REZENSIONEN Jürgen Volkert (unter Mitarbeit von Eva

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REZENSIONEN
Jürgen Volkert (unter Mitarbeit von Eva-Maria Schick) Soziale Dienste und Um verteilung in Deutschland (Sozialpolitische Schriften, Heft 79), Duncker & Humblot, Berlin 1999 (Doppelrezension)
1. Rezension von Dr. Christian Toft, Köln
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Bei diesem Buch handelt es sich um eine aktualisierte und überarbeitete Fassung eines IA W-Gutachtens, das unter dem Titel "Fehlsteuerungen der Umverteilungspolitik in Deutschland und Ansätze für eine Neuerung" erstellt wurde und vom Bun- .
deswirtschaftsministerium gefördert wurde. Die Überarbeitung erfolgte allerdings .
nur in eingeschränktem Maße. Das Buch vermittelt den Anschein einer schnell geschriebenen Arbeit; so wird bei manchen Querverweisen das Buch noch als "Gutachten" bezeichnet. Auch das Layout des Buches weist erhebliche Mängel auf. So
ist kein Sach- bzw. Stichwortregister zu finden, im Literaturverzeichnis fehlen einige
Angaben, Tabellen und Abbildungen sind nicht sehr anschaulich. Zwei Abbildungen zeigen beispielsweise die Zeitreihenentwicklung von 9 Variablen, die sich aber
in einer dicken schwarzen Linie überlappen, so dass Unterschiede zwischen den Variablen nicht zu erkennen sind. Außerdem werden Prozentwerte angegeben, obwohl
es sich eigentlich um Indexwerte handelt. Zudem wird an keiner Stelle erklärt, was
die Abkürzung "IAW" bedeutet. Wenn man dann bedenkt, dass das Buch DM 118
kostet, ist dies nicht die erwartete Ausstattung.
Wie bekannt ist, existiert eine etablierte und umfangreiche Literatur zu Verteilung
und Umverteilung öffentlicher Geldleistungen. Dagegen ist die Literatur zu gleichermaßen wichtigen Analysen der Verteilungswirkungen von Sachleistungen viel··
begrenzter. Wer Jürgen Volkerts Buch erwirbt und in der Hoffnung, eine lang er- -~
sehnte Abhandlung über Umverteilungseffekte sozialer Dienstleistungen erworben·
zu haben, sich die Zeit nimmt, es zu lesen, wird enttäuscht sein. Das Buch behandelt
"Soziale Dienste" und "Umverteilung" als zwei getrennte und voneinander unabhängige Themen. Zl}m einen wird die Effizienz bzw. die Ineffizienz des sozialen
Dienstleistungssektors behandelt, wobei Umverteilungsfragen nicht bzw. nur am
Rande angesprochen werden. Zum anderen werden Umverteilungslücken im sozialen Sicherungssystem nachgezeichnet. Welchen Sinn es macht, diese beiden sehr verschiedenen Themen in einem Buch abzuhandeln, erklärt der Autor allerdings nicht.
Eine Integration der Themen ist ihm nicht gelungen.
Das Buch besteht aus drei Teilen. In einem ersten, mehrere Kapitel umfassenden
Teil referiert der Autor die Sozialstaatstheorien der orthodoxen Wohlfahrtsökonomie sowie der neuen.politischen Ökonomie. Im zweiten Teil erfolgt eine Bestandsaufnahme des Verhältnisses vonZielen und Prinzipien einerseits und der sozialpolitischen Realität des bundesdeutschen Sozialstaates andererseits. Schließlich stellt
er in einem dritten Teil verschiedene Überlegungen zu einer möglichen Neuorientierung bundesdeutscher Umverteilungspolitiken an.
Erst nach dem langen theoretischen Teil kommt J ürgen Volkert auf den Punkt und
informiert auf den Seiten 128-129 den Leser, welche Absicht er mit dem Buch ver-.
folgt. Potenzielle Probleme und Zielverfehlungen der Redistributionspolitik werden
in fünf Punkten aufgezeigt. Er bezeichnet diese Punkte als seine .,Hypothesen", ob·wohl sie nicht in Hypothesenform formuliert sind, sondern eher als Untersuchungsthemen präsentiert werden. Die fünf "Hypothesen"rrhemen sind:
1. "Wachsende Umverteilung zugunsten Nicht-Bedürftiger"; 2. "Sozialpolitische
Wahlzyklen und Mangel an SozIalinvestitionen"; 3. "Umverteilungstendenzen, die
sich am politischen Einfluss und Organisationsgrad der Empfänger ausrichten";
4. "Geringere umverteilungspolitische Berücksichtigung der Belange politisch Passiver, wenig oder nicht organisierter Bürger im Rahmen von redistributiven Maßnahmen aber auch bei Leistungskürzungen"; 5. "Zunehmende Komplexität und In.transparenz des gesamten Redistributionssystems" .
Jürgen Volkert kündigt an, diese "Hypothesen" in den nachfolgenden Kapiteln zu
behandeln; er schließt dann aber eine allgemeine Abhandlung über die wirtschaftliche Lage Deutschlands an, die unter anderem, auch eine Diskussion zur Entwicklung
des Wechselkurses einschließt. Weder in Verbindung mit der Aufstellung seiner
"Hypothesen" noch irgendwo sonst lassen sich methodische Überlegungen zur Operationalisierung und empirischen Anwendung sozialwissenschaftlicher und ökonomischer Begriffe finden.
Der am besten geschriebene Teil des Buches ist der letzte Teil, in dem der Autor
Möglichkeiten und Schranken einer Neuorientierung des Sozialstaates behandelt.
Hier schreibt er befreiter und greift verschiedene Themen der gegenwärtigen Dis. kussion zur Reform des Sozialstaates auf. Grundsätzlich fordert Volkert mit Verweis
auf den renommierten Sozialwissenschaftler H. Lampert eine Verlagerung des
Schwerpunktes der Sozialpolitik von den auf hohem Niveau gesicherten erwerbs- .
tätigen "Normalbürgern" auf kinderreiche Familien, Obdachlose, körperlich und
geistig Behinderte sowie psychisch Kranke (Volkert S. 236, 254).
In Bezug auf die Realisierungschancen einer solchen Umstellung ist Volkert zugleich Optimist und Pessimist. Optimist ist er in einem eine Seite umfassenden Fazit
am Ende des Buches, in dem er konstatiert, dass viele Handlungsspielräume vorsind, und die Situation nicht dramatisiert werden sollte (S. 263). Eher pessi,. mistisch und nahezu dramatisch äußert er sich jedoch unmittelbar vorher, wo er aus-·
. führt, dass die Rent-Seeking-Aktivitäten der Mittelschichten nur durch fundamentale Änderungen der politischen Spielregeln abgebaut werden können. Dies schließe
die Eindämmung der "Besetzung von Parlamentsmandaten mit Verbandsvertretern" (S. 259) und die Einführung von häufigen Referenden in sozialpolitische Fra. gen (S. 260) ein. Inwieweit sich diese Sichtweisen vereinbaren lassen, soll der Beurdes Lesers anheimgestellt bleiben.
Abschließend möchte ich betonen, dass ich viel Verständnis für die Lage von Nach. wuchswissenschaftlern in den Sozialwissenschaften aufbringe. Heutzutage müssen
!(,sie gleichzeitig Theoretiker, Empiriker, Statistiker, Gutachter, Politikberater und
; vieles mehr sein. Sie müssen wie am Fließband Bücher und Aufsätze produzieren-
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je schneller, desto besser. Jürgen Volkert ist ohne Zweifel ein vielversprechender
Nachwuchswissenschaftler. Mit dem Gutachten für das Wirtschaftsministerium hat
er die Gelegenheit bekommen, sich in ein breites Feld an theoretischer und empirischer Literatur einzuarbeiten. Es bleibt zu hoffen, dass er eine Arbeitsstelle findet,
bei der er sich tiefer in die Problemstellungen der Literatur und vor allem in ihre empirische Operationalisierung einarbeiten kann. Dann wird es ihm vielleicht möglich
sein, in einigen Jahren ein Buch über "soziale Dienste und Umverteilung in Deutschland" zu verfassen, das unser Wissen bereichern wird und nicht nur der modernen
universitären Nachfrage nach schneller Publikation (oder, wie man in Großbritannien und Skandinavien sagen würde, nach ISBN-Nummern) nachkommt.
budsmänner für bestimmte Gruppen auf den verschiedenen Ebenen des politischen
Systems, wie etwa in der Kommunalpolitik.
2. Rezension von Prof Dr. Annette Zimmer, Münster
Bei dem vorliegenden Band der Sozialpolitischen Schriften handelt es sich um ein
vom Wirtschaftsministerium finanziertes IAW-Gutachten, das zwei äußerst aktuelle
Themen behandelt. Es geht zum einen um die Ziel dimension von Sozialpolitik.Konkret wird hierbei der Frage nachgegangen, für weIche Adressatengruppen eine redistributive Sozialpolitik erfolgen soll. Zum anderen geht es, wie im Vorwort ausgeführt, um die Frage nach den."Potenzialen und Auswirkungen der Zulassung gewerblicher Anbieter sozialer Dienste".
Wie der Auftraggeber vermuten lässt, wird im Gutachten vorrangig ökonomisch ar-.,
gumentiert. Auf den ersten Blick wird daher auch die Erwartung des Lesers auf einen logischen Aufbau, eine stringente Argumentation und eine klare Perspektive
nicht enttäuscht. Der Band ist in sieben Kapitel (A. bis G.) gegliedert, wobei im einleitenden Kapitel C. "Marktwirtschaftlicher Wettbewerb: Ursache und Voraussetzung redistributiver Maßnahmen" im Wesentlichen das Tableau für die weitere Betrachtung gelegt wird. Auf die Frage, wie die Zukunft des Sozialstaates in Deutschland aussehen wird, gibt das Gutachten eine klare Antwort: Der Generaltrend läuft
auf mehr Markt und auf mehr Wettbewerb vor allem unter den Anbietern sozialer
Dienste hinaus. Eine entsprechend einfache und marktkonforme Botschaft hält das
Gutachten auch für die Frage nach dem redistributiven Gehalt von Sozialpolitik be-;
reit. Hier wird strikt mikro-ökonomisch und voll im Trend der "VerantwortungsgeseIlschaft" argumentiert. Danach ist vor allem Aufgabe von Sozialpolitik, den Einzelnen in die Lage zu versetzen, für sich selbst aufzukommen. In Neuhochdeutsch
nennt man diese Strategie auch "Empowerment". Primär soll dies über eine umfassende Integration in den Arbeitsmarkt erfolgen, wobei, so die Gutachter, Sozialpolitik insbesondere auf die spezifische Situation von benachteiligten Gruppen - wie
etwa Behinderte - sowie von gering qualifizierten und daher schwer vermittelbarertl
Arbeitnehmern einzugehen habe. Ganz in Übereinstimmung mit der Neuen Politischen Ökonomie Mancur Olsons wird im Gutachten als Voraussetzung für den Erfolg einer Neu-Orientierung der Sozialpolitik in Deutschland ein Zurückdrängen
der Macht der ausschließlich Partikularinteressen vertretenden Verbände gefordert.
Als Reformstrategie wird hierbei die Einführung direktdemokratischer Elemont;
ebenso in Erwägung gezogen wie die Etablierung von "Beauftragten" bzw.
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Auf der operativen Ebene gehen die Vorschläge des Gutachtens zum einen in die
Richtung eines umfassenden Subventionsabbaus, und zwar mit der richtigen Ziel:setzung der Verbesserung des Umverteilungssystems, der gesamtwirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit und des Beschäftigungsstandes (S. 236), wobei ein kurzfristiger
Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge von Subventionsabbau bewusst einkalkuliert
wird. Zum anderen wird empfohlen, den Adressatenkreis.der Sozialpolitik zu limitieren und nicht mehr wie bislang üblich, "den auf hohem Niveau gesicherten erwerbstätigen Normalbürger" in den Blick zu nehmen, sondern Sozialpolitik vorrangig "auf kinderreiche Familien, Obdachlose, körperlich und geistig Behinderte so'.wie psychisch Kranke zu verlagern" (S. 236). Das Gutachten plädiert damit für eine
Re-Orientierung von Sozialpolitik auf die Armutsfrage, womit gleichzeitig eine Abkehr von der Aufgabenzuweisung von Sozialpolitik als Lebensstandardsicherung involviert ist. War Sozialpolitik bisher eine vorrangig inklusive Veranstaltung, deren
Adressatenkreis sich ständig erweiterte, so werden unter dieser Perspektive, wie bereits angedeutet, nur noch bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Objekt von Sozialpolitik gerechnet. Durchaus richtig weist das Gutachten hierbei insbesondere auf
die schwierige Situation kinderreicher Familien hin und stellt die Infantilisierung der
Armutsfrage heraus. Auf breitem Raum behandelt das Gutachten ferner Strategien
des "Empowerment" bzw. der umfassenden Integration weiter Bevölkerungsteile in
den Arbeitsmarkt, wobei für die Einführung einer modifizierten Form der negativen
Einkommensteuer unter Einschluss von Bedürftigkeitsprüfungen plädiert wird. In
diesem Kontext wird ferner vorgeschlagen, Steuerung und Kontrolle der arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen zu kommunalisieren und die Sozialämter hierbei zu
;,leistungsstarken Fachbehörden für Rehabilitation und qualifizierte Beratungsleis,tungen weiterzuentwickeln" (S. 253).
. Soviel zur Strategie des Empowerment und zur Re-Orientierung von Sozialpolitik.
Welche konkreten Empfehlungen enthält nun das Gutachten im Hinblick auf die so. zialen Dienste? Wie bereits ausgeführt, wird generell dafür plädiert, das bestehende
System der Erstellung sozialer Dienstleistungen durch Wettbewerb unter Druck zu
'setzen. Allerdings wird hierzu einschränkend bemerkt, dass "die Einführung marktwirtschaftlichen Wettbewerbs allein ... noch nicht die gleichmäßige Ausrichtung des
'---'--,ts an den tatsächlichen Bedürfnissen aller Bürger (gewährleistet)" (S. 33).
somit differenziert zwischen Nachfragern sozialer Dienstleistungen, die sich
den Anbietermarkt und die Leistungsqualität ein Bild machen können, und sol; die aufgrund ihrer spezifischen persönlichen Situation - Alter, Krankheit, Beohinderung- dazu nicht in der Lage sind. Während das Angebot für die erste Gruppe
quantitativ und qualitativ verbessert werden kann, indem man die Transparenz des
',:Anbietermarktes erhöht sowie die Nachfrager, etwa durch die Einführung von Gut'scheinen, mit Konsumentensouveränität ausstattet (vgl. S. 224 f.), sieht das Gutachnicht ausschließlich aber doch vorrangig, zum Schutz insbesondere der zweiten
die Einführung staatlicher Ql:lalitätssicherheitsstandards gerade bei ge: werblichen Anbietern vor (vgl. S. 60). In Übereinstimmung mit ordo-liberalen Überlegungen wird vor allem "die Schaffung von Rahmenbedingungen für eine effektive
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Qualitätskontrolle der sozialen Dienste" (S. 224) als Zukunftsaufgabe von
politik gesehen. Da auf dem deutschen Anbietermarkt den freigemeinnützigen Ein-.'
richtungen, sprich den Wohlfahrtsverbänden, eine zentrale Bedeutung zukommt,::
diskutiert das Gutachten auch Strategien, inwiefern man diese besonderen Anbietedl
. durch Wettbewerb zu Effizienzsteigerung animieren könnte, ohne jedoch die ge7:':
genüber kommerziellen' Anbietern bestehenden komparativen Vorteile der Wohl;
fahrtsverbände, nämlich ihre Attraktivität für Spendenleistungen und ehrenamtliches Engagement, zu gefährden. Im Wesentlichen werden hierbei zwei Strategien
vorgeschlagen: Zum einen wird eine Trennung zwischen gemeinnütziger -' ..
tung - sprich Idealverein - und Geschäftsbetrieb empfohlen. Während
verein aus der Sicht des Gutachtens für die nicht wettbewerbstauglichen
sozialer Dienstleistungserstellung, namentlich der Betreuungsarbeit bei ,"_" __ 0_
die nicht mit Konsumentensouveränität ausgestattefsind, wie etwa Kinder
gebedürftige Senioren, vorgesehen ist, wird der wohlfahrtsverbandliche Geschäfts-'
betrieb mit den kommerziellen Anbietern gleichgestellt. Die Akquisition
renamtlichen und Spendengeldern ist nach,diesem Modell Aufgabe der Iclt>"lvt>r-',
eipe, während die Geschäftsbetriebe der Wohlfahrtsverbände auch in ihr~r
sationsform kommerziellen Anbietern gleichgestellt werden. Zusätzlich
wohlIdealvereine wie Geschäftsbetriebe als auch kommerzielle Anbieter
achten durch eine staatlich gestützte Selbsthilfestruktur "von unten" unter
werbsdruck gesetzt werden. Konkret wird hierzu ausgeführt: "Nicht nur im
werb mit Wohlfahrtsverbänden, sondern gerade auch als Alternative zu kommerzI-"
ellen Dienstleistern erscheint eine gezielte Selbsthilfeförderung in vielen Fällen
die vorteilhaftere Alternative" (S. 231). Dabei wird vorgeschlagen, den Aufbau
Selbsthilfegruppen staatlicherseits umfänglich zu unterstützen sowie die private,
Hilfsbereitschaft auf lokaler Ebene durch spezifische Anreiz- und Belohnungs.'
strukturen, wie etwa durch die Einführung von Tauschringen und Kooperations. marken, auf der individuellen Ebene ebenfalls gemäß ökonomischer Nutzenkalküle
zu organisieren.
würden. Die mikro-ökonomische Betrachtung gesellschaftlicher Vorgänge
hatte jedoch ihre Blütezeit in den 80er Jahren. Insofern ist es nicht verwunderlich,
'. dass das Literaturverzeichnis des Gutachtens mit einer Fülle von Titeln aus gerade
Dekade aufwartet, während die aktuellere Literatur nur in Ansätzen rezipiert
Leider wurden auch die zahlreichen empirischen Studien, die direkt auf die
".oeutsche Situation eingehen und beispielsweise Steuerungsprobleme von Wohlff"hrtsverbänden behandeln oder die Potenziale der Selbsthilfegruppenunterstüt_
untersuchen, im vorliegenden Gutachten systematisch negiert. Die äußerst einAusrichtung des Gutachtens auf eine ökonomische bzw. streckenweise miArgumentation hat ihren Preis. So lässt sich eine Empirieferne
nicht gar Empiriefeindlichkeit feststellen. Besonders deutlich wird dies in den
zu den Selbsthilfegruppen. Hätten die Gutachter die umfangreiche Literadie empirischen Studien zu Selbsthilfegruppen auch nur eines Blickes geso wäre ihnen klar geworden, dass Selbsthilfegruppen wenig geeignet sind,
:;kommerzielle Anbieter und schon gar nicht die Wohlfahrtsverbände unter Wettber,:wp.rhsdruck zu setzteil. Die Mehrheit der Selbsthilfegruppen, die über eine dauerStruktur verfügen und auch Dienstleistungen für Dritte erstellen, sind nämlich
dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes organisiert. Entsprechenlässt sich auch über die Empfehlung der Gutachter an die Wohlfahrtsverbände
ihre Geschäftsbetriebe von den Idealvereinen zu entkoppeln. Auch hierbei
es sich mehr oder weniger um einen "alten Hut". In vielen Städten sind die
~Wohlfahrtsverbände schon als eine Art Holding organisiert, deren Mitgliederorganisationen längst nicht mehr ausschließlich in der Rechtsform des eingetragenen
geführt werden. Allerdings werden die Wohlfahrtsverbände in diesem Gutebenso unterkomplex behandelt wie der Staat. Vor allem wird nicht berückdass der Staat in erheblichem Umfang selbst als Anbieter auf den sozialpoAnbietermarkt aktiv ist. Gut ein Drittel der sozialen Dienstleister, angeden Krankenhäusern bis hin zu Pflegeheimen oder Kindergärten, befinin Deutschland in öffentlicher Trägerschaf( Sind diese Einrichtungen von
"ugt:meinen Wettbewerbsstrategie ausgenommen? Ebenfalls systematisch aus'geblendet werden im vorliegenden Band die komplizierten Verflechtungen zwiöffentlichen und der freien Wohlfahrtspflege. Offensichtlich haben die
rr.nt~"htpr vom "dualen System" als typisches Merkmal der bundesdeutschen soziaeistungserstellung noch nie etwas gehört. Auch hier hätte ein Blick in die
,cmscmaglge Literatur vor einer allzu schlichten Darstellung de~ Realität bewahrt.
Staat wird in diesem Gutachten als Entität der Gesellschaft gegenübergestellt.
der bundesdeutschen Realität hat dies sehr wenig zu tun. Auch hier wäre ein
in die Literatur, die sich mit der Veränderung von Staatlichkeit hin zum "konnprot;ven Staat" und den veränderten Formen der Wahrnehmung von Staatsaufnämlich ünter Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure, sehr hilfreich gewe-
Die Botschaft des Gutachtens lässt sich somit auf eine recht knappe Formel
Danach besteht die notwendige Neu-Orientierung der Sozialpolitik einerseits
staatlichen Garantie funktionierender Märkte sowie andererseits in der Stärlmnll'
subsidiärer Strukturen als Vorbeugemaßnahme wie auch als Korrektiv
Marktversagen. Oder anders ausgedrückt: Auch in diesem Gutachten wird f
generelle Umsteuerung von distributiven bzw. redistributiven zu regulativen Politiken plädiert.
'
Bei dieser Empfehlung handelt es sich aus der Sicht der internationalen :iULldlj!VUU
schen Diskussion mehr oder weniger um einen "alten Hut". Längst wird mit
auf die Folgen der Globalisierung, der Veränderung der Arbeitswelt und der
schlechterverhältnisse konstatiert, dass auch im Bereich der Sozialpolitik rpe",1.
Politiken gegenüber redistributiven zunehmend auf dem Vormarsch
santerweise wird in dem vorliegenden Gutachten die doch umfangreiche
zur Thematik der "Welfare States in Transition", um einen Titel von
dersen aufzugreifen, vollständig ausgeblendet. Das Gutachten vermittelt
druck, als ob sozialpolitische Fragestellungen ausschließlich von Ökonomen
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doch sehr einseitige Perspektive der GutacIiter, die ohne Rücksicht auf Verluste
empirischen Arbeiten zur sozialpolitischen Fragestellung zugunsten einer ver~ichsweise simplen Argumentation "vom grünen Tisch" der Neuen Politischen
?konomie konsequent nicht zur Kenntnis nehmen, führt zu dem Ergebnis, dass die
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wesentlichen Fragen der Sozialpolitik, nämlich wer darüber entscheidet, welche
fentlichen Güter in Zukunft noch bereit gestel1t und wie diese finanziert
überhaupt nicht thematisiert werden. Beispielsweise wird auf den in der
nalen Debatte zunehmend an Bedeutung gewinnenden Bereich der BildungspoJH1K
als Strategie der Gewährleistung von Chancengleichheit nicht eingegangen.
sprechendes gilt für den zunehmenden Einfluss der Europäischen Union gerade aufi
die Gestaltung von Arbeitsmarkt- und Sozhilpolitik. Auch hier rächt sich die stark
unterkomplexe Betrachtung von Staatlichkeit. In grosso modo fasst das Gutachten;
somit den von der Neuen Politischen Ökonomie stark geprägten sozialpolitischen
Diskurs der 80er Jahre zusammen. Als Empfehlung und Handlungsanweisung für,
eine Sozialpolitik, die infolge von Globalisierung und Internationalisierung in entgrenzten Räumen stattfindet, und deren Formulierung im "kooperativen Staat" sich
in Netzwerkstrukturen vol1zieht, ist das Gutachten denkbar ungeeignet, da es an denaktuel1en gesel1schaftlichen und politischen Realitäten im Wesentlichen vorbei
'
gumentiert.
Im Kapitel III werden auf knapp 200 Seiten in vier Beiträgen methodische Fragen
der Erforschung sozialer Probleme und angewandter Sozialforschung thematisiert.
Das Kapitel IV widmet sich mit drei Beiträgen auf 60 Seiten dem kritischen Zusammenhang der Definition sozialer Probleme mit Maßnahmen sozialer Kontrol1e und
professioneller Intervention.
Handbuch soziale Probleme, hrsg. von Ganter Albrecht,- Axel Groenemeyer u.
rich Stallberg. OpladenlWiesbaden: Westdeutscher Verlag 1999. 1035
Broschur. DM 98,-. ISBN 3-531-12117-0
Endlich liegt es nach 10-jähriger Arbeit vor: das Handbuch über ein Thema, das
wie die Bielefeld-Dortmunder Herausgeber meinen - in seinem Werdegang
"Karriere" sozialer Probleme folgt: über die Konstitution eines Kreises TntpTPO'
ter in der Sektion "Soziale Probleme und Soziale Kontrolle" der
schaft für Soziologie in den 70ern, der Theoriedebatte zwischen "Objektivismus":
und Konstruktivismus" und einer Vielzahl spezieller Forschungen, der
zur Erstellung des Werks Ende der 80er über diverse Schreibhemmungen,
blockaden und drohendem Absturz hin zu diesem Ergebnis, einer "Bilanz" mit
Hoffnung, unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen neue Anstöße zu
ben.
Laut Werbetext des Verlags beansprucht das tausendseitige Werk, systematisch
mit einer "klaren soziologischen Orientierung" das disparate Wissen über
Probleme zusammenzufassen. Die Herausgeber selbst gehen etwas skeptischer
indem sie sich immer wieder vor die Frage gestellt sehen, wie der Gegenstandsbe-)
reich und das Spezifische einer Soziologie sozialer Probleme gegenüber Einzelun:,
tersuchungen konkreter Mängellagen begründet werden kann.
Mit diesem Erkenntnisinteresse wird der Leser im Kapitel I "Bausteine einer
rie sozialer Probleme" auf 130 Seiten konfrontiert. Kapitel II präsentiert in
zelbeiträgen auf knapp 700 Seiten "ausgewählte soziale Probleme" (AIDS,
holkonsum, Arbeitslosigkeit, Armut, Drogenabhängigkeit,
Gewalt, Behinderung, Kriminalität, Prostitution, Suizid u. a.), ohne dass in
Beiträgen die vor Drucklegung verfassten grundsätzlichen Fragestellungel1 des
pitels I aufgegriffen werden konnten.
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Drei A~beiten seien in dieser Rezension besonders hervorgehoben: die "theoretischen Bausteine" von Groenemeyer und Karstedt sowie Albrechts umfassender Abriss methodischer Probleme. .In all diesen umfangreichen Beiträgen wird Zweifel an
der derzeit noch modischen konstruktivistischen Richtung deutlich.
Groenemeyer leistet in seinem Beitrag "Soziale Probleme, soziologische Theorie
und moderne Gesellschaften" einen umfassenden internationalen Literaturüberblick. Je nach strukturfunktionalistischer, marxistischer, interaktionistischer
oder konstruktivistischer Blickrichtung beziehen sich die Definitionen sozialer Probleme auf bedingende soziale Strukturen und Situationen und/oder auf Wahrnehmungen, Benennungen,ja "Selbsterzeugungen". Nach letzterem Ansatz würden soziale Probleme unabhängig von bedingenden Strukturen aufgrund von Eigeninteressen kollektiver Akteure in die Welt gesetzt. Interessant für die Soziologie sozialer Probleme sei hier vor allem die Bestimmung der Akteure von Definitionspro'zessen sowie die Art der Thematisierungel1 und Mobilisierungen auch im Rahmen
von Dramatisierung und Moralisierung.
Karstedt reichen Prozessahalysen der Karriere auftauchender Problemthematisierungen durch Akteursgruppen und soziale Bewegungen nicht aus. Vielmehr habe
die Konzentration auf Mobilisierungskonjunkturen letztlich zu der fatalen Annahme geführt, dass soziale Probleme beliebig definiert werden könnten. Sie fordert
"eine deutliche Wendung zurück zu Strukturanalysen" mit Blick auf die strukturellen Voraussetzungen der Konstituierung und Stabilisierung sozialer Bewegungen.
Dies erfordere auch ein Umdenken.in den Forschungsmethoden (über induktive
Fallstudien hinaus zu systematischen Vergleichsuntersuchungen).
Albrechts anschaulicher und profunder methodischer Beitrag zu den besonderen
Herausforderungen und Fallstricken beim empirischen Zugang zu den Betroffenen
schwieriger Lebenslagen und bei der Untersuchung heikler, in politischen Spannungsfeldern angesiedelter sozialer Probleme mündet in einem nüchternen Resümee zur "Qualitätssicherung der Forschung", besonders in der Einschätzung der
sog. qualitativen Forschungsmethoden. Während die sog. quantitativen Forschungsmethoden sich seit langem darum bemühten, auf der Basis objektiver Kriterien die
Qualität des methodischen Vorgehens überprüfbar zu machen, hinke die qualitative
Sozialforschung hier eindeutig hinterher.
Groenemeyer kommt zu dem paradoxen Schluss, dass dem als konservativ gescholtenen Strukturfunktionalismus mit seiner Unterscheidungsmöglichkeit von latenten/manifesten und echten/scheinbaren sozialen Problemen ein kritischeres Potenzial zukomme als dem mit eine~ kritischen Attitüde angetretenen Definitionsansatz,
der die Wirklichkeit in ih~er ungleichen Verteilung von Thematisierungschancen
letztlich nur theoretisch reproduziere.
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In unterschiedlicher Pointierung wird in diesen zentralen Aufsätzen des Handbuchs
über subjektivistische Definitionen - "Social problems are what people think they
are" - hinausgegangen. Groenemeyer schlägt vor, zwischen fachlich diagnostizierbaren "problematischen gesellschaftlichen Bedingungen" und (über kollektives
Verhalten artikulierten) "sozialen Problemen" zu unterscheiden. Erst auf diese
Weise könnten auch "Scheinprobleme" und "Iatente soziale Probleme" identifiziert
werden. Nach Albrecht sei dabei gesellschaftstheoretisch interessant, welche poten, ziell problematisierbaren Sachverhalte nicht thematisiert bzw. ignoriert werden, also
'sozusagen ,abgetriebene' soziale Probleme darstellen. Ressourcen, Interessen,
Machtverhältnisse werden wieder zu aufschließenden Kategorien.
Nach den Worten der Herausgeber hätte das Handbuch seineFunktion erfüllt, wenn
es aus der Gesamtschau der theoretischen Perspektiven heraus eine erneute allgemeinere Diskussion über soziale Probleme und ihre soziologische Analyse in Gang
bringen könnte. - Diese Diskussion muss wohl über eine akademische Selbstvergewisserung hinausgehen. Angesichts einer gesellschaftlichen und sozialpolitischen
Entwicklung, in der soziale Gerechtigkeit zwar noch in politischen Programmen als
Ziel genannt, die politische Praxis aber unverbrämt neue und alte soziale Ungleichheit forciert, steht die neuerliche Thematisierung der "sozialen Frage" auf der Tagesordnung. Gut, wenn die Soziologie darauf vorbereitet ist.
Prof Dr. Fred Karl, Kassel, '
MATERIALIEN UND BERICHTE
Integrationspolitik der Hessischen Landesregierung
Von Marlies Mosiek-Urbahn, Hessische Sozialministerin, Wiesbaden
1. Zur Entstehung und Reichweite der Leitlinien der Integrationspolitikl)
Für die Zukunft unseres Landes ist die Integration der rechtmäßig und dauerhaft in
Deutschland lebenden Mitbürger ausländischer Herkunft von immenser Bedeutung. Nicht nur die Technologiefähigkeit wird unsere Zukunft bestimmen, sondern
mindestens ebenso stark das "Humankapital". Die Welt ist aber kein Versandhaus,
aus dessen Angebot wir uns die gewünschten Zuwanderer aussuchen und wohin wir
sie bei Nichtgefallen zurückschicken könnten. Diese Annahme erwies sich bislang
immer als kurzfristiger Trugschluss. Vielmehr kommt es darauf an, die Vielfalt der
mit langfristiger Perspektive hier lebenden Menschen in die gemeinsame politische
Identität unserer Verfassungsnation einzubinden.
Dieser Prozess einer als Gesellschaftsgestaltung verstandenen zukunftsgerichteten
Integration ist eine langfristige, eine Generationen übergreifende Aufgabe. Das bedeutet aber nicht, dass wir heute die Hände in den Schoß legen dürften. Wenn wir
in der nächsten Zeit in dieser Aufgabe nicht deutlich voran kommen, haben'wir mit
erheblichen zusätzlichen sozialen Spannungen zu rechnen. Diese Aufgabe ist ganzheitlich anzugehen, ohne Scheuklappen, in Anerkennung aller Realitäten und in klarer Rechtsstaatlichkeit und Transparenz. Deshalb setzt sich die Hessische Landesregierungdafür ein, auch die Frage der Zuwanderung gesetzlich zu regeln.
Im Grundgesetz ist der Maßstab für die heutige interkulturelle Gesellschaft vorgegeben. Art. 3 Abs. 3 GG lautet "Niemand darfwegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden."
Dies ist die Grundlage für die Integrationspolitik der Hessischen Landesregierung.
Dazu gehört, dass wir unsere Begrifflichkeit überdenken. Der Begriff "Ausländer"
nämlich trifft den Kern des Problems nicht. Integrationsbedarf besteht bei einem erheblichen Teil der Spätaussiedler, obwohl sie rechtlich keine Ausländer sind. Andere sind rechtlich Ausländer, aber hier aufgewachsen und mit dieser Gesellschaft
Im Frühjahr 2000 veröffentlichte die Hessische Landesregierung ihre Integrationsleitlinien, die in der
Facböffentlichkeit und Presse vielfache Beachtung fanden. Auf Wunsch der Redaktion schrieb die Hessisehe Sozialministerin für nachstehende Einleitung zur politischen Intention und den Sachstand der lnte,grationsbemühungen der Hessischen Landesregierung. Eine Angabe über die zur Integration vorgesehenen erheblichen Landesmittel im Haushalt 2001 war leider zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus haushaltstechnischen Gründen bzw, der Beteiligung mehrerer Abteilungen und Ministerien bei den Integrationsbemühungen (noch) nicht möglich.
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