Wettbewerb um die Kleinen und Mittelgrossen

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Wettbewerb um die Kleinen
und Mittelgrossen
Der Konkurrenzkampf unter den Gemeinden um Unternehmen wird härter. Viele Exekutiven kommen nicht mehr um eine Wirtschafts- oder Standortförderung herum. Vor allem KMU-Betriebe gelten heute als attraktiv, weil sie – im Gegensatz zu Grosskonzernen – das Klumpenrisiko vermindern. Die «Schweizer Gemeinde» hat sich in der Region Härkingen erkundigt, wie sie Standortmarketing betreibt.
Wer an Härkingen denkt, denkt – Radio
sei Dank – nicht selten an Stau. Die Autobahn A1 in der Region Härkingen wird
fast täglich in den Verkehrsmeldungen
der Radiostationen im Zusammenhang
mit Staus und anderen Verkehrsbehinderungen genannt. «Verkehrstechnisch gesehen liegt Härkingen gerade für KMUBetriebe optimal», freut sich Gemeindepräsident Daniel Nützi, relativiert die Situation jedoch gleichzeitig: «Doch unsere
Verkehrsgunst schlägt sich leider auch
negativ auf das Image unserer Gemeinde
nieder, die vor allem mit Staus in Verbindung gebracht wird.» Probleme, neue
Unternehmen für das Gewerbe- und Industriegebiet von Härkingen zu finden,
hat die Gemeinde kaum. «Wir erhalten
immer wieder Anfragen von Firmen, die
sich bei uns ansiedeln wollen», berichtet
Nützi. Die 1400-Einwohner-Gemeinde
verfügt derzeit über rund 2100 Arbeitsplätze. Ein Grossteil davon stammt aus
dem Paketpost- und Briefpostcenter. Einfluss auf die Zusammensetzung des Firmenmix kann der Gemeinderat nur beschränkt nehmen. «Wenn die Gemeinde
nicht selber Eigentümerin einer Industrieoder Gewerbelandparzelle ist, können
wir lediglich im Rahmen der Nutzungsplanung gewisse Kriterien festlegen, um
z.B. die Niederlassung eines Einkaufszentrums mit viel Individualverkehr zu verhindern», erklärt der Gemeindepräsident.
Industrie und Gewerbe ja –
aber zu bestimmten Bedingungen
Letztes Jahr schloss der Gemeinderat
von Härkingen allerdings ein Projekt ab,
bei dem er aktiv mitbestimmen konnte,
welche Betriebe sich im Gewerbegebiet
ansiedeln dürfen. Ein 25 000 Quadratmeter grosses Grundstück der Einwohnergemeinde und der Bürgergemeinde
wurde zwischen 2007 und 2012 als Gewerbezone ausgeschrieben. Dazu erstellten die beiden Gemeinden ein Leitbild. Dieses sah z.B. vor, das Land nur
an Betriebe mit einer hohen Wertschöpfung zu verkaufen. «Wir wollten eine
hohe Arbeitsplatzdichte pro Quadrat28
Die Verkehrsanbindung ist für Gewerbe- und Industrieunternehmen entscheidend: Die Lage
der Gemeinde Härkingen ist diesbezüglich optimal.
Bilder: Fabrice Müller
meter erreichen. Zudem sollen die
neuen Betriebe zum bestehenden Gewerbe passen und Lernende ausbilden», erläutert Nützi. Inzwischen haben
einige KMU-Betriebe aus unterschiedlichen Branchen in Härkingen einen
neuen Standort gefunden. Demnächst
wird sich der Gemeinderat im Rahmen
der bevorstehenden neuen Legislaturperiode mit der Ortsplanung befassen.
Neue Gewerbe- und Industrieflächen
sollen ausgeschieden werden, wie Nützi
informiert. Dabei sucht Härkingen bewusst die Zusammenarbeit mit den vier
umliegenden Gemeinden und dem
Kanton. Denn: «Bei diesem Projekt geht
es darum, unsere Standortgunst zu nutzen, aber zu verhindern, dass jede Gemeinde nur für sich schaut. Wir wollen
die Landflächen verkehrs- und siedlungstechnisch sinnvoll einsetzen», so
Nützi. Auf jeden Fall möchten die Verantwortlichen verhindern, dass die bisher vom Industrie- und Gewerbegebiet
getrennten Siedlungsflächen künftig
vom Verkehr der Betriebe tangiert werden. Der ländliche Charakter der Ge-
meinden soll erhalten bleiben. Aus diesem Grund wollen die fünf involvierten
Gemeinden das Projekt weiter konkretisieren.
Härterer Konkurrenzkampf
unter den Gemeinden
Nicht alle Gemeinden buhlten um die
Gunst von KMU-Betrieben, erläutert
Urs Blaser, Präsident der Vereinigung
Stadtmarketing Schweiz. «Je nach der
strategischen Ausrichtung einer Gemeinde setzen die einen z.B. vor allem
auf das Wohnen, andere auf Unternehmen, und wieder andere streben eine
möglichst optimale Mischform zwischen Wohnen und Arbeiten an. Für
jede Gemeinde ist es grundsätzlich
wichtig, eine eigene Positionierung zu
finden.» KMU-Betriebe seien in der Regel ein wichtiger Bestandteil in der
strukturellen Zusammensetzung einer
Gemeinde, betont Blaser (siehe auch
Interview). Mit der Ansiedelung von
mehreren Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen könne das
Klumpenrisiko für den Fall einer branSchweizer Gemeinde 6/13
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chenspezifischen Konjunkturschwäche
reduziert werden. Weil der Konkurrenzkampf unter den Gemeinden um Unternehmen und somit auch um Steuerzahler immer härter geworden ist,
kommen viele Exekutiven nicht mehr
um eine Wirtschafts- bzw. Standortförderung mehr herum.
«Die Industriebetreuung gehört als
Aufgabe in das Pflichtenheft eines Mitgliedes des Gemeinde- oder Stadtrates», empfiehlt Arnold Kappler von
Kappler Management AG in Hedingen.
Bei nicht professionellen Behörden sei
es allerdings sehr selten, dass ein Gemeinderat über die notwendige Zeit wie
auch über profunde Industriekenntnisse verfügte. Ihm müsse daher in
dieser Aufgabe eine externe Unterstützung oder Beratung gewährt werden.
Kommission oder
externer Berater?
Laut Kappler bieten sich demnach zwei
Möglichkeiten an, Standortmarketing
zu betreiben: Die Gemeinde ruft eine
Wirtschaftskommission mit neutralen
Wirtschaftsfachleuten und Behördenmitgliedern ins Leben. Oder sie ernennt
einen neutralen Fachmann als Mitarbeiter und Berater für die Industriebetreuung im Auftrag des Gemeinderates.
«Beide Lösungen haben Vor- und Nachteile», gibt Kappler zu bedenken: «Die
Kommissionslösung ist relativ schwerfällig. In kleineren Gemeinden dürfte zudem die Rekrutierung einer derartigen
Kommission Schwierigkeiten bereiten.»
Die Einmann-Beraterlösung könne indes zu Interessenkonflikten beim Berater führen. «Sie ist tauglich und zweck-
mässig, wenn der Berater nicht nur ein
guter Industriefachmann ist, sondern
auch keinerlei Bindungen und Abhängigkeiten zu den lokalen Industrieunternehmen aufweist.»
Was bringt das Standortmarketing
für die Gemeinden?
Eine systematische Industriebetreuung
erfordert laut Kappler von den Behörden einen gewissen Aufwand an Zeit
und Kosten für den Beizug eines Beraters oder einer beratenden Kommission. Demgegenüber stehen als Nutzen
die erhöhte Effizienz einer kommunalen
Wirtschaftspolitik und das nicht zu unterschätzende Potenzial einer Wirtschaft
bei der aktiven Mitarbeit zur Lösung von
Gemeindeproblemen. Ein Stadt- oder
Ortsmarketing sollte das Image einer
«Der direkte Kontakt ist massgebend»
Wie können Gemeinden KMU-Betriebe anziehen? Gespräch mit Urs Blaser, Präsident der Vereinigung Stadtmarketing Schweiz.
Wann ist eine Gemeinde für KMU-Betriebe attraktiv?
Urs Blaser: Der Standort der Gemeinde muss für die jeweilige Branche
und den KMU-Betrieb stimmen. So
kann es für einen Betrieb wichtig sein,
gesehen zu werden oder gut erreichbar zu sein. Auch die Rekrutierung von
Mitarbeitenden ist oft ein wichtiges
Kriterium. Weiter braucht es das richtige Terrain oder das Gebäude, in dem
das Unternehmen rentabel und effizient arbeiten kann. Und schliesslich
wollen die Unternehmen von den Gemeinden eine gewisse aktive Unterstützung sowie deren Strategie spüren. Die Verwaltungen müssen KMUfreundlich sein und mit modernen Instrumenten arbeiten. Deshalb ist es
wichtig, dass die Gemeinden Brücken
schlagen zu den KMU-Betrieben und
den Puls der Wirtschaft spüren.
Und was ist mit den Steuern?
Das Steuersubstrat spielt natürlich
auch eine Rolle, doch das steht heute
meist nicht im Vordergrund. Die anderen Faktoren geniessen bei einem
Grossteil der Firmen eine grössere Bedeutung.
Wie hat sich die Bedeutung des Standortmarketings in den letzten Jahren
verändert?
Der direkte Kontakt zu den Firmen ist
heute massgebend. Während früher
Gemeinden gegenüber den Unternehmen oftmals noch anonym agieren
Schweizer Gemeinde 6/13
und kommunizieren konnten, geht es
heute kaum noch ohne einen direkten
Draht zwischen Gemeinden und Wirtschaft, um schnell auf Veränderungen
reagieren zu können.
Wie wirken sich diese Veränderungen
auf das Standortmarketing in den Gemeinden aus?
Für die Gemeinden ist es schwieriger
geworden, für Unternehmen attraktiv
zu sein. Denn sie stehen im Wettbewerb mit anderen Gemeinden und Regionen. Deshalb lohnt es sich, das
Standortmarketing regional und kantonal zu betreiben. Eine Gemeinde
allein hat hier im regionalen und nationalen Kontext wenige Einflussmöglichkeiten.
Was können kleinere und abgelegene
Gemeinden tun, um für KMU-Betriebe
attraktiv zu werden?
Sie müssen sich zuerst ihrer Stärken
und Schwächen bewusst werden und
ein eigenes Profil erstellen. Die einen
profilieren sich aufgrund ihres Standortes eher als Wohngemeinde, die
anderen konzentrieren sich z.B. auf
das regionale Gewerbe, sofern sie
über genügend Industrieland verfügen. Auch die Nähe zu den Verkehrsströmen spielt hier eine Rolle. Wichtig
erscheint mir, sich nicht nur auf das
Land zu fokussieren. Vielmehr gilt
es, die Vorteile und Nutzen der Gemeinde für die Unternehmen aufzuzeigen. Gerade kleinere Gemeinden mit
Urs Blaser, Präsident der Vereinigung
Stadtmarketing Schweiz.
Bild: zvg
wenig Land oder einer eher dezentralen
Lage könnten sich bspw. bewusst an
kleinere Gewerbebetriebe im Dienstleistungs-, Beratungs- und Kreativbereich richten.
Mit welcher Entwicklung im Standortmarketing rechnen Sie?
Die Tendenz geht klar in Richtung regionales Standortmarketing mit dem
Ziel, kurz- und mittelfristige Aktivitäten
zur Förderung der Region als Wirtschafts- und Wohnstandort durchzuführen.
Interview Fabrice Müller
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Gemeinde bzw. Stadt verbessern oder
steigern. Gleichzeitig geht es um eine
Positionierung als einzigartiger und unverwechselbarer Standort nach aussen.
Innerhalb der Gemeinde soll das Standortmarketing die Lebens-, Wohn-, Freizeit- Aufenthalts- und Wirtschaftsqualität steigern. Das Standortmarketing
strebt mehr Kaufkraft, Kunden- und
Gästebindung an. Arbeitsplätze sollen
gehalten und gezielt geschaffen werden. Und schliesslich möchte die Gemeinde mehr Steuereinnahmen durch
florierende Betriebe erzielen.
Strukturwandel
als Herausforderung
Auch die Stadt Aarau profitiert von ihren
hervorragenden Verkehrsanbindungen
oder der zentralen Lage, wie Andreas
Burri, Leiter Wirtschaftsfachstelle, betont. So wurden in der Kantonshauptstadt letztes Jahr 95 Unternehmen neu
gegründet, 26 Firmen sind hinzu-, 13
weggezogen. Insgesamt gibt es in
Aarau zurzeit 1700 Firmen mit rund
28 000 Beschäftigten. Ein Grossteil der
Betriebe sind gemäss Burri KMU. «Wir
legen einen besonderen Wert auf die
Beziehungspflege mit KMU-Betrieben»,
so Burri. Die Kontakte werden einerseits
30
In der 1400-Einwohner-Gemeinde Härkingen gibt es derzeit über 2100 Arbeitsplätze – der Einfluss der Gemeinde auf die Zusammensetzung des Firmenmix ist beschränkt.
über die verschiedenen Verbände, andererseits aber auch bilateral gepflegt. Im
Kern des Aarauer Stadtmarketings steht
eine «aktive Partnerschaft mit den Unternehmen». Regelmässige Gespräche,
Workshops und Unternehmensforen
schaffen Plattformen für bestimmte
Themen. Als Herausforderung des
Stadtmarketings bezeichnet Burri unter
anderem den Wettbewerb gegen grosse
Zentren und die Verlagerung des Detail-
handels aus der Altstadt in die Einkaufszentren der Peripherie. «Um diesem
Trend entgegenzuwirken, hat die Stadt
unter Einbezug aller Interessenvertreter
ein Projekt gestartet, damit die mittelbis langfristige Entwicklung der Altstadt
diskutiert und entsprechende Massnahmen ergriffen werden können», informiert Burri.
Fabrice Müller
Schweizer Gemeinde 6/13
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