1 Tadeusz Mazowiecki (1927–2013) Jurist, katholischer Publizist

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Tadeusz Mazowiecki (1927–2013)
Jurist, katholischer Publizist, Politiker; langjähriges Mitglied des
Warschauer Klubs der Katholischen Intelligenz und Chefredakteur der
Monatsschrift „Więź“; 1961–72 Parlamentsabgeordneter für die Gruppe
„Znak“, ab 1978 Mitglied der Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse, 1980
Vorsitzender des Expertenausschusses des Überbetrieblichen
Streikkomitees in der Danziger Lenin-Werft, anschließend Berater Lech
Wałęsas und des Landeskoordinierungsausschusses, ab 1981 Berater des
Landesausschusses der Solidarność, 1981 und 1989 Chefredakteur des
„Tygodnik Solidarność“, ab 1988 Mitarbeit im Bürgerkomitee beim
Vorsitzenden der Solidarność; 1989 erster nichtkommunistischer
Regierungschef im Ostblock.
Tadeusz Mazowiecki wurde 1927 in Płock geboren. Er studierte Jura an der
Universität Warschau. 1949–51 engagierte er sich für die Wochenzeitschrift „Dziś
i jutro“. Diese war von katholischen Aktivisten um Bolesław Piasecki gegründet
worden, die einen Modus vivendi mit den Kommunisten suchten. 1950–52 war er
stellvertretender Chefredakteur der von der gleichen Gruppe herausgegebenen
Tageszeitung „Słowo Powszechne“ und wurde dann auch Mitglied der 1952 von
Piasecki gegründeten katholischen Vereinigung PAX. 1953–55 arbeitete er als
Chefredakteur der Breslauer katholischen Wochenzeitung „Wrocławski Tygodnik
Katolicki“. 1955 trat er gemeinsam mit einer Gruppe junger Leute, die wie er mit
der politischen Linie Piaseckis nicht einverstanden waren, aus der Vereinigung
PAX aus.
1956 gehörte Mazowiecki zu den Gründern des Gesamtpolnischen Klubs der
Fortschrittlichen Katholischen Intelligenz (Ogólnopolski Klub Postępowej
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Inteligencji Katolickiej), in dem er auch einer der Sekretäre war. 1957–63 war er
Vorstandsmitglied des Warschauer Klubs der Katholischen Intelligenz (Klub
Inteligencji Katolickiej; KIK).
Mazowiecki zielte in seinen Aktivitäten nicht so sehr darauf, fundamentalen
Widerstand gegen das Regime zu leisten, sondern wollte das System vielmehr
menschlicher gestalten und setzte sich für die Achtung der Menschenrechte ein.
1978 führte er im Warschauer Klub der Katholischen Intelligenz aus, dass es in
der politischen Wirklichkeit Volkspolens einen gleitenden Übergangsbereich
zwischen dissidentischem und offiziellem Handeln gebe. Die Staatsmacht trachte
jedoch danach, Gruppen, die Forderungen stellten, grundsätzlich als Opposition
zu behandeln. Deshalb gelte es, so Mazowiecki, diesen Übergangsbereich zu
verteidigen.
Diesem Übergangsbereich war die Bewegung Znak (Zeichen) zuzurechnen, in der
Mazowiecki von Anfang an eine bedeutsame Rolle spielte. Von 1958 an leitete er
23 Jahre lang eine der wichtigsten Einrichtungen der Znak-Bewegung, die
Warschauer Monatsschrift „Więź“. Hinter dieser Zeitschrift stand ein Kreis von
jungen katholischen Publizisten, die vor 1956 mit der Vereinigung PAX liiert
gewesen waren, sich dann jedoch radikal von deren Ideologie und politischen
Vorstellungen abgewandt hatten.
1961 zog Mazowiecki als einer von fünf Abgeordneten der Znak-Gruppe in das
polnische Parlament (Sejm) ein. Er war Mitinitiator zahlreicher
parlamentarischer Anfragen, so unter anderem am 11. März 1968, als die ZnakAbgeordneten sich für die Studenten einsetzten, die wegen ihrer Teilnahme an
den Ereignissen im März 1968 Repressionen ausgesetzt waren.
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Als Redakteur der Zeitschrift „Więź“ suchte Mazowiecki den Dialog mit
humanistisch orientierten Marxisten. Er gehörte auch zu denjenigen, die den
deutsch-polnischen Dialog anstießen mit dem Ziel der Versöhnung auf Grundlage
der Anerkennung der Grenze an Oder und Neiße und des Bekenntnisses zu
gemeinsamen europäischen und christlichen Werten. Nach den Ereignissen im
März 1968 druckte er in „Więź“ Texte von Personen, die in der offiziellen Presse
nicht mehr publizieren durften.
Unmittelbar nach den Arbeiterprotesten im Dezember 1970 begab sich
Mazowiecki nach Danzig, um sich ein genaues Bild von Ablauf und Zahl der Opfer
zu machen. Er forderte die Einsetzung eines parlamentarischen
Untersuchungsausschusses, um die Umstände der Ereignisse zu klären. In „Więź“
forderte er Systemreformen, die Ermöglichung einer freien Diskussion, die
Anerkennung der Autonomie von Wissenschaft und Kultur sowie die Schaffung
„einer effizienten Arbeitervertretung“. Wiedergewonnen werden müssten das
gesellschaftliche Bewusstsein einer gemeinsamen Verantwortung für das Land
und die authentische Teilnahme am öffentlichen Leben. Die Reaktion der
Staatsmacht auf diese Einlassungen war die Streichung Mazowieckis von der
Kandidatenliste für die Parlamentswahl 1972.
In der ersten Hälfte der 70er Jahre befürwortete Mazowiecki den allmählichen
Rückzug der Znak-Bewegung aus den offiziellen Strukturen. Der Schwerpunkt der
Arbeit sollte vielmehr auf langfristige Erziehungs- und Kulturarbeit gelegt
werden. 1975–81 war er stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Klubs der
Katholischen Intelligenz in Warschau. Anfang 1976 gehörte er zu den Initiatoren
eines Briefes, in dem sich Vertreter der Znak-Bewegung gegen geplante
Verfassungsänderungen wandten.
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Im November 1976 setzte sich Mazowiecki in einem Interview der „Frankfurter
Allgemeinen Zeitung“ für die Opfer der Repressionen nach den Arbeiterprotesten
im Juni 1976 ein und sprach sich für eine Demokratisierung des öffentlichen
Lebens aus. Er forderte unabhängige Gewerkschaften und eine Begrenzung der
staatlichen Zensur. Außerdem sagte er, gesellschaftlichen Organisationen und
Gruppen müssten eine wahre Autonomie zugestanden werden. Abgeschafft
gehöre die Unterstützung des Staates für atheistische Propaganda und allen
Bürgern müssten gleiche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten garantiert
werden.
Im Mai 1976 übernahm Mazowiecki die Vertretung von Bürgerrechtlern, die sich
vom 24. bis 30. Mai 1977 in der Warschauer St.-Martin-Kirche mit einem
Hungerstreik für die inhaftierten Arbeiter und die festgenommenen Mitglieder
und Mitarbeiter des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (Komitet Obrony
Robotników; KOR) eingesetzt hatten. Mit diesem Schulterschluss mit den
Protestierenden riskierte er ein Verbot der Zeitschrift „Więź“.
Im November 1977 veranstaltete Mazowiecki im Warschauer Klub der
Katholischen Intelligenz eine Tagung zum Thema Menschenrechte, an der viele
Oppositionelle und Bürgerrechtler aus verschiedenen Oppositionsgruppen
teilnahmen. Mazowiecki sagte damals: „Ein Christ kann sich in vielerlei Weise für
Menschenrechte einsetzen und ihnen dienen. Eines darf er jedoch nicht: Wo
immer Freiheit und Menschenrechte mit Füßen getreten werden, wo immer für
Menschenrechte gekämpft wird – nie darf ein Christ die Rolle des Pilatus
übernehmen.“
Die „Więź“-Redaktion wurde dank Mazowiecki zu einer Plattform des Dialogs
unterschiedlicher oppositioneller Richtungen. Im Januar 1978 gehörte
Mazowiecki zu den Gründern der Gesellschaft für Wissenschaftliche Kurse
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(Towarzystwo Kursów Naukowych; TKN) und war Mitglied von deren
Programmrat. Er arbeitete auch mit der Polnischen Unabhängigkeitsallianz
(Polskie Porozumienie Niepodległościowe; PPN) zusammen, deren Publikation
„Die Kirche und die Katholiken in Volkspolen“ (Kościół i katolicy w Polsce
Ludowej) in erster Linie aus seiner Feder stammte.
Während der Streiks im August 1980 gehörte Mazowiecki am 20. August zu den
Initiatoren und Autoren eines Appells von 64 Intellektuellen, in dem diese die
Forderungen der Streikenden unterstützten und die Regierung zur Aufnahme von
Gesprächen aufriefen. Mit diesem Appell begaben sich Tadeusz Mazowiecki und
Bronisław Geremek am 22. August in die Danziger Lenin-Werft, wo sie sich dem
Überbetrieblichen Streikkomitee (Międzyzakładowy Komitet Strajkowy; MKS)
auf Bitten von Lech Wałęsa als Berater zur Verfügung stellten. Mazowiecki wurde
am 24. August Vorsitzender einer eingesetzten Expertenkommission und spielte
in den Verhandlungen mit der Regierungsseite eine wesentliche Rolle.
Nach Unterzeichnung der Danziger Vereinbarung wurde Mazowiecki zum
wichtigsten Berater Lech Wałęsas und des Landeskoordinierungsausschusses
(Krajowa Komisja Porozumiewawcza; KKP) der Solidarność. Er stand für eine
Politik des Augenmaßes, die forderte, die Herrschenden müssten allmählich an
die Tatsache gewöhnt werden, dass sie es mit einer mächtigen, von ihnen
unabhängigen Organisation zu tun hätten. Er ging von der Möglichkeit aus, dass
die Machthaber auf Dauer die Existenz unabhängiger Gewerkschaften
akzeptieren könnten, was allerdings Änderungen in der Regierungsarbeit zur
Folge haben müsse. Zugleich verwies er auf die Grenzen in Bezug auf mögliche
Systemveränderungen. Mazowiecki war dagegen, allzu radikale Forderungen
vorzubringen und eine die Kommunisten provozierende Sprache zu benutzen.
Später gab er zu Protokoll, damals sei es sein Wunsch gewesen, dass die
Solidarność nicht nur wie ein Strohfeuer abbrenne wie in so vielen erhabenen
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Momenten der polnischen Geschichte, sondern dauerhaft bestehe und dadurch
die Gesellschaft und die Gestalt des ganzen Landes verändern werde. In diesem
Sinn arbeitete Mazowiecki mit den Gewerkschaftsführern zusammen und formte
das Profil der Zeitung „Tygodnik Solidarność“ (Solidarność-Wochenblatt), dessen
Redakteur er bis zur Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 war,
als die Zeitschrift verboten wurde.
Mazowiecki nahm an vielen Gesprächen mit der Regierungsseite teil. In
Krisensituationen (beispielsweise im Zusammenhang mit der Registrierung der
Solidarność im Oktober 1980 oder während der Polizeigewalt in der sogenannten
Bromberger Krise im März 1981) erwies er sich als sehr ausdauernder
Verhandlungspartner, der immer eine Ebene zur Verständigung suchte. Seine
Position und seinen Einfluss hatte Mazowiecki nicht nur seinen persönlichen
Eigenschaften und seinen engen Kontakten zu Lech Wałęsa zu verdanken,
sondern vor allem seiner Verwurzelung in den meinungsbildenden Gremien der
Warschauer und Krakauer Intelligenz, aus der die meisten Solidarność-Berater
hervorgegangen waren.
Mit der Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 wurde Mazowiecki
nach einer Sitzung des Solidarność-Landesausschusses in Danzig festgenommen
und durchlief mehrere Internierungslager (Strzebielinek, Jaworze, Darłówko).
Am 23. Dezember 1982 kam er aus der Internierungshaft frei.
Im November 1983 übernahm Mazowiecki die Leitung des Programmrates des
Warschauer Klubs der Katholischen Intelligenz, damals ein Ort der Begegnung für
katholische Intellektuelle aus dem Solidarność-Umfeld. Der Programmrat wurde
auf Betreiben der Behörden aufgelöst, nachdem er im Juni 1984 das Dokument
„Zum Zustand des gesellschaftlichen Bewusstseins“ (Stan świadomości
społecznej) veröffentlicht hatte. Darin wurde argumentiert, dass die Gesellschaft
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in den Solidarność-Jahren 1980/81 das Gefühl der Selbstbestimmung erlangt
habe, weswegen eine Rückkehr zu einer Situation wie vor dem August 1980
unmöglich sei.
Mazowiecki beriet in jener Zeit in erster Linie Lech Wałęsa, in geringerem Maße
war er auch für die konspirativen Strukturen der Gewerkschaft tätig. Er beteiligte
sich an der Erarbeitung des umfangreichen Rapports „Polen fünf Jahre nach dem
August“ (Polska 5 lat po sierpniu) und verfasste gemeinsam mit Bronisław
Geremek eine politische Konzeption für den Dialog zum Erreichen einer
politischen Vereinbarung mit dem Regime. Immer wieder hielt er in zahlreichen
Kirchen Referate und wurde vom Staatssicherheitsdienst mehrfach verhaftet.
1986 gründete Mazowiecki gemeinsam mit Ryszard Bugaj, Kazimierz
Dziewanowski, Bronisław Geremek, Andrzej Celiński und Andrzej Wielowieyski
die Untergrundzeitschrift „21“. Am 31. Mai 1987 unterzeichnete er eine
Deklaration, in der die generellen Ziele der Opposition aufgelistet waren.
Nachdem sich der belgische Außenminister für Mazowiecki eingesetzt hatte,
erhielt er 1987 von den polnischen Behörden einen Reisepass. In Belgien,
Frankreich, West-Deutschland, Italien und Österreich hielt er Vorträge über die
Solidarność, gab Interviews, traf sich mit Gewerkschaftern und Politikern. In Rom
hatte er ein Gespräch mit Papst Johannes Paul II., bei dem die Situation vor der
nächsten Reise des Papstes nach Polen erörtert wurde.
Im Mai 1988 schlichtete Mazowiecki als Bevollmächtigter des Episkopats
zwischen Regierung und dem Streikkomitee der Danziger Werft und blieb nach
dem Scheitern der Gespräche bis zum Ende des Streiks auf dem Werftgelände.
Während der nächsten Streikwelle im August 1988 besuchte er die St.-Brigitten-
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Gemeinde in Danzig, wo er Lech Wałęsa und dem Streikkomitee als Berater zur
Seite stand.
Mazowiecki gehörte zum engen Kreise jener Gewerkschaftsführer der
Solidarność, die die Verhandlungen am Runden Tisch vorbereiteten. Im
Dezember 1988 war er einer der Gründer des Bürgerkomitees (Komitet
Obywatelski) beim Vorsitzenden der Solidarność, wo er den Ausschuss für
gewerkschaftlichen Pluralismus leitete. Während der vorbereitenden Gespräche
zum Runden Tisch im Januar 1989 bestand er auf der Wiederzulassung der
Solidarność als Vorbedingung für eine Einigung in anderen Fragen. Er sprach sich
gegen eine Beteiligung der Solidarność an einer künftigen Regierung aus,
favorisierte die parlamentarische Ebene als Aktionsfeld und setzte auf eine
allmähliche Umgestaltung des Systems.
Während der Gespräche am Runden Tisch spielte Mazowiecki eine wesentliche
Rolle. Er nahm an den Plenarsitzungen teil, war Ko-Vorsitzender der
Arbeitsgruppe Gewerkschaftlicher Pluralismus, koordinierte die Arbeit der
Verhandlungsdelegationen und nahm auch an zahlreichen vertraulichen
Verhandlungen teil.
Bei den halbfreien Parlamentswahlen im Juni 1989 kandidierte Mazowiecki nicht,
da er Vorbehalte gegenüber der Kandidatenauswahl durch das Bürgerkomitee
hatte. Er übernahm jedoch die Redaktion des im Juni 1989 reaktivierten
„Tygodnik Solidarność“. Die von Adam Michnik formulierte Devise „Euer
Präsident, unser Premierminister“, nach der den Kommunisten das
Präsidentenamt und der Opposition das Amt des Ministerpräsidenten
zugesprochen werden sollten, zog er in Zweifel. Nachdem die neue
Regierungskoalition aus Solidarność und den bis dato nur als Blockparteien in
Erscheinung getretenen Gruppierungen Vereinigte Bauernpartei (ZSL) und
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Demokratische Partei (SD) stand und er auf Betreiben von Lech Wałęsa als
Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert worden war, nahm
Mazowiecki jedoch den Auftrag zur Regierungsbildung an. Am 24. August 1989
wählte ihn der Sejm zum ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten im
Ostblock, am 12. September 1989 sprach das Parlament der von ihm gebildeten
Regierung das Vertrauen aus. Das Amt des Ministerpräsidenten übte Mazowiecki
bis Dezember 1990 aus.
1991–94 war Mazowiecki Parteivorsitzender der Demokratischen Union (Unia
Demokratyczna), 1994/95 der Freiheitsunion (Unia Wolności). Er leitete den
Verfassungsausschuss der Nationalversammlung und den Sejm-Ausschuss für
Europäische Integration. Ab 1992 war er Sonderberichterstatter der Vereinten
Nationen zur Lage der Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien. Aus Protest
gegen die Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft und der westlichen
Staaten gegenüber dem Völkermord auf dem Balkan legte er dieses Mandat 1995
nieder.
2005 gehörte Mazowiecki zu den Gründern der Demokratischen Partei (Partia
Demokratyczna), die aus der einstigen Freiheitsunion unter Einbeziehung
jüngerer und einiger linker Politiker entstanden war. Er war Mitglied des
Politischen Rates dieser Partei.
Tadeusz Mazowiecki starb am 28. Oktober 2013 in Warschau.
Andrzej Friszke
Aus dem Polnischen von Gero Lietz
Letzte Aktualisierung: 08/16
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