Sozialpreis 26.09.04 Exzellenz, Sehr geehrter Herr Domvikar Simon, meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen der Dr. Robert Pfleger-Stiftung und deren Stiftungsrat danke ich Ihnen für die Verleihung des Sozialpreises. Für die besondere Ehrung, der erste Preisträger zu sein, danke ich Ihnen ganz besonders herzlich. Ich bekenne unumwunden, dass es Menschen, die Anderen Gutes tun, selbst gut tut, Lob zu erfahren. Es tut gut, Genugtuung über das Geleistete empfinden zu dürfen, auch eine stille Aufforderung wahrzunehmen, den eingeschlagenen Weg beharrlich fortzusetzen. Freude und Stolz über diese Ihre Auszeichnung haben zwei Quellen: Die erste ist die in Ihrer Würdigung zum Ausdruck kommende Anerkennung der Stiftungsarbeit. Am 24. dieses Monats, also vor vier Tagen, wurde die Dr. Robert Pfleger-Stiftung 30 Jahre alt. Dem Willen des Stifters Robert Pfleger folgend, ist sie auf die Förderung der medizinwissenschaftlichen Grundlagenforschung sowie auf die Erfüllung sozialcaritativer Zwecke festgelegt. Allein für eben diese sozial-caritativen Zwecke wurden mittlerweile knapp 12 Millionen € an Fördermitteln aufgebracht. Fatalerweise hat sich unser Bezugssystem über finanzielle Größenordnungen angesichts von Milliardendefiziten in staatlichen Haushalten stark in das kaum noch Vorstellbare verschoben. Was sind danach schon 12 Millionen €? 12 Millionen € sind eine doch beeindruckende Summe, wenn zwei Umstände in Betracht gezogen werden: 2 die Dr. Robert Pfleger Chemische Fabrik GmbH und für ihren wirtschaftlichen Teil auch die Dr. Robert Pfleger-Stiftung zahlen dem Fiskus Steuern, pünktlich und vollständig. Angesichts der von Unternehmen als auch von Privatpersonen als Volkssport unternommenen Versuche zur Steuerverkürzung, ist diese Steuerehrlichkeit mittlerweile ein wohl eher seltenes Verhalten. Und: Die Hauptertragsquelle der Stiftung ist die Dr. Robert Pfleger Chemische Fabrik GmbH. Sie ist kein Weltkonzern, sondern ein mittelständisches Unternehmen. Beide Angaben mögen dazu dienen, die Proportionen über das Geleistete angemessen einordnen zu können. Die finanzielle Seite ist allerdings nur ein Aspekt der Stiftungsarbeit. Entgegen manch landläufiger Meinung ist es nämlich nicht wirklich leicht, Gutes zu tun. Angesichts der im „reichen Deutschland“ wachsenden Not, des Leids und des Elends ist es der Normalfall, dass das Volumen der für sozial-caritative Zwecke beantragten Fördermittel die seitens der Stiftung verfügbare Ausschüttungssumme deutlich übersteigt. Jede nennenswerte Veränderung der staatlichen Sozialpolitik, insbesondere bei Leistungseinschränkungen, schlägt sich mit nur kurzzeitiger Verzögerung in der Antragslage bei der Stiftung nieder. Mit wachsender Kluft zwischen Antragsvolumen und Ausschüttungssumme wachsen daher auch die Anstrengungen des Stiftungsrates, um treuhänderisch den Willen des Stifters zu erfüllen. Es gilt zu prüfen, zu beraten, abzuwägen, auszuwählen, zu befürworten und abzulehnen, sowie die Mittelverwendung zu kontrollieren. Dies alles im Sinne satzungsmäßiger Verpflichtungen, sachbezogen, auf Neutralität bedacht. Ist ein Bamberger Antrag einem vergleichbaren aus Rostock vorzuziehen? 3 Sollen anstelle von medizinischen Apparaturen zugunsten einer Pflegeeinrichtung für schwerstbehinderte Kinder Personalmittel für Sozialpädagogen in einem Jugendzentrum finanziert werden? Gebietet es die Notlage in einem Katastrophengebiet, ich erinnere Sie an die Flutwelle in den Neuen Bundesländern vor zwei Jahren, eine regionale Neuverteilung von Fördermitteln vorzunehmen? Sollen auch Anträge von Schulen oder solche zugunsten von Seniorenzentren unterstützt werden, obwohl staatliche Finanzierungszuständigkeiten eindeutig festgeschrieben sind? Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegt mir fern, sehr fern, über die Schwierigkeiten guter Stiftungsarbeit zu lamentieren. Meine Beispiele dienen ausschließlich einem Zweck: ihnen zu verdeutlichen, wieviel Nachdenklichkeit, Beratung, schlaflose Nachtstunden und Sorge immer wieder notwendig sind, um der Verantwortung gerecht zu werden, Gutes zu tun. Deshalb auch meine Eingangsbemerkung: wir freuen uns über Ihre Anerkennung. Das Stichwort „Verantwortung“ führt mich zur zweiten Quelle von Stolz und Freude über die heutige Auszeichnung. Wir sehen in der Preisverleihung die Bestätigung der Idee Robert Pflegers von der sozialen Verantwortung von Unternehmen. Wer die gesellschaftliche Diskussion der jüngeren Zeit über die wirtschaftliche und soziale Lage Deutschlands verfolgt, findet sich im Kaleidoskop von Begriffen wie Agenda 2010, Ich-AG, Hartz IV und ähnlichen Containerworten wieder. Alle diese Schlagworte haften – in einer teils kaum durchschaubaren Weise – wie Eisenspäne an einem Magneten mit dem Etikett „Reform des Sozialstaates“. Dieses Etikett und das damit verbundene Vorhaben zum Um- und Abbau der sozialen Sicherungssysteme lösen aus verschiedenen Gründen bei vielen der potentiell oder tatsächlich Betroffenen Sorgen und diffuse Ängste aus. 4 Die Hauptursache der empfundenen Bedrohlichkeit scheint mir eine einfache, aber folgenreiche zu sein: Es gibt in Deutschland kein breit getragenes Einverständnis darüber, welches die tragenden Ideen in der Konzeption des künftig noch finanzierbaren Sozialstaates sind, welche Rolle die Wirtschaft darin einnimmt und welche Verantwortung damit den Unternehmen in einer globalisierten Welt zukommt. Mehr Mut zu Reformen und deren Akzeptanz einzufordern, kann im Ergebnis nicht gelingen, wenn die Frage nach Sinn und Ende des Reformprozesses offen bleibt. Wer heute, wie der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland dies jüngst in einem SPIEGEL-Interview getan hat, für die Bereitschaft zu Sozialreformen wirbt mit dem Hinweis, dass wir in einer Sozialen Marktwirtschaft leben und leben wollen, der bemüht eine weitgehend verblichene Vergangenheit. Ich meine die Vergangenheit der Nachkriegsjahrzehnte mit Sozialer Marktwirtschaft, dem „Rheinischen Kapitalismus“ und seinem Verständnis von Sozialpartnerschaft. Dieser Auffassung über das Wirtschaften steht heute der für die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes geltende ordnungspolitische Gedanke diametral gegenüber: Im EU-Vertrag von Maastricht findet sich der verbindliche Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb. Das Adjektiv „sozial“ taucht dabei genauso wenig auf wie dies in der künftigen europäischen Verfassung mit dem Gottesbezug der Fall sein dürfte. In offenen Marktwirtschaften gelten allerdings andere Spielregeln als in sozialen Marktwirtschaften, bspw. im Hinblick auf die soziale Verantwortung. Ich zitiere hierzu in verkürzter Form den wohl berühmtesten Vertreter der neo-liberalen Wirtschaftstheorie, Milton Friedman, Chicago-Schule: „... Die Sichtweise, wonach Manager eine soziale Verantwortung hätten, die über ihren Dienst für die Kapitaleigner hinausreichte, hat breite Akzeptanz gefunden. Diese Sichtweise verkörpert allerdings ein grundlegendes Missverständnis des Charakters und der Natur einer freien Wirtschaft. In einer freien Marktwirtschaft gibt es eine und nur eine Verantwortung für Manager, nämlich die, Gewinne zu steigern ...“. 5 Offene Marktwirtschaften kennen also nur einen Maßstab: den Eigennutz der wirtschaftlichen Akteure. Wenn wir heute die Erosion des Sozialen, das Verschwinden von Solidarität und Gemeinschaftssinn beklagen, dann liegt das daran, dass die Theorie der offenen, nicht der sozialen Marktwirtschaft in vielen Bereichen gängige Praxis geworden ist. Wenn ich die schleichende, aber gleichwohl nachhaltige Veränderung der Leitorientierung für wirtschaftliches Handeln so stark in den Vordergrund stelle, dann aus einer naheliegenden Überlegung: die Idee der Eigennutzmaximierung war nicht die Idee von Robert Pfleger. Es waren menschliche Größe, unternehmerische Tatkraft verbunden mit Weitsicht in sozialer Verantwortung sowie ein ingeniöser Erfindungsgeist, die sich in seiner Persönlichkeit vereinten. Handeln aus Verantwortung gegenüber der Belegschaft und der Gemeinschaft, eine bewusste und gewollte Praxis der Sozialpflichtigkeit des Eigentums an Produktionsmitteln, waren für ihn ein Lebensfundament und die Basis inneren Friedens. Auf beidem wuchs ein blühendes Unternehmen heran, welches er in die Stiftung einbrachte. Robert Pfleger hat nicht nur auf sich selbst geschaut. Darum hat er auch seine Umgebung, ihr Glück und Leid, gesehen. In diesem Sinne war er „sozial“ eingestellt, weil er das, was er für sich selbst beanspruchte, immer im Spiegel dessen sah, was andere Menschen zum guten Leben brauchten. Der Religionsphilosoph Romano Guardini hätte in ihm die Verkörperung seiner Vorstellung vom „Staat in uns“gesehen. Robert Pfleger hat sich mit seiner Vorstellung von der sozialen Verantwortung von Unternehmen nicht geirrt. Der heute verliehene Sozialpreis bestätigt seine Vision. Univ.-Prof. Dr. Johann Engelhard, Vorsitzender des Stiftungsrates