Englisch ist zweitrangig ( NZZ Online)

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Sonntag, 21. Juni 2009, 13:05:03 Uhr, NZZ Online
23. Oktober 2005, NZZ am Sonntag
Englisch ist zweitrangig
Schweizer Firmen fordern von ihren Mitarbeitern möglichst gute Kenntnisse von
Fremdsprachen. Nur unterstützen wollen sie dabei ihre Angestellten nicht
Zum ersten Mal zeigt eine repräsentative Studie, welche Fremdsprachen in den Schweizer
Betrieben wirklich verwendet werden. Der Befund ist brisant: Über die Hälfte der Betriebe
braucht Englisch nie oder sehr selten.
Die Schweiz sei viersprachig, die Schweizer aber seien es nicht. Peter Bichsels Bonmot ist nur einer
von vielen Schlüssen, welche sich aus der ersten je durchgeführten, repräsentativen Studie zum
Gebrauch von Fremdsprachen in Schweizer Betrieben ziehen lassen. Die Abteilung Wirtschaft der
Fachhochschule Nordwestschweiz hat über 2000 Firmen und ihre Mitarbeiter darüber befragt, welche
Fremdsprachen im beruflichen Alltag wann und wie eingesetzt werden.
Eine zweite Erkenntnis: Anstatt ihre Kinder ins Frühenglisch zu schicken, täten die Eltern gut daran,
auch Frühdeutsch und Frühfranzösisch für ihre Sprösslinge in Betracht zu ziehen. In Schweizer
Unternehmen wird im Alltag Deutsch als Fremdsprache nämlich häufiger verwendet als Englisch und
Französisch fast gleich oft wie die Weltsprache Englisch - in der mündlichen Kommunikation ist
Französisch sogar wichtiger (siehe Grafik).
Die Studie zeigt noch andere brisante Dinge auf und dürfte nicht nur unter Sprachpolitikern
Diskussionen auslösen: So wird in etwa der Hälfte der Betriebe Englisch nie oder nur sehr selten
mündlich gebraucht. Über 60% aller Firmen mit mindestens fünf Mitarbeitern gebrauchen Englisch
schriftlich nie oder sehr selten.
Für den Projektleiter Markus Andres beweist dieses Resultat, dass trotz Globalisierung die
einheimischen Sprachen für die Schweizer Wirtschaft wichtiger sind als das vielgepriesene Englisch.
«80% unserer Firmen sind KMU. Sie stehen im täglichen Kontakt mit Betrieben und Kunden in
anderen Landesteilen, Italien, Deutschland, Österreich oder Frankreich und nicht mit dem Broker in
New York.»
Im Gebrauch der Fremdsprachen im Geschäftsleben gibt es eine eindeutige Hierarchie. Die
Deutschschweizer profitieren dabei von einem «Bequemlichkeitsbonus». Sie müssen im
Geschäftsalltag weniger häufig Französisch hervorkramen, als die Romands damit konfrontiert sind,
dass am anderen Ende des Telefons nur Deutsch verstanden wird. Am schlimmsten trifft es die
Tessiner: Während die Deutschschweizer in 68% aller Fälle auf einen Tessiner treffen, mit dem sie
sich auf Deutsch unterhalten können (bei den Romands sind es 50%), reden die Tessiner selbst nur
mit jedem vierten Deutschsprachigen italienisch.
Träge Deutschschweizer
Auch zwischen dem Tessin und der Romandie sind die Rollen klar verteilt: Wollen Tessiner im
französischen Landesteil Geld verdienen, tun sie dies zu 47% auf Französisch, während die Romands
nur in 14% aller Fälle Italienisch benötigen, um klarzukommen. Für die italienischsprachige Schweiz und in geringerem Ausmass auch für die französischsprachige - bedeutet der Befund, dass sie sich
nicht darauf beschränken kann, Englisch zu lernen, ohne recht schnell an Kommunikationsgrenzen zu
stossen.
Ein schlechtes Zeugnis stellen die befragten Mitarbeiter dem Fremdsprachenunterricht in den Schulen
aus: «Über die Hälfte der befragten Arbeitnehmer sind unzufrieden mit dem, was die Schule ihnen an
Fremdsprachenkompetenz in den Rucksack gelegt hat», fasst Markus Andres zusammen. Viele
trauten sich kaum zu, in einer anderen Landessprache ein Bier zu bestellen, geschweige denn mit
einer Frau in Südfrankreich zu flirten. Dies selbst nach vielen Jahren Fremdsprachenunterricht.
Gleichzeitig halten 87% der Mitarbeitenden solide Fremdsprachenkenntnisse für das Berufsleben für
unerlässlich. Mündliche Kenntnisse werden dabei wichtiger eingestuft als schriftliche.
Viele Arbeitnehmer erkennen ihr Manko auf dem Gebiet Fremdsprachen wie auch die Tatsache, dass
die Bedeutung von Fremdsprachenkenntnissen in Zukunft noch zunehmen wird. Zwei Drittel aller
Arbeitnehmer wären denn auch bereit, Weiterbildungskurse zu besuchen. Nur: Die Firmen
unterstützen die Angestellten darin kaum (siehe Grafik). Während 61% der Unternehmen ihren
Mitarbeitern überhaupt nicht unter die Arme greifen, sind nur 25% bereit, einen finanziellen Beitrag
an eine sprachliche Weiterbildung zu leisten, und lediglich 20% gewähren eine zeitliche
Unterstützung.
Das hält der Projektleiter für paradox, weil ein weiterer Befund der Studie zeigt, dass «die Firmen von
den Angestellten auf allen Hierarchiestufen Fremdsprachenkenntnisse fordern. Dafür aufkommen
wollen sie aber offenbar nicht.» Für Andres ist das verheerend: «Sprachen müssen dauernd
aufgefrischt werden, weil ihre Halbwertszeit kurz ist.» Mit ihrer Knausrigkeit verlieren die Arbeitgeber
somit wertvolles Know-how.
Wettbewerbsvorteil
Wo Fremdsprachen Probleme bereiten, ergeben sich in jedem siebten Betrieb grobe Schwierigkeiten.
Kleine Probleme allerdings treten bei jeder dritten Firma auf. Weitaus am meisten führen mangelnde
Fremdsprachenkenntnisse dazu, dass sich die internen Arbeitsprozesse verlangsamen oder Konflikte
unter Mitarbeitern entstehen. Am häufigsten ist dies im Gesundheits- und Sozialwesen der Fall (15%
der Betriebe), gefolgt von öffentlichen Verwaltungen (12%). Andres ist sich sicher: «Würde man die
Fremdsprachenkompetenz der Mitarbeiter gezielt verbessern, liesse sich viel Geld sparen.»
Je nach Branche haben Fremdsprachen eine etwas andere Bedeutung. «Wer im Handel keine
Fremdsprachen beherrscht, verliert Geschäfte», weiss Ruedi Baumgartner von Kuratle & Jaecker,
einer grossen Handelsfirma, die an der Studie teilgenommen hat. Das Fachwissen von Mitarbeitern
könne noch so gross sein, meint Baumgartner. «Wenn sie ihr Know-how nicht auch in einer fremden
Sprache anpreisen können, nützt alles nichts.»
Die Studie der Fachhochschule Nordwestschweiz ist in allen Landesteilen auf viel positives Echo
gestossen. So meint ein Geschäftsleiter eines grösseren Betriebes aus Faido: «Es hat uns überrascht
und gefreut, dass eine Institution aus der Deutschschweiz das Thema aufgreift.»
www.fhso.ch, Rubrik «News»
Diesen Artikel finden Sie auf NZZ Online unter:
http://www.nzz.ch/2005/10/23/wi/articleD93R6.html
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