Wie lässt sich die Lebensqualität bei allergischen Reaktionen

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Allergien nehmen in allen industrialisierten Ländern dramatisch zu: In Europa
sind inzwischen rund 30 % der Bevölkerung betroffen. Die nachgewiesenen
Reduktionen der Leistungsfähigkeit sind beträchtlich, jedoch bei entsprechender
Therapie vermeidbar. Prof. Dr. med ZUBERBIER ist Experte für Allergie-Folgenforschung und Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) an
der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Charité, Berlin.
Wie lässt sich die Lebensqualität
bei allergischen Reaktionen
verbessern?
Prof. Dr. med. Torsten
Zuberbier
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Klinik für Dermatologie, Venerologie und
Allergologie
www.allergie-centrumcharite.de
www.ecarf.org
EU: Wie viele Menschen sind heute in
Deutschland von allergischen Hautreaktionen betroffen?
ZUBERBIER: Die Häufigkeit von allergischen Erkrankungen in Deutschland ist
besonders in der jüngeren Bevölkerung
in den letzten Jahren erheblich angestiegen. So sind inzwischen rund 35 % der
Kinder und jungen Erwachsenen von
Atemwegsallergien betroffen. Für die Gesamtbevölkerung betragen die Zahlen
nach Schätzungen:
■ Atemwegsallergien (Heuschnupfen,
Asthma) 25 % (20 Millionen Menschen)
■ Neurodermitis 10 % (8 Millionen
Menschen)
■ Lebensmittelallergien und -unverträglichkeiten 8 % (6,4 Millionen Menschen)
■ Allergisches Kontaktekzem 8 % (6,4
Millionen Menschen)
■ Urtikaria 5 % (4 Millionen Menschen)
Statistisch gesehen ist damit in jeder Familie mindestens ein Angehöriger persönlich betroffen.
EU: Wie werden allergische Hautreaktionen verursacht und diagnostiziert?
ZUBERBIER: Als Allergie bezeichnet man
die Überreaktion des Immunsystems auf
bestimmte Substanzen in unserer Umwelt. Diese werden entweder eingeatmet
(z. B. Pollen, Hausstaub, Tierhaare), verzehrt (Lebensmittel, Arzneimittel) oder
direkt über die Haut aufgenommen.
Die Veranlagung etwa zur Neurodermitis
ist erblich, ebenso wie die zu allergischem Asthma und allergischer Rhinitis
(Heuschnupfen). Sind beide Eltern Allergiker, beträgt die Wahrscheinlichkeit
für die Kinder, an einer atopischen Dermatitis zu erkranken, bis zu 60 %.
Bei der Krankheitsentstehung spielen
verschiedene Faktoren eine Rolle: Die
Barrierefunktion der Oberhaut ist durch
veränderte Fettzusammensetzung und
Mangel an Harnstoff in der Haut reduziert. Durch die Fehlregulation und Ansammlung von Immunzellen in der Haut
kommt es zur Freisetzung von Entzündungsstoffen, die die Ekzemreaktion auslösen. Die Ekzemreaktion ist nicht unbedingt allergisch bedingt, kann aber durch
eine übermäßige Immunreaktion gegen
Stoffe aus der Umwelt ausgelöst werden.
Die Aufnahme von Allergenen wie Pollen, Tierhaare, Schimmelpilze oder aus
Lebensmitteln ist auch über die Haut
möglich. So kann z. B. ein Neurodermitisschub bei gleichzeitig bestehender
Allergie gegen Pollen in der Pollenflugzeit oder nach Verzehr eines allergenen
Lebensmittels verstärkt oder ausgelöst
werden.
Irritationen und mechanische Reizungen
der Haut (z. B. durch Wasser, Hitze,
Wolle) begünstigen ebenfalls eine Ekzemreaktion. Ebenso können psychische
Faktoren (z. B. Stress) den Krankheitsverlauf beeinflussen.
Die Diagnose der allergischen Erkrankungen erfolgt entsprechend eines Stufenschemas. Hierbei spielen Hauttestun-
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Die Leistungsfähigkeit eines Betroffenen kann sich bei chronischer Rhinitis bis zu 30 % reduzieren
gen und Bluttestungen (wegweisend
ist das spezifische IgE) ebenso eine
Rolle wie Provokationstestungen.
Insbesondere bei Lebensmittelallergien ist es wichtig zu wissen, dass
nicht jede Reaktion, die in Haut- und
Bluttestungen nachweisbar ist, klinische Beschwerden beim Verzehr der
Lebensmittel verursachen muss.
Dies liegt daran, dass die Nahrung
nach der Zubereitung z. B. durch Erhitzen, aber auch bei Kontakt mit der
Magensäure schnell an Allergenität
verliert. Insbesondere bei Lebensmittelallergien ist es daher unerlässlich,
die klinische Bedeutung einer Hautoder Bluttestreaktion im ärztlich
überwachten Provokationstest zu sichern.
EU: Welchen Einfluss hat die Allergie auf die Leistungsfähigkeit und
Lebensqualität der Betroffenen?
ZUBERBIER: Mit zunehmender Erkrankungsdauer besteht bei allen Allergien die Gefahr, dass die Beschwerden häufiger auftreten und sich verselbstständigen. So kann sich z. B. aus
dem anfänglich nur gelegentlich auftretenden allergischen Schnupfen
ein chronisches, allergen-unabhängiges Asthma entwickeln. Auch ein kontaktallergisches Handekzem kann
chronisch werden und gehört zu den
häufigsten Gründen für Berufsunfähigkeit.
Bis zu 30 % Reduktion der Leistungsfähigkeit werden schon bei allergischer Rhinitis beobachtet. Dies gilt
natürlich nicht nur für Berufstätige,
sondern auch für Schulkinder. Die
unmittelbare Folge der geringeren
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Leistungsfähigkeit können schlechtere Zensuren sein.
Diese Beeinträchtigungen sind größtenteils vermeidbar durch rechtzeitige Diagnostik und Therapie.
EU: Wie kann die Lebensqualität der
Betroffenen gesteigert werden?
ZUBERBIER: Durch rechtzeitige Diagnostik und Therapie. Basistherapie
der atopischen Dermatitis ist z. B die
intensive Hautpflege. Hierzu eignen
sich vor allem rückfettende Cremes
und Salben, die harnstoffhaltig sind
und den Mangel an Harnstoff ausgleichen.
Neben der lokalen Pflege sollten
Stoffe, die irritative oder allergische
Reaktionen auf der Haut auslösen,
gemieden werden. Auch auf bestimmte Lebensmittel sollte man bei
mittels Provokationstest nachgewiesener Unverträglichkeit verzichten,
eine allgemeine Neurodermitis-Diät
gibt es jedoch nicht.
Gegen den bestehenden Juckreiz
können moderne Antihistaminika
helfen, die Indikation sollte jedoch
im Einzelfall überprüft werden.
Ergänzend sind Schulungsprogramme für Betroffene wichtig. Speziell ausgebildete und zertifizierte
Neurodermitis-Trainer informieren
über die Ursachen und die modernen Behandlungsmöglichkeiten.
EU: Erfahren die Betroffenen auch
psychologische Unterstützung?
ZUBERBIER: Mehr als die Hälfte aller
Patienten sorgt sich über die nächste
allergische Reaktion, hat aber Angst,
sich behandeln zu lassen.
Bei 53 % aller Allergiepatienten in
Deutschland (73 % in Europa) hat
der behandelnde Arzt nicht über die
emotionalen Folgen eines Ekzems für
den Alltag des Patienten gesprochen.
Hier ist unter den Medizinern noch
Aufklärungsarbeit zu leisten. Aber
auch unter den Patienten. Sie sollten
rechtzeitig einen Arzt aufsuchen und
eine mögliche Behandlung nicht unnötig hinauszögern.
EU: Welche Informationen brauchen
Allergiker?
ZUBERBIER: Allergien beeinträchtigen
die Gesundheit, schränken die Lebensqualität ein und können sogar
einen akuten, lebensbedrohenden
Verlauf haben. Trotzdem besteht die
Neigung, Allergien in der Öffentlichkeit und in der Gesundheitsversorgung nach wie vor zu bagatellisieren.
Nach Schätzungen der Deutschen
Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie werden nur
10 % der betroffenen Patienten mit
Atemwegsallergien korrekt therapiert. Ein Fortschreiten der Erkrankung ist die Folge. So entwickeln beispielsweise 40 % der Patienten mit
einer unbehandelten allergischen
Rhinitis im Laufe der Zeit ein allergisches Asthma.
EU: Welche Präventionsmaßnahmen
gibt es?
ZUBERBIER: Die wichtigsten sind:
■ Nur krankmachende Typ-I-Allergene vermeiden
Nicht alles, was eine Allergie auslösen
kann, muss auch wirklich zu einer
Hautverschlechterung führen. Weiterhin können sich Allergien im
Laufe der Zeit verändern. Es ist daher
ratsam, sich regelmäßig testen zu lassen und nur die klinisch relevanten
Allergene zu vermeiden.
■ Sich schulen lassen
ECARF bietet im Rahmen einer Schulung Allergikern die Möglichkeit, sich
gründlich mit ihrer Hauterkrankung
auseinanderzusetzen. Neben zahlreichen Tipps zur Therapie, Ernährung
und Hautpflege von zertifizierten
Trainern (Hautärzten, Psychologen,
Ernährungsberatern) bekommen Allergiker auch einen Überblick über
die vielen verschiedenen Faktoren,
die einen Einfluss auf die Neurodermitis haben.
■ Übermäßige Feucht- und Nassbelastung der Haut vermeiden (wichtig im Haushalt und bei der Berufswahl)
Das ECARF-Qualitätssiegel liefert Allergikern genauso wie Nichtallergikern eine Orientierung, welche Produkte und Dienstleistungen allergikerfreundlich sind. Produkte, wie
Kosmetika, Waschmittel oder Lebensmittel und Dienstleistungen wie
Hotels und Restaurants, werden dann
als allergikerfreundlich mit dem Siegel ausgezeichnet, wenn sie das tägliche Leben von Allergikern nachweislich verbessern.
EU: Was sind die Forderungen des
Aktionsplanes Allergien des BMELV?
ZUBERBIER: Das Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (BMELV) hat zur
Senkung des Allergierisikos fünf
Hauptziele formuliert. Es will mit diesem Aktionsplan das Allergierisiko in
der Bevölkerung senken. Die wichtigsten Ziele einer verbesserten Vorbeugung vor Lebensmittel-, Kontaktund Atemwegsallergien sind:
■ mehr Sicherheit und Lebensqualität für Allergikerinnen und Allergiker im Alltag,
■ die Entstehung von Allergien zu
mindern,
■ frühzeitiges Erkennen neu aufkommender Allergien,
■ bessere Information der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie
■ die Entlastung der Volkswirtschaft
von vermeidbaren Kosten.
EU: Sind diese Forderungen ausreichend?
ZUBERBIER: Allergien betreffen große
Teile der Bevölkerung, und eine Verbesserung der Lebensqualität ist eindeutig im volkswirtschaftlichen Interesse, da unbehandelte Allergien zu
Leistungsminderung führen. Unabhängig von vielen kleinen einzelnen
Forderungen, die Detailverbesserungen bringen, ist daher die wichtigste
Forderung, dass gesamtgesellschaftlich diesem Problemfeld mehr Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Wir haben in der Vergangenheit
unter Einsatz hoher öffentlicher Kosten, aber auch hohen Engagements
von Privatinitiativen und Stiftungen
eine erheblich verbesserte Aufmerksamkeit gegenüber den weitverbreiteten Erkrankungen wie Herzinfarkten, Schlaganfall und Krebserkrankungen erzielen können. Ein solches
Engagement im Bereich der Allergien fehlt bisher fast komplett. So ist
ECARF eine europaweit arbeitende
Stiftung, die unabhängig von der
pharmazeutischen Industrie auf deutscher und europäischer Ebene Aufklärungsarbeit leistet und auch das
Siegel für allergikerfreundliche Produkte bewusst kostenfrei den Unternehmen anbietet. Private Spenden
erhält die Stiftung jedoch so gut wie
gar nicht.
EU: Welche Optimierungen wünschen
Sie sich für das nächste Jahr?
ZUBERBIER: Insbesondere bei Lebensmitteln sind viele Betroffene durch
die gegenwärtige Deklaration verunsichert. Der Begriff „kann Spuren von
XYZ enthalten“ ist sehr dehnbar.
Wünschenswert wäre beispielsweise,
dass der Begriff „kann Spuren von“
definiert ist mit einem klar hinterlegten Schwellenwert, der nicht überschritten werden darf. Dieser kann
durchaus wie in der Schweiz bei
einem Gramm/Kilogramm Nahrungsmittel liegen, muss jedoch für
die Betroffenen sicher und verlässlich
sein.
EU: Prof. Zuberbier herzlichen Dank
für dieses Gespräch!
LEITER ECARF – Europäische Stiftung für Allergie und Forschung
Prof. Dr. med. Torsten Zuberbier, Co-Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und
Allergologie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, ist ein international
anerkannter Dermatologe und Mitglied zahlreicher wissenschaftlicher Organisationen u. a.
■ Editorial Board, Beirat und Mitglied vieler Zeitschriften und Gesellschaften
■ Mitglied der Kommission für Ernährung, diätetische Produkte, neuartige Lebensmittel
und Allergien, Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
■ Wissenschaftlicher Beirat des Internetportals des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit (BVL)
■ Mitglied im Communication Council der World Allergy Organisation (WAO)
Prof. Zuberbier ist außerdem Generalsekretär des Global Allergy and Asthma European Network (GA²LEN) – Network of Excellence. Seit 2003 ist Prof. Zuberbier Leiter der Europäischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF), Berlin. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Urticaria, Neurodermitis, Atemwegs- und Nahrungsmittelallergien sowie allergische Rhinitis.
Das ECARF-Qualitätssiegel liefert Allergikern und
Nichtallergikern eine Orientierung, welche Produkte und
Dienstleistungen allergikerfreundlich sind
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