Film und Geschichte. Ein Projekt am Historicum. Oktober (1927) Anlässlich des zehnten Jahrestages der Oktoberrevolution beauftragt, einen „authentischen“ Film über die Ereignisse 1917 zu drehen, schuf der sowjetische Regisseur Sergej Ėjzenštejn mit Oktober. Zehn Tage, die die Welt erschütterten (Oktjabr’. Desjat’ dnej, kotorye potrjasli mir) ein Meisterwerk der Filmgeschichte. Oktober bildet nicht Historie authentisch ab, wohl aber den von den Bolschewiki sorgsam kultivierten Mythos um die Ereignisse 1917. Ėjzenštejns charakteristische, assoziative Attraktionsmontage vermag dabei alles zu verwandeln: den Chef der Provisorischen Regierung Aleksandr Kerenskij in einen eitlen, mechanischen Pfau, Heilige der russischen Orthodoxie in beliebige Heidengötter sowie einen unspektakulären Coup d’État in eine ruhmreiche Revolution. Visuell orientiert sich das große Finale an der Masseninszenierung „Erstürmung des Winterpalais“ des Jahres 1920, von der im Gegensatz zu den realen Abläufen von 1917 Film- und Fotomaterial existiert. Nach Oktober fällt es schwer zu glauben, dass sich alles ganz anders abgespielt hat. Die mit tausenden Statisten choreographierten Massensequenzen und der Dreh an Originalschauplätzen sind nur ein Grund für diese Wirkung. Paradoxerweise verleihen gerade die experimentelle Filmsprache sowie die unregelmäßig kontrapunktisch eingesetzten Tonfragmente mit all ihren eigentlich verfremdenden Effekten Oktober eine zeitlose Lebendigkeit. Der Film suggeriert ein Gefühl des „Mittendrin-Seins“ und erzeugt somit auch 80 Jahre nach seiner Entstehung eine wuchtige, wenn auch wissenschaftlichen Erkenntnissen zuwider laufende Authentizität. Ironischerweise führte ausgerechnet eines der wenigen historisch korrekten Details dazu, dass auch Ėjzenštejn wie so viele andere Revolutionskinder mittelbar gefressen wurde. Trotzkij, dessen Ausschluss aus Politbüro und KPdSU 1927 schon vollzogen war, tritt in Oktober auf, während man Stalin vergebens sucht. Das konnte dem omnipräsenten Diktator nicht gefallen und bildete den Auftakt zu einer bis zu dessen Lebensende dauernden Gängelung Ėjzenštejns durch die Stalinistische Kulturpolitik. (Maxi Braun, 4. Semester des M.A.) Film und Geschichte. Ein Projekt am Historicum. 1/1