21. November 2016 Seite: 9 Autor: SIMON HEHLI Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich tel. 044 258 11 11 www.nzz.ch Auflage 110'854 Reichweite 274'000 Erscheint 6 x woe Ex. Leser Indien als einziger Ausweg Weil die Krankenkassen nicht für Hepatitis -C -Medikamente aufkommen wollen, Zürcher Hochwirksame Medikamente sind in der Schweiz horrend teuer. Daher erhalten viele Hepatitis -C -Erkrankte keinen Zugang zu ihnen. Betroffene greifen nun zur Selbsthilfe so auch eine 43 -Jährige, die einst an der Nadel hing. Arud-Zentren für Suchtzum Schluss, dass ihre Müdigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die Infektion zurückzuführen sei. Ohne Behandlung besteht ein erhöhtes Risiko, eine Leberzirrhose zubekommen, an Diabetes zu erkranken oder einen Schlaganfall oder Herzinfarkt zu erleiden. Bruggmann stellte deshalb ein Gesuch an Müllers Krankenkasse, die Kosten für die Behandlung mit dem Medikament Harvoni zu übernehmen. Das Problem: Die Mittel neuster Generation sind enorm teuer, in Müllers Fall würden sie rund 50 000 Franken kosten. In der Schweiz leben Zehntausende Menschen mit Hepatitis C. Bekämen sie alle die Medikamente, entstünden für die Prämienzahler Kosten in Milliardenhöhe. Deshalb beschränkt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) den Zugang. Nur Patienten, bei denen die Erkrankung der Leber fortgeschritten ist oder die weitere Erkrankungen der Haut oder der Nieren aufweisen, erhalten bis jetzt die Medikamente vergütet. Laut BAG ist diese Einschränkung sinnvoll, «da eine Hepatitis -C -Infektion häufig mild verläuft und viele der Patientinnen und Patienten mit einer chronischen Infektion gar keine Symptome haben». Marlene Müllers Leber ist zu wenig geschädigt, als dass sie zum Kreis der Bezugsberechtigten gehören würde. Aus Sicht der Krankenkasse reichten auch die Erschöpfungserscheinungen nicht für eine Kostengutsprache. «Ich hatte haarsträubende Gespräche mit dem Vertrauensarzt der Kasse irgendwann mussten wir aufgeben», sagt Arzt Bruggmann. medizin kam — «Ich wusste ja, dass sie kein Aids hatte.» Und so tauschte Marlene Müller* ihre Spritzen mit einer Freundin aus. Es waren die frühen neunziger Jahre, in der Heroinszene herrschte Angst vor HIV an andere Infektionskrankheiten dachte damals kaum jemand. Nur acht Monate lang hing Müller an der Nadel. Dann schaffte die 18 -jährige Innerschweizerin, die wegen psychischer Probleme in Drogenkreise geraten war, den Ausstieg. Therapien und Methadon halfen. «Seither führe ich ein normales, drogenfreies Leben», erzählt die heute 43 -Jährige. Doch eine Erinnerung an diese Zeit ist ihr geblieben: die chronische Hepatitis -C -Erkrankung, übertragen durch die verseuchte Spritze ihrer Freundin. Müller leidet seither an Konzentrationsschwierigkeiten und ist oft sehr müde, auch depressive Phasen durchlebte sie typische Symptome von Hepatitis C. Noch in den 1990 er Jahren begann sie eine Therapie, brach sie aber wieder ab, weil die Medikamente nicht anschlugen. Jahrelang versuchte sie, die Krankheit zu verdrängen, so gut es eben ging. Weitere Therapien wollte sie nicht auf sich nehmen. Zu heftig waren die — — Nebenwirkungen, welche die Mittel frü- — Einfuhr ist legal her hatten. Doch als vor wenigen Jahren hochwirksame Medikamente auf den Markt kamen, die kaum unliebsame Begleiterscheinungen haben, schöpfte Müller neue Hoffnung. Die 50 000 Franken aus der eigenen Tasche zu bezahlen, das kann sich Marlene Müller nicht leisten. Doch Philip Bruggmann kannte einen Ausweg: Er vermittelte ihr einen Kontakt zum FixHepC Buyers Club in Australien; dieDrohende Milliardenkosten ser hilft Hepatitis -Patienten, an auf EchtSie wandte sich an den Hepatitis -Exper- heit getestete, massiv günstigere Geneten Philip Bruggmann. Der Chefarzt der rika aus Indien heranzukommen. Müller überwies rund 1700 Franken nach Austel. 041 624 99 66 www.management-tools.ch setzen Patienten auf Generika aus dem Ausland tralien. Nach einer telefonischen Konsultation mit einem indischen Arzt bekam sie dann per Post das Medikament zuge- - schickt; im Internet konnte sie nach verfolgen, wo die Lieferung gerade war. «Dank dem Buyers Club können wir sicherstellen, dass unsere Patienten keine gefälschten und potenziell schädlichen Medikamente bekommen», sagt Bruggmann. Illegal ist der Import zum Eigengebrauch nicht, wie auch die Zulassungsstelle Swissmedic bestätigt. Müller bekam die erste Lieferung im Juli dieses Jahres, im September waren alle drei Packungen da, so dass sie mit der Behandlung beginnen konnte. Die Ärzte beschränken die Bluttests in der Therapie auf ein Minimum, um keine Probleme mit der Krankenkasse zu bekommen. Diese könnte sich sonst weigern, die Laboruntersuchungen zu bezahlen. Für Müller ist das ebenso bedenklich wie die Tatsache, dass sie überhaupt auf den indischen Bezugskanal ausweichen musste. «Wir leben doch nicht in einem Drittweltland!» Philip Bruggmann hofft, dass durch die steigende Zahl der Selbstimporte von Hepatitis -Medikamenten der Druck auf die Pharmakonzerne steigt, die Preise zu senken. Diese liegen ein Zigfaches über den Herstellungskosten. Doch auch die Politik müsse sich bewegen, sagt der Arzt: «In der Schweiz sterben fünfmal mehr Menschen an Hepatitis als an Aids, und trotzdem gibt es keine Aufklärungskampagne.» Behandlung für Drogensüchtige Das BAG hat Ende Oktober Bereitschaft signalisiert, die Restriktionen für den Medikamentenbezug etwas zu lockern. Neu sollen auch Hepatitis -C -Kranke, die Drogen spritzen, behandelt werden. Denn bei dieser Gruppe besteht die grösste Gefahr, dass sie die Infektion weiterverbreitet. Profitieren würden auch Patienten, die gleichzeitig mit HIV oder Hepatitis B infiziert sind. Eine Gruppe von Hepatitis -Experten, die das BAG im Vorfeld konsultiert hat und zu denen auch Philip BruggClipping-Nr. 2192601648 Clipping-Seite 1/2 21. November 2016 Seite: 9 Autor: SIMON HEHLI Neue Zürcher Zeitung 8021 Zürich tel. 044 258 11 11 www.nzz.ch mann gehört, äusserten in einem offenen Brief ihr Missfallen. Ihr Ruf nach einer völligen Aufhebung der Limitation verhallte ungehört. Bruggmann hält die neuen Vorgaben des BAG für nicht praktikabel: «Wie sollen wir als Ärzte denn nachweisen, dass ein Patient Drogen konsumiert?» Ausserdem sei es aus ethischer Sicht fragwürdig, wenn ein Auflage 110'854 Reichweite 274'000 Erscheint 6 x woe Heroinsüchtiger die Medikamente beeine junge Frau, die eine Schwangerschaft plant, aber nicht. Marlene Müller hätten auch die neuen Regeln nichts genützt ihre Dro- kommt, — genzeit liegt ja schon lange zurück. Jeden Abend um 19 Uhr nimmt sie jetzt ihre Tablette, die einen Dreissigstel so teuer ist wie das Originalpräparat. Nebenwir- tel. 041 624 99 66 www.management-tools.ch Ex. Leser kungen spürt sie keine. «Ich habe mich sogar gefragt, ob die Pillen überhaupt Wirkstoffe enthalten», sagt sie lachend. Noch ist es zu früh, als dass sie als geheilt gelten kann. Doch aus ihrem Blut sind bereits alle Hepatitis -C -Viren verschwunden. * Name von der Redaktion geändert. Clipping-Nr. 2192601648 Clipping-Seite 2/2