GK 12 Geschichte 1 5 Wer bestimmt den Fortgang der Revolution? Kra, 7. Jan. 2004 Nach der Annahme der Verfassung vom 3. September 1791 erklärte die Nationalversammlung in einer Proklamation an das Volk: „Die Revolution ist zu Ende.“ Das war jedoch ein Irrtum. Die Revolution entwickelte sich weiter; neue Akteure und neue Streitfragen traten auf den Plan. Besonders Großbürger einerseits und Kleinbürger andererseits begannen ihre eigenen Interessen zu erkennen und zu verfolgen. Sie organisierten sich in so genannten „Clubs“, in denen alle wichtigen Entscheidungen der Nationalversammlung diskutiert wurden. Obwohl alle behaupteten das Wohl der gesamten Nation im Auge zu haben, spaltete sich der ehemalige „Dritte Stand“. Wer würde sich durchsetzen? Die „Clubs“ Der Jakobinerclub Im Verlauf der Revolution bekamen die so genannten „Clubs“ immer mehr Bedeutung. In diesen Clubs diskutierte die Bevölkerung den Fortgang der Revolution und die Politik der Nationalversammlung. Besonders einflussreich wurde der Jakobinerclub, so genannt nach seinem Tagungsort, dem Dominikanerkloster in der 15 Rue St. Jacques. In ihm war das gebildete und begüterte Großbürgertum vertreten. Über ganz Frankreich war ein Netz von Tochterorganisationen verteilt. 10 Die Volksgesellschaften Auch in den unteren Schichten gab es viele Clubs, die so genannten „Volksgesellschaften“, in denen sich vor 20 allem Handwerker und Kleinhändler versammelten. Auch patriotische Frauenclubs entstanden. Die „Sansculotten« Seit dem Sommer des Jahres 1792 bestimmten aktive Bürger aus den Mittel- und Unterschichten der Stadt Paris immer mehr das Geschehen. Sie wurden „Sansculotten“ (= „Ohnehosen“) genannt – nach den langen 25 Hosen, die Handwerker und Arbeiter im Unterschied zu den vornehmen Kniehosen der Adeligen trugen. Das Ideal der Sansculotten war neben der politischen Gleichheit aller Bürger auch die wirtschaftliche Gleichheit: Jeder Bürger sollte nicht mehr als einen Laden oder eine Werkstatt besitzen. Damit wandten sie sich unmittelbar gegen die Großbürger und deren politische Vertreter, die Girondisten. Die Sansculotten entwickelten ihre eigene politische Kultur, die in ihren Straßenfesten, antireligiösen Umzü30 gen, republikanischen Gesängen und Zeitungen zum Ausdruck kam. Viele Sansculotten waren im Club der Cordeliers organisiert, der niedrige Beitragssätze hatte und in dem auch einfache Bürger und Frauen zugelassen waren. Seit dem Sommer 1792 beeinflussten und bestimmten sie aber auch zunehmend die Diskussionen im Jakobinerclub. 35 Die Streitfragen 1. Die Kriegserklärung Innerhalb des Jakobinerclubs traten unterschiedliche Meinu4ngen zum ersten Mal im Sommer 1791 deutlich zutage: Sollte man den europäischen Monarchien den Krieg erklären? Die europäischen Monarchien hatten den Verlauf der Revolution in Frankreich mit zunehmender Besorgnis 40 verfolgt und sich nach dem misslungenen Fluchtversuch des Königs auf eine gemeinsame Politik gegen Frankreich verständigt. 45 50 55 60 Die Spaltung des Jakobinerclubs Eine Gruppe von Abgeordneten aus den Reihen der Jakobiner wollte den feindlichen Monarchien den Krieg erklären. Diese Gruppe wurde „Girondisten“ genannt, weil sie zu einem großen Teil aus dem Departement Gironde stammte. Die Girondisten und ihr Wortführer Brissot begründeten die Kriegserklärung mit der Notwendigkeit den ausländischen Feinden der Revolution zuvorzukommen. Ein anderer Teil der Jakobiner, unter ihnen der immer einflussreichere Rechtsanwalt Maximilian Robespierre, lehnte eine Kriegserklärung ab. Sie wollten zunächst die Revolution in Frankreich erfolgreich zu Ende führen und befürchteten, dass ein Krieg zu viele neue Probleme mit sich bringen würde. Heute urteilen die Historiker unterschiedlich: Manche geben – auch aus heutiger Sicht – den Girondisten Recht. Andere Forscher sind der Meinung, dass die Girondisten mit der Kriegserklärung eher von den inneren Problemen der Revolution ablenken wollten und die Revolution durch den gemeinsamen äußeren Feind einen wollten. Wieder andere sind der Ansicht die Kriegserklärung sei das Werk Ludwigs XVI., dem die Nationalversammlung auf den Leim gegangen sei. Denn der König hätte in jedem Fall profitiert: Im Falle eines Sieges als Verteidiger seines Volkes und im Falle einer Niederlage als König in einer von den ausländischen Mächten wiederhergestellten Monarchie. Tatsächlich verschärfte der Krieg die Gegensätze in Frankreich. Nach den ersten Niederlagen der französischen Truppen begann die Suche nach Verrätern. Das erste und prominenteste Opfer war der König, dem von immer größeren Teilen des Volkes vorgeworfen wurde, heimlich mit den gegnerischen Truppen zusammenzuarbeiten. 2. Die Rolle des Königs Unter ihrem Wortführer Maximilian Robespierre gewannen diejenigen Jakobiner, die schon immer für eine Republik eingetreten waren und dem König keinen Platz in der Verfassung mehr einräumen wollten, die Ober65 hand. Nach dem Manifest des Herzogs von Braunschweig und dem Sturm auf die Tuilerien war der König nicht mehr zu halten. Die Nationalversammlung löste sich selbst auf und eine neue Versammlung, der Nationalkonvent, wurde auf der Grundlage eines gleichen Wahlrechts für alle Männer gewählt. Im Dezember 1792 wurde dem König vom Konvent der Prozess gemacht. 70 3. Wirtschaftliche Gerechtigkeit Seit Beginn der Revolution war der Brotpreis in Paris noch weiter angestiegen. Für den Hunger und die langen Schlangen vor den Bäckereien machten die Sansculotten „Spekulanten“ verantwortlich: Reiche Großbürger und Großkaufleute würden Lebensmittel horten um sie später mit größerem Gewinn zu verkaufen. 75 Die Enteignung des Kirchenbesitzes Um das Problem der Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, hatte die Nationalversammlung schon im November 1789 den Besitz der katholischen Kirche enteignet und das ehemalige Kirchenland an Bürger verkauft. Durch diese Maßnahme wechselten etwa zehn Prozent des französischen Grund und Bodens den 80 Besitzer. Nutznießer waren aber vor allem reiche Großbürger und wenige reiche Bauern, die über genügend finanzielle Mittel zum Landkauf verfügten. Alle anderen gingen leer aus. Als sich die wirtschaftliche Krise zuspitzte, war dies Wasser auf die Mühlen der Sansculotten: Sie warfen Girondisten und konservativen Jakobinern vor, Großbürger und Spekulanten zu begünstigen und das revolutionäre Prinzip der Gleichheit zu verletzen. 85 4. Die Rolle der Kirche Außerdem führte die Enteignung zu einem weit reichenden Konflikt der Revolution mit der Kirche. Als die Nationalversammlung von allen Priestern einen Eid auf die Revolution verlangte und der römische Papst den Priestern, die diesen Eid leisteten, mit Kirchenausschluss drohte, wurden viele Priester, die ursprünglich mit 90 der Revolution sympathisiert hatten, in schwere Gewissenskonflikte gestürzt. Viele von ihnen wurden nun zu Gegnern der Revolution. Neue Machtverhältnisse Die Revolution gerät unter Druck 95 Im Sommer 1792 war die Revolution damit gleich von zwei Seiten her unter Druck geraten: Erstens wurde sie im Krieg von den ausländischen Monarchien angegriffen. Zweitens wandten sich Teile der Bevölkerung des Landes gegen die Revolution. Getragen vor allem von den eidverweigernden Priestern entwickelten sich gegenrevolutionäre Aufstände in vielen Teilen Frankreichs, vor allem in der Vendée. 100 Der Berg Unter diesem Druck gewannen die Sansculotten mit ihrer Forderung nach konsequenterem Vorgehen gegen die „Feinde der Revolution“ immer mehr Einfluss auf den Nationalkonvent. Die radikalen Jakobiner im Nationalkonvent unter Führung von Maximilien Robespierre gaben der Revolution ab dem Sommer 1793 eine neue Richtung. Nach ihren höher liegenden Sitzen im Nationalkonvent wurden sie „Les Montagnards“ („Der 105 Berg“) genannt. Mithilfe der Sansculotten schalteten sie ihre politischen Gegner aus: Im Juni 1793 ließ der Konvent 29 Girondisten verhaften und anklagen. 21 von ihnen wurden im Oktober 1793 hingerichtet. Im Sommer 1793 begann damit ein neuer Abschnitt der Revolution, die Diktatur der Jakobiner. 1. Stellen Sie mit Hilfe der Informationen aus dem Text und den drei Grafiken zur Zusammensetzung der Nationalversammlungen (Geschichtsbuch, S. 36) dar, wie sich die politischen Gewichte im Zeitraum von 1789 bis 1793 in den Nationalversammlungen verschoben haben. 2. Ordnen Sie die Informationen in einer Mindmap z.B. folgender Art: