Gott wirkt in der Geschichte

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Glaubenssache online
Woche 4
Greift Gott in die Geschichte ein?
Kursbrief verfasst von Bernhard Waldmüller
Für die Bibel ist es vollkommen klar, dass Gott in die Geschichte eingreift. Aber sie erzählt sehr
sensibel vom Eingreifen Gottes. Das kann man gut an der Gründungslegende des Volkes Israel
sehen, der Geschichte vom Auszug (Exodus) aus Ägypten. Die Erzählung beginnt folgendermassen:
Ein Text aus der Bibel: die Exoduserzählung
Das Volk Israel lebte einst in Ägypten, wohin es wegen einer Hungersnot zu ziehen gezwungen war.
Dort ging es den Israeliten zunächst gut. Doch plötzlich änderte sich die Situation: Ein
Regierungswechsel brachte einen neuen Pharao an die Macht. Und in Ägypten wurden die Israeliten
plötzlich als „Ausländer“ wahrgenommen. Die Einheimischen bekamen Angst „überfremdet“ zu
werden, und die Regierung ergriff Zwangsmassnahmen: Zuerst mussten sie die „Drecksarbeit“
erledigen und wurden zu harter Sklavenarbeit gezwungen. Schliesslich durften sie nicht einmal mehr
Kinder bekommen, und wenn doch, so wurden diese getötet. Mose, der diesem Kindermord auf
wunderbare Weise entronnen und schliesslich am Königshof aufgewachsen war, kann das Elend
seines Volkes nicht mehr mit ansehen: Im Affekt tötet er einen ägyptischen Aufseher und muss aus
Ägypten fliehen. Dieser erste ohnmächtige Befreiungsversuch ist gescheitert. Im Exil gründet Mose
eine neue Existenz, hat Frau und Kinder und hütet die Schafe seines Schwiegervaters.
So weit die Geschichte. Und bisher kein einziges Wort von Gott.
Wie Gott ins Spiel kommt: Die Berufung des Mose
Doch dann bringen die Erzähler Gott ins Spiel:
Die Israeliten stöhnten … unter der Sklavenarbeit; sie klagten und ihr Hilferuf stieg aus ihrem
Sklavendasein zu Gott empor. Gott hörte ihr Stöhnen und Gott gedachte seines Bundes mit Abraham,
Isaak und Jakob. Gott blickte auf die Kinder Israels und gab sich ihnen zu erkennen. (Ex 2,23f)
Wie man sich das vorstellen muss, wird wieder in einer Geschichte erzählt: der Berufungsgeschichte
des Mose.
Mose hütete die Schafe und Ziegen seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Als er die
Herde tief in die Wüste hineintrieb, kam er eines Tages an den Gottesberg, den Horeb. Dort erschien
ihm der Engel Gottes in einer lodernden Flamme, die aus einem Dornbusch schlug. Mose sah nur den
brennenden Dornbusch, aber es fiel ihm auf, dass der Busch von der Flamme nicht verzehrt wurde.
(Ex 3,1f)
Mose treibt seine Tiere über die Steppe, in der sie normalerweise weiden, hinaus. Er überschreitet
quasi eine Grenze und kommt in die Wüste. Die Bibel erzählt oft davon, dass wesentliche Erfahrungen
in der Wüste stattfinden. Die Wüste ist der Ort jenseits des Alltäglichen. Sie macht bewusst, wie
zerbrechlich und begrenzt unser Leben ist und ist dadurch auch der Ort, an dem wir auf uns selber
zurückgeworfen werden, an dem sich unser Leben auf das Wesentliche konzentrieren kann. Und die
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Wüste ist der Ort, an dem wir die Erfahrung von etwas machen können, was uns unendlich übersteigt,
uns überwältigt, uns aber auch trägt und zu etwas Neuem ruft. Die Wüste ist ein Ort der
Gottesoffenbarung.
Der Dornbusch in der Wüste, den Mose sieht, ist ein dürres Gestrüpp, eigentlich nur als Brennmaterial
zu gebrauchen. Doch dieser Dornbusch verbrennt nicht. Er bleibt hell und licht Das ist doch seltsam“,
dachte er. „Warum verbrennt der Busch nicht? Das muss ich mir aus der Nähe ansehen!“ (Ex 3,3)
Womöglich ist das, was Mose äusserlich sieht, etwas in ihm selbst: Vielleicht erkennt Mose im
Dornbusch sich selbst wieder. Er, der ausländische Flüchtling, fristet sein Leben als Schafhirte. Das
klingt nicht gerade nach der Erfüllung seiner Träume. Dürre und Fruchtlosigkeit sind durchaus Worte,
die auf ihn passen. Andererseits könnte der brennende und nicht verbrennende Dornbusch die
Sehnsucht des Mose abbilden: Die Sehnsucht, für etwas begeistert und entflammt zu werden.
Als Gott sah, dass Mose näher kam, rief er ihn aus dem Busch heraus an: „Mose! Mose!“ „Ja“,
antwortete Mose, „ich höre!“ (Ex 3,4)
Mose hört aus dem Dornbusch seinen Namen. Er macht die innere Erfahrung: Ich bin gemeint –
unverwechselbar, unersetzlich. Und Mose antwortet auf den Ruf schlicht: „Ich höre!“ „Hier bin ich!“ Er
ist präsent, jetzt und hier. Es ist nicht leicht, wirklich im Moment gegenwärtig und für diesen Moment
präsent zu sein. Oft sind wir noch oder schon mit etwas anderem beschäftigt. Und wir verpassen den
wichtigsten Moment. Mose sagt: „Hier bin ich.“
„Komm nicht näher!“ sagte Gott. „Zieh deine Schuhe aus, denn du stehst auf heiligem Boden.“ (Ex
3,5)
Mose geht nicht ganz zu dem Dornbusch hin. Ein Zwischenraum bleibt. Er zieht die Schuhe aus und
bringt damit zum Ausdruck, dass er auf heiligem Boden steht. Das Göttliche, das sich dem Mose zeigt,
bleibt gleichzeitig verborgen. Gott bleibt unverfügbar. Letztlich braucht es diese Spannung auch
zwischen Menschen: die Nähe, aber auch eine gewisse Distanz.
Dann sagte er: „Ich bin der Gott, den dein Vater verehrt hat, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs.“
Da verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzusehen. (Ex 3,6)
Mose fängt nicht völlig neu an. Er kann auf Erfahrungen seiner Vorfahren zurückgreifen. Er weiss
darum, dass sich der Glaube an diesen Gott bereits im Leben von Menschen bewährt hat. Er ist Teil
einer viel grösseren Geschichte. Er steht in einer Gemeinschaft von Lebenden und Toten.
Weiter sagte Gott: „Ich habe genau gesehen, wie mein Volk in Ägypten unterdrückt wird. Ich habe
gehört, wie es um Hilfe schreit gegen seine Antreiber. Ich weiss, wie sehr es leiden muss, und bin
herabgekommen, um es von seinen Unterdrückern zu befreien. Ich will es aus Ägypten führen und in
ein fruchtbares und grosses Land bringen, ein Land, das von Milch und Honig überfliesst. Ich bringe
es in das Land der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter. Ich habe den
Hilfeschrei der Leute von Israel gehört, ich habe gesehen, wie grausam die Ägypter sie unterdrücken.“
(Ex 3,7-9)
In der Begegnung mit Gott wird Mose an das Leid seines Volkes erinnert, das er weit hinter sich
gelassen hatte. Seine Geschichte holt ihn ein: Das Elend wird sichtbar, die Klagen werden hörbar.
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Gleichzeitig vernimmt Mose eine Verheissung. Der Weg in ein neues Land, in ein anderes Leben wird
erkennbar. In ein Traumland, in dem Milch und Honig fliessen, in ein Land, das ganz von dieser Welt
ist, denn es leben bereits Menschen darin, Menschen aus verschiedenen Völkern. Damit ist auch das
Traumland in die Realität geholt. Es sind aber auch schon die Herausforderungen und Konflikte der
Zukunft benannt, die bis in unsere Gegenwart reichen: Wie kann das Zusammenleben im
verheissenen Land gelingen? Im Moment ist es in erster Linie eine Verheissung, die Verheissung,
dass das Elend ein Ende haben kann und ein anderes Leben möglich ist.
„Deshalb geh jetzt, ich schicke dich zum Pharao! Du sollst mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten
herausführen.“ (Ex 3,10)
Die Gotteserfahrung am brennenden Dornbusch wird für Mose zur ganz konkreten Berufung. Er soll
derjenige sein, der sein Volk aus Ägypten führt. Nur so kann Gott in der Geschichte wirken: Dass
Menschen sich berufen fühlen, dass sie seinen Willen tun, dass sie aufstehen gegen Ungerechtigkeit
und den Leidenden und Unterdrückten neue Perspektiven eröffnen.
Gott wirkt durch Menschen wie Mose
Dass das nicht einfach ist, solche Menschen zu finden, erfahren wir im Fortlauf der Mosegeschichte:
Mose hat viele Einwände gegen diese Berufung. Er fühlt sich hilflos und machtlos. Und reden kann er
offensichtlich auch nicht – sagt er. Doch Gott lässt nicht locker. Er ermutigt und ermächtigt ihn. Er
stärkt ihm den Rücken. Und aus Mose wird ein mutiger Anführer seines Volkes, der sich auch vor dem
mächtigen Pharao nicht fürchtet. Schliesslich kann Gott sein Volk tatsächlich aus Ägypten befreien
und in eine neue Zukunft führen – durch Mose.
Fragen zum Weiterdenken
•
Was löst die biblische Vorstellung von einem Gott, der durch Menschen wie Mose wirkt, bei
Ihnen aus?
•
Kennen Sie ähnliche Erfahrungen, dass Sie sich zu etwas berufen fühlen?
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