DIE REFORMDISKUSSION Die= Rubrik sol1 der sozial- und verbandspolitischen Reformdiskussion dienen. Dazu greift die TuPRedoktion Grundsatzthemen auf und gibt exponierten Vertreterinnen bzw. Vertretern der Reformdiskussion Gelegenheit zu einer Fachpolitischen Stellungnahme. DER DRllTE WEG - ZWISCHEN STAAT UND MARKT ZUR THEORIE DER ZIVILGESELLSCHAFT" AMITAI ETZlONl (I] Basis der Zivilgesellschaft Die sozialen Gemeinschaften at Der Dritte Weg ist keine StraOe, die man befahren konn, sondern.eine StraOe, die gerade erst gepflostert wird. Uberlegungen, in welche Richtun man sich bewegen soll, gehen uber das Pro lem, eine richtige Mischun aus Stoat und Markt zu finden, hinaus - vieleicht wed GroRbritannien naher daran ist, seinen Weg zu finden, als relativ statische Gesellschaften auf dem Kontinent, und 01s die USA, die sich auf einen ungebandigten Markt zubewegt. Bei den Fragen, denen man sich als Nachstes stellen muss, geht es darum, welche Teile der sozialen Lasten die Gemeinwesen auf sich nehmen konnen, und m a r nicht, um den Wohlfahrtsstaat zu ersetzen, sondern um ihn durch die Ubernahme einiger seiner Lasten zu erhalten. 1st es gerechtfertigt, Lijcher in das s o ziale Netz zu schneiden oder es auf etwas niedrigerem Niveau zu befestigen?Wie kann man Dezentralisierung durch Storkung der Gemeinxhaft von Gemeinschaften, der Ge sellschaft als Ganzes, ins Gleichgewicht bringen, um eine Zersplitterung zu vermeiden? Wie kann man wachsende Ungleichheit zugeln, nicht nur um der sozialen Gerechtigkeit willen, sondern auch, um gemeinsame Bindungen zu erhalten? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie man generell den moralixhen Dialog uber gemeinsame Ziele pflegen kann d e r , ganz spezifisch gefragt, ist ein immer noch hoheres Niveau materiellen Wohlstands unser ultirnatives Ziel? %. B Wenn man sich mit diesen Fragen beschoftigt, dreht sich alles um das Konze t des Gemeinwesens, das oft als vage un illusorisch b e zeichnet wird. Daher ein Wort zu der undankbaren Aufgabe von Definitionen (Man beach- 8 te, dass andere weithin gebrauchliche Konzepte wie Klasse, Eliten und sogar Rationalitat ebenfalls einer prazisen Definition widerste hen): Gemeinwesen, so wie ich sie verstehe, sind Gruppen von Menschen, die gemeinsame aF fektive Bindungen (ahnlich der Bindungen mischen Mitgliedern einer erweiterten Familie) und eine moralische Kultur teilen (ein Satz gerneinsamer sozialer Bedeutungen und Werte, die das kennzeichnen, was die Gemeinschah als gutes Verhalten irn Gegensatz zu inakzep tablem Verhalten betrachtet). Wahrend Gemeinwesen in fruheren Zeiten, und in ewissem MaOe noch heute, groRtenteils au den Wohnort bezogen waren (d.h. die Zugehorigkeit zu ihnen wurde, wie bei einem Dorf, geographisch definiert), ist dies heute haufig nicht mehr der Fall. Heutige Ge meinwesen entwickeln sich unter Berufs enossen, die in der. gleichen Institution arLiten (z.B. unter den Arden einer bestimmten Klinik d e r dem Lehrkorper einer Hochschule); unter Mitgliedern einer ethnischen Gruppe, auch wenn sie verstreut inmitten anderer Gruppen leben (beispielsweiseeine judische Gemeinde d e r eine Gemeinde westindischer Zuwande rer im Osten Londons); unter Menschen, die die gleiche sexuelle Orientierung haben; und sogar unter lntellektuellen mit gleicher politischer oder kultureller Ausrichtung. 3 Kritiker von Gemeinwesen weisen auf solche Gemeinwesen hin, die autoritar oder oppressiv sind. Praktisch alle diese Gemeinwesen existierten jedoch in fruheren Zeiten oder aber sie sind in nichtdemokratischen Gesellschaften zu finden. Zeitgenossische Gemeinwesen in demokratischen Gesellschaften kann man vie1 leichter wieder verlassen als andere, und Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit I Nr. 1 1 / 2 0 0 0 403 I . sie haben eine be renzte Bestimmungsgewalt uber ihre Mitglie er. Daruber hinaus sollten grundlegende Gesetze, die die Rechte alter Burger in unseren Gesellschaftsformen definie ren, naturlich auch auf alle Gemeinwesen volt angewendet werden - egal, ob es sich um altmodische Gemeinwesen handelt, um Gemeinschaften neu Zugewanderter oder um iegliche andere Form von Gemeinwesen. cl Die Fragen, die - wie ich es vorgeschlagen habe - in der nahen Zukunft angesprochen werden mussen, mrjgen wie zufallig zusammengewurfelt erscheinen. Tatsachlich sind sie alle aus einer grundlegenden Konzeption der Art von Gesellxhaft, zu der der Dritte Weg bhren sollte, abgeleitet und nicht aus einem Konzept, das zu grobrem Wirtschaftswachsturn fiihren wurde. Bevor ich mich der E b xhreibung dieses Konzeptes zuwende, h g e ich einige Worte an uber den bereits zuruckgelegten Weg - daruber, von wo wir kommen. Dies ist noiwendig wegen der umfangreichen Kritik, die sich gegen den b l o b n Gedanken richtet, dass es einen dritten Weg gibt. Es ibt einen Dritten Weg zwischen Staat 61 un Markt Der Dritte Weg ist wiederholt als ein verschwommenes, vages Konzept bezeichnet worden. Wenn man damit meint, dass dieses edankliche Konzept nicht vollstandig ausge Lilt ist, dass es die Richtung anzeigt, die eim gexhlagen werden muss, iedoch weder eine volleniwickelte Doktrin noch einen ideologisch detaillierten Wegweiser darstellt, dann trifft diese Beschreibung mit Sicherheit zu. In der Tat liegt hier eines der groOen Verdienste des Dritten Weges - wir' hatten schon genug Schwierigkeiten, als wir es im vergongenen Jahrhundert mit Denkweisen zu tun hatten, die es anstrebten, uns jede Facette unseres Lebens vorzuschreiben. Der Dritte Weg ist nicht amerikanisch, britisch oder Eigentum irgendeiner anderen Nation, Region oder Kultur. Einige seiner zahlreichen Ursprunge liegen im Alten und Neuen Testament, in den Lehren der antiken Griechen, in asiatischen, muslimischen und judischen Vorsiellun en von Harmonie und Verantwortung fiir anJere, im Denken der Fabian Society und katholischer Soziallehre, und in vielen ande ren Konzepten. Gibt es einen Dritten Weg oder eine ganze Reihe Dritter Wege? Obwohl einige Gesellschaften mehr auf der linken Spur fahren (z.B. Frankreich, Italien) und andere eher auf der rechten (z.B. die Vereinigten Staaten), unterscheidet sich die StraOe, auf der sie alle unterwegs sind, doch absolut eindeutig von den We gen, die von totalitaren Ansatzen vorgezeichnet werden oder auf libertaren Ansatzen basieren. AuOerdem nahern sich die verxhiede nen Gesellschaften des Dritten Weges einander an, obwohl sie sich in der jeweils spezifischen Synthese der Konzepte von Staat und Markt unterscheiden. Auch haben bisher alle das dritte Element des Dritten Weges zu kurz kommen lassen: die Role der Gemeinwesen. Es ist dieser Abschnitt der StraOe, der im nachsten Jahrzehnt am meisten entwicklungsbe durftig sein wird. Was sind die Prinzipien einer guten Zivilgesellschaft? Wir brauchen eine klorere Vision daruber, WQ hin der Dritte Weg uns fiihrt. Natiirlich sind spezielle politische Strategien willkommen, technische Details konnen faszinierend sein; es gibt auch Raum fih Debatten uber spezifische Veranderungen, die fiir dieses oder jenes offentliche Programm, diese oder jene rechtliche Struktur erforderlich sind. Die meisten Menschen sind jedoch selbst in unserem digitalen Zeitalter nicht derart reglementierungswutig (und wollen es auch nicht werden), ganz zu schweigen von Technokraten. Die Menschen sehnen sich nach einer Vision dessen, worauf Wenn man mit dem Vorwurf meint, dass der Dritte Weg nicht definierbar sei oder keinen Kern habe, so ist diese Kritik leicht abzuweisen. Der Dritte Weg sieht es als selbstversttind lich an, dass der Staat weder das Problem noch die Losung darstellt. Und er unterstelh, dass ungebandigte Markte vie1 Unheil und Leid verursachen konnen, ebenso wie vorsichtig begrenzte Markte ein starker Motor fijr wirtschaftliches Wachstum und sinnvolle Arbeitsplatze sein konnen. Er vertritt auch die 404 . Ansicht, dass der Staat und die private Wirtschaft Partner statt Feinde sein konnen. Vor allem aber halt der Dritte Weg daran fest, dass eine Gesellschafr am besten auf drei Soulen ruhen sollte: auf einer starken, aber schlanken Regierung, auf einem gut entwickelten, aber eingegrenzten Markt und - auf einem pulsie renden Gemeinwesen. I . wir alle zusteuern - nach einer Vision, die einen Rahmen bietet zur Einordnung einzelner Ideen und zur Bewertung spezifischer Errungenschaften der Vergangenheit sowie von Pl& nen fiir die Zukunft. Vor allem aber gibt eine solche Vision Inspiration, reifit uns mit und verleiht unseren Anstrengungen und Opfern, dem Leben. einen Sinn. Wir streben eine Gesellschaftan, die nicht blo6 zivil ist, sondern auch gut. Eine gute Gesellschah ist eine Gesellxhaft, in der Menschen einander als Zweck in sich, und nicht blo6 als Mittel zum Zweck behandeln; als ganze Personen, und nicht als Fragmente; 01s Mitglieder eines Gemeinwesens, einer stark erweiterten Familie, und nicht nur als Angestellte, Handler, Konsumenten oder vielleicht sogar Mitbur er. (In den Worten des Philosophen Martin BU er pflegt eine Ute Gesellxhaft Ich-Du-Beziehungen, obwoh sie die Unvermeidbarkeit und die weutende Rolle von Ich&&zi&ungen anerkennt.) 1 9 Der Lehrsatzt nach dem Menschen 01s Zweck und nicht als Milk1 zum Zweck Zu behandeln sind, ist beileibe nicht neu, aber das macht ihn wohl kaum weniger uberzeugend. Nicht anz so allgemein okzeptiert wird die sehr d e u t e n d e soziolWixhe Beobachtung, dass dieser Lehrmh w d e r im Bereich des Staates noch des Marktes am besten institutionalisiert wird, sondern von den Gemeinwesen. Von ebenso zentraler Weutung ist die Erkenntnis, dass nur eine Gesellxhaft, in der niemand ausgegrenzt wird und alle mit gleicher Achtung behandelt werden, auch eine Gesellx h a h dorstellt, in der allen Menxhen der status eines Zwecks in sich zu estanden wird und in der sie ihr volles menxhyiches Potenzial entFaIten konnen. Der Kerngedanke des Kommunitorismus, dass wir unvqausserliche individuelle Rechte und soziale Verantwortung fiir einander haben, basiert auf der Erkenntnis, dass wir dazu berechtigt sind, ah Zweck in sich behandeh zu werden, und such verpflichtet sind, mit anderen, ebenso wie mit dem Ge meinwesen, das wir alle teilen, genauso urn zugehen. Die den bereits getroffenen Feststellungen zugrundeliegende Logik sollte erlautert werden, da sie das Fundament eines GroOteils dessen bildet, was noch folgt. Im Gegensatz zu Ideo logien, die unbeirrbor die Befolgung eines ein- Theorie und Praxis der Soziolen Arbeit I Nr. 1 1/2000 . I zigen ubergeordneten Prinzips anstreben, basiert der Dritte Weg auf der Synthese von Prim zipien, die oft teilweise inkompatibel sind, und auf der umsichtigen Ausbalancierung von zwei oder mehreren Ansatzen. Obwohl Menxhen als Zweck in sich behandelt werden mussen, sol1 dies - wie bereits festgestellt wurde - den Ich-Es-Beziehungen, also den instrumentellen Bereichen der Welt, nicht die Legitimitat a b sprechen. Eine gute Gesellschaftzielt nicht darauf ab, sie auszuloxhen, sondern darauf, beide Elemente richti zu pflegen und in ihren Grenzen zu bewa ren. Ein Grofiteil des FoC genden basiert auf dieser Logik der abgesicherten Kombinationen. a Der neugewihlb Partner: Die sozialen Gemeinschaften Sogarvon Verfechtern des Dritten W q e s Werden Gemeinwesen oft ais ein sehr wichtiger sozialer Faktor ubersehen. In Zukunft sollte es zunehmend den Gemeinwesen uberlassen werden, einen r o t h e n Teil der zu leistenden sozialen Aufga n zu schultern, da Gemeinwesen dies zu%e -hr ,,iedrjgeren offendiKosten und ,,,it e;nem r o ~ r e ~ n ~ an f Humanitat leisten konnen a der Stoat der der Ma&. Tatsachlich ist es gut mijglich, dass sie in absehbarer Zukunft die wichtigste neue B i ~ ~ fiir soz;ale ~ Dienste l darstellen l ~ konnen, da die Moglichkeiten zu Steuererhohungen zur Bezahlung sozialer Dienstleistungen nahe zu ausgexhopft zu sein scheinen und die Ge samtkosten sozialer Dienstleistungen weiterhin in hoherem MaOe als die Inflation steigen werden. D~~ Grund hierfiir liegtdarin, dass soziale ~ ~personalintensiv ~ sind undAr- ~ beitskostenschneller Kapitalkosten stei en, da die ~ b e ; ~ m o b i l nicht i t ~ t ann..hernf so fliefiend undglobal ;st wie die Kapitalstrome. Ergo habe,, die Beschaftigtenin gege benen Land etwas grobre M%lichkeit zur Erzielung der Beibehaltun he.n r., Lljhnen Zusatz(e;stungen a es den Banken undund anderen Finanzinstituten mijglich ;st, 9 im Vergleich zu hohereZinssake verlangen zu konnen. So sind zum Beispiel die Unterschiede im Ertrag, den britische Banken und Banken ouf dem Kontinent erbringen, minimal im Vergleich zu den Unterschie .den in den Gehaltern und Zusatzleistungen. Wenn also die allgemeinen Inflationsraten so 405 ~ wohl Arbeits- als auch Kapitalkosten widerspiegeln, und wenn eine Kom onente, das Kapital, unter dem Durchschniit iegt, ist es eine mathematische Gewissheit, dass die andere Komponente, die Arbeit, daruber liegen wird. P Der Hauptgrund, warum das neue kommunitaristische Denken uber die Philosophie des Dritten W es hinaus eht, liegt in der Ge wahrung vo ler Aufmer samkeit fiir die Bedew tung der Gemeinwesen. In anderer Hinsicht uberschneiden sich die beiden Ansatze sehr stark. Gemeinwesen sind die wichtigsten SOzialen Einheiten, die zweckorientierte (IcbDu) Beziehungen pflegen, wahrend der Markt das Reich der mittelorientierten (Ich-Es) Beziehung ist. Die Beziehung zwixhen Staat und Burger tendiert ebenfalls in Richtung des InstrumenteL len. Sicher knupfen eini e Menxhen Bezie hungen bei der Arbeit, e%enso wie andere in Gemeinwesen Tauxhhandel betreiben, aber im GroOen und anzen gabe es ohne Ge meinwesen rnit Sic erheit ein deutliches Defizit an zweckorientierten Ekziehungen. John Gra formuliert dies folgenderrnahn: BDas Au bluhen von lndividuen setzt starke und tief ge hende Formen des gemeinsarnen Lebens vorauw. Gemeinwesen basieren auf zwei Fundamenten, die beide Ich-D&eziehun en verstarken. Erstens bieten Gemeinwesen a ktive Birr dungen, die Gruppen von Menxhen in soziale Einheiten verwandeln, die erweiterten Farnilien ahneln. Zweitens transportieren sie von Generation zu Generation eine gerneinsame moralixhe Kultur und formulieren diesen m o ralischen Rahrnen standig neu. 7 ? 1 r B Der Wert von Gemeinwesen wird durch die Erkenntnis hervor ehoben, dass Menschen, die in Gerneinschah e&n, ein longeres, gesunde res und zuhiedeneres fe&n fiihren, als Met+ xhen, die eine solche Zu ehorigkeit nicht erleben konnen. Eksonders "r#Mitgliedereiner Gemeinschaft besteht eine deutlich geringere Wahrxheinlichkeit zu psychosomatixhen und psychixhen Erkrankungen als fiir Menschen, die isoliert leben. Studien in natiirlicher Um e bung zei en, dass Menxhen, die in soziaer Isolation eben, an einer Vielzahl von Proble men, sowohl physixher als auch psychixher Art, leiden. So stellten Wissenxhaftler zum Beispiel fest, dass Bsozial isolierte Manner eine fast do pelt so hohe SterMichkeitsrate aufgrund von Er rankungen der Herzkranzgefab aufweisen als Manner, die innerhalb der groBten 7 3, B E 406 9 sozialen Netzwerke lebencc. Das Risiko eines wiederholten kardiovaskularen Vorfalls wird taut der gleichen Studie ebenfalls durch schwache soziale Bindungen erhoht. Die Tatsache, dass soziale Isolation eine Ge fahr fiir die psychische Gesundheit darstellt, zeigte sich deutlich wtihrend der ersten Mission zur Errichtung eines USStiitzpunktes in der Antarktis im Jahr 1955, bei der die Isolation eine paranoide Psychose hervorrief. Seitdem haben zahlreiche Studien ezeigt, dass kolation verschiedene psychisc e Gesundheitsrisiken deutlich erhoht. In ihrer klassischen Studie uber einsam in Hochhausapartments lebende New Yorker (Mental Health in the Metropolis), stellten Leo Srole und seine Partner bei 60 Pro zent der Bewohner subklinische psychiatrixhe Zustande fest, und 20 Prozent wurden als psychisch geschadi t eingestuft. Andere Studien haben wiederho t demonstriert, dass sich nach arbeitsbezogenem Stress die ehelichen, farniliaren und freundschaftlichen Beziehungen als wichtigster sozialer Faktor in der psychixhen Gesundheit herausgestellt haben. il P Gemeinwesen konnen, wie durch Daten belegt wird, eine g r o k Rolle in der Bereitstellung p r i i ventiver und akuter Pflege spielen und somit den Bedarf an offentlich finanzierten sozialen Dienstleistungen in solch verxhiedenen Bereichen wie Kinderbetreuung, Trauerarbeit, p r e fessioneller Drogew und Alkoholmissbrauchsbehandlung, reduzieren sowie dazu beitragen, jugendliche Straffalligkeit zu vermindern. Den starksten Beweis fiir diese Aussagen findet man bei religiosen Gemeinschaften, die rneiner Definition von gemeinsamen affektiven Bindungen und einer moralischen Kultur entsprechen. Praktixh alle Arten anti-sozialenVerhaltens sind bei Gemeinxhaften der Mormo nen in Utah, orthodoxen judischen Gemeinden in New York und Black-Moslem Gruppen relativ selten anzutreffen. Im Durchschnitt ist solches Verhalten auch in Dorfern und im kleinstadtischen Arnerika seltener anzutreffen als in g r o k n Stadten, in denen Gemeinwesen w e niger haufig vorkommen. Es gibt Dutzende von Studien, die zu solchen Resultaten kommen, wie sie im Folgenden kurz zusamrnengefasst werden: - Freiwilligenpatrouillen, genannt Orange Hats, verjagten Drogendealer aus ihrem Viertel in Washin ton; DC-Mit lieder der Gemeinde kamen sic dabei auc untereinander n 6 1 f! her. AIS diese Drogendealer sich auf andere Bezirke verlegten, sahen sie sich, soweit dort ebenfalls Gemeinwesen existierten, in der Verbreitung ihrer Markte einem ahnlichen Schicksal ausgesetzt. - 1988 gab es in Wellsburg, West Virginia, ein besonders hohes Vorkommen an Herzerkrankungen- 29 Prozent uber dem nationalen Durchschnitt. 1996 gehorte das kardiovaskulare Gesundheitsprofil der Gerneinde taut einer Studie von Mary Lou Hurley und Lisa Schiff zu den besten des Bundesstaates. Die Verbesserung ist das Resultat von gemeinschaftlich organisierten Spaziergangen und gesunden Mahlzeiten, zahlreichen Aerobic-Kursen und Kursen uber die Reduzierung von Chole sterin, Bluthochdruck und Stress. Bei einern Screening von 182 Mitgliedern der Gerneinschaft stellte sich heraus, dass diese ihr reduziertes Gewicht und den groOten Teil der Che Iesterim und Blutdruckabsenkung beibehalten hatten. Die Forscher stellten fest: ....der durchschnittliche Wellnesswert lag irnrner noch 12 Prozent uber der Ausgangsbasis von 1988, und der durchschnittliche Fitnesswert lag urn 42 Prozent h0her.u - Im Bezirk Tillarnook im Bundesstaat Oregon fiihrten die gerneinschaftiichen Anstren ungen sehr verschiedener, auch religioser unfliberaler Gruppen, die sich zur Zusarnrnenarbeit entschlossen hatten, zu einer Verringerung der Schwangerxhaftsquoten bei Teenagern. Von 24 Schwangerxhaften pro tausend Madchen irn Alter von 10 bis 17 im Jahr 1990 sank die Zahl auf 7 pro tausend im Jahr 1994. Wie g e sagt, dies sind nur ein p a r wenige illustrative Forschungsergebnisse. Diese Er ebnisse und die vorausgehende Diskussion egen es .nahe, durch eine spezielle Kommission eine Uberprufun der rneisten der bereits etablierten offentlic en Programme durchhhren zu lassen, urn festzustellen, ob die Erneuerung und Weiterfijhrung existierender Gemeinwesen nicht unbeobsichtigterweiseuntergraben wird [z.B. durch Vorwegnahme der natiirlichen Aufgaben eines Gerneinwesens) und wie solche Programme reforrniert werden konnten, falls sie Gemeinwesen tatsachlich be hindern. Ausserdem sollten diese politischen Strategien auch daraufhin untersucht werden, ob sie die Entwicklungdes Gerneinwesens auf lokaler, regionaler und gesellschaftiicher Ebe ne in positiver Weise unterstutzen. B i! Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit I Nr. 1 1/2000 I Die Erneuerung des Gemeinwesens kann verbessert werden, indern man Gelegenheiten fiir soziale Begegnungen bietet (z.B. Offnung van Schulen fiir Gemeinschahsversarnrnlungen, Unterstutzung fur ortliche StraBenfeste) und indern man Fonds lant oder anlegt. Organisatoren konnen fiir egrenzte Zeit einem Gebiet zugeordnet werden, urn die Bildung von G r u p pen zu initiieren. Ausserdem profitiert die Erneuerung eines Gemeinwesens auch von der Verbesserun der aukrlichen Verfassung, Sicherheit un Zuganglichkeit offentlicher Raume (als besonders uberzeugendes Beispiel sei auf die Erorterung von Schulen als Mittelpunkte des Gerneinwesens von Tom Bentley hingewiesen). E 8 Erneuerung wird auch dadurch geftirdert, dass man Gruppen von Menschen, die eine bestimmte Einrichtung, ein Gebiet d e r einen offentlichen Dienst nutzen, d a m einladt, am Entscheidungsprozess hinsichtlich dieser Nutzung teilzunehmen. So konnen zurn Beispiel Mitglie der eines Gemeinwesens daran beteiligt werden, die Offnungszeiten eines Parks festzule gen, zu bestimmen, wer ihn benutzen dad (Hum de und Kinder?) und zu welchern Zweck (offentliche Versarnmlungen und Zwies rache mit der Natur?) sowie festzulegen, wek e StraOen wann in FuBgangerzonen urngewandelt werden sollen. Wenn man solche Gruppen bittet, etwas Verantwortung fijr die Erhaltung gerneinsarner Einrichtungen zu ubernehrnen, wird dies die Bindungen zwischen den Gruppenrnitglie dern noch weiter verbessern. r Offentliche Strategien sollten neu formuliert werden, urn zu berkksichtigen, dass die GrenZen von Gerneinwesen oft nicht mit den administrativen Grenzen ubereinstirnmen. Beamte sollten Zustandigkeitsbereicheauf die Grenzlinien der Gerneinwesen hin ausrichten statt festgelegter Verwaltungs eographie Konforrnitat aufzuerlegen. Politisc e Entscheidungstrager sollten berucksichtigen, dass Gemeinwesen nicht geographischer oder wohnortbezogener Natur sein rnussen. Gerneinwesen konnen sich beispielsweise auf Institutionen (z.B. Universitaten) oder Berufe (z.B. Hafenarbeiter) beziehen. Sie sind haufig auf ethnixhe Gruppen bezogen und konnen sich sogar im Cybers ace bilden (indern sie virtuelle Gemeinscha en bilden). Hier werden die besten Ergebnisse dann erzielt, wenn Gerneinwesen, die bereits gerneinsarne soziale Bindungen entwickelt haben, noch weiter verstarkt werden, indern man i! R 407 ihnen Zugang zu einem gemeinsamen werkabeltenu Online-Raum bietet. Pulsierende Gemeinwesen brauchen oft Kerninstitutionen wie Schulen, Gerichte, Postamter sowie innenstadtisclie Einkaufs- und Dienstleistungszonen. Zugegeben, unter bestimmten Umstanden [zum Beispiel wenn ein Gebiet in groOem Umfang entvolkert ist) konnte es sinnvoll sein, Erwagungen hinsichtlich wirtschaftlicher und administrativer Effizienz nachzugeben und somit solche Institutionen zu konsolidieren bzw. zu mqionalisierenq oder auch zuzulassen, dass Einkaufsm" lichkeiten in der Innenstadt durch a u 0 e r h X jelegene Rieseneinkaufszentren ersetzt wer en. Solche Effizienzerwagungen solhen iedoch niemals als die einzig relevanten Uberlegungen angesehen werden. Urn es anders auszudrucken: Eine Ge sellschaft des Dritten Weges misst sozialer BEffizienza, die dann eintriit, wenn ein Gemeinwesen es nicht zulasst, dass seine Kerninstitutionen geschlossen werden, g r o h n Wert bei. Nur wenn nichbsoziale Erwagungen im Vergleich zu sozialen Gesichtspunkten klar uberwiegen, sollten Kerninstitutionen, die HauptstiitZen des Gemeinwesens, geschlossen werden. Welche lndustriezweige eine vorubergehende Umstrukturierunqshilfe verdienen, welche Arbeitnehmer dabVei unterstiitzt werden sollten, zu anderen Arbeitsplatzen zu wechseln und welche Bereiche man einfach untergehen lassen sollte: Diese Fra en erfordern eine lange Diskussion und detai lierte Kenntnisse der be troffenen Industriebereiche, uber die ich nicht verfuge. Urn jedoch zu betonen, dass ich keineswegs vorschlagen will, sich fur eine Art allumfassende lndustrie litik zu engagieren, las sen Sie mich darauf inweisen, dass kapitalintensive lndustriebereiche ein spezielles Prob lem darstellen, weil man, wenn man sie am Le ben erhalt, wenig Arbeitsplatze schafft, und dies unter hohem Kostenauhand. Ein besonders beunruhigendes Beispiel sind das Nukle arUnterseeboot ,Sea Wolf' und ein Hubxhrab bertrager, die beide von den USA immer noch gebaut wurden, um Arbeit zu schaffen, o b wohl niemand sie brauchte oder wollte. a R" Vereinigungen auf Gegenseitigkeit und Freiwilligenorganisationen Eine gute Gesellschaft verlasst sich noch mehr auf Gegenseitigkeit als auf freiwillige Hilfe. Gegenseitigkeit ist eine Form der Gemeicschaftsbeziehung, bei der Menschen sich g e genseitig helfen, staff nur denen zu helfen, die in Not sind. .Crime watch* (das Ubereinkommen von Nachbarn, aktiv uber den Besitz des jeweils anderen zu wachen) und Anti-Verbre chenspatrouillen [durch Freiwillige aus der Ge meinschaft) sind Beispiele fiir Gegenseitigkeit. Andere Beispiele sind Verbraucher- und Herstellerkooperativen sowie Sparvereinigungen auf Gegenseitigkeit. Diese gab es schon immer, und ihre Zahl ist in den letzten Jahren noch angesti en. Sie mussen willkommen ge heihn, gefor ert und mit den notigen Mitteln ausgestattet werden, urn in Zukunft einen gr& h r e n Teil der sozialen Lasten zu tragen. Ein Ministerium fijr die Entwicklung des Gemeinwesens, das sich dieser Aufgabe widmete, ware sehr erforderlich. Treffen diese Beobachtungen auch auf die SchlieOung veralteter lndustriebereiche wie Bergbau und Automobilindustrie zu? Erstens sollte bedacht werden, dass eini e lndustrie zweige, die veraltet erxheinen, er 01 reich umstrukturiert werden konnen, wie es vielen Stahlwerken und Textilfabriken in den USA ge schehen ist (wo wir von Autos spechen: Chrys ler ware nicht mehr unter uns, wenn die Regierung nicht einges rungen ware.] Zweitens mussen sowohl kurzistige als auch langfristige soziale Kosten in Betracht gezogen werden. Die Erhaltung eines Industriezweigs, der nicht mehr wettbewerbsfahig gemacht werden kann, kann nicht nur wirtxhaftliche Kosten Fiir den 5taat verursachen, sondern auch soziale Kosten Fiir die Arbeiter - angesichts der unsicheren langfristi en Bexhaftigungsoussichten, der ge ringen C ancen auf Lohnerhohungen und BeFarderungen und dem Fehlen der Art von ReiGegenseitigkeit wird normalerweise und naturZen, die die Arbeit fiir ein Unternehmen im B e licherweise unter Familienmitgliedern, Freunreich der RNeuen Wirtschafta ten der wnterena Ebene vermitte t Und AngestelC - was den, Nachbarn, Kollegen und anderen Ge meinschahsgruppen praktiziert. Sie kann eine am wichtigsten ist: Wirtxhaftliche Kosten konwichtige Quelle fijr Kirderbetreuung sein (wie nen begrenzt und soziale Kosien reduziert werden, wenn der Uberga von alter zu neuer IF in Elternkooperativen, in denen Eltern einige dustje.verlongsomt sta tndet und ausreichenDienststunden pro Woche einbringen, sornit de Ubergangshilfen bereitgestelltwerden. offentliche Kosten reduzieren und eine natiirli- 3 ki 7 1 "3:' 7- . che, Beingebautecc Verantwortlichkeit gewahrleisten); fur Krankenpflege (zum Beispiel wenn Patienten, die Bfruhzeitigcc aus Kliniken entlassen werden, von Verwandten und anderen Gemeinxhaftsmitgliedern Hilfe bekommen); fijr Trauerbegleitung und fur vieles mehr. Gruppen fur gegenseitige Hilfe (merkwurdigerweise oft Selbsthilfe ruppen genannt) konnen eine wichtige Role dabei spielen, mit Krebs, ansteckenden Krankheiten, Alkoholab hangigkeit, schwerem Ubergewicht und vielen anderen Problemen zurechtzukommen. Sie sind ein viel zu wenig enutztes Mittel. In den kom menden Jahren sol ten die Regierung, vor allem der National Health Service und die Wohlfahrtsorganisationen, ihre Anstrengungen zur Hervorhebungdes Wertes solcher Gru pen in bedeutendem MaOe verstarken, sie kraten und mit Ressourcen ausstatten. Gleichzeitig sollten offentliche Organisationen besonders darauf achten sicherzustellen, dass ihre eigenen Programme die gegenseitige Hilfe, dort wo sie gedeiht, nicht untergraben. (Dies gexhieht zum Beispiel in solchen Fallen, in denen Regie rungen Freunde dafijr bezahlen, Freunde zu sein, wie es manche Lander tun, wenn es darum geht, Menxhen, die fruhzeitig aus Kliniken entlassen wurden, zu besuchen und ihnen informell zu helfen, oder wenn Kinder dafijr be zahlt werden, sich um ihre alternden Eltern zu kummern) B B Oft kommt die Frage auf, wer denn in der Lage sein wird, mehr Zeit fijr gegenseitige Hilfe (und auch freiwillige Dienste) aufzubringen, da immer mehr Frauen, die eine wichtige Quelle fijr beide Leistungen darstellten, heute einer Erwerbstatigkeit nachgehen? Die wichtigste Antwort auf diese Frage konnten durchaus die iilteren Mihurger sein. Sie stellen eine rapide wachsende Gruppe dar, sie leben Ianger und gesiinder als ihre Vorganger und sie konsumie ren einen wachsenden Teil der gesellxhaftlichen Ressourcen. Die alteren Mitburger wurden davon profitieren, weiterhin aktive soziale Rollen ubernehmen zu konnen, und es ist gut miiglich, dass die Gesellschaft ohne den Beitrag dieser Gruppe nicht in der Lage ware, ihren sozialen Aufgaben in vollem MaOe nachzukommen. Wahrend man iedes Mit lied eines jeglichen Gemeinwesens sowohl a m verpflichten als auch von ihm erwarten sollte, dass ein uber das Gemeinwohl der eigenen Gemeinschafi B Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit I Nr. 1 1/2000 hinaus ehender Beitrag eleistet wird (z.B. indem fa lige Steuern in vol er Hohe gezahlt werden), sollten Mitglieder die M6glichkeit hoben, ia sogar dazu ermuntert werden, >)Extraleis tvngencc fiir ihr eigenes Gemeinwesen zu erbringen. Gemeinwesen sollten auch die Moglichkeit haben, uber die vom Staat erhobenen Gelder hinaus in irgendeiner Form Gebuhren, Beitrage d e r Steuern erheben zu konnen. Es sollte begrufit werden, wenn Eltern den Schulen ihrer Kinder Dienstleistungen, Geld und Sachwerte zur Verfii ung stellen - anstelle von ihnen zu erwarten, i re Mittel in einen anon men Topf einzubringen, aus dem sich a l e Schulen bedienen konnen. In ethischer Hinsicht ist es zu heroisch, von Menschen zu erwarten, dass sie bereit sind, fijr alle und ieden ebenso viel zu tun, wie sie fiir ihre eigenen Gemeinwesen zu leisten bereit sind. Wollte man Beitrage auf universelle Zwecke be schranken, ware dies unvereinbar mit einer Gesellschaft, die die Gemeinwesen als essenzielle, konstitutive soziale Einheiten im Blick hat, und nicht nur die Gesellschoft als Ganzes. B 9 a r Gleichzeiti mussen Gemeinwesen dazu ermutigt wer en, sich um das Schicksal onderer Gemeinwesen zu kummern; und von besser gestellten Gemeinwesen sollte es erwartet werden, den weniger gut ausgestatteten zu helfen. Wenn man Menxhen nicht dazu zwingt, ihre gesarnten Beitrage in einen universellen Topf einzubringen (und es ihnen somit gestattet, BExtraw fijr ihr eigenes Gemeinwesen zu leisten) steht dies nicht im Widerspruch dazu, diese Menxhen dam zu bringen, einen Teil ihres Reichtums mit den Gemeinwesen zu teilen, die es am notigsten gebrauchen konnen. Besser gestellte Gemeinwesen konnen bedurftigen Gemeinwesen dadurch helfen, dass sie auf freiwillige Mittel zuruckgreifen. In dem Mab, in dem sie ihren Schwestergemeinxhaften helfen, konnen die wohlhabenden Gemeinwesen besonders gewurdigt werden und Steuerermafiigungen erhalten. In gleichem Ma& konnen regionale Anstren ungen - vom StraOenbau bis hin zur ErschgieOung offentlicher Parks - in solcher Form unternommen werden, dass sie eher auf den Beitrag derer setzen, die es sich besser leisten konnen. A b x h l i e b n d ist zu sagen, dass spezielle Abgaben, die spezifixhen Projekten gewidmet sind, oft einfacher zu rechtfertigen sind als eine Erhohung der allgemeinen Steuern. J *Deutsche Ubersetzung von Hilhud Wittenius. 409