Auszüge aus dem Interview das Irene Jung auf dem Filmfestival Locarno zum Film VERGINE GIURATA – SWORN VIRGINS mit der Regisseurin Laura Bispuri führte, die dort als Jurymitglied tätig war. Vergine Giurata – Sworn Virgin. In der Berglandschaft Albaniens herrschen noch die alten Gesetze und tradierten Geschlechterrollen. Hana versucht dem Schicksal als Ehefrau und Dienerin zu entfliehen, indem sie nach dem traditionellen Recht des Kanun den Schwur ewiger Jungfräulichkeit ablegt, um die Rechte eines Mannes zu genießen. Nach zehn Jahren der Isolation beschließt Hana ihr Leben zu ändern und macht sich auf die Reise zu ihrer Schwester und deren Familie in Mailand... Fünf Filmpreise. Irene Jung: Laura Bispuri, wie sind Sie zu dieser Geschichte gekommen und was hat Sie daran besonders angezogen? Laura Bispuri: Der Film basiert auf dem Buch einer albanischen Schriftstellerin, Elvira Dones, das aber erstaunlicherweise in Italienisch geschrieben ist. Das schien mir ein Zeichen zu sein, dass eine italienische Regisseurin durchaus diese Geschichte verfilmen konnte. Und es zog mich besonders an, dass es eine starke Geschichte ist, über eine starke Figur, über eine Welt, von der die Menschen kaum etwas wissen. Vergine Giurata ist ja ein sehr spezifischer Ausdruck, aber er steht auch für heutige Auffassungen von Freiheit, Identität, Weiblichkeit. Es sind universelle Fragen. Irene Jung: Wie haben Sie für den Film recherchiert? Laura Bispuri: Ich habe alles verschlungen, was ich in die Finger bekam: anthropologische Werke über Albanien, Literatur, Musik, ich habe albanische Personen befragt, die in Italien lebten. Ich bin dann zwei Jahre lang sehr oft zwischen Albanien und Italien hin und hergereist, um wirkliche Sworn Virgins kennen zu lernen, und nach Häusern für die Dreharbeiten zu suchen. Und in die Häuser zu kommen ist ein guter Weg, um die Leute verstehen zu lernen. Irene Jung: Ist die Tradition noch lebendig? Gibt es sie nur auf dem Land? Konnten Sie wirkliche Sworn Virgins interviewen und haben sie über ihre inneren Gefühle geredet? Laura Bispuri: Ja, die Tradition ist lebendig und real, aber nur in den Bergen, in entlegenen Gegenden. Diese Entscheidung zu einem Leben als Mann und als ewige Jungfrau wird aus den unterschiedlichsten Gründen getroffen: weil sie so mehr Freiheit genießen, weil sie nicht heiraten wollen oder weil sie vielleicht das Gefühl haben, dass sie im Innersten eher ein Mann sind. Gesellschaftlich wird als wichtigster Grund für die Entscheidung angesehen: wenn in einer Familie keine Söhne geboren werden, wird eine der Töchter als Sohn aufgezogen. Jedoch gilt für alle: die Entscheidung wird mit 11 oder 12 Jahren getroffen, wenn die Mädchen noch nicht sehr reif sind. Die „Ehre“ ist bei dieser Tradition sehr wichtig. Deshalb muss das Mädchen/die Frau auch, wenn solch eine Entscheidung einmal getroffen ist, dabei bleiben. Ja, ich konnte eine Reihe von Sworn Virgins interviewen, und in der Tat tauchen auch einige von ihnen im Film auf. Irene Jung: Hat sich Ihnen denn das Gefühl von Tragik vermittelt, als Sie ihre Geschichten gehört haben? Laura Bispuri: Das kann ich so nicht sagen, da ja auch die Gründe für ihre Entscheidungen unterschiedlich sind. Eine erschien glücklich, andere nicht so sehr. Es ist auch ein sehr schwieriges, ein hartes Leben, völlig alleine zu leben oder nur mit der Mutter, hoch oben in den Bergen und ziemlich isoliert. Irene Jung: Und da sie keine Kinder haben dürfen, sterben sie vielleicht auch sehr einsam? Laura Bispuri: Manche sterben sicherlich alleine, andere bei Verwandten. Irene Jung: Gibt es auch tatsächlich Sworn Virgins, die aus dieser Rolle wieder aussteigen, die rebellieren wie Mark/Hana? Laura Bispuri: Ich habe nur von zwei Sworn Virgins gehört, die ausgestiegen sind. Die übrigen wollen ihr Leben entweder selbst so haben, oder haben Angst auszusteigen. Ich habe mit einer Sworn Virgin geredet, die 35 Jahre alt war, und habe sie gefragt: „Warum willst du keine Liebe in deinem Leben?“ Und sie antwortete: „Die Liebe ist tot.“ Ich denke, wenn sie sich dafür entscheiden, umgeben sie sich mit einer Art gefühlsmäßiger Rüstung, bewegen sich immer auf Distanz, lassen nur schwer Intimität zu. Es ist deshalb sehr schwer herauszufinden, was sie wirklich im Innersten wollen. Irene Jung: Wie haben sich denn die Geschlechterrollen in Albanien entwickelt? Wie war die Situation unter dem kommunistischen Regime, gab es damals auch Sworn Virgins? Und was für eine Zukunft sehen Sie für diese Tradition? Laura Bispuri: Unter den Kommunisten gab es diese natürlich auch, da das Regime an so entlegene Orte gar nicht vordrang. Aber in den Städten sind die Frauen heutzutage so modern und emanzipiert wie wir in Italien. Auf dem Land, in den Bergen, sehe ich eine Chance für einen Wandel, da der Tourismus diese Gegenden entdeckt hat, die Natur ist auch wirklich atemberaubend, und so gibt es schon heute einen kleinen alternativen Tourismus in den Gegenden, die etwas besser zugänglich sind. Vielleicht liegt da die Chance für Veränderung.