kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Kinship: Im engeren Sinn: Form der sozialen Beziehung, die man zw. Eltern und Kindern voraussetzt; d.h. die Verwandtschaft beruht auf einer biologischen Beziehung, die von der Gesellschaft definiert wird (Biologie der Reproduktion, Nahrung etc.). Im umfassenderen Sinn: Der Begriff Verwandtschaft schließt auch Personen mit ein, mit denen man durch Heirat verbunden ist. Abstammung od. Deszendenz: engl.: descent, franz.: filiation (descendance eher selten) Bezeichnet die Zuordnung von Individuen zu bestimmten Gruppen, Positionen und Rollen aufgrund verwandtschaftlicher Beziehungen. Man unterscheidet traditionell zwischen patrilinearer, matrilinearer und bilateraler Abstammung. Die beiden ersteren werden auch unter unilinearer Abstammung zusammengefasst. Rivers empfiehlt bzgl. Deszendenz genauer zu differenzieren: - descent: benennt die Übertragung der Mitgliedschaft in einer sozialen Gruppe von einer Generation auf die Nächste. - inheritance: Weitergabe von Besitz - succession: Weitergabe von Rang und Ämtern Unterschied zw. Kinship und Dezendenz: Kinship: Definition durch Bezugnahme auf Ego. Auf der ganzen Welt zu finden. Normalerweise bilateral, vom Standpunkt Egos. Kinship-Beziehungen sind bezüglich (d.h. du bist der Sohn/Neffe nur in Beziehung zu einer bst. Person). Deszendenz: Definition durch Bezugnahme auf eine/n Vorfahren/in. Kulturell anerkannt nur in einigen Gesellschaften. Verbindungen (durch Verwandtschaft mit gemeinsamen/er Ahnen/in) zu der nur eine limitierte Gruppe von Egos Verwandten gehören. Deszendenz-Status ist absolut (d.h. du bist/bist nicht Mitglied einer bst. Gruppe). unilineare (patrilinear, matrilinear) Deszendenz: Regelung, dass Individuen zu Gruppen von Verwandten gerechnet werden, mit denen sie über ihren Vater (patrilinear) oder ihrer Mutter (matrilinear) verbunden sind (Nur eine Linie wird für die Berechnung von Egos Abstammung als relevant angesehen. Aber: Sowohl Frauen als auch Männer gehören zur Deszendenzgruppe. Die Mitgliedschaft kann aber in patrilinearen Systemen nur über Männer weitergegeben werden und umgekehrt.). Segmentäre (Lineage) Theorie: Beobachtete Tendenz (der Lineages/Klans) zur Verschachtelung. In Krisensituationen gibt es Muster des gegenseitigen Bestehens, die nicht immer gleich sind. Oppositions- und Solidaritätsbeziehungen wechseln ständig (Prozess der Fission und Fusion). Führerschaft (v.a. längere) lässt sich ur schwer festigen, bzw. ist nur schwach ausgebildet (akephale/kopflose Gesellschaft). Starke Führer werden nicht unbedingt zugelassen. Theoretisch kommt jeder als Führer in Frage. [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Nicht-Unilineare (kognatische) Deszendenz: Unterscheidung zwischen bilateralen (kognatischen) und ambilinearen (optativen) Systemen. Bei beiden Formen entstehen nicht so klar abgegrenzte Gruppen wie bei unilinearen Deszendenzsystemen. (Kritik: Kognatisch = Bilateral aber auch Kognatisch = Nicht-Unilinear!). Man spricht von bilateral wenn weder die väterliche noch die mütterliche Line eindeutig bevorzugt wird. Man führt sich auf beide zurück. In ambilinearen Systemen kann Ego entscheiden, über wen die Deszendenz abgeleitet wird (patrilinear oder matrilinear). Ein späteres Wechseln ist aber nicht mehr möglich. Sonderformen unilinearer Deszendenz: bilineare (doppelte) Abstammung, engl. double descent Sowohl patri-, wie auch matrilinear organisiert. Die Mitglieder handeln in einem Zusammenhang als Mitglieder der Patri- und in anderem Zusammenhang als Mitglieder der Matrilinie. Complementary Filiation (Von Meyer Fortes geprägter Begriff): In Gesellschaften mit unilinearen Deszendenzregeln anerkennen die Gruppenmitglieder trotzdem Kinship-Links mit Verwandten, die nicht der eigenen Deszendenzgruppe angehören. Unterschied zw. doppelter Deszendenz und Complementary Filiation: Doppelte Deszendenz: Ego ist mit der Matrilinie der Mutter verbunden. Complementary Filiation: Ego ist mit der Patrilinie der Mutter verbunden. patrilateral: alle Verwandte mit denen Ego durch den Vater verwandt, verbunden ist matrilateral: alle Verwandte mit denen Ego durch die Mutter verwandt, verbunden ist Filiation: Eltern-Kind-Beziehung, stellt kleinste soziale Einheit dar (brit. Anthrop.) Achtung: In der franz. Anthropologie wird der Begriff filiation mit der Bedeutung Deszendenz verwendet. Konsanguinität: Blutsverwandtschaft, Blutsbande verbinden Personen; konsanguine Verwandte: Kind, Vater, Mutter. Wer als konsanguiner Verwandter verstanden wird, legt jede Gesellschaft für sich fest. Heute wird eher der Begriff relationship relatives verwendet. Affinalität: Verschwägerung, Verheiratung; affinale Verwandte: Ehemann, Ehefrau, etc. (Personen, mit denen man durch Heirat verbunden ist) [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet family of orientation: Orientierungsfamilie. Ego lernt hier seine/ihre Kultur und wird orientiert Richtung Erwachsenenleben. family of procreation: Fortpflanzungsfamilie; Egos begründete Familie. lineare und kollaterale Verwandte: linear: direkte Vor- und Nachfahren einer gegebenen Person in aufsteigender Generation: meine Mutter, Vater, Geschwister (Co-linear); stehen Ego am nächsten, höchste Solidarität, Verantwortung in absteigender Generation: meine Tochter, Sohn, deren Kinder kollateral: die ganzen anderen, Geschwister der Vorfahren und deren Abkömmlinge; Seitenverwandte Kritik: Diese Art der Differenzierung ist nicht natürlich! merging (Gleichsetzung): wenn ein Terminus für mehrere gleich gilt, also wenn lineare und kollaterale Verwandte einer Kinklasse zusammengefasst werden (etwa F=FB) zusammenfassen von Verwandten unter einen Terminus zB Vater, VaterBruder bifurcation (Gabelung): liegt vor wenn Verwandte väterlicherseits und mütterlicherseits terminologisch unterschieden werden; z.B. MB ist nicht gleich FB Æ im Gegensatz zu unserem Verwandtschaftssystem wo MB und FB als Onkel bezeichnet werden) Klassifikationsschema nach Lowie: Lineares System: Unterscheidung zwischen linearen und kollateralen Verwandten. Generationales System: Lineare und kollaterale Verwandte werden nicht unterschieden, nur Geschlecht und Generation spielen eine Rolle, d.h. nur ein Terminus für alle Frauen in Egos Generation und nur einer in der ersten aufsteigenden Generation. Bifurcate Merging System: Unterscheidung zw. Parallel- und Kreuzverwandten und gleichzeitig werden auf paternaler und maternaler Seite die Parallelverwandten mit den linearen Verwandten gleichgesetzt. Bifurcate Collateral System: Unterscheidung zw. patri- und matrilateralen Verwandten und Differenzierung zw. linearen und kollateralen Verwandten auf beiden Seiten. Parallelverwandte/Kreuzverwandte: Verwandte werden danach unterschieden ob sie von Geschwistern verschiedenen Geschlechts (Kreuzverwandte) oder Geschwister gleichen Geschlechts (Parallelverwandte) abstammen. Die Differenzierung der kollateralen Verwandten in Kreuz- und Parallelverwandte ist eines der Hauptkriterien bei der Typologisierung der verwandtschaftlichen Systeme und auch wesentlich bei der Klassifikation der Heiratsform. [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Genealogie: Darstellung der Abstammung einer Person von einem oder mehreren Ahnen durch die Aufzählung der zwischen Ego und diesem Ahnen liegenden Generationen. Aufzeichnung, wie bst. Personen miteinander verbunden sind (kann auch fiktiv sein). Wichtiges Hilfsmittel für Ethnologen. In Gesellschaften, wo Abstammung wichtig ist, sind sie das soziale Gedächtnis und stellen den Handlungsramen dar, auch bzgl. Rechten (Erbe), Pflichten (Beistand) oder sozialen Status. Referenz- und Adresstermini: Referenz: wenn jemand einen Verwandten gegenüber einer 3. Person bezeichnen will (z.B.: mein Vater) Adress: wenn jemand einen Verwandten direkt anspricht (z.B.: Papa) structural amnesia: Ausblendung gewisser Personen, vergessen bestimmter Vorfahren (auch unabsichtlich). Faktoren: jung verstorben, wenig Nachkommen, geringe Teilnahme am sozialen Leben etc. Erhöhung: manche Personen werden erhöht dargestellt. Faktoren: Erreichen eines hohen Alters, letzter Überlebender einer Generation, erfolgreiche Führerschaft im Krieg, führende Rolle im zeremoniellen Bereich, Reichtum an Vieh etc. Kindred: Jene Gruppe mit der Ego durch Filiation verbunden ist (Ego-Fokus). Jedes Individuum hat seine eigene Kindred, man gehört aber zu mehreren Kindreds. Für Vollgeschwister ist die Kindred bis zu ihrer Heirat identisch. Egos Verwandte sind teilbar in matri- und patrilaterale Verwandte (nicht zu verwechseln mit matri- und patrilinear!). Egos Geschwister und Kinder sind hier ausgeklammert (bei matri/patrilateralen Verwandten). Auf der Basis einer Kindred können nur für kurze Zeiträume soziale Gruppen gebildet werden, da sie zwar emotional verbunden sind, aber keine Verpflichtungen existieren. Korporation, engl.: corporative group: Gruppen von Personen, die gemeinsam agieren. Gemeinsame Identität, nach außen geschlossene Einheit, Mitglieder haben gemeinsame Rechte und Pflichten, oft gemeinsames Territorium (soziale Nähe und Interaktion sind wichtig für Korporationen), gemeinsame Abstammung verstärkt diesen Zusammenhalt. deskriptive und klassifikatorische Systeme – nach Morgan: deskriptiv: lineare Verwandte werden von kollateralen Verwandten unterschieden durch unterschiedliche Termini; eher in „zivilisierten“ Gesellschaften zu finden. klassifikatorisch: keine Unterscheidung zwischen linear und kollateral; zB für Vater und VaterBruder gibt es nur eine Bezeichnung; eher in „nichtzivilisierten“ Gesellschaften (große Zahl von genalogischen Positionen werden mit dem gleichen Terminus belegt). [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Holy unterscheidet zw. Nature Kinship und Nurture Kinship: Nature Kinship: ausgehend vom Zeugungsakt wird Verwandtschaft konstruiert Nurture Kinship: betont z.B. Ernährung, gemeinsames Essen, gemeinsames produzieren (z.B.: Milchverwandtschaft) Diese Differenzierungen ist wichtig! Genitor = biologischer Vater Genetrix = biologische Mutter Pater = sozialer Vater Mater = soziale Mutter Vir = Ehemann Uxor = Ehefrau Warum? Z.B.: Frauenheiraten, neue Reproduktionstechniken, Leihmutter etc. Lineage: Abstammungsgruppe, die sich auf eine/n nachweisbare/n Ahnen/in zurückführt. Gliederung der Lineage nach Meyer Fortes in: Maximal Lineage: größte Segment innerhalb einer unilinearen Abstammungsgruppe, die von einem Ahn abstammen. Major Segment: nächstes kleineres Segment; alle weiteren kleineren Segmente werden als Secondary S., Tertiary S. etc. bezeichnet. Minimal Lineage: kleinstmögliche Einheit (Verbindung in Patrilinie zw. Va und So und in Matrilinie zw. Mu und To). Größe und Umfang der Max. Lineage, des Maj. Seg. Können von Gesellschaft zu Gesellschaft variieren. Klan: der Nachweis der Vorfahren ist nicht so exakt wie bei einer Lineare ( gibt meist Lücken), die Linie der Ahnen kann nicht genau verfolgt werden; auch Tiere, Pflanzen oder mythische Wesen als Vorfahren möglich. Sonderformen der unilinearen Deszendenzsysteme doppelte Deszendenz: bei bestimmten Belangen geht Ego auf Vater und bei anderen Belangen auf die Mutter zurück parallele Abstammung: weibliches Ego führt sich auf weibliche Vorfahren zurück, männliches Ego auf männliche Vorfahren Wohnsitzregelung patrilokal: Kinder am Wohnort des Vaters matrilokal: Kinder am Wohnort der Mutter virilokal: Paar wohnt in der Gruppe des Ehemannes uxorilokal: Paar wohnt in der Gruppe der Ehefrau neolokal: wird der Wohnsitz unabhängig von der Verwandtschaft beider Ehepartner gegründet. avunkolokal: wenn Kinder von ihren Eltern zum Mutterbruder ziehen ambilokal: vorwiegend bei Verwandtschaft des Ehemannes bzw. vorwiegen bei Verwandtschaft der Ehefrau Verschmelzungen zur genaueren Differenzierung möglich: Uxoripatrilokal (Paar zieht zu Vater der Frau), Viripatrilokal (Paar zieht zu Vater des Mannes) Das sind Idealformen, die in der Realität nicht immer befolgt werden. [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Familienformen: Kernfamilie: Ehepaar mit seinen Kindern zusammengesetzte (extended) Familie - Erweiterung über Filiationsbeziehung (z.B.: Eltern/Kinder/Großeltern in einem Haushalt). erweiterte (joint) Familie - Erweiterung über die Geschwisterbeziehung, also innerhalb der eigenen Generation (z.B.: Geschwister und deren Familien in eine Haushalt). fragmentierte, unvollständige Familie: z.B. Witwe mit Kind, ohne Partner Bride Wealth oder Brautpreis: Gruppe des Mannes muss Gruppe der Frau diesen Bride Wealth übertragen, Entschädigung für die Arbeitskraft die mit der Frau verloren geht und nicht Kaufpreis für Frau (Kompensationszahlung). Mitgift oder dowry: Frau muss Dinge mit in die Ehe mitbringen (vgl. vorgezogene Erbschaft). Allianztheorie (Levi-Strauss, franz. Anthrop.): Beziehungen zw. Individuen und Gruppen entstehen durch Heiratsbeziehungen (Gegensatz zur brit. Deszendenztheorie). Durch Heirat werden Allianzen eingegangen. Heirat wird als Frauentausch zw. Zwei Gruppen verstanden, der über längeren Zeitraum geht und so zu Allianzen zw. Diesen Parteien erzeugt. präferentielle Heiratsregeln: Empfehlung wer der ideale Heiratspartner ist aber kein Muss präskriptive Heiratsregeln: schreibt genau vor wen man heiraten muss Inzesttabu: Je nach Gesellschaft anders gefasst; Gesetz, dass sexuelle Beziehungen zw. nahen Verwandten regelt. Endogamie oder „in-marriage“: Heirat innerhalb einer kulturell festgelegten sozialen Einheit. Exogamie oder „out-marriage“: Ehe muss außerhalb einer kulturell festgelegten sozialen Einheit geschlossen werden. Isogamie: Heirat zw. zwei Personen, die den selben Sozialstatus haben, oder des selben Schicht/Kaste angehören. Levirat und Sororat: Im Levirat ist ein Mann verpflichtet/hat das Recht die Witwe seines verstorbenen Bruders zu heiraten bzw. die Witwe ist verpflichtet/hat das Recht den Bruder ihres verstorbenen Mannes zu heiraten (Sororat: Frau heiratet Witwer ihrer Schwester etc.) [email protected] kleines Kinship-Lexikon überarbeitet Hypergamie: meist in patrilinearen Systemen, Frau gehört einer unteren sozialen Schicht an und muss hinaufheiraten (Statuserhöhung der Frau, für Mann aber kein Prestigeverlust). Hypogamie: hier heiratet der Mann hinauf, er kommt also aus niedriger Schicht und heiratet eine Frau aus höherer Schicht, oft in Verbindung mit matrilinearen Gesellschaften. Polygamie (Polygynie, Polyandrie) : Polygynie: gleichzeitige Ehe eines Mannes mit mehreren Frauen Polyandrie: gleichzeitig Ehe einer Frau mit mehreren Männern Kreuzbase (Kreuzvetter, Cousin Æ unten Beispiel mit Cousine): Cousine, deren Vater der Bruder deiner Mutter ist oder deren Mutter die Schwester deines Vaters ist (allg.: MuBrTo, MuBrSo, VaSwTo, VaSwSo). Parallelbase (Parallelvetter, Cousin Æ unten Beispiel mit Cousine): Cousine, deren Vater der Bruder deines Vaters oder deren Mutter die Schwester deiner Mutter ist (allg.: MuSwTo, MuSwSo, VaBrTo, VaBrSo). Traditionelle Themen der Kinship Studies und Ethnosoziologie: Verwandtschaft, Deszendenz, Heirat, Verwandtschaftssysteme und –termini, Familie und Haushalt, Sozialorganisation des Individuums, Rechtsvorstellungen, diverse andere Formen der Sozialorganisation (z.B. Altersklassen, Kasten etc.), diverse Formen politischer Organisationen (z.B. Horde, Stamm, Häuptlingstum, Big Man, Staat). Neuere Schwerpunkte: Gender Beziehungen, ethnische Beziehungen, Nation Building, Fragen der sozialen Reproduktion, Individuum und Gesellschaft, Identität der Person und der Gesellschaft, sozialer Status, Staat und Gesellschaft etc. [email protected]