Wissenswert

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Hessischer Rundfunk
hr2-kultur
Redaktion: Dr. Regina Oehler
Wissenswert
Darwins Orchideen (1)
Schätze aus den Tropen
Von Diemut Klärner
Montag, 24.08.2009, 08.30 Uhr, hr2-kultur
Sprecherin: Dagmar Fulle
Zitator: Jochen Nix
09-098
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Exotische Farben und elegante, extravagante Formen, das gilt als typisch für die Blüten
tropischer Orchideen. Doch nicht alle schmücken sich so prächtig. In den Gewächshäusern
Botanischer Gärten finden sich auch Orchideen, die wenig spektakulär wirken. Dr. Michael
Schwerdtfeger vom Botanischen Garten der Universität Göttingen:
O-Ton 01 Michael Schwerdtfeger
Viele von diesen Arten sind wirklich kleine, winzig kleine Pflänzchen mit winzigen
Blüten, wo man also im Grunde nur mit Lupe oder mit Makroobjektiv den Aufbau als
Orchideenblüte erkennen kann.
Wer solche Gewächse fachkundig unter die Lupe nimmt, erkennt sofort das
Orchideentypische:
O-Ton 02 Michael Schwerdtfeger
Das Kriterium, was ist eine Orchidee, ist also nicht die Schönheit und die Größe der
Blüte, sondern der Aufbau. Sie haben sechs Blütenblätter, und eins von diesen sechs
ist als Lippe besonders hervorgehoben. Und daran erkennt man im Grunde
genommen, wenn man ein bisschen das Auge dafür hat, jede Orchidee, egal ob eine
riesige Cattleya mit einem Durchmesser von 20 Zentimeter die Blüte oder eine winzig
kleine, ein Zweiblatt in unseren heimischen Wäldern, wo der normale Mensch gar nicht
vermuten würde, dass das zu den Orchideen gehört.
Die Zweiblatt-Blüten sind nämlich nicht nur klein. Sie sind auch ebenso grün wie die beiden
Blätter, denen das Zweiblatt seinen Namen verdankt. Kein Wunder, dass diese Orchidee
wenig bekannt ist, obwohl sie hierzulande zu den häufigsten zählt. Auf mageren Wiesen
wächst sie ebenso wie an Hecken und in Wäldern.
Die kleinen Käfer, Schlupfwespen und Blattwespen, die das Zweiblatt dort besuchen, werden
von Duftstoffen angelockt. Wenn sie auf der unscheinbaren Blüte gelandet sind, finden sie auf
einem der sechs Blütenblätter, der so genannten Lippe, eine Nektardrüse. Während die
Insekten dort Nektar trinken, bleibt oft Blütenstaub an ihrem Körper hängen. Damit können sie
dann die nächste Blüte bestäuben. Dass die Orchideen ihren Blütenstaub meist raffiniert
verpacken, war schon Charles Darwin aufgefallen.
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Zitat Charles Darwin
“Die Pollenkörner bilden zwei birnenförmige Pakete, jedes mit einem Stiel, der in einer
klebrigen Scheibe endet. Die Pollenpakete sind in kleinen Taschen verborgen, die sich
nach vorne öffnen. Während ein Insekt so eine Blüte besucht, deckt es die klebrigen
Scheiben der Pollenpakete fast zwangsläufig auf und berührt sie. Da die Pollenpakete
damit an Kopf oder Körper festkleben, werden sie aus ihren Taschen gezerrt.”
Atmo Hummel
Das funktioniert auch mit einem gut gespitzten Bleistift. Als Darwin so ein Schreibgerät in eine
Orchideenblüte schob, blieben die beiden Pollenpakete daran kleben. Zunächst standen sie
senkrecht in die Höhe. Doch bald neigten sie sich nach vorn, in genau die richtige Position,
um mit der Narbe der nächsten Blüte in Berührung zu kommen. Was dann passiert, hat
Darwin ebenfalls studiert.
Zitat Charles Darwin
“Die Narbe ist sehr klebrig, zwar nicht so klebrig, dass sie bei Berührung das gesamte
Pollenpaket vom Kopf eines Insekts oder von der Spitze eines Bleistifts reißt. Aber sie
ist klebrig genug, um die elastischen Fäden aufzubrechen, mit denen kleine Päckchen
von Pollenkörnern zusammengebunden sind, so dass einige davon auf der Narbe
zurückbleiben. Deshalb kann ein Pollenpaket, das an einem Insekt oder einem Bleistift
befestigt ist, die Narben vieler Blüten berühren und sie alle befruchten.”
Also eine hervorragende Strategie, um den Pollen möglichst weit zu verbreiten.
Während die Blüte dann verwelkt, reifen Tausende von winzig kleinen Samen heran. Bei
manchen Orchideen sind die Samenkapseln eiförmig, bei anderen so langgestreckt wie bei
der einzigen Nutzpflanze unter den Orchideen.
O-Ton 03 Michael Schwerdtfeger
Das ist Vanilla planifolia, also die Vanille, die aus Mittelamerika stammt und dort als
Kletterpflanze wächst. Die hat also etliche meterlange Triebe, die in die Bäume
hochklettern. Angebaut wird sie heute aber auch außerhalb Amerikas, z.B. auf den
Inseln im Indischen Ozean, da gibt es große Vanilleplantagen.
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Michael Schwerdtfeger denkt da unter anderem an Madagaskar. Dorther kommt ein Großteil
der Vanillekapseln, die es hier zu kaufen gibt, sorgsam verpackt in Röhrchen aus Glas oder
Plastik. Wer die schwarzbraunen Stangen aufschneidet, um das aromatische Mark
herauszukratzen, der kann die winzigen schwarzen Samenkörner erkennen.
Die meisten Orchideen sind wie die Vanille in tropischen Wäldern zu Hause, müssen dort
aber nicht mühsam an einem Baumstamm emporklettern. Statt dessen leben sie schon als
Sämlinge in luftigen Höhen, als so genannte Epiphyten,
O-Ton 04 Michael Schwerdtfeger
also Aufsitzerpflanzen, die in den Regenwäldern oder auch in den Bergregenwäldern,
teilweise auch in den Savannen eben an den Felswänden wachsen oder direkt an den
Ästen und Zweigen der Bäume. Und da ist natürlich schwer dranzukommen gewesen.
Und sie kommen in sehr kleinen Populationen vor. Sie finden also in der Regel keine
riesigen Wiesen, sondern auf einem Baum sind dann neben Bromelien und Aronstabgewächsen auch die Orchideen versteckt. Und das hat natürlich das Sammeln dieser
Pflanzen, als man darauf noch angewiesen war, sie aus der Natur zu holen, sehr teuer
und aufwendig gemacht und die Preise entsprechend in die Höhe getrieben.
Zu Darwins Zeiten musste man für exotische Orchideen noch richtig viel Geld hinlegen. Für
Englands High Society waren dekorative Orchideenblüten ein regelrechtes Statussymbol.
Wer es sich leisten konnte, ließ prächtige Gewächshäuser bauen, ganz aus Glas und
kunstvoll verschnörkeltem Gusseisen. Um diese Prunkstücke mit tropischen Gewächsen aus
aller Welt zu füllen, wurde eine spezielle Art von Schatzsuchern engagiert.
O-Ton 05 Michael Schwerdtfeger
Und man hatte dann seine Planthunters, seine Pflanzenjäger, die im Auftrag aus
Übersee einem Orchideen schickten, möglichst solche, die der Nachbar, der genauso
reich sein wollte, nicht hatte. Und so wurden dann für einige Orchideen - aber das gilt
auch für andere tropische Pflanzen - ungeheure Summen bezahlt, mit denen man sich
dann gerühmt hat.
Charles Darwin konnte da sicher nicht mithalten. Doch vielen Zeitgenossen war es eine Ehre,
dem berühmten Naturforscher rare Studienobjekte zukommen zu lassen. So stieß Darwin auf
eine besonders merkwürdige Orchidee.
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Zitat Charles Darwin
“Angraecum sesquipedale, deren große sechsstrahlige Blüten wie Sterne von
schneeweißem Wachs aussehen, weckt die Bewunderung von Reisenden auf
Madagaskar. Ein grüner, peitschenförmiger Nektarbehälter von erstaunlicher Länge
hängt unter der Blütenlippe. Bei mehreren Blüten, die mir Mr. Bateman schickte, fand
ich Nektarbehälter, die elfeinhalb Inches lang waren. Doch nur die untersten anderthalb
Inch waren mit Nektar angefüllt. Man darf fragen, welchen Nutzen ein Nektarbehälter
hat, der so unverhältnismäßig lang ist.”
Auf diese Frage hat Darwin auch gleich eine Antwort parat.
Zitat Charles Darwin
“Auf Madagaskar muss es Nachtfalter geben, die ihren Rüssel zu einer Länge
zwischen 10 und 11 Inch ausstrecken können! Dass ich davon überzeugt bin, schien
einigen Insektenkundlern lächerlich. Doch jetzt wissen wir von Fritz Müller, dass es im
Süden von Brasilien einen Nachtfalter aus der Schwärmerfamilie gibt, dessen Rüssel
etwa die notwendige Länge hat, denn in getrocknetem Zustand ist er 10 bis 11 Inch
lang. Wenn er nicht ausgestreckt ist, wird er zu einer Spirale mit mindestens 20
Windungen aufgerollt.”
Mittlerweile wurden auch auf Madagaskar Nachtfalter entdeckt, die einen mehr als
spannenlangen Rüssel besitzen. Darwin hat das zwar nicht mehr erlebt. Doch das hinderte
ihn keineswegs daran, über die gemeinsame Evolution von Orchideen und Nachtfaltern
nachzudenken.
Zitat Charles Darwin
“Jene Angraecum-Pflanzen, die den längsten Nektarbehälter vorweisen konnten und
folglich die Nachtfalter dazu zwangen, ihren Rüssel in voller Länge hineinzustrecken,
wurden am zuverlässigsten bestäubt. Diese Pflanzen lieferten wohl die meisten
Samen, und die Sämlinge erbten gewöhnlich die langen Nektarbehälter. Das dürfte
sich über Generationen von Pflanzen und Nachfaltern so abgespielt haben. Zwischen
den Nektarbehältern von Angraecum und dem Rüssel bestimmter Nachtfalter fand
anscheinend ein Wettstreit um Längenwachstum statt. Dabei hat offenbar Angraecum
triumphiert. Sie wächst und gedeiht in den Wäldern von Madagaskar und bereitet dort
jedem Nachtfalter Verdruss, weil er seinen Rüssel so weit wie möglich vorstrecken
muss, um den letzten Nektartropfen aufsaugen zu können.”
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Für europäische Nachtfalter ist bei der Orchidee Angraecum nichts zu holen. Denn der
Rüssel dieser Falter ist bestenfalls ein paar wenige Zentimeter lang. Einige exotische
Orchideen können aber durchaus von hiesigen Insekten bestäubt werden, so zum Beispiel
die prachtvolle Cattleya aus Südamerika, deren rosa bis purpurfarbene Blüten mehr als
handtellergroß werden.
Atmo Hummel
Zitat Charles Darwin
„Dass Hummeln die Pollenpakete aufnehmen können, ist sicher. Sir W.C. Trevelyan
sandte Mr. Smith vom British Museum eine Gartenhummel, die er in seinem
Gewächshaus gefangen hatte, wo eine Cattleya blühte. Auf dem Rücken dieser
Hummel, die mir geschickt wurde, ... hafteten vier Pollenpakete, bereit, die Narbe jeder
anderen Blüte zu berühren, falls die Hummel dort eingedrungen wäre.“
Doch selbst wenn die prächtigen Blüten befruchtet worden wären, zu Darwins Zeiten hätte
man aus ihren Samen keine neuen Pflanzen heranziehen können.
Da Orchideensamen so klein sind wie ein Staubkorn, enthalten sie viel zu wenig Nährstoffe,
um aus eigener Kraft keimen zu können. Sie sind auf Pilzfäden angewiesen, die ihnen die
nötigen Nährstoffe liefern. Die Samen der Orchideen müssen also zunächst auf passende
Pilze stoßen und eine gedeihliche Zusammenarbeit beginnen. Nur mit solch einer Starthilfe
kann sich aus dem winzigen Samenkorn eine neue Orchidee entwickeln. Wer Orchideen
züchten will, muss die Zusammenarbeit zwischen den Samen und bestimmten Pilzfäden
gezielt in Gang bringen. Bei einigen wenigen Orchideenarten ist dieses Kunststück gelungen.
Und mittlerweile haben die Pflanzenzüchter einen noch raffinierteren Trick gefunden, um
tropische Orchideen großzuziehen.
Michael Schwerdtfeger
O-Ton 06 Michael Schwerdtfeger
Das, was der Pilz diesen winzigen Samen bietet, das tut man in einen sterilen
Nährboden. Diesem Nährboden entnimmt der kleine Samen dann alles, was ihm in der
Natur der Pilz bieten würde.
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Mit den Orchideen aus dem Blumengeschäft haben unsere einheimischen Orchideen so
wenig Ähnlichkeit, dass sie oft gar nicht als Orchideen erkannt werden. Bei den Arten, die
hierzulande in Wald und Wiesen wachsen, sind die einzelnen Blüten häufig nicht größer als
ein Fingernagel. Ein Blütenstand mit vielen kleinen Blüten kann aber durchaus etwas
hermachen, zumal bei attraktiven Farbtönen wie Rosa oder Purpurrot. Gegenüber
gärtnerischen Ambitionen erwiesen sich einheimische Orchideen allerdings als
ausgesprochen widerspenstig. Ihre Wurzeln sind nämlich zeitlebens auf eine enge
Zusammenarbeit mit bestimmten Pilzen angewiesen. Um einige Arten dennoch
heranzuziehen, mussten findige Gärtner noch länger herumknobeln als bei den gängigen
tropischen Orchideen. Erfolgreich waren sie schließlich bei rotviolett blühenden
Knabenkräutern, die mancherorts auf feuchten Wiesen wachsen.
O-Ton 07 Michael Schwerdtfeger
In Spezialgärtnereien – für einen eigentlich ganz ansehnlichen Betrag allerdings – kann
man die im Topf kaufen und kann sie in den Garten setzen, und in der Regel halten sie
sich da auch. Aber es sei davor gewarnt, sie draußen auszugraben – es ist, wie
gesagt, erstens verboten, sie stehen unter Naturschutz. Und zweitens gelingt es in der
Regel nicht, weil dieses komplizierte Zusammenleben mit dem Wurzelpilz sich in der
Regel nicht verpflanzen lässt.
In ihrer ersten Lebensphase lassen sich diese Orchideen von ihren hilfreichen Pilzen rundum
versorgen.
O-Ton 08 Michael Schwerdtfeger
Und es gibt andere, die zeitlebens nur von ihrem Pilz leben, die teilweise überhaupt
kein Blattgrün haben – und die kann man natürlich überhaupt nicht verpflanzen – die
Vogelnestwurz z.B., Neottia nidus-avis, die man eigentlich relativ häufig in unseren
Wäldern finden kann.
Aber leicht übersieht. Die Blüten dieser Orchidee sind nämlich ebenso hellbraun wie der
Stängel und die kümmerlich kleinen Blätter. Die gesamte Pflanze ist also ganz ähnlich gefärbt
wie das trockene Laub auf dem Waldboden.
Atmo Buchenwald mit Buchfink
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Weil die Nestwurz kein Blattgrün bildet, kann sie keine Photosynthese betreiben. Sie lässt
sich vollständig von dem Pilzgeflecht an ihren Wurzeln ernähren.
Andere Orchideen des Waldes haben grünes Laub, können also mit Hilfe von Sonnenlicht
organische Substanz produzieren. Die Produktion ist allerdings oft mager, weil die Orchideen
im Schatten der Bäume wachsen. Einige lassen sich deshalb ein Zubrot liefern. Von dem
Pilzgeflecht, das ihre Wurzelspitzen umhüllt, beziehen sie Kohlehydrate. Indirekt zapfen sie
dabei die Bäume an, mit denen die Pilzfäden ebenfalls in Kontakt stehen.
Solche Orchideen kann man zwar nicht verpflanzen. In Darwins Garten ist eine aber ganz von
selbst aufgetaucht.
Zitat Charles Darwin
“Mein Gärtner und ich erinnern uns deutlich, dass aus einem festen Kiesweg dicht bei
meinem Haus vor 5 oder 6 Jahren zwei kleine rötliche Blattrosetten emporwuchsen.
Keiner von uns wusste, was für Pflanzen das waren. Sie wurden bald niedergetreten
und scheinbar vernichtet. Doch in diesem Frühjahr sind sie an genau derselben Stelle
wieder zum Vorschein gekommen und wurden geschützt. Nun haben sie geblüht und
sich als Epipactis latifolia entpuppt.“
Also als Breitblättrige Stendelwurz. Vermutlich ist ihr staubfeiner Samen von weither in
Darwins Garten geflogen und unter dem Kiesweg zufällig auf einen passenden Pilz gestoßen.
Mit seiner Hilfe konnte die Orchidee dann langsam heranwachsen. Als ihre Sprossen zum
zweiten Mal ans Licht kamen, durften sie sich ungehindert entfalten, mit breiten grünen
Blättern und unscheinbar grünlichen Blüten.
Zitat Charles Darwin
“Die hohen Stängel, die mitten aus einer kahlen Kiesfläche emporwuchsen, boten
einen seltsamen Anblick, und dieser Vorfall erscheint mir einzigartig.”
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