Das Wort des Bischofs

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Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge
Wort des Bischofs
7. April 2017
Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische
Oberlausitz
7. – 8. April 2017
Inhaltsverzeichnis
1.
Mitten im Jubiläumsjahr ....................................................................................... 2
2.
Die Ökumene beleben ......................................................................................... 3
3.
Den Dialog der Religionen vertiefen..................................................................... 5
4.
Geflohene integrieren........................................................................................... 8
Ergänzung vom 7. April 2017 zum Militäreinsatz der USA in Syrien .......................... 9
5.
Es gibt ein Leben nach 2017 – Wie wir uns fit machen für die Zukunft .............. 10
6.
„Bleibt in meiner Liebe!“ ..................................................................................... 11
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1. Mitten im Jubiläumsjahr
Wir sind mitten im Jubiläumsjahr 2017. Und es läuft gut! Manchmal bin ich selbst
überrascht, wie viel Interesse unsere Gesellschaft an diesem Ereignis hat. Ganz
begeistert habe ich zum Beispiel die Geschäftsführerin von „Kulturland Brandenburg“
in der vergangenen Woche erlebt, Brigitte Faber-Schmidt, die bei der Eröffnung der
Ausstellung „Sankt Luther“ in der Berliner Nikolaikirche mit leuchtenden Augen zu
allen historischen Ausstellungen eingeladen hat, die in den nächsten Monaten in
Brandenburger Städten gezeigt werden. Oder ich denke an die große Ausstellung
„Der Luther-Effekt“, die am kommenden Dienstag im Gropiusbau in Berlin eröffnet
wird. Der Europäische Stationenweg ist ein großer Erfolg: In 67 Städten Europas
macht das story mobile Halt und die evangelischen Christen vor Ort haben immer
jeweils ein eindrückliches Beiprogramm auf die Beine gestellt: Ich konnte in London
dabei sein, wie der Sattelschlepper auf dem Trafalgar-Square begrüßt wurde und war
eingeladen in St. Martins-in-the-Fields zu predigen und in Västeras, westlich von
Stockholm, konnte ich an einem Jugendtag mit 1.400 Konfirmanden teilnehmen. Der
Truck wird am 27. April in Berlin Station machen. An diesem Termin wird dann auch
der Regierende Bürgermeister für Berlin den „Titel Reformationsstadt Europas“ von
Professor Gottfried Locher, dem Präsidenten der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) entgegennehmen. Und am 10. Mai wird der hellblaue Sattelschlepper in Kerkwitz Station machen. Wir haben diesen Ort ausgesucht, um auf
unser Engagement für die Zukunft der Lausitz hinzuweisen. Mit unserem „Zentrum
für Dialog und Wandel“ werden wir uns bald noch stärker dort engagieren. So zeigen
wir mit dem Stationenweg in Kerkwitz: Reformatorischer Glaube bringt sich sehr
konkret in gesellschaftliche Fragen ein!
Wir können alle stolz darauf sein, mit wie viel Engagement unsere EKBO den Kirchentag vorbereitet: Zwei Engagement-Rekorde haben wir schon im Vorfeld errungen: Die Zahl der Gottesdienste, die am 12. Februar 2017 zur Vorbereitung des Kirchentages gefeiert wurden, war enorm groß: 150 Gottesdienste wurden in der EKBO
zum Kirchentagsthema gefeiert! Und der zweite Rekord: Noch nie, so sagen mir die
Kirchentagsleute, hat sich in einer Landeskirche so schnell die notwendige Zahl von
Gemeinden angemeldet, die gebraucht werden, um den Abend der Begegnung mit
Ständen zu bestücken. Wir können uns auch darüber freuen, dass der Funke zu den
Kulturschaffenden übergesprungen ist und dass nun ein eindrucksvolles Kulturprogramm während des Kirchentages stattfinden wird.
Natürlich gibt es auch Kritiker der Feierlichkeiten. Es gebe zu viele Playmobilfigürchen und zu wenig Substanz; die historische Deutung Luthers sei zu oberflächlich.
Die zentrale Botschaft der Reformation komme nicht klar genug rüber. Es sei alles zu
eventig. Grundsätzlich gilt ja: Kritik ist die evangelische Form, Anerkennung zum
Ausdruck zu bringen. Ich finde, dass ein Streit um die Sache uns als Protestanten gut
zu Gesicht steht. Denn wer Reformation feiert – begibt sich in Spannungen hinein, ja
geradezu in ein Themenwespennest, so wie die Reformatoren zu ihrer Zeit ja auch.
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Als Evangelische Kirche in Deutschland haben wir zum Jubiläum schon viele Themen neu angestoßen und dadurch natürlich auch viele Probleme neu bewusst gemacht, die wir längerfristig zu bedenken und zu bearbeiten haben: Wir haben unser
Verhältnis zu den jüdischen Geschwistern neu bedacht und uns mit Luthers Antisemitismus und dem Thema Judenmission weiter auseinandergesetzt. Uns ist noch
deutlicher geworden, dass es gilt, die Errungenschaften des jüdisch-christlichen Dialoges in die nächste Generation zu tragen. Wir haben das Verhältnis der Reformatoren zum Islam beleuchtet und merken aktuell verstärkt, dass der Dialog mit unseren
islamischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern intensiviert werden muss. Er ist in sich
spannungsreich, weil der Islam selbst sich in einer inneren Zerreißprobe befindet. Wir
erleben, dass die öffentliche Präsenz des Themas „Reformation“ neu die Frage auf
den Plan ruft, wie denn Religion bei uns zukünftig in der Gesellschaft präsent sein
soll. Wir erleben eine deutliche Erwartungshaltung, uns gerade jetzt mit dem Rechtspopulismus auseinanderzusetzen. Vor knapp zwei Wochen habe ich auf Einladung
des Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf ein Grundsatzreferat zu diesem Thema in
Dahlem gehalten. Dort bin ich auch auf die Fragen eingegangen, die mich aus den
Kirchenkreisen und Gemeinden erreicht haben. Ich habe Ihnen den Vortrag gedruckt
auslegen lassen, so dass ich hier im Wort des Bischofs nun nicht weiter auf diese
Thematik eingehen werde.1
Dass wir uns mit dem Reformationsjubiläum in so vielen Themenbereichen neu positionieren, ist anspruchsvoll, aber es ist insgesamt ein großes Geschenk, diese Möglichkeit zu bekommen. Und es ist wunderbar, dass diese Gelegenheit von unserer
Kirche auf allen Ebenen auch kreativ wahrgenommen wird.
Wir sind zwar noch nicht bei der Halbzeit des Jubiläumsjahres angekommen, aber es
ist mir doch ein Bedürfnis, schon jetzt einen Dank auszusprechen, an alle, die dabei
so engagiert mitmachen, ob im Ehren- oder Hauptamt, ob beim Kirchentag oder in
den Gemeinden. Es ist mit viel Fleiß und Kreativität enorm viel vorbereitet worden,
und nun können wir ein Ereignis nach dem anderen wohlgemut und fröhlich feiern.
Näheres werden wir im Verlaufe der Synode ja noch hören.
2. Die Ökumene beleben
Durch das Jubiläumsjahr hat die Ökumene neue, starke Impulse bekommen. Als es
um die Frage ging, was wir zum 500-jährigen Reformationsjubiläum eigentlich ökumenisch feiern können, hat sich nach einem längeren Prozess des Dialogs und des
Ringens, die Erkenntnis durchgesetzt: Ökumenisch feiern wir ein Christusfest! Wir
fokussieren gemeinsam den dynamischen Urgrund der Kirche, Jesus Christus, der
sich in seiner Liebe an alle Menschen wandte. Gleichzeitig lassen wir nicht aus dem
Blick geraten, dass es natürlich noch Unterschiede und ungelöste Probleme gibt und
1
Ein Filmmitschnitt des Vortrages ist im Internet zu sehen, unter
https://www.youtube.com/watch?v=l4iP1lmtiaw
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dass wir als Evangelische auch weiterhin unsere spezifischen Themen in die ökumenische Familie einzubringen haben. Ich erinnere an befreiende Neuerungen, die die
Protestanten in ihrer Geschichte verwirklicht haben: die Synodalität als das verbindliche Leitungsprinzip der Kirche; der Zölibat als frei wählbare, aber nicht zwingend
notwendige Lebensform für Amtsträgerinnen und Amtsträger; die Ordination von
Frauen; und jetzt neu: die ethische Würdigung einer verbindlich gelebten Lebensform
von Liebenden gleichen Geschlechts.
Ökumenisch ein Christusfest feiern heißt: Den jeweils anderen in seiner Christuserkenntnis ernst nehmen, respektieren und auf diese Weise die versöhnende Kraft des
Evangeliums bezeugen. Ich glaube, dass in einer Zeit, in der Konfessionen und Religionen mit fundamentalistischen Wahrheitsverständnissen gegeneinander in Stellung
gebracht werden, die Einheit in versöhnter Verschiedenheit, ja womöglich auch in
partiell bleibender Verschiedenheit, ein starkes Zeugnis für Versöhnung und Frieden
in dieser Welt ist.
Zeichen eines versöhnlichen Geistes habe ich zum Beispiel während der Audienz bei
Papst Franziskus wahrgenommen. So hat er folgenden Satz in seiner Ansprache
gesagt:
„Wir wissen – in der Wirklichkeit der einen Taufe, die uns zu Brüdern und
Schwestern macht, und im gemeinsamen Hören auf den Geist – in einer
bereits versöhnten Verschiedenheit die geistlichen und theologischen Gaben
zu schätzen, die wir von der Reformation empfangen haben.“
Der Begriff der „Einheit in versöhnten Verschiedenheit“ ist die Einheitsvorstellung, die
wir als Evangelische Kirchen schon lange in die Ökumene zu vermitteln versuchen.
Bisher wurde diese Vorstellung von katholischer Seite fast immer als defizitär bezeichnet. Deshalb habe ich mit Freude gehört, dass Franziskus nun sagen konnte,
dass wir uns bereits heute in versöhnter Verschiedenheit gegenseitig schätzen
können.
Wir feiern im Jubiläumsjahr 2017 ein Christusfest, um die Ökumene geistlich zu beleben, um wieder neue Motivation zu bekommen, die dickeren theologischen Bretter
der Ökumene zu bohren: die Fragen des Amts- und Kirchenverständnisses. Denn
natürlich steht noch die Frage nach der Anerkennung der Kirchlichkeit evangelischer
Kirchen im Raum, die der Vorgänger des jetzigen Papstes noch vor seinem Amtsantritt als Papst schroff verneint hatte. Das Problem war nicht nur, dass er die evangelischen Kirchen als bloße „kirchliche Gemeinschaften“ bezeichnet hat, sondern vor
allem auch die Art und Weise, wie über das Selbstverständnis eines Dialogpartners
(in diesem Fall wir) einfach hinweggegangen wurde. Ich glaube aber, was wir derzeit
in der römisch-katholischen Ökumene erleben, ist eine neue Bereitschaft, sich im
jeweiligen Selbstverständnis wahrzunehmen. Wenn in den Healing of Memory-Gottesdiensten, die in verschiedenen Städten gefeiert wurden, der römisch-katholische
Amtsträger sagt …
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Unser Wille zur Profilierung war stärker als die Suche nach den Gemeinsamkeiten. Heute bitten wir Gott um sein Erbarmen für das, was wir einander angetan haben. Wir danken Gott auch für das, was wir aneinander haben.
und die evangelische Seite daran anschließt:
Wir stehen gemeinsam vor dem Kreuz Jesu Christi. Wir wollen es in dieser
Stunde aufrichten und uns von ihm aufrichten lassen. Wir wollen ein ökumenisches Fest des Glaubens an Jesus Christus feiern.
… dann ist dabei ein neuer Geist der Gemeinschaft zu spüren: Wir können Gott danken für das, was wir an dem jeweils anderen in seiner Andersheit haben.
Vielleicht kann ja auch das eine bleibende Frucht des Jubiläumsjahres werden: Weil
wir Evangelischen durch dieses Jahr genötigt sind, unser Selbstverständnis klarer erkennbar zu machen, können wir auch angemessener wahrgenommen werden. „Ich
zeige mich“ und „Du siehst mich!“ Wer ein eigenständiges Selbstbewusstsein hat,
kann auch die Größe haben, sich auf andere mit ihrem Selbstbewusstsein einzulassen, ohne sich selbst zu verlieren. Ein solches protestantisches Profil wünsche ich
mir! Wenn wir uns so begegnen, dürfte sich die steile These, evangelische Kirchen
wären gar keine „Kirche im eigentlichen Sinne“, allmählich von selbst erledigen.
Danken möchte ich an dieser Stelle Erzbischof Heiner Koch, der sofort zugesagt hat,
als die Präses unserer Synode ihn eingeladen hat, die Predigt im Synodengottesdienst zu halten. Das ist ein wunderbares Zeichen im Jubiläumsjahr. Und mehr als
das. Dieses Zeichen verweist auf eine große Bereitschaft zur geschwisterlichen Zusammenarbeit. Ich danke für das starke Engagement im Rahmen des Ökumenischen
Rates Berlin-Brandenburg, wodurch Bruder Koch gleich nach seinem Amtsantritt
deutlich gemacht hat, dass das Erzbistum die Vielfalt der Ökumene in unserer Stadt
und Region positiv wertet. Ich danke für die tatkräftige Unterstützung für den Kirchentag. Ich danke für das Mitgehen auf dem Kreuzweg am kommenden Karfreitag und
für die Einladung, am 9. Mai in der St. Hedwigskathedrale gemeinsam aus der
Lutherbibel zu lesen, und auch dafür, dass wir nun verstärkt darüber nachdenken
können, wie wir auf dem Weg eines konfessionell-kooperativen Religionsunterrichtes
weiter kommen können.
3. Den Dialog der Religionen vertiefen
Wir engagieren uns als EKBO stark im Dialog der Religionen. Denn, so sagt es die
dritte unserer 10 Thesen „begabt leben – mutig verändern“:
Wir nehmen diese Situation (des gesellschaftlichen Pluralismus) als Herausforderung an, vertreten unsere Botschaft aktiv und setzen uns im Geist der
Versöhnung für den gesellschaftlichen Dialog ein. Wir treten für das bewährte
Religionsrecht in unserer Gesellschaft ein, das es Menschen aller Religionen
erlaubt, ihren Glauben öffentlich zu leben.
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Dies ist Teil unserer Mission. Diesen Dienst wahrzunehmen ist aber nicht leicht, obwohl wir auf allen Ebenen unserer Kirche gute und vertrauensvolle Kontakte zu jüdischen und muslimischen Partnern aufgebaut haben und pflegen.
Unseren jüdischen Geschwistern muss angesichts erschreckender judenfeindlicher
Ereignisse unsere verstärkte Solidarität gelten. Dass ein jüdischer Schüler eine Berliner Schule verlassen musste, weil er wegen seines Judeseins übel beleidigt, angegriffen und bedroht wurde, ist ein Alarmzeichen, das wir nicht ernst genug nehmen
können. Wie ernst die Situation ist, zeigen folgende Zahlen: 470 judenfeindliche Vorfälle wurden in Berlin im vergangenen Jahr gemeldet. Das waren 16 Prozent mehr
als im Vorjahr. Dazu 173 antisemitische Straftaten.2
Bei der Gestaltung des Dialogs mit Muslimen tritt nun verstärkt das Phänomen auf,
dass Spannungen zwischen den muslimischen Gruppierungen den Dialog belasten.
So arbeiten wir etwa im House of One mit einer Gruppierung zusammen, die der
Gülen-Bewegung nahe steht, und haben gleichzeitig seit Jahren gute Kontakte zur
Sehitlik-Moschee, die zur DITIB3 gehört und ihrerseits internen Spannungen ausgesetzt ist.
Seit dem furchtbaren islamistischen Terrorakt kurz vor Weihnachten auf dem Breitscheidplatz, dessen Täter zuvor in einer Berliner Moschee verkehrte, ist zu Recht die
kritische Aufmerksamkeit gegenüber den Moscheen in unserem Land gestiegen.
Denn es muss gefragt werden: Wie grenzen sich Moscheegemeinden gegenüber
extremistischen islamistischen Einflüssen ab? Werden Kontakte in die internationale
islamistische Szene gepflegt? Welche Prediger werden eingeladen? Dass es hier in
manchen Moscheegemeinden Klärungsprozesse geben muss, wird (selbstverständlich) auch von unseren muslimischen Partnern gesehen, und auch, dass solche Fragen öffentlich diskutiert werden müssen. Allerdings darf sich eine solche kritische
Debatte nicht zu einem pauschalen Generalverdacht ausweiten.
Das jüngst erschienene Buch des ARD-Journalisten Constantin Schreiber „Inside
Islam“, das zurzeit kontrovers diskutiert wird, ist wenig hilfreich. Er, der Arabisch
versteht, hat 13 Moscheen in Deutschland, davon etwa die Hälfte in Berlin, besucht
und sich die Predigten angehört, sie in seinem Buch beschrieben und analysiert.
Zwar gibt der Autor zu, dass er subjektiv und nicht repräsentativ recherchiert hat.
Aber er gelangt dann doch zu einem verallgemeinernden Negativurteil: Er könne
nicht sehen, dass die Moscheen zur konstruktiven Auseinandersetzung mit unserer
Gesellschaft beitragen. Abgesehen davon, dass ihm inzwischen Übersetzungsfehler
und methodische Fehler nachgewiesen werden, dient eine solche Pauschalisierung
sicherlich nicht einer konstruktiven Auseinandersetzung.
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Focus Online, 5.4.2017
DITIB = Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.. – dem türkischen Staat zugeordnet.
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Ebenso wenig hilfreich ist der Ruf nach einem gesonderten Islamgesetz. Gottlob
scheinen sich inzwischen trotz Wahlkampfstimmung die besonnenen Stimmen in
allen Parteien durchzusetzen, die darauf verweisen, dass es in unserem Rechtssystem weder sinnvoll noch möglich ist, eine einzelne Religion besonders zu behandeln
und damit einem Generalverdacht auszuliefern. Auch ist kein Islamgesetz notwendig,
um Gefahren abzuwehren. Manche Symbolpolitik ist unschädlich. Diese aber dient
nicht zu einer sachlichen Wahrnehmung der Probleme und erst recht nicht dazu,
Lösungen zu finden.
Zur sachlichen Wahrnehmung der Realität gehört es, auch auf erstaunlich positive
Untersuchungsergebnisse hinzuweisen: Eine neue Untersuchung der BertelsmannStiftung hat herausgefunden, dass sich rund ein Fünftel der Bevölkerung 2016 für
Flüchtlinge engagiert hat. Auffällig ist dabei: Besonders viele der befragten Muslime,
44 Prozent, haben sich im Jahr 2016 für Schutzsuchende engagiert. Unter den Christen waren es 21 und unter den Konfessionslosen nur 17 Prozent.4
Unsere Rolle muss es sein, gerade solche Dialogpartner zu unterstützen, die sich um
Öffnung, um gesellschaftliches Engagement und auch um Klärungsprozesse in der
eigenen Gemeinschaft bemühen. Gerade deshalb haben die Veranstalter der Friedenskundgebung am Breitscheitplatz „Religionen für ein weltoffenes Berlin“ am 16.
März, auf der der Opfer des Terroranschlages gedacht wurde, und für die sich Pfarrer Martin Germer und Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein sehr eingesetzt
haben, auch mit Imam Sabri von der Neuköllner Begegnungsstätte / Dar-AssalamMoschee zusammengearbeitet. Denn diese Moschee hat sich in der letzten Zeit sehr
für eine gesellschaftliche Öffnung und für einen internen Klärungsprozess eingesetzt.
Dass unter Bezugnahme auf einen Verfassungsschutzbericht aus dem Jahre 2015
dann eine öffentliche Diskussion befeuert wurde, in deren Verlauf die gesamte Kundgebung unter das Urteil gestellt wurde, man würde mit Islamisten gemeinsame
Sache machen, war sachlich nicht gerechtfertigt. Es zeigt allerdings, wie schnell mit
pauschalen Urteilen gearbeitet wird, die die Dialogarbeit nicht unterstützen, sondern
erschweren.
Erfreulich ist es, dass hier in Berlin nun das Bewusstsein dafür gewachsen ist, wie
wichtig es ist, möglichst bald in Deutschland wissenschaftlich ausgebildete Imame
und Religionslehrer in Moscheegemeinden anstellen und im Religionsunterricht
einsetzen zu können. Die neue Berliner Regierung will sich dafür stark machen, dass
an der Humboldt-Universität muslimische Theologie gelehrt wird. Nach Möglichkeit
soll auch die jüdische Theologie in irgendeiner Weise einbezogen werden. Gleichzeitig soll dafür gesorgt werden, dass die katholische Theologie, die inzwischen nur
noch mit einem Lehrstuhl an der Freien Universität ausgestattet ist, wieder besser in
Berlin vertreten ist. Schließlich geht es darum, dass ein interreligiöser wissenschaftlicher Austausch an der Humboldt-Universität etabliert wird.
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Spiegel-Online, 27.3.2017
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Die Frage, wie diese Ziele genau realisiert werden können, wird zurzeit noch sehr
offen und kontrovers diskutiert. Eine schnelle Lösung, mit der alle Probleme mit
einem großen Wurf geklärt wären, kann und wird es sicherlich nicht geben. Realistischer und einen dauerhaften Erfolg eher versprechend ist es, Schritt für Schritt vorzugehen. Denn allein mit der Etablierung der Islamischen Theologie an der Universität sind eine Fülle von Fragen zu klären: In welcher Weise werden die islamischen
Verbände beteiligt, so dass die Absolventen auch die notwendige Akzeptanz bei den
Moscheegemeinden finden? Welche konkreten Anstellungsmöglichkeiten wird es für
die Absolventen der islamischen Theologie im Religionsunterricht und in Moscheegemeinden geben? Dazu kommen eine Fülle von rechtlichen Fragen, die den Status
der jeweiligen Einrichtungen betreffen.
Für uns als evangelische Kirche ist zweierlei wichtig: Erstens begrüßen wir sehr,
wenn Berlin durch die Etablierung unterschiedlicher konfessioneller und religiöser
Theologien an der Humboldt-Universität zu einem interreligiös ausgerichteten wissenschaftlich-theologischen Standort wird. Zweitens ist für uns wesentlich, dass
weiterhin der vorhandene Status einer konfessionell gebundenen evangelischen
Theologie an der Universität erhalten bleibt, weil nur so die Humboldt-Universität
Ausbildungsstätte für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer, Religionslehrerinnen und
Religionslehrer bleiben kann. Diese Möglichkeit konfessioneller Theologie an der
Universität auch anderen Konfessionen und Religionen zu ermöglichen, muss das
Ziel aller Bemühungen sein.
Angesichts der Dialogherausforderungen, die ich hier nur skizzieren konnte, sind wir
als EKBO gefordert, uns weiterhin engagiert in den interreligiösen Dialog einzubringen. Diesen Dialog weiter sinnvoll zu führen, kann nur heißen, die Probleme klar in
den Blick zu nehmen und den Dialog zu vertiefen, also intensiver zu gestalten. Denn
die Zeiten, in denen interreligiöse Dialogarbeit etwas für einige Liebhaberinnen und
Liebhaber war, sind vorbei. Es ist inzwischen für alle Religionen in unserer Gesellschaft existentiell wichtig geworden, den eigenen Glauben so zu leben, dass er sich
als dialogfähig und dialogwillig zeigt.
4. Geflohene integrieren
Zwei Mal habe ich als Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland
am Integrations- und Flüchtlingsgipfel der Bundeskanzlerin teilnehmen können. Wer
dort den ernsthaften und konstruktiven Austausch über die Probleme und über das
Erreichte bei der Integrationsarbeit miterlebt, der fragt sich, welche Wirklichkeitswahrnehmung eigentlich die Unkenrufer und Angstmacher unserer Tage haben. Alle
gesellschaftlichen Kräfte sind dort vertreten und wissen über die konstruktiven und
erfolgversprechenden Bemühungen zu berichten. Ja, es ist nicht leicht, Menschen
fremder Kultur zu integrieren. Aber es gelingt. Was allein im vergangenen Jahr geleistet wurde, zeigt wie stark unsere Gesellschaft ist und wie sehr gerade Handwerk
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und Wirtschaft darauf angewiesen sind, dass wir neue Bürger für den Arbeitsmarkt
bekommen, die den demographischen Wandel auffangen.
Große Sorge allerdings gibt es in unserer Kirche in vielen Gemeinden, weil Menschen, denen die Gemeinden geholfen haben hier bei uns Fuß zu fassen (durch Patenprogramme, Deutschunterricht und die Vermittlung von Ausbildungsplätzen), jetzt bei
der Aufarbeitung der vielen bisher unbearbeiteten Asylanträge plötzlich die Abschiebung droht. Besonders schmerzlich ist es, wenn es sich dabei um Menschen handelt,
die sich in unseren Gemeinden haben taufen lassen und nun in ihr Herkunftsland abgeschoben werden sollen, wo sie als Christinnen und Christen keine Chance auf ein
sicheres Leben haben. Wir sammeln zurzeit die Fälle von Ablehnungen, die wir für
ungerechtfertigt halten, um diese Fälle dann über den Bevollmächtigten des Rates
der EKD bei der Bundesregierung noch einmal neu dem Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge vorzulegen.
Ebenso dringend müssen wir darauf hinweisen, die entstehen, wie stark Geflüchtete
leiden und wie sehr es ihnen schwer gemacht wird, sich in unsere Gesellschaft zu
integrieren, wenn sie ihre Familienmitglieder aus der heimatlichen Notsituation nicht
nachkommen lassen können. Dies ist ein massives Integrationsproblem. Natürlich
muss jede Gesellschaft und auch unser Land die Belastungen abschätzen, die die
Aufnahme von Menschen bedeutet. Aber die Frage des Familiennachzugs ist sicherlich nicht die richtige Stellschraube, um diese Belastungen zu regeln. Die prinzipielle
Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär schutzberechtigte Flüchtlinge seit
März 2016 schafft mehr Probleme als sie Probleme zu lösen in der Lage ist.
Ergänzung vom 7. April 2017 zum Militäreinsatz der USA in Syrien
Wie Sie, liebe Schwestern und Brüder, habe ich heute Morgen die Nachricht von den
US-amerikanischen Luftangriffen auf syrische Stellungen gehört, nachdem wir in den
vergangenen Tagen mit Entsetzen die Meldungen von einem Giftgaseinsatz mit
hohen zivilen Opfern in Syrien verfolgt hatten.
„Was soll nun daraus werden?“ – müssen wir jetzt besorgt fragen. Über Jahre haben
die internationalen Verhandlungspartner keine Fortschritte für Syrien erzielt. Nicht
einmal Ansätze für eine friedliche Lösung wurden gefunden. Die Welt hat hilflos zugesehen, wie Hundertausenden grausames Leid zugefügt wurde und wie Unschuldige umgekommen sind.
Welche Konsequenzen wird nun dieser Militärschlag haben? Er beruht auf keinerlei
erkennbarer Strategie. Noch vor kurzem wurde die Lage in Syrien von den USA völlig
anders eingeschätzt und die Ziele der US-Regierung völlig anders beschrieben.
„Welche Konsequenzen wird der Militärschlag haben?“ Diese Frage können wir nur
mit großer Besorgnis stellen. Dass ein solcher Militärschlag in keiner Weise den Kri-
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terien einer evangelischen Friedensethik entspricht, liegt klar auf der Hand: Es ist
keine ultima ratio-Entscheidung. Eine ultima ratio-Entscheidung setzt voraus, dass
ein Einsatz als genau überlegter Militäreinsatz nach langen, aktiven Friedensverhandlungen, und nur wenn er unabweisbar erscheint, erfolgt. Dazu müsste ein
solcher Einsatz ein klares Ziel und eine realistische Strategie für eine friedliche politische Lösung vor Augen haben. All dies können wir im Moment nicht erkennen. Wir
können die Frage „Was soll daraus werden?“ nur voller Besorgnis stellen und im
Gebet vor Gott tragen.
5. Es gibt ein Leben nach 2017 – Wie wir uns fit machen für die
Zukunft
Mitten in unruhigen Zeiten müssen wir einen klaren Kopf behalten – auch, was die
Zukunft unserer Kirche betrifft. Schon in diesem Jubiläumsjahr wollen wir deshalb
über 2017 hinausschauen und konzeptionell in die Zukunft blicken. Ein Bildungskonzept, ein Umweltkonzept, die Planung von Kindertagesstätten und der Bericht der
Strukturkommission liegen ihnen vor. Mitten im Jubiläumsjahr machen wir damit
deutlich: Es gibt ein kirchliches Leben nach 2017! All die ausgestreuten Samen und
die schon gewachsenen Pflänzchen möchten weiter gepflegt werden. Aber es wird
dann auch wieder verstärkt darum gehen müssen, die sich verändernden Rahmenbedingungen in den Blick zu nehmen. Lassen Sie mich einige Sätze, gleichsam als
Geleitwort, zum Bericht der Strukturkommission sagen.
Mit diesem Papier halten Sie etwas Neues in der Hand. Wer schon Mitglied der vorigen Synode war, wird sich daran erinnern, dass die Synode den Auftrag erteilt hatte,
ein Konzept für zukünftiges Sparen zu erarbeiten, das – die Demographie zeigt es –
Anfang der 2020er Jahre notwendig werden wird. Dieser Auftrag ist nun sehr konstruktiv umgesetzt worden. Was Ihnen vorliegt ist ein Konzept, das einen Diskussionsprozess auf den Weg bringt. Folgende Charakteristika dieses Konzeptes sind
wesentlich:
- Es wurden inhaltliche Handlungsfelder formuliert, damit notwendige Sparentscheidungen nicht einfach entlang der Haushaltstellen überlegt, sondern
inhaltlich bedacht werden.
- Geplant wird ein „Sparen auf Sicht“, das heißt jeweils nach den Vorgaben
einer realistisch erwartbaren mittelfristigen Finanzplanung.
- Der Strukturausschuss hat mit der Gesamtsteuerungsgruppe des Reformprozesses zusammengearbeitet, damit die von der Gesamtkirche einwickelten
und von der Synode beschlossenen Zehn Thesen nun auch inhaltlich die
Sparentscheidungen mit bestimmen.
- Die Rollen der Synode, ihrer Ausschüsse, des Konsistoriums, der Kirchenleitung werden bedacht und bestimmt. Die Synode mit ihren Ausschüsse bekommt dabei eine verstärkte Verantwortung. Sicherlich wird diese verstärkte
Verantwortung auch einen intensiveren Arbeitsstil erforderlich machen. Aber
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diese stärkere Mitverantwortung war ja von der Synode gewollt und – vor
allem – sie entspricht auch unserem evangelischen Kirchenverständnis.
Ich bin überzeugt davon, dass mit diesem Konzeptentwurf ein Meilenstein erreicht ist.
Noch müssen wir nicht sparen, aber wir müssen das gemeinsame Sparen lernen. Zu
diesem Lernen ist jetzt noch Zeit. Ressourcen angemessen zu verteilen, geht nie
spannungslos. Aber mit einem guten Konzept kann es sich zumindest sachbezogen,
transparent, fair und in bewussten Entscheidungen vollziehen. Und dies ist umso
wichtiger, als wir ja auf allen Ebenen der Kirche eine Schere wahrnehmen, die sich
auftut: Die Erwartungen an uns als Kirche steigen, unsere Möglichkeiten werden aber
geringer. Da ist es gut, dass wir die Grundsatzfragen, welche Kirche wir morgen sein
wollen bereits beantwortet haben und mit dem Konzeptentwurf des Strukturausschusses nun auch vor Augen haben, in welchen Prozessen wir uns auf sich verändernde Rahmenbedingungen einstellen können.
6. „Bleibt in meiner Liebe!“
Lassen Sie mich schließen mit einem Jesuswort aus dem Johannesevangelium, das
mich in diesen Wochen der Passionszeit besonders bewegt:
Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe!
10 Wenn ihr meine Gebote haltet, so bleibt ihr in meiner Liebe, wie ich meines
Vaters Gebote halte und bleibe in seiner Liebe. 11 Das sage ich euch, damit
meine Freude in euch bleibe und eure Freude vollkommen werde.
Passionszeit ist Abschiedszeit und deshalb Veränderungszeit. Jesus verabschiedet
sich, während sich die Umbrüche und der Wandel schon ankündigen. Es wird alles
anders werden. Das ist eine Zumutung, für diejenigen, die bleiben: für seine Jüngerinnen und Jünger. Ihnen sagt er: „Bleibt! Bleibt in meiner Liebe. Bleibt, obwohl alles
anders wird.“
Auch wir leben gegenwärtig in veränderlichen Zeiten, von vielen als Krisenzeiten erlebt. Wenn wir diese gegenwärtigen Veränderungszeiten aber im Lichte des Leidens
und der Auferstehung Jesu deuten, dann erkennen wir in allem, was sich ändert,
auch das Bleibende und die kreative Kraft des Neuen. Wenn wir in der Liebe Christi
bleiben und die Überzeugungen und Werte bewahren, die uns in seiner Person begegnen, dann können wir uns mutiger den Veränderungen stellen und darauf vertrauen, dass in ihnen die Liebe Gottes weiter Gestalt gewinnen kann und wird.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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