Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Grundzüge der Wirtschaftspolitik – WS 2002/03 Schlüsselbegriffe 4 Institution: Eine Institution ist ein auf ein bestimmtes Zielbündel abgestimmtes System von Normen einschließlich deren Garantieinstrumente, mit dem Zweck, das individuelle Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern. Institutionen strukturieren unser tägliches Leben und verringern auf diese Weise dessen Unsicherheiten. Institutionen können formal sein (Recht) und informell. Zu unterscheiden ist im Fall formaler Institutionen zwischen Institution im Sinne objektiven Rechts (z.B. das Grundgesetz oder das BGB) und Institutionen im Sinne subjektiven Rechts (z.B. konkretes Eigentum oder der konkrete Anspruch zum Beispiel aus einem Arbeitsvertrag). Institutionen können sich im Extremfall „spontan“ aus dem Eigeninteresse der Individuen entwickeln, d.h. sich selbst organisieren oder – im anderen Extremfall – komplett durch eine Autorität organisiert werden. (Diese Beschreibung lehnt sich an Nobelpreisträger von 1993, Oliver North an.) Organisation: Planmäßigkeit der Anlage, des Aufbaus und der Gestaltung insbesondere in Staat, Politik und Wirtschaft. Anders gesagt: Institutionen einschließlich der sie benutzenden Individuen. Transaktionskosten: Die mit den Vereinbarungen über einen (als gerecht empfundenen) Leistungsaustausch verbundenen Kosten. Transaktionskosten entstehen aufgrund Marktunvollkommenheiten, z.B. unvollständiger Informationen der am Güter- und Leistungsaustausch beteiligten Wirtschaftssubjekte. Transaktionskosten treten auf als a) Anbahnungskosten, z.B. Informationssuche und -beschaffung über potentielle Tauschpartner und deren Konditionen; b) Vereinbarungskosten, z.B. Intensität und zeitliche Ausdehnung von Verhandlungen, Vertragsformulierung und Einigung; c) Kontrollkosten, z.B. Sicherstellung der Einhaltung von Termin-, Qualitäts-, Mengen-, Preis- und evtl. Geheimhaltungsvereinbarungen; d) Anpassungskosten, z.B. Durchsetzung von Termin-, Qualitäts-, Mengen- und Preisänderungen aufgrund veränderter Bedingungen während der Laufzeit der Vereinbarung. 1 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Wirtschaftsordnung: Ordnung: Gesamtheit aller Regeln und Institutionen, die für den Aufbau, das Funktionieren und den Erhalt eines bestimmten Bereiches notwendig sind. Die Wirtschaftsordnung ist somit die Gesamtheit aller Regeln und Institutionen, die für den Aufbau, das Funktionieren und den Erhalt der Wirtschaft notwendig sind. In der maßgeblich von Eucken entwickelten neoliberalen Ordnungstheorie stehen dabei die Planungskompetenzen und der Mechanismus der Plankoordinierung als Analysekriterien im Vordergrund. Eucken zufolge muss in jeder, wie auch immer gearteten, Wirtschaft geplant werden. Diese Konstante des Wirtschaftsgeschehens wird beim „Denken in Entwicklungen” übersehen. Die gesamtwirtschaftliche Ordnung der Planung ist für ihn daher das elementare Klassifikationsmerkmal und der Ausgangspunkt seiner ordnungstheoretischen Analyse („Denken in Ordnungen”). Je nach der Zahl der Planträger unterscheidet Eucken idealtypisch zwischen der Verkehrswirtschaft (Marktwirtschaft) und der zentralgeleiteten Wirtschaft. Wirtschaftskultur: Eine allgemeine Definition von Kultur stammt wiederum von Nobelpreisträger North: „Übertragung von Wissen, Werten und anderen verhaltensrelevanten Faktoren vermittels Lehre und Nachahmung von einer Generation auf die nächste.“ Mithilfe von u.a. der Wirtschaftssoziologie können solche Faktoren in den institutionellen Rahmen aufgenommen werden, um insbes. die langfristige wirtschaftliche Entwicklung zu erklären. Bsp.: die traditionellen asiatischen Werte als Ursache für den Aufschwung der „Tigerstaaten“. Kapitalistische Marktwirtschaft: Konzeption der Wirtschaft, bei der Privateigentum an Produktionsmitteln vorherrscht und die Koordinierung des wirtschaftlichen Geschehens und die Allokation der Ressourcen über den Markt geregelt werden. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln stellt insbesondere die dezentrale Planung von Produktion und Investition sicher. Durch das Gewinnstreben der Kapitalbesitzer und durch die Tätigkeit der von Ihnen eingesetzten Unternehmensleitungen soll die bestmögliche Orientierung des Güterangebots an den Konsumwünschen der Nachfrager sichergestellt und die optimale Nutzung der Produktionsfaktoren erreicht werden. Kapitalistische Planwirtschaft: Konzeption der Wirtschaft, bei der die Eigentumsverhältnisse über Privateigentum, aber die Koordinierung des wirtschaftlichen Geschehens und die Allokation der Ressourcen ganz oder zum großen Teil zentral geregelt wird. Diese Konzeption kann z.B. in 2 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Ausnahmesituationen der Fall sein (Krieg, Notstand etc.). Ferner kann diese Situation auch dann eintreten, wenn das Vertrauen in den Preis in der Marktwirtschaft als bester Knappheitsmesser verloren geht. Sozialistische Planwirtschaft: Konzeption der Wirtschaft, in der es nur Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln gibt und der Allokationsmechanismus zentral geregelt wird. Verzicht auf das Preissystem als Allokationsmechanismus und Orientierung der Betriebe an Plan- und Mengengrößen anstatt am Gewinn. Sozialistische Marktwirtschaft: Konzeption der Wirtschaft, in der es nur Kollektiveigentum an den Produktionsmitteln gibt aber die Allokation dezentral über den Markt abläuft. D.h. unter der Bedingung, daß die Produktionsfaktoren immer noch Kollektiveigentum sind, haben innerhalb dieser Konzeption die Betriebe die Möglichkeit, selber über ihren Einsatz zu entscheiden. Neoliberalismus: Hier werden Forderungen des klassischen Liberalismus. werden aufgegriffen; dieses Konzept wird jedoch aufgrund der Erfahrungen mit dem Laisser-faire-Liberalismus, sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaften und dem konzeptionslosen Interventionismus, der spätestens seit Beginn des 20. Jh. die Wirtschaftspolitik der meisten marktwirtschaftlichen Ordnungen kennzeichnet, korrigiert. Betont wird wieder die Ordnungsabhängigkeit des Wirtschaftens und die Bedeutung privatwirtschaftlicher Initiative. Stärker als dies im klassischen Liberalismus der Fall ist, wird jedoch berücksichtigt, daß der Wettbewerb durch privatwirtschaftliche Aktivitäten bedroht ist, da sich ihm die Marktteilnehmer durch die Erlangung von Marktmacht zu entziehen versuchen. Daher soll der Staat den freien Wettbewerb aktiv vor dem Entstehen privatwirtschaftlicher Marktmacht wie auch vor staatlich verursachter Marktmacht schützen. Ordoliberalismus: Die in Deutschland vertretene Ausgestaltung des neoliberalen Konzeptes wird als Ordoliberalismus bezeichnet, der auf die in den 30er Jahren begründete Freiburger Schule zurückgeht. Freiburger Schule: Aus der Freiburger Universität hervorgegangene Schule (Denk- und Forschungsrichtung), der Namen wie Eucken, Böhm, Großmann-Doerth, Rüstow angehören. Durch die Überwindung des „Denkens in Entwicklungen” (Historische Schule, Marxismus) leistete die 3 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Freiburger Schule einen wesentlichen theoriegeschichtlichen Beitrag. Das „Denken in Ordnungen”, d. h. die Ermittlung der für jede Wirtschaftsordnung konstitutiven Ordnungsformen (Morphologie) und die Analyse der Interdependenzen zwischen den wirtschaftlichen Teilordnungen, rückte in den Vordergrund. Soziale Marktwirtschaft: I. Charakterisierung: Von A. Müller-Armack und L. Erhard konzipiertes wirtschaftspolitisches Leitbild, das ab 1948 in der BRD verwirklicht worden ist. Es greift die Forderung des Ordoliberalismus nach staatlicher Gewährleistung einer funktionsfähigen Wettbewerbsordnung auf, ergänzt jedoch den Katalog wirtschaftspolitischer Staatsaufgaben unter Betonung sozialpolitischer Ziele. Mit diesem Leitbild wird versucht, Ziele und Lösungsvorschläge des Liberalismus, der christlichen Soziallehre und der sozialdemokratischen Programmatik miteinander zu verbinden. Sie ist kein streng in sich geschlossenes Konzept, wodurch der Gestaltungsauftrag an die Träger der Wirtschaftspolitik umfassender und elastischer als beim Ordoliberalismus ist. II. Aufgaben/Instrumente: Neben der Gewährleistung einer freiheitlichen Wettbewerbsordnung wird eine soziale Ausrichtung der Wirtschaftspolitik gefordert. Die Kennzeichnung als sozial erhält diese Konzeption vorrangig nicht durch eine staatliche Umverteilung von Vermögen oder Einkommenschancen, vielmehr wird eine sozialpolitisch motivierte Verteilung der Einkommenszuwächse, die durch eine sinnvolle Ordnungspolitik erst ermöglicht werden, sowie eine sozialorientierte Beeinflussung der Marktprozesse bei Gewährleistung der Marktkonformität der Instrumente angestrebt. Sozial unerwünschte Marktergebnisse sollen durch Beschränkung oder indirekte Beeinflussung der privatwirtschaftlichen Initiative korrigiert werden, tiefgreifende strukturelle Umbrüche werden mittels staatlicher Anpassungsinterventionen in ihren sozialen Folgen gemildert. Die ordoliberale These der prinzipiellen Stabilität des privatwirtschaftlichen Sektors wird nicht vollkommen geteilt und hieraus die Notwendigkeit einer maßvollen staatlichen Konjunkturpolitik mit primär geld-, aber auch fiskalpolitischen Instrumenten abgeleitet. In den sozialpolitisch relevanten Bereichen, in denen Marktversagen zu befürchten ist (soziale Versicherungssysteme), hat der Staat unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips unterstützend einzugreifen oder die Bereitstellung entsprechender Güter und Dienstleistungen selbst zu organisieren. Weitere Aufgaben des Staates sind eine aktive Arbeitsmarkt-, Vermögens-, Wohnungsbau- und Bildungspolitik, Gewährleistung einer 4 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] sozialen Ausgestaltung der Unternehmensverfassung sowie Bereitstellung der für die soziokulturell und wirtschaftliche Entwicklung notwendigen materiellen und immateriellen Infrastruktur. III. Entwicklung: Seit Mitte der 60er Jahre wurde die Ordnungspolitik zunehmend von der Prozeßpolitik verdrängt, die Fiskalpolitik erhielt Vorrang vor geldpolitischen Instrumenten und eine weitgehend paternalistische Politik der Einkommens- und Vermögensumverteilung trat an die Stelle der das Subsidiaritätsprinzip betonenden freiheitlichen Sozialordnung (Wohlfahrtsstaat). Diese konzeptionellen Veränderungen sind durch die wirtschaftspolitische Umorientierung seit 1982 bisher nur teilweise rückgängig gemacht worden. Marktkonformität: Auswahl- und Beurteilungskriterium wirtschaftspolitischer Maßnahmen, nach der diese mit der marktwirtschaftlichen Rahmenordnung übereinstimmen sollen, so daß der MarktPreis- Mechanismus nicht beeinträchtigt wird. Marktkonformität ist in der Systemkonformität bei marktmäßiger Koordination enthalten, aber nicht jede marktkonforme Maßnahme ist auch systemkonform. Beispiel: Zölle tasten nicht den Preismechanismus an; sie sind jedoch systemverschlechternd, da ausländische Anbieter diskriminiert werden (Verstoß gegen die systemnotwendige Bedingung des Diskriminierungsverbots zwischen Marktteilnehmern). Vertreter des Ordoliberalismus und des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft fordern die strikte Beachtung der Marktkonformität. Zunehmende wohlfahrtsstaatliche Eingriffe (Wohlfahrtsstaat, gesamtwirtschaftliche Planung) werden von ihnen auch aus diesem Grund abgelehnt. Ordnungskonformität: Die Bedingung der Ordnungskonformität erfordert, daß die ordnungspolitischen Maßnahmen dem Grundtypus der Wirtschaftsordnung (zentrale oder dezentrale Planung und Koordination des Wirtschaftsprozesses) entsprechen (vgl. z.B. Marktkonformität). Die Wahl des Grundtypus (und ggf. seine Transformation in den jeweils anderen) determiniert den Inhalt der ergänzenden ordnungspolitischen Maßnahmen. Sozialstaat: Art. 20 Abs. 1 GG, Sozialstaatsprinzip. BRD hat die Verpflichtung zur Vermeidung des Entstehens einer extrem ungerechten Einkommensverteilung. Bezüglich der Einkommens und Vermögensverteilung wird nicht nur die Leistungsgerechtigkeit berücksichtigt, sondern auch die Bedarfsgerechtigkeit. 5 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Globalsteuerung: Wirtschaftspolitische Steuerung aller Wirtschaftsbereiche oder –sektoren nach dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz; im Gegensatz zur sektoralen Wirtschaftspolitik. Transformation im monetären Sektor: 1. Reform der Preisbildung und Abbau von Preissubventionen (Ablösung adminstrativer Preis- und Lohnbildung. Beispiel: baltische Staaten verloren Zugang zu billiger, weil subventionierter, Energie und Rohstoffen) 2. Reform des Geld- und Kreditwesens. Dies bedeutet die Schaffung eines zweistufigen Bankensystems (unabhängige Notenbank und Geschäftsbanken) und das Verbot staatlicher Defizitfinanzierung durch die Notenbank. 3. Außenwirtschaft, insbesondere Herstellung von Währungskonvertibilität. Transformation im realen Sektor:1. Reform des Unternehmenssektors durch Sicherung der Gewerbefreiheit, Privatisierung staatlicher Unternehmen durch Verkauf oder unentgeltliche Abgabe von Anteilen (Überführen bestehender Betriebe in privatrechtliche Organisationsformen). Lässt man die Geschwindigkeit und die Reihenfolge vorerst außer Betracht, kann die Privatisierung in folgenden Grundtypen erfolgen: i) Verschenken des "Volkseigentums" an Bürger und/oder Belegschaften oder ii) Verkaufen, wobei prinzipiell a) die informelle Vergabe an einzelne Käufer, b) die Vergabe durch Auktion und c) die Umwandlung der zu privatisierenden Betriebe in Aktiengesellschaften und Verkauf der Anteile am Aktienmarkt mögliche Wege darstellen. Verschiedene Privatisierungsansätze erzeugen verschiedene trade-offs zwischen verschiedenen Zielen! Privatisierende Länder wollen typischerweise viele Dinge: Erhöhung der Effizienz der Verwendung der Vermögensgüter; Depolitisierung der Firmen, schnelle "Erzeugung" von Eigentümern, die die weiteren Reformen stützen; Verbesserung des Zugangs der Firmen zu Kapital und Erfahrung; Aufpolsterung der staatlichen Einnahmen; Ermöglichung einer fairen Verteilung der Gewinne aus der Privatisierung! 6 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] 2. Entflechtung alter Wirtschaftsstrukturen, also insbesondere die Entflechtung von Bürokratien und Großunternehmen (Kombinate und Konglomerate) sowie die Liberalisierung des Güter- und Kapitalverkehrs („Einfuhr“ von Wettbewerb). Transformation des Rechts- und Verwaltungssystems: 1. Aufbau eines geeigneten Wirtschaftsrechts mit Handelsrecht, Insolvenzrecht, Wettbewerbsrecht und der Definition von Eigentumsrechten (Property Rights) zur Sicherung eines anreizkompatiblen institutionellen Rahmens zur Leistungsmotivation (Institutionenökonomie) 2. Aufbau eines funktionsfähigen Steuersystems, also die Etablierung von Unternehmenssteuern, Einkommensteuern und Verbrauchssteuern. Eine Empfehlung des Internationalen Währungsfonds (IWF) war, Steuern zu erhöhen, anstatt Ausgaben zu senken. Dies führte in vielen Fällen zu Steuerhinterziehung. (Wegen geringerem Wirtschaftswachstum war auch noch die Steuerbasis verkleinert.) 3. Umfassende Verwaltungsreform, also die Zerschlagung bürokratischer Machtstrukturen und der Aufbau einer öffentlichen Verwaltung. Eine Alternative zur Unterteilung in monetären, realen und Verwaltungssektor ist die Unterteilung der zu reformierenden Elemente in Ordnungs-, bzw. Prozesspolitik: Reformelemente der Ordnungspolitik: - Freie Preisbildung (Preisbildung auf den Märkten), - Privateigentum an Produktionsmitteln, - Unternehmensverfassung, - Durchsetzung sonstiger Elemente der Rechtsordnung eines Rechtsstaates (Polizei, Justiz), - Funktionierende Verwaltung (Gewerbeaufsicht, Grundbuchämter usw.), - Geldverfassung (selbständige Zentralnotenbank; zweistufiges Bankensystem), - Liberalisierung von Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr (insbes. Bzgl. ausländischer Direktinvestitionen). Reformelemente der Prozesspolitik: - Neuordnung der Finanzpolitik (Steuersystem, sonstige Staatseinnahmen, Staatsausgaben), - Geldpolitik in alleiniger Kompetenz der Zentralnotenbank, - Änderung des Wechselkursregime, - Konvertibilität der Währung, 7 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] - Reform der Sozialpolitik - Maßnahmen zur Infrastrukturpolitik (Verkehrswege, Telekommunikation). Schocktherapie: Diese Transformationsstrategie entspricht ordoliberalen Überlegungen: Wie der Name schon sagt, soll es eine schnelle und gleichzeitige Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung geben. Alle drei werden möglichst bald begonnen und so schnell wie möglich vollzogen. Probleme: - (Zumindest vorübergehend) hohe bis sehr hohe Arbeitslosigkeit - Engpässe bei personellen und administrativen Kapazitäten Letzteres führt zwangsläufig zu einer ungewollten Streckung, d.h. Verlangsamung des Prozesses. Gradualismus: Schrittweise Transformation. Hierbei spielen industrie- und sozialpolitische Überlegungen eine Rolle. Die Wirtschaftsstruktur wird einigermaßen beibehalten. Staatsunternehmen werden, soweit sanierungsfähig, weiterhin unterstützt. Privatisierung, Liberalisierung und Deregulierung werden hinausgezögert. Probleme: Mit dem Unterstützen der großen Industrieunternehmen ist eine fortdauernde Unsicherheit vorhanden. Dazu gehört, dass die Notenbank (noch) nicht wirklich unabhängig sein kann. Fraglich ist auch die Entscheidung über Reihenfolge und Zeitpunkte der Deregulierungen geschützter Wirtschaftszweige. Die Unsicherheit reduziert die Investitionsneigung der inländischen Unternehmer und ausländischer Direktinvestoren. Positiv ist hingegen die abgemilderte Wirkung der Transformation auf Arbeitsmarkt und Sozialsystem. Sequencing: führt zu unterschiedlichen Phasen des Transformationsprozesses: Antizipationsphase (von der Bekanntgabe von Plänen bis zur Durchführung von ersten grundlegenden Maßnahmen zur Schaffung einer neuen Wirtschafts-Ordnung), Kernphase (Konstruktion und Implementierung neuer Regeln und Institutionen) und Lernphase (Anpassung des Verhaltens an die neuen Rahmenbedingungen). Ein weiteres Problem liegt dann aber in der richtigen Sequenz der Schritte: (1) Geht die Sanierung der Privatisierung voraus? (2) Muss zuerst die Marktstruktur verbessert werden, bevor man die Preise freigibt? Soll die Dezentralisierung vor oder nach der Realisierung marktwirtschaftlicher Rahmenbedingungen (Schaffung eines Finanzsektors oder Verbesserung der Infrastruktur) erfolgen? Einige Wissenschaftler verweisen auf Erfahrungen mit Entwicklungsländern und schlagen folglich eine genau ausgearbeitete Reihenfolge der Schritte vor: (1) Reduktion der Staatsausgaben und breite 8 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Basis für Steuereinnahmen (zur Reduktion oder Vorbeugung einer zunehmenden Staatsverschuldung); (2) Privatisierung und Liberalisierung der Finanzmärkte; Begrenzung des Kreditwachstums zur Inflationsvorbeugung; (3) Freigabe der inländischen Preise und Liberalisierung des Außenhandels. An letzter Stelle erst steht dann (4) die Währungskonvertibilität und die Aufhebung der internationalen Kapitalverkehrsbeschränkungen (vergleiche McKinnon, 1991). Zusammenfassend kann man allerdings fragen, ob es die prinzipielle Möglichkeit zwischen dem "big bang" oder einem "langsamen Übergang" zu wählen überhaupt gab. Die Weltbank und der IWF sind der Auffassung, das es nur den "big bang" gibt und gab – alle osteuropäischen Länder nahmen den Big-Bang-Ansatz mit einem tiefen Fall des outputs (bzw. BSP) – im Prinzip hatten sie gar keine andere Wahl, als schnell zu freien Preisen und konvertiblen Währungen überzugehen. Diese Strategie sei durch die politischen Umstände und die Wirtschaftsstruktur diktiert! [China und Vietnam, die Länder, die die Kritiker als Gegenbeispiele hervorheben, begannen ihre Reformen nicht im "Morgengrauen" großer revolutionärer politischer Veränderungen!] Freihandelszone: Zwischen den Integrationspartnern werden alle tarifären (Zölle) und nichttarifären Handelshemmnisse (sonstige Handelsbeschränkungen wie Importquoten, etc.) abgebaut, aber die jeweiligen nationalen Außenhandelsregulierungen gegenüber Drittstaaten beibehalten. Zollunion: Zusätzlich zu den Maßnahmen einer Freihandelszone wird eine gemeinsame Außenhandelspolitik gegenüber Drittstaaten praktiziert. Gemeinsamer Markt: Zusätzlich zur Liberalisierung des Güterhandels werden administrative Beschränkungen der Faktormobilität zwischen den Partnerländern aufgehoben. Dies bedeutet Liberalisierung des Kapitalverkehrs, Freizügigkeit für Arbeitskräfte und Niederlassungsfreiheit für Unternehmen. Um die optimale Allokation der Produktionsfaktoren zu sichern, ist eine Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen nötig, z.B. in der Wettbewerbs- oder Steuerpolitik. Wirtschaftsunion: Aufbauend auf dem Gemeinsamen Markt werden Bereiche der Ordnungspolitik (Wettbewerbspolitik, Sozialpolitik), der Strukturpolitik (Verkehrspolitik, Industriepolitik) und der Prozesspolitik harmonisiert. 9 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Wirtschafts- und Währungsunion: Aufbauend auf einer Wirtschaftsunion (oder auch unabhängig davon) wird eine gemeinsame Währungspolitik eingeführt. Dies bedeutet entweder unwiderruflich feste Wechselkurse und absolut freie Konvertibilität der Mitgliedswährungen oder die Einführung einer einheitliche gemeinsamen Währung. Montanunion / EGKS: ("Pariser Vertrag", 18.4.51, inkraftgetreten 23.7.52) Die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) oder Montanunion ist der erste freiwillige Zusammenschluß Europäischer Staaten, vor allem der BRD, Frankreich, Italien und die Beneluxländer. In Zeiten der Brennstoffknappheit sollte die EGKS eine gleichmäßige Verteilung der Energieträger vor allem für den Wiederaufbau und die in enormem Wachstum begriffene Wirtschaft gewährleisten. Durch die Aufhebung der Handelsschranken und die Schaffung einer überstaatlichen Organisation mit weitgehenden Hoheitsrechten konnte in diesem Bereich ein enormes Umsatzwachstum erzielt werden. EWG - Europäische Wirtschaftsgemeinschaft: ("Römische Verträge" 1957) Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union (EG, EU). Erweiterung der Zollunion auf alle Sektoren: „Abschaffung aller Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen bei der Ein- und Ausfuhr von Waren sowie aller sonstige Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen Mitgliedsländern. Einführung eines gemeinsamen Zolltarifs und einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittländern.“ Vier Grundfreiheiten wurden festgeschrieben: 1. Freier Waren- und 2.Freier Dienstleistungsverkehr, 3. Uneingeschränkte Kapitalmobilität, 4. Freizügigkeit von Arbeitskräften und Niederlassungsfreiheit Cassis de Dijon-Urteil (1979): 20.2.1979: Im Cassis-de-Dijon-Urteil erklärt der Europäische Gerichtshof, daß die Verbraucher ein Recht auf unbeschränkten Zugang zu Produkten aus anderen Mitgliedstaaten haben, sofern das betreffende Erzeugnis rechtmäßig hergestellt und vertrieben wird und eine Einfuhr unter gesundheitlichen und ökologischen Gesichtspunkten unbedenklich ist. Anwendung des Ursprungslandprinzips. Dies bedeutet, dass nationale Vorschriften zwar von Bedeutung sind, aber gegenseitige Anerkennung zu erfolgen habe. Dieses Urteil diente der EUKommission als Basis für ihre Binnenmarktstrategie, da Harmonisierungen nun nur Regelungen betreffen, für die zwingende nationale Erfordernisse gelten. 10 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Delors-Plan (1989): Konzept für den Übergang zu einer Wirtschafts- und Währungsunion in drei Stufen: Prinzipiell nur nach Deutschem Muster möglich, da sonst keine Teilnahme Deutschlands (der mit Abstand wirtschaftlich größten Landes in Europa. Dieser Plan sah deshalb eine Haushaltsdisziplinierung (ohne Sanktionen) vor, um die Grundlage für strenge( re) Geldpolitik zu erreichen. Europäisches Währungsinstitut, EWI: Errichtet in der zweiten Stufe de Delors-Plans (seit 1.1.94) als institutionelle Voraussetzung zur Durchführung der Währungsunion. Abgelöst durch die Europäische Zentralbank, EZB. Europäische Zentralbank, EZB: Nachfolge des EWI (seit Beginn der 3.Stufe am 1.1.99): zentraler Pfeiler des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und daher für die gesamte EU zuständig, d.h. prinzipiell für alle Mitgliedsstaaten. Organisationsstruktur: Oberstes Organ ist der EZB-Rat, der aus z.Zt. 12 Notenbankpräsidenten und den sechs Mitgliedern des EZBDirektoriums besteht. Alle zwei Wochen wird getagt. Er ist zuständig für die Leitlinien und strategische Fragen der Geldpolitik, z.B. geldpolitische Strategie (Geldmengensteuerung, Inflation targeting, Wechselkursziel) oder die Position der EZB bzgl. eigener Transparenz. Er fasst Beschlüsse zur Festsetzung der Zinssätze und geldpolitischen Zwischenzielen. Das Direktorium besteht aus Präsidenten, Vizepräsidenten, und vier weiteren Mitgliedern, die zur Wahrung der Unabhängigkeit auf einmalig 8 Jahre berufen werden. Politische Probleme gab es bekanntlich bei der Ernennung Wim Duisenbergs. Eine Erweiterung der EU (nach Osten) würde den Einfluß des Direktoriums von derzeit 1/3 auf 22% (bei gleicher institutioneller Struktur und 27 Mitgliedsländern) sinken lassen. Eine neue Struktur, die ein abgestuftes Rotationsprinzip für die Verterter der Länder vorsieht, ist gerade in der Diskussion. Oberstes Ziel der EZB ist die Wahrung der Preisstabilität. Weitere Zuständigkeiten sind die Stabilität des Finanzsystems, Konsultationstätigkeit der EZB, die Erhebung statistischer Daten und die Berichterstattung (Monatsberichte, Jahresbericht) 11 Prof. Dr. Rainer Klump Dr. Michael Grote J.W. Goethe-Universität, Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, insb. Wirtschaftliche Entwicklung und Integration Schumannstr. 60, 60325 Frankfurt/M., Tel. 069 – 798-22288 Email: [email protected] Konvergenzkriterien: Im Maastrichter Vertrag wurde festgelegt, welche Konvergenzkriterien ein Land erfüllen muss, um an der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) teilnehmen zu können. Diese Teilnahmekriterien enthielten Bestimmungen zu Preisen, Zinsen, Staatsfinanzen, Wechselkursen und nationalen Notenbanken. Voraussetzung ist, dass nur solche Länder Zutritt zur WWU bekamen, die glaubwürdig ihre Stabilitätsdisziplin nachgewiesen hatten. Im einzelnen lauten die Konvergenzkriterien wie folgt: Preisstabilität: Inflation darf nicht mehr als 1,5% über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder liegen. Zinssätze: Langfristige Zinsen dürfen nicht mehr als 2% über dem Durchschnitt der drei preisstabilsten Länder liegen. Defizit: Staatliches Budgetdefizit (Nettoneuverschuldung) darf nicht mehr als 3% des BIP betragen. Schulden: Staatsschulden dürfen nicht mehr als 60% des BIP betragen. Währungsstabilität: Die Währung darf in den letzten zwei Jahren nicht abgewertet worden sein und sollte in einer „normalen Bandbreite“ von ursprünglich 2,25% des Wechselkursmechanismus im Europäischen Währungssystem (EWS) schwanken. Da das letzte Kriterium im Zuge der EWS-Krise 1992/1993 auf eine Schwankungsbreite von 15% gelockert worden ist, herrscht hier Uneinigkeit über die Anwendung des Kriteriums bei der Osterweiterung. 12