Grundsatzpapier MANV

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Das Wichtige tun.
Arbeitskreis / Fachausschuss
Rettungsdienst
Schutzziele, Organisation
und Taktik
der medizinischen Rettung bei
Massenanfall von
Verletzten oder Erkrankten
- Grundlagendokument MANV Gemeinsames Positionspapier des Verbandes der Feuerwehren
in NRW (VdF NRW) und der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der
Berufsfeuerwehren in NRW (AGBF NRW)
Düsseldorf, den 06.06.2012
Verband der Feuerwehren in NRW e.V.
Suitbertus-Stiftsplatz 14 b
40489 Düsseldorf
Tel.: 0211 56 65 29-29
Fax: 0211 56 65 29-31
Ansprechpartner
Dr. Jörg Schmidt
AK Rettungsdienst (AGBF NRW)
Weitere Informationen
E-Mail: [email protected]
Internet: www.vdf-nrw.de
Facebook: facebook.com/vdfnrw
1. Einführung
Ein Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) kann dazu führen, dass die
Kapazitätsgrenzen des auf Grundlage des Rettungsgesetzes dimensionierten Rettungsdienstes (Grundbedarf und Spitzenbedarf) erreicht oder auch überschritten werden.
Die Kreise und kreisfreien Städte sind nach dem Rettungsgesetz (RettG) als Träger des
Rettungsdienstes sowie nach dem Gesetz über den Feuerschutz und die Hilfeleistung (FSHG)
als Katastrophenschutz-Behörde verpflichtet, die Gefahrenabwehr auch bei einem
Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten zu planen und zu organisieren. Dazu gehört
eine Planung des Einsatzablaufes vom Ereignisbeginn bis zur Funktionsfähigkeit der
notwendigen Gefahrenabwehrstrukturen unter Einsatz aller Einheiten der Gefahrenabwehr,
einschließlich des Katastrophenschutzes sowie der nachbarlichen und überörtlichen Hilfe.
Dieses Grundlagenpapier beschreibt die Schutzziele, Organisation, Taktik und Führung der
Medizinischen Rettung bei einem MANV und berücksichtigt im Besonderen die aktuellen
Erkenntnisse für einen Einsatz mit bis zu 50 Verletzten oder Erkrankten.
2. Entwicklung
Das Land NRW hat seit 2005 ein durch gegenseitige Unterstützung getragenes Solidarsystem
im Katastrophenschutz für den MANV aufgebaut, das die Kreise und kreisfreien Städte in die
Lage versetzt, Einsätze unterschiedlicher Größe zu bewältigen.
Aktuelle Erkenntnisse aus Ausbildung, Übungen und realen Einsätzen der vergangenen Jahre
zur Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der taktischen Einheiten erfordern eine Anpassung
auch der lokalen Einsatzplanungen.
Hierbei sind die getroffenen Maßnahmen des Landes NRW im Zivil- und Katastrophenschutz1
sowie die Planungen der Krankenhäuser für die Akut-Versorgung einer größeren Anzahl von
Patienten zu berücksichtigen.
3. Schutzziele für den MANV
Die Kreise und kreisfreien Städte sind durch die Ressourcen des Rettungsdienstes der
eigenen und der benachbarten Gebietskörperschaften sowie der zusätzlichen Bereitstellung
von Einsatzmitteln des Landes NRW (AB-MANV, GW-San, KTW-B) in die Lage versetzt worden,
ein ad hoc eintretendes Schadensereignis mit MANV für die akut vital bedrohten Patienten
der Kategorie I mit Soforttransportpriorität zu bewältigen - in der Mehrzahl der Fälle kann
somit zeitnah ein mit dem Rettungsdienst vergleichbares Versorgungsniveau erreicht
werden.
Grundlagendokument MANV
Stand: 06.06.2012
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Daraus resultiert das folgende Schutzziel für den MANV:
Jede kreisfreie Stadt und jeder Kreis plant Einsatzmaßnahmen für den Massenanfall von 50
Verletzten bzw. Erkrankten nach dem planerischen Verteilungsschlüssel von
•
•
•
40 % rot (Sichtungskategorie I2 )
20 % gelb (Sichtungskategorie II )
40 % grün (Sichtungskategorie III )
zur Sicherstellung der Erstversorgung und des Transports aller Verletzten/Erkrankten mit
Unterstützung überörtlicher Hilfe und schreibt die Planung in einer Alarm- und
Ausrückeordnung (AAO) fest.
Zur Erfüllung des Schutzziels sind folgende taktische Aufgaben zu planen:
3.1 Priorisierung durch geeignetes Rettungsfachpersonal bzw. ärztliche Sichtung3
3.2 Konzentrierte Erstversorgung nach Priorisierungsergebnis
3.3 Sicherstellung aller notwendigen Soforttransporte
Bei akuter vitaler Bedrohung, die eine sofortige klinische Intervention erfordert, ist der
schnellstmögliche Transport mit einem geeigneten Rettungsmittel in eine geeignete
Behandlungseinrichtung sicherzustellen.
In der Individualmedizin soll ein akut vital bedrohter Patient innerhalb einer Stunde nach
Eintritt der Verletzung/Erkrankung den Zielort erreichen. Diese Zeitspanne ist auch bei
einem MANV anzustreben, wenngleich Schadenart und Zeit sowie andere äußere
Einflussfaktoren zu Überschreitungen führen können.4
3.4 Transport/Behandlung
3.4.1 Transport aller weiteren Verletzten/Erkrankten
Alle weiteren Verletzten/Erkrankten sind mit geeigneten Rettungsmitteln innerhalb eines
medizinisch vertretbaren Zeitraums in geeignete Behandlungseinrichtungen zu
transportieren.
3.4.2 Behandlung der Patienten in geeigneten Strukturen bei Fehlen erforderlicher
Transport-Kapazitäten
Stehen erforderliche Transportkapazitäten nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt zur
Verfügung, erfolgt bis zum Transport die Behandlung der Patienten in geeigneten
Strukturen. Vorrangige Aufgaben sind die Konzentration von Patienten und Ressourcen und
die Stabilisierung der Patienten nach Priorisierungsergebnis.
Für die Patienten, deren Verletzung/Erkrankung eine sofortige klinische Intervention
erfordert, ist der schnellstmögliche Transport mit einem geeigneten Rettungsmittel in ein
geeignetes Krankenhaus zu planen, da zwangsläufig die Zunahme der nicht mehr zu
rettenden Patienten, die Zunahme von bleibenden Schäden und eine Zunahme der
Krankenhausbehandlungsdauer drohen.
Grundlagendokument MANV
Stand: 06.06.2012
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Die nachgewiesenen Kapazitäten der Krankenhäuser5 zur sofortigen Aufnahme und
Versorgung von Notfallpatienten ermöglichen es, eine große Anzahl von Patienten im
vorgegebenen Zeitrahmen zu versorgen. Hieraus ergibt sich für die Kreise / die kreisfreien
Städte die Möglichkeit, auch bei deutlich größeren Schadenslagen die Patienten
schnellstmöglich
in
einem
geeigneten
Rettungsmittel
in
eine
geeignete
Behandlungseinrichtung zu transportieren.
4. Einsatztaktik
Der MANV ist in der Regel ein punktförmiges oder kleinflächiges Schadensereignis mit vielen
Patienten. Dieses Schadensereignis ist in der Frühphase durch einen Ressourcen-Mangel
(personell wie materiell) begrenzter Dauer gekennzeichnet, in der Spätphase durch eine
Vielzahl zu koordinierender Einheiten.
Gerade unter dem Aspekt des Ressourcen-Mangels und einer großen Anzahl von Patienten
muss die Einsatzleitung zu jeder Zeit des Einsatzes sicherstellen, dass die richtigen Mittel zur
richtigen Zeit am richtigen Ort eingesetzt werden. In Anlehnung an den Führungsvorgang
gem. Feuerwehrdienstvorschrift 100 (FwDV 100) ergibt sich hierfür der folgende
Handlungsablauf:
1. Erkundung der medizinischen Lage (Lagefeststellung)
2. Beurteilung der medizinischen Lage und Priorisierung mit Festlegung des
erforderlichen medizinischen Ressourcenbedarfs (Einsatzplanung)
3. Erstversorgung und Delegation medizinischer Aufgaben in Auftragstaktik,
Organisation von Soforttransporten und Erstversorgungsstruktur (Befehl)
Während des Ressourcen-Mangels können zur Rettung möglichst vieler Verletzter oder
Erkrankter Qualitätsstandards der Individualmedizin anfangs nicht für alle Patienten
gleichzeitig begonnen oder aufrechterhalten werden. Priorität haben zunächst die
konzentrierte Erstversorgung aller vital bedrohten Patienten durch lebensrettende
Sofortmaßnahmen und der Sofort-Transport für Patienten mit der Indikation für
lebenserhaltende klinische Interventionen.
5. Planungsgrundlagen
In der Regel ist jeder Träger des Rettungsdienstes in der Lage, unter Einschränkung der
eigenen Vorhaltung kurzfristig Ressourcen seines Rettungsdienstes benachbarten
Gebietskörperschaften sowohl zur Erstversorgung als auch zum Transport bei einem MANV
zur Verfügung zu stellen (ÜMANV-S6). Ebenso stehen, in Abhängigkeit von Zeit und
Witterung, Kapazitäten der Luftrettung für Erstversorgung und Transport bereit.
Daneben verfügen alle Kreise bzw. kreisfreien Städte als Träger im Rahmen des
Katastrophenschutzes über umfangreiche Einsatzmittel (AB-MANV, GW-San, KTW-B).
Grundlagendokument MANV
Stand: 06.06.2012
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Mit diesen Einsatzmitteln helfen sich alle Kreise und kreisfreien Städte in NordrheinWestfalen im Solidarsystem des Katastrophenschutzes bei Lagen, die über die
Leistungsfähigkeit eines Trägers hinausgehen, gegenseitig.
Für die eigene Einsatzplanung prüft jeder Träger, welche Teileinheiten der
Katastrophenschutzkräfte auf Kreisebene (z. B. Einsatzeinheiten NRW) er bei eigenen
Einsätzen nutzen kann, um den anfänglichen Ressourcen-Mangel so schnell wie möglich
auszugleichen. Die Teileinheiten sind so zu organisieren, dass sie schnell verfügbar sind.
Dazu gehören eine Alarm- und Ausrückeordnung (AAO) und eine den örtlichen
Gegebenheiten folgende räumliche Verteilung der Einheiten.
Durch die frühzeitige Entsendung von Teileinheiten entsteht so ein kontinuierlicher
Aufwuchs, so dass bereits in einer frühen Phase des Einsatzes umfangreiches medizinisches
Personal und Material für die Erstversorgung sowie zusätzliche Rettungsmittel für den
Transport von Patienten zur Verfügung stehen.
Patiententransport-Züge 10 NRW (PT-Z 10 NRW, siehe Fußnote 2) ergänzen den Bedarf an
Transportkapazitäten, können jedoch medizinisch notwendige Soforttransporte nur bedingt
durchführen, da ihre Vorlauf- und Anmarschzeit in der Regel zu lang ist. Nach Eintreffen
stehen jedoch hochqualifizierte Ressourcen für jeweils mindestens 10 Patienten zur
Verfügung.
Die Krankenhäuser haben im Informationssystem Gefahrenabwehr des Landes NRW (IGNRW5) die vorhandenen Behandlungskapazitäten nach Prüfung durch den Träger des
Rettungsdienstes über die Bezirksregierungen eingestellt. Die Behandlungskapazitäten sind
aufgeteilt nach Sichtungskategorien2. Weiter wird unterschieden, wie viele Patienten
unmittelbar ohne Vorankündigung und wie viele Patienten nach einer Vorwarnzeit von 3 - 4
Stunden behandelt werden können.
Um das Schutzziel zu erreichen, den schnellstmögliche Transport mit einem geeigneten
Rettungsmittel in eine geeignete Behandlungseinrichtung sicherzustellen, muss der Träger
die notwendigen Behandlungskapazitäten der umliegenden Krankenhäusern und deren
Versorgungsniveau in seiner Vorplanung berücksichtigen.
6. Einsatzstellenstruktur bei MANV
Um die erforderliche überörtliche Hilfe optimal einzubinden, ist eine landesweit einheitliche
Einsatzstellenstruktur zwingend erforderlich. Diese ist im Folgenden abgebildet. Bei einem
MANV erfolgt die Rettung von Menschen durch technische Maßnahmen aus dem
Gefahrenbereich im Einsatzabschnitt „Technische Rettung“.
Patientenablagen an der Grenze des Gefahrenbereichs bilden i. d. R. den Übergabepunkt vom
Einsatzabschnitt „Technische Rettung“ zum Einsatzabschnitt „Medizinische Rettung“.
In der Phase 1 werden die Schutzziele 1 bis 3 realisiert, die Phase 2 realisiert zusätzlich das
Schutzziel 4.
Grundlagendokument MANV
Stand: 06.06.2012
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Abbildung 1: Einsatzstruktur der Phase 1 bei MANV
Abbildung 2: Einsatzstruktur der Phase 2 bei MANV
Grundlagendokument MANV
Stand: 06.06.2012
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7. Behandlungsplatz-Bereitschaften (BHP-B 50 NRW)
Die Behandlungsplatz-Bereitschaften sind ein wertvolles Instrument für besondere
Einsatzlagen. Hierzu gehören
•
•
•
Groß-Einsätze/Katastrophen mit Engpässen bei der Transport- und Klinik-Kapazität,
die ein längeres Behandeln in geordneten Strukturen an der Einsatzstelle erfordern
Einsätze mit langem Vorlauf für die medizinische Rettung (z. B. langwierige Befreiung
von Personen aus schwierigen Zwangslagen: Amok-Lagen, Einstürze, etc.)
Bereitstellung für vorgeplante Ereignisse (z. B. Großveranstaltungen)
8. Handlungs- und Verfahrenssicherheit
Zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des Systems der Gefahrenabwehr bei einem MANV
müssen die Planungen für den MANV regelmäßig – möglichst jährlich, mindestens jedoch in
Abständen von drei Jahren – mit allen Beteiligten in Übungen erprobt, bewertet und ggf.
aktualisiert werden.
1
Runderlass des Innenministeriums NRW vom 10.08.2009: Behandlungsplatz-Bereitschaft 50 NRW (BHP-B 50
NRW), Patiententransport-Zug 10 NRW (PT-Z 10 NRW)
2
Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands (BAND) e. V.: Ergebnisse der
Konsensuskonferenz 2002 zu Sichtungskategorien im Rettungsdienst und im Katastrophenschutz
3
vgl. z. B. S 3 Leitlinie DGU 7-2011 – Polytrauma / Schwerverletzten-Behandlung
4
vgl. Ziel der „golden hour of shock“
5
https://lv.ig.nrw.de/IGNRW/
6
ÜMANV-S: Konzept der Rheinischen Projektgruppe ÜMANV zur nachbarschaftlichen Soforthilfe bei
Rettungsdiensteinsätzen: 1 NEF + 2 RTW + 1 RTW/KTW
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Stand: 06.06.2012
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