Über Lebensdauer von Zwergsträuchern aus hohen Höhen

Werbung
Über Lebensdauer von Zwergsträuchern aus hohen Höhen
des Himalaya,
Von
FRIEDERICH KANNGIESSER.
in Braunfels a. d. Lahn.
Herr Doktor Ernest F. Neve, Arzt des Hospitals in Srinagar in
Kaschmir, hatte die grosse Liebenswürdigkeit, mich durch Zusendung
von ausgewählt starkstämmigem Zwergstrauchmaterial aus hohen
Höhen des Himalaya zu erfreuen. Herr Neve ist nicht nur als Arzt
ein Bannerträger der Kultur auf vorgeschobenstem Posten der Zivilisation, sondern darüber hinaus der kühne Bergsteiger von Weltruf,
der bis zu Höhen des Himalaya emporgedrungen, die vor ihm noch
kein Menschenfuss betreten hat.
Die gesandten Zwergsträucher sind teilweise annähernd von Neve
bestimmt worden, teilweise lagen beblätterte Zweige bei. Die Bestimmung der Pflanzen macht daher Schwierigkeiten, die zu beheben
gefällige Kollegen mir behülflich sein werden, soweit sie aus meinen
Beschreibungen aufklärende Schlüsse zu ziehen imstande sind. Jedenfalls bitte ich die Leser dieser Zeilen sehr darum, mir diese Freundlichkeit, soweit es in ihren Kräften steht, zu erweisen. Vielleicht ja
auch, dass diese oder jene Pflanze überhaupt noch nicht beschrieben
worden ist. Für jede, wenn auch nur vermutende Mitteilung, wäre
ich dankbar, desgl. was die Vervollständigung der unserem Thema
kompetenten Literatur betrifft, die, soweit sie mir in achtjährigem
einschlägigem Studium bekannt und soweit dieselbe durch den Verfasser ergänzt wurde, anschliessend an diese Arbeit zitiert ist.
A. Rhododendron Anthropogon. Diese von Neve so bestimmte
Alpenrose des Himalaya hat ähnliche Blätter wie das bekannte Rhododendron ferruginosum, oberseits ledrig, unterseits rostbraun. Doch
sind die Blätter kleiner: Blattspreite 6 auf 13 mm, Blattstiel 4 mm
lang. • Die Jahrringe — sämtliche Pflanzen wurden an Querschnitten
des Wurzelhalses mikroskopisch auf ihr Alter untersucht -- sind zwar
nicht undeutlich, aber doch nur schwach gezeichnet. Wiederholt und
Über Lebensdauer von Zwergstr1uchern aus hohen Höhen des Himalaya. 199
aufmerksam unter dem Mikroskop gezählt, ergaben sich die in nachfolgenden Tabellen niedergelegten Alterswerte. Voraus bemerkt sei,
dass jeweils Dm: grösster Durchmesser des Stämmchens am Wurzelhals, WR: grösster Wachstumsradius und MR • die aus diesem mit
Hilfe der Jahrringzahl berechnete mittlere Ringbreite bedeutet.
I. Zwei Exemplare aus 12 000 Fuss Höhe vom Kousa Nag (SüdKaschmir).
MR
Alter
Dm
WR
24 Jahrringe.
3,6 mm
0,15 mm
7 mm
3,8 „
0,15 „
25
7 9
II. Zwei Exemplare aus derselben Höhe von der Westseite des
Mount Kolahor.
0,15 mm
31 Jahrringe.
4,5 mm
9 mm
49
0,14 „
13,2 „
7
B. Juniperus. Von Neve „juniper" genannt. Nadeln lagen nicht
bei, doch handelt es sich wohl um die weitverbreitete Juniperus
communis, möglicherweise um die Abart „üana". Das untersuchte
Exemplar, das sich auch anatomisch durchaus als Juniperus erwies
und Jahrringe zeigte, die etwa ein Drittel so gross waren wie die
von Stämmchen aus der Lüneburger Heide, stammte aus 12 000 Fuss
Höhe (der englische Fuss = 30,5 cm) von der Westseite des Mount
Kolahor.
MR
Alter
Dm
WR
30 Jahrringe.
7,8 mm
0,26 mm
17,8 mm
C. ‚Mix sp.? Von Neve als Salix? bezeichnet. Sowohl ich wie
die Kollegen Geisenheyner und Beauverd, denen ich Blätter der
Pflanze sandte, halten dieselbe bestimmt für eine Salixart. Dafür
spricht sowohl der anatomische Aufbau wie die Eigentümlichkeit,
dass bei dem älteren Exemplar die (4) peripheren Jahrringe nur aus
(4) Gefässreihen bestanden, was man bei alten Weidenhölzern häufig
findet. Das Holz schnitt sich, wie das der Weideu überhaupt, sehr
weich, und die Rinde färbte, wie mir das bei Zwergweidenhölzern
stets besonders auffiel, das, Wasser, in dem die Stämmchen vor Herstellung der mikroskopischen Sektionen eingetaucht wurden, alsbald
tiefbraun, eine Färbung, die auf Zusatz von ein paar Tropfen von
Liquor fern sesquichlorati sofort in Tiefschwarz überging. Die Blättchen
sind fein gesägt, oval, etwa 10 auf 17 oder 7 auf 15 mm gross, der
Blattstiel ca. 3 mm lang. Beauverd meint, dass vielleicht Salix
Lindleyana in Betracht komme. Lebensdauer und Zuwachsverhältnisse
— die Jahrringe sind sehr deutlich — sind durchaus ähnlich denen
von Zwergweiden der Pyrenäen. Die untersuchten Exemplare stammen
von der Nordseite des Mount Kolahor.
200
Friederich Kanngiesser.
WR
MR
Alter
5,1 mm
0,3 mm
17 Jahre.
0,25 „
20
„
5
„
D. Berberis sp.? Von Neve als „berberry" bezeichnet, wofür.
auch Geisenheyner und ich die Pflanze mit Sicherheit ansprechen.
Die Blätter sind schmal elliptisch, ca. 11 auf 35 mm gross und aussen
„stachlig" gezähnt. Die Blattspreite geht in den Blattstiel über.
Dass es sich um eine Berberitze handelt, geht auch aus dem gelben
Holz, das das Wasser schön gelb färbt, hervor. M. E. ist das Blatt
etwas schmäler, spitzer und relativ kräftiger bestachelt als das von
Berberis vulgaris. Beauverd meint auch, dass vielleicht var. Kunwarensis vel Aetnensis in Betracht käme. Das untersuchte Exemplar
stammt aus 12'800 Fuss Meereshöhe vom südlichen Abhang des
ca. 15 Meilen östlich von Srinagar gelegenen Mount Mahadeo. Jahrringe
der Pflanze sehr deutlich.
DM
Alter
WR
MR
11,5 mm
4,5 mm
0,64 mm
7 Jahre.
E. Vaccinium ? Von Neve nur als „shrub tvith red berries" bezeichnet. Sowohl Geisenheyner wie ich halten die Pflanze für eine
Vacciniumart, absolut sicher für eine Ericoide, Beauverd meint, es
sei vielleicht ein Cotoneaster. Sicher aber ist es nicht der mir
gärtnerisch bekannte Cotoneaster horizontalis, der ebenfalls im Himalaya
(speziell in Nepal) wächst. Die Pflanze hatte ledrige Blättchen,
ähnlich denen der Preisselbeere, nur kleiner. Die Blättchen sind oval,
kurzgestielt, glattrandig, unterseits weisslich behaart. Grösse 3 auf 6,
4 auf 6, 5 auf 8 mm. Anatomisch erweist sich das Holz als durchaus das einer Ericoide. Die Jahrringe sind nicht besonders deutlich
zu erkennen; die nachgenannte Altersziffer ist aber sicher das Minimum
der Anzahl der vorhandenen Ringe. Das Exemplar stammt aus 11 000
Fuss Höhe von Sakeoäs, 30 Meilen östlich von Srinagar.
Dm
WR
Alter
MR
18 mm
0,27 mm
35 Jahre.
9,5 mm
F. Species? Von Neve als ein „flowering shrub" bezeichnet.
Die beigelegten Blüten waren durch die lange Reise leider vollständig zur Unkenntlichkeit verdorrt. Die Blätter sind weidenähnlich,
doch hat die Pflanze mit Salix sicher nichts zu tun. Die Blätter
sind spitz elliptisch; Blattspreite 7,5 auf 26 oder 10 auf 25 mm.
Blattstiel höchstens 2 mm lang. Blatt ganzrandig, am Rande behaart.
Holz etwas hart. Jahrringe sehr deutlich. Rinde hellbraun, längsschilfernd, ähnlich wie die unsrer Clematis Vitalba. Beauverd hält
die Pflanze wahrscheinlich für Lonicera glauca. Das Exemplar stammt
vom Nägberran (20 Meilen östlich von Srinagar) aus 12 000 Fuss Höhe.
DM
11 mm
12,5 „
Über Lebensdauer von Zwergsträuchern aus hohen Höhen des Himalaya. 201.
WR .
Alter •
MR
11 Jahre.
4,1 mm
0,37 mm
G. Species? Aus 12 000 Fuss von der Westseite des Mount
Kolahor. Ein Cotoneaster ? Beauverd hält diese und die nächstgenannte Pflanze für Lonicera-Arten und zwar vielleicht für parvifolia
und tomentella. Im Aspekt ist der Zwergstrauch ähnlich wie die
unter H beschriebenen, hat aber andere Blätter. Diese sind rundlichelliptisch: •5 auf 7 oder 6 auf 9 mm gross und kurz gestielt. Jahrringe
deutlich.
Alter
Dm . WR
MR
0,5 mm
6 Jahre.
6 mm - 3 mm
H. Species ? Aus 12 000 Fuss Höhe von der Westseite des Mount
Kolahor. Zarte Blättchen ; 3,5 auf 7-oder 3 auf 8 mm gross, elliptisch,.
kurz gestielt, am Rand in der oberen Hälfte rechtwinklig gekerbt,
Eine Labiate ? Die Jahrringe sind sehr deutlich. Befeuchtet er-Scheint die Schnittfläche des harten Holzes dunkelgrün ; Farbe - und
Konsistenz, wie man sie zuweilen bei Leguminosenhölzern und Loniceren
findet.
Dm
WR
MR
Alter
2,3 .mm • .0,15 mm
15 Jahre.
5 mm
3
5,3 „
0,18
17
4,2 „
0,17 .„
25
6,2 „
Ergebnis. Bezüglich der Lebensdauer ergeben sich für die genannten Himalayazwergsträucher durchaus ähnliche Verhältnisse wie
die ihrer Genossen von den Alpen und Pyrenäen: Sie werden ca. 20
und wenn's hoch -kommt, bis zu 50 Jahre alt. Auch für den annuellen
Dickenzuwachs ergeben slch ähnliche Werte. Das Ergebnis ist in®
sofern auffallend, als trotz der beträchtlichen Höhendifferenzen zwischen
Hochhimalaya- und Alpensträuchern keine wesentlichen Verschiedenheiten in Bezug auf Lebensdauer und Jahrringstärke deutlich hervortreten.
Dm
11,2 mm
11
11
Literatur über Lebensdauer von Zwergsträuchern
in chronologischer Ordnung.
H. und A. Schlagintweit. Untersuchungen üher die physikalische Geographie der
Alpen. 1850, p. 582.
G. Kraus. Über Alter und Dickenwachstumsverhältnisse ostgrönländischer Holzgewächse. Bot. Ztg. 1873.
F. C. Schübeler. Die Pflanzenwelt Norwegens. 1873-1875.
A. Kihlman. Pflanzenbiologische Studien aus Russisch-Lappland. Helsingfors 1890.
W. v. Lazniewski. Beiträge zur Biologie der Alpenpflanzen. Flora 1896, p. 263.
202
Friederieh Kanngiesser.
M. Rosenthal. Über die Ausbildung der Jahresringe an der Grenze des Baumwuchses in den Alpen. Berlin 1904.
C. Schröter. Das Pflanzenleben der Alpen. Zürich 1905-1908.
F. Kanngiesser. Über Alter und Dickenwachstum von Würzburger Wellenkalkpflanzen. Würzburg 1905. (Auch in. den Verhandlungen der physik. med. Ges.
zu Würzburg, N. F., Bd. 37.)
Derselbe. Über Alter und Diekenwachstum von Calluna vulgaris. Naturwissenschaft!.
Zeitschr. f. Land- und Forstwirtschaft 1906, p. 55 etc.
Derselbe. Einiges Ober Alter und Dickenwachstum von Jenenser Kalksträuchern.
Jenaische Zeitschr. f. Naturw., herausgeg. von der med.-naturw. Ges. zu Jena,
1906. Bd. 41.
Derselbe. Bemerkenswerte Bäume und Sträucher der Umgegend von 'Warburg.
Giessen 1909. Verlag Buchdruckerei Nitschkowski.
Derselbe. Einige mikroskopische Altersanalysen von Kleinsträuchern. Die Kleinwelt 1909/1910, H. 10. p. 165 etc.
Graf zu Leiningen und Kanngiesser. Über Alter und Dickenzuwachs von Kleinsträuchern. Ber. XII, H. 2, der bayer. bot. Ges. 1910, p. 104 etc.
F. Kanngiesser. Über Lebensdaner einiger Zwergsträucher. Gartenflora 1910,
p. 524 etc.
Derselbe. Zur Lebensdauer von Sträuchern aus den Hochpyrenäen. Bot. Zeit. 1910,
Abt. II, p. 332 etc.
Derselbe. Über die Lebensdauer von Ericaceen der Pyrenäen. Naturw. Wochensch•.
1911, Nr. 40. p. 638 etc.
Derselbe. Mitteilung über Lebensdauer von Polarsträuchern. Gartenflora 1912,
p. 58 etc.
R. Hilbert und P. Kanngiesser. Notizen über Lebensdauer von Zwergsträuchern aus
der Umgegend von Sensburg in Ostpr. Festschrift des preuss. bot. Vereins 1912,
p. 137 etc.
Abromeit. Mitteilung über Stärke und Alter einiger Zwergsträucher aus Ost- und
Westpreussen. Ibidem. p. 140 etc.
R. Lauche und F. Kanngiesser. Über Lebensdauer von Zwergsträuchern aus der
Muskauer Heide. Medizinische Klinik 1912, Nr, 51.
P. Kanngiesser. Beitrag zur Kenntnis der Lebensdauer arktischer Sträucher. Berichte
der Schweizer bot. Ges. 1912 (H. 21).
Herunterladen