PREDIGT HILDESHEIM, SEXAGESIMAE, 3.2.2013, Jes.55,6-12, St. Andreas 6 Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist. 7 Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. 8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und meine Wege sind nicht eure Wege, spricht der Herr. 9 sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. 10 Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, daß sie gibt Samen, zu säen, und Brot, zu essen, 11 so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende. 12 Denn ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Liebe Schwestern und Brüder, es gibt ein Leben an der Oberfläche. Mit Worten an der Oberfläche. Rasant, schnell, abwechslungsreich, innovationsfreudig, reizbar. Nehmen wir als aktuelles Beispiel die Sexismus-Debatte, die sogenannte. Da hat also der Herr Brüderle vor einem Jahr einen mehr oder minder beschwerlichen Satz zu einer Reporterin gesagt, die diesen Zwischenfall aus welchen Gründen auch immer jetzt aus dem Versteck holt und zu einer Generalattacke auf gesellschaftliche Missstände aufmöbelt. Seither platzt schier der Bildschirm und verknüllen sich die Zeitungsseiten, überschlagen sich die einschlägigen Sendungen und Fernsehformate zu diesem Thema – mal eher reißerisch, mal bedächtig und seriös. Aber alle müssen ran. Keiner kann es sich leisten, zu diesem Thema keine Meinung zu haben. Es gehört zu den Modernitäts- und Meinungsbildungsverpflichtungen des demokratisch engagierten Menschen, sich entsprechend zu positionieren und an der Debatte zu beteiligen. Abzusehenderweise geschieht in den kommenden Tagen, sagen wir etwa drei Wochen folgendes: irgendjemand wird seinen Hut nehmen, mittelbar oder unmittelbar, es werden ungeheuerliche Geschichten ausgegraben, was noch so alles an verborgenem und hinterlistigem Sexismus in deutschen Vorstandsetagen vor sich geht, das eine oder andere Buch wird erscheinen, und mancher reuige Sünder (im sprichwörtlichen Sinn) wird sich in vollmundigem Ton und mit barmender Geste in der Öffentlichkeit entschuldigen oder outen oder beides. Worte an der Oberfläche. Heute gesendet, morgen vergessen. Heute gedruckt, morgen auf dem Müll. Dann gibt es ein neues Thema. Irgendeines. Ist egal. Etwa die zehnte Auflage der Griechenland – Krise oder irgendein neuer Aufreger, der mit der gleichen Dynamik und Bedeutungsschwere wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird. Neue Wortschwälle, alte Verfahren. Gott sei es geklagt: auch in unserer Kirche ist es keinen Deut besser. Auch wir arbeiten uns an dem Innovationstempo ab, das die Leute allenthalben krankmacht und dafür sorgt, daß man vor lauter Kirchenverwaltung nicht mehr zum Beten kommt. Es gibt ein Leben an der Oberfläche. Mit Worten an der Oberfläche. Alles sehr wichtig. Alles sehr aktuell. Alles sehr angesagt. Alles sehr en vogue, wie man es etwas feinsinniger ausdrücken kann. Aber: vor allem ist es ohne Pause. Ohne Innehalten. Ohne Vergewisserung. Es hat keinen Rhythmus. Es hat keine Orientierung. Noch nicht einmal eine Steuerung. Es ist wie das 24 Stunden Fernsehen auf 300 Kanälen. Alles voll, immer etwas dran, immer was zum Schauen, Aufregen, Staunen, Freuen – und Vergessen. Aber „meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ Ehre sei Gott in der Höhe, singen wir. In der Höhe ist noch etwas. Etwas anderes. Aber irgendwie fällt es uns schwer, den Blick dorthin zu erheben und still zu halten. Oberfläche und Höhe – zwei verschiedene Welten und dazwischen gibt es so wenig Verbindung. Es ist wie mit der Veränderung der Luft in unseren Städten. Wir können die Sterne nicht mehr sehen. Einmal wegen des Staubes, der durch die Straßen geht. Der Abrieb unserer Zivilisation, der vom Erdboden aufsteigt, aus unseren Maschinen, unseren Wohnungen, unseren Gedanken vielleicht. Der macht die Luft trüb und weniger lichtdurchlässig. Da verschwimmen die feinen Lichter des Firmamentes und werden zu einer kaum vernehmlichen Aufhellung des Horizontes, aber es ist kein Himmel mehr. Ein andermal wegen des vielen Lichtes, das wir selber erzeugen. Das Restlicht der Städte ist so mächtig, daß aller Glanz des Himmels dahinter zurücktreten muß. Die Lichter der Stadt machen die Leuchtkraft der Sterne entbehrlich. So sieht man schlicht und einfach den Himmel nicht mehr – und braucht ihn irgendwann auch nicht mehr. Weder zur Orientierung, noch zum Staunen noch zum Innehalten. Der Himmel ist hoch über der Oberfläche unseres Lebens, so daß wir ihn am Ende nicht mehr zur Wirklichkeit dazuzählen. Deswegen sind „meine Gedanken nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern soviel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken höher als eure Gedanken.“ Der Prophet lenkt unseren Blick darauf, daß Gottes Wirklichkeit und die unsere um Lichtjahre voneinander geschieden sind. Auch er scheint darauf zu pochen, daß sie nichts miteinander zu tun haben. Aber das ist nur die Ausgangs-, nicht die Endposition. Zwischen Himmel und Erde gibt es eine Verbindung. Niederschlag. Regen und Schnee, manchmal auch Hagel. Der Himmel sendet Feuchtigkeit, er schließt die Erde auf. So wie es einen Niederschlag gibt, der die Erde feuchtet und netzt, der Pflanzen aus dem Erdreich treibt und allen Lebewesen den Durst löscht, so gibt es doch eine Verbindung zwischen dem Ort und der Welt, wo Gott wohnt, und unserer Oberfläche, in der wir durch das Leben geschleust werden. Das Wort aus Gottes Mund. Worte des Lebens. Worte des Himmels. Gottes Wort, so sagt uns der Prophet, fällt aus der Höhe zu uns nieder und wird nicht ohne Wirkung bleiben. Es schließt die trockenen Seelen auf und macht sie weich und fruchtbar, damit aus ihnen Pflanzen hervorkommen, Saat zu säen und Früchte zu ernten. Damit Ernte gehalten wird auf dem guten Land, wie es der Text des Evangeliums beschreibt. Das Wort, das wie der Niederschlag aus dem Himmel kommt, wird nicht leer ausgehen: „Das Wort wird tun, was Gott gefällt, und ihm wird gelingen, wozu er es sendet“. Liebe Schwestern, das, was aus dem Himmel zu uns kommt, ist in seinem Kern ein Wort, eine Botschaft, eine Mitteilung an uns. Das klingt erst einmal merkwürdig banal. Wohl deswegen, weil wir so eingehüllt sind in ein unglaubliches Geraune, einen weltweiten Wörter-Smog, der den Globus umgibt, der für alle zuviel und zuwenig zugleich sagt. Aber man kann unterscheiden: ihr sollt in Freuden ausziehen und im Frieden geleitet werden. Die Worte, die uns in Freuden ausziehen lassen und im Frieden geleiten – das sind die Worte, bei denen es aufzumerken gilt. In ihnen meldet sich der Himmel zu Wort. Da handelt es sich um Niederschlag aus der Höhe, zu der wir so wenig Zugang haben und die uns so fern zu sein scheint, daß wir sie nur noch anbeten, aber nicht mehr fassen können. Die anderen Worte, die lauten, schnellen, gewandten und zielgruppengerecht verabreichten Worte, sie gehören in die Oberfläche und dürfen dort auch sein, aber sie lassen uns nicht mit Freuden ausziehen und geleiten uns nicht mit Frieden, sondern entlassen uns in der Regel in irgendeinen Streß. Ich entlasse Sie heute mit einer kleinen Hausaufgabe. Wenn Sie am heutigen Sonntag ein wenig Zeit erübrigen können, dann notieren Sie sich doch einmal jene Worte, die das in ihrem Leben ausgelöst haben: mit Freuden auszuziehen und im Frieden geleitet zu werden. Es werden gar nicht so viele sein. Und dann notieren Sie diejenigen, die ihnen Gott aufgeschlossen haben. Anschließend, das ist der letzte Teil der Aufgabe, danken Sie Gott für diese Worte, die er Ihnen gesandt hat, um sie fruchtbar und menschlich zu machen, als ein Zeugnis seiner Liebe für diese Welt. Amen.