Die Folien zum Vortrag von Herrn Noyon - Goethe

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Vortrag anlässlich des
2. Alumni-Tages, 30. Juni 2007
Existenzielle
Psychotherapie als Ergänzung
der Verhaltenstherapie
Dr. Alexander Noyon
Verhaltenstherapie-Ambulanz
J.W. Goethe-Universität
Frankfurt am Main
e-Mail: [email protected]
Verhaltenstherapeutische Methoden sind eine große Hilfe im
Umgang mit den meisten psychischen Problemen –
trotzdem gibt es Therapiesituationen, in denen ich mich
mit allen diesen Methoden hilflos fühle, etwa wenn eine
Patientin vom Tod eines nahe stehenden Menschen
berichtet.
Verhaltenstherapeutische Ausbildungsteilnehmerin
Merkmale der Verhaltenstherapie
Orientierung an der empirischen Psychologie
Problemorientierung
Ausgangspunkte der Behandlung: prädisponierende,
auslösende und aufrechterhaltende
Problembedingungen
Zielorientierung
Handlungsorientierung
Charakterisierung der
existenziellen Therapie
Der existenzielle Ansatz versucht nicht, eine
spezifische Technik oder Therapieschule zu
sein. Vielmehr strebt er eine alternative Sicht
der Welt und des Menschen an.
Emmy van Deurzen, „Existential Counselling & Psychotherapy in Practice,
2002
Ursprünge existenzieller
Psychotherapie
Ludwig Binswanger (1881-1966)
Medard Boss (1903-1990)
Karl Jaspers (1883-1969)
Überblick
Emmy
van Deurzen: Existenzielle
Psychotherapie
Rollo May & Irvin Yalom: Existenzielle
Psychotherapie
Viktor Frankl: Logotherapie und
Existenzanalyse
Emmy van Deurzen (*13.12.1951)
• geboren in Den Haag
• in Frankreich u.a. Philosophie
studiert, später Psychologie und
Psychotherapie
• seit 1977 in Großbrittanien
• aktuell Leiterin der „New
School of Psychotherapy“ in
London, Professorin für
Psychotherapie an der Schiller
International University
Alles hat man herausgefunden, nur nicht
wie man lebt.
Jean-Paul Sartre
Existenzielle Therapie
als Anleitung zur Lebenskunst
Existentielle Therapie: Einsicht ins Leben
Aufgabe des Therapeuten: Anleitung zu ehrlicher
Untersuchung der eigenen Bedingungen
Radikaler Realitätsbezug: „Die ernsthafte Analyse der
menschlichen Bedingungen kann nicht übersehen, dass es
genauso Grenzen und Zwänge wie auch Freiheiten gibt.“
(van Deurzen, 2002, S. 11).
Lebenskunst: die Herausforderungen des Lebens
willkommen heißen und „genießen“ statt sie zu fürchten
und zu vermeiden
Elemente der „Lebenskunst“
Untersuchung der eigenen Glaubenssätze, Werte
und Einstellungen
Vermittlung von Einsicht in die Paradoxien des
Lebens („human existence = struggle between
opposites“)
Ziel: Entwicklung eigener Vorstellungen,
Auflösen nur übernommener Orientierungen
(„second-hand life“)
Rollo May (*21.04.1909, †22.10.1994)
• Studienfächer Psychologie und
Philosophie, in beiden später an
vielen Universitäten gelehrt
• Schüler Adlers zunächst in Wien
und dann in New York
• schwere Tuberkuloseerkrankung
• philosophisch fundiertester
existentieller Psychotherapeut
Im Gegensatz zu Richtungen in der Psychologie,
die in Theorien über Konditionierung,
Verhaltensmechanismen, oder instinktive Antriebe
münden, behaupte ich, dass wir tiefer als diese
Theorien gehen müssen und die Person, das
menschliche Wesen entdecken müssen, mit dem
diese Dinge geschehen.
Rollo May, „Sich selbst entdecken“ (S. 8)
May – Phänomenologie
der Angst
„The Meaning of Anxiety“ (1950)
basierend v.a. auf Kierkegaard
Grundthema: nur ein freies Wesen kann sich ängstigen
→ Freiraum zukünftiger Möglichkeiten („Angst als
Schwindel der Freiheit“)
die selbständige Persönlichkeit muss Mut zu dieser
Art von Angst entwickeln
soziologisch-kulturwissenschaftliche Perspektive:
Wettbewerb ist wichtiger als Solidarität → Angst vor
dem Rivalen im Alltag → Feindseligkeit → weitere
Verängstigung
May – Liebe und Wille (1)
„Love and Will“ (1969)
Gesellschaft steht am Rande eines „sexuellen Chaos“
Sex = einwandfreies Funktionieren
May: nicht Triebabfuhr, sondern Gefühl
Erotik = Steigerung des eigenen Daseins in Gemeinschaft
mit anderen
Verbindung von Liebe und Tragik
May – Liebe und Wille (2)
Wille in der frühen Psychoanalyse relativ
unwichtig
May fordert die Betonung der Freiheit des
Menschen
Mensch kein Reflexwesen / Triebbündel
Kraft des Willens liegt in Werten, Sinn und
Zielen
Irvin D. Yalom (*13.06.1931)
• Professor für Psychiatrie an der
Stanford University School of
Medicine
• therapeutische Herkunft aus der
Psychoanalyse
• beeinflusst vor allem von Rollo
May
• wichtigster lebender Vertreter der
„Existentiellen Psychotherapie
Existentialien
Begriff von Heidegger
fundamantalontologische Wesensmerkmale des
Seins
Gegebenheiten der Existenz → „letzte Dinge“,
unausweichlich
Ziel: Auseinandersetzung, nicht „Lösung“
Yaloms Existentialien
Freiheit
Isolation
Sinnlosigkeit
Tod
Freiheit
menschliche Existenz zwischen Schicksal und
Freiheit
Kernbegriff: Verantwortung (sowohl für das
Unternommene als auch das Unterlassene!)
Mensch als entscheidendes Sein: „Nicht die
Dinge an sich beunruhigen den Menschen,
sondern seine Sicht der Dinge“ (Epiktet)
Isolation
Isolation: interpersonell, intrapersonell,
existentiell
zwischenmenschliche Beziehung als
„Hauptbollwerk“ gegen Isolation
„Das Schlimmste am Alleinsein, der Gedanke, der
mich in den Wahnsinn treibt, ist, dass niemand auf der
Welt in diesem Moment an mich denken könnte“.
(Patientin in einer Gruppentherapie Yaloms)
Sinnlosigkeit
Dilemma: der Mensch braucht Sinn –
Existenzphilosophie negiert alles Absolute
Ablenkungsversuche von der Sinnlosigkeit:
Streben nach Prestige und materiellen Zielen,
Arbeitssucht, „Sexgetümmel“ (Yalom)
„Das Leben geschieht einfach, und wir sind nur zufällig
in es hineingeworfen. Das Leben bedarf keiner
Begründung.“
Yalom (1989, S. 553)
Tod
Tod als ursprüngliche Quelle der Angst und somit
der Psychopathologie
Todesgedanke kann zum Aufbau hochwirksamer
Abwehrmechanismen führen
ehrliche Auseinandersetzung mit Sterblichkeit
fördert Authentizität des Lebens
Leben und Tod sind interdependent; sie existieren
gleichzeitig, nicht in Folge; der Tod surrt ständig
unterhalb der Membran des Lebens und übt einen
großen Einfluss auf die Erfahrungen und das
Verhalten aus. (Yalom, 1989, S. 43)
Viktor E. Frankl (*26.03.1905, †02.09.1997)
• Schüler Freuds und v.a. Adlers
• „Dritte Wiener Schule“ der
Psychotherapie
• Professor für Neurologie und
Psychiatrie an der Univ. Wien
• 1944 bis 1945 im
Konzentrationslager
• 32 Bücher, unzählige Vorträge,
Ehrendoktorschaften…
Frankls Logotherapie
„logos“ (griech.) = Sinn
Mensch zentral vom Willen zum Sinn motiviert
Sinnverlust als zentrale Quelle der
Psychopathologie
„Existenzanalye“ → Analyse auf Sinn hin
„Logotherapie“→ Therapie vom Sinn her
Frankls Sinnbegriff
Sinn ist a priori gegeben
Sinn vermittelt sich im Aufforderungscharakter einer
Situation und kann von der Person gefunden werden
Sinnbereiche des Menschen: Arbeit (Kreativität und
Leistung), Erleben (Genuss, Ästhetik, Liebe), Leiden
(menschenwürdige Einstellung zu unabwendbarem
Leiden)
Sinn realisiert sich über Wertverwirklichung
Frankls Wertbegriff
schöpferische Werte („Homo faber“): aktiver
Zugriff auf die Welt
Erlebniswerte („Homo amans“): wertvolle äußere
Realität wird in das Innere der Person überführt
Einstellungswerte („Homo patiens“):
sinnorientierte Einstellung zu unabänderlichem
Schicksal
Pyramidale Wertordnung
Leitwert
Parallel-gesicherte
Wertordnung
Frankls
„kopernikanische Wende“
Grundhaltung des „neurotischen“ Menschen: „Das Leben hat
mich zu bedienen. Ich bin es, der dem Leben die Fragen (im
Sinne von Forderungen) stellt, und das Leben hat gefälligst zu
antworten.“
kopernikanische
Wende
Anfrage
MENSCH
LEBEN
Antwort
Existentielle Frustration:
die Sinnfindungskrise
existentielle Frustration ist Leiden am sinnlosen
Leben
gehört zum Leben des Menschen und ist somit
nicht krankhaft
kann sich ergeben z. B. durch Sinnblockaden
Existentielles Vakuum:
die Sinnverluststörung
über die existentielle Frustration hinausreichende
innere Leere
folgt meistens massivem Wertverlust, wodurch der
Sinnbezug insgesamt verloren geht („weiß nicht mehr
um den Sinn selbst“)
pathogen und krankheitsbegünstigend
der Betroffene wirkt gelähmt, niedergedrückt, erstarrt
Vier krisenträchtige personale Haltungen
übermäßiges Vermeidenwollen von etwas:
Unannehmlichkeiten gehören zum Leben
übermäßiges Ankämpfen gegen etwas:
Vollkommenheitsstreben, Perfektionismus
übermäßiges Erzwingenwollen von etwas: unnützer
Kampf um etwas oder jemanden
übermäßiges Reflektieren über sich selbst: übermäßige
Selbstbeobachtung macht krank
„Trotzmächte“ des Geistes
Selbstdistanzierung
• Distanz zu eigenen
Befindlichkeiten einnehmen
• Eröffnung eines
Gestaltungsraumes
• „Ich muss mir von mir
selbst nicht alles gefallen
lassen!“
• Provokation und Humor
Selbsttranszendenz
• menschliches Dasein
verweist auf etwas, das es
nicht selber ist (Sinn)
• Prinzip Intentionalität
• über den Dingen und
notfalls auch über sich selbst
stehen
• Selbstfindung durch
Selbstvergessen (Werte)
Fazit
existenzielle Psychotherapie: elaboriertes Weltund v.a. Menschenbild
Stärkung der Ressourcenperspektive
eröffnet Möglichkeiten zum Umgang mit sehr
schwierigen Themen
sehr gute Integrierbarkeit mit Verhaltenstherapie
Literatur
Frankl, V.E. (1995). Ärztliche Seelsorge. Grundlagen der
Logotherapie und Existenzanalyse. Frankfurt am Main: Fischer
Taschenbuch Verlag.
May, R. (1990). Sich selbst entdecken. Seinserfahrungen in den
Grenzen der Welt. München: dtv.
Noyon, A. & Heidenreich, T. (2007). Die existenzielle
Perspektive in der Verhaltenstherapie. Verhaltenstherapie, 17
(2). Online publiziert am 30. April 2007.
Yalom, Y. D. (1989). Existentielle Psychotherapie. Köln:
Edition Humanistische Psychologie.
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