1 Niko Strobach und Ludger Jansen Ein neuer Weg zur Logik der Begriffe Teil 1: Die minimale Begriffslogik CM1 1. Einleitung Ziel dieses Beitrags ist es, eine recht einfach gebaute, aber vielleicht in der Anwendung nützliche formale Logik vorstellen: die Begriffslogik „Concept minimal“ oder kurz CM. CM könnte trotz seiner Einfachheit gewisse expressive Defizite der Prädikatenlogik ausgleichen und mag sich vielleicht gerade wegen seiner Einfachheit gut ausbauen und sogar popularisieren lassen, indem CM den Gebrauch von in manchem Zusammenhang handlichen Zeichenketten insofern legitimiert, als diese nunmehr als Formeln eines Kalküls gelten können und somit klar ist, auf welche Folgerungen man sich jeweils mit ihrem Gebrauch verpflichtet. Was soll nun eine minimale Begriffslogik? Geht es nicht in der Logik immer um Begriffe? Man könnte antworten: in der traditionellen Logik schon, nicht aber in der modernen. Denn während die traditionelle Logik im wesentlichen eine Logik der intensionalen Verhältnisse von Begriffen zueinander war, so ist die gebräuchlichste moderne Logik, die Prädikatenlogik eine Logik des Verhältnisses der Extensionen von Prädikaten zueinander. Ihr fehlen damit z.B. Mittel, um den Unterschied zwischen Extension und Intension eines Begriffes darzustellen oder die definitorische Abhängigkeit zweier Begriffe vom zufälligen Enthaltensein der Extension des einen in der Extension des anderen Begriffes zu unterscheiden. Dies ist schon lange als unbefriedigend empfunden worden, und wir wollen auch gar nicht behaupten, dass wir völliges Neuland betreten. Was aber unserer Meinung nach doch bisher Mangelware war, ist eine einfache Logik, die zwei Züge verbindet: 1. Sie nimmt Begriffe als Begriffe ernst. 2. Sie stellt kein Konkurrenzprojekt zur Prädikatenlogik dar (daran kranken unserer Meinung nach Ansätze der Termlogik bei Fred Sommers und George Englebretsen2 oder bei Freytag Löringhoff3); sie versteht sich vielmehr als damit vereinbare, sinnvolle Ergänzung. Dass wir Begriffe als Begriffe ernstnehmen wollen, heißt zweierlei: 1. Wir meinen zunächst einmal einfach, dass es Begriffe gibt, und wir behandeln in der Begriffslogik Begriffe als einfache Gegenstände. Eigentlich gibt es also keine komplexen 1 Wir danken Burkhard Hafemann für viele anregende Diskussionen im Vorfeld und Bertram Kienzle für das Einsparen zweier redundanter Axiome. 2 Vgl. zur Einführung z.B. George Englebretsen, Logical Negation, Assen 1981; ders.: Something to Reckon With, The Logic of Terms, Ottawa 1996. 3 Vgl. z.B. Bruno Baron von Freytag Löringhoff, Logik I, Das System der reinen Logik und ihr Verhältnis zur Logistik, Stuttgart 19725. Weitere Papiere und Literaturhinweise auf der vorbildlich gestalteten website: http://www.begriffslogik.de und unter http://www2.hu-berlin.de/jacoby/forschung9a.html. 2 Begriffe, nur komplexe Begriffsnamen. Wenn wir eine Semantik für CM vorschlagen, gehen so weit, Begriffe als Gegenstände von Modellen der Begriffslogik zu verwenden. Wir gehen also davon aus, dass es Sinn macht, Begriffe voneinander zu unterscheiden und sie Elemente von Mengen sein zu lassen. Wir gehen davon aus, dass es sinnvoll ist, zwei Begriffe voneinander verschieden zu nennen, und einen Begriff nicht verschieden von sich selbst (man nennt das meist "identisch mit sich selbst"). Wir werden über Begriffe jedoch nicht in der Objektsprache quantifizieren. CM wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas platonistisch, aber das täuscht. Abgesehen von extremen Nominalisten können eigentlich Vertreter aller Positionen im Universalienstreit CM auf ihre Art interpretieren. Und selbst ein extremer Nominalist kann zumindest mit der Axiomatik von CM arbeiten. Nur eines wollen wir nicht, und das ist der zweite Punkt: 2. Wir möchten Begriffe konsequent nicht mit Extensionen identifizieren - auch nicht mit Extensionen in allen möglichen Welten (denn das ist schon deshalb unplausibel, weil die Begriffe "Summe von 3 und 1" und "Produkt von 2 mit sich selbst" intensional verschieden sind, obwohl sie in jeder möglichen Welt extensionsgleich sind). Wir haben den Eindruck, dass CM gut zum Projekt des sogenannten „Inferentialism“ von Robert Brandom passen könnte (auch wenn dieser stärker die Satz- als die Begriffsebene betont).4 Der Grund liegt darin, dass es besonders plausibel ist, die zwei neben der Identität bzw. Bedeutungsgleichheit in CM auftretenden begriffslogischen Grundbeziehungen als normative Beziehungen zu erklären: Unvereinbarkeit: Ein Begriff A und ein Begriff B sind genau dann unvereinbar, falls gilt: Wenn man behauptet, dass ein Gegenstand x unter A fällt, so ist es einem, danach gefragt, ob x auch unter B fällt, verboten zu behaupten, dass x unter B fällt. (Begriffslogische) Implikation: Ein Begriff A impliziert einen Begriff B genau dann, falls gilt: Wenn man behauptet, dass ein Gegenstand x unter A fällt, so ist man, danach gefragt, ob x auch unter B fällt, verpflichtet zu behaupten, dass er unter B fällt. Entsprechend bedeutet, dass ein Begriff A und ein Begriff B vereinbar sind, einfach, dass es, wenn man behauptet, dass ein Gegenstand x unter A fällt, erlaubt ist, zugleich zu behaupten, dass er unter B fällt. Doch Vereinbarkeit können wir einfach als Negation der Unvereinbarkeit definieren. 4 Vgl. Robert Brandom, „Making It Explicit“, Cambridge / Mass. 1994, und „Articulating Reasons“, Cambridge / Mass. 2000. 3 Man könnte sich allerdings fragen, ob überhaupt Implikation und Unvereinbarkeit beide als Grundrelationen nötig sind, da doch ein Verbot eine Verpflichtung zum Nichttun ist. Doch um das auszudrücken, brauchten wir einen begriffslogischen Negator, der unserer Meinung nach in einem minimalen System noch nichts zu suchen hat. 2. Die Grundsyntax von CM Atomare Formeln von CM sind grundsätzlich Zeichenfolgen von drei Zeichen, zwei davon für Begriffe und eines für eine Relation, die zwischen ihnen besteht. Wir wollen die begriffslogische Implikation als „imp“ notieren, die begriffslogische Identität als „id“ und die Unvereinbarkeit als „incomp“. Typische atomare Formeln von CM sind somit (1) (2) (3) A imp B A id B A incomp B. Nun wird man in CM z.B. gerne ausdrücken können, dass eine gewisse begriffslogische Beziehung etwa symmetrisch ist, eine andere vielleicht antisymmetrisch. Es bietet sich daher an, CM als eine Art Aussagenlogik zu konzipieren, in der an der Stelle von einfachen Satzbuchstaben, atomare Formeln der beschriebenen Struktur stehen. Ein CM-Alphabet besteht aus Begriffskonstanten (Großbuchstaben A, B, C etc.), den Begriffsrelatoren id, imp und incomp, den aussagenlogischen Junktoren für Alternation (v) und Negation (~) sowie Klammern. Die weiteren Formregeln sind Standard, ebenso die Einführung der übrigen aussagenlogischen Junktoren. 3. Die Axiomatik von CM Wir schlagen vor, CM durch folgende Axiomatik zu charakterisieren: (CM 0) (CM 1) (CM 2) (CM 3) (CM 4) (CM 5) (CM 6) (CM 7) Jedes aussagenlogische Theorem mit wohlgeformten Formeln von CM an der Stelle der Satzbuchstaben ist ein Axiom von CM Aussagenlogik A id A Reflexivität von id A id B → ((B ξ C ≡ A ξ C) & (C ξ B ≡ C ξ A)) Leibnizivität von id A imp A Reflexivität von imp A imp B & B imp C → A imp C Transitivität von imp ~ (A incomp A) Irreflexivität von incomp A incomp B → B incomp A Symmetrie von incomp A imp B & B incomp C → A incomp C Kombinationsaxiom 4 Herleitungsregel ist der modus ponens. Die kursiv gesetzen Großbuchstaben sind Metazeichen für Begriffsbuchstaben. Streng genommen haben wir also Axiomenschemata vor uns, die aber i.f. auch einfach Axiome genannt werden sollen. (CM 0) inkorporiert die Aussagenlogik. (CM 1) und (CM 2) charakterisieren die begriffslogische Identität, die natürlich eine Äquivalenzrelation sein soll, so dass wir die Reflexivität von id fordern sollten und zudem erreichen sollten, dass id symmetrisch und transitiv ist. Letzteres folgt recht einfach aus dem sehr starken, aber auch sehr plausiblen Axiom (CM 2), das eine Eigenschaft von id ausdrückt, die wir Leibnizivität nennen: Das ξ steht für einen beliebigen begriffslogischen Grundrelator, damit die Formel nicht noch länger wird. Und sie besagt: Wenn A und B begriffslogisch identisch sind, so gilt für einen beliebigen Begriff C, dass C und A in denselben begriffslogischen Beziehungen zueinander stehen wie C und B. (CM 3) und (CM 4) charakterisieren die begriffslogische Implikation. Sie soll reflexiv und transitiv sein, was sich für eine Verpflichtungsbeziehung der erläuterten Art leicht motivieren lässt. Über die Symmetrie von imp sollte man dagegen nichts festlegen: "Mensch" impliziert "Lebewesen", aber nicht umgekehrt, so dass wir hier einen nicht symmetrischen Fall haben. Anderseits gibt es natürlich symmetrische Fälle von imp, denn wäre imp antisymmetrisch, so könnte imp nicht reflexiv sein. Die begriffslogische Implikation ist eine sehr allgemein gehaltene Relation und nicht die Genus / Spezies-Relation in einem Definitionsbaum. Die Genus / Spezies-Relation ist vielmehr ein sehr reicher Spezialfall der begriffslogischen Implikation, und um diese auszudrücken, braucht man eine sehr viel reichere Begriffslogik als das minimale System CM, deren Ausarbeitung im Sinne einer Erweiterung von CM noch nicht abgeschlossen ist. (CM 5) und (CM 6) charakterisieren die Unvereinbarkeit. Dass die Unvereinbarkeit eine symmetrische Beziehung ist, muss man nicht lange begründen. Auch dass ein Begriff mit sich selbst vereinbar sein sollte, ist sicher auf den ersten Blick recht und billig (bei genauerem Hinsehen, ist das eine starke Forderung, worauf noch einzugehen ist). Über die Transitivität sollten wir dagegen nichts festlegen. Denn (4) A incomp B & B incomp C → A incomp C wird wahr mit A für "rot", B für "grün" und C für "blau", aber falsch mit B für "Zahl", A für "eckig" und C für "rot". Obwohl die Leibnizivität von id schon eine gewisse Verknüpfung zwischen den begriffslogischen Beziehungen schafft, stehen diese doch noch relativ unverbunden zueinander, wenn man nicht noch ein oder mehrere Kombinationsaxiome annimmt, die wiederum die Beziehungen untereinander in Beziehung setzen. Wir haben den Eindruck, dass zu diesem Zweck (CM 7) besonders geeignet ist und auch genügt. Es besagt, dass, wenn A und B unvereinbar sind und C B impliziert, auch A und C unvereinbar sein müssen. 5 4. Abgeleitete Relationen Sehr einfach lässt sich das Vokabular von CM zunächst um die Negationen der drei Grundrelationen erweitern, also um die Vereinbarkeit, die Differenz und die Nichtimplikation: (Def. comp) A comp B df.= ~ (A incomp B) (Def. diff) A diff B df.= ~ (A id B) (Def. nonimp) A nonimp B df.= ~ (A imp B). Außerdem finden wir die folgenden zwei Relationen aus philosophischen Gründen interessant: (Def.conv) A conv B df.= A imp B & B imp A (Def. indep) A indep B df.= ~ (A imp B) & ~ ( B imp A) & A comp B. „conv“ steht für „Konvertibilität“, und wie man sieht, handelt es sich dabei um die gegenseitige Implikation. Uns ist wichtig, dass die gegenseitige Implikation von Begriffen etwas anderes ist als begriffliche Identität, obwohl 1. aus der Identität die Konvertibilität folgt, 2. schon die Konvertibilität eine Äquivalenzrelation ist, und 3. konvertible Begriffe in allen möglichen Welten extensionsgleich sind. Denn wir sind zwar verpflichtet, auf dasjenige, auf das wir den Begriff "Summe von 3 und 1" anwenden, auch den Begriff "Produkt von 2 mit sich selbst" anzuwenden und umgekehrt; aber dennoch bedeuten die beiden Begriffe nicht dasselbe. Oder, um ein Beispiel aus Aristoteles' "Metaphysik" anzuführen, das im Mittelalter unter dem Stichwort „ens et unum convertuntur“ bekannt war: Wenn man etwas "Eines" nennt, so ist man darauf verpflichtet, es auch (in einem gewissen Sinn auch) "Seiendes" zu nennen - und umgekehrt.5 Aber dennoch bedeuten "Eines" und "Seiendes" nicht dasselbe. „indep“ soll die Unabhängigkeit zweier Begriffe voneinander ausdrücken. Interessanterweise reicht dafür intuitiv weder die einfache noch die gegenseitige Nichtimplikation. Denn auch bei unvereinbaren Begriffen liegt gegenseitige Nichtimplikation vor - dennoch sind sie gerade dadurch, dass sie unvereinbar sind, aufeinander bezogen und somit nicht unabhängig voneinander. Zwei Begriffe sind also erst dann unabhängig voneinander, wenn weder der erste den zweiten impliziert, noch der zweite den ersten, aber sie doch miteinander vereinbar sind. 5. Theoreme Mit dem so angereicherten Vokabular (zum Teil mit den Grundrelationen allein) lassen sich eine Reihe von Theoremen festhalten, die zeigen, das sich mit CM schon ein ganz hübsches Netz begriffslogischer Beziehungen spinnen lässt: 5 Aristoteles, Metaphysik IV (Γ) 2, 1003b23-33. 6 T1 T2 T3 T4 T5 T6 T7 T8 T9 T10 T11 T12 T13 T14 T15 T16 T17 T18 T19 A id B & B id C → A id C A id B → B id A A diff B → B diff A ~ (A diff A) A comp B → B comp A A comp A ~ (A indep A) A indep B → B indep A A conv A A conv B & B conv C → A conv C A conv B → B conv A A id B → A imp B A incomp B → A diff B A id B → A conv B A comp B & B imp C → A comp C A incomp B → A nonimp B A imp B → A comp B A id B → A comp B A incomp B → ~ (A indep B). Transitivität von id Symmetrie von id Symmetrie von diff Irreflexivität von diff Symmetrie von comp Reflexivität von comp Irreflexivität von indep Symmetrie von indep Reflexivität von conv Transitivität von conv Symmetrie von conv 6. Keine selbstwidersprüchlichen Begriffe In Abschnitt 2 wurde bereits angedeutet, dass die Irreflexivität der Unvereinbarkeit (m.a.W. die Reflexivität der Vereinbarkeitsrelation) keine Trivialität, sondern eigentlich eine ziemlich starke Forderung ist. Der Grund dafür war, dass man sie zumindest bezweifeln kann, wenn es selbstwidersprüchliche Begriffe gibt: Wenn es etwa den Begriff „eckiger Kreis“ gibt, so verpflichtet mich sein Gebrauch sowohl auf den Gebrauch des Begriffs „eckig“ als auch auf den Gebrauch des Begriffs „rund“, die jedoch beide unvereinbar sind. Genau darin bestünde seine Widersprüchlichkeit. Kann ich dann eigentlich noch sagen, der Begriff „eckiger Kreis“ sei mit sich selbst vereinbar? Und wenn nicht, falsifiziert das dann nicht das Axiom (CM 5)? Wir sind eher dafür, (CM 5) zu halten, den Spieß umzudrehen und zu sagen, dass es sich bei „eckiger Kreis“ eben nicht um einen Begriff, sondern bloß um den erfolglosen Versuch einer Begriffsbildung handelt. Denn damit ein Begriff C selbstwidersprüchlich wäre, müsste nach dem Gesagten gelten: (7) C imp A & C imp B & A incomp B. Doch aus 7 (8) C imp A & C imp B gewinnt man in wenigen Schritten in CM (9) A comp B. In Kürze, also mit bereits als bewiesen vorausgesetzten Theoremen notiert, lässt sich das so zeigen: 1. C imp A & C imp B 2. C imp A → C comp A 3. C imp A 4. C comp A 5. A comp C 6. A comp C & C imp B 7. A comp C & C imp B → A comp B 8. A comp B 9. C imp A & C imp B → A comp B Annahme T17 1., a.l. 2., 3., m.p. 4., T5 1., 5., a.l. T15 6., 7., m.p. 1., 8., a.l. T20 Somit kann (7) nie wahr werden. 7. Eine Semantik für CM CM lässt sich mit einer Semantik versehen, die auf einfache Weise genau die Axiomatik widerspiegelt. Ein Vorteil daran ist, dann semantisch argumentieren zu können, denn verfährt man so wie hier, bekommt man die Vollständigkeit gratis. Vor allem aber soll diese Semantik eine Art Schraubfläche bieten, auf der sich im zweiten Teil dieses Papiers die Prädikatenlogik 1. Stufe montieren lässt. Wir wollen die Semantik mit Bezug auf ein bestimmtes Alphabet Alph von CM angeben. Ein Alphabet von CM kann ja verschieden viele Begriffskonstanten enthalten, und streng genommen gibt es damit nicht die Sprache CM, sondern eine Sprache pro Alphabet. In bezug auf ein Alphabet von CM ist nun zunächst zu sagen, was eine Struktur für CM ist. Unser Vorschlag ist einfach, eine solche Struktur mit einer Grundmenge, B, von Begriffen aufzubauen. Die Axiome, die als einzigen Begriffsrelator id enthalten, also (CM 1) und (CM 2), ergeben sich direkt aus dem Wesen der Identität und sind darin semantisch fundiert. Zu (CM 3) bis (CM 7) dagegen müssen wir explizite Gegenstücke in die Semantik für CM einbauen (die wir entsprechend etikettiert haben). Wir schlagen vor, das durch die folgenden Definitionen zu erreichen: 8 (Def. CM S) Eine Struktur für CM ist ein Tripel 〈B, INCOMP, IMP〉, so dass gilt: (1) B ist eine nichtleere Menge von Individuen [Begriffen] (2) INCOMP und IMP sind zweistellige Relationen auf B (INCOMP ist evtl. leer) (3) Für alle x, y, z ∈ B gilt: a) IMP(x,x) b) Wenn IMP(x,y) und IMP(y,z), dann auch IMP(x,z) c) Es kommt nicht vor, dass INCOMP(x,x) d) Wenn INCOMP(x,y) , dann auch INCOMP(y,x) e) Wenn IMP(x,y) und INCOMP(y,z) , dann INCOMP(x,z) (CM 3*) (CM 4*) (CM 5*) (CM 6*) (CM 7*). (Def. CM M) Ein Modell für CM unter Verwendung von Alph ist ein Tupel 〈B, INCOMP, IMP, IntB〉, so dass gilt: (1) 〈B, INCOMP, IMP〉 ist eine Struktur für CM (2) IntB ist eine Interpretationsfunktion, die jeder Begriffskonstante aus Alph genau ein Element von B zuordnet. (Def. CM W) In bezug auf ein Modell M für CM wird jeder wohlgeformten Formel, die sich aus Zeichen von Alph bilden lässt, entweder der (Wahrheits-)Wert 0 oder 1 zugewiesen - kurz: VM(α) = 1 bzw. 0 -, indem folgende Bedingungen gelten: (1) VM( A id B )=1 (2) VM( A incomp B) = 1 (3) VM( A imp B ) = 1 gdw gdw gdw IntBM (A) = IntBM (B) INCOMP M( IntBM(A), IntBM(B) ) IMPM ( IntBM(A), IntBM(B) ) (4) VM( α v β )=1 gdw wenigstens VM(α) = 1 oder wenigstens VM(β) = 1 (5) VM( ~α )=1 gdw VM(α) = 0. 8. CM und Syllogistik Zum Abschluss sei darauf hingeweisen, dass CM eine komplette assertorische Syllogistik enthält, wenn man diese begriffslogisch deutet. Man sollte sich dabei nicht fragen, ob die assertorische Syllogistik eigentlich extensional oder intensional gemeint ist. Eine Syllogistik ist eine sehr allgemeine logische Struktur, ähnlich wie eine Boole’sche Algebra, und sie mag in sehr verschiedenen konkreten Ausformungen vorkommen, unter anderem in einer extensionalen, aber eben auch in einer intensionalen. Diese ergibt sich, wenn man die imp-Relation als a-Urteil, die incomp-Relation als e-Urteil, die comp-Relation als i-Urteil und die nonimp-Relation als o-Urteil deutet. Als logisches Quadrat erhält man so: 9 A imp B A incomp B A comp B A nonimp B Und jedem Syllogismus entspricht eine wohlgeformte Formel von CM. Nun lässt sich leicht zeigen, dass die folgenden Formeln allesamt Theoreme von CM sind: T21 T22 T23 T24 M imp P & S imp M → S imp P M incomp P & S imp M → S incomp P M imp P & S comp M → S comp P M incomp P & S comp M → S nonimp P Barbara Celarent Darii Ferio Außerdem haben wir bereits T17 T5 CM 5 T16 A imp B → A comp B A comp B → B comp A A incomp B → B incomp A A incomp B → A nonimp B Subalternation a - i conversio simplex i conversio simplex e Subalternation e - o. Der Rest ist Routine. Die Beweise für die gültigen Syllogismen lassen sich bei Aristoteles6 (oder in übersichtlicher Form bei Petrus Hispanus7) nachschlagen und Zeile für Zeile in CM umnotieren. Im Gegensatz zur Prädikatenlogik8 enthält also CM tatsächlich alle gültigen Syllogismen als Theoreme. Und für die ungültigen Syllogismen lassen sich Aristoteles‘ schöne Gegenbeispiele9 einfach in CM-Modelle übersetzen. Aristoteles, Analytica priora I 4. Petrus Hispanus, Summulae logicales, Venedig 1572, Nachdruck bei Olms, Hildesheim 1981, S.136. Zur „Entschlüsselung“ des Merkverses vgl. I.M. Bochenski, Formale Logik, Freiburg / München 19784, S.247f oder die entsprechenden Arbeitspapiere unter http://www.uni-rostock.de/fakult/philfak/fkw/iph/strobach/veranst/logik2/beschreib.html und http://www.//uni-rostock.de/fakult/philfak/fkw/iph/strobach/veranst/mittelalter.html. 8 Dort entspricht der Subalternation (und damit auch der conversio per accidens) keine allgemeingültige Formel, denn ∀x (Fx → Gx) → ∃ x (Fx & Gx) ist falsch in Modellen, in denen der Prädikatbuchstabe „F“ mit der leeren Mengen interpretiert ist, was die Standard-Semantik erlaubt. 9 Vgl. Aristoteles a.a.O. 6 7 10 8. Ausblick Die minimale10 Begriffslogik CM lässt sich auf einfache Weise mit der Prädikatenlogik kombinieren zu einer formelnen Sprache kombinieren, in der Beziehungen zwischen „Intension“ und Extension direkt ausgedrückt werden können. Sie zu entwickeln ist Aufgabe des zweiten Teils dieses Papiers. Anhang: Beweise für die erwähnten CM-Theoreme T1 A id B & B id C → A id C 1. A id B → ((B ξ C ≡ A ξ C) & (C ξ B ≡ C ξ A)) 2. A id B → (B ξ C ≡ A ξ C) 3. A id B → (B id C ≡ A id C) 4. A id B → (B id C → A id C) 5. A id B & B id C → A id C Transitivität von id CM2 1., a.l. abgeschwächt 2., mit id spezialisiert 3., a.l. abgeschwächt 4., a.l., QED. T2 A id B → B id A 1. A id B → ((B ξ C ≡ A ξ C) & (C ξ B ≡ C ξ A)) 2. A id C → ((C ξ C ≡ A ξ C) & (C ξ C ≡ C ξ A)) 3. A id C → ((C id C ≡ A id C) & (C id C ≡ C id A)) 4. A id C 5. (C id C ≡ A id C) & (C id C ≡ C id A) 6. C id C ≡ C id A 7. C id C 8. C id A 9. A id C → C id A Symmetrie von id CM2 1., Substitution C für B 2. mit id spezialisiert Annahme 3., 4., m.p. 5., a.l. CM1 6., 7. a.l. 4., 8., a.l., QED. T3 A diff B → B diff A 1. A id B → B id A 2. A diff B ≡ ~ A id B 3. A diff B & ~ B diff A 4. ~ A id B & ~ ( ~ B id A) 5. ~ A id B & B id A 6. ~ A id B & A id B 7. ~ (A diff B & ~ B diff A) 8. A diff B → B diff A Symmetrie von diff T2 Def. diff Annahme (a.l. Negation des Beweisziels) 2., 3., a.l. 4., a.l. 1., 5., Widerspruch 3., 6., (Negation der Annahme wg. Wdspr.) 5., a.l., QED. Der Ausdruck „minimal“ bezieht sich hier nicht auf eine formale Eigenschaft, sondern drückt einfach unsere Ansicht aus, dass man als Grundlage für reichere Begriffslogiken eine Logik der Ausdruckskraft von CM zur Verfügung haben sollte. Man kann sich gut ein (oder mehr als ein) begriffslogisches System vorstellen, das noch sparsamer ist als CM, indem es auf die id-Relation verzichtet. Wir danken Yaroslaw Shramko dafür, dass er diesen Punkt in der Diskussion in Bielefeld betont hat. 10 11 T4 ~ (A diff A) 1. A id A 2. A diff B ≡ ~ A id B 3. A diff A 4. ~ A id A 5. ~ (A diff A) Irreflexivität von diff T2 Def. diff Annahme (a.l. Negation des Beweisziels) 2., 3., Wdspr. zu 1 1., 3., 4., Negation der Annahme, QED. T5 A comp B → B comp A 1. A incomp B → B incomp A 2. A comp B ≡ ~ A incomp 3. A comp B & ~ B comp A 4. ~ A incomp B & ~ ( ~ B incomp A) 5. ~ A incomp B & B incomp A 6. ~ A incomp B & A incomp B 7. ~ (A comp B & ~ B comp A) 8. A comp B → B comp A Symmetrie von comp (conversio simplex i) CM6 Def. comp Annahme (a.l. Negation des Beweisziels) 2., 3., a.l. 4., a.l. 1., 5., Widerspruch 3., 6., (Negation der Annahme wg. Wdspr.) 5., a.l., QED. T6 A comp A 1. ~ A incomp A 2. A comp B ≡ ~ A incomp B 3. ~ A comp A 4. ~ ~ A incomp A 5. A incomp A 6. A comp A Reflexivität von comp CM5 Def. comp Annahme (a.l. Negation des Beweisziels) 2.,3. 4., Wdspr. zu 1. 1., 5. (Negation der Annahme), QED. T7 ~ (A indep A) 1. A indep A 2. ~ (A imp A) 3. A imp A 4. ~ (A indep A) Irreflexivität von indep Annahme (Negation des Beweisziels) 1., Def. indep CM3, Widerspruch zu 2. 2./3. Negation der Annahme, QED. T8 A indep B → B indep A 1. A indep B & ~ (B indep A) 2. ~ (B indep A) 3. A indep B 5. A comp B 6. B comp A 7. B imp A v A imp B v B incomp A 8. B imp A v A imp B 9. A imp B v B imp A 10. ~ (A imp B) & ~ (B imp A) 11. ~ (A indep B & ~ (B indep A)) 12. A indep B → B indep A Symmetrie von indep Annahme (Negation des Beweisziels) 1., a.l. 2., a.l. 4., Def. indep 5., T5 2., Def. indep 6., 7., a.l. 8., a.l. 3., Def. indep, a.l. Widerspruch zu 9. 9./10., Negation der Annahme 11, a.l., QED. 12 T9 A conv A 1. A conv B ≡ A imp B & B imp A 2. A conv A ≡ A imp A & A imp A 3. A imp A 4. A imp A & A imp A 5. A conv A Reflexivität von conv Def. conv 1., Substitution A / B CM3 3., a.l. 2., 4., a.l., QED. T10 A conv B & B conv C → A conv C 1. A conv B ≡ A imp B & B imp A 2. A conv B & B conv C 3. A imp B & B imp C 4. A imp B & B imp C → A imp C 5. A imp C 6. B imp A & C imp B 7. C imp B & B imp A 8. C imp B & B imp A → C imp A 9. C imp A 10. A conv C 11. A conv B & B conv C → A conv C Transitivität von conv Def. conv Annahme 2.,1., a.l. CM4 3.,4., a.l. 2.,1., a.l. 6., a.l. CM4 (mit C/A, A/C) 7., 8., a.l. 5., 9., Def. conv 2., 10., a.l., QED. T11 A conv B → B conv A 1. A conv B 2. A imp B & B imp A 3. B imp A & A imp B 4. B conv A 5. A conv B → B conv A Symmetrie von conv Annahme 1., Def. conv 2., Kommutativität von & 3., Def. conv 1., 4., a.l., QED. T12 A id B → A imp B 1. A id B → ((B ξ C ≡ A ξ C) & (C ξ B ≡ C ξ A)) 2. A id B → ((B imp C ≡ A imp C) & (C imp B ≡ C imp A)) 3. A id B → ((B imp B ≡ A imp B) & (B imp B ≡ B imp A)) 3. A id B → (B imp B ≡ A imp B) 4. A id B 5. B imp B 6. B imp B ≡ A imp B 7. A imp B 8. A id B → A imp B CM2 1., nach imp spezialisiert Substitution B für C 2., a.l. Annahme CM3 3., 4., m.p. 5., 6., a.l. 4., 7., QED. 13 T13 A incomp B → A diff B 1. A imp B & B incomp C → A incomp C 2. B incomp C & A imp B → A incomp C 3. C incomp B & A imp B → A incomp C 4. A incomp B & A imp B → A incomp A 5. A incomp B & A imp B 6. A incomp A 7. ~ (A incomp A) 8. ~ (A incomp B & A imp B) 9. A imp B 10. ~ (A incomp B) 11. A imp B → ~ (A incomp B) 12. A incomp B → ~ (A imp B) 13. A id B → A imp B 14. ~ (A imp B) → ~ (A id B) 15. ~ (A imp B) → A diff B 16. A incomp B → A diff B CM7 1., a.l. 2., CM6 3., Substitution A für C Annahme 4., 5., m.p. CM5 5., wg, Widerspruch 6. / 7. Annahme 8., 9. a.l. 9., 10., a.l. 11., a.l. T12 13., a.l. 14. Def. diff 12., 15., a.l. Kettenschluss, QED. T14 A id B → A conv B 1. A id B → A imp B 2. A id B → B id A 3. B id A → B imp A 4. A id B → B imp A 5. A id B → A imp B & B imp A 6. A id B → A conv B T12 T2 1., Substitution A / B, B / A 2., 3., a.l. Kettenschluss 1., 4., a.l. 5., Def. conv, QED. T15 A comp B & B imp C → A comp C 1. A comp B & B imp C 2. ~ (A comp C) 3. A incomp C 4. A incomp C & B imp C 5. A imp B & B incomp C → A incomp C 6. B incomp C & A imp B → A incomp C 7. C incomp B & A imp B → C incomp A 8. A incomp C & B imp C → A incomp B 9. A incomp B 10. A comp B 11. A comp C 12. A comp B & B imp C → A comp C Voraussetzung Annahme 2., Def. incomp 1., 3. CM7 5., a.l. 6., CM6 7. Substitution: C / A, B / C, A / B 4., 8., m.p. 1., Widerspruch 9./10. 2., Negation der Annahme 1., 11., QED. T16 A incomp B → A nonimp B 1. A incomp B → ~ (A imp B) 2. A incomp B → A nonimp B Subalternation e - o Beweis für T13, Zeile 12 1., Def. nonimp, QED. 14 T17 A imp B → A comp B 1. A incomp B → A nonimp B 2. ~ A nonimp B → ~ A incomp B 3. A incomp B ≡ ~ A comp B 4. A nonimp B ≡ ~ A imp B 5. ~ ~ A imp B → ~ ~ A comp B 6. A imp B → A comp B Subalternation a - i T16 1., a.l. Def. comp Def. nonimp 2., 3., 4. 5., a.l., QED. T18 A id B → A comp B 1. A incomp B → A diff B 2. ~ (A comp B) → A diff B 3. ~ (A comp B) → ~ (A id B) 4. A id B → A comp B T13 1., Def. comp 2., Def. diff 3., a.l. Transposition, QED; T19 A incomp B → ~ (A indep B). 1. A indep B → A comp B 2. A indep B → ~ ( A incomp B) 3. A incomp B → ~ (A indep B) Def. indep 1., Def. comp 2., a.l. Transposition, QED. T20 C imp A & C imp B → A comp B Beweis im Haupttext, Abschnitt 6. T21 M imp P & S imp M → S imp P 1. S imp M & M imp P → S imp P 2. M imp P 3. S imp M 4. M imp P & S imp M 5. S imp M & M imp P 6. S imp P 7. M imp P & S imp M → S imp P Barbara CM 4 Annahme Annahme 2., 3., a.l. 2., 3., a.l. 1., 5. m.p. 4., 6., a.l. QED T22 M incomp P & S imp M → S incomp P 1. P incomp M & S imp M → P incomp S 2. M incomp P 3. S imp M 4. M incomp P → P incomp M 5. P incomp M 6. P incomp M & S imp M 7. P incomp S 8. P incomp S → S incomp P 9. S incomp P 10. P incomp M & S imp M → P incomp S Celarent CM 7 Voraussetzung Voraussetzung CM 6 2., 4., m.p. 5., 3., a.l. 6., 1., a.l. CM 6 7., 8., m.p. 2., 3., 9., a.l. QED 15 T23 M imp P & S comp M → S comp P 1. M imp P 2. S comp M 3. S incomp P 4. S incomp P & M imp P 5. S incomp P & M imp P → S incomp M 6. S incomp M 7. ~ S incomp P 8. S comp P 9. M imp P & S comp M → S comp P Darii Voraussetzung Voraussetzung Annahme 3., 1., a.l. CM 7 4., 5., m.p. 3., wg. Wdspr. 2. / 6. 7., Def. comp 1., 2., 8., a.l. QED T24 M incomp P & S comp M → S nonimp P 1. M incomp P 2. S comp M 3. S imp P 4. M incomp P & S imp P 5. M incomp P & S imp P → M incomp S 6. M incomp S 7. M incomp S → S incomp M 8. S incomp M 9. ~ S imp P 10. S nonimp P 11. M incomp P & S comp M → S nonimp P Ferio Voraussetzung Voraussetzung Annahme 1., 2., a.l. CM 7 4., 5., m.p. CM 6 6., 7., m.p. 3., wg. Wdspr. 2. / 8. 9., Def. nonimp 1., 2., 10., a.l. QED.