Gerald Hellweg Matrikel Nr.: 1538493 Grundkurs: Kriminalität als historisches Phänomen Dozenten: Stefan Gorißen, Jörg Requate Zusammenfassung des Textes „Recht und Gerechtigkeit im Umbruch von Verfassungs- und Gesellschaftsordnung. Zur Situation der Strafrechtspflegein Preußen im 19. Jahrhundert“ von Dirk Blasius Der Text beginnt mit einer kurzen Darstellung der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft speziell in Deutschland. Diese bürgerliche Bewegung hat bereits früh das Recht als Mittel der Umformung der Gesellschaft in eine von bürgerlich-liberalen Werten bestimmte erkannt. Es folgt ein Abriss des Siegeszuges dieser Werte im Rechtssystem. Dieser Siegeszug zeigt sich vor allen Dingen in der immer stärker erfolgenden Einführung wirtschaftlicher und privatrechtlicher Freiheiten sowie der Umgestaltung von Verwaltungs- und Strafrecht nach rechtsstaatlichen Prinzipien. Der Text geht dann auf die dadurch entstehende Diskrepanz von Recht und Gerechtigkeit ein. Des weiteren wird die Wahl des Untersuchungszeitraums (vor dem oben genannten Siegeszug des bürgerlichen Rechts) dadurch begründet, dass dieser einen relativ unverstellten Blick auf die Rechtspraxis zulässt, während in späteren Zeiträumen die eigentliche Rechtswirklichkeit hinter den Normen der Gesetzestexte schlechter erkennbar ist. Die Quellen, auf die sich der Text bezieht stammen aus den Archivbeständen des preußischen Justizministeriums, da diese einen relativ realistischen Einblick in die Rechtswirklichkeit dieser Zeit bieten. Der Verfasser skizziert den Weg der preußischen Reformgesetzgebung im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts und erklärt diese mit dem Wunsch, sozial veraltete Strukturen zu beseitigen. So wurde durch die Agrargesetzgebung letztendlich das Eigentumsrecht im landwirtschaftlichen Bereich voll durchgesetzt. Jedoch kollidierten die Reformgesetze oft mit gewachsenem Sozialverhalten, wobei das bisher erlaubte Verhalten nun unter Strafe gestellt wurde, was zu einem starken Anstieg der Kriminalitätsziffer führte, mit eindeutigem Schwerpunkt bei Diebstahlsdelikten, besonders dem Holzdiebstahl. Warum dies? Diebstahl war im preußischen Recht ein sehr ausdifferenzierter Tatbestand, der Eigentumsverletzungen mit harten Strafen belegte. Diese Norm ging jedoch an der Lebenswirklichkeit der unteren Schichten vorbei, da sie, wie das gesamte Strafrecht, nicht in der Lage war lagespezifischen Notdelikten Rechnung zu tragen. Holzdiebstahl wurde jedoch zu dem bedeutendsten lagespezifischen Notdelikt. Hier ist nun die Frage, wie ein sehr hart sanktionierendes Strafrecht mit der sozialen Lebenswirklichkeit in Einklang gebracht werden konnte. Hier stellt der Verfasser die These auf, dass es gerade die Allgewalt des Richters im Prozess war, die ein gewisses Moment der sozialen Gerechtigkeit dargestellt hat, da der Richter verfahrensrechtliche Möglichkeiten besaß, das Verfahren zugunsten des Angeklagten zu führen. Der Richter wurde als moralisch bewertende Instanz angesehen, der auch über die Beweggründe einer Tat zu urteilen hatte. Dies alles gilt jedoch nicht für bestimmte Delikte, wie z.B. den Holzdiebstahl, da dieser Gegenstand eines beschleunigten Verfahrens war oder von Patrimonialgerichten verhandelt wurde, bei denen das Verfahrensrecht keine Gültigkeit besaß. Es ergibt sich jedoch, dass die Untertanen von ihren Richtern ein positives Bild gehabt haben. Die Nivellierung sozialer Ungerechtigkeit durch das Verfahrensrecht hatte besonders von Seiten des Adels, Gegner. Sie verlangten einen besseren Schutz ihres Eigentums, und, dass der Richter nicht länger auch als Verteidiger des Angeklagten auftrete, sondern im Gegenteil, die Gesetze streng anwenden solle. Gegen die im Text vertretene Interpretation der Rolle des Richters wird als Einwand angeführt, dass die Durchführung des Verfahrens allein in Verbindung mit der Drohgebärde des materiellen Strafrechts gerade die Rolle innegehabt habe, die eigentlich dem Vollzug der Strafe zukommt. Hiergegen wird im Text eingewandt, dass z.B. das Freizügigkeitsgesetz denjenigen, der verurteilt wurde, stark benachteiligt hat. Freispruch oder Verurteilung war eine Frage, die die persönliche Existenz direkt betraf. Die Angst vor der Stigmatisierung durch das verfahren an sich wird demgegenüber als eher gering eingeschätzt. Die Justizbehörden waren sich über die sozialen Verhältnisse im Klaren. Des weiteren war bei der herrschenden Verteilung von Reichtum in den unteren Schichten der Gedanke verbreitet, dass Besitz für alle da sei, und man auch Normen übertreten könne, um sein und seiner Angehörigen Leben zu erhalten. Der Richter hatte somit im Rahmen des Verfahrens die Möglichkeit, als Korrektiv sozialer Ungleichheit zu fungieren und somit auch Gerechtigkeitsvorstellungen einen Platz im Verfahren zu geben.