Vertragszahnheilkunde ist kein Wunschkonzert

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BZB November 12
Praxis
KZVB
Vertragszahnheilkunde ist
kein Wunschkonzert
Patienten haben nur Anspruch auf indizierte Behandlungen
Ein erst vor Kurzem mit einer Wurzelbehandlung
und Überkronung zweier Zähne im Seitenzahnbereich versorgter Patient stellte sich wenige Tage
später erneut in der Zahnarztpraxis vor. Er äußerte den Wunsch, dass ihm der Zahnarzt die frisch
versorgten Zähne extrahieren solle. Der Patient
hatte zuvor einen Arzt konsultiert, der aufgrund
der Wurzelbehandlung und Überkronung weiter bestehender anderweitiger Beschwerden das Ziehen
der frisch wurzelgefüllten Zähne „in der nächsten
Mondphase“ empfohlen hatte. Daraufhin untersuchte der behandelnde Zahnarzt den Patienten erneut und stellte fest, dass die Extraktion der wurzelbehandelten Zähne aus zahnmedizinischer Sicht
kontraindiziert war. Ein Zusammenhang zwischen
den durch den Patienten geäußerten Beschwerden
und den wurzelbehandelten Zähnen ließ sich nicht
feststellen. Obwohl der Zahnarzt den Patienten über
die nicht bestehende Indikation aufgeklärt hatte,
beharrte dieser auf seinem Wunsch.
In dieser speziellen Situation war sich der Zahnarzt unsicher, ob er die Behandlung vielleicht doch
durchführen darf, nachdem der Patient auf der
Zahnextraktion beharrte und er diesen bereits über
die hieraus resultierenden Risiken der Behandlung
aufgeklärt hatte. Die Risiken bestehen insbesondere in Wundheilungsstörung, Nachblutung, Osteotomie beziehungsweise schlechtem Halt einer später eventuell erforderlich werdenden zahnprothetischen Versorgung. Wie soll sich der Zahnarzt in
einer solchen Situation verhalten? Darf oder muss
er alles tun, was der „mündige“ Patient von ihm
verlangt, oder ist der Zahnarzt allein „Herr der vorzunehmenden Behandlung“?
Juristische Bewertung
Für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Zahnbehandlung ist im Wesentlichen zwischen zahnmedizinisch indizierten, kontraindizierten sowie
Foto: KZVB
Darf der Zahnarzt eine Zahnextraktion trotz zahnärztlicher Kontraindikation auf ausschließlichen
Wunsch des Patienten vornehmen? Diese Frage
eines Zahnarztes erreichte die KZVB. Dieser Artikel
gibt die Antwort.
Für die Frage der rechtlichen Zulässigkeit der Zahnbehandlung ist zwischen zahnmedizinisch indizierten, kontraindizierten sowie auch den kosmetischen Eingriffen
zu differenzieren.
auch den kosmetischen Eingriffen zu differenzieren. Unter letzter Fallgruppe sind alle Eingriffe zu
verstehen, die weder aus psychischen noch physischen Gründen erforderlich sind, mithin zumeist
aus kosmetischen Gründen erfolgen.
Zahnmedizinisch indizierte Eingriffe
Jeder zahnmedizinische Eingriff ist auch ein Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten.
Allein dem Patienten obliegt deshalb die Entscheidung, ob er die Heilbehandlung vornehmen lassen
möchte oder nicht. Über den Willen des Patienten
darf sich der Zahnarzt nicht hinwegsetzen. Auch
unvernünftige Entscheidungen des Patienten muss
der Zahnarzt akzeptieren. In einer solchen Situation sollte der Zahnarzt den Patienten aber zur Vermeidung von eigenen Haftungsrisiken umfassend
über die aus der Nichtdurchführung der Behandlung resultierenden Folgen und Risiken aufklären
und dies ausführlich dokumentieren. Die Wahlfreiheit des Patienten resultiert im Wesentlichen
aus dessen Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung (Art. 2 GG).
Kontraindizierte Eingriffe
Hierunter sind alle Eingriffe zu verstehen, die nach
dem gesicherten Stand der zahnmedizinischen
Wissenschaft und anerkannter zahnmedizinischer
Praxis (sogenannter zahnmedizinischer Standard)
zum Zeitpunkt der Behandlung kontraindiziert sind.
Praxis
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Für den Bereich der kontraindizierten Eingriffe, im
oben angeführten Beispiel das Extrahieren der Zähne, haben die Zivilgerichte bereits mehrfach entschieden, dass der Zahnarzt keine aus zahnmedizinischer Sicht unhaltbaren Wunschbehandlungen
durchführen darf. Dies auch dann nicht, wenn der
Patient auf deren Durchführbarkeit beharrt und
dieser vollumfänglich über die Folgen und Risiken
des Verfahrens aufgeklärt wurde (vgl. in diesem
Sinne: OLG Frankfurt 06.12.1977, Az: 8 U 127/77;
LG Hannover 16.04.1985, Az: 19 O 109/85).
Hier ist allein der Zahnarzt für die Durchführung
der Behandlung verantwortlich. Fehlt die Indikation zur zahnärztlichen Behandlung, sollte der
Zahnarzt diese, auch bei beharrlichem Wunsch
des Patienten, nicht durchführen. Führt der Zahnarzt die Behandlung trotz bestehender Kontraindikation durch, setzt er sich in der Regel der Gefahr
zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche aus. Auch
drohen Regressansprüche der gesetzlichen Krankenkassen. Außerdem kann es im Einzelfall zur strafrechtlichen Verfolgung kommen.
Kosmetische Indikation
Bei der kosmetischen Indikation liegt streng genommen auch keine medizinische Indikation vor, da die
Eingriffe eben nur aus meist ästhetischen Aspekten
erfolgen. Derartige Eingriffe nehmen insbesondere
im ärztlichen Bereich immer mehr zu und sind vom
Grundsatz her rechtlich zulässig. Voraussetzung ist,
dass der Patient hier in die Durchführung einer aus
rein kosmetischen Gründen erfolgenden Behandlung
eingewilligt hat, umfassend über die Folgen und Risiken derselben aufgeklärt wird und der (Zahn-)Arzt
dies umfassend dokumentiert. Auch darf der Eingriff
nicht als sittenwidrig zu werten sein, was beispielsweise bei einer den Patienten verstümmelnden Be-
Foto: hhs/pixelio.de
KZVB
Eine reine Wunschbehandlung ohne jegliche zahnmedizinische Indikation kann zu
strafrechtlichen Konsequenzen für den Zahnarzt führen.
handlung der Fall wäre. Eine rein kosmetische Indikation wird im zahnärztlichen Bereich in der Regel
nicht vorliegen, da meist auch eine zahnmedizinische Indikation besteht. Sofern im Einzelfall eine Behandlung aus rein kosmetischen Gründen erfolgt,
kann selbstverständlich nicht zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (und wahrscheinlich auch
nicht der privaten Krankenversicherung) abgerechnet werden. Die Behandlung ist mit dem Patienten
selbst abzurechnen und von diesem zu tragen.
Fazit
Reine Wunschbehandlungen ohne jegliche zahnmedizinische Indikation sollte der Zahnarzt zur
eigenen Sicherheit nicht durchführen und die Behandlung in einem solchen Fall ablehnen. Führt
der Zahnarzt die Behandlung dennoch durch, läuft
er Gefahr, sich Regressansprüchen der gesetzlichen
Krankenkassen sowie der zivilrechtlichen und gegebenenfalls sogar strafrechtlichen Verfolgung auszusetzen.
Claudia Rein
„Vernunft ist gefragt”
In seinem Editorial für das Oktober-BZB hat sich der stv.
politik der Ärzte. Ich schreibe Ihnen das, weil ich, längst in
KZVB-Vorsitzende Dr. Stefan Böhm mit dem Streit um die
Pension, immer noch unsere Standespolitik verfolge. Ich
Arzthonorare auseinandergesetzt. Dazu erreichte uns ein
weiß, dass auch von Zahnärzten immer wieder härtere Maß-
Leserbrief eines langjährigen Standespolitikers.
nahmen gefordert werden, wenn sie der Zorn über mangelhafte Vergütung überfällt. Gerade deshalb ist Vernunft
Sehr geehrter Herr Dr. Böhm,
bei der Standesführung gefragt. Ich kann das aus Erfahrung
Ihr Leitartikel „Respice finem“ hat mich sehr beeindruckt.
bestätigen, nachdem ich mehr als 20 Jahre im Vorstand der
Weil Sie damit ein Vertragsverhältnis mit den Krankenkas-
KZVB mitgearbeitet habe und von 1978 bis 1986 Vorsitzen-
sen auf Augenhöhe verfolgen, das uns Zahnärzten immer
der der KZBV war.
bessere Ergebnisse gebracht hat als die härtere Vertrags-
Dr. Helmut M. Zedelmaier
Schongau
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