Zur Erinnerung - Aktives Museum Spiegelgasse

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Zur Erinnerung
an Hermann und Mirjam Still und ihre Kinder Sonja und Alexander
Hermann Still, geb. am 18. Januar 1891
in Tymbark, Galizien, kam mit seiner Ehefrau Maria, geb. am 26. Oktober 1893,
aus Litauen nach 4½jähriger russischer
Kriegsgefangenenschaft Ende 1920 nach
Wiesbaden und ist ab 1921 in den Steuerlisten erfasst. Aber neben seinem Vater
Schachna und seinem Bruder Salomon
wurde er schon 1909 als in Wiesbaden
ansässiger jüdischer Pole geführt und
erscheint sogar in einer Liste jüdischer
Schüler der Blücherschule aus dem Jahr
1902.
Zunächst arbeitete er im Altwarengeschäft (Flaschenhandel und Rohprodukte)
seines Vaters mit. Später bezeichnete er
sich in Steuererklärungen als Kaufmann,
Geschäftsführer, Handelsvertreter, Althändler, auch Zigarettenfabrikant
(Fa. JOESTI Joel+Still), was zeigt, wie
unsicher seine Stellung war. Seine Ehefrau Maria/Mirjam, auch Marianne in
den Steuerunterlagen, betrieb ab 1926
ein Bekleidungs- und Wäschegeschäft mit
Hermann als Geschäftsführer, zunächst in
einem Laden in der Rheinstraße 101, für
Miriam, Hermann und Sonja Still
dessen Einrichtung und Warenausstatca. 1926/27
tung die Stills erhebliche Kredite auf©Foto Yad Vashem
nahmen, bis sie das Geschäft aufgeben
mussten, da die Zinsbelastung zu hoch
war. Den Wäschehandel setzten sie in ihrer neuen Wohnung am Blücherplatz 4
als Etagenhandel fort, wobei zwei ihrer vier Zimmer mit Verkaufstischen und
Warenlager dem Geschäft dienten.
Im Frühjahr 1932 zogen sie in die Oestricher Str. 6 um. Wegen des schwierigen
Geschäftsganges bei Ratenhandel und beginnender Wirtschaftskrise blieb
Hermann Still mehrfach Umsatz- und Einkommenssteuern schuldig und
musste den Offenbarungseid leisten, obwohl er seine gesamte Wohnungseinrichtung verpfändet hatte. Die Situation war so belastend, dass die Stills sich
entschlossen, im August 1933 nach Amsterdam zu gehen. Dort waren die
Eltern Inhaber einer kleinen Pension in der Nieuwe Kerkstraat 119.
Ihre Tochter Sonja, geb. am 22. Dezember 1921, besuchte nach der Grundschule das Städtische Oberlyzeum Wiesbaden, die heutige Elly-Heuss-Schule.
Sie erzielte in dem einen Jahr von Ostern 1932 bis zum Austritt am 19. Juli
1933 gute Leistungen und war ein lebhaftes Kind. Besonders ihr Klavierspiel
wurde gelobt. In Amsterdam besuchte sie eine Oberschule und anschließend
das Konservatorium; ab 1942 arbeitete sie als Lehrerin, offenbar an einer
jüdischen Schule.
Die Familie Still wurde am 26. Mai 1943
im Durchgangslager Westerbork festgesetzt. Hermann war, wie es scheint, als
Koch im Lager beschäftigt; Sonja vermutlich als Lehrerin an der jüdischen Schule.
Ihr Bruder Alexander, Jahrgang 1931,
muss zur Zeit der Internierung schulpflichtiger Schüler an der Lagerschule gewesen
sein. Am 8. Februar 1944 wurden sie alle
Waggonschild von einem der 93 Züge,
die jeden Dienstag vom Lager Westerbork
nach Auschwitz abtransportiert und nach
zu den Konzentrationslagern
dreitägiger Fahrt im Viehwaggon schon
in Osteuropa fuhren
am 11. Februar 1944 ermordet.
©Foto Gedenkstätte Kamp Westerbork
Westerbork
Mit der zunehmenden Zahl der
ausländischen (meist jüdischen)
Flüchtlinge in den Niederlanden richtete die niederländische Verwaltung 1939 das
"Zentrale Flüchtlingslager Westerbork" ein.
Nach der Besetzung des Landes
durch die deutsche Wehrmacht
1940 wurde auch hier die nationalsozialistische Judenpolitik
eingeführt, und die Juden wurden verfolgt und ausgegrenzt,
nachdem 1941 ihre Registrierung befohlen worden war. Einschränkungen ihrer Rechte wie
in Deutschland folgten: Schulbesuch für jüdische Kinder nur
an jüdischen Schulen, Verbot
öffentliche Gebäude zu betreten, eingeschränktes Versammlungsrecht.
Ab 1941 wurden die Deportationen aus den Niederlanden
vorbereitet mit der Enteignung
jüdischen Eigentums und fortschreitender Arisierung. Ab 3.
Mai 1942 wurde das Tragen
des Judensterns verpflichtend.
Im Juli 1942 ging das Lager als
"Polizeiliches Judendurchgangslager Westerbork" in die Hände
der Sicherheitspolizei und des
Sicherheitsdienstes über, und
die Deportationen begannen.
Der erste Transport ging am
15. Juli 1942 nach Auschwitz.
Bis zum 13. Sept.1944 fuhren 93 weitere Deportationszüge fast fahrplanmäßig nach
Auschwitz, Sobibor, Theresienstadt und Bergen-Belsen.
Über lange Zeit wurde den
Häftlingen eine gewisse Alltagsnormalität vorgetäuscht, um sie
auch bei Deportationen ruhig
zu halten. So gab es neben
der Selbstverwaltung der Häftlinge auch Schulen (mit Schulpflicht für Kinder bis zum 15.
Lebensjahr) und verschiedene
kulturelle und sportliche Veranstaltungen. Die Juden, die eine
Arbeit fanden, wurden nicht
sofort abtransportiert.
März 2015
H.C.
Patenschaft für das Erinnerungsblatt:
Kollegium der Elly-Heuss-Schule
© Aktives Museum Spiegelgasse
© Stadtarchiv Wiesbaden StadtA Sch 22/80
Zeugnisblatt für Sonja Still
© HHStAW Abt.II-52-1924-01
© HHStAW Abt. 685 782a
Auszug aus der Umsatzsteuererklärung
im März 1927
Eintrag im Wiesbadener
Adressbuch von 1924
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