Artenschwund im Bergischen Land Wer heute durch die Wiesen und Wälder von Wuppertal, Remscheid und Solingen geht und bei klarem Herbstwetter den Mäusebussard majestätisch kreisen sieht, dem wird vielleicht durch den Kopf schießen, wie artenreich doch unsere Natur ist. Doch was heißt das eigentlich „artenreich“ oder „artenarm“? Um das zu beantworten muss zunächst gefragt werden: Wie sah die Tier- und Pflanzenwelt im Bergischen Land aus, bevor die menschliche Besiedlung begann? Ursprünglich war das Bergische Land in weiten Teilen durch Laubwälder, zahlreiche Fließgewässser und wenig Offenland geprägt. Idealer Lebensraum für Großsäuger aber gleichzeitig eher geringe Artenvielfalt durch die geringe Vielfalt an unterschiedlichen Lebensräumen. Im Mittelalter trat durch die landwirtschaftliche Nutzung eine Erweiterung der Lebensraumvielfalt auf: Feucht – und Magerwiesen, Ackerflächen, ungepflasterte Fuhrwege, Obstwiesen, Feldgehölze und Hecken. Es herrschten punktuell hohe Belastungen in Siedlungsbereichen und den Keimzellen der frühindustriellen Entwicklung vor, mehr Freiflächen waren vorhanden und es herrschte eine Biotopvielfalt durch die entstehende Kulturlandschaft vor. Sie bot einerseits neuen lebensraum für zahlreiche Spezialisten, andererseits war der Siedlungsdruck noch nicht so groß, wodurch noch große, zusammenhängende Waldflächen für die hier lebenden Tiere bestand. Heute ist das Bergische Städtedreieck durch eine erhebliche Flächenzersiedlung bei gleichzeitigem Umstieg von der einstmals vorherrschenden Primärproduktion zum weiterverarbeitenden Gewerbe und Dienstleistungsektor zu beobachten. Der Flächenverbrauch hat kaum großflächige Waldgebiete überleben lassen und der Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion führt zu einer Verbrachung und Verarmung des kleinteiligen Mosaiks aus Offenlandflächen, Obstbäumen und anderen Feldgehölzen. Die im späten Mittelalter stark belasteten Fließgewässer sind einerseits durch modernes Gewässermanagment wieder sauberer, gleichzeitig verdrängen fremdländische Pflanzen – sog. Neophyten – die heimische Pflanzenwelt insbesondere der Uferbereiche. Die Folgen dieser Entwicklung sind zahlreich: Das Städtedreieck weist heute vergleichsweise nur noch wenige großflächig zusammenhängende, vom Menschen ungestörte Naturräume auf Die strukturreiche, kleinbäuerliche Kultulandschaft verschwindet zusehens zugunsten artenarmer Brach- und Sukzessionsflächen oder wird in Siedlungsflächen umgewandelt Die Artenvielfalt der heimischen Tierwelt nimmt aufgrund des Rückgangs von Brut- und Aufzuchtflächen ab und Kulturfolger setzen sich gegenüber störungsempfindlichen Spezialisten durch Pflanzen die auf feuchte oder nährstoffarme Böden angewiesen sind, werden durch Entwässerung und Überdüngung zurückgedrängt Heimische Pflanzengesellschaften werden durch vom Menschen eingeschleppte Pflanzenarten, wie Herkulesstaude, Japanknöterisch oder Drüsiges springkraut zunehmend verdrängt – auch hier gilt robuste Generalisten setzen sich gegenüber Spezialisten durch und vermindern hierdurch die Artenvielfalt. So weit so theoretisch. In der Praxis hatten und haben die vorgenannten Entwicklungen den schleichenden Artenschwund – Stück für Stück, Spezies für Spezies – zur Folge. Brütete beispielsweise das Auerhuhn noch zu Beginn des 20. Jhrds. im Großraum Gummersbach so starb er in den 40iger Jahren auch hier aus. Kaum vorstellbar aus heutiger Sicht, dass in unserer Region das Birkhuhn lebte. Diese auf großflächige Heide- und Offenlandflächen angewiesene Vogelart lebte aber noch bis in die erste Hälfte des 20 Jhrds. In der Ohligser Heide. Heute ist sie ausgestorben. Doch auch Vögel, die unseren Augen und Ohren vertraut sind, verschwinden zusehends. Seien es Steinkauz, Schleiereule, Neuntöter und Kiebitz oder seien es auch Nachtigall und Kuckuck – sie alle sind auf einem dramatischen Rückzug aus unserer Region und ihre Beobachtung wird Zunehmens zur bemerkenswerten Ausnahme. Fällt uns das verschwinden von Vogelarten wie beispielsweise dem Kuckuck vielleicht schneller auf, wenn man überlegt wo und wann man das letzte Mal in Remscheid, Solingen oder Wuppertal den Kuckuck hat rufen hören, so bemerken wir den Artenschwund anderer Arten nicht so schnell – doch er ist nicht minder dramatisch. Der Laubfrosch ist spätestens seit den 90iger Jahren im Bergischen Städtedreieck ausgestorben. Auch Gelbbauchunke, Geburtshelferkröte, Kreuzkröte und Moorfrosch müssen in Remscheid und Solingen als verschollen gelten. Und wo findet man noch Schlingnatter, Kreuzotter und die in die Schlagzeilen geratene Zauneidechse? Wären diese Arten in ihrem Bestand nicht mittlerweile so dezimiert, dass jeder Fund als Besonderheit gelten muss, könnten sie wohl kaum so ins Kreuzfeuer zwischen Naturschützern und Stadtentwicklern geraten wie es bei der Zauneidechse in Wuppertal geschehen ist. Das der Artenschwund auch bei den Insekten Einzug hält, hat das kürzlich erschienene Buch „Schmetterlinge beobachten im Raum Wuppertal“ des Naturwissenschaftlichen Vereins eindrucksvoll dokumentiert. So sind in den letzten 120 Jahren im Raum Wuppertal 40 % der Tagfalterarten und ca. 30 % der Nachtfalterarten verschwunden. Man könnte die Liste der ausgestorbenen, verschollenen oder vom Aussterben bedrohten Arten so für die Pflanzenwelt fortsetzen. Deutlich wird aber bereits nach dieser Aufzählung, auch wenn es noch zahlreiche Tier- und Pflanzenarten im Bergischen gibt, es werden weniger und weniger. Die Pflanzen und Tiere der Gegenwart bedürfen daher eines verstärkten und verbesserten Schutzes, damit zumindest in Zukunft noch die Spatzen vom Dach pfeifen können. Dr .Jan Boomers (Biologische Station Mittlere Wupper) Remscheid, Solingen und Wuppertal, 1. Dezember 2005