• Jürgen Lauffer Ein Gespenst mit neuem Leben – Thesen zu einer rechten Jugendkultur ”Ein Gespenst ist verschwunden aus der deutschsprachigen Presse: das Gespenst der rechtsradikalen Rockmusik.” So beginnt der Aufsatz von Stefan Hentz im ,Sonntagsblatt‘ Nr. 17 vom 26. April 1996. In seinem Artikel konzediert Hentz durchaus, daß die rechte Rockmusikszene als neue Jugendkultur mit einer rechten Orientierung weiterhin existiert. Was er beunruhigt feststellt, ist, daß das Interesse der Presse an diesem Phänomen zurückgegangen ist. In den Jahren 1997 und 1998 hat sich diese Wahrnehmung wieder deutlich verstärkt, sicher auch durch die Aufmerksamkeit für die Aktivitäten rechter Parteien im Rahmen von Landeswahlkämpfen in den neuen Bundesländern. Dennoch ist der Beitrag von Hentz aufschlußreich. Interessant z.B. ist das beziehungsreiche Bild, das er verwendet. Die Rede vom ”Gespenst” entstammt bekanntlich dem berühmten Manifest von Karl Marx und Friedrich Engels, und damals ging es gerade um in Europa. Freilich handelte es sich um ein ganz anderes Gespenst, das des Kommunismus, und es schreckte die Fabrik- und Gutsbesitzer mit einer Fratze, die für die Menschen auf der anderen Seite der Gesellschaft, die Recht- und Mittellosen, durchaus ein Antlitz voller Hoffnung war. Wie aber verhält es sich mit dem braunen Gespenst, das angeblich kaum noch durch die deutsche Presse geistert? Was ist eigentlich aus den NaziBands geworden, die mit ihren Hymnen von Haß und Rassismus die lautstarke Begleitmusik zu den rechtsextremen Aus- und Überfällen beisteuerte? Und wie verhält es sich heute überhaupt mit dem rechtsgerichteten Milieu, besonders bei den – oder gottlob eben doch nur: manchen – Jugendlichen? Rechte Jugendkultur ist eine generationsgebundene Erscheinungsform unter anderen, aber eine mit spektakulären Inhalten und Formen und mit einigem Erfolg. In der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation, die sich in Deutschland in den letzten Jahren ausgebildet hat, und zwar ganz besonders in den neuen Bundesländern, üben rechte Gesinnung und Kultur offenbar eine besonders starke Anziehungskraft auf bestimmte Teile der Jugend aus. Es ist heute nicht vorhersehbar, ob diese rechtsradikale Orientierung, die sich auch über rechte Rockmusik ausdrückt, nur ein kurz- oder mittelfristiges Phänomen darstellt. Einiges deutet jedenfalls darauf hin, daß es sich dabei für viele Jugendliche nur um ein Übergangsstadium handelt, das Funktion und Bedeutung erhält in einer Lebensphase, da die Verbindung zwischen Herkunftsmilieu und politischer Orientierung nicht sonderlich gefestigt erscheint. Mag die Szene sich hartnäckig halten: Im Leben des (und seltener der) einzelnen spielt zumindest die hardcore-Variante des Rechtsextremismus eine Rolle von begrenzter Dauer. Wenn dies so ist (und die Untersuchungen von Dieter Baacke in diesem Band lassen es hoffen), so unterscheidet sich dieses rechte Gespenst auch in dieser Hinsicht von dem kommunistischen: Es ist nicht bloß kopfschwach, sondern hat auch ziemlich kurze Beine. In den folgenden Thesen möchte ich auf Besonderheiten der rechten Kulturszene hinweisen, die die Autoren dieses Bandes in ihren Beiträgen herausgearbeitet haben und die es mit pädagogischen Strategien soweit, wie dies möglich ist, zu bearbeiten gilt. • 1. Die rechte Rockkultur ist kein fest in sich geschlossenes Milieu Wie in diesem Band aus unterschiedlichen Perspektiven dargestellt, wird unter dem Begriff ,rechte Rockmusik‘ ein kultureller Komplex zusammengefaßt, der sich intern weit ausdifferenziert, der aber von außen leicht und allzu gern als homogen betrachtet wird. Die Spanne reicht von den musikbegeisterten ,Oi‘-Skinheads über die nationalistisch und rassistisch orientierten Hammerskins bis hin zu den Jugendlichen, die in rechten Parteien ihre geistige Heimat gefunden haben. Doch muß auch hier die Bindung an die rechte Rockmusik nicht ausschließlich sein. Die Untersuchung von Klaus Farin in diesem Band zeigt deutlich: Ein Fan rechter Rockmusik kann zugleich eine Vorliebe für Heavy Metal oder für andere Musikstile haben. Selbst eingefleischte Rechtsextreme haben neben Rechtsrock noch andere Musikvorlieben. Nicht immer (wenngleich oft genug) spielen die Texte die ideologische Rolle, die ihre Inhalte zu beanspruchen scheinen. Wer schon einmal rechte Rockstücke gehört hat, kann leicht nachvollziehen, daß viele Textelemente beim besten Willen nicht verstanden werden können, weil Lautstärke, Tempo und unzulängliche Technik dies schlicht unmöglich machen. Auch wenn hier nicht die Konkurrenz zwischen den alten und neuen Bundesländern neu belebt werden soll, muß gefragt werden, warum Jugendliche in den sogenannten Neuen Ländern für die moderne rechte Ideologie, die mit dem modernen kulturellen Touch einer ,rechten Rockmusik‘ daherkommt, besonders anfällig sind. Viele Jugendliche haben ihre ersten Lebensjahre noch in der DDR verbracht, den Zusammenbruch des Systems und die Eingliederung in die Bundesrepublik mehr oder weniger bewußt erlebt sowie den damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Abstieg in ihrem persönlichen Umfeld. Ihre Eltern, häufig im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, sind oftmals diejenigen, die besondere Schwierigkeiten mit einem reibungslosen Einstieg in die neue Gesellschaft haben und daher verstärkt dazu neigen, die Verhältnisse vor 1989 zu verklären. Da sich in den Jahren nach der Vereinigung Deutschlands gerade im kulturellen Angebot sowohl für Jugendliche als auch für Erwachsene enorme Defizite zeigten, boten sich große Chancen für rechtsorientierte Gruppierungen, diese Freiräume zu nutzen und Sympathien zu gewinnen. Zumal der modernisierte Rechtsradikalismus durchaus in der Lage ist, Elemente staatssozialistischer Ideologien aufzunehmen. So war zum Beispiel die NPD im Kontext der Landtagwahlkämpfe in den neuen Bundesländern besonders bemüht, ehemalige SED-Funktionäre in ihre Reihen aufzunehmen. Man mag spekulieren, ob dies rein taktische Gründe hatte, etwa weil die Parteiführung hoffte, auf diese Weise die Menschen in den neuen Bundesländern besonders gut ansprechen zu können. Oder ob die nationale und dabei soziale und jedenfalls autoritäre Orientierung nicht auch eine Gemeinsamkeit zwischen den Prinzipien des untergegangenen DDR-Staats und den Träumen der aufbruchbereiten Rechten darstellt. Es werden von der Rechten aber auch andere, überraschendere Bezüge zur Linken hergestellt: Die Idee von Antonio Gramsci, dem reformorientierten Theoretiker der Kommunistischen Partei Italiens, die politische Macht über die ,kulturelle Hegemonie‘ der Gesellschaft zu gewinnen, wird heute ausgerechnet von der nationalen deutschen Rechten übernommen. So bezieht sich zum Beispiel Jörg Hähnel, NPD-Kader und rechter Liedermacher, einer in der Süddeutschen Zeitung erschienenen Reportage zufolge, ausdrücklich auf Gramsci (SZ, Nr. 270 v. 23. November 1998). • 2. Die Gesellschaft individualisiert sich Westliche Gesellschaften durchlaufen gegenwärtig einen Modernisierungsprozeß. Der Soziologe Ulrich Beck hat in seinem Band ,Risikogesellschaft‘ (Frankfurt 1986) dieses Phänomen deutlich beschrieben. Die Modernisierung unserer Gesellschaft hat dazu geführt, daß traditionelle Strukturen, die den Menschen einen Rückhalt gegeben haben, sich auflösen und der einzelne, was die Organisierung und Realisierung seines Lebensentwurfes betrifft, immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen wird. Existierten in den 50er und 60er Jahren auch in der damaligen Bundesrepublik noch starke Gewerkschaften mit einer klassenbewußten Arbeiterschaft, die mit sozialpolitischen Themen wie Mitbestimmung oder Arbeitszeitverkürzung, aber auch durch lebensbegleitende kulturelle Angebote feste Milieus schafften und zusammenhielten, sind diese Garanten für soziale Identität in der heutigen Zeit kaum mehr existent. An ihre Stelle getreten sind vage, eher unverbindliche Orientierungen an Lebensstilen. Eine Zuordnung zu denselben ist mehr oder weniger zufällig und nicht durch eine bestimmte Klassenposition in der Gesellschaft bedingt. Dies hat schon seit Jahren zu einer starken gesellschaftlichen Ausdifferenzierung in allen Altersbereichen in der Bundesrepublik geführt. In den neuen Bundesländern passierte dieser Prozeß quasi ,über Nacht‘. Da unsere Gesellschaft häufig auch keine attraktiven Visionen und Perspektiven für Jugendliche anbieten kann, sondern diese bei ihrem Eintritt in die Gesellschaft mit drohender Jugendarbeitslosigkeit oder mit fehlenden Lehrstellen empfangen werden, wird auch hierdurch eine Neigung verstärkt, sich gleichsam auf eigene Faust festere, einfach strukturierte Zusammenhänge zu suchen. Rainer Dollase betont in seinem Beitrag zu Recht, wie wichtig es ist, es nicht zu einem Gesprächsabbruch oder zu einer Tabuisierung dieser Szenen kommen zu lassen: ”Hinter jedem Jugendlichen, der es nötig hat, rechtsextreme Popmusik zu seiner Lieblingsmusik zu erwählen, steht ein Mensch, der massive Probleme mit seiner sozialen Anerkennung und seiner Akzeptanz gehabt hat oder hat.” (S. 114) Positiv gewendet heißt dies: Wir müssen den Jugendlichen Perspektiven, soziale Anerkennung und akzeptieren wir sie mit ihren Ideen, Wünschen und Träumen geben, Räume, in denen sie sich kulturell ausdrücken können. Wohlgemerkt: Akzeptieren heißt nicht: Nehmen wir es hin, daß sie so sind. Es bedeutet zunächst aber: Nehmen wir sie so, wie sie sind. Damit hätten wir schon viel geschafft, um ein Abdriften in rechte Milieus zu verhindern. • 3. Rechtsrock nutzt moderne Technik Wie in der ersten These bereits ausgeführt, hat sich durch die Verbindung mit dem Rechtsrock die rechte Ideologie von ihrem verstaubten, bloß rückwärts gewandten Image für Jugendliche befreit. Als außerparlamentarische Jugendkultur hat sie sich mit einem jugendspezifischen Phänomen, das traditionell eher mit linken Ideologien verbunden war, verbunden. Und auch mit der Nutzung neuer Medientechniken sind die rechten Aktivisten bestens vertraut. So haben sich rechtsorientierte Angebote, die noch vor kurzer Zeit per Telefon und Anrufbeantworter kommuniziert wurden, ins Internet verlagert. Die Musik, die aufgrund der sorgfältigen Überprüfung durch die Bundesprüfstelle sehr leicht der Indizierung und damit dem Verbot der Verbreitung unterliegt, wird unter Nutzung modernster Techniken über das kaum kontrollierbare Internet verbreitet; Marcel Legrum geht in seinem Beitrag auf diese Entwicklung ein. Ende 1998 kommen in der Bundesrepublik die ersten ,MP3 Player‘ auf den Markt. Der Computerdiscounter ,Vobis‘ ist einer der ersten Vertreiber eines MP3-Walkmans. Schon verbreiten rechtsorientierte Anbieter ihre Musik in breitem Maßstab über ihre Vernetzung im Internet als komprimierte MP3-Dateien. Damit realisieren sie zwei Ziele: 1. Sie umgehen die Gefahr der Indizierung, da durch die Präsentation im Internet eine nationale Indizierung und Verfolgung ihrer Produktion nahezu unmöglich ist. Darüber hinaus schaffen sie ein ausgeklügeltes System, um gesperrte Seiten auf anderen nichtgesperrten Seiten zu spiegeln. 2. Rechte Rockmusikfans werden über die Suche nach ihrer Musik an die rechtsorientierten Angebote im Internet herangeführt. Wer sich die Songs über MP3 von den rechtsorientierten Seiten herunterladen möchte, kommt in der Regel um eine Betrachtung des restlichen Angebots rechter Organisationen im Netz nicht herum. • 4. Strategien gegen rechte Kultur müssen bei den Jugendlichen und den Familien ansetzen. Hier sollen keine Illusionen über pädagogische Möglichkeiten geweckt werden, wie zum Beispiel, daß rechte NPD-Funktionäre lernfähig seien. Natürlich gibt es im rechtsorientierten politischen und kulturellen Spektrum Personen, die über ein geschlossenes politisches Weltbild verfügen, das fest mit der Persönlichkeit und dem Wirken dieser Personen verbunden ist. Doch sind dies nicht die typischen Konsumenten von rechter Rockmusik. Kurt Möllers Beitrag in diesem Band macht deutlich, daß es vor allen Dingen für männliche Jugendliche in ihrer Adoleszenzkrise attraktiv sein kann, durch den Tabubruch und durch die Provokation, sich dem rechten Milieu und der rechten Kultur zuzuordnen, das eigene Selbst aufzuwerten. Auch geht aus seinen Ausführungen hervor, daß sozio-emotionale Vernachlässigung durch die Eltern, negative Schulerfahrungen oder Schwierigkeiten in der Kommunikation mit dem anderen Geschlecht junge Männer dazu verführen können, sich diesen Cliquen zuzuordnen. Mädchen bleibt dabei im allgemeinen nur die Rolle des schutzbedürftigen, bereitwilligen und jedenfalls untergeordneten Anhängsels übrig. Natürlich können wir hier keine Patentlösungen anbieten, um zerrüttete Familienstrukturen zu kitten und aufgebrochene Nachbarschaftsstrukturen zu stabilisieren. Doch scheint es eindeutig, daß hier die Gesellschaft eine große Aufgabe wahrzunehmen hat, will sie nicht zu einem noch stärkeren Abdriften größerer Teile der Jugendlichen beitragen. Erste Initiativen hat die neue Bundesregierung sicherlich in die Wege geleitet: • durch die Garantie von Ausbildungsplätzen, • durch die verstärkten Bemühungen zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit. Hierdurch werden wichtige Wege beschritten, um gefährdete Jugendliche wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Wir würden uns dafür aussprechen, diese sozialen Strategien durch umfangreiche kulturelle Bildungsangebote für Familien, Kinder und Jugendliche zu ergänzen. Natürlich ist Kultur ein ,Überbauphänomen‘, doch trägt Kultur in einem großen Maße dazu bei, daß die Menschen einen gesellschaftlichen Sinn und eine persönliche Aufgabe finden. Deshalb sind wir, die Autoren dieses Bandes, der Auffassung, daß eine Initiative des Bundes und der Länder gestartet werden muß, um öffentliche kulturelle Räume für Jugendliche und Kinder zu schaffen, in denen sie unter pädagogischer Begleitung und Beratung Experimentierfelder für neue Erfahrungen in der aktuellen und in der zukünftigen Gesellschaft finden können. Der Umgang mit Kulturtechniken wie Theater, Spiel, aber auch die Einführung in den kompetenten Umgang mit den neuen Medien können hier von zentraler Bedeutung sein. Die Öffentlichkeit muß gerade dort neue öffentliche Kommunikationsräume anbieten, wo der ,Frust‘ mit der modernen Gesellschaft bearbeitet werden kann, wo aber auch Zugänge zu einem kompetenten und selbstbestimmten Umgang mit sich selbst und mit anderen und damit das Suchen und Finden eines eigenen Platzes in dieser Gesellschaft gelernt werden kann.