070236 VO Mittelalter 2 (ca. 1200 – 1500) SS 2012 Manfred Pittioni 19.04.21012 Byzanz, die arabische Welt und das Ende der Kreuzzüge 1. Historischer Abriss von 476 bis 1453 476 bis 610: Fortsetzung des Römischen Reiches. Vollendung des Imperium Romanum. Kaiser Konstantin - Edikt von Mailand 313. Byzanz wird 324 neue Hauptstadt. 325 erstes ökumenisches Konzil in Nikäa. Das Zwischenspiel des Julian Apostata. Kaiser Justinian – Rückeroberung Italiens, Codex iuris civilis zwischen 312 und 437. Im Jahr 529 wird der Codex Justinianus veröffentlicht. Ein Beispiel für eine Struktur, die bis in unsere Tage hineinreicht. 610 bis 711: Kriege gegen die sassanidischen Perser und die Awaren (626 vor den Toren der Hauptstadt), Auftreten der Araber (Zerstörung des Sassanidenreiches 636 bis 644). Die Truppen des Kalifen erobern Syrien, Nordafrika, Mesopotamien und stoßen 674 bis Byzanz vor. 680 dringen die Bulgaren ins Gebiet der unteren Donau vor. Araber belassen byzantinische Strukturen der Verwaltung, Religion und Wissenschaften. Die Herrschaft der Omayyaden in Damaskus wird von Historikern gerne als „Neubyzantinisches Imperium“ bezeichnet. Unter den Abbasiden ab 750 Beginn der Übersetzung griechischer Schriften ins Arabische, Zentrum Bagdad. Übersetzer konvertierte Griechen aus der Schule von Alexandria. Bekanntester Hunayn Ibn Ishaq, genannt Johannitius, übersetzte medizinische, naturwissenschaftliche und philosophische Schriften. Damit Tradierung der hellenistischen Kultur. 711 bis 843: Innere Krisen, Ikonoklastenstreit. Parallelen zu islamischen und zum jüdischen Bilderverbot. Ebenfalls Beispiel für ein immer wiederkehrendes Phänomen. Auch ein Mittel zur inneren politischen Festigung Dynastie der Isaurier (Leon III, wehrt arabische Belagerung von Konstantinopel 717 – 718 ab). 843 bis 1025: Erneute Blütezeit des Reichs. Makedonische Dynastie (Kaiser Basileios I. und Leon VI.) Abwehr der Araber und Eroberung Bulgariens. Slawen durchdringen den Balkanraum, aber Byzantiner können Griechenland halten. 860 unerwarteter maritimer Angriff der Russen auf Byzanz. (Rus aus Kiew). Bedeutende strategische Rolle des Schwarzen Meeres. Hervorragendster Kopf der Byzantiner war Photius, Patriarch von Konstantinopel (um 810 860). Sein Erfolg war es, die Slawen zum Orthodoxen Christentum zu bekehren. daneben war er ein Erneuerer des griechischen Kulturerbes. Auf dem Papier, das von den Arabern importiert wurde, konnte man die alten klassischen Texte niederschreiben. Dazu kam, dass man die Minuskelschrift verwendete, die mehr Text erlaubte. Praktisch das gesamte antike Erbe wurde in dieser Zeit wieder festgehalten. Photius war auch der Mann, der die Slawenmission durch die Personen des Cyrillus und Methodius vorantrieb. Sprache war altes Kirchenslawisch in glagolithischer Schrift. Sie missionierten auch im Gebiet des heutigen Mähren. Unter Nikephorus Phokas 960 Eroberung Kretas und Syriens. Höhepunkt der Macht unter Basileios II. um 1000. 1025 bis 1081: Herrschaft des Beamtenadels. Epoche einer inneren Ermüdung. Trennung von West- und Ostkirche 1054. (Großes Schisma). Teilung der Mediterrannée in Lateiner und Griechen. Aber auch Spaltung der Slawen: Polen, Kroaten, Tschechen und Slowenen schauen nach Westen, die Balkanländer nach Osten. Reduktion des militärischen Potentials. Katastrophe von Mantzikert 1071. Kaiser Romanos IV. wird von dem Seldschukensultan Alp Arslan gefangen genommen. Islam setzt sich in Mittleren Osten fest. 1081 bis1204: Herrschaft des Militäradels. Wiederaufbauversuch des Reiches durch Alexios I. Komnenos. Beginn der Konflikte mit Venedig und den Kreuzfahrern. Ansturm der Normannen, Petschenegen und Serben. 1204 bis 1282: Lateinerherrschaft. Dominanz Venedigs (Doge Enrico Dandolo). Balduin von Flandern wird zum Kaiser gekrönt und der Venezianer Thomas Morosini wird Patriarch. Weiterbestehen des byzantinischen Reiches von Nikäa und von Trapezunt. 1223 bis 1242 fand im Hintergrund der Mongolensturm statt, der das russische Reich zerstörte. Dabei kam es zum Pakt der Byzantiner mit den Genuesen und der Goldenen Horde zur Wahrung politischer und wirtschaftlicher Interessen im Schwarzmeerraum. Ein wichtiges Phänomen, das Byzanz viel an Substanz und Einfluss kostete: der Kampf der beiden maritimen Großmächte Venedig und Genua, der um die Dominanz im östlichen Mittelmeerhandel ging. Dabei wurde um Handelsniederlassungen, Privilegien bei den Zöllen und Abgaben und die Beherrschung verschiedener Handelssparten gestritten. Es ging um Getreide, Sklaven, Seide, Pfeffer und andere Gewürze, um die Anbindung an den Indienhandel und die Seidenstraße. Ein Phänomen wäre festzuhalten: die Macht der oströmischen Kaiser war einmal groß, dann wieder schwach, aber die Macht der Kirche war fast immer vorhanden und behielt ihre Ausstrahlung. Dies war besonders unter der Mongolenherrschaft wichtig. neben dem Prestige der Kirche waren auch ihre organisatorischen Strukturen gut ausgebildet. Das System der befestigten Klöster um Moskau herum erfüllte mehrere Funktionen – strategische, staatliche und kulturelle. Die Klöster blieben oft auch in Zeiten wirtschaftlicher und politischer Schwäche wohlhabend. 1282 bis 1453: Verfall und Untergang. 1261 Wiedereroberung Konstantinopels durch Michael VIII. Paläologus aus Nikäa mit Hilfe der Genuesen. Vertrag von Nymphäon. Der Handel des Schwarzen Meeres in Händen der Genuesen, die umfassende wirtschaftliche Privilegien erhalten. Byzanz nur mehr ein Kleinstaat. In Anatolien steigen nach den Rumseldschuken die Osmanen als neue Großmacht auf. Um 1300 ist fast das gesamte kleinasiatische Gebiet türkisch. Dazu kamen Bürgerkriege, die wirtschaftliche Entmachtung durch die Italiener und der allmähliche Zerfall der staatlichen Strukturen. Der Adel und der oft von Steuern befreite Großgrundbesitz ist mächtig und der Zentralstaat schwach. Die drohenden osmanischen Angriffe bewegen den Basileus dazu, beim Westen um Hilfe zu bitten. Verschiedene Kreuzzüge scheitern, 1396 Verlust der Schlacht bei Nikopolis und 1444 Niederlage bei Varna. 1453 Eroberung Konstantinopels durch Mehmet II., 1456 fällt Athen, 1460 der Peloponnes und 1461 Trapezunt als letztes byzantinisches Territorium. 2, Der Staat, die Religion und die Wirtschaft Fortführung des Systems des Römischen Reiches Kaiser als autokratischer Alleinherrscher (Basileus), gestützt auf Beamtenapparat, Adel und Militär. Einführung des Monotheismus verstärkt die Macht des Kaisers, Vereinigung der geistlichen und weltlichen Macht (Cäsaropapismus). Kaiser ist Stellvertreter Gottes. Daher kein Investiturstreit wie im Westen. Die Religion: Staatskirche, Orthodoxie. Konflikte mit der ikonoklastischen Bewegung (Bilderstreit), wird zeitweilig auch zur Staatspolitik, die sich gegen die überhand nehmende Ikonenverehrung richtet. Der Patriarch als oberster Würdenträger der Orthodoxie wird von der Bischofssynode vorgeschlagen. Große Missionierungstätigkeit des orthodoxen Christentums in Kleinasien und auf dem Balkan. Entstehen großer Kirchengemeinden in Russland und auf dem Balkan. Wirtschaftliche Strukturen zunächst wie in Italien nach 476. Zerstörung von Anbauflächen auf dem Lande und Verfall der Städte durch Invasionen, Entvölkerung, Hungersnöte und Seuchen. Ab der Mitte des 9. Jahrhunderts wieder Aufschwung, insbesondere als Folge der Themenreform des 8. Jahrhunderts. Themen sind Verwaltungsbezirke, die von Strategen geführt werden. Sie sind nicht nur zivile Einheiten, sondern auch Militärbezirke. Sie müssen im Fall eines Krieges Reiter- und Fußsoldatenkontingente stellen. Daneben gibt es auch maritime Themen, die Dromonen = Kriegsschiffe stellten). Gliederung der Heereskontingente in 100 Mann (Bandon), die einem Komes unterstellt sind. Drei Banda bilden einen Drungos, drei Drungoi eine Turma. Der Stratege ist auch Chef der Zivilverwaltung, deren höchster Beamter der Krites oder Praitor (Richter) sowie der Pronotarios und der Kartularios sind. De Themenverfassung wurde einige Male umorganisiert und wurde nach dem Ende des Reiches von den Osmanen übernommen (Timar-System). Wirtschaft agrarisch geprägt. Handwerk und Handel in den Städten. Krisen im Fernhandel durch Seeräuberei, Niedergang des Abbasidenkhalifats und die dauernden Kriege. Entstehen von italienischen Handelsniederlassungen und Kolonien im Reich (Pisaner, später Venezianer und Genuesen). Mitwirkung an der Außenpolitik des Reiches durch Handelsverträge und Stellung von Flottenkontingenten. 3.Das byzantinische Erbe – oder wie ein untergegangenes Reich die Welt geformt hat. Politische Auswirkungen: Trotz des Unterganges des Staates hat die Idee „Byzanz“ geholfen, das Russische Reich und die Staaten des Balkans zu formen. Religion: Gründung der autokephalen Staatskirchen auf dem Balkan und in Russland. Moskau wurde das „dritte Rom“. 1380 Sieg des Fürsten Dimitri II. von Moskau über eine mongolische Streitmacht bei Kulikovo am Don. Mythos der Mongolenbezwingung (Dimitri Donskoi). Das Moskauer Fürstentum erhebt Anspruch auf Dominanz und Vorrang vor den übrigen Fürstentümern. Besonders im russischen Reich ist der Einfluss von Byzanz sehr stark. Die orthodoxen Kirchen bildeten eine wichtige Grundlage für die Tradierung des antiken oströmischen Kulturgutes bis in die Neuzeit und die Heranbildung der Nationalstaaten im 19. Jahrhundert. Byzanz legte in seiner Kirchenpolitik immer sehr großen Wert auf die Einheit der Glaubensgemeinschaft und die Aufrechterhaltung der Hierarchie unter den so genannten Metropoliten (Bischöfe). Das Moskauer Fürstentum „borgte“ sich das byzantinische Prestige durch die orthodoxe Kirche und den Status des Herrschers mittels des Zeremoniells. Kultur: Architektur, Literatur und darstellende Kunst. Besonders zur Zeit der Renaissance Hinwendung Europas zur römischen Kultur. Tradierung des römischen Rechtes bis in die Neuzeit. Instrumental war Byzanz für die Tradierung des griechischen Erbes nach Italien wichtig. Zum Beispiel Jacobo Angeli da Scaperia in Florenz 1360. Er reiste nach Byzanz um verlorene Texte der Griechen (Hinweise durch Cicero-Texte) zu suchen. War damals eine humanistische Herausforderung. 1395 war er in Konstantinopel, traf dort auf den Gelehrten Chrysolaros. Dieser reist mit ihm nach Italien und schuf eine Grammatik sowie eine neue Methode um Griechisch ins Lateinische zu übertragen. Scholastik – Übersetzung Wort für Wort, Humanismus – dem Sinne nach und mit Nachempfindung des Griechischen. Damals 1375 Tod Bocacchios und Zeit Petrarcas. Angelis übersetzt Geographia des Ptolemäus, wird vom Westen rezipiert, viele Kopien – enthält u.a. falsche Informationen über Distanzen nach Indien. Dieser Kapitalirrtum wird von Kolumbus übernommen. 1437 erfolgte eine große Emigrationswelle von byzantinischen Gelehrten nach Italien (Florenz), hervorragendster Kopf war Pletho. Griechisch wird wieder gelehrt, Platos Lehren verbreitet, er wird der Philosoph der Humanisten (vorher nur Aristoteles) Byzantinisches Erbe in Österreich – Patriarchatsregister von Konstantinopel in ÖNB – über Ogier Ghislain de Busbecq 1554 – 1592 in Istanbul als Gesandter Ferdinands I. Kauft 272 griechische Codices. Darin enthalten u.a. Verhältnis von Partiarch und Synode, sowie die griechisch – orthodoxen Patriarchate unter muslimischer Herrschaft. Gute Quellen über die Lage der christlichen Kirchen im Mittleren Osten. (Z.B. Kopten in Ägypten, Armenier, syrisch-jakobitische, griechisch-orthodoxe). Diese waren z.T. sprachlich arabisiert, aber z.T. noch an Byzanz orientiert. Melikiten – v. „kaiserliche“. Lage verfahren – tw. an Byzanz, tw. an autokephale Patriarchaten angebunden. Konflikte mit Lateinern, Probleme bei den Mamelucken wg. Anbindung an Mongolen. Weitere Konflikte wegen Osmanen. Bei Osmanen Aufbewahrung der Dokumente (Fermane) der Sultane wegen Besitzwahrung des Klerus. Tradierung des byzantinischen Staatssystems durch das Osmanische Reich, sowohl in der Zivil- wie auch in der Militärverfassung. Osmanische Dokumente in Griechisch. Einfluss auf die osmanische Diplomatie und das Hofzeremoniell der Sultane. Frühe Osmanensultane waren „volksnahe“, später ab Mehmet II. Einführung des distanzierenden Hofzeremoniells. Wirtschaft: Hafenstädte als Fernhandelszentren, Kunsthandwerk, insbesondere Seidenerzeugung, Expertise in der Schifffahrt. Das Ende der Kreuzzüge Östliches Mittelmeer ab 1200 - Kreuzzüge in Palästina und auf dem Balkan 1204 4.Kreuzzug – Eroberung von Byzanz – Lateinerherrschaft 5. Kreuzzug – 1128 – 1229. Vertrag zwischen römisch-deutschem Kaiser Friedrich II. und Ayyūbiden al – Malik al – Kāmil. 6. Kreuzzug 1248 – 1254. 1249 erobert König Ludwig der Heilige von Frankreich Dimyāt (Damiette), wird aber bei al Manşūra geschlagen und gefangen genommen. 7. Kreuzzug: Mamelucken erobern 1266 Safad von den Templern, 1268 Antakia, 1271 Hisn al Akrad von den Hospitalitern, 1298 Tripoli und 1291 Akkon. Damit Ende der Kreuzfahrerstaaten. Lusignans halten sich auf Zypern bis ins 15. Jhdt. Weitere „Kreuzzüge“ auf dem Balkan - Ein Etikettenschwindel der Historiker? Nikopolis 1396 – europäische Dimension (Ungarn unter König Sigismund von Luxemburg, Burgunder, Franzosen, Walachen, Polen Böhmen). 1444 Varna, ebenfalls unter dem Kreuzzugsgedanken, wieder eine Niederlage. Durch Europa geht ein Riss. Die Eroberung Konstantinopels1453 durch Sultan Mehmet II. findet dann ohne nennenswerte europäische Hilfe statt. Weiterleben der Kreuzzugsidee (Phänomen der longue durée) bis heute. Siehe Irakfeldzug und Bush. Literatur zur Weiterbildung: Alain Ducellier, Byzanz, Das Reich und die Stadt, Frankfurt – New York 1990. Georg Ostrogorsky, Byzantinische Geschichte 324 – 1453, München 1996. John Julius Norwich, Byzanz, 3 Bde., Düsseldorf und München 1998. Colin Wells, Sailing from Byzantium. How a Lost Empire Shaped the World, New York 2006.