34 BZB November 12 Praxis KZVB Vertragszahnheilkunde ist kein Wunschkonzert Patienten haben nur Anspruch auf indizierte Behandlungen Ein erst vor Kurzem mit einer Wurzelbehandlung und Überkronung zweier Zähne im Seitenzahnbereich versorgter Patient stellte sich wenige Tage später erneut in der Zahnarztpraxis vor. Er äußerte den Wunsch, dass ihm der Zahnarzt die frisch versorgten Zähne extrahieren solle. Der Patient hatte zuvor einen Arzt konsultiert, der aufgrund der Wurzelbehandlung und Überkronung weiter bestehender anderweitiger Beschwerden das Ziehen der frisch wurzelgefüllten Zähne „in der nächsten Mondphase“ empfohlen hatte. Daraufhin untersuchte der behandelnde Zahnarzt den Patienten erneut und stellte fest, dass die Extraktion der wurzelbehandelten Zähne aus zahnmedizinischer Sicht kontraindiziert war. Ein Zusammenhang zwischen den durch den Patienten geäußerten Beschwerden und den wurzelbehandelten Zähnen ließ sich nicht feststellen. Obwohl der Zahnarzt den Patienten über die nicht bestehende Indikation aufgeklärt hatte, beharrte dieser auf seinem Wunsch. In dieser speziellen Situation war sich der Zahnarzt unsicher, ob er die Behandlung vielleicht doch durchführen darf, nachdem der Patient auf der Zahnextraktion beharrte und er diesen bereits über die hieraus resultierenden Risiken der Behandlung aufgeklärt hatte. Die Risiken bestehen insbesondere in Wundheilungsstörung, Nachblutung, Osteotomie beziehungsweise schlechtem Halt einer später eventuell erforderlich werdenden zahnprothetischen Versorgung. Wie soll sich der Zahnarzt in einer solchen Situation verhalten? Darf oder muss er alles tun, was der „mündige“ Patient von ihm verlangt, oder ist der Zahnarzt allein „Herr der vorzunehmenden Behandlung“? Juristische Bewertung Für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Zahnbehandlung ist im Wesentlichen zwischen zahnmedizinisch indizierten, kontraindizierten sowie Foto: KZVB Darf der Zahnarzt eine Zahnextraktion trotz zahnärztlicher Kontraindikation auf ausschließlichen Wunsch des Patienten vornehmen? Diese Frage eines Zahnarztes erreichte die KZVB. Dieser Artikel gibt die Antwort. Für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Zahnbehandlung ist zwischen zahnmedizinisch indizierten, kontraindizierten sowie auch den kosmetischen Eingriffen zu differenzieren. auch den kosmetischen Eingriffen zu differenzieren. Unter letzter Fallgruppe sind alle Eingriffe zu verstehen, die weder aus psychischen noch physischen Gründen erforderlich sind, mithin zumeist aus kosmetischen Gründen erfolgen. Zahnmedizinisch indizierte Eingriffe Jeder zahnmedizinische Eingriff ist auch ein Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten. Allein dem Patienten obliegt deshalb die Entscheidung, ob er die Heilbehandlung vornehmen lassen möchte oder nicht. Über den Willen des Patienten darf sich der Zahnarzt nicht hinwegsetzen. Auch unvernünftige Entscheidungen des Patienten muss der Zahnarzt akzeptieren. In einer solchen Situation sollte der Zahnarzt den Patienten aber zur Vermeidung von eigenen Haftungsrisiken umfassend über die aus der Nichtdurchführung der Behandlung resultierenden Folgen und Risiken aufklären und dies ausführlich dokumentieren. Die Wahlfreiheit des Patienten resultiert im Wesentlichen aus dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Art. 2 GG). Kontraindizierte Eingriffe Hierunter sind alle Eingriffe zu verstehen, die nach dem gesicherten Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft und anerkannter zahnmedizinischer Praxis (sogenannter zahnmedizinischer Standard) zum Zeitpunkt der Behandlung kontraindiziert sind. Praxis BZB November 12 35 Für den Bereich der kontraindizierten Eingriffe, im oben angeführten Beispiel das Extrahieren der Zähne, haben die Zivilgerichte bereits mehrfach entschieden, dass der Zahnarzt keine aus zahnmedizinischer Sicht unhaltbaren Wunschbehandlungen durchführen darf. Dies auch dann nicht, wenn der Patient auf deren Durchführbarkeit beharrt und dieser vollumfänglich über die Folgen und Risiken des Verfahrens aufgeklärt wurde (vgl. in diesem Sinne: OLG Frankfurt 06.12.1977, Az: 8 U 127/77; LG Hannover 16.04.1985, Az: 19 O 109/85). Hier ist allein der Zahnarzt für die Durchführung der Behandlung verantwortlich. Fehlt die Indikation zur zahnärztlichen Behandlung, sollte der Zahnarzt diese, auch bei beharrlichem Wunsch des Patienten, nicht durchführen. Führt der Zahnarzt die Behandlung trotz bestehender Kontraindikation durch, setzt er sich in der Regel der Gefahr zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aus. Auch drohen Regressansprüche der gesetzlichen Krankenkassen. Außerdem kann es im Einzelfall zur strafrechtlichen Verfolgung kommen. Kosmetische Indikation Bei der kosmetischen Indikation liegt streng genommen auch keine medizinische Indikation vor, da die Eingriffe eben nur aus meist ästhetischen Aspekten erfolgen. Derartige Eingriffe nehmen insbesondere im ärztlichen Bereich immer mehr zu und sind vom Grundsatz her rechtlich zulässig. Voraussetzung ist, dass der Patient hier in die Durchführung einer aus rein kosmetischen Gründen erfolgenden Behandlung eingewilligt hat, umfassend über die Folgen und Risiken derselben aufgeklärt wird und der (Zahn-)Arzt dies umfassend dokumentiert. Auch darf der Eingriff nicht als sittenwidrig zu werten sein, was beispielsweise bei einer den Patienten verstümmelnden Be- Foto: hhs/pixelio.de KZVB Eine reine Wunschbehandlung ohne jegliche zahnmedizinische Indikation kann zu strafrechtlichen Konsequenzen für den Zahnarzt führen. handlung der Fall wäre. Eine rein kosmetische Indikation wird im zahnärztlichen Bereich in der Regel nicht vorliegen, da meist auch eine zahnmedizinische Indikation besteht. Sofern im Einzelfall eine Behandlung aus rein kosmetischen Gründen erfolgt, kann selbstverständlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (und wahrscheinlich auch nicht der privaten Krankenversicherung) abgerechnet werden. Die Behandlung ist mit dem Patienten selbst abzurechnen und von diesem zu tragen. Fazit Reine Wunschbehandlungen ohne jegliche zahnmedizinische Indikation sollte der Zahnarzt zur eigenen Sicherheit nicht durchführen und die Behandlung in einem solchen Fall ablehnen. Führt der Zahnarzt die Behandlung dennoch durch, läuft er Gefahr, sich Regressansprüchen der gesetzlichen Krankenkassen sowie der zivilrechtlichen und gegebenenfalls sogar strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen. Claudia Rein „Vernunft ist gefragt” In seinem Editorial für das Oktober-BZB hat sich der stv. politik der Ärzte. Ich schreibe Ihnen das, weil ich, längst in KZVB-Vorsitzende Dr. Stefan Böhm mit dem Streit um die Pension, immer noch unsere Standespolitik verfolge. Ich Arzthonorare auseinandergesetzt. Dazu erreichte uns ein weiß, dass auch von Zahnärzten immer wieder härtere Maß- Leserbrief eines langjährigen Standespolitikers. nahmen gefordert werden, wenn sie der Zorn über mangelhafte Vergütung überfällt. Gerade deshalb ist Vernunft Sehr geehrter Herr Dr. Böhm, bei der Standesführung gefragt. Ich kann das aus Erfahrung Ihr Leitartikel „Respice finem“ hat mich sehr beeindruckt. bestätigen, nachdem ich mehr als 20 Jahre im Vorstand der Weil Sie damit ein Vertragsverhältnis mit den Krankenkas- KZVB mitgearbeitet habe und von 1978 bis 1986 Vorsitzen- sen auf Augenhöhe verfolgen, das uns Zahnärzten immer der der KZBV war. bessere Ergebnisse gebracht hat als die härtere Vertrags- Dr. Helmut M. Zedelmaier Schongau