Predigt Helmut Aßmann 3.2.2013 (Sexagesimae) - St.

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PREDIGT HILDESHEIM, SEXAGESIMAE, 3.2.2013, Jes.55,6-12, St. Andreas
6 Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist.
7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und
bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn
bei ihm ist viel Vergebung.
8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure
Wege, spricht der Herr.
9 sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher
als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.
10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin
zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen,
daß sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen,
11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder
leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen,
wozu ich es sende.
12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden.
Liebe Schwestern und Brüder,
es gibt ein Leben an der Oberfläche. Mit Worten an der Oberfläche. Rasant,
schnell, abwechslungsreich, innovationsfreudig, reizbar. Nehmen wir als aktuelles
Beispiel die Sexismus-Debatte, die sogenannte. Da hat also der Herr Brüderle vor
einem Jahr einen mehr oder minder beschwerlichen Satz zu einer Reporterin gesagt,
die diesen Zwischenfall aus welchen Gründen auch immer jetzt aus dem Versteck
holt und zu einer Generalattacke auf gesellschaftliche Missstände aufmöbelt.
Seither platzt schier der Bildschirm und verknüllen sich die Zeitungsseiten,
überschlagen sich die einschlägigen Sendungen und Fernsehformate zu diesem
Thema – mal eher reißerisch, mal bedächtig und seriös. Aber alle müssen ran.
Keiner kann es sich leisten, zu diesem Thema keine Meinung zu haben. Es gehört zu
den Modernitäts- und Meinungsbildungsverpflichtungen des demokratisch
engagierten Menschen, sich entsprechend zu positionieren und an der Debatte zu
beteiligen. Abzusehenderweise geschieht in den kommenden Tagen, sagen wir etwa
drei Wochen folgendes: irgendjemand wird seinen Hut nehmen, mittelbar oder
unmittelbar, es werden ungeheuerliche Geschichten ausgegraben, was noch so alles
an verborgenem und hinterlistigem Sexismus in deutschen Vorstandsetagen vor sich
geht, das eine oder andere Buch wird erscheinen, und mancher reuige Sünder (im
sprichwörtlichen Sinn) wird sich in vollmundigem Ton und mit barmender Geste in
der Öffentlichkeit entschuldigen oder outen oder beides. Worte an der Oberfläche.
Heute gesendet, morgen vergessen. Heute gedruckt, morgen auf dem Müll.
Dann gibt es ein neues Thema. Irgendeines. Ist egal. Etwa die zehnte Auflage
der Griechenland – Krise oder irgendein neuer Aufreger, der mit der gleichen
Dynamik und Bedeutungsschwere wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben
wird. Neue Wortschwälle, alte Verfahren.
Gott sei es geklagt: auch in unserer Kirche ist es keinen Deut besser. Auch wir
arbeiten uns an dem Innovationstempo ab, das die Leute allenthalben krankmacht
und dafür sorgt, daß man vor lauter Kirchenverwaltung nicht mehr zum Beten kommt.
Es gibt ein Leben an der Oberfläche. Mit Worten an der Oberfläche.
Alles sehr wichtig.
Alles sehr aktuell.
Alles sehr angesagt.
Alles sehr en vogue, wie man es etwas feinsinniger ausdrücken kann.
Aber: vor allem ist es ohne Pause. Ohne Innehalten. Ohne Vergewisserung. Es
hat keinen Rhythmus. Es hat keine Orientierung. Noch nicht einmal eine Steuerung.
Es ist wie das 24 Stunden Fernsehen auf 300 Kanälen. Alles voll, immer etwas dran,
immer was zum Schauen, Aufregen, Staunen, Freuen – und Vergessen.
Aber „meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht
meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so
sind auch meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“
Ehre sei Gott in der Höhe, singen wir. In der Höhe ist noch etwas. Etwas
anderes. Aber irgendwie fällt es uns schwer, den Blick dorthin zu erheben und still zu
halten. Oberfläche und Höhe – zwei verschiedene Welten und dazwischen gibt es so
wenig Verbindung.
Es ist wie mit der Veränderung der Luft in unseren Städten. Wir können die
Sterne nicht mehr sehen. Einmal wegen des Staubes, der durch die Straßen geht.
Der Abrieb unserer Zivilisation, der vom Erdboden aufsteigt, aus unseren Maschinen,
unseren Wohnungen, unseren Gedanken vielleicht. Der macht die Luft trüb und
weniger lichtdurchlässig. Da verschwimmen die feinen Lichter des Firmamentes und
werden zu einer kaum vernehmlichen Aufhellung des Horizontes, aber es ist kein
Himmel mehr. Ein andermal wegen des vielen Lichtes, das wir selber erzeugen. Das
Restlicht der Städte ist so mächtig, daß aller Glanz des Himmels dahinter
zurücktreten muß. Die Lichter der Stadt machen die Leuchtkraft der Sterne
entbehrlich. So sieht man schlicht und einfach den Himmel nicht mehr – und braucht
ihn irgendwann auch nicht mehr. Weder zur Orientierung, noch zum Staunen noch
zum Innehalten. Der Himmel ist hoch über der Oberfläche unseres Lebens, so daß
wir ihn am Ende nicht mehr zur Wirklichkeit dazuzählen.
Deswegen sind „meine Gedanken nicht eure Gedanken, und eure Wege sind
nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde,
so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure
Gedanken.“ Der Prophet lenkt unseren Blick darauf, daß Gottes Wirklichkeit und die
unsere um Lichtjahre voneinander geschieden sind. Auch er scheint darauf zu
pochen, daß sie nichts miteinander zu tun haben.
Aber das ist nur die Ausgangs-, nicht die Endposition. Zwischen Himmel und
Erde gibt es eine Verbindung. Niederschlag. Regen und Schnee, manchmal auch
Hagel. Der Himmel sendet Feuchtigkeit, er schließt die Erde auf. So wie es einen
Niederschlag gibt, der die Erde feuchtet und netzt, der Pflanzen aus dem Erdreich
treibt und allen Lebewesen den Durst löscht, so gibt es doch eine Verbindung
zwischen dem Ort und der Welt, wo Gott wohnt, und unserer Oberfläche, in der wir
durch das Leben geschleust werden.
Das Wort aus Gottes Mund. Worte des Lebens. Worte des Himmels. Gottes
Wort, so sagt uns der Prophet, fällt aus der Höhe zu uns nieder und wird nicht ohne
Wirkung bleiben. Es schließt die trockenen Seelen auf und macht sie weich und
fruchtbar, damit aus ihnen Pflanzen hervorkommen, Saat zu säen und Früchte zu
ernten. Damit Ernte gehalten wird auf dem guten Land, wie es der Text des
Evangeliums beschreibt. Das Wort, das wie der Niederschlag aus dem Himmel
kommt, wird nicht leer ausgehen: „Das Wort wird tun, was Gott gefällt, und ihm wird
gelingen, wozu er es sendet“.
Liebe Schwestern, das, was aus dem Himmel zu uns kommt, ist in seinem Kern
ein Wort, eine Botschaft, eine Mitteilung an uns. Das klingt erst einmal merkwürdig
banal. Wohl deswegen, weil wir so eingehüllt sind in ein unglaubliches Geraune,
einen weltweiten Wörter-Smog, der den Globus umgibt, der für alle zuviel und
zuwenig zugleich sagt.
Aber man kann unterscheiden: ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden
geleitet werden. Die Worte, die uns in Freuden ausziehen lassen und im Frieden
geleiten – das sind die Worte, bei denen es aufzumerken gilt. In ihnen meldet sich
der Himmel zu Wort. Da handelt es sich um Niederschlag aus der Höhe, zu der wir
so wenig Zugang haben und die uns so fern zu sein scheint, daß wir sie nur noch
anbeten, aber nicht mehr fassen können.
Die anderen Worte, die lauten, schnellen, gewandten und zielgruppengerecht
verabreichten Worte, sie gehören in die Oberfläche und dürfen dort auch sein, aber
sie lassen uns nicht mit Freuden ausziehen und geleiten uns nicht mit Frieden,
sondern entlassen uns in der Regel in irgendeinen Streß.
Ich entlasse Sie heute mit einer kleinen Hausaufgabe. Wenn Sie am heutigen
Sonntag ein wenig Zeit erübrigen können, dann notieren Sie sich doch einmal jene
Worte, die das in ihrem Leben ausgelöst haben: mit Freuden auszuziehen und im
Frieden geleitet zu werden. Es werden gar nicht so viele sein. Und dann notieren Sie
diejenigen, die ihnen Gott aufgeschlossen haben.
Anschließend, das ist der letzte Teil der Aufgabe, danken Sie Gott für diese
Worte, die er Ihnen gesandt hat, um sie fruchtbar und menschlich zu machen, als ein
Zeugnis seiner Liebe für diese Welt.
Amen.
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