SEMINAR Tipps zur Vorbereitung und Nachbetreuung Op.-Fahrplan für Ihren Diabetiker MMW-Fortbildungsinitiative: Diabetologie für den Hausarzt Regelmäßiger Sonderteil der MMW-Fortschritte der Medizin N. Lotz Herausgeber: Fachkommission Diabetes in Bayern – Landesverband der Deutschen Dia­betesGesellschaft, Dr. med. Andreas Liebl (1. Vorsitzender) m&i-Fachklinik Bad Heilbrunn Wörnerweg 30, D-83670 Bad Heilbrunn Steht bei einem Ihrer Diabetiker eine Operation an, müssen Sie an eine Vielzahl von Dingen denken: Welche Vorbefunde müssen erhoben werden, ist der Therapieplan aktuell, muss Metformin abgesetzt oder eine Sulfonylharnstofftherapie durch Insulin ersetzt werden, welche Begleiterkrankungen hat Ihr Patient sonst noch etc.? Damit Sie nichts Wichtiges vergessen, die Operation reibungslos abläuft und auch die Nachbetreuung klappt, gibt unser Autor praxisnahe Tipps. Diabeteszentrum am MVZ KemptenAllgäu _ Sowohl die Prävalenz des Diabetes mellitus von 7,2% in der deutschen Bevölkerung [1] wie auch die Multimorbidität dieser Patientengruppe legen jedem Arzt nahe, sich im Falle einer Operationsplanung mit einer optimalen prä- und postoperativen Behandlungsstrategie für diese Patienten auseinanderzusetzen. Neben den vielen Beispielen, die einen reibungslosen Ablauf der Diabetesbetreuung rund um eine Operation oder therapeutische Intervention belegen, treten auch weniger günstige Situationen auf, die vermeidbar sind. Ein mit oralen Antidiabetika behandelter, hilfloser Patient, der am späten Nachmittag den Hausarzt kontaktiert, weil eine orthopädische Corticoidinjektion den Glukosewert auf 400 mg/dl ansteigen ließ, darf als nicht optimal aufgeklärt und behandelt gelten. Auch ein chirurgischer Stationsarzt, der einen älteren Patienten nach einem möglicherweise nicht mehr aktuellen Medikamentenplan (evtl. vom lange zu- MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2013 (155. Jg.) rückliegenden Aufenthalt in einer Diabetesklinik) versorgen muss, auf dem „Insulin nach Plan“ (evtl. nicht mehr vorhanden) steht, läuft Gefahr, die Vorbereitung zur Operation nicht optimal durchführen zu können. Dies ist jedoch von großer Bedeutung, da Patienten mit Diabetes mellitus ein erhöhtes Risiko für perioperative Infektionen sowie für postoperative Komplikationen haben. Andererseits sollte der Diabetes mellitus bei gut organisiertem perioperativem Management keine Kontraindikation im Hinblick auf die perioperative Mortalität, auch bei größeren chirurgischen Eingriffen wie z. B. einer Herz­ operation, darstellen [2]. TIPP: Die Diagnose „Diabetes mellitus“ sollte per se kein Grund sein, diesem Patienten eine nützliche Operation vorzuenthalten! Bei kleineren operativen Eingriffen, die das Allgemeinbefinden und die Ernährungsweise des Patienten nicht stark beeinträchtigen, kann der gut geschulte Patient seine Insulintherapie nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt aktiv mitgestalten. TIPP: Der Patient sollte sein Blutglukose-Messgerät, sein Messprotokoll, den Diabetespass und sein Insulin mit in die Klinik bringen. Vor der Operation Informationen zur gewählten stationären Einrichtung sammeln In größeren Versorgungskliniken werden eine internistische Konsiliartätigkeit sowie standardisierte Behandlungspfade für elektive Operationen bei Diabetes­ patienten vorgehalten. Dies muss jedoch nicht immer, z. B. für Belegkliniken, gelten. Entsprechende Vorabinformationen einzuholen, erleichtert das Management. © Klaus Rose Priv.-Doz. Dr. med. Norbert Lotz Redaktion: Priv.-Doz. Dr. M. Hummel, Rosenheim (Koordination); Prof. Dr. L. Schaaf, München (wissenschaftliche Leitung) Sorgt für mehr Sicherheit: Vor der Op. Begleiterkrankungen, z. B. eine diabetische Neuropathie, abklären. 59 SEMINAR – FORTBILDUNG – Tabelle 1 Muster einer Anpassungstabelle für die subkutane Anwendung eines kurz wirksamen Insulins Insulin-sensitiv Glukosewerte (mg/dl/mmol/l) < 150/8,3 normal Insulin-resistent AC HS AC HS AC HS 0 0 0 0 0 0 151–200/8,4–11,1 0 0 2 0 4 2 201–250/11,2–13,9 2 0 4 0 8 4 251–300/13,9–16,6 3 1 6 2 12 6 301–350/16,7–19,4 4 2 8 4 16 8 351–400/19,5–22,2 5 3 10 6 20 10 AC: vor der Mahlzeit; HS: vor dem Schlafengehen. Diagnosen überprüfen und vervollständigen Diabetespatienten, vor allem solche mit Metabolischem Syndrom, zeichnen sich durch eine Vielzahl von Diagnosen aus. Diese können – unabhängig von der aktuellen Operationsindikation – für die Op.-Planung, die Sicherheit des Patienten und für mögliche Notfälle von großer Bedeutung sein. Eine ausgeprägte periphere sensible Neuropathie führt leicht zu Pflegeschäden im Sinne von Druckulzerationen. Eine Gastroparese kann durch retinierten Mageninhalt eine Aspiration begünstigen. Eine autonome Neuropathie des Herzens bei Langzeitdiabetes kann zu schweren hypotonen Zuständen während der Anästhesie führen, vor allem bei Blutverlust. Stumme Myokardischämien oder eine hochgradige Stenose der A. carotis sind für die Herz- und Kreislaufüberwachung des Patienten von besonderer Bedeutung. TIPP: Diagnosenauflistung von Entlassungs- oder Konsiliarberichten erleichtert die Arbeit. Therapiepläne überprüfen und aktualisieren Neben den Diagnosen des Patienten ist der aktuelle Medikamentenplan äußerst wichtig für die stationäre Weiterbehandlung. Medikamentenname, genaue Dosierung und Einnahmezeitpunkte sollen ersichtlich sein. Die Überprüfung der Medikamente erfasst sowohl die Selbstmedikation des Patienten (z. B. Johan- 60 niskraut) als auch Medikamente, die der Patient wegen möglicher Nebenwirkungen – auch ohne Wissen des behandelnden Arztes – nur unregelmäßig oder gar nicht mehr einnimmt. Insulintherapie genau beschreiben Wie aber steht es um die Beschreibung einer Insulintherapie? Sie erreicht nicht immer die wünschenswerte Präzision. Diabetespatienten mit Insulinmangel benötigen ein Basalinsulin, das den Grundbedarf über 24 Stunden abdeckt sowie ein prandiales Insulin, das vor den Mahlzeiten verabreicht wird. Der Verlauf der Blutglukosespiegel ist vorrangig vom Insulin-Grundbedarf, der Kohlenhydratzufuhr, der prandialen Insulin­ gabe sowie der körperlichen Bewegung abhängig. Die prandiale Insulingabe kann unterschiedlich erfolgen: Die prandiale Insulindosis wird an die Kohlenhydratmenge (BE) der Mahlzeit angepasst. Die entsprechende Verordnung lautet dann z. B.: „Insulinname“ IE/BE (Insulineinheiten/ Broteinheit): 2,0 – 1,0 – 1,5, s.c. Abdomen. Die Kohlenhydratmenge wird an eine fixierte prandiale Insulindosis angepasst. Die entsprechende Verordnung lautet dann z. B.: „Insulinname“ IE (Insulineinheiten): 8 – 6 – 9, s.c. Abdomen, BE-Verteilung: 4 – 6 – 6. Das Basalinsulin wird mit Injektionszeitpunkt in einer fixen Dosis angege- ben. Die entsprechende Verordnung lautet dann z. B.: „Insulinname“ IE: 0 – 0 – 0 – 18 (22.00 Uhr) oder „Insulinname“ IE: 10 (7 Uhr) – 0 – 12 (18 Uhr) – 0, s.c. Oberschenkel. Die Glukose-Zielbereiche und die präprandialen Korrekturalgorithmen richten sich nach den individuellen Glukoseschwankungen, den Tageszeiten und der Insulinempfindlichkeit des Patienten. Ein Glukose-Zielbereich von 90–160 mg/dl bedeutet: Ein Glukosewert von unter 90 mg/dl bedarf der Kohlenhydratzufuhr zum Anheben des Glukosewertes in den Zielbereich, ein Glukosewert über 160 mg/dl bedeutet die zusätzliche Gabe von Insulin zur Ab­ senkung des Glukosewertes in den Zielbereich nach festgelegten Korrektur­ faktoren, meist unterschiedlich für verschiedene Tageszeiten: Z.B. Korrekturfaktoren (Glukoseabsenkung pro Insulineinheit): 40 mg/dl morgens – 60 mg/dl mittags – 50 mg/dl abends – 80 mg/dl vor dem Schlafengehen. TIPP: Bei der Op.-Vorbereitung Patienten die Originalmedikamente zur Medikamentenanamnese mitbringen lassen. Befunde überprüfen und vervollständigen Im Rahmen der Operationsplanung sollten folgende Befunde vor der Operation erhoben werden: Augenarztbefund, Serumglukose, HbA1c, Elektrolyte, glomeruläre Filtrationsrate nach der MDRD-(Modification of Diet in Renal Disease-) oder CKD-EPI-Formel (liefert das Labor auf Anfrage routinemäßig und ist genauer als der Kreatininwert!), Albumin i. Urin, Urin-Sediment, Lipide, TSH (bei zu erwartender Kontrastmittelgabe, bei Struma oder Herzrhythmusstörungen), Prüfung der peripheren Sensibilität mit Fußinspektion, Blutdruckwerte, Pulsfrequenz, peripherer Pulsstatus (evtl. Bestimmung des Knöchel-Arm-Indexes), Ruhe-EKG, besser Belastungs-EKG, Röntgen-Thorax, Ausschluss Herzinsuffizienz (Anamnese, Klinik, evtl. Echokardiografie), Herzund Lungenauskultation. MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2013 (155. Jg.) SEMINAR – FORTBILDUNG TIPP: Das Anlegen einer Checkliste erleichtert die Operationsvorbereitung des Patienten. Da insbesondere chirurgische Interventionen bei strenger Diabeteseinstellung weniger perioperative Komplikationen zur Folge haben [3], sollten vor elektiven operativen Eingriffen basale Glukosespiegel von < 180 mg/dl und postprandiale Glukosespiegel von < 230 mg/dl erreicht werden. Bei schlechterer Diabeteseinstellung empfiehlt sich eine Verschiebung des Operationstermins [4]. Vor jeder Operation sollte eine klinisch relevante koronare Herzerkrankung ausgeschlossen oder hinreichend behandelt sein. Bei Diabetespatienten häufig verwendete „drug eluting stents“ bedürfen der dualen Thrombozytenaggregationshemmung für ein Jahr und verbieten elektive operative Eingriffe. In besonderen Fällen bedarf es eines interdisziplinären Konsils. Metformin wird 48 Stunden vor dem operativen Eingriff abgesetzt. Unter einer Sulfonylharnstofftherapie stellt bei mittleren und schwereren operativen Eingriffen die perioperative Insulintherapie wegen der hypoglykämischen Potenz der Sulfonylharnstoffe die bessere Alternative dar. Die Insulin-Ersteinstellung kann ambulant, bevorzugt in einer Diabetes-Schwerpunktpraxis, gemäß der definierten Schnittstellen durchgeführt werden. Am Operationstag ■ Bei stationären Operationen: Die Therapie erfolgt nach Klinik-Leitlinien. ■ Bei ambulanten Operationen: Die Diabetestherapie kann nur zusammen mit der behandelnden Einrichtung festgelegt werden. Einige Fragen sollten geklärt sein: Tageszeit des chirurgischen Eingriffes? Narkoseform? Nahrungszufuhr? Bei Insulintherapie: Spiegelt das Basalinsulin den tatsächlichen Basalbedarf wider? Kann die Basalinsulindosis in gewohnter Höhe verabreicht werden oder soll sie sicherheitshalber reduziert werden? MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2013 (155. Jg.) © Miriam Dörr/fotolia Wichtige Entscheidungen und Maßnahmen bedenken Klappt der Umgang mit der im Rahmen der Op. neu an­gesetzten Insulintherapie auch zu Hause? Cave: Verabreichung von Mischinsulin mit Anteilen von schnell wirkendem Insulin am Op.-Tag! Eine engmaschige Glukosekontrolle sollte sichergestellt sein. Nach der Operation Sorgfältige Überwachung der Diabeteseinstellung Sobald der Patient mit Diabetes mellitus, der primär mit oralen Antidiabetika behandelt war und in der perioperativen Phase Insulin benötigte, wieder normal essen und trinken kann sowie mobilisiert wird, soll auf die ursprüngliche Dia­b etestherapie umgestellt werden. Dies gilt bei normaler Nierenfunktion auch für Metformin. Eine „schnelle“ Entlassung des Patienten unter der Fortführung der peri­ operativen Insulintherapie ist keine Seltenheit. Der ambulant weiterbehandelnde Arzt sollte sich bei Rückmeldung des Patienten zur ambulanten Weiterversorgung einen sorgfältigen Überblick verschaffen, ob der Patient im Umgang mit der Insulintherapie geschult wurde und selbstständig diese Therapieform zu Hause auch umsetzen kann. Prinzipell besteht auch hier die Möglichkeit der vorübergehenden Mitbehandlung durch eine diabetologische Schwerpunkt­ praxis. TIPP: Im Falle einer neu begonnenen Insulintherapie praktische Überprüfung der Fähigkeit des Patienten, mit Blutglukose-Messgerät, Insulin-Pen sowie Insulin-Dosisberechnung oder BE-Berechnung umgehen zu können. Vor und nach der Op.: An nicht diagnostizierten Diabetes denken! 2,1% der Bevölkerung leiden an einem nicht diagnostizierten Diabetes mellitus! Auf die Erfassung bisher nicht diagnostizierter Diabetiker vor und nach operativen Eingriffen sollte besonderer Wert gelegt werden. TIPP: HbA1c-Wert < 5,7%: Diabetes nahezu ausgeschlossen; HbA 1c > 6,5%: Dia­b etes sehr wahrscheinlich; HbA1c zwischen 5,7 und 6,5%: Oraler Glukosetoleranztest zur Diagnoseklärung. Literatur unter mmw.de Anschrift des Verfassers: Priv.-Doz. Dr. med. Norbert Lotz MVZ Kempten-Allgäu Dres. Heigl, Hettich & Partner Robert-Weixler-Straße 19, D-87439 Kempten, E-Mail: [email protected] Fazit für die Praxis Diabetespatienten haben eine höhere perioperative Infektionsgefährdung sowie höhere perioperative Risiken. Zur Risikominimierung bedarf es deshalb eines optimalen interdiszip­ linären Informationsaustausches und einer sorgfältigen Aufklärung des Patienten. Diabetesassoziierte Endorganschäden sollten vollständig in Diagnosen gefasst und die Therapie exakt dem weiterbehandelnden Kollegen übermittelt werden. Sicherheitsmaßnahmen wie z. B. Absetzen von Metformin vor der Operation, ambulante Umstellung auf eine Insulintherapie vor großen Operationen oder Abklären von Kontrastmittel-Kontraindikationen sind von großer Wichtigkeit. In der postoperativen ambulanten Weiterversorgung sollte die präoperative Diabetestherapie wieder etabliert werden, wenn sie erfolgreich war. Es sollte sichergestellt werden, dass der Patient eine Entlassungstherapie zu Hause auch selbstständig umsetzen kann. Auch an die Aufdeckung eines bisher nicht erkannten Diabetes sollte bei allen Patienten vor und nach einer Operation gedacht werden. Keywords Pre- and post-surgery management in diabetic outpatients Surgery – diabetes mellitus – risk reduction – diagnosis – treatment 61 SEMINAR – FORTBILDUNG Literatur ((nur im Internet)) 1. Heidemann C, Du Y, Scheidt-Nave C. Diabetes mellitus in Deutschland. Hrsg. Robert KochInstitut Berlin. GBE kompakt 2011; 2(3). www.rki. de/gbe-kompakt 2. Lotz N, Schmidt-Klewitz H, Heiselbetz H, Petzoldt R, Körfer R. Morbidität. Frühmortalität und Langzeitmortalität nach aortokoronarer Bypassoperation bei 222 Diabetikern und 227 Nichtdiabetikern. Diabetes und Stoffwechsel 1996; 5: 133 3. Griesdale DE, de Souza RJ, van Dam RM et al. Intensive insulin therapy and mortality among critically ill patients: a metaanalysis including NICE-SUGAR study data. CMAJ 2009; 180: 821–827 4. Martin S, Dreyer M, Kiess W et al. Evidenzbasierte Leitlinie der DDG – Therapie des Diabetes mellitus Typ 1. 2007 http://www.uni-duesseldorf.de/ AWMF/II/057-013.pdf 62 MMW-Fortschr. Med. Nr. 1 / 2013 (155. Jg.)