4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr Seite 28 Das Burnout-Syndrom Stress ist zwar ein Schlüsselphänomen für das BurnoutSyndrom, reicht allein als Erklärung jedoch nicht aus. Problematisch wird es dann, wenn Anforderungen und Ressourcen nicht mehr im Gleichgewicht sind. Von Gernot Sonneck und Ingeborg PucherMatzner* © corbis 28 ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005 4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr Seite 29 DFP - Literaturstudium B urnout steht für ausbrennen beziehungsweise ausgebrannt sein und ist somit das Gegenteil von Lebendigkeit, Frische, Wachheit und Aufnahmefähigkeit. Ganz stimmt diese Metapher vom “ausbrennen” nicht, es ist vielmehr eine langandauernde zu hohe Energieabgabe für zu geringe Wirkung – bei ungenügendem Energienachschub gemeint (Burisch, 1994). Höchstleistung wird vom Betroffenen selbst oder von der Umgebung verlangt, ohne dass darauf geachtet wird, für einen energetischen Ausgleich zu sorgen. Aussprüche wie: ”Ich bin völlig fertig, ich halte das nicht mehr aus, ich kann keinen Menschen mehr sehen” etc. sind in der Konsequenz häufig zu vernehmen und sollten Anlass zu sorgsamer Prüfung und gegebenenfalls zu Änderung von über die Maßen Energie raubenden Lebenszusammenhängen führen. Ganz typische Verhaltensweisen, die als konkrete Anzeichen von einem schon bestehenden Burnout zu werten sind (Fengler, 1998) – zum Teil sehr unterschiedlich bis hin zur Gegensätzlichkeit: _ Täglicher Widerstand, zur Arbeit zu gehen (nicht nur gelegentliche Unlust) _Gefühle des Ärgers, des Versagens, des Widerwillens _Schuldgefühle und Gleichgültigkeit Gesprächspartnern gegenüber _Mutlosigkeit und Zweifel an der eigenen beruflichen Tüchtigkeit _Tägliche Gefühle von Müdigkeit und Erschöpfung _Häufiges auf die Uhr schauen während der Arbeit, Sitzungen etc. _Große Müdigkeit vor und während der Arbeit _Verschieben von Kontakten, weil etwas „viel Wichtigeres“ dazwischen gekommen ist _„Zeit schinden“ (fünf bis zehn Minuten später anfangen, bei Pausen schnell weg vom Arbeitsplatz) _Kein Interesse am Gesprächspartner _Freude über ausgefallene Termine, Sitzungen, etc. _Erste Frage nach dem Urlaub: „Wann beginnt der nächste“ _Zunahme zynischer Kommentare _Zunahme von Strenge und Intoleranz, größere Bereitschaft zu Tadel _Infektanfälligkeit _Schlafstörungen _Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Beschwerden im Bewegungsund Stützapparat _Suchtmittelmissbrauch Definition von Burnout Lauderdale (1982 zitiert nach Burisch, 1994) bezieht in seine Definition 1.) eine oder mehrere auslösende Ursachen, 2.) typische Symptome und 3.) Verlaufsstadien (siehe Burnout-Zyklus) mit ein. Symptomatologie des Burnout Burnout ist ein Zustand mit prozesshafter Entwicklung, der durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung und Leistungseinbuße beziehungsweise verringerte Leistungszufriedenheit gekennzeichnet ist (Maslach und Jackson, 1981). Man spricht nur dann von einem Burnout, wenn alle drei Symptome vorliegen. Unter emotionaler Erschöpfung versteht man den Verlust von positiven Empfindungen (Anhedonie) wie Freude, Genuss, Liebe oder allgemeinem Wohlbefinden sowie die Abnahme bis hin zum Verlust von Sympathie oder Achtung für andere Menschen (Kunden, Klienten, Patienten, Kollegen, Schüler…). Ein weiteres Kennzeichen ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005 ist die Müdigkeit – oft schon beim Gedanken an die Arbeit. Chronischer Müdigkeit stehen Schlafstörungen bis hin zur Schlaflosigkeit gegenüber. Eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit macht sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar, von der Zunahme von Erkältungskrankheiten bis zur Häufung von Unfällen oder Komplikationen bei diversen Krankheitsverläufen. Neben einer Vielzahl an körperlichen Beschwerden wird oft noch von herabgesetzter Libido berichtet. Depersonalisierung meint so etwas wie “Entmenschlichung” und bedeutet, dass negative, zynische Grundhaltungen gegenüber anderen Personen, seien dies nun Kollegen, Patienten/ Klienten, Studenten, Partner oder Bekannte, vorliegen. Dies führt zwangsläufig zu einer Einschränkung von sozialen Kontakten, zu Rückzugsverhalten und nicht selten zur Reduzierung der Arbeit auf das Nötigste. Der dritte Aspekt, die subjektiv erlebte Leistungsunzufriedenheit beziehungsweise tatsächlich reduzierte Leistungsfähigkeit bringt Erfahrungen der Erfolgs- und Machtlosigkeit, der fehlenden Anerkennung von mangelndem Feedback und Insuffizienzgefühlen mit sich. Chronische Überforderung tritt auf. Statt Engagement findet sich Burnout, aus Energie wird Erschöpfung, aus Verbundenheit entsteht Depersonalisierung und aus Selbstwirksamkeit Leistungsunzufriedenheit und Leistungseinbuße. Die Forschung interessiert sich auch zunehmend für die Frage, wie sich die drei Dimensionen zueinander verhalten. Emotionale Erschöpfung steht am Anfang, als Folge davon tritt Depersonalisierung auf. Die reduzierte Leistungsfähigkeit wird unabhängig von den anderen beiden gesehen. 29 4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr Seite 30 Burnout-Symptome Emotionale Erschöpfung Verlust von Freude von Wohlbefinden _ Verlust von Sympathie oder Achtung _ (Chronische) Müdigkeit _ Schlafstörungen _ Erhöhte Krankheitsanfälligkeit Leistungseinbuße bzw. verringerte Leistungszufriedenheit Negative, zynische Grundhaltung Abnahme von Sozialkontakten _ Rückzugstendenzen _ „Dienst nach Vorschrift“ _ Unzufriedenheit mit den eigenen Aufgabenbereichen Unzufriedenheit mit der eigenen Leistungsfähigkeit Insuffizienzgefühle _ Gefühl der Erfolglosigkeit _ Gefühl der Machtlosigkeit _ Tatsächliche Leistungseinbuße _ Fehlende Anerkennung _ Chronische Überforderung Tab. 1 _ _ _ _ Abnahme _ _ Erst wenn jemand keine Bewältigungsmöglichkeiten, keine Unterstützung hat, folgt Leistungseinbuße. Als Ursache der emotionalen Erschöpfung werden vor allem Arbeitszusammenhänge gesehen wie Arbeitsbedingungen, Zeitdruck, Überlastung und ina,däquate Räumlichkeiten, während emotionaler Stress (zum Beispiel Kommunikationsstörungen mit Patienten) hauptsächlich zum Rückzug vom Klienten/Patienten und somit zur Depersonalisierung führt. Wer kann davon betroffen sein? Burnout kann Menschen prinzipiell in jedem Lebensbereich (zum Beispiel Arbeit, Beziehung...), in jeder beruflichen Lage betreffen. Burnout ist weit verbreitet. Besonders belastet sind Menschen mit Berufen im Sozialbereich; Berufe, bei denen emotionale Zuwendung (Burisch, 1994) erwartet wird. Hinlänglich untersucht wurden Sozialarbeiter, Pflegepersonal, Ärzte, Lehrer, Erzieher, Erwachsenenbildner, Personal von Beratungsstellen, Eltern behinderter Kinder, aber auch chronisch Kranke etc. Weniger bekannt ist vielleicht die Tatsache, dass auch Polizisten, Anwälte, Manager, Stewardessen und Arbeitslose mitunter erhöhte Burnout-Werte aufweisen. Eigene Untersuchungen (Sonneck, 1992) bei verschiedenen helfenden Berufen zeigten, dass das Burnout-Syndrom bezüglich der Ausprägung der drei Dimensionen speziell bei Ärzten im Unter- 30 Depersonalisierung schied zu anderen Berufsgruppen durch eine besonders hohe Depersonalisierung gekennzeichnet ist. Burnout-Raten bei Ärzten sind wie bei allen helfenden Berufen hoch. Studien zeigen, dass abhängig von Fachbereich, Arbeitsumständen, geografischem Standort etc. zwischen 40 und 70 Prozent der Ärzte an BurnoutSymptomen leiden (Creagan, 2004). Differenzialdiagnose Die Gemeinsamkeiten zwischen Burnout und Depression beziehungsweise dysthymer Störung bestehen laut Reime und Steiner (2001) in „… Interessens-, Motivationsverlust und Apathie, Rückzug, negativem Selbstwertgefühl und dem Gefühl mangelnder Kompetenz“. Unterschiede werden vor allem in der Intensität und im Längsschnitt in der Abfolge des Auftretens der typischen Symptome (siehe Burnout-Zyklus) beschrieben. Es wird angenommen, dass Betroffene unter der Depression mehr leiden, da diese sich mehr auf den Alltag und das gesundheitliche Wohlbefinden auswirkt als Burnout. Burnout hingegen wirkt sich (in den frühen Stadien) vor allem im Berufsleben negativ aus und wird häufig verheimlicht. Ein fortgeschrittenes Burnout wechselt allerdings vom Berufsbereich in den privaten hinüber und kann letztlich zu Depressionen führen. Ätiologie des Burnout Es gibt eine Reihe von Risikofaktoren und Prädispositionen. Wissenschaftliche Erklärungsversuche zwecks Ursachenbestimmung sind vielfältig. Dass Stress für das Verständnis des Burnout-Syndroms ein Schlüsselphänomen ist, wird von nahezu allen Autoren der letzten Jahre anerkannt – dieser Umstand allein reicht jedoch nicht aus, denn nahezu alle Berufe haben ihre Schattenseiten. Problematisch wird es erst dann, wenn die Anforderungen und die Ressourcen nicht mehr im Gleichgewicht sind. Die Transaktionale Burnout-Definition (Cherniss, 1980) besagt, dass es dann, wenn Anforderungen und persönliche Ressourcen nicht mehr übereinstimmen, zu einer Stressreaktion mit Anspannung, Ermüdung und Reizbarkeit kommt. Gelingt die Bewältigung nicht, folgen emotionale Distanz, Rückzug, Zynismus und Rigidität, also Burnout. Hier wird von Stress zweiter Ordnung gesprochen: “Burnout ist häufiger die Folge von unbewältigtem Stress als von Stress per se. Unter Stress stehen und keinen Ausweg sehen, das Gefühl der Hilflosigkeit erleben, keine Unterstützungssysteme haben, sich gefangen fühlen.“ (Farber, 1983) Personenbezogene Risikofaktoren Vor allem Menschen, die dazu neigen, besonders hochgesteckte Ziele anzustreben, zusätzlichen Aufwand zu übersehen, Zeitbedarf zu unterschätzen und Erfolgsaussichten zu überschätzen (“Wunschdenken”), sind gefährdet. Es entsteht der Versuch, Erfolg erzwingen zu wollen, koste es, was es wolle. ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005 4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr Die Korrektur des Anspruchsniveaus nach unten wäre einer Kapitulation gleichzusetzen. Neuere Untersuchungen bei Ärzten (McManus, Keeling & Paice, 2004) bestätigen persönlichkeits- und lernstilbezogene Faktoren im Herangehen an ihre Arbeit und der möglichen Konsequenz eines Burnout. Neben den persönlichkeitsbedingten Risikofaktoren gibt es aber auch gefährdende Umweltbedingungen. mosphäre durch Unterstützung und Respekt gekennzeichnet ist. In Krankenhäusern wird das Klima allerdings als egoistischer und konkurrenzierender erlebt. Der beste Prädiktor für ein gutes Klima ist jedoch die von jedem Einzelnen wahrgenommene Autonomie, die in Spitälern weniger gegeben ist. Strukturelle Rahmenbedingungen Am Anfang eines Burnout-Prozesses steht Überengagement (oft jahrelang), das dann plötzlich oder schleichend einsetzend die beschriebenen Symptome zur Folge hat. Die üblichen Reaktionsweisen zu Beginn der Entwicklung eines Burnout sind der Zwang, sich zu beweisen, größere Anstrengung und Verleugnung des Schwindens der psychischen und physischen Kräfte. Damit ist der Boden bereitet, auf dem sich ein Circulus vitiosus entwickeln kann: Maslach und Leiter haben in ihrem letzten Buch (2001) ganz besonders auf die organisatorischen, also institutionellen Bedingungen des Burnout hingewiesen. Allen voran steht das zu bewältigende Arbeitspensum. Die Balance zwischen Überbeanspruchung und Unterforderung zu finden, ist ein wichtiger Präventivfaktor. Weiters ist die Intensität der Arbeit bedeutsam. Sparpakete und andere Einsparungsmaßnahmen bedingen den Umstand, dass mehr Arbeit von weniger Menschen geleistet werden muss und diese daher mehr Verantwortung etc. tragen. Egal, ob eine Krankenschwester für mehr Patienten verantwortlich ist oder die Anzahl der Ärzte im Nachtdienst sinkt, die Erholungspausen während der Arbeit werden knapper, die Komplexität wächst. Weiters negativ wirkt sich ein Mangel an Selbstkontrollmöglichkeit aus. Wenn weniger Selbstbestimmung da ist, sinkt auch die Möglichkeit der Identifikation und die Arbeitszufriedenheit. Eine groß angelegte (n= 2628) norwegische Studie (Akre, 1997) untersuchte die Kommunikationsmuster und das Klima auf Stationen. Offene und unterstützende Kommunikation erweisen sich als wichtigste Voraussetzung für Lernbereitschaft, Bewältigung der täglichen Belastungen und Arbeitszufriedenheit. Rund 50 Prozent der Befragten gaben an, dass die Arbeitsat- 32 Seite 32 gerweise nacheinander ablaufen müssen. Stadien können übersprungen werden, oder es können auch einige gleichzeitig vorhanden sein (siehe Abb.1). Der Schweregrad und die Dauer jedes Stadiums hängen von den besonderen Lebensumständen der Person, ihrem Selbstbild, ihrer Vorgeschichte und ihrer Fähigkeit zur Stressbewältigung ab. Verlauf des Burnout Das Schwinden von Kraft und Erfolg ruft verstärkte Anstrengungen hervor. Nur, das gesteckte Ziel wird nicht erreicht, und selbst wenn sich der erwartete Erfolg einstellen sollte, kann er nicht mehr genossen werden. Der Energieverlust wird häufig durch den Einsatz von “Hilfsmitteln” wie Nikotin, Alkohol, Kaffee, Medikamente, Drogen etc. kompensiert, dies bringt aber keine dauerhafte Stärkung. Meist gesellen sich noch Schlafmangel und unregelmäßiges Essen sowie die Vernachlässigung von Beziehungen hinzu. Es kommt zu einer “Entpersönlichung” weiter Lebensbereiche. Man fühlt sich genervt, überfordert und wird zunehmend zynischer und distanzierter. Der Burnout-Zyklus Ein Burnout entwickelt sich prozesshaft über längere Zeit und kann in verschiedenen Stadien ablaufen. Freudenberger und North (2000) beschreiben einen zwölfstufigen Zyklus, wobei die einzelnen Phasen nicht notwendi- Stadium 1: Der Zwang, sich zu beweisen Zeigen, dass man fähig ist, sich durchzusetzen, und den Kollegen und Patienten beweisen, dass man in seinem Beruf besonders gut ist und alles schaffen kann. Häufig sind es überzogene Erwartungen an sich selbst, die durch die Selbsteinschätzung, das soziale Umfeld und insbesondere durch die berufliche Umgebung geschürt werden. Stadium 2: Verstärkter Einsatz Es kommt zu verstärktem Einsatz, um die Aufgaben und Vorstellungen zu verwirklichen und somit zu Stadium 3: Subtile Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse Es gibt nur noch Zeit für die Arbeit, für das Projekt. Freunde und Beziehungen werden vernachlässigt, es kommt zunehmend zu Isolierung und Vereinsamung. Man ist es gewohnt, Abstriche bei sich selbst zu machen, es kommt zu Schlafdefiziten, zu Ernährungsmängeln (Fast Food). Die Freizeit als freie Zeit verliert ihren Sinn, sie wird von Arbeitsproblemen und/oder hektischer Freizeitaktivität überwuchert. Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen. Da ein Konflikt unter Umständen eine Bedrohung und Krise darstellt, die eine Auseinandersetzung fordern ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005 4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr Seite 35 DFP - Literaturstudium Der Burnout-Zyklus Freudenberger und North (1992) würde, wird er verleugnet oder verschoben. Konfliktfähigkeit und somit auch Wachstum gehen verloren. wie zu anderen Menschen abgerissen ist, leiden darunter auch Wahrnehmung, Empfindung und Denken. Die Zeitperspektive wird auf die Gegenwart eingeengt. Das Leben wird immer mehr zu mechanischem Funktionieren herabgemindert. Das Lebensgefühl ist jenes von Entwurzelung und Sinnlosigkeit. Ab den Stadien 3 und 4 besteht auch schon die Gefahr besonderer Krankheitsanfälligkeit bis hin zu körperlichem Zusammenbruch. Gelegentlich geht diese Entwicklung mit der Entwicklung von Substanzmissbrauch parallel. Stadium 10: Innere Leere Abb. 1 Stadium 5: Umdeutung von Werten Mit Konfliktverleugnung, Bedürfnisnegation und Isolation (ohne Korrektiv durch andere Menschen) kann es zu Wahrnehmungsveränderungen der Wirklichkeit kommen. Bisher wichtige Werte werden entwertet und umgedeutet. Es bekommt zum Beispiel nur noch die Karriere Bedeutung, oder es findet eine Fixierung auf eine ausbrennende Beziehung statt. Der Maßstab für die eigene Wichtigkeit oder Unwichtigkeit wird dann beispielsweise die Karriere. Alles andere wird diesem Ziel untergeordnet. Empfinden und Empathie für andere sind reduziert. Stadium 6: Verleugnung der aufgetretenen Probleme Das Burnout wird verschleiert, auftretende Probleme werden auf Zeitdruck, Arbeitspensum und Einsatz, nicht jedoch auf Burnout zurückgeführt. Das Hauptsymptom ist die Intoleranz. Die Probleme wachsen an und wechseln vom beruflichen sehr stark auch in den privaten Bereich. Stadium 7: Rückzug mit zunehmender Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit, Desillusionierung, Entfremdung. Kritik wird nicht mehr vertragen, manchmal treten paranoide Tendenzen auf. Nicht selten wird “Dienst nach Vorschrift” gemacht. Stadium 8: Beobachtbare Verhaltensänderungen Wenn Suchtmittel eingesetzt wurden und Abhängigkeit besteht, kommt es zu psychophysischen Veränderungen. Vermeidung und Rückzug sind charakteristisch. Aus ehemals engagierten Mitarbeitern sind ängstlich-scheue und apathische geworden. Stadium 9: Verlust des Gefühls für die eigene Person Nur noch negative Einstellungen beherrschen das Feld. Die Fähigkeit zur Nähe ist längst verlorengegangen. Nachdem der Kontakt zu sich selbst ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005 Es macht sich mehr und mehr eine innere Leere breit. Um diese zu überwinden, kommt es häufig zu agitierter, verkrampfter Beschäftigung. Entweder, es passiert jetzt gar nichts mehr (der Betroffene überschläft beispielsweise ein Wochenende mit Hilfe von Psychopharmaka), oder es treten Überschussreaktionen auf wie zum Beispiel übermäßiges Essen, gesteigerte Sexualität, übermäßiger Alkoholgenuss, Medikamenteneinnahme. Freizeit ist leere Zeit, oft auch betäubte Zeit. Stadium 11: Depression Diese kann in Agitation oder Lähmung auftreten. In diesem Stadium sind sämtliche Symptome depressiver Zustandsbilder möglich. Verzweiflung oder Gleichgültigkeit, psychophysische Erschöpfung ohne Perspektiven für die Zukunft, Sinnleere und negative Bilanz des Bisherigen kennzeichnen diese Situation. Es kann in Folge davon zum 12. Stadium kommen, zum völligen psychophysischen Zusammenbruch mit Selbstmordgedanken, Selbstmordtendenzen oder gar Suizid. Die völlige Burnout-Erschöpfung, physisch 35 4_stateburnout_fw 17.02.2005 17:37 Uhr wie psychisch, ist ein akuter Notfall, der sowohl in körperlicher wie in psychischer Hinsicht eine vitale Gefährdung darstellt. Prävention bzw. Bewältigung Maslach und Leiter (2001) halten das Zusammenwirken von sechs Bereichen als günstig zur Verhinderung von Burnout: 1) Ausgewogene bewältigbare Arbeitsmenge, also die Limitierung des Aufgabengebietes, um Überforderung zu verhindern. 2) Autonomie und Kontrolle: Einfluss nehmen können auf Entscheidungen, Überblick über die Ziele der Abteilung/Gruppe haben; wissen, wofür man zuständig ist. 3) Anerkennung und gerechte Entlohnung. Transparenz der Ressourcen, wissen, wie beispielsweise Gelder verteilt werden; welche Anerkennung für welche Leistung zu erwarten ist. 4) Gemeinschaftsgefühl, Verbundenheit, gemeinsame Ziele, Teambesprechungen. 5) Fairness, Respekt, Gerechtigkeit (Krisen bewältigen, Solidarität aufbauen, Konflikte besprechen, Vermeidung von Mobbing, Abwertung). 6) Wertvorstellungen. Bedeutung und Wertigkeit der Arbeit. Sind bereits Burnout-Symptome vorhanden, bedarf es einer genauen Differenzierung der problematischen Bereiche. Art und Auswahl therapeutischer Maßnahmen hängen von der Phase ab, in der sich die Betroffenen befinden, aber auch von den Lebensumständen, den persönlichen Ressourcen, den Arbeitsbedingungen und nicht zuletzt von der Veränderungsmotivation. Soll die Bewältigung erfolgreich sein, ist die Erkenntnis, dass es sich hierbei um keine persönliche Schwäche handelt, sondern um eine Folge extremer Faktoren und - dass 36 Seite 36 man selbst etwas dagegen unternehmen kann, unerlässlich. Global gesehen lassen sich vier Bewältigungsformen unterscheiden. Die angeführten Bewältigungsstrategien beziehen sich auf stresshafte Situationen jeglicher Art. Die vier Strategien können wie folgt gegliedert werden: 1.) Direkt-aktiv: zum Beispiel die stresshafte Situation verändern, bestimmte Stressfaktoren beeinflussen, positive Aspekte der Situation herausfinden. 2.) Direkt-inaktiv: die belastenden Elemente der Situation ignorieren, sie vermeiden oder die Situation verlassen. 3.) Indirekt-aktiv: über den Stress sprechen, sich in Anpassung an die stresshaften Elemente der Situation verändern, sich in anderen Tätigkeiten engagieren. 4.) Indirekt-inaktiv: sich zurückziehen, Substanzmissbrauch, krank werden oder zusammenbrechen. Neben Entspannungsmethoden, dem Erlernen von Stressbewältigungsstrategien, der Veränderung von Haltungen und Einstellungen sind die Nutzung von Supervisionsangeboten, aber auch Coaching, Psychotherapie und andere unterstützende Maßnahmen bis hin zur medizinisch-medikamentösen sinnvoll und oft auch notwendig. Praktische Hinweise zur Prävention und Bewältigung von berufsbezogenen Belastungen finden sich bei Fengler (1998). Neben Fragebögen werden Maßnahmen zur Selbstbelohnung, zur Abgrenzung von überfordernden Personen, zur besseren Kooperation im Team und vieles mehr vorgeschlagen. Potenzielle Schwierigkeiten bei Diagnose und Therapie Burnout ist ein geläufiges Wort geworden, das Eingang in die Alltagssprache gefunden hat. Erfolg und Burnout müssen aber keineswegs Hand in Hand gehen, wie oft suggeriert wird. Um nicht in die BurnoutFalle zu tappen, ist es wichtig, über diese Gefahr Bescheid zu wissen, die Symptome und Bedingungen zu kennen. Mangelnde Kenntnis des Störungsbildes und die vorgebrachten körperliche Symptome verführen Ärzte (leicht) zu organmedizinischen Behandlungsmaßnahmen und ausschließlicher Symptombehandlung, wo Änderungen des Lebensstils, der Haltungen und Einstellungen oder konkreter Verhaltensweisen nötig wären. Die Symptome sind vielfältig, und weil Burnout besonders in sehr verschiedenen Phasen angetroffen wird, ist die diagnostische Zuordnung erschwert. Oft wird erst dann ein Arzt, Psychologe, Psychotherapeut etc. konsultiert, wenn erhebliche psychopathologische Zustandsbilder, psychosomatische Erkrankungen oder schwere somatische Zusammenbrüche vorliegen. Literatur bei den Verfassern *) o.Univ. Prof. Dr. Gernot Sonneck, Mag. Dr. Ingeborg Pucher-Matzner; beide: Institut für Medizinische Psychologie, Zentrum für Public Health, Medizinische Universität Wien, Severingasse 9, 1090 Wien; Tel. 01/42 77/65 601; Fax-DW: 96 56; e-mail: [email protected] Herausgeber: Österreichische Gesellschaft für Medizinische Psychologie, Psychotherapie und Psychosomatik Lecture Board: Univ. Doz. Dr. Elmar Etzersdorfer, Furtbachkrankenhaus, Stuttgart, Univ. Prof. Dr. Gerhard Lenz, Univ. Klinik für Psychiatrie, AKH Wien, Dr. Claudius Stein, Chefarzt, Kriseninterventionszentrum Wien Diesen Artikel finden Sie auch im Web unter www.arztakademie.at ❯ österreichische ärztezeitung ❮ 4 ❮ 25. februar 2005