Schrift statt Gebärde - Möglichkeiten und Grenzen des

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Schrift statt Gebärde?
Möglichkeiten und Grenzen des Schriftdolmetschens für Hörgeschädigte
Von mira-esther weischet
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Der nachfolgende Beitrag basiert
auf meiner Bachelorarbeit vom Dezember 2008 und beschäftigt sich
mit dem Bereich des Schriftdolmetschens als Kommunikationshilfe
für Hörgeschädigte. Beim Schriftdolmetschen werden Redebeiträge direkt und simultan von einem
Schriftdolmetscher mitgeschrieben und fast zeitgleich auf einem
PC-Bildschirm angezeigt. Dies ermöglicht hörgeschädigten Personen, die der Deutschen Gebärdensprache (DGS) nicht mächtig sind,
den Zugang zu gesprochenen Informationen. Zunehmend wird diese
Dienstleistung auch von Gehörlosen
in verschiedenen Bereichen des Alltags und der schulischen oder beruflichen (Aus-)Bildung genutzt.
Im Folgenden wird das Schriftdolmetschen aus unterschiedlichen
Perspektiven hinsichtlich seiner
Möglichkeiten und Grenzen besonders im Vergleich zum Gebärdensprachdolmetschen näher beleuchtet und es werden wichtige Aspekte
im Zusammenhang mit der Übertragung von gesprochener zu geschriebener Sprache diskutiert.
1. Allgemeine Grundlagen
und Rahmenbedingungen
des Schriftdolmetschens
Der unterschiedliche Grad der Hörschädigung und die dadurch hervorgerufene Heterogenität innerhalb der
Gruppe der Hörgeschädigten führt zu
spezifischen Bedürfnissen hinsichtlich der gewünschten Kommunikationshilfe. Wer DGS als Erstsprache
nutzt oder hohe DGS-Kompetenz aufweist, wird natürlich hauptsächlich
Gebärdensprachdolmetscher bestellen.1
Mittel- bis hochgradig Schwerhörige, die lautsprachlich orientiert und
aufgewachsen sind, CI-Träger oder
(spät-)ertaubte Personen, die DGS
nicht als bevorzugtes Mittel der Kommunikation einsetzen, treffen – genau wie Gehörlose in Alltag und Berufsleben – auf kommunikative Barrieren, die es zu überwinden gilt. Dies
kann durch den Einsatz von Schriftdolmetschern erreicht werden.
Im Jahre 2002 wurde die Kommunikationshilfenverordnung erlassen, auf deren Grundlage zu privaten
oder öffentlichen Veranstaltungen
und Terminen Schriftdolmetscher bestellt werden können. Diese schreiben
oder stenografieren das Gesagte live
mit oder arbeiten mit einem Spracherkennungsverfahren. Der so produzierte Text erscheint dann mit kurzer
Verzögerung auf einem Bildschirm
und kann bei Veranstaltungen mit
größerem Publikum per Beamer parallel an die Wand projiziert werden.
Der Schriftdolmetscher sitzt während
seiner Arbeit entweder neben dem
hörgeschädigten Klienten oder an einem separaten Tisch vor der Bühne
bzw. dem Rednerpult. Da der Text auf
dem Bildschirm oder der Leinwand zusätzlich vergrößert dargestellt werden
kann, haben auch Teilnehmer mit eingeschränktem Sehvermögen die Möglichkeit, die Redebeiträge zu verfolgen.
Derzeit finden in Deutschland verschiedene Systeme des Schriftdolmetschens Anwendung. Zudem kursieren
verschiedene, z. T. unklare Bezeichnungen wie z. B. „(Simultan-)Schriftdolmetscher“, „Schnellschreiber“, „Schreibdolmetscher“, „Schriftmittler“ u. a.
Als „Schriftdolmetschen“ wird
vorwiegend die Übertragung von ge-
sprochener in geschriebene Sprache
mittels konventioneller Textverarbeitung – wobei der Text auf einer
normalen PC-Tastatur möglichst
schnell mitgeschrieben wird – oder
mittels Spracherkennungsverfahren
bezeichnet. Teilweise wird auch die
Übertragung mittels computerkompatibler Maschinenstenografie bei
geringem Leistungsstand (mindestens 250 Silben/Minute) mit dieser
Bezeichnung belegt (vgl. agsist o. J.).
Unter „Simultan-Schriftdolmetschen“ wird im Gegensatz dazu die
computerkompatible Maschinenstenografie in hoher Geschwindigkeit
(mindestens 300 Silben/Minute) verstanden. Dabei wird der gesprochene
Text mittels Tastenkombinationen
in eine spezielle Stenografie-Tastatur eingegeben. Der angeschlossene
PC wandelt diese Stenografie-Kürzel
mithilfe einer Stenografiesoftware in
Bruchteilen von Sekunden in die normale deutsche Langschrift um. Diese
Schriftmittlung per Maschinenstenografie kann je nach Einsatz-, Aufgaben- oder Arbeitsgebiet des Schriftdolmetschers auch als „Realtime-Edition“, „Realtime-Reporting“, „Live-“
oder „Simultanuntertitelung“, „Textsynchronisation“, „Multimediatranskription“ oder „Realtime-Maschinenstenografie“ bezeichnet werden.
Da das durchschnittliche Sprechtempo bei ca. 150 Wörtern pro Minute
liegt (vgl. Wagner 2005), ist nur mit
der Maschinenstenografie, teilweise auch mit dem Spracherkennungsverfahren, ein simultanes Mitschreiben möglich.
Gegenwärtig ist die Bezeichnung
„Schriftdolmetscher“ am gebräuchlichsten und am weitesten verbrei-
1
Es sei denn, es wird insbesondere Wert auf die schriftlich fixierte Form des Gesagten gelegt, um diese anschließend weiter nutzen zu können (s. hierzu auch Kap. 6).
Beitrag aus: DAS ZEICHEN 84/2010 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
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tet. Deshalb wird eventuell auch in
den gesetzlichen Grundlagen und
Rechtstexten seit 2002 neben dem Gebärdensprachdolmetscher für Gehörlose vom „Schriftdolmetscher“ als anerkannter Kommunikationshilfe für
Personen, die nicht oder nicht ausreichend DGS-kompetent sind, gesprochen. Dies mag seine Ursache darin
haben, dass ein sprachliches Pendant
zur Bezeichnung „Gebärdensprachdolmetscher“ gesucht und gewünscht
wurde. Eine Person, die das Gesagte
nicht in die Gebärde(nsprache), sondern in die Schrift(-sprache) umwandelt bzw. überträgt: ein Schrift(sprach)
dolmetscher. Diese Tätigkeit als „Dolmetschen“ zu bezeichnen, ist jedoch
sehr umstritten (vgl. hierzu die Stellungnahme des Bundesverbands der
GebärdensprachdolmetscherInnen
Deutschlands e. V. (BGSD 2006) sowie
die darauf erfolgte Stellungnahme
des Deutschen Schwerhörigenbunds
e. V. (DSB o. J.a)). Im vorliegenden Beitrag wird der Terminus „Schriftdolmetschen“ beibehalten, ohne hierdurch inhaltliche Unterschiede zwischen Schrift- und Gebärdensprachdolmetschen verwischen zu wollen
(vgl. hierzu auch Kap. 5).
2. Rückblick, Ausbildung,
Zertifizierung
Der Beruf des Schriftdolmetschers ist
hierzulande noch sehr jung. Bis vor
ca. zehn Jahren kamen bei bestimmten Veranstaltungen sogenannte Hellschreiber zum Einsatz, die gesprochene Redebeiträge handschriftlich zusammengefasst in Stichpunkten auf
Folie festhielten. Diese wurden mithilfe eines Overhead-Projektors für
alle sichtbar an die Wand projiziert,
wodurch den hörgeschädigten Teilnehmern ermöglicht wurde, die wich-
tigsten Informationen zu erfassen (vgl.
Schriftdolmetschervermittlung o. J.).
Mit der Einführung des Maschinenstenografiesystems aus den
USA durch die Stenografin und Geschäftsführerin der Firma StenoCom
GmbH Heidrun Seyring Anfang der
90er Jahre bot sich die Möglichkeit,
diese Form der schnellen Umsetzung von gesprochener in geschriebene Sprache, die normalerweise in
der Wirtschaft, bei Gericht und beim
Fernsehen zur Erstellung von Protokollen oder Untertiteln genutzt
wird, auch im Rahmen der Kommunikationshilfe für lautsprachkompetente Schwerhörige und Ertaubte und immer häufiger auch für
schriftsprachkompetente Gehörlose
einzusetzen. Nachdem 2002 eine
erste Qualifizierungsmaßnahme
„Schriftdolmetscher/in“ durchgeführt
worden war, fanden in den nächsten
Jahren weitere Lehrgänge und Ausbildungsprojekte statt. Im Jahr 2007
wurden die erste und zweite und im
April 2008 die dritte bundesweite, öffentlich anerkannte Schriftdolmetscherprüfung auf der Grundlage einer vom DSB im Jahr 2006 erarbeiteten einheitlichen Prüfungsordnung
durchgeführt. Diese gilt für alle vom
DSB akkreditierten und in Deutschland angewandten Schriftdolmetschformen: die konventionelle Textverarbeitung, das Spracherkennungsverfahren und die Maschinenstenografie (vgl. Welter 2007).
Inzwischen wurde ein Zertifizierungsverfahren für geprüfte Schriftdolmetscher eingeführt. Tätige
Schriftdolmetscher müssen ihre Qualifikation in einem Drei-Jahres-Rhythmus durch Weiterbildungen und Auskünfte über geleistete Einsätze nachweisen (vgl. DSB o. J.b). Von den ca.
150 bisher in Deutschland qualifizier-
ten Schriftdolmetschern, die ihre Ausbildung bei verschiedenen Bildungsträgern absolviert haben, wurden bisher lediglich ca. zehn vom DSB zertifiziert (vgl. DSB o. J.b). Um einen gewissen Qualitätsstandard zu sichern, ist
eine Übergangszeit von drei Jahren
geplant, nach der nur noch zertifizierte Schriftdolmetscher eingesetzt werden sollen (vgl. DSB o. J.b).
Im Jahr 2005 veröffentlichten der
DSB und der Deutsche GehörlosenBund (DGB) e. V. ein „Schema in Anlehnung an die Kommunikationshilfenverordnung (V 1.0, 02.05.2005)“,
das über Aufgaben, Standards und
geforderte Qualifikationen der verschiedenen Kommunikationshilfen
Aufschluss gibt (vgl. DSB o. J.c). In dieser Verordnung ist bspw. festgehalten, dass die Aufgabe eines Simultan-Schriftdolmetschers darin besteht, die gesprochene Sprache „dem
Inhalt nach vollständig, in der Schriftform weitgehend wortwörtlich“ in
die Schriftsprache zu übertragen (DSB
o. J.c). Im Unterschied dazu heißt es
zum Schriftdolmetschen, dass die
Übertragung in die deutsche Langschrift hierbei „dem Inhalt nach nahezu vollständig, in der Schriftform
zusammenfassend“ (DSB o. J.c) erfolgt.
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3. Computerkompatible
Maschinenstenografie:
Technische Realisierung
Im Unterschied zur Mitschrift an einer normalen PC-Tastatur, bei der
pro Buchstabe eine Taste angeschlagen wird, werden bei der Maschinenstenografie pro Anschlag mehrere
Tasten gleichzeitig niedergedrückt.
Diese Tastenkombinationen ergeben dann bestimmte Silben, Wörter
oder sogar ganze Wortgruppen. Die
Stenografie ermöglicht es, drei bis
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viermal schneller zu schreiben als mit
der normalen deutschen Langschrift
(vgl. mitSCHRIFT o. J.). Für häufig gebrauchte Wörter oder Wortgruppen
wie z. B. „Bundesrepublik Deutschland“ oder „Sehr geehrte Damen und
Herren!“, sowie Vor- und Nachsilben
werden spezielle Steno-Kürzel benutzt (vgl. StenoCom o. J.). So sehen
z. B. die normalschriftlichen Sätze:
„Meine Damen und Herren! Die Menschen wollen Berechenbarkeit und
Stabilität.“ (82 Anschläge) im Maschinenstenogramm folgendermaßen
aus: SBTGDRLAUOIRLMBGDST BGR*
-G GDAUOIRLGDN L*BGR- RAUOIBGN
BAR -BDT GDRL* STAB I *LT AOIT E
(15 Anschläge; die Kürzel zwischen
den Leerräumen werden jeweils mit
nur einem Anschlag erzeugt) (StenoCom o. J.).
4. Konkrete Realisierung –
Fehlerkorrektur, Interpunktion,
Sprecherkennzeichnung
Der vom Schriftdolmetscher produzierte Text erscheint als schriftsprachlicher Textblock mit geringer Zeitverzögerung – vergleichbar dem „time lag“ beim Simultandolmetschen – fortlaufend auf dem
Bildschirm. Wirkliche Gleichzeitigkeit kann hingegen nur äußerst selten erreicht werden.
Um einen lesbaren und verständlichen Text zu produzieren, ist es unabhängig vom genutzten System
wichtig, textgliedernde Elemente
wie Absätze, Pausenmarkierungen
etc. und die signifikantesten Satzzeichen wie Punkte, Kommas, Ausrufezeichen und Fragezeichen hinzuzufügen. Des Weiteren sollten – falls zeitlich umsetzbar – Zögerungsphänomene („äh“, „ehm“, Pausen) oder Füllwörter wie „tja“, „also“, „nun“ etc. ge-
nauso übertragen werden wie Publikumsreaktionen (z. B. Gelächter oder
Applaus) oder sonstige Geräusche
(z. B. im Raum herrschende Unruhe
oder eine zuschlagende Tür).
Die Kennzeichnung des jeweiligen Sprechers erfolgt durch das Einfügen des Namens und/oder Titels des
jeweiligen Redners mit Doppelpunkt
bzw. durch Zusätze wie Dozent, Student etc. (vgl. hierzu auch Abschnitt
5.4). Wird in einer Versammlung oder
Vorlesung eine Frage gestellt und ist
aus ihr nicht ersichtlich, ob sie an
eine einzelne Person, an mehrere
Teilnehmer oder an alle gerichtet ist,
muss der Schriftdolmetscher kenntlich machen, wem die Frage gilt.
Ein Manko, das dem Schriftdolmetschen eigen ist, ist die Unmöglichkeit, grafische Darstellungen, Diagramme und Formeln etc. zu übertragen, sodass bei visuell gegebenen Informationen im Zuge des Mitschreibens ein Verweis auf die entsprechende Tafel oder Folie erfolgen
muss (vgl. Elliot et al. 2001, 294).
Im Gegensatz zu Gebärdensprachdolmetschern arbeiten Schriftdolmetscher bisher auch bei längeren Aufträgen noch häufig allein (vgl. StenoCom o. J.). In Abhängigkeit vom
Umfang ist jedoch bei manchen Einsätzen zusätzlich zu dem während
der Veranstaltung aktiv stenografierenden Schriftdolmetscher ein „Realtime-Editor“ anwesend. Bei diesem
handelt es sich um einen ebenfalls
ausgebildeten Schriftdolmetscher, der
neben dem aktiven Dolmetscher sitzt.
Seine Aufgabe ist es, den laufenden,
vom Schriftdolmetscher produzierten
Text auf dem Bildschirm zu verfolgen
und auftretende Fehler sofort über die
normale Tastatur des Laptops zu kor2
rigieren bzw. dem aktiv stenografierenden Kollegen Informationen einzuflüstern, die dieser evtl. verpasst
hat, wie Namen, Zahlen etc. Ist kein
„Realtime-Editor“ anwesend, müssen
solche Bearbeitungen vom aktiven
Schriftdolmetscher selbst vorgenommen werden. Eine zu häufige Fehlerkorrektur auf dem Bildschirm kann jedoch irritierend und störend für den
Leser sein, da diese zu viel Bewegung
auf dem Bildschirm führt, durch die
der Leser aus dem Lesefluss gerissen
wird. Deshalb werden nur diejenigen fehlerhaft geschriebenen Wörter
korrigiert, deren eigentliche Bedeutung aufgrund der Schreibung nicht
mehr erfasst werden kann, wodurch
der Sinn des Textes insgesamt ggf. unverständlich wird. Da ein Simultanschriftdolmetscher zudem fast durchgehend am Leistungslimit arbeitet, ist
eine sofortige und permanente Fehlerkorrektur aufgrund des Zeitmangels nicht möglich.2
5. Schriftdolmetschen und
Laut- bzw. Gebärdensprachdolmetschen: Gemeinsam­
keiten und Unterschiede
5.1. Unilaterale vs. bilaterale
Verdolmetschung
Ein signifikanter Aspekt des Lautbzw. Gebärdensprachdolmetschens
ist die Bilateralität: In der Regel beherrscht ein Dolmetscher als Mittler
zwischen zwei Sprachen und zwei
Kulturen eben die Sprachen beider
Parteien und kann in zwei Richtungen dolmetschen. Dies ist bei Schriftdolmetschern nicht der Fall: Sie vollziehen die Sprachmittlung lediglich
unilateral, also in eine Richtung.
Persönliche Mitteilung von Kerstin Kiaulehn vom 22. 10. 2008.
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In den meisten Fällen haben
Schriftdolmetscher zudem keine
DGS-Kenntnisse, sodass eine Kommunikation mit dem hörgeschädigten, DGS verwendenden Klienten
– etwa zur Begrüßung oder für Absprachen – kaum oder nur eingeschränkt möglich ist und dementsprechend eine in Gebärdensprache
vorgetragene Äußerung auch nicht
(adäquat) in gesprochene Sprache
übertragen werden kann. Dieses Problem der einseitigen Kommunikation tritt natürlich nicht auf, wenn es
sich bei dem Klienten um eine hörgeschädigte Person handelt, die im
Alltag lautsprachlich kommuniziert
und z. B. bei Veranstaltungen ein
Anliegen selbst lautsprachlich vorbringt. Wird das Anliegen allerdings
beantwortet, wäre diese Antwort für
die hörgeschädigte Person nur dann
perzipierbar, wenn ein Schriftdolmetscher sie in Schriftsprache übertrüge.3 Demzufolge werden auch
schriftsprachkompetente Gehörlose
mit Basissprache DGS bei Gelegenheiten, in denen eine ‚echte‘ Kommunikation stattfinden soll, immer
einen Gebärdensprachdolmetscher
bevorzugen und nutzen.4
5.2. Anforderungen an den Schriftdolmetscher
Vor dem Hintergrund der noch andauernden Diskussion um die Bezeichnung „Schriftdolmetscher“
bleibt festzuhalten, dass an einen
Schriftdolmetscher Anforderungen
gestellt werden, die den an Laut- bzw.
Gebärdensprachdolmetscher gestell-
ten Anforderungen teilweise ähneln
oder ihnen sogar entsprechen.
So ist eine gründliche, intensive
Ausbildung mit qualifiziertem Abschluss sowie die stetige Fort- und
Weiterbildung und ein selbstständiges Training, um die Schreibgeschwindigkeit zu halten bzw. zu erhöhen, Voraussetzung für das verantwortliche Arbeiten als Schriftdolmetscher. Zudem wird von ihm professionelles Auftreten und Handeln
erwartet5 und er hat sich an die bestehende Berufs- und Ehrenordnung
(vgl. mitSCHRIFT o. J.) zu halten, die
mit der für Gebärdensprachdolmetscher geltenden Berufs- und Ehrenordnung vergleichbar ist.
5.2.1. Vorbereitung von Einsätzen
Vor jedem Einsatz muss sich der
Schriftdolmetscher vergewissern,
dass das technische Equipment einwandfrei funktioniert. Technische
Pannen oder ein Absturz des Systems
während des Einsatzes führen zu Informationsverlust für den Klienten
und sollten vermieden werden.
Außerdem ist er gehalten, sich
gezielt auf den jeweiligen Einsatz
vorzubereiten: Nur ein gründliches
Einarbeiten in den Stoff – z. B. beim
Schriftdolmetschen für gehörlose
Studenten im Hochschulsetting, vor
Versammlungen, WeiterbildungsSeminaren etc. – ermöglicht es, eine
gute Leistung zu erbringen und das
Gesagte richtig umzusetzen. Alle Termini, Namen, Abkürzungen etc., die
im Zusammenhang mit dem Thema
der Veranstaltung auftreten könn-
3
Für weitere Details vgl. Weischet (2008).
4
E-Mail von Stephan Kersten vom 15. 12. 2008.
5
Hierunter fallen z. B. Pünktlichkeit, das Einhalten von Absprachen und Terminen sowie
die gründliche Vorbereitung auf den jeweiligen Einsatz (s. hierzu auch Kap. 5.1.1).
ten, sollten dem Schriftdolmetscher
bekannt sein.
Eine gute Vorbereitung erleichtert
das Verstehen – dies gilt natürlich
auch für Schriftdolmetscher: Mitstenografieren kann man nur, was man
verstanden hat! Hat der Sprecher zudem eine undeutliche Aussprache
oder spricht mit starkem Akzent oder
Dialekt, ist die Anforderung an das
Hören und Verstehen umso größer.
Problematisch kann es darüber hinaus werden, wenn während des Redebeitrags ein Wort auftaucht, für
das kein festgelegtes Kürzel existiert,
oder das spontan nicht stenografierbar ist, wie dies z. B. bei fremdsprachigen Ausdrücken oft der Fall ist. Als
Folge erscheint auf dem Bildschirm
ein „Buchstabensalat“, der nur mehr
oder weniger verständlich oder aber
gar nicht nachvollziehbar ist. In solchen Fällen ist der Hörgeschädigte
darauf angewiesen, die Bedeutung
aus dem Kontext zu erschließen, oder
die entsprechende Textstelle muss –
sofern sie wichtig war – im Nachhinein geklärt werden.
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5.2.2. Kognitive Anforderungen
Auch Schriftdolmetschen ist mit kognitiven Anforderungen verbunden: bspw. eine hohe Konzentration über die gesamte Zeit des Einsatzes und ein sehr gutes Gedächtnis. Unabhängig davon, ob „gesprochenes Deutsch“ und „stenografische
Codes“ als zwei verschiedene „Sprachen“ aufgefasst werden oder nicht,
gilt, dass ein Schriftdolmetscher die
eine Form mehr oder minder simultan in die andere Form übertragen
muss. Währenddessen muss er weiterhin zuhören, verstehen und sein
Gedächtnis nutzen, während er parallel unter großem Zeitdruck und
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dementsprechend schnell die Codes
in die Stenografie-Tastatur eingibt.
Der Schriftdolmetscher folgt beim
Stenografieren fast wörtlich dem Gesagten und hat im Gegensatz zu anderen Dolmetschern nicht die Aufgabe, den Sinn des Gesagten in eine
Zielsprache mit differierender Grammatik und anderem Wortschatz umzuwandeln. Dadurch hat er jedoch
auch nicht die Möglichkeit, beim
Übertragen der gesprochenen Sprache in irgendeiner Art und Weise kreativ zu sein; für ihn gibt es nur eine
Variante, den Text zu übertragen –
die, die ihm dargeboten wird (s. hierzu auch Abschnitt 5.3). Deshalb wird
– abgesehen von (geringfügigen) Auslassungen, Umformulierungen und
auftretenden Fehlern – das Endprodukt verschiedener Schriftdolmetscher immer so gut wie identisch sein.
5.2.3. Kultureller Transfer,
zielsprachliche Anpassungen,
Rezipientenfeedback
Die Tatsache, dass ein Schriftdolmetscher im Gegensatz zum Laut- oder
Gebärdensprachdolmetscher kaum
oder nur geringe kulturelle oder rezipienten- bzw. zielsprachspezifische
Anpassungen vornimmt/vornehmen
kann – bedingt sowohl Vor- als auch
Nachteile des Schriftdolmetschens für
Gehörlose. Sie müssen eine sehr hohe
Lese- und Schriftsprachkompetenz
aufweisen und auch entsprechend
schnell lesen bzw. Text erfassen können, um dem Geschriebenen folgen
zu können. Mit der Präsentation der
originalen lautsprachlichen Äußerungen bietet sich ihnen jedoch auch
die Möglichkeit, ihre Deutschkompetenz zu verbessern, das Lesen flüssiger
zu gestalten. Allerdings wird ihnen
eine Sprache dargeboten, die nicht
ihre Muttersprache ist. Erläuterungen,
wie sie vom Gebärdensprachdolmetscher entweder direkt gegeben oder
bei ihm eingefordert werden können,
fehlen beim Schriftdolmetschen und
können auch kaum geliefert werden.
Der Schriftdolmetscher wiederum arbeitet in den meisten Fällen,
ohne ein direktes Feedback vom
Klienten zu erhalten. Das bedeutet,
dass er seine Arbeit größtenteils verrichtet, ohne zu erfahren, ob er die
Bedürfnisse des Hörgeschädigten erfüllt oder ob eventuell Erklärungen
oder sonstige Kommentare vonnöten oder erwünscht wären. Sicherlich
wären diesbezügliche Modifizierungen in Einzelfällen – je nach Art des
Einsatzes und abhängig von den Teilnehmern an der Kommunikationssituation – möglich, dennoch gehören sie nicht unbedingt zum Aufgabenbereich des Schriftdolmetschers
bzw. können nicht geleistet werden.
Grund hierfür ist oft schon die räumliche Anordnung am Einsatzort. Sitzt
der Schriftdolmetscher vor oder neben einer Bühne, auf der die Redner
stehen, und wird der stenografierte
Text für die Teilnehmer per Beamer
auf eine Leinwand projiziert, ist es
für die Rezipienten in den seltensten
Fällen möglich und passend, sich bemerkbar zu machen. In der Regel sitzt
der Schriftdolmetscher so, dass er zu
seiner Klientel keinen Blickkontakt
hat und durch die Art seiner Tätigkeit auch nicht halten kann.
5.2.4. Monitoring und
Nachbereitung von Einsätzen
Auch während des (Simultan-)Schriftdolmetschens ist es wie bei allen an-
deren Dolmetscharten nötig, permanent ein Monitoring der eigenen Leistung durchzuführen. Sich selbst und
den produzierten Zieltext ständig zu
kontrollieren und ggf. zu korrigieren,
um dem Rezipienten das Verstehen
zu erleichtern, gehört zur Aufgabe jedes Dolmetschers.
Zudem hat auch ein Schriftdolmetscher die Aufgabe, seine Einsätze im Nachhinein zu reflektieren und
auszuwerten. Für ihn gehört dazu u. a.
die Bearbeitung der während des
Auftrags erstellten Mitschrift. Diese
kann dem Klienten nach jedem Einsatz als unbearbeitete „lesbare Rohfassung“ (StenoCom o. J.) auf einem
Datenträger oder in Papierform ausgehändigt werden; in der Regel wird
eine Mitschrift, soll sie weitergegeben werden, jedoch nachträglich vom
Schriftdolmetscher bearbeitet. So erhalten z. B. gehörlose Studenten die
Mitschrift einer Vorlesung in einer
überarbeiteten und grammatikalisch
und stilistisch korrigierten Form ein
bis drei Tage nach der Lehrveranstal6
tung zur weiteren Verwendung.
5.3. Form und Inhalt von Ausgangsund Zieltext
Wie Seleskovitch (1991) betont, besteht die Aufgabe des Dolmetschers
nicht im „Umkodieren von Sprachbedeutungen, sondern [im] Verstehen
und wieder Verständlichmachen eines Sinns“ (42). Während sich Lautund Gebärdensprachdolmetscher also
soweit wie möglich von der sprachlichen Form des Gesagten zu lösen versuchen, um über den Prozess des Dolmetschens den Sinn des Gesagten in
einer anderen, zielsprachlichen Form
6
Eine derartige Bearbeitung erfordert wiederum hohe Konzentration und einen beträchtlichen Zeitaufwand, weshalb sie extra berechnet wird.
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wiederzugeben, konzentriert sich
der Schriftdolmetscher hauptsächlich auf die Form der Ausgangssprache, nämlich die einzelnen aufeinanderfolgenden Wörter. Wie Reiß und
Vermeer (1984) darstellen, ist ein Dolmetscher in der Regel umso besser,
je mehr er sich von der sprachlichen
Form des dargebotenen Ausgangstextes löst (vgl. auch Seleskovitch 1991,
37 ff.; Pöchhacker 1994, 34). Für den
Schriftdolmetscher gilt das Gegenteil:
Seine Leistung wird danach beurteilt,
wie nah er dem Ausgangstext ist: Je
wortwörtlicher er diesen überträgt,
desto ‚besser‘ ist er. Eine solche „Wörtlichkeit“ (Transkodierung) – beim (Simultan-)Dolmetschen als mögliche
Problemlösungsstrategie eingesetzt
(vgl. Pöchhacker 1994, 35) – zu erzielen, ist demnach ständige Aufgabe
des Schriftdolmetschers.
Tatsächlich wird je nach Situation jedoch nur mehr oder weniger
wörtlich mitgeschrieben. Dies hängt
erstens vom benutzten System ab –
wie beschrieben, ist die computerkompatible Maschinenstenografie
wesentlich schneller als z. B. die konventionelle Textverarbeitung –, zweitens fällt die Leistung grundsätzlich
in Abhängigkeit von den jeweiligen
Einsatzbedingungen unterschiedlich aus. Je langsamer und deutlicher
bspw. ein Redner spricht, desto besser
kann wörtlich mitgeschrieben bzw.
-stenografiert werden. Je weniger
Umgebungsgeräusche oder allgemeine Störquellen die Situation beeinflussen, desto besser wird der Schriftdolmetscher dem Gesagten folgen
können. Je gründlicher er vorbereitet
und je routinierter er in seiner Tätigkeit ist, desto wörtlicher kann er die
7
gesprochene Sprache übertragen.
7
Ausführlich vgl. hierzu Weischet (2008).
5.4. Gestik, Mimik, Rollenwechsel –
Was die Gebärde kann, kann
Geschriebenes nicht immer
Nachdem dargestellt wurde, welche
Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Schriftdolmetschen
und dem Laut- bzw. Gebärdensprachdolmetschen zu verzeichnen sind,
soll im folgenden Abschnitt näher erläutert werden, woran es geschriebener Sprache im Gegensatz zur Gebärde mangelt, d. h. was sie nicht übertragen kann. Wie bereits in Kapitel
4 erwähnt, wird der jeweilige Sprecher beim Schriftdolmetschen durch
das Einfügen seines Namens bzw. bestimmter Spezifizierungen kenntlich
gemacht. Dies ist zum einen für das
Textverständnis insgesamt erforderlich, zum anderen, um die verschiedenen Redebeiträge voneinander zu
trennen, da Hörgeschädigte die einzelnen Sprecher nicht anhand deren
Stimmen differenzieren können.
In der Gebärdensprache wird das
Mittel des Index plus zusätzlicher Erläuterungen (z. B. Mann, blond, Brille)
genutzt, um den jeweiligen Sprecher
zu kennzeichnen. Eine andere Möglichkeit, verschiedene Redner darzustellen, ohne dies durch einen Fingerzeig anzuzeigen, ist der Rollenwechsel, bei dem zwei oder mehrere Personen durch Körperdrehung und Einsatz unterschiedlicher Mimik verkörpert werden. Dies sind sprachliche
Ausdrucksmittel der Gebärdensprache, die dem Schriftdolmetscher nicht
zur Verfügung stehen, weshalb die
Kennzeichnung verschiedener Redner durch das Einfügen der Namen
erfolgen muss.
Andere Bereiche, die schriftsprachlich nicht dargestellt werden können,
sind Körpersprache und Mimik einer
Person. Wenn die Möglichkeit dazu
besteht, sieht ein Hörer einen Sprecher an. Den Sprecher im Blick zu haben, hilft bei der Beurteilung und Einordnung des Gesagten, zusätzlich zu
prosodischen oder paralinguistischen
Merkmalen wie Tonfall, Lautstärke,
Sprachmelodie, Stimmklang, Rhythmus, Redetempo, Akzent, Dialekt oder
umgangssprachlichen Elementen etc.
Den Sprecher vor Augen zu haben, ist
für Schwerhörige, Ertaubte und Gehörlose besonders wichtig, da ihnen
die auditiven Indizien und Attribute nicht zugänglich sind. Bei der Nutzung eines Gebärdensprachdolmetschers wird dieser Mangel für Hörgeschädigte ausgeglichen, indem der
Dolmetscher alle (körper-)sprachlichen und prosodischen Merkmale soweit als möglich durch die eigene Mimik und Körpersprache darstellt, d. h.
er verdeutlicht auf diese Weise, wie
eine Aussage gemeint war bzw. wie
sie lautsprachlich geäußert wurde.
Ähnlich ist es bei der Übermittlung von Merkmalen, die ein Redner
beim Sprechen mitunter zeigt, wie
Nachdenken, nach Worten suchen etc.
Der Gebärdensprachdolmetscher hat
durch mimische, gestische und andere körpersprachliche Mittel die Möglichkeit, dem Hörgeschädigten ein
solches Verhalten visuell zu übermitteln. Einem Schriftdolmetscher stehen entsprechende Ausdrucksmittel
nicht zur Verfügung. Er kann oben genannte sprachliche Elemente, seitens
des Redners gezeigte Emotionen etc.
nicht oder nur sehr begrenzt schriftsprachlich darstellen. Deshalb ist der
Hörgeschädigte gezwungen, mehr
oder weniger oft vom Bildschirm oder
der Leinwand aufzuschauen und auf
den Redner zu blicken, um visuell zu
erfassen, ob eine Äußerung eventuell scherzhaft, erbost oder ironisch gemeint war. Diesbezüglich ist jedoch
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anzumerken, dass auch diese Strategie oft nicht zum Erfolg führt, da die
schriftsprachliche Übermittlung zeitlich verzögert erfolgt und dementsprechend die zur Aussage gehörende
Mimik oder Gestik längst erfolgt ist.
Darüber hinaus erfordert die Textrezeption über den Bildschirm die volle
Aufmerksamkeit des Hörgeschädigten, sodass ein Aufschauen eventuell auch bedeutet, in Kauf zu nehmen,
Textpassagen auf dem Bildschirm zu
verpassen (vgl. Tiittula 2006, 484).
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6. Schrift statt Gebärde
– Die Qual der Wahl?
Wie bereits deutlich geworden sein
sollte, bietet Schriftdolmetschen eine
Möglichkeit der annähernd simultanen Übertragung gesprochener Äußerungen in die schriftliche Form, die
je nach Situation, Inhalt und auch abhängig vom Grad der Hörschädigung
der Klienten für diese Vor- und Nachteile mit sich bringt. Hörgeschädigte mit guter DGS- und Lesekompetenz entscheiden die Wahl zwischen
Gebärdensprach- und Schriftdolmetscher bspw. danach, ob es in der
Hauptsache einen Sprecher gibt (vgl.
Abschnitt 5.1), wie wichtig ihnen der
exakte, wörtliche Inhalt des Gesagten
ist bzw. ob es wichtig für sie ist, die
erhaltenen Informationen in schriftlich fixierter Form ausgehändigt zu
bekommen, um sie weiter nutzen zu
können (z. B. Vorlesungsmitschriften).
Schriftdolmetscher werden auch
geschätzt, weil sie z. B. Fach- oder
Fremdwörter direkt übertragen und
diese dann in geschriebener Form
vom Bildschirm ablesbar sind. Eine
direkte Übermittlung von Fremdwörtern liefern Gebärdensprachdolmetscher nicht immer, stattdessen umschreiben sie sie; auch ein mit dem
Fingeralphabet buchstabiertes Wort
ist flüchtig, dementsprechend auch
dessen Schreibung. Hier muss allerdings darauf verwiesen werden, dass
beim Schriftdolmetschen aufgrund
ungenügender Vorbereitung Fachbegriffe, unbekannte Namen oder Orte
auch häufig falsch geschrieben werden, da das PC-Wörterbuch sehr begrenzt ist. Dieses Problem tritt besonders bei fremdsprachlichen Äußerungen oder Fachbegriffen auf. Dementsprechend benötigt ein ‚Leser‘ ebenfalls ein gutes Fach- und Allgemeinwissen und eine ausgeprägte Sprachkompetenz, um derartige Fehler für
sich berichtigen und den Text trotzdem verstehen zu können (vgl. best
für Hörgeschädigte o. J.). Jedoch hat
jede Wahl zwei Seiten. Hörgeschädigte beschreiben, dass es oft anstrengend ist, einem Gebärdensprachdolmetscher über längere Dauer zuzuschauen und seine Verdolmetschung
aufzunehmen. Andere wiederum
empfinden eher das Lesen über einen längeren Zeitraum als ermüdend
und gelangen somit zu einer gegenteiligen Einschätzung.
Festzuhalten ist, dass je nach Situation entschieden wird und es jedem selbst überlassen sein sollte, auf
welche Art der Kommunikationshilfe
er zurückgreift. So ist es möglich, dass
sich bspw. ein gebärdensprachkompetenter Schwerhöriger heute dazu
entschließt, einen Gebärdensprachdolmetscher zu bestellen und morgen für eine andere Situation einen
Schriftdolmetscher bevorzugt.
7. Empirische Beobachtung
Abschließend soll anhand einer eigenen kleinen Untersuchung genauer
dargestellt werden, was beim Schriftdolmetschen wie übertragen wird.
Diese Untersuchung wurde im November 2008 durchgeführt: Nach
vorheriger Absprache mit zwei gehörlosen Studenten, die in ihrem Studium an der Humboldt-Universität
Berlin teilweise Schriftdolmetscher
nutzen, und den eingesetzten Schriftdolmetschern wurde das Schriftdolmetschen an zwei Tagen während
dreier verschiedener Vorlesungen
beobachtet, und genauer verfolgt.
Schriftdolmetscher und Studenten
kannten sich aus vorherigen Einsätzen und waren miteinander vertraut.
Die Schriftdolmetscher hatten zwischen einem und vier Jahren Berufserfahrung, hatten die Vorlesungen
mindestens seit dem laufenden Semester oder seit etwa einem Jahr stenografiert und waren sich über die
Bedürfnisse der Studenten und die
Anforderungen im Hochschulsetting
im Klaren.
Um weitere Informationen zu erhalten, die eventuell aus dem Verfolgen der Tätigkeit und dem Analysieren der Mitschriften nicht hervorgehen würden, wurden Fragen formuliert. Im Gespräch mit den gehörlosen Studenten und den Schriftdolmetschern wurde versucht, diese zu
beantworten.
Um Daten für einen Vergleich
zwischen dem gesprochenen Redebeitrag und der Mitschrift zu erhalten, wurde eine Psychologie-Vorlesung aufgezeichnet, in der es um das
Thema „Konditionierung“ ging. Ein
vierminütiger Ausschnitt aus dieser Aufzeichnung wurde im Nachhinein transkribiert (A). Zusätzlich
wurden mir die unbearbeitete direkte Mitschrift als Rohfassung (B) und
die überarbeitete, korrigierte Version
(C) zur Verfügung gestellt, von denen
jeweils der gleiche Ausschnitt als Datenmaterial dienen. So konnte ein
Beitrag aus: DAS ZEICHEN 84/2010 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen
Vergleich von drei Textausschnitten
vorgenommen werden.
Untersucht wurde dann, inwiefern sich die drei Textausschnitte
voneinander unterscheiden. Dazu
wurden die vier Kategorien „Auslassungen/Tilgungen“, „Umformulierungen“, „Hinzufügungen“ und
„Schreibfehler“ gebildet8 und teilweise noch einmal in relevante und irrelevante Änderungen unterteilt.
7.1. Anmerkungen zur Durch­
führung
Die Untersuchung kann nicht als repräsentativ gelten, da nur ein kurzer Ausschnitt aus einer Mitschrift
mit dem Originaltext verglichen wird
und diese Mitschrift zudem nur die
Arbeit eines einzigen Schriftdolmetschers an einem Tag in einer Vorlesung zeigt.
Zusätzlich ist zu beachten, dass
das Schriftdolmetschen im Hochschulsetting eine spezielle Herausforderung darstellt und eine besonders gute Vorbereitung erfordert, wie
es auch beim Gebärdensprachdolmetschen der Fall ist. Für dieses Setting
sind meist lange Textsequenzen auf
hohem sprachlichen Niveau charakteristisch, die in relativ schnellem
Sprechtempo vorgetragen werden.
In derartigen Vorlesungen wird eine
Fülle an Informationen in hoher Dichte vermittelt und es findet verhältnismäßig wenig Interaktion unter
den Teilnehmern statt. All diese Faktoren erfordern sehr gute Schriftdolmetscher mit hoher Schreibgeschwindigkeit und routinierter Arbeitsweise.
In der Vorlesung, aus der das Datenmaterial stammt, herrschte am
Tag der Aufnahme sehr viel Unruhe,
8
Art der Veränderung
Anzahl
(gesamt)
davon
relevant
davon
irrelevant
Auslassungen
43
8
35
Umformulierungen
16
—
—
3
—
—
Schreibfehler
29
6
23
Summe der Textveränderungen
91
14
58
Hinzufügungen
verbunden mit vielen Nebengeräuschen, was die Arbeit des Schriftdolmetschers erschwerte: Das Hören des
Gesagten und Stenografieren des Gehörten erforderte höchste Konzentration. Zweimal musste der Schriftdolmetscher seine Arbeit unterbrechen, um Studenten aus der Sitzreihe heraus- und später wieder eintreten zu lassen. Zudem waren die Ausführungen des Dozenten geprägt von
einer komplizierten Ausdrucksweise
und teilweise unstrukturierten Passagen. Das Sprechtempo war normal bis
schnell, jedoch waren die Inhalte nur
schwer nachvollziehbar und die Informationsdichte war recht hoch. Insgesamt waren die Arbeitsbedingungen
in dieser Vorlesung also nicht optimal.
7.2.Datenanalyse
Um die Untersuchung zumindest ansatzweise nachvollziehen zu können,
werden im Folgenden einige Analysebeispiele vorgestellt. Die Transkription der Aufnahme (A) besteht aus
575 Wörtern. Die Rohfassung der Mitschrift (B) enthält 396 Wörter und die
bearbeitete Mitschrift (C) 381. Das
bedeutet, dass in (B) 68,87 % von (A)
(= 100 %) übertragen wurden und (C)
66,26 % von (A) enthält.
Diese Kategorienbildung lehnt sich an diejenige von Salakari (2008) an.
Tabelle 1 zeigt eine Übersicht der
klassifizierten Textveränderungen,
die in der Live-Mitschrift (Rohfassung
(B)) im untersuchten Abschnitt auftraten.
Insgesamt wurden in (B) 91 Textveränderungen festgestellt, die auf
das Textverständnis und die Übermittlung des Inhalts des Ausgangstextes einen minimalen bis gravierenden Einfluss haben. Von diesen 91
Veränderungen in der Rohfassung der
Mitschrift (B) wurden 29 Schreibfehler in der überarbeiteten, an den Studenten ausgehändigten Mitschrift (C)
korrigiert. Auslassungen, Umformulierungen und Hinzufügungen wurden in (C) soweit berichtigt, dass im
Ergebnis vollständige, abgeschlossene Sätze und ein sinnvolles Satzgefüge vorliegen. Trotzdem konnte nicht
vermieden werden, dass in (C) Informationen aus (A) fehlen.

Tab. 1: Übersicht
der klassifizierten
Textveränderungen
DZ 84 10
7.2.1. Auslassungen
l
Relevante Auslassungen
Zu den acht relevanten Auslassungen
gehören größere Auslassungen, wie
das Weglassen mehrerer oder wichtiger Wörter, und Auslassungen in
Kombination mit Umformulierungen. Einige der Auslassungen wurden, auch wenn sie die Lesbarkeit
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dolm e t s c h e n
142
DZ 84 10
und Verständlichkeit des Textes nicht
negativ beeinflussen, aufgrund ihres
Umfangs dennoch den relevanten
Auslassungen zugeordnet.
Es folgt ein Beispiel für eine solche relevante Auslassung, die jedoch
den Sinnzusammenhang des Satzes
nicht zerstört, obwohl einige Wörter
fehlen. Durch Umformulierung der
ganzen Aussage ist es dem Schriftdolmetscher gelungen, einen verständlichen Satz zu produzieren, wenn hierbei auch Informationen verlorengehen. Im Folgenden werden die Auslassungen fett gedruckt, die auf dem
Bildschirm des Schriftdolmetschers
in der Live-Mitschrift (B) erschienenen Wörter sind durch Unterstreichung markiert.
Version (A):
Weil jetzt relativ schnell wieder
eine erneute Verstärkung gegeben
wurde, kam es eben vor bei einigen
Tauben, dass die in diesem Moment
schon wieder auf dem Bein hüpften,
wodurch die Auftretenswahrscheinlichkeit weiter verstärkt wurde. Und
das setzt sich jetzt fort auf eine nur
noch gelegentliche Verstärkung,
also eine intermittierende Verstärkung, da kommen wir auch noch
dazu, zu einem nun besonders löschungsresistenten Typ.
Version (B):
Es kam eben vor,, dass sie im nächsten Moment wieder hüpften, wodurch die Auftretens Verstärkung
wiederhöht wurde das setzt sich
dann fort, was dann zu einer besonders hohen Löschungsresistenz
führt.
Trotz der vorhandenen Schreibfehler, der falschen bzw. fehlenden Interpunktion und der Auslassung von 34
Wörtern, bleibt ein sinnvoller Satz bestehen, der verständlich ist und nachvollzogen werden kann und der die
Hauptinformation noch immer enthält. In (C) wurde dieser Satz so belassen, nur die Interpunktion und die
Schreibfehler wurden korrigiert.
l
Irrelevante Auslassungen
Ein Beispiel für eine Auslassung,
durch die der Zieltext kaum beeinträchtigt wird, ist folgende (wobei die
Auslassungen wiederum durch Fettdruck markiert sind):
vollkommen unabhängig vom Verhalten, vollkommen unabhängig
vom Verhalten, meinetwegen aller 15 Sekunden oder wie auch immer, wird Futter dargeboten.
Auf dem Bildschirm war also zu lesen:
vollkommen unabhängig vom Verhalten, wird Futter dargeboten.
Die Information wird trotzdem vollständig übermittelt und durch die Tilgung der im Ausgangstext zu findenden Wiederholung ist der Satz sogar
9
leichter verständlich.
zu formulieren. Hierzu zunächst ein
Beispiel aus dem Originaltext (A):
Und immer wenn man diese Aufforderung gibt, und derjenige das
tut, wird er oder sie belohnt. Dann
ist das Problem, wenn man das aufgebaut hat, dass das Kind oder wer
auch immer da jetzt lernen soll,
das immer nur dann tut, wenn man
ihn oder sie dazu auffordert.
In (B) findet sich für diesen Ausgangstext folgende Umformulierung:
Immer wenn man die Aufforderung
gibt, und der oder die das tut, wird
das Verhalten belohnt. Dann ist das
Problem, dass das Verhalten immer
nur dann kommt, wenn man oder
sie dazu auffordert.
Diese Umformulierung wird durch
die gleichzeitige Auslassung (fett)
hervorgerufen und hat zum Ziel, den
Inhalt trotzdem verständlich zu machen. Man kann davon ausgehen,
dass das fehlende Personalpronomen „ihn“ in der Live-Situation von
dem gehörlosen Studenten überlesen bzw. unbewusst ergänzt wurde.
In (C) wurde das Pronomen durch den
Schriftdolmetscher hinzugefügt.
7.2.2. Umformulierungen
7.2.3. Hinzufügungen
Bei den als „Umformulierungen“
klassifizierten Veränderungen handelt es sich entweder um eine geänderte Wortfolge, um verwendete Synonyme oder um fehlerhafte Formulierungen. Die meisten Umformulierungen sind auf die Notwendigkeit
zurückzuführen, verpasste oder akustisch schlecht verstandene Redepassagen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen und einen lesbaren, verständlichen deutschen Satz
9
Ausführlich vgl. hierzu Weischet (2008).
Im analysierten Abschnitt der Mitschrift treten an drei Stellen minimale Hinzufügungen auf. Die erste Änderung dieser Art ist eher ein Wortaustausch denn eine Hinzufügung.
Auf dem Bildschirm war zu lesen:
weniger deutlich oder leiser gibt
Im Originaltext (A) heißt es:
weniger deutlich gibt, leiser gibt
In (B) wurde also das Wort „gibt“
durch das Wort „oder“ ersetzt, was
Beitrag aus: DAS ZEICHEN 84/2010 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen
für das Textverständnis keinerlei Relevanz hat.
Als zweite Hinzufügung wurde
eine Textstelle gewertet, an der das
Wort „das“ aus nicht ersichtlichen
Gründen zweimal stenografiert wurde. Die dritte Hinzufügung lautet in (B):
oder von einem Bein auf das andere Bein hüpften
Im Ausgangstext (A) wurde gesagt:
Oder auf einem Bein, von einem
Bein auf das andere hüpften etc.
Diese Hinzufügung bzw. Veränderung lässt die Relevanz des „time lag“
deutlich werden, die es dem Schriftdolmetscher hier ermöglichte, den
falschen und durch den Dozenten
selbst korrigierten Satzanfang auszulassen und den Satz richtig mitzustenografieren.10
7.2.4. Schreibfehler
Schreibfehler, die als relevant, d. h.
das Textverständnis erschwerende
bzw. die Wortbedeutung verändernde Schreibungen, beurteilt wurden,
sind folgende:
a) unpassende Wörter oder unverständliche Buchstabenfolgen (4x);
b) Buchstabendreher (1x);
c) falsche Interpunktion (1x).
Diese sechs Fehler werden in Tabelle 2 so dargestellt, wie sie in der Vorlesung auf dem Bildschirm zu lesen
waren.
Zu den 23 irrelevanten, das Textverständnis nicht beeinflussenden
Fehlern wurden
a)falsche Groß-/Kleinschreibung (6x);
b)auseinandergeschriebene Komposita oder andere Wörter (8x);
10
Ausführlich vgl. hierzu Weischet (2008).
Zeile
Schreibfehler in (B)
Originalausdruck in (A)
a) Fäd Ing
abergläub vrische halten
Bend
durch zwischenzahl
fading
abergläubische Verhalten
Wenn (das)
der Zufall
b) 12
geichst Ausdruck
Gesichtsausdruck
c) 52
hat,, dass das erworben! .
hat, trotzdem erworben wird.
1
15
35
41
c) falsche Wörter (4x);
d)falscher Kasus/falsche Endung (3x);
e)falsche Orthografie (1x);
f) fehlende/unpassende Interpunktion (1x) gerechnet.
7.3. Ergebnisbetrachtung
Vergleicht man die Zahl der relevanten Fehler mit den irrelevanten,
sind die relevanten sehr viel seltener,
und der Text sollte demnach gut verständlich sein; da jedoch Umformulierungen in Kombination mit relevanten Auslassungen die Textkohärenz und -verständlichkeit stark reduzieren können, wiegen auch die
wenigen relevanten Veränderungen
bzw. Fehler schwerer.
Schreibfehler entstehen während des Schriftdolmetschens u. a.
durch falsche Anschläge auf der Tastatur und durch die Stenografie-Software – d. h. fehlende Wörterbucheinträge für Fremd- oder fremdsprachige Wörter –, sind bei hohem Arbeitstempo nicht zu vermeiden und
treten in fast jeder (Simultan-)Mitschrift unabhängig von der Qualität des Schriftdolmetschers auf. Regelmäßige Nutzer von „Realtime“Dienstleistungen sind an diese Tatsache jedoch gewöhnt, übersehen bzw.
überlesen solche Fehler und versuchen – wenn möglich – Bedeutung
und Sinn durch das selbstständige
Korrigieren im Geiste herzustellen,
was eine hohe Sprachkompetenz und
gute Allgemeinbildung voraussetzt
(vgl. best für Hörgeschädigte o. J.).
Aufgrund des hohen inhaltlichen Niveaus und des akademischen
Sprachstils kann man davon ausgehen, dass im Hochschul-Setting meist
weniger umgangssprachliche Formulierungen, Versprecher und Füllwörter auftreten als in anderen Settings.
Dies gilt zumindest für Vorlesungen
von Professoren und Dozenten, bei
denen die Studenten nicht oder kaum
zu Worte kommen. Im Falle von Referaten oder Seminaren, die von Studenten gestaltet werden, kann dies
anders aussehen.
Im analysierten Ausschnitt war
nur ein deutlich hörbares Zögerungsmerkmal („äähh“) zu verzeichnen,
das vom Schriftdolmetscher nicht
übertragen wurde. Teilweise werden solche sprachlichen Phänomene
wahrscheinlich vom Schriftdolmetscher überhört oder ausgeblendet, da
die Übermittlung des Inhalts die volle Konzentration erfordert und sie zudem aus Zeitgründen ohnehin nicht
mitstenografiert werden könnten.
Die Tatsache, dass Textversion (B)
396 und (C) nur 381 Wörter enthält,
zeigt, dass bei der Bearbeitung der
Mitschrift 15 Wörter aus der Rohfassung (B) getilgt wurden. Diese Tilgungen verdeutlichen, dass diese Wörter in der Rohfassung das Verständnis des Textes eher erschwert haben

Tab. 2: Schreibfehler
DZ 84 10
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dolm e t s c h e n
bzw. keinen Sinn machten und vom
Schriftdolmetscher gelöscht wurden,
um ein leichteres Verstehen bzw. einen übersichtlicheren Text und bessere Lesbarkeit zu erzielen. Die überarbeitete Mitschrift (C) liefert einen
sinnvollen, zusammenhängenden
und verständlichen Text, der vom
Umfang her 66,26 % von (A) enthält
und die wichtigsten Informationen
übermittelt.11
8. Fazit
144
DZ 84 10
Wie Halliday (1989) feststellt, kann
nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass „whatever is
spoken can also be written – that
writing is simply an alternative form
of expression to speech“ (29). Es gibt
bedeutende Unterschiede zwischen
einer gesprochenen Äußerung und
der schriftlichen Fixierung derselben, z. B. mangelt es der Schriftsprache an Möglichkeiten, auditiv perzipierbare Laut- und Sprachereignisse
festzuhalten.
Dennoch ist die simultane, von
einer Leinwand ablesbare Mitschrift
des Gesprochenen bei Vorträgen
und Versammlungen, die schriftliche Übermittlung der Erläuterungen
eines Arztes in der Praxis oder das
Anfertigen von Vorlesungs-Mitschriften für hörgeschädigte Studenten ein
probates Mittel, Menschen mit beeinträchtigtem Hörvermögen den Zugang zu gesprochenen Texten zu ermöglichen und somit in vielen Bereichen einen großen Beitrag zur Barrierefreiheit zu leisten.
Jedoch muss jedem Nutzer der
Dienstleistung „Schriftdolmetschen“,
ob hörgeschädigt oder hörend, bewusst sein, dass Schriftsprache vieles
nicht vermitteln kann und die Übertragbarkeit von gesprochener in ge-
schriebene Sprache Grenzen hat. Eine
1:1-Übertragung ist in den seltensten Fällen möglich und im Allgemeinen nur bei der Erstellung amtlicher
Protokolle von „Realtime“-Reportern
bzw. Maschinenstenografen zu leisten, die ihrer Tätigkeit seit vielen Jahren nachgehen.
In Bezug auf hörgeschädigte
Klienten ist zu beachten, dass das
Schriftdolmetschen nicht für jeden
in Frage kommt bzw. nicht alle Bedürfnisse und Anforderungen erfüllen kann. Voraussetzung für die Nutzung eines Schriftdolmetschers ist
eine gute Schriftsprach- und Lesekompetenz des hörgeschädigten Klienten.
Dies trifft häufig, gerade bei Gehörlosen, nicht voll zu. Personen, die DGS
als Basissprache verwenden und deren Schriftsprach- und Lesekompetenz eingeschränkt ist, werden in
den meisten Fällen einen Gebärdensprachdolmetscher bevorzugen.
Weiterhin ist zu bedenken, dass
bei der Übermittlung von gesprochener in geschriebene Sprache vieles
nicht oder nicht ausreichend übertragen werden kann; dies betrifft vor allem situative Merkmale (bspw. Umgebungsgeräusche, Störfaktoren) und
Charakteristika der sprachlichen Äußerung, wie prosodische Merkmale
oder Gliederungssignale. Zudem ist
die Übermittlung inhaltlich nicht immer vollständig und korrekt, außerdem treten Schreibfehler auf. Dies ist
jedoch nur schwer vermeidbar und
gerade deshalb ist es äußerst wichtig, dass der Schriftdolmetscher gut
ausgebildet und bemüht ist, die Qualität seiner Arbeit stets auf hohem Niveau zu halten, z. B. durch Training
der Schreib- bzw. Stenografierge-
schwindigkeit und intensive Vorbereitung auf die Einsätze. Nur dadurch
kann eine inhaltlich korrekte und im
weitesten Sinne wörtliche Übertragung des Gesagten gewährleistet und
die Anzahl von unvollständigen Aussagen bzw. Textlücken auf dem Bildschirm reduziert werden.
Einen entscheidenden Vorteil bietet die Möglichkeit, die angefertigten
Mitschriften verfügbar zu machen
– eine Option, die besonders hörgeschädigte Schüler und Studenten zu
schätzen wissen.
Wichtig ist meiner Ansicht nach
jedoch, dass Schriftdolmetscher und
Gebärdensprachdolmetscher mit ihrer jeweiligen Tätigkeit nebeneinander bestehen sollten, ohne miteinander zu konkurrieren – nur so
kann den verschiedenen Kommunikationsbedürfnissen der Klientel
entsprochen werden. Dementsprechend wäre es eigentlich auch geboten, bei entsprechenden Veranstaltungen Gebärdensprachdolmetscher
und Schriftdolmetscher parallel zum
Einsatz kommen zu lassen.
Letztendlich gilt: Die Entscheidung „Schrift statt Gebärde?“ sollte jeder für sich und nach seinen
Bedürfnissen treffen können, denn
das Recht der Wahlfreiheit hinsichtlich der Kommunikationshilfe hat
oberste Priorität.
Literatur
agsist GmbH Schwerin (o. J.): [Realtime-Maschinenstenografie/
Schriftdolmetschen]. http://www.
agsist.de/ausbild.html (8. 12. 2008).
best für Hörgeschädigte (o. J.): „best –
Berufs- und studienbegleitende Be-
11
Dieser Prozentsatz entspricht im Übrigen den Untersuchungsergebnissen anderer Studien (vgl. Elliot et al. 2001, 286; Salakari 2008).
Beitrag aus: DAS ZEICHEN 84/2010 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
dolme tschen
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des BGSD e. V. zur Berufsbezeichnung ‚Schriftdolmetscher/in‘. In:
Das Zeichen 73, 302–303.
DSB – Deutscher Schwerhörigenbund
e. V. (o. J. a): „DSB-Stellungnahmen.
Berufsbezeichnung ‚Schriftdolmetscher‘ – Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes e. V.“.
http://www.schwerhoerigen netz.de/MAIN/stellungasp?inhalt =2006-03 (5. 9. 2009).
DSB – Deutscher Schwerhörigenbund
e. V. (o. J. b): „Vergütung von Schriftdolmetscherleistungen im Beruf“.
http://www.schwerhoerigen netz.de/MAIN/stellung.asp?inhalt
=2008/2008-03 (5. 9. 2009).
DSB – Deutscher Schwerhörigenbund
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DZ 84 10
i
Mira-Esther Weischet hat an
der Hochschule MagdeburgStendal (FH) Gebärdensprachdolmetschen studiert und ihr
Studium 2009 mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen.
E-Mail: [email protected]
Beitrag aus: DAS ZEICHEN 84/2010 • Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser (www.sign-lang.uni-hamburg.de/signum/zeichen/)
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