden sie „durch die Wärme eine stärkere Auflösungskraft . . ., die Kometen werden also vermutlich immer kleiner"28. - In der Tat kann man heute die Verluste an Materie, Gas und Staub, abschätzen, die ein Komet durch teilweises Verdampfen aufgrund der Sonneneinstrahlung erfährt. Bei starker Annäherung an die Sonne kann der Verlust bis zu 1 % seiner Gesamtmasse betragen; nach einhundert Annäherungen an die Sonne wäre dieser Komet aufgelöst. - Lichtenberg zieht auch die Möglichkeit in Betracht, daß Kometen in die Sonne stürzen („in die Sonne herabregnen"29) oder mit Planeten zusammenstoßen könnten. Wenn wir wiederum aufgrund heutiger Kenntnis diesen Gedanken Lichtenbergs beleuchten, erstaunen wir aufs neue über die weit vorausreichende Einsicht Lichtenbergscher Vermutungen. Denn eine Reihe von Kometen ist erschienen, die tief in die solare Korona eintauchten, die sun-grazing comets. Der Komet Ikeya-Seki beispielsweise kam 1965 der Oberfläche der Sonne, der Photosphäre, bis auf 470000 km oder zweidrittel Sonnenradien nahe. Der Komet Howard-Koomen-Michels, im Jahr 1979 durch einen amerikanischen Militärsatelliten entdeckt, ist offenbar kurz nach seiner Entdeckung in die Sonne gestürzt. Die Möglichkeit eines Zusammenstoßes mit der Erde rief im 18. Jh. die neue Kometenfurcht hervor, von der gleich zu sprechen sein wird. Lichtenberg erwägt übrigens nicht die Möglichkeit, daß ein Komet auch auseinanderbrechen und in viele kleine meteoritische Teilchen zerfallen könnte, wie es 1846/52 beim Bielaschen Kometen und 1975 wieder beim Kometen West beobachtet wurde. Wenn der französische Naturforscher G. Buffon (1707-1788) durch einen Kometen die Planeten aus der Sonne gerissen glaubt, so hat er sicherlich die Vorstellung von Kometen als große, massereiche Körper. Anders jedoch Lichtenberg: Selbst von der Autorität J. de Lalandes (1732-1807), der die Kometen bei einer möglichen Annäherung an die Erde aufgrund ihrer Masse einen alles vernichtenden Flutberg hervorbringen läßt, wird er nicht beeindruckt. Denn er bemerkt zurecht, daß weder beim Kometen von 1454, der nach St. de Lubienietzkis „Theatrum cometicum" von 1681 zwischen Mond und Erde durchgegangen sein soll, noch bei dem schon mehrmals erwähnten Kometen Lexell 1770, der nach Lichtenbergs eigener Abschätzung der Erde so nahe kam wie der Mond, „auch nur die mindeste Erhöhung der Fluth bemerkt worden wäre" 30 . Seine Schlußfolgerung ist, daß die Kometen eine kleine Masse („Dichtigkeit" - und damit auch „Schädlichkeit") haben. Wir wissen heute 62 zwar, daß der Lexellsche Komet in 12 Mondentfernungen an der Erde vorbeizog (siehe Kap. II) und Lubienietzkis Komet von 1454 wohl eine Falschmeldung war. Dennoch: Kometen sind kleine Körper von nur wenigen Kilometern Durchmesser und von nur 1 0 1 2 (einem Billionstel) Erdmassen. Schließlich äußert sich Lichtenberg an mehreren Stellen zur „Physik" der Kometenschweife, zu ihren Dichten und zu ihrer Entstehung. Er beobachtet, daß sogar schwächere Sterne durch den Kometenkopf und die Schweife hindurchscheinen31, während „bei sonst heiterm Himmel, selbst das, was man dicke Luft nennt, uns die Sterne erster Größe bei ihrem Auf- und Untergange" verdeckt32. Lichtenberg zieht daraus den Schluß, daß die Dichte der Schweife sehr gering sein müsse, geringer als die der irdischen Atmosphäre und daß die Erde durch einen Schweif hindurchgehen könnte, „ohne daß wir im mindesten etwas davon gewahr würden"33. - Am 19. Mai 1910 befand sich der Halleysche Komet zwischen Erde und Sonne; die Erde lief für mehrere Stunden in nur etwa 0.15 Astronomischen Einheiten Entfernung vom Kometenkopf durch dessen Schweif hindurch, ohne daß auf der Erde eine Wirkung, etwa durch Registrierung von Ionen der Schweifmaterie, verspürt wurde.34 Eine zu allen Zeiten faszinierende Frage ist sicherlich, wodurch denn die Ausbildung der Kometenschweife hervorgerufen wird (Abb. 2). Daß die Wirkung von der Sonne ausgehen müsse, war augenfällig, da die Schweife immer von der Sonne weggewandt sind und ihre Längen bei der Annäherung an die Sonne wachsen - bis auf 40 Millionen Meilen 35 , bemerkt Lichtenberg völlig richtig. Aber wie kann Materie von der Sonne weggetrieben werden, wo doch Newtons schöne Gravitationstheorie gerade die Anziehung zwischen Massen lehrt? Obwohl Lichtenberg gegen die Theorie der negativen Schwere, der „Antigrave" des Hallenser Apothekers und Chemikers F. A. C. Gren (1760-1798) gelegentlich scharf zu Felde zieht 36 , macht er schließlich doch die vorsichtige Bemerkung, Kometenschweife seien wohl etwas, „was sehr wie Antigrave aussieht"37. In seinem Kometenartikel im Taschen Calender folgt Lichtenberg der Meinung L. Eulers (1707-1783), daß das Sonnenlicht die kometare Materie aus dem Kopf heraustreibt und den Schweif ausformt38, obwohl Lichtenberg sich bewußt ist, daß mit dieser Vermutung noch keine physikalische Erklärung für den Wechselwirkungsprozeß zwischen Licht und Kometenmaterie gegeben ist. Er folgt ausdrücklich nicht der Schweiftheorie Newtons, der im Sonnensystem einen fein verteilten Äther annimmt, in dem Kometenmaterie seiner Gravitationstheorie zum Trotz aufsteigen kann wie Rauch in der irdischen Atmosphäre39. - Euler und Lichtenberg behalten mit ihrer Vermutung nur teilweise recht. Zwar gelingt es, die Ausbildung des sogenannten Staubschweifes (siehe Abb. 2) durch Strahlungsdruck des Sonnenlichtes zu erklären. Staubschweife sind aber nur leicht von der Sonne weggewandt und folgen eher der Bahnbewegung der Kometen. Für die Ausbildung der nahezu radial von der Sonne wegweisenden lonenschweife, erkennbar an ihrer verwirbelten Form im Gegensatz zu den homogen leuchtenden Staubschweifen, reichen die Kräfte des solaren Strahlungsdrucks nicht aus. L. Biermann40 postuliert im Jahre 1951 einen ständig von der Sonne ausgedehnten Teilchenstrom, ein Plasma aus Protonen und Elektronen, den „Sonnenwind", dessen Wechsel Wirkungskräfte mit den Kometengasen den Ionenschweif aus dem Kopf heraustreibt. Im Jahre 1959 wird der Sonnenwind durch die sowjetische Mondfähre Luna 1 erstmals nachgewiesen und im 63 folgenden Jahr durch die amerikanische Venussonde Mariner II während ihres gesamten Fluges beobachtet. Im Zusammenhang mit der Schweifbildung äußert Lichtenberg den kühnen Gedanken: „Sollten nicht alle Planeten so etwas hinter sich haben, wie Kometen-Schweife wenn wir es auch gleich nicht sehen?"41 - Wir sehen sie heute, diese Planetenschweife, wenn auch nicht mit eigenen Augen, so doch mit den Meßinstrumenten der künstlichen Raumsonden. Wiederum ist es die Wirkung des Sonnenwindes, die die Ionosphären und Magnetosphären der Planeten auf der sonnenabgewandten Seite zu einem Schweif ausformt, in dem sich das Plasma ebenfalls zu einem Schweif verdichtet (s. Abb. S. 66). IV. DIE NEUE KOMETENFURCHT Im Altertum und Mittelalter gelten die Kometen als Königssymbole, die Anfang und Ende eines großen Herrschers ankündigen. Als Beispiele seien der Komet von 44 v. Chr. erwähnt, der bei der Leichenfeier für Julius Caesar erscheint, oder der im Teppich von Bayeux dargestellte Halleysche Komet von 1066 n. Chr., der den Untergang König Harolds und den Aufstieg Wilhelms vom Herzog der Normandie zum Eroberer Englands signalisiert. Lichtenberg zitiert hierzu in Briefen an F. H. Jacobi und W. Olbers die Worte des Tacitus: „Sidus cometes effulsit, de quo vulgo opinio est, tanquam mutationem regis portendat."42 Gleichzeitig bemerkt er, daß der Januarkomet des Jahres 1793, der während des Prozesses gegen Ludwig XVI. kurz vor dessen Hinrichtung erscheint, ein treffendes Beispiel für die älteste Art des Kometenglaubens sei. Erst im 15. Jh. zu Zeiten großer sozialer und religiöser Spannungen und außenpolitischer Bedrohung durch die Türken setzt die Welle der Kometenfurcht ein, die in ihnen Vorboten von Unheil, Krankheit, Krieg, ja vom nahen Weltende sieht. Kometenflugblätter tragen wesentlich zur Verbreitung von Angst und Schrecken bei (Abb. 3). Im 17. Jh., just als die Astronomen die wahre Natur der Kometenbahnen aufdecken und sie als Mitglieder der Planetenfamilie erkennen, erreicht die Kometenfurcht ihren Höhepunkt. Aber gerade die wissenschaftliche Erkenntnis beschwört eine „neue" Kometenfurcht herauf: Wenn die Kometen auf langgestreckten elliptischen Bahnen in das Innere des Sonnensystems eindringen, können dann nicht verheerende Zusammenstöße mit unserer Erde auftreten? Mit der alten Kometenfurcht konnte Lichtenberg schnell abrechnen. Es gibt zu viele Gegenbeispiele; insbesondere weist er darauf hin, daß die großen Kriege eigentlich nie durch besondere Kometenerscheinungen angekündigt wurden43. Er hingegen fürchtet, daß bereits eine Zeile ernsthafter Widerlegung des alten Aberglaubens von seinem Leser als „das gröbste Mißtrauen gegen die Gesundheit seiner (des Lesers) Vernunft und für Herabwürdigung seiner selbst"44 gehalten werden könnte. Einen ähnlichen Optimismus verrät er, wenn er notiert: „Aberglauben trieb damals den Beobachter, jetzt tut es Ehrgeiz und Wißbegierde."45 Sehr ausführlich nimmt Lichtenberg zur neuen Kometenfurcht in seinem Kalenderbericht und in einem Artikel in den Göttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen aus 64 dem Jahre 1778 Stellung - und er tut sich schwer. Wenn er nämlich zunächst ausführlich darlegt, daß der Komet des Jahres 1770 zwischen Mond und Erde durchgegangen sei, muß es Mühe bereiten, einige Zeilen später dem Leser erklären zu wollen, daß ein Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen völlig auszuschließen sei. Außerdem muß Lichtenberg gegen die damals populäre Schrift „The cause of the Deluge demonstrated" des englischen Mathematikers und Geistlichen W. Whiston (1667-1752) argumentieren. Whiston, „ein physikalischer Schwärmer im höchsten Grad, und daher ein schlechter Physiker"46, so die Charakterisierung durch Lichtenberg, bestimmt den Ablauf der Weltgeschichte durch vier Kometen: Der erste sei die Erde selbst, die dann durch Zusammenstoß mit einem zweiten Kometen in rasche Rotation versetzt worden sei; der dritte Komet habe die Wasser der Sündflut (Deluge) gebracht und der vierte endlich werde die Erde anzünden.47 Schließlich gibt es auch wissenschaftliche Gründe, die die Argumentation Lichtenbergs so schwierig erscheinen lassen: Die Astronomie seiner Zeit hat das Gesamtverhalten des Planetensystems nicht im Griff. Das Anbringen von Störungen (siehe Kap. I) wird nur als Behelf verstanden, um die gröbsten Unregelmäßigkeiten in den Bahnbewegungen erklären zu können. Dennoch hat Lichtenberg die Gewißheit: „Alle diese scheinbaren Unregelmäßigkeiten, folgen einer Regel, die wir noch nicht kennen, die aber künftige Zeiten ausmachen werden."48 Überhaupt, „vor Gott ist keine Störung, alles folgt einem einzigen ewigen unveränderlichen Gesetz."49 Lichtenberg bemüht die bekanntesten Kapazitäten seiner Zeit, um die Möglichkeit eines Zusammenstoßes herunterzuspielen: P. de Maupertuis (1698-1759), eher durch seine Erdvermessung als durch Kometenrechnungen berühmt geworden, den bereits genannten gefeierten Astronomen J. de Lalande50 und Dionis du Séjour (1734-1794), Parlamentsrat aus Paris. Lalande selbst wurde durch ein Mißverständnis unterschoben, er habe den Weltuntergang durch den Zusammenstoß der Erde mit einem Kometen für den 12. Mai 1773 vorausberechnet; auch die Veröffentlichung seiner Originalschrift „Réflexion sur les Comètes qui peuve approcher de la terre" kann die Aufregung in Paris nicht dämpfen. Du Séjour liefert für Lichtenberg den Beweis, daß selbst dann, wenn Erd- und Kometenbahn sich schneiden, „sich noch 752 730 gegen 1 verwetten ließe", daß der Komet nicht mit der Erde zusammenstoße 51 . Daraus werden dann „eine Million Nieten gegen einen Treffer" oder „das Unendliche gegen eins". Trotzdem spürt Lichtenberg beim Leser noch einen Rest Mißtrauen, so daß er als letztmögliche Steigerung „die Hand eines großen und gütigen Gottes" beschwört; ungewöhnlich eindringlich beruft sich Lichtenberg auf den allgütigen Gott, den schützenden Vater, den Kometenlenker. Das Problem des Zusammenstoßes der Erde mit einem Kometen oder einem anderen Kleinkörper des Planetensystems wird heute im Lichte unserer Kenntnisse über die räumliche Dichte solcher Kleinkörper diskutiert. Aus einer Reihe neuerer Arbeiten kann man als bemerkenswerte Zahl herausfiltern, daß die Erde im Mittel einmal in einer Million Jahre mit einem Körper von mehr als einem Kilometer Durchmesser kollidiert.52 Das Nördlinger Ries ist ein frühes Zeugnis einer Kollision, der Einschlag an der Steinigen Tunguska im Jahre 1908 ein recht neues Beispiel. - Ob man die genannte Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes für gering oder groß 65 hält, ist letztlich Ansichtssache. Immerhin führte sie in neuerer Zeit dazu, daß einige Geologen die Abfolge erdgeschichtlicher Epochen auf Impakte kosmischer Körper zurückführen, wie etwa das Ende der Kreidezeit mit dem Aussterben der Saurier. Hier schimmert wieder Whistons Katastrophentheorie durch. Aber auch W. Olbers, Arzt im Hauptberuf und vielbeachteter Astronom, Kometenentdecker und -berechner zu Lichtenbergs Spätzeit, sinnt über das Aussterben von Tiergattungen nach einer Kometenkollision nach und vermittelt uns die Kenntnis, daß bereits Halley den ersten Anstoß zu diesen Theorien gegeben hat. 53 Bei Lichtenberg klingt schon an, was bei der Erscheinung des Halley sehen Kometen im Jahre 1910 eine dritte Art der Kometenfurcht hervorruft, daß nämlich Kometenschweife giftige Dämpfe verbreiten könnten54. Nachdem Astronomen im Jahre 1908 Linienbanden des CN-Moleküls, des Radikals der giftigen Blausäure HCN, im Spektrum des Kometen Morehouse analysiert hatten, war es dem „räsonnierenden Aberglauben"55 ein leichtes, die Bevölkerung angesichts des Durchgangs der Erde durch den Schweif des Halley sehen Kometen (siehe Kap. III) in Aufregung zu versetzen, die durch Einwände der Astronomen, die Moleküldichte sei viel zu gering für eine Gesundheitsgefährdung, eher noch geschürt wurde56. Eigentlich sollte uns heute eine vierte Art von Kometenfurcht bedrängen. Denn der nicht gerade unbekannte englische Astronom Fred Hoyle (geb. 1915) glaubt nachgewiesen zu haben, daß Grippeepidemien durch Viren erzeugt werden, die von Kometen auf die Erde herunterfallen. Aber nicht nur lokale und regionale Krankheitsherde, sondern die gesamte Evolution des Lebens auf unserer Erde sei durch „kosmischen Der Komet Mrkos 1957 V. Deutlich kann man zwischen dem verwirbelten, von der Sonne radial wegweisenden Ionenschweif und dem homogenen Staubschweif unterscheiden. 66 Genimport" 5 7 gesteuert worden. Zweifellos offenbart sich Hoyle damit als Vertreter der Panspermietheorie, die durch den schwedischen Chemiker Svante Arrhenius ( 1 8 5 9 - 1 9 2 7 ) begründet wurde, obwohl schon Louis Pasteur ( 1 8 2 2 - 1 8 9 5 ) durch seine Erkenntnis, daß Leben nur durch Leben entstehen könne, Anstöße zu dieser Theorie gegeben hat. - Aber wußten sie alle, daß bereits Lichtenberg erwägt, der Lebenssamen sei durch Kometen und ihre Zersetzungsprodukte, die Meteoriten, die als Sternschnuppen und Feuerkugeln in die Atmosphäre eindringen, auf die Erde gelangt? In den Sudelbüchern notiert er: „Wer weiß was die Feuer-Kugeln für Samen zu uns bringen. Sind die Kometen vielleicht Schwärme kosmischer Insekten?" 58 Die Zitate aus Lichtenbergs Briefen, Sudelund Tagebüchern sind der Werksausgabe von W. Promies, Hanser-Verlag, München, 1967-1972, entnommen. - Lichtenbergs Artikel „Fortsetzung der Betrachtung über das Weltgebäude. Von Cometen44 aus dem Göttinger Taschen Calender vom Jahr 1787, S. 81-134, wird mit Calender zitiert. Sein Aufsatz „Etwas über den fürchterlichen Cometen, welcher, einem allgemeinen Gerücht zufolge, um die Zeit des ersten Aprils unsere Erde abholen wird", in Göttingische Anzeigen von gemeinnützigen Sachen, 1778, St. 9, vom 28. 2. 1778, S. 3 6 - 3 9 , wird mit Anzeigen zitiert. 1 Tagebuch 1771, Aug. 12. 2 Aristoteles, Meteorologie, Werke Bd. 12, I. Akademie-Verlag, Berlin, 1979. 3 Tycho Brahe, Observationes Septem cometarum, hrsg. von F. R. Friis, Chr. Steen &C Söhne, Kopenhagen, 1867; siehe auch Opera omnia, Bd. 4, J. L. E. Dreyer (Hrsg.), Kopenhagen, 1923. 4 Joh. Kepler, De cometis libelli tres, Augsburg, 161$. 5 G. S. Dörffel, Astronomische Beobachtungen des großen Kometen, welcher im ausgehenden 1680. und angehenden 1681. Jahre höchst verwunderlich und entsetzlich erschienen, Plauen, 1681. 6 Isaac Newton, Philosophiae naturalis principia mathematica, London, 1687. 7 Gegen Ende des 19. Jh. wird die Frage heftig diskutiert, ob es auch Kometen auf hyperbolischen Bahnen gebe. Der Eichsfelder Pfarrer und Astronom Anton Thraen (1843-1902) konnte als erster zeigen, daß hyperbolische Bahnen existieren (Komet 1886 II), daß diese aber durch Planetenstö- rungen zustande kommen und „nicht als Beweis für das Eindringen interstellarer Kometen in das Sonnensystem dienen können", nach J. Dorschner, in Die Sterne Bd. 61, 1985, S. 209. 8 A. G. Kästner, Nachricht von dem im April zu Göttingen gesehenen Kometen, in Hannoverisches Magazin 1766, St. 33 vom 25. 4. 1766, S. 523-526. 9 B. G. Marsden, Catalogue of cometary orbits, Smithsonian Astrophys. Obs., Cambridge, Mass. 3 r d Edition, 1979. 1 0 Von J. de Lagrange sei besonders die Arbeit „Recherches sur les équations séculaires des mouvements des nœuds et des inclinaisons des orbites des planètes" aus den Mémoirs der Pariser Akademie von 1774 genannt. 1 1 P. S. de Laplace, Mécanique céleste, 5 Bde. in 4, Paris, 1799-1825. 1 2 Siehe Anm. 8; außerdem in Göttingische Anzeigen von gelehrten Sachen vom 8.7.1770, 27.5. und 24.6.1771, 17. 1. 1774 (Kästner berichtet hier, daß er bei der Sitzung der Akademie am 15. Januar Lichtenbergs Zeichnung der Bahn des Kometen Messier 1773 vorgelegt habe) und 10. 3. 1774. 1 3 Briefe S. 27, 12. An Abraham Gotthelf Kästner, Göttingen, 22. Mai 1771. 1 4 Calender S. 92. 1 5 Calender S. 109. 1 6 Siehe insbesondere D. du Séjour, Essai sur les comètes en général, et particulièrement sur celles qui peuvent approcher de l'orbit de la terre, Paris, 1775. 1 7 Calender S. 82; Anzeigen S. 37, 2. Spalte, hier verwechselt Lichtenberg offenbar den Kometen Messier 1771 mit dem Kometen Lexell 1770, der gemeint ist. 67 Sudelbücher J 20. Karl V. soll beim Anblick des Kometen ausgerufen haben: „His ergo indiciis me mea fata vocant." (Durch diese Anzeichen rufen mich meine Geschicke.) Nach R. Wolf, Handbuch der Astronomie, Zürich, 1890. 2 0 A. J. Lexell, Tentamen astronomicum de temporibus periodicis cometarum et speciatim de tempore revolutionis cometae, A. 1770 observati, in Acta Acad. Sei. Petropol. 1777, S. 332. 2 1 Internat. Astron. Union, Circular No. 3799, 1983, May 6. 2 2 Anzeigen S. 37. 2 3 Siehe Anm. 11, Bd. 4, 1805, S. 216-228. 2 4 Der Komet Helfenzrieder 1766 ist der erste von Lichtenberg beobachtete Komet; siehe Anm. 8. 2 5 Calender S. 87. 2 6 Calender S. 99. 2 7 Calender S. 100. 2 8 Sudelbücher F922. 2 9 Calender S. 132. 3 0 Calender S. 132. 3 1 Calender S. 114. 3 2 Sudelbücher K 402. 3 3 Sudelbücher K 402. 3 4 Der Astronom. Jahresbericht, Berlin, 1912, verzeichnet für das Jahr 1910 mehr als 50 Arbeiten, die sich mit dem Schweifdurchgang beschäftigen. Außer einigen atmosphärischen Besonderheiten, die jedoch auch zu anderen Zeiten beobachtet wurden, werden keine besonderen Vorkommnisse registriert. 3 5 Calender S. 116. 3 6 z. B. im Brief an Karl Friedrich Hindenburg, Göttingen, 10. Mai 1774, Briefe S. 875, 655. 3 7 Sudelbücher J2038. 3 8 Calender S. 117. 3 9 Calender S. 119. 4 0 Ludwig Biermann, Kometenschweife und solare Korpuskularstrahlung, in Zeitschrift für Astrophysik Bd. 29, 1951, S. 274. 4 1 Sudelbücher J2039, ähnlich auch in J1604. 4 2 Wenn ein Komet erscheint, so gilt die landläufige Meinung, daß ein Regierungswechsel bevorsteht. Briefe S. 841 (631. An Friedrich Heinrich Jacobi, Göttingen, 6. Februar 1793) und S. 843 (632. An Heinrich Wilhelm Matthias Olbers, Göttingen, 8. Februar 1793). 4 3 Anzeigen S. 37. 18 19 68 Calender S. 123. Sudelbücher D 404. 4 6 Calender S. 124. 4 7 W. Whistons Buch, das zwischen 1696 und 1737 allein in England 5 Auflagen erreichte, geht offensichtlich auf eine zunächst unveröffentlichte Schrift E. Halleys für die Royal Society in London, 1694, zurück wie uns W. Olbers berichtet , siehe Anm. 53. 4 8 Anzeigen S. 38. 4 9 Calender S. 133. 5 0 Uber das Auftreten Lalandes beim Astronomenkongreß 1798 in Gotha vgl. P. Brosche in Photorin Heft 5, 1982, S. 38. 5 1 Bezgl. du Séjour siehe Anm. 16; dieses und die folgenden Lichtenberg-Zitate stammen aus den Schlußabschnitten von Calender und Anzeigen. 5 2 Siehe z. B. L. Kresâk, in Asteroids, hrsg. von T. Gehreis, University of Arizona Press, Tucson, 1979, S. 289 und Z. Sekanina und D. K. Yeomans, Close encounters and collisions of comets with the earth, in Astron. Journal Bd. 89, 1984, S. 154. 5 3 W. Olbers, Ueber die Möglichkeit, dass ein Komet mit der Erde zusammenstossen könne, in Monatl. Korrespondenz, Bd. 22, 1810, S. 409; Nachdruck in: Wilhelm Olbers, sein Leben und seine Werke, hrsg. von C. Schilling, Bd. 1, Berlin, 1894, S. 92; siehe insbesondere S. 113, Anm. 2 (Aussterben von Tiergattungen) und S. 93, Anm. 2 (Halleys Ideen). 5 4 Calender S. 127. 5 5 Anzeigen S. 38. 5 6 Siehe z. B. P. Veron, Is comet Halley really dangerous? In: Proc. ESO Workshop on „The need for coordinated groundbased observations of Halley's comet", Garching 1982, S. 5. 5 7 „Evolution durch kosmischen Gen-Import" lautet der Titel eines Aufsatzes von F. Hoyle in: Die Sterne Bd. 61, 1985, S. 342; siehe auch den Artikel und das Interview mit F. Hoyle in: Bild der Wissenschaft Bd. 19, 1982, Heft 1. 5 8 Sudelbücher J 1658. 44 45